XXXIX

AN DIESEM ereignisreichen Vorabend des Zweikampfes, etwa eine Stunde vor der Rückkehr Alured de Ashbys von seinem Ritt auf Leicester zu, war sein Vetter Richard in seinem Vorzimmer erschienen, in der Hoffnung, ihn drinnen zu treffen. Er war nicht behebt bei den Dienern des Hauses, und eine Stimmung des Mißtrauens gegen ihn hatte sich allgemein unter ihnen verbreitet. Ein kalt abweisender Blick von den Knappen und eine schnippische Antwort von einem Pagen - besagend, daß der Graf abwesend sei und niemand wisse, wann er zurückkommen werde - war alles, was Richard de Ashby an Aufschlüssen erlangen konnte, und in den Schloßhof zurückkehrend, schritt er langsam dem Tor zu, an dem er seine Pferde bei den Dienern gelassen hatte.

Sir William Geary kam gerade vorbei, blieb aber nicht stehen, sondern sagte nur mit hochmütig spöttischer Miene: »Na, Dickon? Du bist auf dem Wege, einen vornehmen Mann aus dir zu machen, scheint es.«

»Halt, Geary! Warte!« rief Richard.

Aber William Geary schritt weiter und versetzte nur: »Ich kann im Augenblick nicht, Dickon. Für diesmal bin ich beschäftigt.«

»Sie sehen mich alle abweisend an«, murmelte Richard de Ashby, indem er langsam weiterschritt. »Ist vielleicht etwas entdeckt worden?« Das Herz stockte ihm bei diesem Gedanken, und die Idee zu fliehen durchzuckte ihn. Aber er faßte sich sofort wieder und dachte: Unsinn! Ich muß nur herausbringen, was vorgegangen ist, um gefaßt zu sein.

Er beschleunigte seine Schritte und hatte schon den Fuß in den Steigbügel gesetzt, als er seinen Namen rufen hörte. Zusammenschreckend blickte er sich um und sah Guy de Margan mit hastigen Schritten hinter sich herkommen.

»Ich sah Euch von meinem Fenster aus«, sagte der Höfling atemlos, »und muß Euch vieles berichten. Laßt uns in die Stadt hinabgehen und Eure Diener mit den Pferden uns folgen.«

Richard de Ashby hatte aus seinem Gesicht sofort den Ausdruck von Bangigkeit verbannt, den es eben noch gehabt hatte, denn er wünschte nicht, daß ein Mann, der schon mehr von seinem geheimen Treiben wußte, als ihm heb war, die Spuren von peinlicher Sorge sah, die ihn vielleicht - verbunden mit dem, was er schon wußte - auf eine Vermutung der schlimmeren Taten führen konnten.

»Nun, Guy«, sagte er gewollt munter, während sie miteinander dahinschritten, »wie fliegen jetzt die Krähen! Ich erfahre, mein edler Vetter, der Graf, ist abwesend, um einen Nachmittagsritt zu machen. Nicht die gewöhnliche Art, dünkt mich, die letzten paar Stunden vor einem Kampf auf Leben und Tod hinzubringen. Aber er tut es aus Prahlerei, und wenn er sich nicht in acht nimmt, werden sein Leben und sein Ruf in dem Kampf morgen ein Ende nehmen.«

»Vielleicht wäre es das beste«, sagte Guy de Margan kurz. Und als Antwort auf das erheuchelte Staunen, womit Richard de Ashby ihn ansah, fuhr er fort: »Ich kenne Eure Pläne oder Geheimnisse nicht, Dickon, aber ich fürchte, Ihr werdet gegen Euren Vetter Alured einen schwereren Stand bekommen als selbst gegen Hugh de Monthermer. Er zweifelt an der Wahrheit der von ihm erhobenen Anklage!«

»Dann hätte er sie nicht erheben sollen!« Richard de Ashby lachte höhnisch. »Was habe ich damit zu schaffen?«

»Nichts vielleicht«, versetzte Guy de Margan. »Aber er ist nicht gut zu sprechen auf die, deren Angaben ihn verleiteten, die Anklage vorzubringen. Ich fand das an mir selbst bestätigt, als ich gestern nacht bei ihm saß. Er war auffallend unhöflich gegen mich. Ihr aber seid der erste auf dieser Liste, Dickon!«

»Ach was!« rief der andere. »Laßt ihn nur morgen in den Schranken siegen, und der Stolz darauf wird machen, daß er uns alle wieder freundlich ansieht. Ich kenne Alured! Wenn das alles ist...«

»Es ist nicht alles!« unterbrach ihn Guy de Margan unwillig. »Während ich bei ihm saß, kam ein altes Weib - ein runzliges altes Weib, wie mir die Diener nachher sagten - aufs Schloß, um ihn in Euer Haus zu rufen, mit einer Botschaft von Euch ...«

»Von mir? Ich war weit weg«, rief Richard de Ashby. »Ging er hin?« fragte er erregt.

»Ja, und das unverzüglich. Ith ging mit ihm hinab und sah ihn in das Haus hineingehen.«

»In der Hölle Namen, warum hieltet Ihr ihn nicht zurück?« schrie Richard de Ashby. »Ein altes Weib! Ich habe kein altes Weib dort!«

»Vielleicht ging er, um das junge zu besuchen, das Ihr dort habt«, sagte Guy de Margan scheinbar gleichgültig.

»Fluch ihr, wenn sie ...«, rief Richard de Ashby, hielt aber plötzlich inne, ohne den Satz zu beenden.

»Ja«, fuhr Guy de Margan mit demselben erkünstelt gleichgültiger« Ton fort, »er trat in das Haus und blieb über eine Stunde darin; denn ich sah ihn zurückkommen. Später sprach ich mit seinem Knappen Peter, der mir erzählte, er sei die ganze Nacht aufgeregt gewesen und habe ein Papier, das er aus Eurem Hause mitgebracht, sorgfältig gesiegelt. - Habt acht, Dickon!«

Sie waren jBtzt zu einer steilen Treppe gekommen, die einen felsigen Abhang hinabführte. Richard de Ashby, oben stehenbleibend, hieß die Pferde unten herumführen, während er und Guy de Margan den kürzeren Weg einschlugen. Er sagte nichts, bis sie unten an der Treppe angekommen waren; hier aber blieb er plötzlich stehen, ergriff hastig seines Begleiters Arm und schaute ihm forschend ins Gesicht.

»Was meint Ihr damit, Guy de Margan?« fragte er. »Entweder Ihr wißt etwas, oder Ihr argwöhnt mehr, als Ihr sagt.«

»Ich weiß nichts«, versetzte Guy de Margan, »und ich wünsche nichts zu wissen, mein guter Freund. So sagt mir denn auch nichts. Was ich vermute, ist eine andere Sache. Aber jetzt hört mich an: Der Tod Hugh de Monthermers würde mir gelegen kommen; der Tod des Grafen würde Euch, so habe ich Grund zu glauben, nicht gerade unerwünscht sein. Merkt deshalb auf meine Worte, Dickon! Wenn diese zwei Männer morgen fechten, so wird Euer Vetter Alured, zweifelnd an der Gerechtigkeit seiner Sache, von der Lanze Hugh de Monthermers fallen. Ihr denkt, das würde Euern Zwecken gut entsprechen, aber hierin täuscht Ihr Euch. Nichts wird Monthermer vermögen, dem Grafen das Leben zu nehmen, und da der Prinz Kampfrichter sein wird, wird er seinen Stab hinwerfen bei dem geringsten Vorwand. So könnten Eure Anschläge am Ende durchkreuzt werden, und wir beide würden vielleicht unsre Hoffnungen in letzter Minute vereitelt sehen. Aber noch etwas ist zu sagen: Ich wollte nicht, daß nur Eure Absichten gefördert würden und die meinigen nicht.«

»Aber, Guy de Margan«, rief Richard erbost. »Ihr glaubt doch nicht, daß ich zärtlich besorgt sei für Monthermers Leben?«

»Genausowenig wie ich für das Leben Alured de Ashbys«, antwortete de Margan. »Aber entweder sollen beide sterben oder beide leben, Richard de Ashby! Eures Vetters Gemüt ist jetzt in einer solchen Verfassung, daß nur drei Worte von mir, die seinen Verdacht auf einen anderen leiten, ihn bewegen würden, seine Anklage zurückzuziehen und dem, den er verleumdet hat, Genugtuung anzubieten. Ja, noch Schlimmeres kann die Folge sein. Deshalb, Richard de Ashby, kurz und bündig: Ich werde diesen Kampf verhindern, wenn Ihr mir nicht die Versicherung gebt, daß beide fallen!«

»Aber wie kann ich das?« fragte Richard de Ashby, ihn mit sichtlicher Unruhe anstarrend. »Wie kann ich für ein Ereignis bürgen, dessen Ausgang allein in der Hand des Schicksals steht?«

»In der Hand des Schicksals?« rief Guy de Margan mit Hohn. »Wenn man dich reden hört, sollte man glauben, du seiest so unschuldig wie ein Säugling. Bist du nicht morgen deines Vetters Kampfzeuge in den Schranken?«

»Ja, er hat so gesagt.«

»Dann belehre ihn, wie er seinen Gegner treffen muß. Sage ihm, er soll nicht auf Schild oder Helm zielen, sondern auf Schultern, Arm, Hals oder Hüfte, wo er nur den bloßen Harnisch sieht.«

»Alured versteht das besser«, sagte Richard ablehnend. »Er wird mit seiner Lanze gerade auf ihn losrennen, und dann wird das zäheste Holz, der festeste Sitz, die sicherste Hand, das schärfste Auge den Sieg verleihen!«

»Ja, aber sagt ihm«, versetzte Guy de Margan, leiser sprechend, »daß Ihr seine Zweifel kennt und daß es allein der Kampf zu Fuß ist, worin er hoffen kann, den Sieg davonzutragen. Fragt ihn, ob er je Hugh de Monthermer aus dem Sattel heben sah durch einen stracken Lanzenstoß, wer immer sein Gegner sein mochte. Aber zeigt ihm, daß, wenn er ihn auf der Seite trifft und ihn im Sattel wanken macht, er ihn ohne Zweifel zu Boden wird bringen können.«

»Was soll das alles?« fragte Richard ungeduldig. »Der eine oder der andere muß doch den Sieg davontragen.«

»Eben nicht!« rief Guy de Margan. »Ich will Euch ein Mittel sagen, das, wenn Ihr nur mit Sicherheit dafür sorgen könnt, daß die Spitze der Lanze Alured de Ashbys sich in Hugh de Monthermers Blut taucht, so gewiß den Tod herbeiführen soll, als wenn sie mitten durch sein Herz ginge; ein einfacher Kratz genügt! Als ich im Lande der alten Römer war - jetzt erfüllt von Mönchen und Tagedieben, die auf der Welt nichts zu tun haben als hinzusitzen und die Bauernmädchen zu verführen und die Mittel auszuhecken, sich ihrer Feinde zu entledigen -, gab mir ein Mann, der stets Sorge trug, daß niemand lange sein Feind war, ein Pulver von so köstlicher Tugend, daß es, entweder in einen Becher geworfen oder in eine frische Wunde gerieben, den elendesten Mann binnen einer halben Stunde von allen seinen Leiden kurieren kann - für immer!«

»Ich verstehe!« sagte Richard de Ashby. »Gebt mir das Pulver. Aber wie kann man es an der Spitze der Lanze anbringen, daß es während des Kampfes nicht weggewischt wird?«

»Mischt es mit einem feinen Öl, so hat es dieselbe Wirkung.«

»Das will ich«, versicherte Richard eifrig. »Direkt vor dem Treffen werde ich wie ein recht vorsichtiger Waffenzeuge und Pate mit einem dicken Handschuh die Spitze der Lanze befühlen, um mich zu versichern, ob alles in Ordnung ist, werde aber zuerst das Holz sorgfältig an meinem Knie erproben, nebst all den anderen scheinbaren Vorsichtsmaßregeln, die die in solchen Dingen Erfahrenen beobachten. Seid ohne Furcht, Alured wird gewiß auf irgendeine Weise Hugh de Monthermers Blut fließen machen. - Eine halbe Stunde, sagt Ihr? Wird Monthermer Kraft genug behalten, den Kampf zu Ende, ich meine zu einem glücklichen Ende für ihn, zu bringen?«

»Vollkommen«, versetzte Guy de Margan »denn bis zwei Minuten vor seinem Tode wird er so stark sein wie immer.«

»Gebt es mir!« rief Richard de Ashby und brach in ein lautes Gelächter aus, als wäre es der lustigste Spaß, der je gemacht worden.

Guy de Margan steckte die Hand in die gestickte Tasche, die er unter dem Arm trug, und holte ein winziges elfenbeinernes Büchs-chen hervor.

»Was? Ist das genug?« rief Richard, das Gift an sich nehmend.

»Genug, um mehr Menschen zu töten als bei Evesham fielen. Aber nehmt Euch beim Mischen wohl in acht! Vergeßt nicht: Ein Körndien, in den kleinsten Riß an Eurer Hand eingedrungen, schickt Euch vorzeitig an den Euch bestimmten Ort.«

»Ich will recht sorgsam sein«, sagte Richard de Ashby mit teuflischem Grinsen. »Ihr dürft die Tat als schon getan betrachten. Bis morgen um diese Stunde sollt Ihr Eure Rache befriedigt sehen, und ich - werde Graf von Ashby sein.«

»Haha! Ist endlich die Wahrheit heraus?« rief Guy de Margan. »Nun, Richard, lebe wohl jetzt. Wir werden uns morgen wiedersehen in tiefer Betrübnis über den Ausgang dieses traurigen Kampfes. Mittlerweile will ich zu Eurem Vetter gehen und ihn mit geheimnisvoller Miene davon in Kenntnis setzen, daß ein Plan im Werk sei, ihn glauben zu machen, sein Gegner sei unschuldig. Ihr schlagt dieselbe Saite an, wenn Ihr ihn seht, und ich will ihm sogar versprechen, daß er morgen früh den Beweis von Monthermers Schuld in Händen haben soll. Wenn wir ihn nur auf den Kampfplatz bringen, so ist die Sache getan - er wird dann nicht mehr zurücktreten.«

»Lebt wohl, de Margan - lebt wohl!« sagte Richard de Ashby mit größter Freundlichkeit. »Ich will gehen und feststellen, was Alured in meinem Hause gewollt.« Im Weggehen murmelte er vor sich hin: »Wenn dies Pulver so gewaltig ist, so wird es wohl auch für Euch reichen, mein guter Freund de Margan. Aber erst muß ich mit einer anderen Person fertig werden. Kate Greenly, mein hübsches Jüngferchen, du hast ein Geheimnis zuviel, als daß du weit damit springen dürftest. Wenn du mich nicht schon verraten hast, will ich jetzt dafür sorgen, daß du es nicht mehr tun kannst.«


Nach wenigen Minuten befand er sich in dem Haus, das er in Nottingham gemietet hatte, und auf sein heftiges Pochen wurde die Tür beinahe augenblicklich von einem jungen Burschen geöffnet, den er als Bedienung bei Kate Greenly zurückgelassen hatte.

»Wo ist das Mädchen?« fragte er kurz. »In ihrem Zimmer?«

»Nein, Sir«, antwortete der Diener. »Sie ist vor einiger Zeit ausgegangen.«

»Ausgegangen?« rief sein Gebieter. »Obwohl ich ihr verbot, auch nur über die Schwelle zu treten?«

»Ich konnte sie nicht aufhalten, Sir.«

»Als ob du's versucht hättest!« schrie Richard erbost. »Aber nur heraus mit der Wahrheit: Wer ist hier gewesen, seit ich weggegangen?«

»Niemand, Sir«, versetzte der Junge. »Niemand als der alte Priester.«

»Welcher alte Priester?« fragte Richard mit zornig gerunzelter Stirn.

»Der alte Priester, der früher schon hier war, Sir«, antwortete der Junge schüchtern; denn Richards Miene machte ihm bange. »Der, der hier war in der Nacht, als Ihr nach Lindwell rittet.«

»Was?« schrie Richard. »Ein Priester hiergewesen in jener Nacht? Ein Glück für ihn, daß ich ihn nicht getroffen! - War er öfter hier?«

»Zweimal, Sir. Einmal morgens, und letzte Nacht schickte sie mich wieder nach ihm.«

»Und sonst niemand?«

»Niemand«, entgegnete der Junge, setzte aber dann unsicher hinzu: »Niemand, soviel ich mich erinnere.«

»Bursche, das ist eine Lüge!« herrschte Richard de Ashby ihn an. »Ich seh' es dir an, daß du lügst!« Er packte den Jungen an der Brust und schüttelte ihn, daß ihm fast der Atem ausging. »Wer ist hier gewesen? Wenn du es nicht sogleich sagst, so sollst du dies kosten!«, und er legte die Hand an seinen Dolch.




»Niemand - wahrhaftig - niemand«, stammelte der Junge. »Ich kann zwar vermuten...«

»Was vermutest du?«

»Nun, Sir, letzte Nacht, als ich die Straße hinaufging, um den Priester zu holen, sah ich zwei Gentlemen sich dem Haus nähern. Einer von ihnen, der gewiß Euer Vetter Graf Alured war, schritt auf die Tür des Hauses zu und wurde, glaub ich, eingelassen. Der andere setzte seinen Weg fort.«

»Ging mein Vetter ins Haus hinein? Sag mir nur ,ja' oder ,nein'! Ging er hinein, frag' ich?«

»Ich glaube so, Sir, kann es aber nicht für gewiß sagen. Es fiel plötzlich ein Licht über die Straße, als wenn die Tür aufginge, aber da war ich schon zu weit die Straße hinauf, um es zu sehen.«

Es ist, wie de Margan gesagt hat, dachte Richard de Ashby, den Jungen loslassend. Sofort begab er sich nach der Kammer, wo der Tote lag. Er fand die Tür weit offenstehen und den Leichnam dem Brauche gemäß gekleidet und geschmückt. Ein Kruzifix und ein paar Stechpalmenreiser lagen auf seiner Brust, ein kleines Gefäß mit Weihwasser stand daneben, eine Lampe brannte, obgleich die Sonne noch nicht untergegangen war, und alles zeigte deutlich an, daß der Mann nicht ohne den Beistand der Kirche gestorben war.

»Ich bin verraten worden!« murmelte Richard de Ashby vor sich hin. »Wenn es jedoch nur der Priester weiß, so ist der Schaden nicht groß, das Beichtgeheimnis bindet ihm die Zunge. Aber wo ist das Mädchen, und was hat es mit Alured zu besprechen gehabt? Das muß ich jetzt wissen. Was kann sie aussagen, als daß ein Verwundeter in meinem Hause gestorben ist, der von Leuten, die mich einmal besucht hatten, gebracht wurde, und dazu noch während meiner Abwesenheit? Wenn nur Ellerby sich nach Frankreich begeben wollte, so wäre alles sicher genug. Aber er treibt sich hier in der Nähe herum wie eine Motte, die ums Licht fliegt. Wo sind denn die Kleider des Toten - das möcht' ich wissen!« Die Lampe aufnehmend - denn es wurde jetzt rasch dunkel -, suchte er sorgfältig das ganze Zimmer ab. Aber weder Kleider noch das Schwert, noch der Dolch waren zu finden.

»Es ist ein Komplott gegen mich im Werk«, fuhr er, vor sich hinredend, fort. »Das ist jetzt klar. Sie weiß vielleicht mehr, als ich glaube. - Ein Papier! Was für ein Papier kann sie Alured gegeben haben? Vielleicht den Vertrag, den ich diesen Männern ausstellte! Das wäre in der Tat das Ende! - Vielleicht sollte ich fliehen, solange noch Zeit ist? Aber fliehen, wo das Grafentum Ashby mir schon so nahe hegt, daß ich es beinahe mit der Hand greifen kann? Nein, ich will darauf losgehen, und wehe dem, der mir in den Weg tritt! -Wenn ich nur das Mädchen finden könnte. - Horch! Unten ist ein Geräusch!«

In nervöser Aufregung wandte er sich, um zu horchen, und vernahm bald, daß die Geräusche von den Dienern verursacht wurden, die inzwischen mit den Pferden eingetroffen waren.

»Ich will sogleich darauf losgehen«, wiederholte er bei sich. »Ich will Alured in seiner Wohnung erwarten und herausbringen, was er weiß. Ohne Zweifel hat er alles für sich behalten, denn er ist nicht der Mann, der einen Makel auf seinen Namen lädt. Nein, er wird nie jemand vom Hause Ashby anklagen!«

Damit stieg er die Treppe hinunter, und seinen Dienern empfehlend, das Haus gut zu hüten, bis er zurückkomme, schlug er wieder den Weg nach dem Schloß ein. Als er die Gemächer seines Vetters erreichte, fand er in dem äußeren Zimmer eine Anzahl von Dienern, die allem Anschein nach erst vor kurzem von einem Ritt zurückgekommen waren. Sie aßen und tranken mit gutem Appetit und schienen wenig Lust zu haben, wegen des armen Verwandten ihres Lords ihre Mahlzeit zu unterbrechen.

»Lord Alured ist nicht zu Hause, Sir Richard«, sagte einer. »Er ist in des Prinzen Wohnung gegangen.«

»Unsinn, Ned!« rief ein anderer. »Er ist wieder zurück, hat aber zu Peter gesagt, er wollte von niemand gestört werden.«

»Natürlich hat er damit nicht mich gemeint«, versetzte Richard de Ashby finster. »Geht hinein, Ned, und sagt ihm, ich sei da.«

Der Mann gehorchte widerwillig, und im Augenblick darauf hörte Richard seines Vetters Stimme, der heftig sagte: »Ich will ihn nicht sehen! Sagt ihm, ich sei beschäftigt oder ich wolle ausgehen in wichtigen Angelegenheiten. - Doch halt! Schickt ihn herein!«

Richard de Ashby heftete seinen Blick finster zu Boden, als er die Bestätigung seiner Befürchtungen vernahm, und murmelte vor sich hin: »Er hat sicher mehr gehört, als er wissen sollte!«

Als jedoch der Diener zurückkam und ihn in Lord Alureds Zimmer treten hieß, setzte er eine heitere Miene auf und trat hinein mit einem so unbefangenen Wesen, als er nur anzunehmen vermochte. Der Tisch war zum Nachtessen gedeckt, und sein Vetter stand an dem einen Ende desselben, soeben einen Trinkbecher von geschliffenem Achat hinstellend, den er halb geleert hatte.

»Ich möchte Euch nicht gern stören, Alured, aber da ich Euch auf den Kampfplatz begleiten soll, ist es notwendig, daß wir uns über unsere Vorkehrungen besprechen.«

»Ich habe keine Vorkehrungen zu machen«, schrie Alured de Ashby, den eine ohnmächtige Wut zu übermannen drohte. »Ich bin bereit zu fechten, das ist alles. Ich habe oft eine Lanze in der Hand gehabt und weiß sie zu handhaben!«

»Ihr werdet sie recht tüchtig handhaben, ich weiß das«, versetzte Richard ungerührt. »Dennoch ist wohl noch manches zwischen uns zu besprechen. Wenn man seinen Gegner vor sich in den Schranken kennt, so mag man wohl Überlegung und Geschicklichkeit aufbieten, um seine eigentümliche Art zu fechten, seinen Kunstgriff, seinen Kniff - nennt es, wie Ihr wollt - zuschanden zu machen. Nun habe ich Hugh de Monthermer oft eine Lanze brechen sehen, Ihr dagegen, glaube ich, nur einmal!«

»Ich traf mit ihm bei Evesham zusammen, das ist mir genug«, sagte Alured ungeduldig; »ich brauche weder Rat noch Beistand, mein Vetter, und überdies, da wir jetzt bei dieser Sache sind: Ihr begleitet mich nicht auf den Kampfplatz - ich werde mir einen anderen Kampfzeugen wählen! - Nein, nur keine unangebrachte Feinfühligkeit! Ich sage dir, Dickon: Dinge sind zu meiner Kenntnis gelangt, die dein Leben gefährden können. Benütze drum meinen Wink! Die Zeit ist kurz; denn sobald der Prinz zurückkommt, soll er mit allen Umständen bekannt gemacht werden!«

»Aber, Alured, erklärt mir doch...«, rief Richard de Ashby, fahl werdend.

»Es braucht keine Erklärung!« unterbrach ihn sein Vetter. »Ihr werdet genug hören, wenn Ihr wartet. Laßt Euer Gewissen Euren Ratgeber sein, zu bleiben oder zu fliehen. In jedem Fall verweilt nicht hier! Ich gehe für einen Augenblick weg, um Hugh de Monthermer die Hand zu schütteln, ehe ich ihm morgen mit der Lanze entgegentrete, und um ihm zu sagen, daß ich keinen Groll gegen ihn hege, obgleich die Ehre mich zwingt, mit den Waffen gegen ihn anzutreten. Ich möchte Euch hier nicht mehr treffen, wenn ich zurückkomme, und laßt mich Euer Gesicht auch nicht sehen morgen beim Kampf; denn es würde nur Unheil über mich bringen!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, schritt er aus dem Zimmer. Richard de Ashby raufte sich in wütender Verzweiflung die Haare. »Dem Prinzen sagen?« rief er. »Den Namen Ashby für immer brandmarken? Mich auf den Block bringen? - Aber ich kann dafür sorgen«, fuhr er, sich plötzlich zusammennehmend, leise fort, »daß er das nimmermehr tun wird.« Sich ängstlich im Zimmer umsehend, zog er aus seiner Tasche das kleine Büchschen, das ihm Guy de Margan gegeben, näherte sich der Tür, die sein Vetter halb offengelassen, drückte sie sacht zu und trat dann an den Tisch zurück. Dort schüttete er etwas von dem weißen Pulver in den Trinkbecher Alured de Ashbys. Ein triumphierendes Grinsen verzerrte sein Gesicht, als er das Pulver in dem Wein sich auflösen sah.

»Er wird den Becher leeren, wenn er zurückkommt«, murmelte der Schurke vor sich hin. »Seine Geschichte muß er dem Prinzen Edward bald vortragen, oder seine Zunge dürfte ihm leicht den Dienst versagen! Ich glaube fast, er ist eine Memme und fürchtet sich, diesem Monthermer auf dem Kampfplatz zu begegnen. Aber bei mir sind jetzt Zweifel und Unentschlossenheit vorüber. Kate Greenly, die Reihe kommt an dich! - Sie ist bei dem Priester, ohne Zweifel. Ist ihre Zunge einmal zum Schweigen gebracht und bin ich Graf von Ashby - wer wird mich dann anzuklagen wagen? Oder wenn sie es auch tun - mögen sie! Ich will dann mein Banner auf den Mauern meines Schlosses entfalten und Edward Trotz bieten, bis ich mich durch eine glimpfliche Kapitulation gegen alle Untersuchung vergangener Dinge sicherstelle. Aber jetzt zu dem Mädchen - sie darf die Sonne nicht mehr aufgehen sehen!«

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