EIN MÄDCHEN BRAUCHT EIN BRAUTKLEID

VIER TAGEREISEN VON ROM ENTFERNT, NICHT weit von der Grenze des Königreiches Neapel, lag das Dorf Rocca Secca. Dicht an den felsigen Hang geschmiegt, schauten seine Häuser auf die alte römische Heerstraße hinab. In diesem Dorf war die Armut zu Hause; sie ging in armseligen Kleidern einher, die Schöne und Häßliche, Kinder und Greise bedeckten, sie lief auf nackten Füßen über den steinigen Boden und trug zur Frühlingszeit rote Blumen im Haar.

Der Olivenhain am sonnigen Hang, der Brunnen im schattigen Talgrund, die Äcker und Wiesen, die Hasen auf den Feldern und die Forellen im Bach gehörten dem Herrn. Die Steine, der Wind, die Sonne und die Luft zum Atmen gehörten den Bauern. Sie lebten etwas besser als die umherstreunenden Hunde. So hatte Gott es eingerichtet. Stolz ragte der schlanke Kirchturm über die Hütten, der junge Pfarrer trug ein abgeschabtes Gewand und hatte ein bleiches Gesicht mit leidenschaftlichen, gerechten Augen. Und wenn eine Hochzeit war, läuteten die Glocken.

Isabella und Alberto wollten heiraten. Alberto ging zum Herrn und fragte, ob er die Erlaubnis dazu gäbe. Der Herr gab die Erlaubnis; denn er wollte seinen Bauern zeigen, wie großmütig und edel er wäre. Als Alberto aber die Bitte aussprach, daß der Herr ihm die Abgaben für dieses Jahr ermäßigen möge, damit er seiner Isabella ein Brautkleid kaufen könne, geriet er in Wut und ließ den jungen Bauern mit den Hunden von seinem Hof jagen. Die Hunde fügten ihm kein Leid zu; denn Alberto hatte einen Blick, der sie im Sprung noch bannte.

So hatte Alberto nun die Erlaubnis zum Heiraten, aber er wußte nicht, woher er ein Brautkleid für Isabella bekommen könne.

Am Sonntag ging er nach der Messe mit Isabella zum Pfarrer, der im Schatten des Kirchgartens in einem verfallenen Hause wohnte und nur wenig besser als die Bauern lebte. Hand in Hand traten sie vor ihn hin und sagten, daß sie gern heiraten wollten, aber nicht viel mehr besäßen, als sie gerade auf dem Leibe trügen. Isabella schlug die Augen nieder, weil sie sich ihrer nackten braunen Füße schämte. Und Alberto erzählte dem Pfarrer, wie es ihm bei dem Herrn ergangen wäre. Er hatte Vertrauen zu den gerechten Augen.

Flammende Röte überzog das bleiche Gesicht des Pfarrers. Er hob wie segnend die Hände und sagte: «Die Herren prassen, und die Armen darben. Aber geht nach Hause, euch wird geholfen werden.»

Gleichen Tages noch warf er sich die Soutane um und ging in die Berge.

«Gott verzeih mir!» murmelte er, «aber ich muß ihnen helfen, ich kann nicht anders. Hast du, o Herr, mich nicht als ihren Hirten bestellt?»

Die Eltern des Pfarrers, Bauern in dem Nachbardorf auf halber Höhe des Berges, empfingen ihren gelehrten Sohn mit demütiger Freude und wiesen ihm, weil es sein fester Wille war, nach einigen Seufzern den Weg zu Angiolino, dem König der Felder.

Der Pfarrer schritt den gleichen Pfad, den vor Monaten Paolo als Gefangener gegangen war. Die Felsenmauern warfen die Sonnenhitze in die Schluchten; Sonnenstrahlen beleuchteten grell die Adern und Sprünge in den Steinen. Das bleiche Gesicht des immer höher steigenden, einsamen Wanderers rötete sich von der Anstrengung; die schwarze Soutane blieb an einem Vorsprung hängen und zerriß. Er zog das störende Kleidungsstück aus und warf es über die Schulter.

Als er auf das Dorf hinabblickte, das sich in seiner armen, wilden Schönheit in den Schoß der steinigen Erde duckte, sah er auf der Straße den Vater und die Mutter stehen, die seinen Weg angstvoll verfolgten. Er winkte ihnen, und sie winkten zurück. Die Stimme in seinem Innern, die sein Herz glühend und seinen Sinn gerecht machte, trieb ihn weiter. Ohne Furcht trat er den beiden Posten entgegen, die ihm die Pike auf die Brust setzten und nach seinem Begehr fragten.

«Bringt mich zu Angiolino, dem König der Felder!» sagte er.

«Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von ihm?»

«Ihr seht, wer ich bin.» Er hielt den beiden seine Soutane hin. «Und was ich begehre, werde ich Eurem Anführer selbst sagen.»

Die Wachposten sahen sich an und wußten nicht, was sie denken sollten über diesen ungewöhnlichen Besuch. Wohl kamen öfter Bauern aus der Umgebung zu ihnen, um wichtige Nachrichten zu bringen oder Wünsche auszusprechen. Ein Pfarrer aber? Sie flüsterten miteinander.

«Setzt Euch hier in die Felsennische, Hochwürden, ruht Euch aus vom Aufstieg», sagte der Hagere mit dem harten, wettergegerbten Bauerngesicht, «Dimitro wird Eure Ankunft melden.»

Der Pfarrer ließ sich auf das Strohlager im Schatten der Steine nieder. «Sag ihm, daß mein Begehren keinen Aufschub duldet!» rief er dem Weggehenden nach.

Angiolino und Paolo saßen am Rand des Felsens und ließen die Beine herunterhängen. Zehn Schritte entfernt brauste der Wasserfall in die Tiefe, hinter ihnen weideten Maultiere und Pferde, vor ihnen ragten die Felsen auf, grau, heiß, uralt. Paolo erzählte dem König der Felder von Venedig. Angiolino hörte die Sehnsucht in den Worten.

«Du möchtest zurück zum Meer und zur Lagune», sagte er, «eines Tages wirst du verschwunden sein.»

«Heute nacht habe ich geträumt, ein Berg sei über mir zusammengestürzt. Ich lag zwischen den Steinen und sah durch einen winzigen Spalt in den Himmel. Die scharfe Kante, die ich anfaßte, um mir einen Ausweg zu bahnen, zerriß mir die Hände…»

«Ich bin in den Bergen groß geworden», sagte Angiolino. «Das Meer kenne ich nur aus der Ferne. Es ist immer anders. Aber die Berge umgeben dich wie stumme Brüder. Du kannst dich auf sie verlassen, wenn du ihre Schluchten und Felsenwände nicht fürchtest.»

«Die Fischer haben mich gesund gepflegt. Sie sind arm, aber sie haben mir Decken und Brot gebracht. Eines Tages komme ich vielleicht zurück, habe ich Guilia zum Abschied gesagt.»

So sprachen sie miteinander in einer stillen Stunde zwischen den Ritten auf den Landstraßen und öffneten ihre Herzen.

Die Wasserperlchen, vom Wind durch die Luft getragen, wehten in ihre Gesichter. Ein Stein löste sich vom Abhang, sein Fall in die Tiefe ging im Brausen des Wassers unter. Schritte näherten sich. Eine Stimme sagte: «Angiolino, höre, ein Pfarrer sitzt unten. Er will dich sprechen. Sein Begehren duldet keinen Aufschub, sagte er.» Angiolino und Paolo standen auf.

«Ein Pfarrer, sagst du?»

«Ein junger Mensch ist es, Angiolino. Sein Gesicht ist gut.» Der König der Felder dachte nach. «Bring ihn zu mir», sagte er dann. «Komm mit mir, Paolo. Wir werden ihn in meinem Haus empfangen und mit gutem Wein bewirten. Unser Pfarrer im Dorf liebte den Wein und nahm gern an den Gelagen des Herrn teil.»

Der Raum, in dem Angiolino wohnte, war wie die Unterkünfte der anderen eingerichtet. Teppiche verdeckten die kahlen Wände und wärmten den kühlen Fußboden. Möbel aus kostbaren Hölzern, mit viel Fleiß von kunstfertigen Handwerkern hergestellt, schufen Behaglichkeit und Freude am Leben zwischen den schützenden Mauern, besonders wenn nachts der Wind um das Haus heulte. Die Teppiche, die Möbel, die Schinken in den Rauchfängen und der Wein in den Kellern waren auf Maultieren beim Mondenschein mühselig heraufgebracht worden. Angiolino sorgte dafür, daß jeder seinen gerechten Teil erhielt.

Der Tisch in der Mitte des Raumes, der Stuhl, auf dem Angiolino Platz nahm, das Schreibgerät, die Bücher und die Teppiche stammten aus einem Schloß am Fuße der Berge, eine halbe Tagesreise entfernt von hier. Der Herr hatte sich gern von seiner Einrichtung getrennt, als er hörte, daß man auf sein Leben weniger Wert lege als auf seine Teppiche. Aber als Angiolino mit seiner Truppe abgezogen war, hatte er nichts Eiligeres zu tun gehabt, als seine Bewaffneten zusammenzutrommeln und den Räubern nachzujagen. Er fand sie nicht; keiner hatte sie gesehen. Menschen, Pferde, Teppiche, Möbel waren verschwunden; denn die Berge waren mit dichten Wäldern bedeckt, und die Bauern verschlossen Augen und Ohren, wenn sie beim Holzfällen flüchtige Schatten vorbeihuschen sahen oder das Wiehern der Pferde und leise Menschenstimmen hörten.

«Nehmt Platz, Hochwürden», sagte Angiolino.

Der junge Pfarrer sah um sich, sein Gesicht verzog sich unwillig, als er die prunkvolle Einrichtung in dem Haus auf dem Dach der Berge sah, das jahrhundertelang nur Armut und kalte Steine gekannt hatte.

«Wir leben wie die Herren», sagte Angiolino, «gönnt es uns, Hochwürden. Wir werden nicht hochmütig dabei. Unser Alltag ist gefährlich. Wir nehmen von denen, die im Überfluß haben, und geben denen, die arbeiten und Hunger leiden nach Brot und schönen Dingen.»

«Darum komme ich zu Euch», sagte der junge Pfarrer.

«Hol Wein und Heisch, Paolo, Hochwürden wird hungrig sein nach dem mühevollen Aufstieg.»

«Ich danke Euch, Angiolino, aber ich wünsche nichts, als eine Bitte vorzutragen.»

«So trinkt Ihr keinen Wein, Hochwürden?» «Nicht darum bin ich gekommen.»

Angiolinos Gesicht wurde freundlich. «Eßt nur mit uns und tragt mir Eure Bitte vor. Wir werden Euch helfen, wenn es in unserer Macht steht.»

Sie aßen Brot und Schinken und tranken auch einen Becher Wein. Und der junge Pfarrer erzählte Albertos Geschichte und bat für Isabella um ein Brautkleid.

Angiolino dachte an seine Braut, die er lange nicht gesehen hatte, und an den Pfarrer seines Heimatdorfes, der Wein trank und Fleisch aß und seinen Pfarrkindern alle Strafen der Hölle androhte, wenn sie im Bach einen Fisch fingen oder in den Wäldern Holz sammelten.

«Der Herr hat ihn mit den Hunden vom Hof jagen lassen», sagte Angiolino mit Haß im Blick. «Es ist gut, Hochwürden, daß Ihr zu mir gekommen seid. Sagt Alberto und Isabella, daß sie bald Hochzeit feiern können.»

In den Abendstunden stieg der Pfarrer, die Soutane über die Schulter gelegt, wieder bergab. Zwei Männer aus Angiolinos Truppe begleiteten ihn bis zum heimatlichen Dorf, das er noch vor dem Einbruch der Dunkelheit erreicht. Die Sonne war hinter dem Berg verschwunden, in Schluchten, Tälern und an den Abhängen breitete sich die Dämmerung aus.

Der Vater empfing den Sohn mit fragenden Augen, und die Mutter kam mit eiligen Schritten über den Hof gelaufen. «Ich habe recht getan, Vater», sagte der junge Pfarrer nachdenklich.

Vier Tage später stieg eine Gruppe von zwanzig Männern mit ihren Pferden vom Gipfel des Berges in das Tal hinab. Sie ritten nach Rocca Secca, geführt von Angiolino und Paolo.

Die Pferde trabten fröhlich durch den Morgen. Sie trugen gutes Zaumzeug, auch die Lanzen und Schwerter der Reiter waren in gutem Zustand. Die Bauern auf den Äckern hielten in ihrer Arbeit inne und sahen ihnen nach.

«Das wird also dein letzter Ritt mit uns sein», sagte Angiolino. «Schade, daß du weggehst, Bruder!»

«Vielleicht bin ich bald wieder bei euch», erwiderte Paolo. «Doch laß uns jetzt nicht daran denken.»

Sie gaben den Pferden die Sporen, ritten in gestrecktem Galopp durch das einsam daliegende Dorf, bogen an der Kirche in den breiten Herrenweg ein und erreichten bald das Herrenhaus, dessen rote Ziegelmauern sich in einem stillen Teich spiegelten. Die Reiter umstellten das Haus, trieben das Gesinde in die Ställe und überwältigten einige bewaffnete Knechte, die ihnen entgegentraten.

Angiolino und Paolo waren indes mit gezogenem Schwert in das Haus eingedrungen und suchten nach dem Herrn, der Alberto großmütig die Erlaubnis zum Heiraten gegeben und mit Hunden von seinem Hof gehetzt hatte.

Da stand er in der äußersten Ecke seines Zimmers, den Degen in der Hand. Als er die große, kräftige Gestalt Paolos neben dem schlanken Angiolino gewahrte, ließ er die Waffe sinken. «Was wollt Ihr von mir?» fragte er zitternd.

«Geld für einen guten Zweck», sagte Angiolino. «Werft Euren Degen hin!»

Der Degen fiel auf die Dielen.

«Ich habe nur wenig Geld im Hause», sagte der Herr. Angiolino kannte diese Ausflüchte. Hundertmal hatte er sie gehört. «Schafft sofort fünfhundert Dukaten herbei, oder wir knüpfen Euch auf und suchen sie uns selber», sagte er drohend.

Der Herr wurde weiß im Gesicht und brauchte einige Zeit, bis er sich so weit gefaßt hatte, daß er die schwere Tür des Eichenschrankes öffnen und eine kleine, eisenbeschlagene Truhe mit Geld hervorholen konnte.

«Zählt fünfhundert Dukaten auf den Tisch!» befahl Angiolino. Draußen ertönte Waffenlärm und Geschrei. Angiolino und Paolo rührten sich nicht. Die Hände des Herrn zögerten, die Truhe zu öffnen. In seinen Augen blitzte Hoffnung auf. Er erwartete den Besuch des Grafen von Casallvieri; vielleicht war er eben mit seinen Bewaffneten gekommen? Seine Ohren lauschten gespannt.

«Binde ihn», befahl Angiolino.

Paolo lehnte sein Schwert vorsichtig an den Tisch, zog eine Schnur aus der Tasche und band den Herrn an einem Stuhl fest, daß er sich nicht mehr rühren konnte.

«Fünfhundert Dukaten wolltet Ihr uns nicht geben», sagte Angiolino, «so nehmen wir denn alles und danken Euch dafür.»

Der Waffenlärm war draußen verstummt. Wut und feige Angst zeigten sich in den Mienen des Gefesselten, der bisher nicht mehr als fünf Worte gesprochen hatte. Die Angst verstärkte sich, als Angiolino dicht an ihn herantrat.

«Hört, was ich Euch sage, edler Herr!» rief er drohend. «Eure Bauern beklagen sich über Euch. Ihr schindet sie und gönnt ihnen nicht das trockene Brot, jagt sie mit Hunden vom Hofe, wenn sie mit einem billigen Anliegen zu Euch kommen. Heute kommt Ihr noch mit dem Leben davon, das nächste Mal werdet Ihr aufgehängt… Der König der Felder hat mit Euch gesprochen. Nun seid gegrüßt!»

Paolo und Angiolino verließen das Haus und gaben das Zeichen zum Aufbruch.

Die Reiter trabten wieder dem Dorfe zu. Das Herrenhaus hinter ihnen spiegelte sich in dem stillen Teich, der Herr schrie nach seinem Diener, daß er ihm die Fesseln löse. Mägde und Knechte traten ohne sonderliche Eile aus den Ställen heraus. Es war ein schöner Tag. Zwei Schwäne schwammen über das Wasser.

An der Kirche bogen die Reiter um die Ecke und ritten in gestrecktem Galopp den Weg zurück, den sie gekommen waren. Die Bauern hielten in ihrer Arbeit inne und sahen den Bewaffneten nach, bis die von den Hufen der Pferde aufgewirbelten Staubwolken verschwunden waren. Einer von ihnen hieß Alberto. Er verrichtete seine Arbeit ohne Freude.

Wenige Tage später nahm Paolo Abschied von den schroffen Bergen und der windbewegten Hochebene, von Angiolino, dem König der Felder. Was trieb ihn davon? Er konnte es selbst nicht sagen. Vielleicht war es die Ungewißheit um das Schicksal Marcos, die Erinnerung an das Zusammensein mit den beiden Knaben und Giannina. Noch immer trug er den Dolch bei sich, den Giovanni ihm eines Tages gegeben hatte. Er hatte die Worte und die vertrauensvoll auf ihn gerichteten hellen Augen des Jungen nicht vergessen: «Vielleicht brauchst du ihn einmal. Paß nur gut auf, daß Marco nichts geschieht.» Vieles zog ihn nach Venedig zurück. Nachts träumte er von Wasser, Booten und Gesang, von einer Fischerhütte und groben Schuhen, die im Sand standen, von einem uralten Greisengesicht und einem jungen Mädchen, das mit seinen Händen Brotteig knetete und in den Regen hinausrannte.

«Ich gehe nun nach Venedig zurück, Angiolino», sagte er, «will nur einmal sehen, wie es dort steht. Ich muß mich ja nachts wie ein Dieb einschleichen. Vielleicht kann ich dort irgendwo in der Nähe leben.»

Sie standen vor dem Abstieg ins Tal. Paolo hatte sich den Bart abgenommen, den er während der kurzen Monate getragen hatte. Er war wie ein vornehmer Herr gekleidet und führte ein Pferd am Zügel, das Angiolino ihm geschenkt hatte.

«Geh nur, Bruder», sagte der König der Felder. «Ich kann dich nicht halten. Bald bricht die Dämmerung herein. Wenn es dir schlecht geht, komm zu uns zurück.»

Sie umarmten sich zum Abschied. Die Männer der Truppe standen am Rand des Felsens und sahen ihm nach. Sie waren gern mit ihm zusammen gewesen.

Paolo stieg bergab, passierte, dicht an die Wand sich pressend, die gefährliche Stelle und achtete darauf, daß die Zügel locker blieben. Er atmete auf, als der Pfad breiter wurde. Die Sonne füllte den Talkessel mit goldenem Abendlicht. Der Sommersprossige, der damals den rostigen Riegel vor Paolos Gefängnis geschoben und ihm nachher Brot und am Spieß gebratenes Ochsenfleisch gebracht hatte, stand mit einem älteren, grimmig aussehenden Bauern, der aus einem Nachbardorf stammte, auf Posten.

«Trink noch einen Schluck Wein zur Stärkung», sagte er und reichte ihm die Korbflasche hin. «Schade, daß du uns verläßt!»

Paolo trank. «Lebt wohl, Brüder», erwiderte er. «Es war schön bei Euch!»

Die beiden Wachposten sahen ihm nach, bis er hinter der Wegbiegung verschwunden war.

Gegen Abend erreichte er das Dorf und ritt ohne Verzögerung den bekannten Weg nach Rocca Secca. Die Bauern, die müde von den Feldern kamen, grüßten ihn, denn er sah wie ein vornehmer Herr aus. Keiner hätte in ihm ein Mitglied von Angiolinos Truppe vermutet.

Isabella stand an der Hecke und sah den Reiter vorbeisprengen. Sie war barfuß und trug keine Blume im Haar.

Paolo ritt durch die Dämmerung, einsam lag jetzt die Straße. Einmal hielt er an und sah sich um. Da lagen die schattenhaften Umrisse der Berge, auf deren Höhe er monatelang gelebt hatte. In ihrem Schutze hatte er sich geborgen gefühlt, aber wenn nachts der ewige Wind heulte, war die Sehnsucht nach der Ebene und den Kanälen von Venedig erwacht. Nun befand er sich auf dem Wege zurück. Schwer trennte er sich von dem vertraut gewordenen Anblick.

Im Kirchgarten von Rocca Secca band er sein Pferd an einen Baum und klopfte an die Tür des Pfarrhauses. Der junge Pfarrer öffnete und ließ den Herrn ein. Er erkannte ihn nicht.

Paolo sah sich in der Stube um, in der im trüben Öllicht nicht viel mehr als ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und an der Wand ein Regal mit Büchern zu sehen war. Der Pfarrer bat seinen Gast, auf dem Stuhl Platz zu nehmen und fragte nach seinem Begehr. Er selbst setzte sich auf das Bett nieder.

«Anbieten kann ich Euch leider nichts, Herr, da ich nichts im Hause habe», sagte er. Seine bleichen Wangen röteten sich vor Verlegenheit über seine Armut.

Paolo nahm einen Beutel mit Dukaten aus der Tasche und stellte ihn auf den Tisch.

«Ihr wart vor einiger Zeit bei uns und spracht für zwei Eurer Pfarrkinder eine Bitte aus. Angiolino schickt mich nun, damit ich Euch diesen Beutel mit fünfhundert Golddukaten übergebe. Ein Mädchen braucht ein Brautkleid, sagtet Ihr. Gebt ihm das Geld, Hochwürden!»

Der Pfarrer sprang erregt auf. «Ihr seid es!» sagte er. «Jetzt erkenne ich Euch. Ihr habt mich mit Angiolino empfangen. Ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid! Wartet, ich renne schnell ins Nachbarhaus, damit ich Euch bewirten kann!»

Paolo wehrte ab und stand auf. «Ich habe wenig Zeit, Hochwürden.»

Aber der junge Pfarrer drückte ihn auf den Stuhl, lief zu den Nachbarn und kam bald mit Brot, Käse und Wein zurück. Schnell bereitete er ein Abendessen und forderte seinen Gast auf, zuzulangen.

Paolo ließ sich nicht länger nötigen. «Angiolino läßt bestellen, daß Ihr jederzeit willkommen seid, wenn Ihr einen Wunsch habt», sagte er, nachdem er sich gestärkt hatte. «Aber nun bitte ich Euch: Laßt mich gehen. Ich habe diese Nacht noch einen weiten Weg zurückzulegen.»

Der junge Pfarrer begleitete seinen Gast vor die Tür. Paolo löste die Leine, mit der er sein Pferd festgebunden hatte. «Lebt wohl, Hochwürden, ich reite in meine Heimat zurück.»

Er schwang sich auf sein Pferd und ritt davon. Die Luft war mild. Im Gebüsch des verwilderten Gartens schlug eine Nachtigall.

Seltsame Gedanken bewegten den Pfarrer, der auf der Straße stand und den verklingenden Hufschlägen nachlauschte.

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