18

»Narwal?«, wiederholte Hawkwood verständnislos.

Lee streichelte zärtlich das Schott. »Ja, der monodon monoceros. Das ist ein kleiner, nur vier bis fünf Meter langer Wal, der den Atlantik und vor allem das Nördliche Eismeer bewohnt. Er hat ein einzigartiges Merkmal: ein gewaltiger, leicht gedrehter Stoßzahn ragt aus seiner Stirn. Sie haben doch schon von dem sagenhaften Einhorn gehört, diesem Fabelwesen in Pferdegestalt mit dem Horn in der Stirnmitte, Captain Hawkwood? Das unicornos marinimi, das Einhorn der Meere. Ein Sinnbild gewaltiger Kraft – klein, schnell und wendig greift es die Mächtigen an, trotzt allen Gefahren, richtet ein Blutbad an und hat keinen ebenbürtigen Kämpfer.« Lee lächelte, als er hinzufügte: »Diese kleine Freude habe ich mir gegönnt, weil ein solcher Name doch romantischere Vorstellungen weckt als ein Tintenfisch, finden Sie nicht?«

Hawkwood schwieg.

Er schaute sich um. Lee stand neben ihm auf der kleinen Fläche unterhalb des Turms. Nur dort konnte man aufrecht stehen. Das Deck war zwar flach, aber der Schiffsrumpf wölbte sich wie Rippen eines Fisches über ihnen und war voll gestopft mit einem Durcheinander aus Hebeln, Kurbeln und Zahnrädern, wie er bereits auf den in Warlocks Schlagstock versteckten Zeichnungen gesehen hatte. Er merkte sofort, dass das Innere des Boots kleiner war, als die Außenmaße vermuten ließen.

»Sie hat einen doppelten Rumpf«, erklärte Lee und tätschelte das Schott. »Dadurch ist sie wasserdicht und bietet Stauraum für Ballast.« Jetzt klopfte Lee mit dem Fuß auf den Boden. »Der liegt da drunter. Viel brauchen wir nicht, etwa zehn Pfund genügen.« Dann deutete Lee auf einen kleinen Schwengel. »Damit wird Wasser reingepumpt, dann sinken wir. Wasser raus, wir tauchen auf und schwimmen auf der Oberfläche. Wie Fische im Meer. Je nachdem, ob sie ihre Schwimmblasen ausdehnen oder zusammenziehen, vergrößert oder verringert sich das Volumen des Fisches, und er sinkt oder steigt empor.«

Lee war wie ein Kind, das stolz sein neues Spielzeug vorführt. Er erklärte Hawkwood die Funktionen des Steuersystems, angefangen von den Hebeln, die die Schaufeln am Bug und am Heck antrieben – er nannte sie Flügel –, bis zu den Kurbeln, mit denen die horizontalen und vertikalen Ruder ausgerichtet wurden. Die Tiefe zeigte ein primitives Barometer an, die Richtung ein kleiner Kompass. Er deutete mit dem Kopf auf eine Art Kupferkugel am Heckschott. »Das ist unser Luftreservoir; es hat ein Raummaß von sieben Kubikmetern und versorgt vier Mann und zwei Kerzen fünf Stunden lang mit Luft. Wir haben es mit Sauerstoffflaschen versucht, aber die nehmen zu viel Platz weg. Mit diesem System kann ich jederzeit Luft ins Boot lassen.«

Vier Männer! Hawkwood versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, mit vier Männern in dieser Enge eingepfercht zu sein. Jetzt stand er nur mit Lee hier drinnen und musste bereits gegen aufsteigende Platzangst kämpfen. Auch der Geruch war penetrant und machte das Atmen mühsam, wie Bilgenwasser im Kielraum eines Schiffs.

Lee grinste über Hawkwoods Gesichtsausdruck. »Ist es hier nicht gemütlich? Aber keine Bange! Wir bleiben höchstens ein oder zwei Stunden unter Wasser. Im Hafen von Le Havre war ich mal sechs Stunden hier drin. Den Tag werde ich nie vergessen! Aber das ist nichts im Vergleich mit der Mute.«

»Mute?«, wiederholte Hawkwood wieder verständnislos.

»Fultons neue Konstruktion. Er hat mir erzählt, sie wird viermal größer als dieses Boot. Wahrscheinlich kann man damit dann zehn oder zwölf Stunden unter Wasser bleiben.«

Als Hawkwood diese neue, erschreckende Dimension zu begreifen versuchte, kam Sparrow die Leiter herunter.

»Sie ist bereit«, verkündete er.

Lee nickte. »Sehr gut. Officer Hawkwood, Sie setzen sich dort drüben hin. Fessele seine Hände an diese Strebe. Wir wollen doch nicht, dass Sie hier drin frei herumlaufen, oder?« Lee grinste. »Und wenn du es unserem Gast möglichst bequem gemacht hast, kannst du die Luke schließen und dich an die Pumpe stellen.«

Hawkwood hielt sich am Schott fest und sah zu, wie Sparrow die Narwal zum Tauchen bereitmachte.

Mit einem lauten, metallischen Geräusch wurde die Luke geschlossen. Dieser Klang hörte sich so endgültig an, dass sein Mund fast austrocknete. In einem Anflug von Panik dachte er: So muss es sein, wenn man lebendig begraben wird. Und dann merkte er, dass im Boot nicht absolute Dunkelheit herrschte, sondern grünliches Licht durch mehrere schmale Bullaugen fiel.

Lee beobachtete ihn amüsiert. »Dachten Sie etwa, Sparrow und ich verfügten über übernatürliche Kräfte, Captain? Dass wir sogar im Dunkeln sehen können? Kerzen verbrauchen Luft, mein Freund, und Luft ist kostbar. Im Deck sind mit Klappen versehene Bullaugen, etwa fünf Zentimeter im Durchmesser und zweieinhalb Zentimeter tief. Sollte das Glas brechen – was unwahrscheinlich ist – schließen sich die Klappen automatisch und lassen kein Wasser durch. Dieses Licht reicht für unsere Bedürfnisse. Ich kann die Zeit auf meiner Uhr und die Richtung auf dem Kompass erkennen. Und sollte eine Sonnenfinsternis eintreten, so habe ich eine Laterne an Bord.« Lee grinste zufrieden. In dem Halbdunkel leuchteten seine Zähne, als wären sie aus Elfenbein geschnitzt.

Doch Hawkwood konnte sich kein Lächeln abringen.

Lee stellte sich in den Kommandoturm, klappte einen kleinen Sitz herunter, setzte sich darauf und presste das Gesicht an eines der vier kleinen, rechteckigen Bullaugen, das die Sicht nach vorne ermöglichte. Die anderen drei waren in dem Turm achtern, backbord und steuerbord eingelassen. Sie boten keinen Rundumblick, aber Lee konnte die Position seines Boots und die anderer Schiffe ausmachen.

»Fertig, Sparrow?«

»Sie sind verrückt, Lee«, sagte Hawkwood. »Glauben Sie etwa, niemand wird bemerken, dass das Boot untertaucht?«

Lee wandte kurz den Kopf und entgegnete schulterzuckend: »Bemerkt wird es wahrscheinlich, aber bevor ein Bootsführer reagieren kann, sind wir längst nicht mehr zu sehen. Er wird glauben, er sei einer Fata Morgana aufgesessen.«

Sparrows Hände lagen auf dem Pumpenschwengel.

Lee schaute wieder durch das Bullauge nach vorn.

Das Boot ist trotz all dieser Vorkehrungen Gefahren ausgesetzt, dachte Hawkwood. Nachdem das Segel gerafft, der Mast an Deck befestigt und die Turmluke geschlossen ist, sieht die Narwal wie ein unbemannt dahintreibendes Boot aus und könnte Flusspiraten anlocken. Lee setzt auf den Überraschungseffekt und auf die Geschwindigkeit, mit der das Boot untertauchen kann. Fulton hat die Nautilus innerhalb von zwei Minuten tauchen lassen können. Lee hat die Konstruktion so verbessert, dass dafür jetzt nur noch neunzig Sekunden nötig sind. Eine Ewigkeit für die Männer an Bord.

Lee hielt wie immer in kritischen Situationen die Luft an. Er bemühte sich langsam auszuatmen, ohne die Augen vom Bullauge zu nehmen. So weit er erkennen konnte, trieb wegen der Flaute etwa hundert Meter vom Bug entfernt ein Kohlenschiff auf dem Fluss. Von seinem so tief gelegenen Blickwinkel aus kräuselten nur leichte Wellen das träge dahinfließende Wasser.

Es kam auf den richtigen Zeitpunkt an.

»Jetzt, Sparrow!«, riet er dem Matrosen zu.

Sparrow packte mit beiden Händen den Pumpenschwengel und drückte ihn nieder. Sofort gab die Narwal ein gurgelndes Geräusch von sich, dann bebte das Boot. Sparrow fing an, ruhig und gleichmäßig zu pumpen. Er hörte sich an wie ein Blasebalg. Langsam senkte sich der Bug. Hawkwood ballte die Fäuste so fest, dass sich die Fingernägel in seine Handfläche gruben.

Allmählich stabilisierte sich das Boot, und plötzlich wurde das Licht noch fahler. Hawkwood blickte nach oben und sah, dass sich die Bullaugen trübten. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Auf Lees Gesicht lag ein milchig grünlicher Schimmer. Die winzigen Bullaugen glichen Prismen, die das Licht von der Wasseroberfläche absorbierten und brachen. Das verlieh Lees Gesicht das Aussehen eines Reptils.

»Pumpen stopp!«, befahl der Amerikaner jetzt ganz ruhig.

Wie ein in Bernstein eingeschlossenes Insekt lag die Narwal in eineinhalb Metern Tiefe nun im schmutzigbraunen Wasser der Themse und wurde von der Strömung flussabwärts getragen. Die Stille im Boot war unheimlich – als wäre die Zeit stehen geblieben. Aber noch immer drang genügend Helligkeit durch die Bullaugen, um etwas erkennen zu können. Was Hawkwood sehr erleichterte. Ein kratzendes Geräusch an der Außenwand brach den Bann und ließ ihn zusammenzucken.

»Sie müssen nicht erschrecken«, beruhigte ihn Lee und verließ seinen Aussichtsposten. »Die Strömung reibt sich am Rumpf.« Dann vergewisserte er sich, dass nirgends Wasser durch ein eventuelles Leck eindrang. Zufrieden mit seiner Inspektion sah er Hawkwood an und sagte: »Na, sind Sie nicht beeindruckt?«

Hawkwood antwortete nicht, denn er war zu sehr mit seinem Herzen beschäftigt, das wie ein Schmiedehammer schlug.

»Und das ist erst der Anfang«, redete Lee ungerührt weiter.

»Stellen Sie sich eine ganze Flotte Unterseeboote unter Ihrem Kommando vor. Dann wäre jeder Krieg überflüssig und würde nur noch in Geschichtsbüchern weiterleben.«

»Wie das?«, fragte Hawkwood, endlich wieder der Sprache mächtig.

»Es heißt doch, ein Land sei nur so stark wie seine Marine. Die Zerstörung der Kriegsmarine würde jeder Nation das Rückgrat brechen.« Der Amerikaner machte eine Pause und fügte dann schulterzuckend hinzu: »Das sehen zumindest Fulton und Napoleon so. Soll ich Sie in die Kriegspläne des Kaisers einweihen?«

»Das werden Sie sowieso tun, ob es mich nun interessiert oder nicht«, sagte Hawkwood.

»Napoleon ist der festen Überzeugung, dass durch die Zerstörung der Thetis die britische Kriegsmarine in die Knie gezwungen wird. Das Vertrauen in Ihre Seestreitkräfte wird schwinden und die Flotte stillgelegt, weil sie nutzlos geworden ist. Nach Meinung des Kaisers wäre dies das Signal für die britischen Republikaner, sich gegen die Krone zu erheben. Wird Britannien eine Republik, wäre die Freiheit der Meere gesichert, und diese Freiheit wäre wiederum ein Garant für den Frieden in der Welt.«

»Napoleon ist größenwahnsinnig«, gab Hawkwood zurück und fragte sich gleichzeitig, ob britische Republikaner überhaupt existierten. Und wenn, dann waren sie bestimmt nicht zahlreich genug, um einen Aufruhr oder gar eine Revolution anzuzetteln.

»Wie viel zahlt er Ihnen?«

Lee lächelte. »Für die Zerstörung der Thetis? zweihundertfünfzigtausend Francs. Danach kommt es auf die Größe des Schiffs an. Bis zwanzig Kanonen hundertfünfzigtausend Francs; zwanzig bis dreißig Kanonen zweihunderttausend Francs und vierhundertfünfzigtausend Francs für jedes Kriegsschiff mit über dreißig Kanonen. Das reicht für meine bescheidenen Ansprüche.«

Hawkwood erinnerte sich an die im Amtszimmer der Admiralität genannten Summen, die Fulton, Lees Vorgänger, verlangt hatte. Geld schien keine Rolle bei der Verwirklichung von Napoleons teuflischen Plänen zu spielen.

»Und wie wollen Sie nach der Zerstörung des Schiffs Ihre Flucht bewerkstelligen?«

»Ach, das schaffen wir schon, keine Sorge.«

»Und wie?«

Lee lächelte selbstgefällig. »Ganz einfach. An der High Bridge liegt eine dänische Brigg vor Anker. Der Kapitän ist ein Sympathisant, wenn auch nicht ganz freiwillig, weil die Froschfresser seine Familie als Geißeln genommen haben. Ich gehöre als Erster Maat zur Mannschaft und Sparrow als Schiffskoch. Die Brigg wird die Narwal aufnehmen wie ein Schwan ihr Küken.« Lee deutete mit dem Daumen nach oben. »Der Kommandoturm wird abmontiert und unter einem Weinfass verborgen an Deck vertäut. Und dann geht’s ab nach Hause. Weiter flussabwärts werfen wir Sie über Bord. Dann sind Sie natürlich tot. Große Aktionen verlangen gewisse Opfer, das verstehen Sie sicherlich.«

An Selbstvertrauen mangelt es diesem Mann sicher nicht, dachte Hawkwood. Der bittere Geschmack nach Galle sammelte sich in seinem Mund. »Und was geschieht jetzt?«, fragte er.

Lee hielt seine Taschenuhr unter eines der Bullaugen und las die Zeit ab.

»Jetzt warten wir«, verkündete er dann.


Jago legte sich trotz seiner schmerzenden Muskeln mächtig in die Ruder. Seit seiner Fahnenflucht hatte er nicht mehr so hart geschuftet.

Als Sergeant des Rifles Regiments bin ich immer stolz auf meine Kraft und Ausdauer gewesen, aber jetzt bin ich Zivilist, verdammt noch mal!, dachte er wütend. Ich sollte mir Ruhe gönnen und die Früchte meiner Arbeit genießen, anstatt wie ein Wahnsinniger Hirngespinsten hinterherzurennen. Natürlich ist Hawkwood daran schuld. Reichst du dem Mann den kleinen Finger, nimmt er die ganze Hand. Aber wenn ich’s mir recht überlege, so ist der Captain mein einziger Freund. Und in der Armee habe ich gelernt, dass man zu seinen Freunden hält. Wie oft hat Hawkwood mir geholfen? Unzählige Male. Und jetzt steckt der Captain bis zum Hals in Schwierigkeiten. Also helfe ich ihm.

Jago legte kurz die Ruder nieder, wischte sich den Schweiß von der Stirn, drehte sich um und blickte flussabwärts. Von dem niedrigen Boot aus sah er nichts als über ihm aufragende Schiffsrümpfe. Das Segelboot mit Sparrow an der Ruderpinne war nirgends zu entdecken. Allmählich fragte er sich, ob er einer Halluzination aufgesessen sei. Er fluchte gotterbärmlich. Nein, er war sich ganz sicher, Sparrow gesehen zu haben. Na und? Er wusste nicht einmal, ob Sparrow irgendetwas mit Lee und dessen Unterseeboot am Hut hatte. Andererseits war Sparrow ein Kumpel von Scully gewesen, und selbst dieser dürftige Hinweis auf eine Verbindung zu dem Schurken war verdächtig. Nathaniel Jago folgte fast immer seinem Instinkt. Sollte er sich irren, wollte er jetzt nicht an die Konsequenzen denken.

Ich weiß, dass du da draußen bist, Sparrow! Ich kann dich riechen. Zeig dich, du verdammter Bastard!

Plötzlich tat sich zwischen den Schiffen vor ihm eine Lücke auf und gab den Blick flussabwärts frei. Und da entdeckte er in etwa fünfhundert Metern Entfernung das Segelboot. Es hatte nicht viel Fahrt gemacht, seit er es durch das Fernrohr gesehen hatte, und hielt sich dicht am östlichen Ufer der Themse. Dann drehte sich das Heck plötzlich.

Ein wütender Schrei kam von Jagos Steuerbordseite. Ein schwer beladenes Bumboot war auf Kollisionskurs. Jago ruderte zurück, um das Boot vorbeizulassen.

»Beweg deinen verdammten Arsch!«, brüllte Jago, als das Boot langsam an ihm vorbeischipperte. Der Steuermann drohte ihm mit der Faust. Als Jago wieder freie Sicht hatte, sah er sich nach dem Segelboot um.

Wo, zum Teufel, ist es geblieben?, fragte er sich. Ich hab’s doch nur für ein paar Minuten aus den Augen verloren. Es kann auf keinen Fall in dieser kurzen Zeit das Ufer erreicht haben. Es muss irgendwo auf dem Fluss sein. Hätte ich doch nur das Fernrohr mitgenommen. Aber Jago hatte scharfe Augen. Als Schütze beim Rifles Regiment musste man Augen haben wie ein Falke. Also kniff Jago die Augen zusammen und spähte über den Fluss. Es gab viele ähnliche Boote, aber das, nach dem er suchte, war nirgends zu sehen. Kein Segelboot mit einem Rumfass am Heck. Verdammte Scheiße!

Und dann sah er, wie ein Mann auf einem Müllkahn aufs Wasser deutete. Der Lastkahn querte den Fluss und war wohl zur Werft in Deptford unterwegs. Jago kniff die Augen zusammen und entdeckte dort, wo der Mann hindeutete, etwas im Wasser.

Er sah nur ein auf dem Fluss schwimmendes Fass. Es ist wohl von einem Leichter oder einem Handelsschiff über Bord gegangen, dachte Jago. Nichts, worüber ich mich aufregen müsste. Und trotzdem … Jetzt sah Jago, dass auf dem Müllkahn zwei Männer ins Wasser deuteten. Ein verloren gegangenes Weinfass erregt doch nicht so viel Aufmerksamkeit, überlegte er.

Ein Weinfass?

Jago stand im Boot auf, starrte zu der Stelle und sah, wie das Fass langsam unterging.

Kruzitürken!, fluchte er, setzte sich und griff nach den Rudern. Nathaniel Jago hatte in Mandrakes Lagerhaus die Bedrohung gespürt, als säße ihm der Teufel im Nacken. Und jetzt legte er sich in die Ruder, als wäre ihm derselbe auf den Fersen.


»Was passiert, wenn wir sinken?«, fragte Hawkwood.

Lee blickte von seiner Taschenuhr auf und runzelte die Stirn. »Das ist ein verdammtes Unterseeboot. Es soll sinken.«

»Ja, aber wenn es außer Kontrolle gerät, wie kommt man dann da raus?«

»Dann wird der Kiel losgemacht und das Boot taucht nach oben«, sagte Lee völlig ungerührt.

»Und wenn das nicht gelingt?«

»Dann halten wir die Luft an und beten.«

Hawkwood starrte Lee nur an.

Lee seufzte. »Wenn sich der Kiel nicht losmachen lässt und das Gewicht das Boot unter Wasser hält, dann bleibt nur der Ausstieg durch die Luke. Aber die kann man nicht einfach aufklappen und rausschwimmen. Der Druck des eindringenden Wassers wäre zu stark. Also muss man die Ventile öffnen, damit der Bootsrumpf bis zur Lukenöffnung geflutet wird. Dann herrscht innen wie außen derselbe Druck. Erst wenn das eintritt, kann man die Luke öffnen und auftauchen.« Lee lachte glucksend. »Eins muss ich Ihnen lassen, Officer Hawkwood: Ihr Selbsterhaltungstrieb ist bewundernswert, auch wenn in Ihrer Situation völlig sinnlos.«

Er klappte den Deckel seiner Taschenuhr zu. »Genug davon. Die Flut hat ihren höchsten Stand erreicht. Jetzt geht’s los. Bereit zum Auftauchen, Sparrow?«

Lee gab Anweisungen, und das Unterseeboot glitt nach oben. Lee spähte durch das vordere Bullauge. »Stopp!«

Hawkwood registrierte, dass die Spitze des Kommandoturms jetzt aus dem Wasser ragte. Er beobachtete den Amerikaner. Lee konzentrierte sich auf den Fluss und warf immer wieder einen Blick auf seine Uhr und den Kompass, um die Position zu überprüfen.

Sparrow nutzte die Gelegenheit und zog sein Hemd aus. Hawkwood sah, dass der Matrose zwar schmal, aber drahtig war, bestens geeignet, um in der Takelage eines Schiffs herumzuturnen. Schweiß glänzte auf seinem muskulösen Oberkörper und seinem flachen Bauch. Als Sparrow sich umdrehte, sah Hawkwood die Narben auf seinem Rücken. Wahrscheinlich ist er wie Scully öfter ausgepeitscht worden, dachte Hawkwood und das erklärt auch, warum er für den Amerikaner arbeitet. Noch ein misshandelter Seemann, der wahrscheinlich zu den Meuterern gehört und sich rächen will.

Die Augen am Bullauge, legte Lee nun seine Hand auf den Hebel des Steuerruders. »Jetzt, Sparrow. Ganz sachte.«

Sparrow drehte langsam die Kurbel. Zahnräder knirschten wie beim Aufziehen einer Uhr. Die Narwal drehte sich vibrierend um die eigene Achse. Zunächst ruckartig, aber dann gleichmäßig. Nur das hypnotische Klicken der Zahnräder, die die Schiffsschraube antrieben, und Sparrows keuchender Atem waren zu hören.

Lees Augen klebten förmlich am Bullauge. Von Zeit zu Zeit warf er einen Blick auf den Kompass und regulierte die Stellung des Tiefenruders, um das Boot auf Kurs zu bringen. Er wusste, dass die Narwal nur noch dieses eine Mal auftauchen konnte, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Es wäre zu gefährlich, in Sichtweite feindlicher Beobachter den Kommandoturm aus dem Wasser ragen zu lassen.

Lee hatte nicht viel Raum zum Manövrieren. Selbst beim Höchststand der Flut stieg der Wasserspiegel nicht über sechs Meter. Im Laufe der Jahre war die Themse immer mehr verschlammt, und es war vorauszusehen, dass größere Schiffe bald nicht mehr die flussaufwärts gelegenen Docks anlaufen konnten. Für Kriegsschiffe war die Wassertiefe der Marinewerft in Deptford zu gering, um Proviant und Ausrüstung an Bord nehmen und unter voller Takelage auslaufen zu können. Nur mit einem Notmast und einem Segel ausstaffiert, trieben die Schiffe nach Woolwich und nahmen dort alles an Bord, was für die Kriegsführung auf See nötig war.

Und die HMS Thetis war kurz davor, zu ihrer Jungfernfahrt auszulaufen.

Das Kriegsschiff bietet wirklich einen prächtigen Anblick, dachte Lee. Wie ein funkelnder Stern glänzt es im Morgenlicht. Der Notmast war schon aufgerichtet und reckte sich pfeilgerade in die Höhe. Wimpel und Flaggen flatterten an jeder Reling. Der Stapellauf war ein bedeutendes Ereignis und das Schiff entsprechend geschmückt.

Ein Schauder der Erregung überlief Lee.

Hawkwood zerrte verbissen an seinen Handfesseln. An der Anspannung des Amerikaners spürte er, dass Lee zum Angriff bereit war.

Mir läuft die Zeit davon, dachte Hawkwood. Ich kann ihn nicht mehr aufhalten.

»Die Thetis ist ein wunderschönes Schiff, mein Freund«, sagte Lee grinsend. »Leider werden Sie nie einen Blick darauf werfen können. Eigentlich ist es jammerschade, dass von ihr in Kürze nichts als Treibholz übrig sein wird. Mehr Gelassenheit, Sparrow. So nahe am Ziel dürfen wir keinen Fehler begehen.«

Die Narwal glitt ganz langsam durchs Wasser. Lee hielt nach Schutzvorrichtungen, Abfangnetzen, Fendern oder getarnten Fallen Ausschau, irgendetwas, das darauf hinwies, dass die Marine einen Angriff befürchtete. Erstaunlicherweise schien das Schiff völlig ungeschützt zu sein. Lee erinnerte sich, dass Hawkwood erwähnt hatte, seine Männer hätten das Lagerhaus umringt. Aber da war niemand gewesen. Hawkwood war allein gekommen. Also war auch Hawkwoods Aussage, die Admiralität wisse von dem geplanten Angriff auf die Thetis, eine Schutzbehauptung gewesen. Wahrscheinlich rechneten die Stabsoffiziere damit, dass der Anschlag weiter flussabwärts, in der Themsemündung, und nicht mitten in der Hauptstadt erfolgen würde. Lee grinste. Diese verdammten Idioten! Er würde diesen arroganten Briten einen vernichtenden Schlag versetzen.

Lee gab Befehl zum Untertauchen. Lautlos versank die Narwal in den Wassern der Themse. Nur noch knapp zweihundert Meter trennten das Unterwasserboot nun von seinem ahnungslosen Zielobjekt.

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