XXXVIII

DER KÖNIG sitzt schon beim Abendessen, mein Lord«, sagte einer der Diener, als Alured de Ashby das Schloß betrat. »Es ist jedoch ein Platz für Euch vorbehalten worden.« »In der Nähe des Prinzen?« fragte Alured. »Nein, mein Lord, der Prinz ist fort. Wußtet Ihr das nicht?« »Fort?« rief der junge Ritter. »Fort? Wohin?« »Nach Leicester, mein Lord«, sagte der Diener. »Vor noch nicht einer halben Stunde brach er auf.«

»Wie? Er soll doch übermorgen Kampfrichter sein!« rief der Graf überrascht und mit sichtlichem Verdruß.

»Ich hörte ihn dem König sagen, mein Lord«, versetzte der Diener, »daß er morgen vor Sonnenuntergang zurück sein will.«

»Das ist leidig«, murmelte Alured, »das ist höchst leidig, aber es läßt sich nicht ändern!« Nachdem er seinen Anzug etwas hergerichtet hatte, eilte er in den Saal. Sobald er dort erschien, grüßte ihn Heinrich leutselig und sagte: »Ihr kommt spät zum Bankett, edler Graf, aber wir verzeihen Euch, da wir nicht zweifeln, daß Euch irgendeine schöne Lady in Ketten süßer Tändelei gehalten, die sich nicht zerreißen ließen.«

»Nein, Sire«, versetzte Alured de Ashby ernst. »Mein Herz ist zu voll von anderen Dingen, um an Leichtfertigkeiten zu denken. Ich war bei einem befreundeten Kranken und achtete nicht auf die Zeit, wie trübselig sie auch verfloß.«

»Kranke Freunde sind eine so gute Entschuldigung wie eine schöne Lady«, sagte der König, »und eine solche, die zu jeder Zeit geltend gemacht werden darf.«

»Ich denke, Sire«, mischte sich Mortimer ein, der in der Nähe saß, »weder eine schöne Lady noch ein kranker Freund können die Säumnis auch nur eines Augenblicks entschuldigen am Tage der Schlacht oder auch selbst am Tage eines Turniers.«

»Ein hohes Problem der Ritterschaft«, versetzte der König. »Laßt einen unserer alten Ritter es entscheiden. - Was sagt Ihr, Sir John Hardy?«

»Daß die Sache schon oft entschieden worden ist, Sire«, ließ sich der alte Kämpe, der etwas weiter unten am Tisch seinen Sitz hatte, vernehmen. Er sprach mit ernstem Bedacht von der Sache, da sie ihn überaus wichtig dünkte. »Keine Entschuldigung auf der Welt kann angenommen werden von dem Mann, der eines Herausforderers Schild berührt, eines Anklägers Handschuh aufgenommen oder seines Fürsten Befehl erhalten hat, sich zum Kampf zu rüsten, falls er über eine Viertelstunde nach der festgesetzten Zeit säumt. Diese Frist ist gegeben für einen etwaigen Zufall oder wenn die Leute über die Zeit verschiedener Meinung sein sollten. So mögen denn die Trompeten dreimal schmettern und dazwischen jedesmal fünf Minuten verfließen. Wer aber beim dritten Blasen nicht erscheint, ist eine Memme und ein Nichtswürdiger nach dem Urteil aller Menschen und kann nichts zu seiner Entschuldigung anführen, es sei denn den Befehl seines Fürsten und Oberherrn.«

»Die Ehre eines Ritters«, fügte ein anderer alter Ritter in strengem und etwas pedantischem Ton hinzu, »soll so glänzend sein wie sein Schild, so rein und schneidend wie sein Schwert und so scharf und stet wie seine Lanze. Was er einmal gesagt hat, das muß er behaupten bis in den Tod; denn welche Gründe auch vorhanden sein mögen, zurückzutreten - ein Verdacht wird immer haftenbleiben an seinem Mut, wenn er nur einen Augenblick zögert, einen Feind im Felde zu treffen.«

Hugh de Monthermers Gesicht blieb blaß und unbewegt, aber Alured de Ashbys Wangen röteten sich, als wäre jedes Wort, das er hörte, Feuer. So bald als möglich verließ er nach dem Bankett den Saal und suchte mit hastigen, ungleichen Schritten seine Zimmer auf.


Er traf die Schwertfeger noch bei ihrem Geschäft, als er durch das äußere Zimmer schritt, und bei der Bank stehenbleibend, wo sie arbeiteten, starrte er auf die Waffen unter ihren Händen mit einem abwesenden Blick. Dann plötzlich auffahrend und die Faust ballend, sagte er: »Sorgt, daß alles fest und stark ist, Mapleton, aber nicht zu schwer.«

»Seid ohne Sorge, mein Lord«, versetzte der Schwertfeger eifrig. »Es gab nie einen besseren Stahl auf der Welt, und diese neue Art von Schienen sind eine kostbare Erfindung zum Schutze der Knie und der Ellenbogen. Ich habe auch einen Ringkragen gefertigt, mein Lord, für Euern Hals. Ich weiß, Ihr liebt das nicht, aber es ist viel sicherer, wenn Ihr ihn tragen wollt, obgleich allerdings das schmucke Aussehen des Harnischs, man muß es gestehen, dadurch leidet. Aber sehr oft hab' ich gesehen, daß gerade ein auf den Hals gezielter Lanzenstoß einen Ritter tötete oder kampfunfähig machte. Auch ist es, wie ich höre, ein Kunststück des Lords Hugh, nach dem Halse zu stoßen.«

Alured de Ashby hatte dem Mann schon eine Weile nicht mehr zugehört. Mit gerunzelter Stirn, die Augen auf die Waffen geheftet, stand er da, bis der Waffenschmied verstummte und ihm ins Gesicht schaute. Da wandte er sich weg und verließ das Zimmer ohne eine Antwort. In seinem eigenen Gemach angekommen, schloß er die Tür hinter sich, und beinahe zwei Stunden lang konnte man die Schritte des Aufundabgehenden hören. Manchmal setzten sie ein paar Minuten aus, aber immer ertönten die schweren Tritte wieder von neuem.

Die Gedanken stürmten auf ihn ein: Fechten müssen in einer ungerechten Streitsache! Feierlich den Himmel anrufen zum Zeugen der Gerechtigkeit dieser Sache, und sich bewußt sein, daß sie ungerecht ist! Eine fürchterliche Aussicht! Und doch: Die erhobene Anklage zurücknehmen? Anerkennen, daß er sich geirrt habe? Gestehen, daß er unbesonnen und schwach gewesen? - Das alles widerstrebte seinem eifersüchtigen Stolz und seiner reizbaren Eitelkeit.

Zudem fürchtete er den Verlust seines Rufes; denn die starren Gesetze der Ritterschaft hinderten ihn, den Weg der Vernunft und des Rechts einzuschlagen. Es schien ihm, als wenn während des Banketts die zwei alten Ritter zu Gericht gesessen hätten über seine Streitsache. Sie hatten ihren Spruch gefällt zugunsten jener phantastischen Ehre, die sich mehr auf persönlichen Mut als auf die Wahrheit gründete. Guter Himmel! Wenn die Welt argwöhnte, er scheue sich, dem von ihm angeklagten Mann mit den Waffen entgegenzutreten! Er malte sich tausend eingebildete Beschimpfungen aus, sah, wie Ritter sich weigerten, eine Lanze zu brechen, mit ihm, der vor einem von ihm selbst verlangten gerichtlichen Zweikampf zurückgetreten war; sah Damen verächtlich lächelnd sich von ihm abwenden. Er konnte und wollte nicht als Feigling dastehen! Und doch mahnte sein Gewissen, und die Worte der Kate Greenly klangen in seinem Ohr.

»Die Pest über das Mädchen!« rief er plötzlich aus. »Daß sie mir solche Gedanken in den Kopf setzen mußte! Sie werden mich lähmen in der Stunde des Kampfes. Ach was, mancher Mann hat schon gelochten für eine ungerechte Sache - ja, und mancher ist auch gefallen. - Aber die Anklage zurücknehmen? Unmöglich! Meine einzige Hoffnung beruht auf dem Prinzen; vielleicht kann er der Sache Einhalt tun. Wäre er hier, würde ich ihm das Papier sofort übergeben! Doch ich darf ja nicht einmal Verlangen zeigen, die Anklage zu widerrufen. Fluch über meine übereilte Hast, aber noch ärgeren Fluch über diesen Verräter Richard, der mich drängte! Wenn ich wüßte, daß er den Mord begangen, ich wollte ihm das Herz aus dem Leibe reißen und es noch zuckend in den Staub treten! - Dieser niederträchtige Schurke! Und mein Vater war so gütig gegen ihn!«

Gegen Morgen fiel Alured de Ashby endlich in einen tiefen Schlaf, der mehrere Stunden währte und aus dem er erfrischt und gefaßter, aber doch noch völlig ratlos erwachte.

Im Laufe des Vormittags kamen verschiedene seiner Diener, die die ganze Nacht auf seinen Befehl hin fort gewesen waren, zurück, um ihm Bericht zu erstatten. Sie meldeten, daß sie, obgleich sie beständig an dem ihnen bezeichneten Ort Wache gehalten, doch niemand hätten aus dem Hause gehen sehen als einen Priester. Hierauf schickte Alured nach einigen alten Dienstleuten seiner Familie, die in Lindwell gewesen, als sein Vater ermordet worden war, und befragte sie nach ihrer Ankunft aufs genaueste über viele Dinge. Darauf sagte er seinen Leuten, er wolle sich zu seiner Schwester begeben. Aber als er den Fuß der Treppe erreichte, blieb er stehen, kehrte wieder um und schritt eine halbe Stunde im Schloßhof auf und ab.

Sein nächstes Vornehmen war, daß er plötzlich sein Pferd bestellte und sich auf den Weg nach Leicester machte. Auf halbem Wege dorthin lenkte er jedoch sein Roß um und erreichte die Tore von Nottingham gerade mit Einbruch der Nacht. Der Torwächter der Stadt sagte ihm auf seine Erkundigung, der Prinz sei noch nicht zurück, aber ein Bote von ihm sei vor einer Stunde angelangt, und das Gerücht gehe, Edward werde vor dem folgenden Morgen nicht zurückkommen.

Alured schüttelte heftig den Zaum seines Rosses und sprengte aufs Schloß hinauf. Ehe er es jedoch erreicht hatte, war die Anwandlung zürnender Ungeduld vorüber, und nachdem er abgestiegen, begab er sich sogleich nach den Gemächern des Prinzen, schickte einen Pagen hinein und ließ sagen, er wünsche Lady Lucy zu besuchen. Er wurde sofort in ihr Zimmer geführt, wo der Anblick ihres schönen Gesichts, das deutliche Spuren von Tränen aufwies und tiefen, untröstlichen Kummer ausdrückte, seine Vorsätze wieder erschütterte und die Bitterkeit seiner Gefühle noch erhöhte.

Alured küßte sie zärtlich, aber er merkte, daß sie, obgleich sie nicht ein Wort des Vorwurfs äußerte, doch vor ihm zurückbebte, und das war Vorwurf genug. Auf sein Verlangen schickte sie ihre Mädchen aus dem Zimmer. Er setzte sich neben sie, ergriff ihre Hand und sagte: »Lucy, ich bin gekommen, dich - vielleicht zum letztenmal zu sehen!«

Sie schlug die Augen nieder und antwortete nicht, und er fuhr fort: »Es gebührt sich nicht, Lucy, daß wir mit auch nur einem Gefühl von Kälte und Verstimmung zwischen uns scheiden. Ich komme, dich um Vergebung zu bitten wegen aller Schmerzen, die ich dir in meinem Leben verursacht haben mag.«

»Ach, Alured!« rief Lucy. »Das Schlimmste kann noch vermieden werden! Aber ich kenne zu gut dein eigenwilliges Herz, als daß ich Hoffnung hätte. Du mußt notwendig fühlen, wie entsetzlich es für mich ist, meinen Bruder und meinen Verlobten sich in den Schranken begegnen zu sehen, aus denen einer von beiden tot weggetragen werden muß. Du weißt wohl, Alured, daß für mich der Jammer der gleiche ist, welcher von beiden auch Sieger bleibe. Wenn Hugh de Monthermer besiegt wird, so ist mein Bruder der Mörder meines Geliebten. - Ja, der Mörder, Alured«, fuhr sie feierlich fort, »denn im Grunde deines Herzens hältst du ihn für unschuldig. Solltest du aber durch Hugh de Monthermers Lanze fallen, so wird der Mann, den ich hebe, der Schlächter meines Bruders, und ich kann ihn nie wieder...«

»Halt, Lucy«, unterbrach sie Alured hastig. »Eben deswegen bin ich zu dir gekommen. Ich habe viele bittere Gedanken und gebe zu, Hugh de Monthermer kann unschuldig sein. Wenn ich also morgen in den Schranken falle, so laß mein Blut über mein eigenes Haupt kommen. Betrachte ihn als unschuldig an meinem Tode und heirate ihn, als hätte Alured de Ashby nie gelebt.«

»Das kann nie geschehen«, sagte Lucy trostlos.

»Ja, aber es muß und wird geschehen!« versetzte ihr Bruder. »Ich will dir nicht in meiner Todesstunde Leid und Jammer bereiten. Hier habe ich in kurzen Worten meinen Entschluß aufgesetzt. Lies, Lucy. - Aber deine Augen sind trüb von Tränen, so will ich es lesen. Hör zu! ,Ich, Alured de Ashby, im Begriff zu kämpfen mit Lord Hugh de Montliermer, dem die Hand meiner Schwester zugesagt war von meinem Vater vor seinem Tode, gebe hiermit, nachdem ich neuestens einigen Grund gefunden, an der Wahrheit der Anklage zu zweifeln, die ich gegen besagten Lord erhoben, meine Einwilligung zu der Vermählung meiner Schwester mit Hugh de Monthermer, falls er einmal klar beweisen kann, daß er an der Tat unschuldig ist. Ich bitte meine Schwester, beschwöre und ermahne sie, in diesem Fall ihre Hand dem Lord Hugh de Monthermer zu geben, was auch zwischen ihm und mir vorgefallen sein mag.' - Da, Mädchen, bewahre dies Papier und mach davon Gebrauch. Bist du zufrieden?«

»Zufrieden, Alured?« sagte Lucy, ihn vorwurfsvoll anblickend. »Zufrieden? Glaubst du, ich könnte zufrieden sein, wenn ich weiß, daß entweder er oder du sterben mußt? Was du aus der einen Waagschale nimmst, wirfst du in die andere. Du sagst hier, du zweifelst jetzt an seiner Schuld. Warum nicht kühn und frei diesen Zweifel aussprechen? Warum nicht...«

»Meine Ehre, Kind - meine Ehre und mein Ruf!« - rief Alured de Ashby. »Aber du wirst mich zu weich machen, Lucy. Da, übergib dies versiegelte Paket dem Prinzen, sobald er zurückkommt.«

»Vielleicht ist er schon zurück«, sagte Lucy. »Die Prinzessin hat mir gesagt, er würde vor Einbruch der Nacht hier sein.«

»Er hat seinen Vorsatz geändert und wird erst morgen in Nottingham eintreffen.«

»Ach, das ist ein unglücklicher Zufall!« rief Lucy.

»Es läßt sich nicht ändern. Aber gib das Päckchen dem Prinzen, sobald er kommt. Sag ihm, es seien darin die Beweise enthalten, welche mich in jüngster Zeit an der Gerechtigkeit meiner Anklage gegen Monthermer zweifeln gemacht haben. Er muß handeln, wie es ihm in Anbetracht derselben geeignet erscheint. - Und jetzt, Mädchen, lebe wohl!«

»Nein, Alured!« rief sie, ihn zurückhaltend. »Höre noch ein Wort von mir! Wenn du so voller Zweifel bist, wie kannst du da schwören, daß...«

»Still!« erwiderte er. »Ich bin jetzt unabänderlich entschlossen. Ich darf nicht dem Kampf ausweichen, darf nicht meinen Ruf beflecken, nicht den Namen eines Feiglings auf mich laden. Lebe wohl, Lucy - kein Wort weiter!« Sie zärtlich küssend, machte er sich von ihr los und verließ das Zimmer.

Einen Augenblick bedeckte Lucy ihre Augen mit den Händen und weinte; gleich darauf aber faßte sie sich und rief: »Ich will zu Hugh gehen und ihn bitten! Er ist weichherziger, er hat mehr Vertrauen zu seinem Ruf, er wird keinen gehässigen Verdacht fürchten! Ich will zu ihm. - Aber erst zu der Prinzessin mit diesem Päckchen. Sie muß es dem Prinzen übergeben. Und dann zu Hugh. Er hat mir selbst gesagt, in sieben Tagen könne er seine Unschuld beweisen. - Er wird es tun.« Rasch eilte sie in Eleonores Zimmer, die sie diesmal allein traf.

Sie war zu aufgeregt, um die höfischen Zeremonien zu beachten, und näherte sich ohne Umstände der Prinzessin, die überrascht aufblickte.

»Was ist, meine arme Lucy?« fragte sie mit zärtlicher Teilnahme. »Nach Eurer Miene scheint sich mit dem Kummer ein erfreulicher Gedanke zu mischen!«

»Weil ich Hoffnung habe!« versetzte Lucy, sich auf das Polster zu Füßen Eleonores kniend. Hastig erzählte sie alles, was zwischen ihr und ihrem Bruder vorgegangen. Dann händigte sie Eleonore das Päckchen ein und sagte: »Es wird gewiß Hughs Unschuld beweisen. Aber der Prinz ist abwesend, und ich fürchte, Ihr werdet es nicht öffnen wollen.«

»Nein«, antwortete die Prinzessin. »Das darf ich mir nicht erlauben. Ich bin nur kühn, wo es gilt, meine Liebe zu ihm zu bewähren, aber nicht, wo es um Dinge geht, die er allein beurteilen kann. Auch ist es nicht nötig, Lucy; er wird binnen kurzem zurück sein.«

»Aber Alured hat gehört, des Prinzen Rückkehr von Leicester sei bis morgen früh verschoben.«

»Nein, sie wurde nur um ein paar Stunden verzögert. Ich erwarte ihn jede Minute, Lucy. Inzwischen sage mir, welche Hoffnung du hegst.«

Lucy zögerte. »Es ist eine Hoffnung, sie vielleicht noch beide zu retten, Lady. Und gewiß, um das Leben eines Bruders und eines Geliebten zu retten, um ihnen Taten zu ersparen, die nicht wiedergutzumachen sind, um Alured nicht bloß vor Monthermers Lanze, sondern auch davor zu schützen, mit einer falschen Anklage auf den Lippen in den Kampf zu gehen, darf wohl ein Weib zu einer Kühnheit sich aufraffen, vor der sie sonst zurückbeben würde, ja - und Dinge tun, die die jungfräuliche Sittsamkeit verbieten würde, wäre nicht die Veranlassung so wichtig und überwältigend.«

»Gewiß!« rief Eleonore. »Wer kann daran zweifeln? Es gibt Formen und kalte Schicklichkeitsgesetze, die beiseite gelassen werden können, wenn es sich darum handelt, geliebte Menschen vor Verbrechen, Tod oder Schande zu bewahren. Aber was ist denn Euer Vorhaben? Ich verstehe Euch noch nicht.«

»Wollt Ihr mir versprechen«, fragte Lucy, »daß, wenn ich es sage, Ihr mir meinen Willen laßt und niemand, ohne mein Gutheißen, von meinem Plan in Kenntnis setzt?«

Eleonore lächelte. »Ich kann das wohl versprechen; denn wenn Ihr wollt, so könnt Ihr mir ja Euern Plan verhehlen, und dann bin ich völlig machtlos. Kein Hindernis will ich Euch in den Weg legen, liebe Lucy, sondern nur freundliche Vorstellungen, wenn ich glaube, daß Ihr unrecht habt. Was ist also Euer Plan?«

»Dies!« rief Lucy. »Hier auf diesem Papier hat mein Bruder geschrieben, er zweifle an Hugh de Monthermers Schuld, er zweifle so sehr an der Wahrheit der von ihm selbst erhobenen Anklage, daß er von seiner Schwester verlangt, sie solle sich mit dem Mann vermählen, der ihn erschlagen, falls er in diesem unglückseligen Kampf falle. - Nun, Lady, schaut her. Er machte keine andere Bedingung, als daß Hugh de Monthermer seine Unschuld beweise.«

»Ich sehe«, sagte Eleonore, »er ist wohlwollend und edelmütig und glaubt offenbar, die Anklage sei übereilt erhoben und nicht gerecht.«

»Aber doch wird nichts ihn abhalten«, versetzte Lucy bitter, »diese Anklage morgen mit der Spitze seiner Lanze zu verfechten, obgleich er weiß, daß sie falsch ist. Tränen, Bitten, Beschwörungen, alles ist bei ihm vergebens. Aber Hugh ist nicht so trotzig und starrsinnig, Lady; er wird der Vernunft und dem Recht sein Ohr leihen. Er hat mir selbst gesagt, er würde den Kampf vermieden haben, wenn nur der König einige Tage länger Frist gegeben hätte; denn er ist überzeugt, daß er dem wirklichen Mörder die Schuld werde beweisen können. Was konnte ich tun, solange mein Bruder die Anklage mit aller Hartnäckigkeit behauptete? Jetzt aber will ich zu Hugh und ihn anflehen, um unserer Liebe willen diesem sündhaften Kampf auszuweichen und diesen Ort morgen vor Sonnenaufgang zu verlassen.«

»Er wird es nicht tun«, antwortete Eleonore, traurig den Kopf schüttelnd. »Ihr werdet nur sein Herz zerreißen. Er wird es nicht tun.«

»Ich will mich erbieten, ihn zu begleiten!« sagte Lucy mit leiser ins Herz schneidender Stimme, ihr Auge mit zweifelndem und fragendem Blick auf das Antlitz der Prinzessin heftend.

»Wie?« rief Eleonore auffahrend, während ihr das Blut in die Wangen stieg. Aber im nächsten Augenblick schlang sie ihre Arme um Lucy, beugte sich mit einem Lächeln zu ihr nieder und sagte: »Du wirst siegen! - Hingebungsvolles Mädchen, ich wage nicht ganz, zu billigen und gutzuheißen, was du tust; doch hart wäre das Herz und unfreundlich der Mund, der dich tadeln wollte. Deinem Bruder ein großes Verbrechen zu ersparen und die Unschuld deines Geliebten zu beweisen, ohne seinen Ruf zu gefährden, dafür wirst du keinen Tadel verdienen, selbst in der böszüngigen Welt, in der wir leben. Aber warte noch, bis Edward hier ist. Vielleicht macht der Brief deines Bruders an ihn selbst den Versuch unnötig. Du sagst, er enthalte Beweise für deines Geliebten Unschuld?«

»So hat mir Alured gesagt!« versetzte Lucy. »Beweise, die selbst sein trotziges Vorurteil erschüttert haben. Aber, Lady, Ihr dürft mein Geheimnis nicht dem Prinzen verraten; denn er würde unser Weggehen nicht dulden.«

»Wenn ich es ihm sage«, antwortete Eleonore, »so bindet auch ihn mein Versprechen. Aber ohne Zweifel wird Edward, wenn in diesen Papieren sich klare Beweise finden, den Aufschub des Kampfes veranlassen. Aber geh - mach dich bereit zu deinem Vorhaben, hebe Lucy. Wenn Edward kommt, will ich dich holen lassen.«

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