Zehn

Es gibt Menschen, die verstehen sich darauf zu bitten. Zum einen sind das die professionellen Bettler, und zwar nicht die gramgebeugten Greisinnen, die vor einem Geschäft die Hand um eine milde Gabe vorstrecken, sondern diejenigen, die das Betteln zu ihrem Beruf gemacht haben und ihren Posten vor Kirchen und Friedhöfen sowie in Parks, inmitten des flanierenden Publikums, oder neben Restaurants beziehen, wo ein angeheiterter Kavalier sich keine Gelegenheit entgehen lässt, bei seiner Dame Eindruck zu schinden. Zum anderen sind es die geborenen Nassauer. Wir alle kennen solche Leute, mitunter sind wir sogar mit ihnen befreundet. Sie schreiben in der Schule die Hausaufgaben von dir ab (»Hast du mal Algebra?«), schwänzen an der Uni Seminare (»Du trägst mich ein, ja?«), kommen zu spät zur Arbeit (»Sag dem Chef, dass ich seit dem frühen Morgen hier hinten herumwusele!«) oder bestellen uns auf ihre Datscha ein (»Wir graben erst den Garten um, dann genehmigen wir uns ein Schaschlik und ein Bierchen, ja?«). Und selbst wenn wir angewidert das Gesicht verziehen, geben wir Ersteren doch etwas. Und selbst wenn wir halblaut fluchen, helfen wir Letzteren. Schließlich steht uns immer die Möglichkeit offen, uns von den Armen abzuwenden oder einen allzu aufdringlichen Freund abzuweisen.

Es gibt aber noch eine dritte Kategorie von Profis. Die allerschlimmste, denn ihr entkommst du nicht.

Politiker.

»Das Volk muss unsere Partei unterstützen!«

»Die Rentner müssen den Gürtel enger schnallen!«

»Die Kumpel sollten sich mal in unsere Lage versetzen!«

»Die Partner müssen unsere Interessen berücksichtigen!«

»Die Unternehmer sollten an die Staatsinteressen denken!«

Und diesen Bitten entzieht sich niemand. Das Volk unterstützt, die Rentner schnallen enger, die Kumpel versetzen sich, die Partner berücksichtigen und die Unternehmer denken an.

Denn diesen Bitten wohnt die Kraft eines Befehls inne. Es ist die Bitte eines faulen Bettlers mit der Knarre in der Hand.

Ich bin noch nie arm gewesen, stellte mich beim Abschreiben zu dusselig an, und Politik ging mir am Arsch vorbei. Doch nun musste ich als Bittsteller auftreten, noch dazu in allen seinen Erscheinungsformen, sowohl als Bettler, der um eine milde Gabe fleht, wie auch als Freund, der deine Hilfe braucht, oder als Politiker, der erpicht darauf ist, ein vorteilhaftes Abkommen auszuhandeln.

Das war nicht mein Ding! Überhaupt nicht.

Aber was sollte ich sonst tun?

Meine einzige Chance, der hartnäckigen Aufmerksamkeit der Arkaner zu entkommen, bestand darin, auf mein Recht zu pochen, ich selbst zu sein - und die Machthaber auf Feste zu überreden, uns zu helfen. Und zwar nicht einfach zu helfen, sondern uneigennützig zu helfen, ohne dass sie unsere Erde, unser rückständiges Demos, in eine weitere Welt mit »scholastischer Theokratie« verwandelten. Denn Gardistinnen mit puscheligen Killern an der Leine entsprachen in keiner Weise meinen Vorstellungen von einer glücklichen Gesellschaft.

In Rom war ich noch nie gewesen, mein Bild vom Vatikan entstammte einem albernen Film, in dem irgendwelche Gangster das Herz der katholischen Kirche mit einer Antimaterie-Bombe in die Luft jagen wollten. Insofern vermochte ich nicht zu entscheiden, ob die Residenz des Konklaves dem Sitz des Papstes ähnelte. Vermutlich schon. Denn wie ich festgestellt hatte, blieben etliche Realien in den unterschiedlichen Welten des Multiversums unverändert, selbst wenn die Abkoppelung der Welten voneinander weit zurücklag.

Die riesige Kirche glich dem Petersdom. Nahm ich zumindest an. Ich bekam sie allerdings nur flüchtig zu sehen, als ich in eine geräumige Kutsche mit verhangenen Fenstern gesetzt wurde. In ihr fuhr ich in Gesellschaft von zwei uniformierten Frauen aus einem Drogentraum Michelangelos, zwei liebreizenden Terriern aus einem Albtraum von Hieronymus Bosch und dem Vertreter des Konklaves, Marco, dahin.

»Ich freue mich sehr, dass Sie ausgerechnet während meiner Schicht zu uns gekommen sind«, teilte mir Marco freundlich mit. »Sie müssen wissen, wir kommen nicht oft in Kontakt mit Funktionalen. Ich bin bereits seit fünf Jahren für die Sicherheit der Zollstelle verantwortlich und habe mit Andrej vielleicht ein Dutzend Mal gesprochen ... höchstens.«

»Sie mögen die Funktionale wohl nicht?«

»Und Sie?«

»Nicht sehr«, gestand ich. »Man hat mich ohne meine Einwilligung zum Funktional gemacht. Dann haben sie meine Freundin umgebracht, mich verfolgt ... Aber das sind meine persönlichen Probleme. Ich nehme an, Sie haben andere Gründe für Ihre Vorbehalte.«

»Selbstverständlich. Es sind zutiefst praktische und mithin religiöse Gründe.« Marco dachte kurz nach. »Sie haben vermutlich angenommen, wir seien religiöse Fanatiker, die in den Funktionalen Dämonen sehen?«

»Also ...«, druckste ich.

»Also ... dürfte ich mit meiner Annahme ganz richtig liegen. Aber da irren Sie sich. Wir sind vernünftige Menschen, die andere Glaubensrichtungen tolerieren. Gewiss, der heilige christliche Glaube liegt unserer Gesellschaft zugrunde, verbindet sämtliche Staaten und dient als eine Art ...« Er schnipste mit den Fingern. »... Metastaat. Als weltanschaulicher Metastaat.«

»Ich habe eigentlich geglaubt, der ganze Planet sei zu einem einzigen Staat zusammengefasst.«

»Wo denken Sie hin! Nein. Das wäre nicht sehr vernünftig und ein solcher Staat kaum zu regieren. Wie will man mit Gewalt gegensätzliche wirtschaftliche Interessen oder Unterschiede in der Kultur, den Bräuchen und Moralvorstellungen unter einen Hut bringen? Ein geeintes Imperium, das Reich Gottes auf Erden, kann sich nur nach und nach herausbilden, auf dem Weg der Evolution, wenn die Moralvorstellungen weniger rigide sind, wenn das tägliche Leben nicht mehr ganz so beschwerlich ist und Völker und Sprachen sich ineinander aufgelöst haben. Das ist unser Ideal, wir sind jedoch noch weit davon entfernt, es zu erreichen. Ich werde Sie jetzt sicherlich überraschen, aber bei uns herrscht Gewissensfreiheit.«

»Tatsächlich?« Das erstaunte mich in der Tat.

»Natürlich. Viele Araber und Asiaten hängen dem Islam an, die Juden sind von ihrem alttestamentarischen Glauben nicht abzubringen, die Slawen - sind Sie eigentlich Slawe? - streiten mit dem Konklave über eine ganze Reihe von Zeremonien und haben darüber hinaus ihre eigenen Heiligen, die von anderen Völkern nicht anerkannt werden. Es gibt sogar - und ich fürchte mich nicht, dieses Wort in den Mund zu nehmen - Atheisten, Gottlose. Über einen Mangel an Problemen und Schwierigkeiten können wir also wahrlich nicht klagen! Auch Kriege haben wir, sogar zwischen uns Brüdern in Christo.«

»Dann werden wir einander leichter verstehen«, vermutete ich. »Ich hatte angenommen, bei Ihnen sei alles wesentlich strenger ... Was werfen Sie den Funktionalen denn nun eigentlich vor? Dass sie Ihnen ihren Willen aufzwingen?«

»Das ist nicht das Problem.« Marco lächelte. »Das sollten sie mal versuchen ... Streit ist eine Conditio sine qua non für jegliche Entwicklung. Nein, Kirill, was uns empört und demütigt, ist, dass die Funktionale ihre göttliche Natur verraten haben. Sie haben sich von dem abgewandt, was ihnen von Gott gegeben wurde, und haben sich dem zugewandt, was vom Teufel kommt. Das ist nicht wörtlich zu verstehen ... selbst wenn das Auftauchen der Funktionale eindeutig von Schwefelgeruch begleitet wird ...«

Abermals lächelte Marco. Was für ein fortschrittlicher Kirchenmann! Der mich die ganze Zeit über anhielt, nur nicht jedes Wort von ihm auf die Goldwaage zu legen.

»Aber Sie experimentieren doch selbst mit Biotechnologien. Sie manipulieren Tiere ...«

»Tiere, Kirill. Ausschließlich Tiere. Und die tragen das Abbild Gottes nicht in sich, weshalb der Mensch das Recht hat, sie zu vervollkommnen und damit den Willen des Schöpfers zu erfüllen.«

»Verstehe«, sagte ich hintergründig. »Also liegt das Problem darin, dass die Funktionale ... sich zu Übermenschen aufgeschwungen haben?«

»Zu Unmenschen!« Marco hob den Finger. »Und das entspricht nicht dem Willen Gottes. Zwischen den Segnungen Gottes und den Versuchungen des Teufels gibt es einen klaren Unterschied. Die Wunder des Herrn sind unerschöpflich, weil auch seiner Stärke keine Grenzen gesetzt sind. Wenn ein heiliger Mensch zu heilen vermag, dann ist er dazu jederzeit imstande. Oder er kann es nicht, wenn dies denn der Wille des Herrn sei. Den Verlockungen des Teufels haftet dagegen etwas Starres an. Sie gehen mit einer klaren Grenze und strikten Verboten und Regeln einher: Man heilt nur fünf Menschen pro Tag oder nur bei Vollmond oder nach Durchführung eines zuvor klar festgelegten Rituals ...«

»Die Leine«, sagte ich. »Die Leine der Funktionale, die sie an die Funktion kettet ...«

»Richtig!«, meinte Marco erfreut. »Genau das ist das Zeichen des Teufels. Der Leibhaftige ist nicht imstande, etwas ohne Einschränkung zu geben, seine Geschenke« - das letzte Wort stieß Marco mit unverhohlener Verachtung aus - »haben stets ihre Grenzen, seine Großzügigkeit ist knapp bemessen, seine Möglichkeiten sind bescheiden. Der Teufel ist stark, aber seine Stärke ist nicht unerschöpflich. Natürlich sind die Funktionale keine Teufel, sondern lediglich Menschen. Ehemalige Menschen, verführt vom Leibhaftigen.«

Ich sagte keinen Ton. »Dann glauben Sie also ernsthaft an den Teufel?«, fragte ich nach einer Weile.

»Wie könnte ich an Gott glauben - aber nicht an den Teufel?«, antwortete Marco mit einer Gegenfrage.

Der Kampfterrier zu meiner Rechten kläffte laut. Vermutlich beschimpfte er auf diese Weise die sinistren Pläne des Teufels.

Ich verstummte.

Irgendwie stellte sich Feste als nicht so beängstigend dar, wie ich angenommen hatte. Andererseits machte mir die Unterhaltung auch endgültig klar, wie schwer es sein würde, mit den hiesigen Machthabern zu einer Übereinkunft zu gelangen. Wenn neben den eigentlichen Verhandlungspartnern auch noch Gott und der Teufel in ihrer unsichtbaren Gestalt am Tisch saßen, würden es sehr, sehr schwierige Gespräche werden ...

Für eine Welt, in der alle Ankömmlinge aus anderen Ebenen des Daseins als freiwillige oder unfreiwillige Werkzeuge des Teufels gelten (ja, ja, vielen Dank, dass nicht gleich alle Fremden für Dämonen gehalten werden!), wurde ich einfach großartig aufgenommen. Die Kutschfahrt dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, dann stiegen wir in einem abgeschlossen Hof mit weinumrankten Mauern und einem Springbrunnen aus, dessen Wasser in ein kleines Becken plätscherte. Zum Hof hin lagen die Fenster und Balkons eines einstöckigen Hauses, ein altehrwürdiges, sich im Sonnenschein erhebendes Gebäude, aus dessen Steinfugen Gras hervordrängte. Es war so still, als befände sich die Stadt in weiter Ferne, einzig Zikaden zirpten. Dieses Haus, so erklärte man mir, sei mir als Residenz für meinen Aufenthalt auf Feste zur Verfügung gestellt worden. Jemand erkundigte sich, ob ich gerade faste und was ich, falls nicht, zu speisen wünsche. Die Gardistinnen blieben im Erdgeschoss, Marco verabschiedete sich mit offenkundigem Bedauern, da er seinen Dienst an der Zollstelle fortzusetzen hatte. Ich ging in den ersten Stock hinauf und inspizierte neugierig die mir zugeteilten Zimmer.

Wie ich vermutet hatte, gingen alle Fenster in den Innenhof hinaus. Alles in allem erinnerte meine Residenz eben doch an ein Luxusgefängnis. Die Zimmer waren dennoch sehr schön, groß und hell, der Boden mit altem kühlem Parkett, Gobelins in Pastelltönen, einige Gemälde, Stillleben und bukolische Landschaften. Insgesamt gab es im ersten Stock drei Schlafzimmer (Platz genug für eine kleine Delegation), drei Bäder (zwei kleine und ein gigantisches, mit einer riesigen Marmorwanne und einer ungewöhnlich konstruierten Dusche, bei der das Wasser nicht aus einer Brause kam, sondern aus einem breiten Bronzetrichter), außerdem noch einen großen Gemeinschaftsraum mit Sesseln und Tischen, ein Raucherkabinett (ich hatte nicht erwartet, dass man auf Feste rauchen durfte, weshalb ich von der Kiste mit Zigarren und den Päckchen mit filterlosen Papirossy angenehm überrascht war) sowie eine kleinere Bibliothek.

Mehr als alles andere beschäftigte mich die Bibliothek. Ich hatte den Eindruck, die Bücher seien sorgfältig ausgewählt worden, um Gästen gegenüber ja nicht allzu viel preiszugeben. Das eine oder andere erschloss sich mir aber dennoch - und das machte mich völlig baff.

Den Luxusausgaben nach zu urteilen musste beispielsweise Voltaire ein hochgeschätzter Autor sein. Die Bände waren in braunes Leder gebunden und mit einem Zitat in Goldschrift verziert: Wir müssen unseren Garten bestellen; darunter prangte auf jedem Einband ein rebenumwundenes Kreuz.

In unserer Welt hätte diesen scharfsinnigen Freidenker niemand für einen Freund der Kirche gehalten. Mein Vater verehrte diesen Autor ungeheuer, ich selbst hatte jedoch nur Die Jungfrau von Orleans gelesen, noch dazu als Teenager, verführt von dem Wort Jungfrau und den zahllosen amüsanten Frivolitäten. Ich weiß noch, dass jeder in dem Buch davon träumte, der tapferen Jeanne d’Arc an die Wäsche zu gehen, von dem hermaphroditischen Dämon angefangen bis hin zu ihrem eigenen Esel. Als ich die hiesige Variante der Jungfrau von Orleans durchblätterte, wurde mir klar, dass ich ein völlig anderes Buch in Händen hielt. Tolkien hätte es geschrieben haben können. Ein Heldenepos in Versen, von Satire nicht die geringste Spur.

Fünf andere Werke kannte ich nur dem Titel nach. Allerdings war ich fest davon überzeugt, dass Voltaire zwar auch ein Buch mit dem Titel Zadig, oder das Geschick vorgelegt hatte, dies jedoch niemals zusammen mit dem Werk Achill, oder das Missgeschick in einer Dilogie erschienen war.

Ich entdeckte Dickens, Swift, Hugo und Dostojewski. Wie gesagt, ich bin kein großer Freund der klassischen Literatur, aber ich war mir doch relativ sicher, Gulliver habe nur vier Reisen gemacht, nicht sieben. Zumindest hatte ich von einer »Reise nach Dagoma«, der »Reise ins Land der Kjonk« oder der »Reise nach Hargenlog« noch nie gehört.

Und gewiss, Dostojewski hatte die Dämonen geschrieben - aber hatte er auch Engel und Teufel geschrieben?

Die Schlussfolgerung, die sich quasi von selbst aufdrängte, war im Großen und Ganzen recht positiv: Auf Feste hatten die Schriftsteller zwar andere Bücher geschrieben, dafür aber mehr.

Ein ganzes Fach war Kinderbüchern vorbehalten, als rechne man damit, in diesem Haus Familien mit Kindern einzuquartieren. Pinocchio schien mir dem Original sehr nahe zu sein, wohingegen der Zauberer von Oz keinesfalls Abenteuer in einem Zauberland schilderte. Eher schien es vor jeglichem Kontakt zu Wesen aus anderen Dimensionen zu warnen ... Aber nahm das wunder?

Ich hielt nach Harry Potter Ausschau. Mich interessierte brennend, wie die Geschichte des Zauberlehrlings auf Feste aussah. Anscheinend hatte sich die Abspaltung jedoch zu früh vollzogen. Vielleicht war Rowling hier nie geboren worden. Oder sie war eine glückliche Hausfrau mit vielen Kindern. Womöglich gab es in den Cafés in dieser Welt aber auch einfach keine Papierservietten.

Mit einem gewissen Bedauern verließ ich die Bibliothek wieder, bewaffnet nur mit einem schmalen Band Aphorismen von Montaigne. Wenn du nicht weißt, wann du deine Lektüre unterbrechen musst, nimmst du dir am besten einen kurzen Text vor. Ich zündete mir eine Papirossa an (der Tabak stellte sich als überraschend leicht heraus) und fing an zu lesen. Ob ich überwacht wurde? Ihre Technik war nicht sonderlich hoch entwickelt, aber echte Meister brauchten ja nicht mehr als ein Loch in der Wand, einen Spiegel und ein geschickt verlegtes Lauschrohr.

Gerade als ich mich im Raucherkabinett an der Beobachtung »Mit einem Wirrkopf guten Willens zu diskutieren ist unmöglich« ergötzte, bekam ich Besuch.

»Gott schütze dich, mein Freund.«

Ich sprang hoch, legte das Buch weg und machte gleichzeitig die Zigarette aus. Das Zimmer hatte ein angejahrter Mann betreten (hinter dem kurz die bunten Uniformen aufgeblitzt und sogleich wieder verschwunden waren), der eine leuchtend rote Soutane und ein rotes Birett trug. Faltenreich, glatt rasiert, silbergraues Haar, aber so funkelnde Augen wie ein junger Mann.

Ein Kardinal?

Der Mann trug einen friedlich schlummernden Terrier auf dem Arm. Sein Gesicht wirkte sehr intelligent und klug. Andererseits: Auf einem solchen Posten würde man in keiner Welt einen Idioten antreffen.

»Eure Eminenz ...«, brachte ich zu meiner eigenen Überraschung heraus, mich an ein Buch erinnernd oder an den Film von den drei Musketieren und ihrem gascognischen Freund. Obendrein vollführte ich noch eine ungeschickte Verbeugung.

Der Kardinal musterte mich eindringlich. Nach einer Weile nickte er. »Ja, du hast recht. Mein Name ist Rudolf, ich bin einer der Kardinäle des Konklaves. Friede sei mit dir, Kirill aus Demos. Du bist auf einem Umweg zu uns gekommen, verängstigt und an solche Missionen nicht gewöhnt. Gleichwohl bist du von dem Wunsch erfüllt, sie zu Ende zu bringen ... Mithin hältst du sie für wichtig. Setz dich.«

Wir nahmen einander gegenüber Platz. Ich verbrannte mir die Finger, als ich die immer noch hartnäckig vor sich hinqualmende Kippe ausdrückte.

»Du kannst gern rauchen«, bot der Kardinal lächelnd an. »Besser du bist ruhig als nervös, weil du gegen dein Laster kämpfst. Wenn der Herr den Tabak geschaffen hat, dann hat er sich etwas dabei gedacht.«

»Ich komme mit einer Botschaft von Erde-2«, erklärte ich. »Von Demos, wie Sie es nennen.«

»Wen vertrittst du?«, wollte Rudolf ruhig wissen.

»Grob gesprochen mich und meinen Freund«, teilte ich ihm mit.

»Und wer ist dein Freund?«

»Der Kurator unserer Erde.«

Die Finger des Kardinals, die über das Fell des Yorkshires strichen, erzitterten und hielten inne.

»Wie interessant«, kommentierte er. »Wie ausgesprochen interessant. Ist deine Zeit sehr knapp bemessen?«

»Unser aller Zeit ist knapp bemessen«, sagte ich. »Aber sie reicht für einen Bericht.«

»Dann berichte mir alles von Anfang an«, forderte Rudolf mich auf. »Fang mit dir an.«

»Ich bin Kirill«, stellte ich mich vor. »Kirill Maximow. Ich habe in Moskau gelebt, in Russland. Das ist die Hauptstadt unseres Landes ... aber das spielt eigentlich keine Rolle. Nach der Schule habe ich am MAI studiert ... das ist das Institut für Luftfahrt. Wir haben solche Maschinen, Flugzeuge, sie fliegen durch die Luft ...«

»Wir haben gewisse Vorstellungen von eurer Welt«, versicherte der Kardinal lächelnd. »Erzähl nur, wenn mir etwas unverständlich ist, werde ich dich um eine Erklärung bitten.«

»Gut. Ich war also an der Uni, irgendwann habe ich das Studium abgebrochen ... Es war nicht sonderlich interessant, das heißt, interessant war es eigentlich schon, aber nicht gerade aussichtsreich. Ich habe dann in einem Computerladen angefangen ... als ... als Verkäufer, um die Wahrheit zu sagen.«

»Das ist eine ebenso anständige Arbeit wie jede andere auch, sofern sie ehrlich ist«, merkte der Kardinal ernsthaft an.

»Ich habe allein gelebt, ich hatte eine Freundin, doch wir hatten uns getrennt ... Eines Tages bin ich nach Hause gekommen und habe gesehen, dass die Tür zu meiner Wohnung offen stand ...«

Nach und nach beruhigte ich mich. Vielleicht weil mein seltsamer Gesprächspartner (falls jemand häufig mit Kardinälen aus fremden Welten plaudert, bin ich sofort bereit, das Wort »seltsam« zurückzunehmen) zuzuhören verstand. Das ist eine wichtige Tugend aller Priester und Politiker - und immerhin war er das eine wie das andere.

Ich berichtete, wie ich aus unserer Realität ausgelöscht worden war. Wie sie mich zum Zöllner gemacht hatten und ich fremde Welten besucht hatte. Wie ich aber beschlossen hatte, der Wahrheit auf den Grund zu kommen und herauszufinden, wer noch über den Funktionalen selbst stand. Wie ich nach Arkan gelangt war, wie sie mich gejagt und die Frau, in die mich verliebt hatte, ermordet hatten, wie mein Freund mich umbringen wollte, wie ich dahintergekommen war, dass er Kurator ist, und wie ich abermals durch die Welten geschliddert war, wie Kotja und ich uns ausgesprochen und beschlossen hätten, gemeinsam zu kämpfen ...

Zweimal brachte jemand Getränke, für mich Kaffee, für den Kardinal Tee. Auf einen kleinen Tisch stellte man uns Schalen mit Obst und Nüssen hin. Mit einem missbilligenden Blick besorgte mir eine der Frauen in den Michelangelo-Uniformen außerdem einen neuen Aschenbecher.

Der Kardinal stellte nur selten eine Frage. Mich überraschte nicht, dass er sich besonders für Arkan interessierte, aus mir nicht einsichtigen Gründen weckte aber auch Janus seine Neugier. Über meine Welt und Veros ging er dagegen hinweg. Ob es auf der Erde vielleicht Agenten von Feste gab?

Am Ende war ich fix und fertig. Da es bereits dämmerte, mussten wir mindestens fünf, sechs Stunden miteinander gesprochen haben.

»Eine interessante Geschichte«, meinte Rudolf. »Eine höchst interessante ... Du bist also ein ehemaliges Funktional, das noch über gewisse obskure Reste seiner Fähigkeiten verfügt, dein Freund ist Kurator, das Hauptfunktional von Demos, und hat seine Fähigkeiten teilweise eingebüßt, und ihr beide wollt ...« Er machte eine Pause. »Darin genau besteht die Frage: Was ihr eigentlich wollt. Euch gegen Arkan verteidigen und danach normale Menschen werden?«

»Kann man sich denn als normaler Mensch gegen Arkan zur Wehr setzen?«, antwortete ich mit einer Gegenfrage. Der Plan, den ich mir für dieses Gespräch zurechtgelegt hatte, erschien mir mit einem Mal naiv und falsch.

»Wir konnten es schließlich auch.«

»Aber wie? Wie entdecken Sie die Portale, die in Ihre Welt führen, überhaupt? Wie identifizieren Sie die Emissäre von Arkan? Nein, ich habe nicht die Absicht, das auszukundschaften«, beeilte ich mich klarzustellen. »Glauben Sie nicht, dass ich als Spion hierhergekommen bin ... obwohl ich es natürlich gern wissen würde, aber das ist nicht das Entscheidende. Doch vielleicht könnten Sie mir schildern, wie und warum Sie Arkan besiegt haben? Sie sind natürlich nicht verpflichtet, mir zu glauben, dennoch könnten Sie mir womöglich das eine oder andere sagen, was für die Arkaner kein Geheimnis ist, uns in unserem Kampf jedoch helfen würde.«

»Auch in diesem Fall stellt sich die Frage, wogegen euer Kampf gerichtet ist«, gab der Kardinal seufzend zu bedenken. »Kirill, unsere Welt ist - sei dies nun Gottes Wille oder ein Ränkespiel des Teufels ... ja, auch diesen Gedanken ziehe ich in Erwägung, denn der Teufel, wiewohl in seiner Macht beschränkt und nicht allwissend, kann uns das Böse wünschen, doch die Gnade des Herrn verwandelt dieses Böse in Gutes -, kurz und gut, unsere Welt ist eine religiöse.«

»Das ist mir nicht entgangen«, konnte ich mir eine ironische Bemerkung nicht verkneifen.

»Der Glaube an Gott enthält jedoch unweigerlich eine bestimmte Komponente, nämlich den Glauben an den Teufel. Richtig, Marco hat mich über euer Gespräch unterrichtet ... Wir waren stets auf dergleichen vorbereitet. Auf die Versuchung. Darauf, dass jemand zu uns kommt und uns goldene Berge verspricht, uns im Gegenzug jedoch um eine mit Blut vollzogene Unterschrift auf einem Blatt Papier bittet ... Nur so haben wir auch von den Funktionalen erfahren. Diejenigen, die sie angesprochen haben, haben uns bisweilen davon berichtet. Und diejenigen, denen diese Angesprochenen ihre Geschichten erzählten, haben ihnen geglaubt. Daraufhin haben wir angefangen, nach einem Ausweg zu suchen. Eure Welt liebt seelenlose Maschinen. Wir haben einen anderen Weg beschritten, indem wir das Leben um uns herum veränderten, die Pflanzen und Tiere ... nur uns Menschen haben wir nicht angetastet. Unsere Biowissenschaft hat damit das vollbracht, was all eure Technologie noch nicht zustande bringt, all eure Computer, Laser und Raumschiffe ...« Obwohl er diese Worte völlig klar aussprach, klangen sie mir fremd in den Ohren. »Wir haben etwas erschaffen, womit wir Fremde auszumachen vermögen ...«

Der Kardinal führte eine Hand ans Gesicht. Mit den Fingerspitzen berührte er sein Auge, als wolle er eine Kontaktlinse herausnehmen.

Daraufhin hielt er mir die offene Hand mit einem glitzernden Flatschen wabbelnden durchsichtigen Gelees hin.

»Was ist das denn?«, flüsterte ich.

»Im Volksmund heißt es Engelsauge«, klärte der Kardinal mich auf. »Offiziell wird es als spektralanalytische Linsenqualle bezeichnet. Es handelt sich dabei wirklich um eine Qualle ... beziehungsweise, um präzise zu sein, die Vorfahren dieser Linse waren Quallen. Winzige Klumpen durchsichtigen Fleischs aus den Wellen des Weltmeers. Anfangs versuchten wir, die Quallen als normale Brille einzusetzen. Ihr habt etwas Entsprechendes aus Plastik.«

»Kontaktlinsen«, bestätigte ich, ohne den Blick von der Qualle zu wenden. Anfassen wollte ich den Glibber nicht. Zum Glück bestand der Kardinal auch nicht darauf. Er setzte den Klumpen Protoplasma wieder in sein Auge und blinzelte.

»Als Brillenersatz taugen die Quallen nicht. Dazu sind sie zu zart und zu teuer. Sie überleben ein paar Monate, wenn sie regelmäßig in ein Aquarium mit nahrhaftem Plankton gesetzt werden, bleiben aber höchst anfällige Wesen ... Wie sich jedoch zeigte, ermöglichen sie es nach gewissen Veränderungen, das zu sehen, was zuvor verborgen war. Zum Beispiel Wärme.«

»Kaum zu glauben!«, staunte ich, während ich dem Kardinal fest in die Augen blickte. Jetzt verstand ich natürlich auch, wo dieser aufgeweckte, jugendliche Glanz herrührte ... »Lebende Infrarotbrillen ...«

»Man kann damit auch feinere Lichtwellen sehen. Ultraviolettes Licht, so nennt ihr es doch, oder?«

Ich nickte. Mich wunderte längst nichts mehr.

»Eine der Varianten des Engelsauges gestattet es, Funktionale von einfachen Menschen zu unterscheiden. Die Funktionale geben komplexe harmonische Strahlen ab. Diese gehen vom Kopf aus, präziser, von der Hypophyse. Mit normalen Methoden ist es nicht möglich, diese Strahlen aufzuzeichnen ... zumindest hoffen wir, dass es nicht möglich ist. Ehemalige Funktionale wie du zeigen ein verändertes Strahlenspektrum, bleiben jedoch Nicht-Menschen.«

»Das heißt, wir verwandeln uns zurück, aber nicht vollständig?«

»Nein. Ihr mutiert zu einer dritten Wesensform.«

»Und was ist das für eine Strahlung? Radioaktive? Elektromagnetische Wellen ...?«

»Nein«. Der Kardinal lächelte. »Nein. Aber das betrifft bereits Fragen, auf die ich nicht zu antworten gedenke. Selbst wenn ich dir vorbehaltlos glaube. Du kannst ein Freund sein, doch auch ein Freund ist zu Verrat fähig oder - unter Folter - zur Preisgabe von Informationen.«

»Ich bestehe ja gar nicht auf einer Antwort«, sagte ich beleidigt. »Es ... es hat mich halt interessiert. Was ist mit den Portalen? Und nicht nur mit den Portalen, sondern mit den Funktionen ganz allgemein?«

»Sie geben ebenfalls Strahlen ab«, meinte der Kardinal leichthin. Allzu leichthin, um es als zufällige Bemerkung erscheinen zu lassen.

»Leben die etwa auch?«, entfuhr es mir.

»Was dachst du denn, junger Mann? Wie hast du es dir erklärt, wenn über Nacht ein alter Steinturm Möbel wachsen lässt und die Wände färbt? Dass da Heinzelmännchen am Werk gewesen sind?«

Ich erschauderte. »Aber dann ist die Leine der Funktionale ...«, stotterte ich.

»Das ist die Nabelschnur«, bestätigte Rudolf. »Eine unsichtbare, energetische Nabelschnur. Wenn ein Funktional zu weit weggeht, reißt sie.«

»Aber für ein Kind bedeutet das die Geburt ...«

»Für ein Funktional ebenfalls. Die uneingeschränkte Freiheit.«

»Dafür gehen aber alle Fähigkeiten verloren!«

»Hat ein Baby denn viele Fähigkeiten?«, konterte der Kardinal.

»Kann ein ehemaliges Funktional zu etwas anderem heranwachsen?«

»Verzichten Sie besser auf Vergleiche!« Der Kardinal drohte mir mit dem Finger. »Bis zu einem gewissen Punkt sind sie hilfreich und dienen uns dazu, das, was um uns herum geschieht, zu verstehen. Irgendwann beginnen sie jedoch, uns zu verwirren. Weißt du, wie ich einem einfachen, unwissenden Menschen das Phänomen der Dreieinigkeit erkläre?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Ich sage ihm Folgendes: Wenn wir in den Himmel sehen, erblicken wir die Sonnenscheibe. Genauso sind wir in der Lage, Christus, seine menschliche Komponente, zu schauen und sogar zu verstehen. Wir haben den Eindruck, die Sonne sei nicht sonderlich groß und kreise um uns. Dabei ist die Sonne riesig, und es ist die Erde, die um sie kreist. Genauso verhält es sich mit uns Menschen gegenüber Christus ... Weiter. Die Sonne nehmen wir als Scheibe wahr, obschon es eine gewaltige Kugel ist. Genauso ist auch Gott für den menschlichen Blick nur als kleiner Teil fassbar, der uns blendet. Es steht uns nicht zu Gebote, ihn in seiner Gänze zu erfassen. Und ein Letztes. Selbst wenn wir die Augen schließen und die Sonne nicht mehr sehen, spüren wir doch ihre Strahlen, ihre Wärme. Mit unserer Haut. Genauso durchdringt auch der Heilige Geist das gesamte Universum.«

»Äh ... das hat Hand und Fuß«, wagte ich eine vorsichtige Äußerung. »Ich glaube, jetzt ist selbst mir die Sache etwas klarer geworden!«

»Vielen Dank.« Der Kardinal lachte. »Ein einfacher Mann ist einmal, als er meine Erklärung gehört hat - damals war ich noch schlichter Priester -, zu mir gekommen und hat mich gefragt, ob er mich richtig verstanden habe, dass Gott nämlich groß und rund sei?«

»Klar. Die Funktionale, die sich von ihrer Leine losreißen, wachsen zu nichts anderem heran ...«

»Zumindest wissen wir nichts davon«, antwortete der Kardinal. »Allerdings bist du ein sehr interessanter Fall, das will ich nicht verhehlen. Deine Aura, wenn du dieses Wort gestattest, ist typisch für ein ehemaliges Funktional. Trotzdem hast du es geschafft, einen Kurator zu besiegen, nachdem du deine Funktion und deine Energie bereits verloren hattest. Vielleicht hast du noch über Reste deiner Kraft verfügt ...« Er breitete die Arme aus. »Ich weiß es nicht. Wir konnten das Wesen der Funktionale nicht vollends begreifen. Wir hatten Krieg ... Wir hatten uns so lange auf ihn vorbereitet, wie es uns möglich war, und das ist natürlich bekannt geworden ... Wie gesagt, es war Krieg. Ein grausamer und schrecklicher Krieg. Es loderten die Scheiterhaufen der Inquisition, auf denen die Funktionale verbrannt wurden, die sich weigerten, ihre Funktion aufzugeben. Es starben Priester, die wussten, gegen wen wir kämpften. Es starben einfache Menschen, die glaubten, die Apokalypse sei über uns hereingebrochen und die letzte Schlacht mit dem Teufel habe begonnen. Die Menschen brachten einander um, da sie verschreckt waren und die dämonische Kraft eines Funktionals nicht vom normalen Scharfsinn, den Fähigkeiten und den Talenten eines Menschen zu unterscheiden vermochten. Geniale Komponisten, geschickte Handwerker, famose Artisten und kundige Heiler kamen zu Tode, weil es uns an Zeit und Kräften mangelte, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wir mussten das Übel restlos ausmerzen.«

Er verstummte. Der Hund in seinen Armen drehte sich um.

»Das habe ich nicht gewusst«, sagte ich. »Wir haben geglaubt, dass ...«

»Und jetzt kommst du zu mir und sagst: ›Mein Freund und ich haben es satt, zweitrangige Funktionale zu sein. Wir wollen ein reines Gewissen haben und gleichzeitig reich werden. Geben Sie uns eine Armee, aber verlangen Sie im Gegenzug nichts von uns.‹ Ist es nicht so?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich. »Das heißt, ja, doch. Aber nur am Anfang. Jetzt ... bin ich mir nicht mehr sicher. Sie ...« Ich gestikulierte ungeschickt. »... Sie haben sich als besser erwiesen, als wir vermutet haben. Daran liegt es wohl.«

»Was wollt ihr? Weshalb bist du zu uns gekommen, ehemaliger Zöllner?«

»Ich bin gekommen, um zu bitten«, gestand ich. »Schließlich heißt es: Bittet, so wird euch gegeben werden. Ich bin gekommen, um Hilfe zu erbitten. Sie haben recht, wir wollen nicht einfach wieder normale Menschen werden. Aber ... Sie werden uns doch nicht allein gegen Arkan kämpfen lassen, oder?«

»Und du bist dir sicher, dass dein reuevoller Freund wirklich gegen Arkan kämpfen will?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Bist du dir sicher, dass die Wurzel allen Übels Arkan ist?«

Ich riss den Kopf hoch. »Wer denn sonst?«, fragte ich.

Der Kardinal schüttelte nur den Kopf.

»Na schön, die Wurzel allen Übels ist der Teufel«, ereiferte ich mich. »Einverstanden. Ich bin bereit, das zu glauben. Aber ... selbst Sie werden vermutlich kaum annehmen, dass da ein Teufel in Fleisch und Blut sitzt und kleine Unterteufel mit Aufträgen losschickt: Aus dem machen wir ein Geigerfunktional, aus dem einen Zöllner. Das glauben Sie doch nicht, oder? Sicher, der Teufel ist der böse Wille, er ist Hetze und Anstiftung. Aber es gibt ja eine Organisation von Funktionalen! Jemanden, der die Befehle erteilt. Einen Kurator der Kuratoren, einen oder mehrere, das ist völlig unerheblich. Irgendwo müssen sie leben und ihre mysteriösen Experimente mit den Welten durchführen ...«

Der Kardinal seufzte. Ächzend erhob er sich und bettete den schlummernden Hund in den Sessel. »Er hat schon einige Jährchen auf dem Buckel«, meinte er mit einem Blick auf das Tier. »Achtzehn ist er jetzt. Die Gardistinnen verlangen schon seit längerem, dass ich mir einen neuen zulege, aber das bringe ich nicht übers Herz. Er würde sofort sterben, wenn ich ihn weggebe ... Ein Kurator der Kuratoren, sagst du?«

Er durchquerte das Zimmer und stellte sich vors Fenster, mit dem Rücken zu mir. »Wie herrlich es doch ist, jung und hitzköpfig zu sein!«, presste er bitter hervor. »Zu glauben, die Finsternis habe ein Herz, der Feind einen Namen, die Experimente ein Ziel ... Wir wissen kaum etwas über Arkan. Wir enttarnen ihre Agenten, sind aber nicht imstande, selbst in ihre Welt vorzudringen. Darüber hinaus deutet nichts von dem, was wir in Erfahrung gebracht haben, auf Arkan als Wurzel allen Übels. Es ist eine technische Welt, fast wie eure. Der Stand ihrer Entwicklung gestattet es ihnen nicht, Funktionale zu erschaffen und fremde Welten zu erobern. Auf gar keinen Fall! Sie können Handlanger sein, gehorsame Soldaten, Statthalter in eroberten Welten, das ja ... Und das sind sie in der Tat, da hast du ganz recht. Doch erdacht und aufgebaut wurde das alles irgendwo anders! Nicht auf Demos, nicht auf Veros, nicht auf Feste, nicht auf Arkan ... Es ist dumm und sinnlos, gegen die Erfüllungsgehilfen zu kämpfen, schließlich trifft sie keine Schuld, und an die Stelle der Gefallenen treten nur neue Handlanger. Wir haben unsere eigene Welt abschotten können, sollte es jedoch zu einem globalen Krieg kommen, wird uns selbst das nichts nützen. Gardistinnen und Mönche von Ritterorden mit ihren lebenden Waffen gegen trainierte Funktionale mit Maschinengewehren, gegen Panzer und Flugzeuge ... Nein, ich will nicht behaupten, dass wir von vornherein verloren hätten. Eher würde es wohl darauf hinauslaufen, dass wir uns alle gegenseitig umbringen. Wenn wir dabei wenigstens sicher sein könnten, dass auch das Böse untergeht ... Aber genau das wissen wir eben nicht. Wir wissen nicht, wo das Herz der Finsternis schlägt, junger Freund. Und deshalb werden die Soldaten Festes nicht in fremden Welten kämpfen.«

Einen ausgedehnten Moment lang schwiegen wir beide. Ich zerkrümelte eine weitere Papirossa zwischen den Fingern. »Warum haben Sie eigentlich nur Frauen in Ihrer Garde?«, wollte ich plötzlich wissen. »In unserer Welt gibt es den Vatikan, aber dort ...«

»Der Vatikan und die dortige Schweizer Garde sind mir bekannt. Aber in unserer Welt sind eben nicht einhundertsiebenundvierzig Gardisten gestorben, als sie versuchten, Papst Clemens VII. zu schützen, hier haben Nonnen aus einem Karmeliterkloster ihr Leben gelassen, um die sechs Kardinäle des Konklaves zu retten.«

Der Kardinal kehrte zu seinem Hund zurück und nahm ihn wieder auf den Arm. »Ruhe dich aus«, forderte er mich auf. »Es war nicht sehr freundlich von mir, dass ich dir nicht die Möglichkeit gegeben habe, dich nach der Reise ein wenig zu entspannen. Aber in Rom bin ich jetzt das einzige Mitglied des Konklaves, und ich brannte darauf, mich mit einem Gast aus einer fremden Welt zu unterhalten. Noch dazu mit einem ehemaligen Funktional. Ich bin nämlich für die Fragen der äußeren Sicherheit Festes zuständig.«

»Es hat mich gefreut, mich mit Ihnen zu unterhalten«, versicherte ich. »Zu warten ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann. Und ... nach unserem Gespräch fühle ich mich besser. Selbst wenn Sie mir nicht helfen wollen.«

»Ich habe dir die Hilfe nicht abgeschlagen. Ich habe dir nur erklärt, warum unsere Soldaten weder nach Arkan noch nach Demos entsandt werden. Hilfe indes ... kann vielfältige Formen haben. Du wirst wohl nichts dagegen haben, wenn Marco dich als mein persönlicher Vertreter begleiten wird?«

»Nein, natürlich nicht. Er ist ein interessanter Gesprächspartner.«

Der Kardinal deutete ein Lächeln an. »Ja, ich weiß ...«

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