V

UNTER ALL DEN Veränderungen, die seit jenen Tagen, in denen diese Erzählung spielt, eingetreten sind, ist eine sehr markant: daß nämlich heute aus den meisten Gegenden Europas die Wälder verschwunden sind und kaum eine Schlucht übriggeblieben ist, wo der scheue Hirsch eine Zuflucht finden oder der beschauliche Mann unter dem Schatten uralter Bäume weilen kann.

Damals war der größere Teil jedes Landes in Europa mit alten, herrlichen Waldungen bedeckt, England nicht ausgenommen. Kein englischer Wald aber war wohl wilder und abwechslungsreicher als der Sherwood-Forst, der sich in seiner gewaltigen Ausdehnung über verschiedenartige Gegenden Mittelenglands erstreckte und Dörfer, ja Städte einschloß und in seinen lichteren Gebieten gar manchen Weiler enthielt, dessen Bewohner von dem Ertrag des Waldes lebten.

Dieser Forst bot einen vielgestaltigen Anblick. An manchen Stellen standen nur vereinzelt Bäume, weithin dehnte sich von niedrigem Buschholz bewachsener Grund; anderswo traf man auf weitgedehnte Ebenen mit nichts als hohem Farnkraut und alten, knorrigen Weißdornbüschen bedeckt; aber in dem größten Teil des Waldes drangen die Sonnenstrahlen selbst während der Sommermonate selten bis auf die Pfade, so dicht war das Dach von grünem Laub in der Höhe, während die Pfade selbst in der Regel so schmal waren, daß nicht zwei Menschen nebeneinander gehen, geschweige denn reiten konnten.

Zwar führten auch breitere Wege durch den Wald, teils Karrenwege für die Holzhauer, teils Landstraßen von einer benachbarten Stadt zur andern; aber die letzteren waren weder sehr zahlreich noch viel betreten, und manche Geschichte wußte man zu erzählen von Reisenden, die im Forst von Sherwood um ihr Gepäck erleichtert worden waren, so daß viele sich, wenn sie konnten, lieber an das offenere Land hielten.

Doch war es ein schönes Reiten durch den Waldgrund, wo sich bei jedem Schritt prachtvolle Wechsel der Landschaft darboten, und die Leute waren für diesen Genuß nicht unempfänglich. Es erforderte aber eine sehr kühne Entschlossenheit oder einen Fall von großer Dringlichkeit, wenn Bürger der benachbarten Städte sich entschließen sollten, durch den Forst zu ziehen. Manche brachten wirklich Striemen auf den Schultern und leere Säcke mit nach Haus. Die so Betroffenen indessen gehörten fast nur besonderen Ständen an. Reichen Mönchen und lustigen Klosterbrüdern erging es gelegentlich sehr übel, auch die kleinen Tyrannen der Bezirke liefen große Gefahr, wenn sie sich weit in das grüne Laub hineinwagten; der reiche und prahlerische Kaufmann mochte oft um ein ziemliches leichter heraus- als hineingehen - aber der Bauer, der ehrliche Freisasse, die Dorfjungen und die Frauen hatten in der Regel sehr wenig zu berichten, außer daß sie hier und dort einen Waidmann gesehen, der ihnen ein freundliches Wort gegeben oder ihnen in irgendeinem Falle der Not mit geschickter Hand und gutem Willen geholfen.

So war denn unverkennbar, daß die Bewohner des grünen Waldes sich den verschiedenen Reisenden gegenüber unterschiedlich verhielten. Es waren nur wenige, die sich beklagten, gegenüber den vielen, welche rühmten und lobten, so daß der Ruf der Waidmänner vom Sherwood bei allen niederen Ständen vortrefflich war.

Mitten in diesem Sherwood-Forst, in der Gegend um Nottingham, erreichte am 2. Mai 1265, ungefähr um zwei Uhr, ein Trupp von fünf Reitern eine Stelle, an der die Straße - nachdem sie beinahe zwei Meilen lang durch den dichtesten Wald geführt hatte - einen sanften, sandigen Abhang hinablief und in offenes Gelände führte. Vier der Reisenden waren Yeomen, die zu einem Adelshause gehörten, denn sie trugen, dem damaligen Brauch zufolge, an ihrer Kleidung das Wappen ihres Herrn, woran sie einander erkennen konnten bei den in jenen Zeiten häufigen Streitigkeiten und Kämpfen. Jeder der Yeomen war mit Schwert und Schild bewaffnet und trug einen Bogen und ein Bündel Pfeile.

Der fünfte war kein anderer als Ralph Harland, der kräftige junge Freisasse aus Barnesdale. Auch er hatte Schwert und Schild, doch trug er, an einer grünen Schnur an seinem Halse hängend, ein langes gekrümmtes Messer, eine den Gemeinen von England und Flandern eigentümliche Waffe, mit der oft auf dem Schlachtfeld die schwersten Rosse der Ritter und Gewappneten niedergestochen wurden.

Die fünf Männer zogen, als sie an einen kleinen Bach kamen, der die Straße durchschnitt, die Zügel an, um ihre Tiere zu tränken und selber zu rasten, denn sie waren von einem langen, heißen Ritt sichtlich ermüdet. Nachdem sie ihre Pferde versorgt hatten, machten sie es sich ein wenig bequem. Unter munteren Reden durchmusterten sie ihre Waffen, prüften sorgfältig die Schärfe ihrer Pfeilspitzen und spannten, ihre Stärke zu messen, mit spielerischer Kraft den Bogen. Nur der junge Harland blieb teilnahmslos stumm und blickte mit einer Miene voll trüber, finsterer Starrheit in den Bach.

Als sie sich zum Weiterritt fertigmachten, brach plötzlich dicht vor ihnen eine fette Damgeiß aus dem Buschholz und lief dem dichteren Teil des Waldes zu. In demselben Augenblick hörten sie eine laute, klare Stimme: »Na, na, Lady! Niemand tut Euch etwas zuleide im Monat Mai. - Guten Tag, ihr Herren. Wohin wollt ihr?«



Überrascht erblickten jetzt die fünf Männer den, der sie angesprochen hatte. Wie aus dem Boden gewachsen stand vor ihnen auf der Straße ein stattlicher Waidmann. Wie er dahin gekommen, wußte keiner zu sagen, denn soeben noch war auf eine Viertelmeile weit nichts auf der Straße zu sehen gewesen, und weder Busch noch Baum schien in unmittelbarer Nähe groß genug zu sein, einen Mann zu verstecken.



Der Fremde war etwa fünf Fuß elf Zoll (Etwa 1,80 Meter) groß, aber nicht ungeschlacht. Obgleich seine Hand stark und sehnig war, war sie doch gut geformt und die Finger schlank. Sein Gesicht war ausdrucksvoll, die Stirn hoch und breit, die etwas über die Augen hervorstehenden Brauen gaben seinem sonst offenen und sanften Aussehen einen scharfen, adlerartigen Zug. Das Kinn war von einem kurzen, krausen Bart von hellbrauner Farbe bedeckt; die blauen Augen mit den dunklen Wimpern und der schalkhafte Zug um seinen Mund gaben ihm einen irgendwie fröhlichen Ausdruck, der jeden für ihn einnehmen mußte.

In seiner Tracht glich er den Waidmännern; auf dem Kopf saß eine kleine Samtmütze mit einem goldenen Knopf und einem Busch Schnepfenfedern an der Seite. Vorn am Gürtel trug er sein Schwert, überdies hing ihm an der Seite herab eine Tasche von Scharlachtuch, auf der ein mit Silber eingelegtes Jagdhorn lag.

Vor Überraschung gab keiner der fünf Reiter eine Antwort auf seine Frage.

»Was!« begann er wieder mit einem Lächeln. »So stumm, als hätte ich euch darüber betroffen, wie ihr den Bogen abdrücktet gegen des Königs Wild? Ich bitte euch, gute Herren, sagt mir, wer ihr seid und wohin ihr um Mittag durch den lustigen Sherwood reitet; denn ich kann euch nicht weiterziehen lassen, bevor ich es weiß.«

»Könnt uns nicht weiterziehen lassen?« rief jetzt Blawket, der sich als erster faßte. »Ihr müßt ein kecker Mann sein, das uns fünfen zu sagen!«

»Ich bin ein kecker Mann«, versetzte der Waidmann, einen Anklang von Schärfe in seine Stimme legend, »so keck wie Robin Hood. Ich erkläre euch noch einmal, daß ich es wissen muß.«

Blawket wollte gerade zu einer groben Antwort ansetzen, denn er hatte einen nicht kleinen Begriff von seiner Wichtigkeit und ein nicht geringes Vertrauen auf seine Kraft; da legte sich Ralph Harland ins Mittel und rief: »Halt Blawket! Das muß der Mann sein, den wir suchen. Ich habe sein Gesicht früher schon gesehen, dessen bin ich fast gewiß. Laßt mich mit ihm sprechen.«

»Hm, ja, sie zeigen sich allerdings in allen möglichen Gestalten. Einer von ihnen täuschte mich kürzlich erst als Bauer«, brummte Blawket, während Harland abstieg und sich dem Fremden näherte.

Er händigte ihm ein kleines Stückchen Pergament ein, das mit großen, deutlich lesbaren Schriftzügen bedeckt war, aber doch konnte den Sinn des Textes nicht jedermann verstehen. Die Worte lauteten: »Scathelock, Nummer eins, fünf, sieben, dem Manne vom Sherwood.« Dann kam das Zeichen eines Pfeiles, und dann die Worte: »Ein Freund, so gut wie mündlich. Helft, helft, helft!«

Das war alles, aber es schien den Waidmann völlig zu befriedigen; denn er drückte, kaum daß er einen Blick darauf geworfen, das Pergament in seiner Hand zusammen und sagte: »Ich dachte mir das! - Reitet noch eine halbe Meile und folgt dann dem Manne, den ihr an der Wegbiegung finden werdet. Sprecht nicht mit ihm, aber haltet, wo er hält, und nehmt euren Pferden das Gebiß aus dem Maul, denn sie müssen noch etwas fressen, ehe ihr ankommt. - Nun fort!« fügte er hinzu. »Verliert keine Zeit!«

Ralph Harland bestieg sein Pferd und ritt mit den übrigen weiter, während der Waidmann einen schmalen Pfad durch das Buschholz einschlug, der in den dichteren Wald führte. Sie verloren ihn bald aus dem Gesicht; aber als sie fast eine halbe Meile zurückgelegt hatten, hörten sie aus der Richtung, die er eingeschlagen, den Ton eines Hornes.

Nach wenigen Augenblicken gelangten sie an die bezeichnete Wegbiegung und erblickten einen Mann in der Tracht eines Müllers, der sich auf einen derben Stab stützte. Als er ihrer ansichtig wurde, wandte er sich um und schritt langsam vor ihnen her, ohne sich zu vergewissern, ob sie ihn bemerkt hatten. Harland ritt ihm als erster auf dem schmalen Pfad, den er einschlug, nach, und die übrigen folgten schweigend in langsamem Schritte.

So legten sie etwas über eine Meile zurück, mehr als einen Pfad kreuzend, die alle einander so ähnlich waren, daß das Auge sehr geübt sein mußte, um den Weg auf die Landstraße wiederzufinden.

Endlich langten sie an einem kleinen ausgehauenen Platz im Walde an, auf dem eine einfache Hütte stand.

Hier machte ihr Führer halt, wandte sich um und maß sie von Kopf bis Fuß, ohne ein Wort zu sprechen.

»Ha, Müller, ist das Eure Mühle?« fragte Blawket, der jetzt rasch heranritt.

»Ja«, antwortete der Fremde rauh, seinen Stock gegen den Yeoman schüttelnd. »Und das ist mein Mühlrad, das aus jedem die Kleie herausmalmen soll, der mir verfängliche Fragen vorlegt.«

»Bei meinem Leben, das möchte ich gern probieren!« schrie Blawket, von seinem Pferde springend.

»Ruhig!« rief Harland. »Ihr wißt doch, man verbot uns, mit ihm zu sprechen.«

»Und das war eine gute Warnung«, sagte der Müller ernst. »Ihr werdet bald jemand finden, mit dem ihr sprechen könnt. Dann sprecht mit ihm aber deutlich und vernünftig.« Darauf lehnte er sich, ein Lied vor sich hin summend, mit dem Rücken an die Rasenwand der Hütte und schwang seinen Stock zwischen dem Zeigefinger und dem Daumen, als wäre er bereit, die Stunden auf dem Kopf eines jeden schlagen zu lassen, der ihm zu nahe käme.

Es blieb jedoch ohnehin keine Zeit zu weiteren Fragen; denn plötzlich erschien hinter der Hütte der Waidmann, dem sie zuerst begegnet waren. Seine Miene war nicht mehr so heiter und frei wie zuvor. »Kommt, kommt, Meister Müller«, sagte er. »Ihr sollt mit Korn zu tun haben. Schafft etwas Hafer herbei für die Pferde dieser Männer, denn sie müssen rascher, als sie gekommen, zurückeilen.«

»Sie werden Hafer genug in der Hütte finden, Robin«, versetzte der andere. »Aber ich will doch Eurer Aufforderung gehorchen, obwohl ich ein widerspenstiger Köter bin.«

»Noch schneller zurückreiten, als wir hergeritten sind?« fragte Ralph Harland. »Dazu habe ich keine Neigung, wenn nicht...«

»Wenn ich Euch nicht triftige Gründe zeige«, unterbrach ihn der Waidmann. »Aber das zu tun, bin ich nicht gesonnen. Ihr selbst, Harland, sollt eine Zeitlang bei mir bleiben. Die anderen Männer können wieder zurück; denn wir bedürfen ihrer nicht. Sie mögen über Mansfield zurückreiten. Nur dort haben sie Aussicht, diejenigen zu treffen, die sie suchen.«

»Ich glaube, ich kenne Euch«, versetzte der junge Freisasse. »Und ich will Euch in jedem Falle vertrauen. Aber warum soll ich bleiben und nicht mit diesen gehen, wenn doch die Möglichkeit ist, die Leute, die wir suchen, auf der Straße von Mansfield zu treffen?«

»Weil die Wahrscheinlichkeit doch nur sehr gering ist, und weil es hier etwas für Euch zu tun gibt, was - so glaube ich - jetzt besser für Euch ist, als daß irgend etwas für Euch getan werde.« Sich an den Müller wendend, der einen Sack Hafer anschleppte, fuhr er fort: »Rasch! Schneidet den Sack mit Eurem Messer auf und laßt die Pferde fressen. Ich wünsche, daß die Männer schnell zurückgehen. -Yeoman! Ist Euer Name Blawket?«

»Jawohl, Meister Waidmann«, versetzte der Yeoman. »Was wollt Ihr von mir?«

»Ich habe von Euch durch Scathelock gehört und weiß, Ihr seid ein treuer Gesell. Ihr müßt mit einem Auftrag von mir zu Eurem Gebieter, Lord Monthermer, zurückkehren. Sagt ihm, daß ich ihn zwischen Bloodworth und Nurstead übermorgen nachmittag um drei Uhr treffen will. Sagt ihm, er möge seine ganze Gesellschaft mitbringen, denn ich habe Mitteilungen zu machen, die für alle von großer Wichtigkeit sind.«

»Sucht Euch einen andern Boten, guter Mann«, versetzte Blawket. »Mein Lord hat mich abgeschickt, um Richard Keen und Kate Greenly zu suchen, und mir befohlen, nicht zurückzukommen, ehe ich sie gefunden hätte.«

»Pah!« sagte der Waidmann. »Hab' ich Euch nicht gesagt, Ihr würdet sie, wenn überhaupt, dann nur auf der Straße nach Mansfield finden? Wenn Ihr sie dort nicht trefft, so haben sie Euch an der Nase herumgeführt und sind jetzt längst schon in Nottingham. Fort jetzt, Meister Blawket, ohne weitere Worte! - Gebt dem Mann einen Becher Wein, Müller; sein Magen ist sauer vom langen Fasten!«

»Ich weiß nicht«, murmelte Blawket, immer noch sich bedenkend, aber doch von dem befehlsgewohnten Ton des Waidmanns in seinem Selbstvertrauen erschüttert. »Aber von wem soll ich meinem Herrn die Botschaft ausrichten? Ich muß doch einen Namen nennen.«

»Nun, so sagt ihm«, versetzte der Gefragte mit halbem Lächeln, »es sei Robert von den Lees, der Euch schickt.«

»Sagt ihm doch gleich, es sei Robin Hood!« rief der Müller mit lautem Lachen.

»Sagt Robert von den Lees«, wiederholte der Waidmann. »Unter diesem Namen wird er mich kennen von Begegnungen in früheren Tagen. - Und hört!« fuhr er eindringlicher fort. »Daß ja gewiß der Graf von Ashby mit ihm kommt, und äußert kein Wort von dem, was dieser närrische Müller soeben gesagt hat!«

»Ich verstehe - ich verstehe!« rief Blawket mit völlig verwandeltem Benehmen. »Ich will Euren Auftrag unverzüglich ausrichten, Meister Robin von den Lees, aber dies Pferd frißt so verzweifelt langsam.«

»Es wird bald fertig sein«, sagte Robin Hood ruhig. »Gebt ihm den Wein, Müller.«

Eine große Kanne Wein, die aus der Hütte herbeigebracht worden war, ging herum; dann stiegen die vier Yeomen auf, und wieder schritt ihnen der Müller voran. Robin Hood blieb allein mit dem jungen Freisassen zurück.

Der Waidmann ging eine Zeitlang wortlos vor der Hütte auf und ab, blieb plötzlich stehen, ergriff des jungen Harlands Hand und sagte ernst: »Kommt, Harland, seid ein Mann!«

»Ihr habt böse Zeitung?« fragte der junge Freisasse, ihm unruhig ins Gesicht blickend. »Sagt es mir schnell! Ist der ärgste Schlag gefallen? Sind sie nicht auf der Straße nach Mansfield?«

»Es ist kaum wahrscheinlich«, sagte Robert von den Lees. »Ich glaube, sie sind schon vor zwei Stunden durchgekommen, und ...«

»Und was?« fragte Ralph in leisem, aber heftigem Tone.

»Und Richard de Ashby befindet sich in Nottingham, ihrer wartend.«

Ralph Harland bedeckte die Augen mit den Händen, während der stattliche Waidmann daneben stand, ihn voller Mitleid anschaute und murmelte: »Armer Junge!«

»Oh, Ihr könnt Euch nicht denken!« rief Ralph Harland, die Hände zu Fäusten ballend, »Ihr könnt Euch nicht denken, was es heißt, geliebt zu haben, wie ich geliebt habe, vertraut zu haben, wie ich vertraut habe, und dann erfahren zu müssen, daß sie am Ende nur ein leichtsinniges, schlechtes Mädchen ist. Ihres Vaters Haus freiwillig verlassen, fliehen mit einem nichtswürdigen Fremden -die verlobte Braut eines ehrlichen Mannes!«

»Es ist ein harter Fall!« sagte der Waidmann. »Ich bemitleide Euch tief; aber es gibt ein noch härteres Schicksal als das Eurige -das ihres Vaters, meine ich. Euch kann sie nichts mehr sein; denn sie hat das Band getrennt, das Euch verbunden hatte. Aber sie wird immer seine Tochter bleiben. - Es wäre gut, wenn wir sie von ihrem Verführer trennen könnten, Ralph, und sie der Obhut ihres Vaters zurückgeben. Das ist, fürchte ich, alles, was uns noch für sie zu tun übrigbleibt. - Hätte ich die Sache zwei Stunden früher so gewußt«, fuhr er fort, »Nase und Ohren von Richard de Ashby wären in diesem Augenblick an die Pfosten genagelt, wo die vier Straßen zusammenlaufen. Aber der Eilbote, den mir Scathelock gestern abend sandte, wurde jenseits der Abtei lahm, und ich erhielt die Nachricht erst eine Stunde, bevor Ihr kamt. Mittlerweile umging der Schuft heute morgen den Wald bei Southwell, so daß nun alles zu spät kommt. Die Zeit der Strafe für seine Verbrechen wird jedoch kommen, daran dürfen wir nicht zweifeln.«

»Aber wie können wir ihn strafen, wenn er in der Stadt Nottingham ist? Dort können wir ihn nicht einmal dazu bringen, das unglückliche Mädchen herauszugeben und sie ihrem Vater zurückzuschicken!«

»Wir selbst können das nicht, aber wir können es durch andere bewirken. Habt Ihr nicht die Botschaft gehört, die ich an den guten alten Lord von Monthermer bestellen ließ?«

Ralph Harland schlug enttäuscht die Augen nieder. »Wenn das Eure einzige Hoffnung ist, so ist alles nichtig«, sagte er. »Monthermer ist mit dem Grafen von Ashby verbunden durch eine gemeinsame Sache, und bei den großen Absichten und Plänen von solchen Herren werden die Gefühle und selbst die Rechte von uns geringeren Leuten nie beachtet. Der alte Graf, so gut er ist, wird mit Richard de Ashby nicht Streit anfangen um John Greenlys Tochter, damit daraus nicht eine Fehde zwischen ihm und dem andern Lord entstehe.«

Der Waidmann lächelte. »Ich habe auch den Grafen von Ashby gebeten. Vielleicht können wir bei dem etwas mehr ausrichten.«

Ralph Harland schüttelte den Kopf. »Schwerlich, bevor Ihr seinen Hals unter Euren Gurt gebeugt habt«, sagte er.

»Das ist vielleicht bis dahin geschehen«, entgegnete der Waidmann. »Ich meine«, fuhr er ernster fort, »ich werde vielleicht bis dahin im Besitz eines Mittels sein, das ihn nötigt, seine Macht dazu zu gebrauchen, dies leichtsinnige Mädchen in ihres Vaters Haus zurückzuschicken. Ihr selber müßt nun aber alles vernünftiger ansehen lernen. Ihr habt sie geliebt - sie hat sich falsch gezeigt. Vergeßt sie - sucht eine andere. Ihr werdet manche ebenso Schöne finden.«

»Ja, manche ebenso Schöne, aber nicht die, die meine erste Liebe besaß...«

»Das ist alles wahr«, sagte Robert von den Lees geduldig. »Aber wie der Frühling das Obst bringt und der Herbst das Korn, so hat jede Periode des menschlichen Daseins ihr Gutes und Schlimmes. Ich habe es immer so gefunden, von der Kindheit an bis auf diesen Tag, achtunddreißig Jahre lang. Und Ihr werdet es ebenso finden.«

»Was den Grafen von Ashby betrifft«, sagte der junge Harland, wenig getröstet, »womit könntet Ihr Euch Macht über ihn verschaffen?«

»Werft den Zügel Eures Rosses über Euern Arm«, versetzte der Waidmann, »und kommt mit mir. Ich will Euch bald mehr erzählen. Ihr bedürft erst einmal der Ruhe. Vor morgen kann ohnehin nichts geschehen; so haben wir Zeit genug, die Mittel zu besprechen und den Plan in Ordnung zu bringen.«

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