13

»Aber, aber, Captain Hawkwood! Sie haben doch beteuert, Sie seien kein Soldat mehr!« Catherine de Varesne kokettierte und zog einen Schmollmund. Dann lächelte sie verführerisch und senkte den Blick. »Und doch stehen Sie stramm wie ein Grenadier!«

Als sie ihn berührte, zuckte Hawkwood zusammen.

Sofort hörte sie auf, ihn zu streicheln, und sah ihn besorgt an. »Schmerzt deine Wunde noch immer?«

»Nein. Ich war auf Ihre Attacke nur nicht vorbereitet, Ma’am«, entgegnete Hawkwood grinsend.

»Na, mein Lieber«, gurrte sie, jetzt wieder lächelnd. »Dann will ich besonders zärtlich zu dir sein.« Ohne ihren sanften Griff von ihm zu lösen, beugte sie sich vor, küsste ihn und streichelte mit der Zunge seine Lippen. Ihre dunklen Augen leuchteten, wie die einer Katze.

Die beiden saßen nackt, dicht aneinander geschmiegt auf dem Bett. Das flackernde Licht der Kerze warf tanzende Schatten auf den Baldachin über ihnen.

Sie presste sich noch dichter an ihn, liebkoste zart mit den Lippen seine Wange und flüsterte: »Sag mir, was du mit mir machen möchtest, Matthew. Alles, was du begehrst … alles.«

Hawkwood streichelte ihre schlanke Taille. Ihr Atem stockte, als sie ihre Hüften anhob und sich langsam auf ihn senkte. Das Becken vorgeschoben, lehnte sie sich zurück und warf den Kopf in den Nacken. Ihr üppiger Busen hob und senkte sich aufreizend. Hawkwood schob seine Hand unter ihren Po und zog sie an sich. Die Arme um seinen Hals geschlungen, fingen sie an, sich rhythmisch zu bewegen.

Hinterher saßen sie mit gekreuzten Beinen auf den zerwühlten Laken und tranken Wein. Neben ihnen stand ein Teller mit Birnenvierteln. Catherine hatte die Frucht mit ihrem Stilett geteilt und entkernt. Jetzt tauchte sie ein Viertel in den Wein und steckte es Matthew zwischen die Lippen. Hawkwood biss ein Stück ab, und sie steckte sich die andere Hälfte in den Mund. Dabei tropfte etwas Saft auf ihre Brust. Mit der Fingerspitze fing sie den Tropfen auf, verrieb ihn auf ihrer Brustwarze, steckte den Finger zwischen ihre Lippen und saugte den Saft langsam von ihrer Haut. Dabei sah sie ihn unentwegt an.

Hawkwood hatte eine Stunde vor Mitternacht an ihre Haustür geklopft, unsicher, wie ihre Begrüßung ausfallen würde. Doch er war mit einem strahlenden Lächeln von ihr empfangen und ins Haus gebeten worden. Und wie bei ihrem ersten Zusammensein hatte sie sich ihm mit einer Rückhaltlosigkeit dargeboten, die ihm den Atem raubte.

Jetzt stand Catherine mit katzenhafter Geschmeidigkeit auf und griff nach ihrem Negligee.

Hawkwood nippte an seinem Wein und betrachtete bewundernd ihren nackten Körper. »Erzähl mir von Lord Mandrake«, sagte er.

»Lord Mandrake?«, fragte Catherine verwundert.

»Was weißt du über ihn?«

»Ich weiß, dass er reich ist«, sagte sie mit strahlendem Lächeln.

»So viel weiß ich auch«, sagte Hawkwood. »Was weißt du sonst noch?«

Mandrakes Vermögen stammte aus vielen Quellen, aber hauptsächlich aus Spekulationsrenditen des Überseehandels. Die Mandrakes hatten über Generationen hinweg ein lukratives Importgeschäft aufgebaut, sei es mit Tabak aus Amerika, Seide und Gewürze aus dem Fernen Osten oder mit anderen Luxusgütern wie indischem Tee und Weinen aus Südeuropa.

Catherine legte sich ihr Negligee um die Schultern. »Warum stellst du mir diese Fragen, mein Schatz?«

»Aus purer Neugier«, sagte Hawkwood achselzuckend.

»Kann es sein, dass du ein bisschen neidisch auf ihn bist?«, fragte sie amüsiert. Sie kam zum Bett zurück und lachte über seinen Gesichtsausdruck. »Das hast du nicht nötig«, fügte sie hinzu und setzte sich wieder zu ihm. Dabei wippte ihr Busen unter dem nur lose übergeworfenen Negligee verlockend.

Sie nahm ihm das Glas aus der Hand, nippte daran, zuckte mit den Schultern und erzählte: »Lord Mandrake gehört seit Jahren zu den Freunden der Familie meines Onkels. Die beiden sind außerdem Geschäftspartner. Viele Weine, die Lord Mandrake importiert, stammen von den Weingütern meines Onkels in Portugal. Als ich meinem Onkel mitteilte, dass ich in England bleiben wolle, bat er Lord Mandrake, sich um mich zu kümmern. Er war immer ein treuer und zuverlässiger Freund. Ich darf sogar in seinem Haus wohnen, solange ich in London bin. Er ist einer der liebenswürdigsten Menschen, die ich kenne, und hat den Comte d’Artois auf großzügige Weise unterstützt.«

Was er sich bestimmt leisten kann, folgerte Hawkwood, als er an die überaus luxuriöse Festivität dachte.

»Und was weißt du über seine Freunde?«

»Nur, dass er viele hat. Ich glaube, er diniert hin und wieder sogar mit dem Premierminister.« Dann sah sie ihn fragend an. »Matthew, du stellst Fragen, als würdest du ihn verdächtigen. Was soll das alles?«

Mit einem etwas gezwungenen Grinsen sagte Hawkwood: »Das bringt mein Beruf zwangsläufig mit sich. Weil ich Polizist bin, verdächtige ich jeden.«

»Sogar mich?«

Trotz ihres betörenden Lächelns erschreckte ihn ihre Frage.

»Nein«, entgegnete er lächelnd. »Oder sollte ich?«

Catherine musterte ihn aufmerksam. »Jeder hat etwas zu verbergen, Matthew«, sagte sie, legte die Hand an seinen Hals und zeichnete mit dem Finger die Muttermale nach. »Ist das nicht so?«


Der Lakai starrte Hawkwood verwirrt und misstrauisch an. Hawkwood glaubte, der Diener habe ihn nicht verstanden. Deshalb wiederholte er: »Special Constable Hawkwood möchte Lord Mandrake sprechen.« Er hielt ihm seinen Ausweis unter die Nase. Auch wenn der Diener nicht lesen konnte, würde ihm das offizielle Siegel auf dem Dokument wohl Zutritt zum Haus verschaffen.

Da seine Nacht mit der liebeshungrigen Catherine keine Erkenntnisse gebracht hatte, außer der Tatsache, dass Lord Mandrake flüchtige, wenn nicht sogar enge Beziehungen zu den meisten Regierungsmitgliedern pflegte, hatte Hawkwood beschlossen, den direkten Weg einzuschlagen und dem Haus Mandrake einen Besuch abzustatten.

Nachdem der Lakai seinen Ausweis kritisch geprüft hatte, sagte er: »Seine Lordschaft ist nicht zu Hause.«

»Wann wird er zurückerwartet?«

Der Diener zögerte, durch Hawkwoods scharfen Ton noch vorsichtiger geworden.

»Also?«, sagte Hawkwood und steckte den Ausweis wieder in seinen Schlagstock.

»Ich bin mir nicht sicher. Seine Lordschaft ist fort, verstehen Sie?«

»Ja.« Hawkwood war zunehmend verärgert. »Das hast du mir ja eben gesagt. Wo ist er?«

»Auf seinem Landsitz in Northwich. Ich glaube, der Comte wollte einen Ausflug aufs Land machen.«

»Der Comte?«

»Der Hausgast Seiner Lordschaft, der Comte de Rochefort.«

Der in Montaignes Lektüre vertiefte Franzose, der am Abend des Balls ein so ungewöhnliches Interesse an Hawkwood gezeigt hatte. Wie dem Comte wohl der Norden gefallen wird?, fragte sich Hawkwood. Northwich liegt in Cheshire, weit weg von den modischen Salons und Verlockungen der Hauptstadt. Natürlich werden dort Fuchsjagden veranstaltet, doch wie ich den Comte einschätze, ist er ein Mann, der körperlich anstrengende Aktivitäten nicht sonderlich liebt und eher dem Würfel- und Kartenspiel zugeneigt ist.

Als der Diener die Haustür schließen wollte, stellte Hawkwood seinen Fuß dazwischen und rief: »Nicht so hastig, Freundchen!« Dann schob er den Mann beiseite, trat in die weite Eingangshalle und bemerkte sofort, wie still es in dem herrschaftlichen Haus war. Welch ein Kontrast zu meinem ersten Besuch hier, dachte Hawkwood. An jenem Abend hatten alle Räume im Lichterglanz gestrahlt und waren mit Musik, Stimmengewirr und Lachen erfüllt gewesen.

»Sir, ich protestiere!« Weil Hawkwood jedoch nicht reagierte, trottete der Diener zwangsläufig durch das Erdgeschoss hinter ihm her. Ihre Tritte hallten in den hohen Korridoren wider. Kein Zweifel, dachte Hawkwood, der Vogel ist ausgeflogen. Als er Stimmen hörte, folgte er dem Klang, traf aber nur auf Dienstboten, die letzte Arbeiten verrichteten, Kamine auskehrten und Schutzbezüge über Möbel legten.

»Wann sind die Herrschaften abgereist?«

Lord Mandrake sei zusammen mit seiner Frau, seinem Gast und einem Berg Gepäck am frühen Morgen aufgebrochen. Schon kurz nach Sonnenaufgang, wie sich herausstellte.

Sei es üblich, fragte Hawkwood den Diener scharf, dass Lord Mandrake in dieser Jahreszeit zu seinem Landsitz im Norden reise? Und wenn ja, gehöre es auch zu den Gewohnheiten Seiner Lordschaft, im Morgengrauen aufzubrechen?

Die Antworten des Dieners waren wenig hilfreich. Lord Mandrake besuche seine Ländereien, wann immer er Lust dazu habe. Und was die frühe Abreise betreffe, so sei es eine weite Reise, und je früher die Familie aufbreche, umso früher erreiche sie ihr Ziel.

Nur mit Mühe unterdrückte Hawkwood seinen Ärger über die mangelhaften Auskünfte. Dann kam ihm eine Idee.

»Sag mal, hatte Seine Lordschaft je Probleme mit seinen Uhren?«

Der Diener blinzelte verständnislos. »Uhren?«

»Ja, mit seinen Uhren, verdammt noch mal! Gab es in seinem Haushalt Uhren, die repariert werden mussten?«

»Ähm, nein, Sir. Nicht, dass ich wüsste.« Es war offensichtlich, dass der Diener allmählich anfing, an Hawkwoods Verstand zu zweifeln.

Na ja, es ist eben auch nur ein Schuss ins Blaue gewesen, dachte Hawkwood und marschierte zur Haustür zurück. Der Diener schloss mit sichtlicher Erleichterung die Tür hinter ihm. Hawkwood blieb auf der Treppe stehen und überlegte. Es bestand kaum Zweifel daran, dass Lord Mandrake London in unangemessener Eile verlassen hatte.

Was hatte ihn zu dieser überstürzten Abreise veranlasst?

Ein Zufall, der für seine Ermittlungen nicht relevant war? Oder steckte eine Verschwörung dahinter?


»Denn du bist von Erde und zu Erde sollst du werden. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde, wenn der Wind darüber geht, ist sie nimmer


da … Die Gnade des Herrn aber währt von Ewigkeit zu Ewigkeit …«

Mit flacher, teilnahmsloser Stimme leierte der Pfarrer die Predigt herunter. Hawkwood hatte das Gefühl, die Trauerfeier für seinen ermordeten Kollegen sei eine lästige Pflicht, und wünschte sich spontan, dass Reverend Fludde trotz seiner etwas schrillen und schneidenden Rhetorik die Predigt gehalten hätte. Er starrte auf den Sarg in dem offenen Grab hinunter und fragte sich, ob zu seinem Begräbnis auch nur so wenige Trauernde kommen würden. Wahrscheinlich, dachte er wehmütig.

Jetzt, am Spätnachmittag, drangen nur vereinzelte Sonnenstrahlen durch das dichte Geäst in den Winkel des kleinen Friedhofs. Das Gesicht von Trauer gezeichnet, stützte sich James Read neben Hawkwood auf seinen Spazierstock. Außer Hawkwood und dem Obersten Richter waren nur drei weitere Trauergäste anwesend: der Sekretär Ezra Twigg und neben ihm ein kräftiger, untersetzter Mann, Runner Jeremiah Lightfoot, der noch immer mit dem Begleitschutz für den Goldtransport der Bank von England beauftragt war. Ein paar Schritte entfernt, im Schatten eines Apfelbaums, stand eine zierliche Frau mit schwarzem Kopftuch. Sie schluchzte leise in ihr Taschentuch. Hawkwood wusste, dass der Mann von Warlocks Schwester bei Almeida gefallen war. Ihr Bruder Henry war also ihr letzter noch lebender Verwandter gewesen. Am Zaun warteten geduldig zwei Pfeife rauchende Totengräber auf ein Zeichen des Pfarrers, um mit ihrer Arbeit beginnen zu können.

Die Kosten für die Beerdigung hatte sozusagen als letzte Ehre für den verdienten Runner das Amt übernommen. So hatte Henry Warlock im selben Grab wie seine Frau und sein Sohn bestattet werden können, sonst wäre er in einem Armengrab verscharrt worden. Hawkwood wusste, dass James Read eine derartige Demütigung für einen seiner Männer nie zugelassen hätte. Der Oberste Richter kümmerte sich um seine Untergebenen.

Da niemand eine Grabrede hielt, faltete der Pfarrer die Hände und nickte den beiden Totengräbern zu.

Während James Read, sein Sekretär und Runner Lightfoot Warlocks Schwester ihr Beileid aussprachen, sah Hawkwood zu, wie die Totengräber Erde auf den Sarg warfen. Der Oberste Richter hatte dafür gesorgt, dass ein tiefes Loch gegraben wurde. Leichenräuber versorgten die medizinische Fakultät zwar hauptsächlich im Winter mit Toten, aber auch zu anderen Jahreszeiten waren Gräber nicht vor Leichendieben sicher. Dann stand Hawkwood vor dem Grabhügel. Auf dem schlichten Grabstein waren die Namen von Warlocks Frau und Kind eingemeißelt. Sein Name fehlte noch.

Was für ein karger Lohn, wenn man fünfzehn Jahre Dienst getan hat, dachte Hawkwood bedrückt.

Er spürte auf einmal, dass er beobachtet wurde. Er sah sich um und entdeckte Jenny, das Mädchen, das ihn zu Jago geführt hatte, hinter einem der Grabsteine. Als er sie zu sich winkte, schlich sich Jenny vorsichtig heran.

»Ich soll dir das geben …«, sagte sie und drückte ihm einen Zettel in die Hand.

Hawkwood faltete ihn auseinander und glättete ihn. Die Nachricht war kurz: Rats Nest. Zehn Uhr. J.

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