XXIII

IN DER GROSSEN, prächtigen Halle des Palastes von Eltham, der wie viele andere Bauwerke noch heute Zeugnis ablegt von der großartigen Architektur des Mittelalters, begann etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang ein Bankett von ausschweifender Üppigkeit. Die Tafel stöhnte unter der Masse von köstlichem Silbergeschirr -viele der Becher und Schüsseln erglänzten von Brillanten, und ein ungeheurer Smaragd, von Wachskerzen umgeben, zierte die Mitte des Tisches. Die Kleider der Gäste leuchteten in lebhaften Farben, und Gold und köstliche Edelsteine sah man nicht allein als Schmuck bei dem schönen Geschlecht funkeln, sondern auch an den Kleidern der Männer.

Obgleich die Anzahl der Gäste sich nur auf siebzig belief, betrug die Zahl der Diener, Vorschneider, Schenken, Keller- und Hausmeister nicht weniger als zweihundert, nicht gerechnet die Harfner, die Trompeter und die Sänger.

Das Bankett war so angeordnet, daß für zwei Personen nur je ein großer silberner Teller vorhanden war. Aber da die Zahl der männlichen und weiblichen Gäste gleich war, gab dies gerade Gelegenheit zur Entfaltung einer höfischen Galanterie; denn jeder Gentleman legte seiner schönen Gesellschafterin die Speisen vor und trug Sorge, daß sie mit allem, was sie wünschte, versehen wurde. Hierbei bot sich oft Gelegenheit für viele kleine Zeichen und Beweise ritterlicher Liebe. Aber von all den Herzen am Tisch pochte keines in höherer Freude als die von Hugh de Monthermer und Lucy de Ashby, wie sie nebeneinander sitzend, aus einem Becher tranken.

Sie waren in der Tat glücklich, daß sie diese Stunden miteinander verbringen konnten nach einer so langen Trennung. Aber wenn irgend etwas noch Lucys Freude hätte erhöhen können, so wären es die Worte gewesen, mit denen ihn Edward an diesem Abend dem König vorgestellt hatte.

»Laßt mich Euch bitten, Sire«, hatte er gesagt, »Eure Gunst dem Freunde meiner Jugend zuzuwenden, der, obwohl einige Zeit von mir getrennt durch unglückliche Fehden, die jetzt für immer zu Ende sind, in einer Zeit der Not unser früheres vertrautes Verhältnis nicht vergaß.«

»Sein Haus hat keine große Zuneigung für unseren Thron an den Tag gelegt«, versetzte der König, Hugh de Monthermer kalt ansehend. »Aber wir heißen ihn willkommen, Euretwegen, Edward.«

»Tut mehr, mein Lord«, antwortete der Prinz, »denn solange ich Gefangener de Montforts war, sprach er immer für meine Freilassung. Als ich dann entfloh, und er hätte mich aufhalten können, wünschte er mir Glück auf meinem Weg.«

»Dann heißen wir ihn um seiner selbst willen willkommen«, versetzte der König mit mehr Wärme und bot ihm die Hand.

Hugh beugte schweigend sein Haupt darüber und zog sich zurück.

Die Lustbarkeit war einigermaßen verrauscht, die Lichter waren etwas trübe geworden und die Kerzen herabgebrannt, als Lucy, ein lautes Gespräch und Getöse in ihrer Nähe benützend, leise zu Hugh sagte: »Ich habe Euch vieles zu sagen, Hugh! Sachen von großer Wichtigkeit!«

»Könnt Ihr es nicht jetzt tun?« fragte der Liebende.

»Ich wage es nicht«, flüsterte Lucy. »Und doch wünschte ich sehr, daß es bald geschähe.«

Hugh schaute sich um. »Dieses Gelage kann nicht mehr lange dauern«, sagte er. »Wenigstens werden die Damen nicht mehr lange bleiben, Lucy. Und ich kann meine kürzlich erhaltenen Wunden zur Ausrede nehmen, um den Tisch früher als die übrigen zu verlassen. Wenn wir uns nur irgendwo treffen könnten.«

Lucy schaute zu Boden, und das Blut stieg ihr in die Wangen bei dem Gedanken an eine heimliche Zusammenkunft mit dem Mann, den sie liebte.

»Ich werde es der Prinzessin sagen«, antwortete sie schließlich, »und sie um Rat und Beistand bitten; denn sie ist so wohlwollend und klug wie kaum ein anderes Weib. Aber was ich zu sagen habe, darf niemand hören außer Euch.«

»Es läuft ein Kreuzgang direkt unter den Zimmern der Prinzessin hin«, versetzte Hugh, sich vorsichtig umschauend. »Dahin will ich gehen, Lucy, sobald ich mich wegstehlen kann, und warten, bis alle Hoffnung, Euch zu sehen, verschwunden ist. Kommt, wenn Ihr könnt! Ihr wißt, Ihr dürft mir vertrauen.«

»Ich will kommen, Hugh«, versetzte Lucy ebenso leise.

Nachdem die Prinzessin vom Tisch aufgestanden war, verließen alle anwesenden Damen mit ihr die Halle. Draußen legte Eleonore ihre Hand sanft auf Lucys Arm und sagte: »Kommt mit mir, ich möchte gern mit Euch sprechen.« Dann schritt sie Lucy voran, ihrem Zimmer zu. Dort bat sie Lucy, Platz zu nehmen, und entließ ihre Dienerinnen. Lucy setzte sich auf einen Schemel zu den Füßen der Prinzessin, bemüht, die Ungeduld zu verbergen, die sich lebhaft in ihrem Herzen regte.

Eleonore sah sie mit einem wohlwollenden, aber nachdenklichen Lächeln an und sagte nach einer kleinen Pause: »Liebt Ihr sehr, mein teure Lucy de Ashby? - Nein, errötet nicht, schlagt nicht die Augen nieder, als ob Ihr dächtet, ich könne daran zweifeln, nachdem Ihr mir gesagt, daß es so ist.«

»Nein«, rief Lucy beunruhigt, »so deutlich denn doch nicht!«

»Deutlich genug, daß ich es verstand«, versetzte die Prinzessin. »Edward hat mir zudem schon früher davon gesagt, und ich versprach ihm, Euch zu fragen, ob Ihr wißt, was Ihr tut.«

Lucy schaute erstaunt auf und antwortete: »Recht gut, teure Lady.«

»Ich hoffe es«, erwiderte Eleonore; »denn mich dünkt, ich sehe hier Schwierigkeiten - mehr vielleicht, als Ihr ahnt. Ihr liebt ihn, das ist klar. Aber liebt er Euch auch, dieser junge gefangene Lord?«

»Ich bin dessen gewiß, Lady«, antwortete Lucy ernst.

»Dann habt Ihr ohne Zweifel schon darüber gesprochen - seid einander verpfändet und verlobt?«

Das Mädchen erblaßte etwas vor Unentschlossenheit und Zweifel. Die Prinzessin sagte deshalb rasch: »Nein, ich will Euer Vertrauen nicht erzwingen. Ich möchte Euch gern helfen, aber das Vertrauen muß, wie die Gnade, frei sein, Lucy, nicht abgepreßt. Obgleich Euer Geheimnis bei mir so sicher wäre wie in Eurer eignen Brust, will ich nicht in Euch dringen.«

Lucy verbarg ihr Gesiebt an den Knien der Prinzessin und sagte: »Mein Vertrauen soll frei und ohne Rückhalt sein! Ja, wir sind einander verpfändet durch jede Zusage, die Herzen binden kann, ausgenommen die letzte vor dem Altar. Und jetzt, nachdem ich Euch soviel gesagt, will ich Euch alles sagen«, fuhr sie aufblickend fort. »In diesem Augenblick erwartet er mich in dem Kreuzgang unten!«

»Wie?« rief Eleonore mit einem Ausdruck von Überraschung und Mißbilligung in der Stimme.

Lucy erriet ihre Gedanken und versetzte stolz: »Ihr mißversteht mich, teure Lady; denn Ihr wißt nicht, welcher Zweck mich zu diesem Schritt veranlaßt hat.«

»Mit ihm zu fliehen vielleicht?« fragte Eleonore.

»O nein!« antwortete Lucy. »Solange mein Vater lebt, werde ich mich nie ohne seinen Segen vermählen. Auch dürft Ihr nicht glauben, daß ich dem Mann meiner Liebe, nur um ihn aufzuheitern und zu trösten, eine Stunde meiner Gesellschaft, und zwar allein, bewilligen wollte. Ich weiß, ich darf Euch sagen, Lady, warum ich gehe, und Ihr werdet es weder weitersagen noch mir weitere Fragen vorlegen. Ich habe eine Botschaft an ihn zu bestellen von jemand, den er liebt und um den er in Sorge ist. - Obgleich nichts Verräterisches daran ist, Lady«, fuhr sie mit einem Lächeln fort, »darf ich die Bestellung doch keinem anderen überlassen.«

Eleonore beugte sich nieder und küßte sie auf die Stirn. »Geht, hebe Lucy«, sagte sie. »Ich gebe Euch Urlaub. Er soll nicht meinetwegen zu lange auf Euch warten.«

Lucy küßte der Prinzessin Hand, und nachdem sie sich nach dem Weg erkundigt hatte, verließ sie das Zimmer und stieg die schmale Treppe hinab, die ihr Eleonore bezeichnet hatte. Immer im Kreis hinabsteigend, bis ihr beinahe schwindlig wurde, und sich fest an der Säule haltend, um die sich die schmalen Stufen herumwanden, erreichte sie endlich das kleine gewölbte Tor, das in den Kreuzgang führte und wie gewöhnlich offenstand.

Vor ihr lag der weite Park im Mondlicht, das auch in den Kreuzgang eindrang und den Boden mit Silber bestreute, während über die schimmernden Steine die dunklen Schatten der schönen normannischen Bögen fielen. Lucy vernahm den Laut von Schritten und erkannte sofort den wohlbekannten Tritt Hugh de Monthermers.

Sie blieb jedoch noch unter dem Schatten des Tores stehen, um ganz sicher zu sein. Aber gleich darauf sah sie die schlanke Gestalt Hughs näher kommen. Die Arme hielt er über der Brust verschränkt und die Augen auf den Boden geheftet, als wäre er gefaßt, längere Zeit Schildwacht stehen zu müssen.

Lucy eilte auf ihn zu, und es war für Hugh nicht leicht, Worte zu finden, um seine Dankbarkeit und Freude über ihre Gegenwart auszudrücken. Obgleich sie entschlossen gewesen war, die ihr aufgetragene Botschaft sofort zu bestellen und dann so schleunig wie möglich zu der Prinzessin zurückzukehren, verging doch eine halbe Stunde über ihrem zärtlichen Geplauder, ehe Lucy sich an den Zweck ihres Kommens erinnerte.

»Ich hatte vergessen, Hugh«, rief sie, ihre Hand aus der seinigen lösend, »daß die Prinzessin mich bald wieder zurückerwartet. Dabei habe ich Euch soviel Wichtiges zu sagen, was noch nicht gesagt ist. -Wir sind, seit ich Euch zuletzt gesehen, in Nottingham gewesen; denn sie schickten mich nach Lindwell, solange das Heer in Worcester lag. Nach jener verhängnisvollen Schlacht bei Evesham, während der ich vor Angst und Bangigkeit beinahe gestorben wäre, da ich einen Bruder, einen Vater und einen Gehebten dort wußte, und zwar auf entgegengesetzten Seiten fechtend, pflegte ich begierig auf Nachrichten zu horchen und selbst die geringfügigsten Gerüchte aufzuhaschen. Von Euch jedoch und Eurem Oheim konnte ich nichts erfahren, bis ich eines Tages in der Nähe des Schlosses allein unter dem Schatten einer Eiche saß. Plötzlich hörte ich es über mir rascheln, und im Augenblick darauf kam an den Zweigen herab der sonderbare Knabe, den uns Robin Hood als Begleiter aus dem Wald mitgegeben hatte. Zuerst war ich erschrocken und wollte in das Schloß laufen. Aber dann fragte ich ihn nach seinem Begehren. Er erzählte mir mehr, als ich je zuvor erfahren hatte: daß die Schlacht sich gegen die englische Partei entschieden habe, daß Hugh de Monthermer verwundet und gefangen sei, daß ich binnen kurzem zu meinem Vater nach Derby würde berufen werden, um mit ihm nach London zu gehen. - ,Und jetzt', sagte der Zwerg wörtlich, ,soll ich Euch mit einer Botschaft beauftragen; denn früher oder später werdet Ihr den jungen Lord Hugh de Monthermer treffen. Sagt ihm, daß sein Oheim lebt und von seinen Wunden beinahe genesen ist. Aber da er weiß, daß sein Leben verwirkt ist, darf er sich nicht zeigen. Ein Gerücht geht, daß er nach Frankreich entflohen sei. Dem ist aber nicht so. Er befindet sich in diesem Augenblick unter den Bäumen des Sherwood und würde dort gern im geheimen seinen Neffen sehen. Dies sagt ihm, wenn kein Ohr in der Nähe ist; denn das Leben von mehr als einem guten und treuen Mann hängt von Eurer Vorsicht ab.' - Dies, lieber Hugh, war die Botschaft, und ich übernahm es gern, sie auszurichten, obwohl ich nicht wußte, wann mir die Bestellung möglich sein würde. Aber ich habe eine Bitte, Hugh, die Ihr Lucy de Ashby nicht abschlagen dürft, wenn Ihr ein echter Ritter seid!«

»Sprecht«, versetzte er. »Wenn es sich mit meiner Ehre verträgt, will ich sie erfüllen.«

»Es ist nur das Versprechen, keinen Anteil mehr zu nehmen an den geheimen Verschwörungen gegen den Thron. Die Sache ist verloren, Hugh, obwohl sie gut war. Und wenn Hugh de Monthermer sich noch weiter damit befaßt, wird er Verderben über sich selbst und Elend über Lucy de Ashby bringen. Versprecht mir um meinetwillen, von aller ferneren Teilnahme an einem Unternehmen abzustehen, das hoffnungslos ist.«

»Ihr müßt eine andere Gunst von mir verlangen, Lucy«, sagte Hugh finster.

»Was, Ihr wollt nicht meine erste Bitte gewähren?« rief Lucy rasch.

»Doch«, antwortete der Geliebte. »Ich habe schon mir selbst das Versprechen gegeben, nie mehr die Waffen gegen Edward Plantagenet zu tragen, sofern er die Rechte des Volkes gegen Heinrichs Tyrannei verteidigt.«

Sie waren so in ihre Unterhaltung vertieft gewesen, daß sie nicht bemerkt hatten, wie einige Gestalten um die entferntere Ecke des Palastes herumgekommen waren, die ihn und Lucy mit lachenden, aber boshaften Mienen beobachteten.

In dem Augenblick jedoch, da Hugh de Monthermer und Lucy de Ashby am südlichen Ende des Ganges stehenblieben, sagte eine Stimme leise, aber deutlich, als wenn die redende Person ganz nahe bei ihnen stünde: »Ihr werdet beobachtet! Geht zurück, oder man wird Euch überraschen!«

Hughs erster Gedanke war, vorzuspringen, um zu entdecken, wer gesprochen hatte. Aber Lucy, erschrocken schon bei dem bloßen Gedanken, hier von einem der zügellosen Günstlinge Heinrichs getroffen zu werden, wandte sich hastig und rief: »Laßt mich fliehen, Hugh! Lebt wohl!« Und den Kreuzgang entlanghastend mit der Schnelligkeit eines gejagten Rehes, eilte sie nach der Tür, die zu der Treppe führte.


Hugh de Monthermer folgte ihr etwas langsamer. Aber als Lucy nur noch wenige Schritte von der Tür entfernt war, kamen vier Männer hinter den Pfeilern hervor und traten ihr mit spöttischem Gelächter entgegen. Mit einem Satz sprang Hugh de Monthermer vor und war an Lucys Seite, ehe die Höflinge sie erreicht hatten.

»Hallo! Hallo!« rief einer. »Wir haben das Wild aufgestöbert!«

»Macht es nieder - macht es nieder!« schrie ein anderer. Und ein dritter, der sichtlich mehr Wein als Witz führte, fügte noch beleidigendere Worte hinzu.

Die Liebenden waren unmittelbar vor der Tür, als einer der Nachtschwärmer sich ihnen in den Weg stellte, als wolle er den beiden den Durchgang verwehren.



»Tretet zurück, Sir Guy de Margan!« schrie Hugh de Monthermer drohend. »Tretet zurück, sage ich!«

Aber als er sah, daß der andere, statt seinen Worten Folge zu leisten, die Arme weit ausbreitete, um Lucy im Vorbeigehen zu haschen, versetzte er ihm mit der geballten Faust einen Schlag, der ihn auf das Pflaster streckte.

Lucy hatte jetzt die Tür erreicht und hastete die Wendeltreppe hinauf. Hugh de Monthermer aber schritt langsam an den Männern vorüber, die ihn zwar mit gerunzelten Stirnen betrachteten, aber ungehindert passieren ließen. Als er vor der Tür angekommen war, die zu seinem Zimmer führte, hörte er ein lautes Gelächter, das offenbar als Reaktion auf den Zorn folgte, den der von ihm ausgeteilte Streich zuerst hervorgerufen hatte.

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