XL

»DER GRAF VON ASHBY, mein guter Lord, wünscht mit Euch zu sprechen«, meldete Thomas Blawket dem am Tisch schreibenden Hugh de Monthermer.

»Laßt ihn sogleich eintreten«, sagte Hugh. »Ist er allein?«

»Ganz allein, mein Lord«, antwortete Blawket und ging hinaus.

Die Aufwallung von Zorn, der sich Alured, gereizt durch seines Vetters Besuch, hingegeben hatte, war verschwunden, und er trat jetzt ernst, aber mit edlen Gefühlen in das Zimmer Hugh de Monthermers. Als er durch das Vorzimmer schritt, wo ein Page und einige Yeomen saßen, sah er sich um. Hugh de Monthermer, die Bedeutung dieses Blickes erratend, hieß Blawket, der Alured hereinführte, das äußere Zimmer zu räumen, so daß niemand ihr Gespräch hören könnte.

Alured trat sofort auf seinen Gegner zu und bot ihm die Hand. Hugh ergriff sie und drückte sie fest. Dann setzten sie sich einander gegenüber.

»Monthermer«, begann Alured de Ashby, »ich kann Euch morgen auf dem Kampfplatz nicht entgegentreten, was doch notwendig geschehen muß infolge meiner eigenen Übereilung, ohne Euch einige Worte zur Reinigung meines Gewissens und Erleichterung meines Herzens zu sagen. Als ich meine Anklage erhob, hatten mich tückische Männer verführt, Euch für schuldig zu halten. Seither jedoch haben Vernunft, Nachdenken und einige zufällige Entdeckungen mich dies bezweifeln gemacht.«

»Nur bezweifeln?« rief Hugh de Monthermer vorwurfsvoll.

»Nun wohl«, sagte Alured, »mich glauben gemacht, daß die Anklage falsch ist. Genügt Euch das?«

»Es muß«, versetzte Hugh de Monthermer. »Und so muß ich also annehmen, daß es allein die Furcht vor eitlem Spott ist, was Euch das Schwert ziehen macht gegen einen Freund; was Euch bewegt, zu bestehen auf - aber ich will keinen Ausdrude gebrauchen, der Euch wehe tun kann -, was Euch veranlaßt, Euer und mein Leben, das Glück Eurer Schwester und Eure eigne Gemütsruhe aufs Spiel zu setzen. Das alles aus Scheu vor nichtigem Hohn?«

»So ist es, Monthermer, so ist es!« sagte Alured de Ashby in traurigem, aber entschlossenem Ton. »Ich weiß alles, worauf Ihr Euch berufen könnt. Dennoch ist es unmöglich, daß ich, nachdem ich Euch zum Kampf gefordert, irgend etwas zurücknehme, ohne mir den Vorwurf der Feigheit zuzuziehen, der nie auf meinem Namen haften darf.«

Hugh stand von seinem Sitz auf und schritt zweimal die Länge des Zimmers ab. Dann schüttelte er mit einem bekümmerten, schmerzlichen Ausdrude den Kopf und sagte: »Ashby, Ihr habt unrecht! Aber ich darf kein Wort sagen, Euren Entschluß zu erschüttern. Wie Ihr es für das beste haltet, so müßt Ihr handeln. Ich betrete den Kampfplatz frei von Unrecht, betrübt, daß ich gezwungen bin, das Schwert zu ziehen gegen einen Mann, dem ich gern mit Freundschaft begegnen würde; bitter betrübt, daß, ob ich nun lebe oder sterbe, eine unverdiente Anklage Kummer über mich bringt. Aber, wie gesagt, ich will Euch nicht mit Gründen bestürmen, Euer Vorhaben zu ändern. Nur glaubt mir, Alured, daß mir der Gedanke, Euren Vater durch Wort und Tat zu verletzen, nie kommen konnte, daß ich an seinem Tode völlig unschuldig bin.«

»Ich glaube Euch, gewiß, ich glaube Euch«, sagte der junge Graf gequält.

»Gut denn«, fuhr Hugh fort. »Ich habe Euch einen Auftrag zu geben, Alured. Kein Mensch kann den Ausgang eines solchen Kampfes vorhersagen. Ich reite niedergedrückt von Sorge und Kummer in die Schranken; Eurer Schwester Liebe stumpft meine Lanze und überzieht mein Schwert mit Rost; Widerwille und Abscheu vor dem Kampf lasten schwer auf meinem Arm, und es ist möglich, daß ich, obgleich meine Sache die gerechte, die Eurige die schlechte ist, doch falle und Ihr Sieger bleibt. Wenn dies ist, so seid Ihr mir eine Pflicht der Gerechtigkeit schuldig, und ich fordere Euch auf, sie zu leisten und zu erfüllen: Verkündet mit Eurer eignen Stimme die Unschuld des Mannes, den Ihr erschlagen, sucht alle Beweise hervor, um zu zeigen, daß er nicht schuldig gewesen - und liefert die Mörder auf den Block, solltet Ihr sie auch in Eurem eigenen Hause finden!«

Alured bedeckte stumm die Augen mit der Hand; dann aber schaute er wieder auf und sagte: »Nein, nein! Ich werde fallen, Monthermer. Mein Tod durch Eure Lanze wird Euch von der Anklage reinigen, die ich gegen Euch erhoben, und Euch wird die Pflicht zufallen, die Mörder meines Vaters zu suchen und zu strafen.«

»Und Eure Schwester?« fragte Hugh de Monthermer.

»Ich habe sie gesehen und ihr meinen Willen erklärt. Hiervon nichts weiter. Nur vergeßt nicht, Monthermer, daß, wenn ich morgen Gott zum Zeugen anrufe, daß meine Sache gerecht ist, die Sache, die ich meine, nicht meine Anklage gegen Euch ist, sondern die Verteidigung meiner Ehre gegen den gehässigen Verdacht der Welt.«

Hugh sah ihn mit einem schmerzlichen Lächeln an. »Ach, Alured!« sagte er. »Ich fürchte, der Himmel wird diese Unterscheidung nicht sehen! Aber wenn es sein muß, sei es so! Und doch ist es höchst seltsam, daß zwei Männer, höchst ungeneigt, einander Leid und Unrecht zuzufügen, durch ein hastiges Wort verurteilt sein sollen, sich gegen ihr Gewissen hinzuschlachten!«

»Ja, so geht es in der Welt, Hugh«, sagte der Graf bekümmert. »Wir müssen eben unsere Pflicht tun als Ritter.«

Hugh de Monthermer dachte an die wahren Pflichten des Rittertums, und er konnte nicht umhin, zu denken, der bloße Name und Schein der Ehre gelte hier für wichtiger. Er äußerte darüber jedoch nichts; denn er wußte, daß Vorwürfe Alured nur reizen, nicht umstimmen würden. So sagte er nur: »Es ist mir schmerzlich, daß Ihr so gesinnt seid. Aber da Ihr dies alles veranlaßt habt, muß auch alles Euch anheimgestellt bleiben. Ich kann nur meine Unschuld verteidigen, so gut es mir möglich ist.«

Der Ton, in dem der junge Ritter sprach, seine Ruhe, Freundlichkeit und Zurückhaltung von aller Prahlerei rührten Alured de Ashbys Herz tief, und Hugh de Monthermers Hand in der seinigen pressend, sagte er: »Lebt wohl! Ich halte Euch für unschuldig von Grund meiner Seele, Monthermer, und wollte meine rechte Hand darum geben, daß einer von uns beiden heute nacht hundert Meilen weit von hier weg wäre!«

Mit diesen Worten verließ er das Zimmer und kehrte in seine Wohnung zurück. Er hatte durch den Besuch bei seinem Gegner jenen besseren Gefühlen zu genügen gedacht, die unter dem Druck dunkler und schrecklicher Umstände in seinem Herzen aufgestiegen waren; er hatte seine Brust zu erleichtern gehofft von der Last, die darauf lag. Aber das Ergebnis war ein ganz anderes: Die Bitterkeit in seinem Herzen war verdoppelt; Kummer, Scham, Bangigkeit waren gesteigert, kein Wort und keine Miene des von ihm so schwer Gekränkten hatten ihm Veranlassung gegeben, das Gefühl der schmerzlichen Wehmut und Reue mit dem des Unmuts und Zorns zu vertauschen. Er fühlte sein Herz wild pochen, seine Augen brannten, der Kopf schmerzte ihn, und ehe er durch die Tür schritt, die in sein Zimmer führte, öffnete er sein Wams und ging einige Male im Schloßhof auf und ab.

Er wollte eben hineingehen, als eine andere Gestalt, von der Seite her kommend, wo seine Zimmer lagen, sich ihm näherte und ihm gleichsam den Weg vertrat. Es war Guy de Margan.

»Ich wünsche Euch guten Abend, mein Lord«, sagte er. »Ich wartete in Eurem Zimmer ...«

»Gute Nacht«, fiel ihm Alured in die Rede und wollte an ihm vorbei.

»Bitte, was hat es denn mit Eurem Vetter Richard gegeben?« fragte Margan, der sich nicht abweisen lassen wollte. »Ich begegnete ihm vorhin, als er wie ein Wahnsinniger durchs Tor rannte.«

»Ich weiß nicht, Sir«, versetzte Alured ungeduldig. Aber er besann sich und fuhr fort: »Es fällt mir eben ein, Sir Guy, daß ich mit dir sprechen wollte. Du bist ein Freund Richard de Ashbys gewesen?«

»Nun und, mein Lord?« rief Guy de Margan herausfordernd.

»Du hast ihn mit allen deinen Kräften dabei unterstützt, das Verbrechen der Ermordung meines Vaters auf Hugh de Monthermer zu wälzen!« sagte der Graf und schwieg dann, als erwarte er eine Antwort.

Es erfolgte keine, und er fuhr drohend fort: »Die Ankläger können über kurz oder lang die Angeklagten werden - daher nimm dich in acht! Nimm dich in acht!« Dann wandte er sich hastig nach seiner Wohnung.

Guy de Margan blieb einen Augenblick wie erstarrt stehen. Dann rannte er Alured de Ashby nach und rief: »Mein Lord! Wollt Ihr mich beschuldigen, daß ich Anteil habe an Eures Vaters Tod? Dann verlange ich allerdings, daß Ihr diese Anklage öffentlich vor dem König erhebt. Wenn es dem Grafen von Ashby behebt, erst Hugh de Monthermer und dann mich anzuklagen, so will ich Untersuchung verlangen vor meinen Peers, die Euch nötigen werden, Eure Worte zu beweisen!«

»Aus meinem Wege, du Wurm!« schrie der Graf erbost. »Aus meinem Wege, oder ich zertrete dir den Kopf und zermalme dich wie eine giftige Schlange! Wer hat dich angeklagt? Ich nicht!«

»Ich dachte, der Graf von Ashby suche vielleicht dem Kampf mit seinem Gegner auszuweichen«, sagte Guy de Margan, ein paar Schritte zurücktretend, »und er wünscht das vielleicht auf meine Kosten zu tun. Hugh de Monthermer ist ein berühmter Ritter und ein Feind, dem man nicht gern im Kampf auf Leben und Tod begegnet.«

Alured fühlte nach dem Knauf seines Schwertes, aber er hatte es auf dem Tisch zurückgelassen, und plötzlich auf Guy de Margan losspringend, packte er ihn am Hals und schleuderte ihn mit furchtbarer Gewalt rücklings auf das Pflaster.

Betäubt lag Guy de Margan regungslos da, und Alured schrie: »Lieg da, du Fuchs!« Dann schritt er seiner Wohnung zu. Er durchquerte hastig das Vorgemach und blieb in seinem Zimmer in tiefen Gedanken neben dem Tisch stehen.

»Eine Bande von Schelmen und Schurken!« murmelte er schließlich vor sich hin, füllte den Achatbecher bis zum Rande mit Wein, hob ihn an die Lippen und leerte ihn bis auf die Neige.



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