21. KAPITEL

Dóra hatte den Eindruck, fünfzig Jahre in die Vergangenheit zurückgereist zu sein. Sie saß in einem mit polierten Möbeln überfrachteten Wohnzimmer. »Wie gesagt, Jónas ist ziemlich verärgert, dass bei Vertragsabschluss nicht darauf hingewiesen wurde«, sagte sie und lehnte sich zurück, sodass die Federn des alten Sofas knarrten. Es handelte sich um ein riesiges Möbelstück mit ungewöhnlich weichen Polstern. Als sie endlich die Rückenlehne des Sofas spürte, befand sie sich schon fast in Schräglage und setzte sich schnell wieder aufrecht hin. Zum Glück war sie groß genug, um gerade auf dem Sofa sitzen zu können, ohne dass ihre Beine in der Luft baumelten, aber das hätte wohl auch keinen großen Unterschied gemacht. Die Geschwister Börkur þórðarson und Elin þórðardóttir hatten sie am Morgen angerufen und in ihr Haus in Stykkishólmur eingeladen. Dóra hatte es vorgezogen, diese Einladung anzunehmen, anstatt sie ihrerseits ins Hotel zu bitten. Sie hatte sich über die Abwechslung gefreut — ein Umgebungswechsel, um einen klaren Kopf zu bekommen.

Das Haus war eines der stattlichsten im ganzen Ort, hochaufragend und gut erhalten, dokumentierte es den Wohlstand seiner Erbauer. Dóra ging davon aus, dass es sich um das Haus des Urgroßvaters der Geschwister handelte. Er hatte mit traditionellem Fischfang viel Geld verdient und war so schlau gewesen, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen, bevor die Segelboote von Trawlern abgelöst wurden. Matthias war von dem wellblechverkleideten Haus entzückt. Es war hübsch gestrichen und zog alle Blicke auf seine weißgestrichenen Giebel, Fensterrahmen und Dachkanten. Da das Gespräch auf Isländisch stattfinden sollte, hatte Matthias beschlossen, draußen zu bleiben und sich lieber im Ort umzusehen. Dóra war den wachsamen Blicken von Börkur und Elin, die ihr auf prachtvollen Stühlen gegenübersaßen, allein ausgeliefert.

»Das sind alte überlieferte Geschichten. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie etwas mit der Gegenwart zu tun haben. Wiedergänger! Unfassbar!«, sagte Börkur unfreundlich. »Und man muss sich fragen, ob das irgendetwas geändert hätte! Der Mann wollte den Kaufvertrag doch unbedingt abschließen. Er hat sich noch nicht mal für das Lachsaufkommen im Fluss interessiert.«

»In Anbetracht der Dienstleistungen, die das Hotel anbietet, bin ich mir sicher, dass diese Geschichten für Jónas wichtig gewesen wären«, sagte Dóra und lächelte höflich. »Sehr wichtig. Lachse und Derartiges sind für das Hotel nebensächlich, aber das Übernatürliche ist es gewiss nicht.«

Börkur schnaubte. »Und was will er mit diesem Unsinn erreichen? Den Kaufpreis zu drücken?«

»Zum Beispiel«, antwortete Dóra. »Das wäre eine Möglichkeit.«

»So einen Quatsch habe ich noch nie gehört«, sagte Börkur mit polternder Stimme. »Dann ist es wohl an der Zeit, dass wir uns einen Anwalt nehmen?« Erzürnt blickte er zu seiner Schwester.

Elin saß ausdruckslos neben ihm. »Lass uns doch erst mal darüber reden. Es muss doch möglich sein, eine Lösung zu finden.« Sie wandte sich an Dóra. »Oder? Hat Börkur etwa recht?«

»Wenn ich eine Kaufpreisminderung oder Schadenersatz für die einzige Lösung halten würde, hätte ich euch einfach einen entsprechenden Brief geschickt«, antwortete Dóra. »Ich bin hier, um über die Sache zu reden und zu sehen, ob man sie nicht auf andere Weise lösen kann.«

»Schadenersatz«, brummte Börkur. »Ich sollte derjenige sein, der Schadenersatzansprüche stellt. Ich müsste bei der Arbeit sein, anstatt hier rumzusitzen.«

»Aber mein Lieber«, sagte seine Schwester Elin gereizt, »deine Angestellten sind wahrscheinlich gottfroh, dich los zu sein. Vielleicht tun sie sich ja zusammen und bezahlen dich für deine Abwesenheit?«

Börkur wurde feuerrot im Gesicht, entgegnete aber nichts. Stattdessen drehte er sich wieder zu Dóra. »Ich habe einen Vorschlag«, bellte er. »Sag diesem Jónas, dass wir auf solchen Unsinn pfeifen und dass andere das auch tun werden. Ich glaube nicht, dass moderne Gerichte auf Schadenersatzforderungen wegen Spuk eingehen.« Er atmete eine Weile schwer und fügte dann hinzu: »Nach Anwälten wie dir, die solche Fälle annehmen, muss man bestimmt lange suchen.«

Dóra wusste aus eigener Erfahrung, dass derjenige, der bei einem Disput die Kontrolle verlor, am Ende der Unterlegene war. »Selbstverständlich liegt die Entscheidung bei euch«, sagte sie seelenruhig. »Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass Richter es ungern sehen, wenn man im Vorfeld nicht alles versucht hat, um die Probleme aus dem Weg zu räumen.«

Elin legte ihrem Bruder die Hand auf die Finger, die sich in die geschnitzte Stuhllehne krallten. »Ich verstehe«, sagte sie zu Dóra, ohne ihren Bruder anzuschauen. »Und wie lässt sich das auf andere Weise lösen? Hast du irgendwelche Vorschläge?« Sie schaute zu ihrem Bruder und lächelte ihn ruhig an. »Grundsätzlich sind wir für alles offen.«

»Ein Teufelsaustreiber vielleicht?«, schnaubte Börkur. »Das wäre doch was!«

Dóra überhörte seine Bemerkung und richtete sich an Elin. »Vielleicht sollten wir uns zunächst darüber unterhalten, ob ihr selbst bemerkt habt, dass es dort spukt.«

»Ja, warum nicht?«, entgegnete Elin und verstärkte den Griff um die Finger ihres Bruders ein wenig. »Das lässt sich nämlich leicht beantworten. Mir ist dort noch nie etwas Merkwürdiges aufgefallen, aber ich war auch nicht oft da. Unsere Mutter ist auf Kreppa aufgewachsen, bei Großvater Grímur. Seinem Bruder Bjarni gehörte Kirkjustétt, wo das Hotel gebaut wurde, aber er ist früh verstorben. Falls es irgendwelche Geschichten über die Höfe gibt, müssen sie uns nicht unbedingt zu Ohren gekommen sein.«

»Und du?«, fragte Dóra Börkur. »Hast du etwas bemerkt oder von einem Spuk auf einem der beiden Höfe oder auf dem Grundstück gehört?«

Er schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Dafür gibt es keinen Anlass. Ich gebe nichts auf solchen Quatsch.« Verdrossen fügte er hinzu: »Außerdem war ich noch seltener da als Elin.«

Dóra wandte sich wieder an die Schwester. »Wie kommt es denn, dass die Höfe so gut erhalten sind? Ich habe Kirkjustétt zwar nicht gesehen, bevor das Hotel gebaut wurde, aber wir haben uns Kreppa angeschaut, und ich nehme an, dass das Haus in Kirkjustétt in einem ähnlichen Zustand war.«

»Ja, das stimmt«, antwortete Elin ruhig. »Wir haben die Häuser instand halten lassen. Dieses Haus hier ist in Familienbesitz, seit mein Urgroßvater es gebaut hat. Wir übernachten immer hier, wenn es uns nach Snæfellsnes zieht. Es ist viel größer und nicht so abgelegen wie die beiden Höfe. Mein Bruder und ich sind nicht sehr oft hier und teilen es uns.«

»Und warum habt ihr euch auch um die Höfe gekümmert? War das nicht unnötige Arbeit?«

»Tja«, entgegnete Elin. »Unsere Mutter hat großen Wert darauf gelegt, als sie noch gesund und kräftig war. Sie wollte nichts verändern und im Alter wieder aufs Land ziehen. Sie wollte alles mehr oder weniger so vorfinden, wie es einmal war. Aber dazu ist es nie gekommen. Für ältere Menschen gibt es hier im Vergleich zur Stadt kaum Betreuungsmöglichkeiten.« Sie warf den Kopf in den Nacken. »Als Mutter krank wurde, haben wir uns trotzdem weiter um die Häuser gekümmert, weil unsere Kinder mit der Zeit jeweils einen der Höfe bekommen sollten, wenn sie irgendwann mit ihren eigenen Familien herkommen würden.«

»Aber warum habt ihr denn dann verkauft?«, fragte Dóra. »Ihr haltet die Höfe jahrzehntelang für eure Kinder instand, und wenn sie erwachsen sind, verkauft ihr einfach?«

Elin meinte teilnahmslos: »Tja, so ist es nun mal. Ich habe nur diese eine Tochter, und Börkur hat zwei Söhne. Die beiden interessieren sich nicht für Snæfellsnes, daher war es Unsinn, das Grundstück zu behalten.«

»Und deine Tochter Bertha?«, fragte Dóra. »Ich habe sie ja hier getroffen. Sie kommt bestimmt öfter her.«

»Bertha ist oft hier, das stimmt. Börkur und ich haben uns darauf geeinigt, dass ich ihm seinen Teil dieses Hauses abkaufe.« Elin lächelte auf dieselbe kalte Weise. »Deswegen ist es für mich und meine Tochter überflüssig, noch zwei weitere Häuser hier in Snæfellsnes zu besitzen. Als Kapitalanlage reichen uns die vielen Ländereien der Familie. Allerdings werden wir sie nach und nach veräußern.«

»Ihr besitzt immer noch Ländereien auf der Halbinsel?«

»Ja«, antwortete Börkur mit geschwollener Brust, »so einige.«

Dóra runzelte die Stirn. »Aber warum habt ihr Jónas dann nicht irgendein anderes Grundstück verkauft?«, fragte sie verwundert.

»Jónas hat nach einem Grundstück mit einem alten Wohnhaus gesucht«, antwortete Börkur genauso mürrisch wie zuvor. »Er war total scharf auf das Grundstück, als er gehört hat, dass sogar zwei Höfe darauf stehen.«

»Er hat uns, wie dir bekannt sein sollte, ein sehr gutes Angebot gemacht«, fügte Elin hinzu. »Es war einfach an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen, und so kam es dazu.«

Dóra kam das alles ziemlich unglaubwürdig vor, nicht zuletzt, weil Elin so kühl reagierte. Aus Furcht, die Frau mit weiteren Fragen noch mehr zu verschrecken, beschloss Dóra, das Thema zu wechseln. »Ihr kennt euch doch bestimmt gut mit der Geschichte der beiden Höfe aus, oder?«

»Gut?«, sagte Elin. »Wir kennen sie natürlich, aber leider bin ich sehr schlecht in Genealogie und Geschichte. Dasselbe gilt für meinen Bruder, leider.«

Börkur streckte seinen Rücken und räusperte sich. »Ich wollte mich immer näher damit beschäftigen, aber es ist ständig so viel zu tun, dass ich nie Zeit dazu habe.«

»Aber ihr habt doch bestimmt im Laufe der Jahre Geschichten von eurer Mutter gehört«, drängte Dóra. »Erinnert ihr euch an irgendetwas über die Höfe?«

»Mutter hat nicht viel über ihr Leben hier erzählt«, antwortete Elin. »Sie ist mit Großvater nach Reykjavík gezogen, als sie noch sehr jung war.« Elin starrte in ihren Schoß. »Natürlich ist es kein Geheimnis, dass ihr Leben kein Tanz auf Rosen war. Großmutter Kristrún ist gestorben, als Mutter noch ein Säugling war, und soweit wir wissen, war Großvater Grímur alles andere als ein vorbildlicher Vater. Er hatte gewisse Schwierigkeiten und kam nach Großmutters Tod nie wieder richtig auf die Beine.« Elin sah auf und schaute Dóra in die Augen. »Ich kann mich leider nicht an ihn erinnern oder ein Urteil über ihn fällen, aber er war bestimmt kein schlechter Mensch.«

Dóra hob die Augenbrauen. »Warum betonst du das? Hat er deiner Mutter etwas angetan?«

»Auf seine Weise, ja«, antwortete Elin. »Er hat sich umgebracht. Meine Mutter war erst neunzehn, und ich kann nur sagen, dass ich es nie zulassen würde, dass mein eigenes Kind eine solche Tat entdeckt. Deshalb war er für mich kein guter Vater, was man auch sonst über ihn sagen mag.«

»Hör doch auf«, fuhr ihr Börkur barsch über den Mund. »Du weißt sehr gut, dass der Mann krank war. Du kannst nicht davon ausgehen, dass ein krankhaft depressiver Mensch sich immerzu nach der gesellschaftlichen Moral richtet. Das sind nichts anderes als Vorurteile.«

Elin schaute ihn wütend an, entgegnete aber nichts. Sie drehte sich zu Dóra. »Mein Bruder hat natürlich nicht ganz unrecht.« Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Mutter die Ländereien hier auf der Halbinsel so wichtig waren, weil sie hier glücklich war. Großvater wurde erst krank, als sie in die Stadt zogen.«

»Ich verstehe«, sagte Dóra. »Das muss schwer gewesen sein.« Sie lächelte den Geschwistern mitfühlend zu und sprach dann weiter: »Ich habe auf dem Friedhof den Grabstein eurer Großmutter gesehen, aber euer Großvater Grímur scheint nicht neben ihr beerdigt zu sein. Darf ich fragen, warum?«

Elin presste die Lippen aufeinander. »Er hat keinen Wunsch hinterlassen, wo er beerdigt werden wollte, und Mutter wollte nicht, dass er hier in Snæfellsnes begraben wird. Ich könnte mir vorstellen, dass sie ihn in ihrer Nähe haben wollte, und sie lebten damals in Reykjavík.«

Diese Erklärung kam Dóra seltsam vor. Sie setzte sich auf dem Sofa zurecht. »Wie ist das, wisst ihr etwas über die Geschichte seines Bruders Bjarni, der auf Kirkjustétt gelebt hat?«

»Er ist jung an Tuberkulose gestorben«, antwortete Börkur. »Er hat seine Frau ebenfalls früh verloren, daher ist die Geschichte der beiden Brüder recht ähnlich. Beide wurden früh Witwer, und beide hatten Töchter.«

»Sie starb auch«, sagte Dóra, »… ich meine seine Tochter Guðný. An Tuberkulose, nicht wahr?«

»Ja«, beeilte sich Elin zu sagen. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, gefiel es ihr gar nicht, von ihrem Bruder unterbrochen zu werden. »Sie wurden beide krank und wollten nicht in die Stadt in ein Sanatorium. Schwer zu sagen, ob das etwas geändert hätte. Ich weiß nicht viel über Tuberkulose. Eigentlich gar nichts. Ich weiß nur, dass Großvater sie so gut wie möglich behandelt hat; er war Arzt. Aber es hat leider nicht gereicht.«

Dóra beugte sich ein wenig vor. »Ich weiß, dass euch die nächste Frage vielleicht unangenehm ist, aber ich muss sie stellen.« Sie machte eine kurze Pause. Die Geschwister saßen wie angewurzelt da. »Ich habe von einem Inzestfall auf dem Hof gehört; Bjarni soll seine Tochter missbraucht haben. Kann das stimmen?«

»Nein«, sagte Elín mit harter Stimme. »Das ist Quatsch und zeigt nur, wie wenig hier früher los war. Die Leute hatten nichts anderes zu tun, als sich Lügengeschichten über ehrenhafte Leute auszudenken, vor allem über Tote, die sich nicht mehr vor Verleumdungen schützen konnten.« Elin verstummte, das Gesicht gerötet. Sie hatte das offenbar nicht zum ersten Mal gehört.

»Wie kannst du so sicher sein?«, fragte Dóra vorsichtig. »Deine Mutter war doch wahrscheinlich zu jung, um davon erzählen zu können, und du hast selbst gesagt, du hättest deinen Großvater nicht gekannt.«

Elin starrte Dóra wütend an. »Mutter hat die Geschichte so vehement abgestritten, dass ich nicht daran zweifle, dass sie frei erfunden ist.« Sie kniff die Lippen zusammen. »Außerdem sehe ich keinen Sinn in diesem Gespräch. Wenn du keine klügeren Fragen hast, sollten wir es hier und jetzt beenden.«

»Entschuldige bitte«, sagte Dóra sanft. »Ich muss nicht weiter über dieses Thema sprechen.« Verzweifelt versuchte sie, sich etwas anderes einfallen zu lassen, bevor sie hinausgeschmissen würde. »Wisst ihr, warum die Brüder sich überworfen haben?«, fragte sie schnell, »soweit ich weiß, haben sie jahrelang nicht miteinander geredet.«

Elin war noch zu erregt, um antworten zu können, daher ergriff Börkur das Wort. »Es ging um die Ehefrauen. Sie gerieten aneinander, und anschließend auch die Brüder. Ich glaube, niemand weiß genau, worum es bei dem Streit zwischen Großmutter und ihrer Schwägerin ging, aber er war ernst genug, dass sich die Brüder selbst nach dem Tod der Frauen nicht mehr richtig verstanden haben. Die Familie ist allerdings bekannt dafür, starrköpfig und nachtragend zu sein.«

Elin griff ein. »Mutter hat mir erzählt, Großmutter Kristrún hätte ein Kind verloren und in ihrer Verzweiflung ihrer Schwägerin Aðalheiður die Schuld daran gegeben. Diese Anschuldigung war vollkommen unbegründet, das Kind war krank und starb, und Großmutters psychischer Zustand verschlechterte sich zunehmend. Bjarni nahm es Großvater übel, dass seine Frau beschuldigt wurde, und sie stritten sich heftig, versöhnten sich jedoch vor Bjarnis Tod wieder. Soweit ich weiß, hat sich Großvater gut um Bjarni gekümmert, ihn gepflegt, als er krank war und andere sich aus Angst vor der Ansteckungsgefahr nicht in seine Nähe getraut haben.«

Dóra nickte. »Wisst ihr etwas über einen Brand auf einem der Höfe?«, fragte sie, die Zeichnung von dem brennenden Haus vor Augen, die auf dem Schreibtisch im Kinderzimmer in Kreppa gelegen hatte.

»Ein Brand?«, fragten die Geschwister im Chor. Elin schüttelte den Kopf. »Nein, davon habe ich noch nie etwas gehört. Die Häuser sind unverändert.«

Dóra nickte. »Habt ihr im Zusammenhang mit den Höfen schon mal den Namen Kristín gehört?«

»Ich kenne keine Kristín«, sagte Börkur, der sich von der Frage nicht aus der Ruhe bringen ließ. »In der Nachbarschaft muss es bestimmt ein paar Kristíns gegeben haben. Daran kann ich mich aber nicht erinnern.« Elin schüttelte nur den Kopf.

Dóra gab sich bei ihrer nächsten Frage große Mühe, denn sie vermutete, dass es die letzte war. »Wisst ihr, ob einer der Brüder oder beide während des Krieges etwas mit den Nationalisten zu tun hatten?«

»Nationalisten?«, wiederholte Börkur mit rotem Gesicht. »Meinst du etwa Nazis?«

»Ja.«

»Jetzt reicht’s«, rief Elin, schlug fest mit den Händen auf die Stuhllehnen und erhob sich. »Ich habe keine Lust, meine Zeit mit diesem Unsinn zu vergeuden.«

Dóra stand ebenfalls auf. »Nur noch eine letzte Frage. Ihr habt bestimmt von der Frau gehört, die Ende letzter Woche in der Nähe des Hotels ermordet wurde. Es wurde ein weiterer Mord begangen. Aller Wahrscheinlichkeit nach gestern Abend. Wart ihr … hier in der Gegend?«

Die Geschwister sahen sich sehr ähnlich. Durch den wütenden Gesichtsausdruck, den beide fast gleichzeitig annahmen, waren sie sich wie aus dem Gesicht geschnitten. »Die einzige höfliche Antwort auf diese zweideutige Frage lautet nein — wir haben nichts mit diesen Morden zu tun. Am besten gehst du jetzt«, sagte Elin abweisend. »Geister, Inzest, Nazis und Mord. Ich lasse mir dieses Gewäsch nicht länger bieten!«


Matthias stand draußen und wartete. Er hatte sich an einen Laternenpfahl gelehnt und streckte sich, als Dóra in der Haustür erschien. Im selben Moment, als sie den Treppenabsatz betrat, fiel die Tür knallend ins Schloss, was ein Lächeln auf Matthias’ Gesicht zauberte. »Hast du nach dem entstellten Jungen gefragt?«, sagte er, während er ihr entgegenlief.

»Nein«, antwortete Dóra enttäuscht. »So weit bin ich leider nicht gekommen.«

»Macht nichts.« Matthias grinste noch breiter. »Komm mit. Ich muss dir was zeigen.«

Загрузка...