DIE GOLDENE TAFEL

ZWEI MÄNNER IN ABGETRAGENEN REISEKLEIDERN, Gesichter und Hände von der sengenden Wüstensonne verbrannt, waren nach einer langen, langen, beschwerlichen Reise an die Küste des Mittelmeeres gelangt. Ihrer Gestalt und ihren Gesichtern nach mußte man sie für Brüder halten, deren Ähnlichkeit in gemeinsam erlebten Gefahren noch deutlicher geworden war. Der Ältere, von hohem Wuchs und kräftigem Körperbau, wies mit einer weiten Handbewegung auf den Seehafen am Fuße der Berge.

«Ein Hafen wie jeder andere», sagte er, «Schiffe, Lastträger, Händler und Tavernen. Bis hier oben hörst du das Geschrei der Menschen.»

Sie standen auf halber Höhe des Berges, an dessen Fuße die weißen Häuser und winkligen Gassen der Stadt lagen.

«Wir sind wohl etwas menschenscheu geworden», erwiderte der Jüngere, der etwa vierzig Jahre zählen mochte und von schlanker Gestalt war.

Sie stiegen zur Stadt hinab. Nur selten wechselten sie ein Wort. Sie waren es gewohnt, sich mit wenigen Worten und Gesten, mit einem schnellen Blick, durch eine Bewegung der Mundwinkel oder der Augenbrauen zu verständigen.

Vor ihnen, still und weit, lag das blaue Meer. Es sah nicht anders aus als die Indischen Gewässer, die um die Küsten des riesigen Mongolenreiches spülten.

Aber es war das heimatliche Meer, dem sie vor vierzehn Jahren den Rücken gekehrt hatten, um in das Innere Asiens einzudringen.

Sie beschleunigten ihre Schritte. In Layas gab es eine Niederlassung ihrer Landsleute. Die wollten sie aufsuchen, zum ersten Male wieder die heimatlichen Laute der weichen venezianischen Mundart vernehmen.

Eine drückende Schwüle herrschte. Als sie die ersten Häuser der Stadt erreichten, stand die Sonne im Mittag. Straßen und Gassen lagen wie ausgestorben. Die Fenster waren zum Schutz gegen die Sonne mit weißen Tüchern verhängt. Ein nacktes braunes Armenierkind spielte unbekümmert um die Hitze im Staub der Straße. Ganz allein saß es da, schimpfte mit einem Stück Zedernholz, das ein störrisches Kamel während einer Rast in der Wüste darstellte.

Die beiden Männer blieben vor einer Schenke in der Nähe des Hafens stehen, schoben den Perlenvorhang zur Seite und traten in den halbdunklen Raum. Der Wirt erhob sich verschlafen, um die ärmlich gekleideten Gäste zu bedienen. Als sie allerdings den besten Wein und ein gutes Mittagsmahl verlangten, wurde er flink und diensteifrig.

Sie aßen und tranken. Der Ältere nahm seine Ledertasche, zog eine goldene Tafel heraus und legte sie vor sich hin. Der Wirt nahte sich auf Zehenspitzen und wollte seiner Verwunderung durch einen Schwall von Worten Ausdruck geben. Eine herrische Handbewegung des Jüngeren verscheuchte den allzu Neugierigen.

Die goldene Tafel trug das Zeichen des mächtigen Großkhans und war den beiden Reisenden als Geleitbrief überreicht worden. Diese Tafel hatte sie in den tatarischen Reichen geschützt. Jeder Statthalter war verpflichtet gewesen, sie auf ihrer Reise zu unterstützen, ihnen Diener und Soldaten beizugeben, Kamele und Maultiere zur Verfügung zu stellen und sie in jeder Weise zu fördern. Trotzdem hatte die Reise vom Hofe des Großkhans bis zur Küste des Mittelmeeres über drei Jahre gedauert; denn die goldene Tafel konnte den Wüstensturm und die Trinkwassernot nicht bannen. Und die steinigen Pfade in den Hochgebirgen, die schwankenden Brücken über Abgründe, die sengende Hitze mit den heißen, atemberaubenden Winden, die giftigen Insekten und tausend andere Unbilden der Natur ließen sich durch die goldene Tafel mit dem Zeichen des Großkhans nicht in einen angenehm kühlen und ungefährlichen Wanderpfad verwandeln.

Der Jüngere verstand, warum sein Begleiter die Tafel auf den Tisch gelegt hatte. Nicht, um dem Wirt Achtung vor seinen Gästen einzuflößen. Es war eine Erinnerung an eine erstaunliche, abenteuerliche Reise, ein Abschied von einem wichtigen Teil ihres vergangenen Lebens und zugleich eine mit Freude und Sorge gemischte Erwartung auf die erste Begegnung mit der Heimat.

Sie saßen sich schweigend gegenüber und tranken den kühlen, mit Wasser gemengten Wein. Der Wirt hatte sich wieder in seine Ecke gesetzt und wunderte sich über seine stummen Gäste. Er war es gewohnt, daß es laut und lebhaft an den Tischen zuging. Um die Mittagszeit allerdings kamen nur selten einmal einige Kaufleute, Händler oder Seeleute, sie zogen es vor, um diese Zeit in ihrem Quartier oder in einem schattigen Winkel zu schlafen.

Die sonnenverbrannten Hände des Älteren schoben sich unter die goldene Tafel und hoben sie etwas an.

Vor vierzehn Jahren hatte er mit seinem Bruder Byzanz verlassen. Sie trugen in ihren Taschen nichts anderes als Edelsteine, die sie für den Erlös aus dem Verkauf einer Schiffsladung eingehandelt hatten. Edelsteine waren begehrte Handelsartikel in allen Teilen der Welt. Bald sollte sich zeigen, daß ihre Rechnung, die Edelsteine günstig zu vertauschen, richtig gewesen war.

Kaiser Balduin II., der von ihrem Vorhaben, in das sagenhafte Reich des Mongolenherrschers zu reisen, gehört hatte, verabschiedete sie im Jahre 1255 von Byzanz. Sie segelten über das Schwarze Meer nach dem Hafen Soldaia und begaben sich von dort auf dem Landwege nach Bulgar an der Wolga und Sarai, zum Hofe Barkaikhans, des Beherrschers der westlichen Tataren. Die Reisenden aus Venedig wurden von dem tatarischen Fürsten ehrenvoll empfangen, er erwiderte ihre Geschenke, indem er ihnen Juwelen von doppeltem Wert und zahlreiche andere Gaben überreichen ließ.

Jahrelang lebten sie am Hofe des Khans, unternahmen Reisen und bekamen einen Begriff von der Größe des westlichen Teils des Mongolenreiches. Ein Krieg zwischen Barkaikhan und seinem Bruder Hulagu zwang sie, sich auf den Weg nach Bokhara zu begeben. Sie durchquerten, nachdem sie den Sir Darja überschritten hatten, in siebzehn Tagesreisen die Wüste von Kirsil-Kum. Drei Jahre verbrachten sie in Bokhara, und sie nutzten diese Zeit, um ihren Bestand an Edelsteinen zu vermehren.

Sie lernten am Hofe Barkaikhans den Gesandten des Großkhans kennen, der weit im Osten Chinas, in Kangbahli, seinen Wohnsitz hatte. Die beiden Reisenden erfuhren, daß der mächtige Herrscher Kublaikhan inmitten seiner Hauptstadt einen Palast bewohnen solle, in dessen Halle sich sechstausend Personen aufhalten können. Man sagte, daß dieser gewaltige Bau mit den ihn umgebenden Parkanlagen einen Umfang von acht chinesischen Li (221/2 km) einnehme.

Über den märchenhaften Reichtum am Hofe des Großkhans gab es die unwahrscheinlichsten Berichte; aber die italienischen Reisenden wollten sich mit eigenen Augen überzeugen und nahmen deshalb die Einladung des Gesandten, mit ihm an den Hof seines Gebieters zu reisen, erfreut an. Sie brauchten über ein Jahr für die beschwerliche Reise; die Erwartungen, die sie im stillen gehegt hatten, wurden durch die Wirklichkeit noch übertroffen.

Der Großkhan empfing sie als die ersten Italiener an seinem Hofe mit großem Wohlwollen und ließ sich von den Fürsten und Völkern des Abendlandes erzählen. Er interessierte sich besonders für die Art der Kriegführung und für den Papst und die Lehren der christlichen Kirche.

Eines Tages schlug er den beiden Italienern vor, sie möchten als seine Gesandten nach Rom reisen und den Papst bitten, ihm hundert Gelehrte zu senden, die den Gelehrten seines Reiches die Lehren des Christentums offenbaren sollten, um auch seine Völker für diesen Glauben zu gewinnen. Die beiden Reisenden stimmten freudig zu, schon lange hatte sich in ihren Herzen der Wunsch geregt, wieder in die Heimat zurückzukehren.

Kublaikhan überreichte ihnen am Tage vor ihrer Abreise die goldene Tafel und Briefe in tatarischer Sprache für den Papst. Reich beschenkt verließen sie in Begleitung eines Offiziers den Hof. Den Offizier mußten sie schon nach der zweiten Tagesreise, da er schwer erkrankt war, zurücklassen. So zogen sie allein weiter, und die goldene Tafel öffnete ihnen die Grenzen der Reiche und die Pforten der Städte.

Drei Jahre brauchten sie bis zum Gestade des heimatlichen Meeres. «Woran denkst du, Maffio?» fragte der Jüngere.

Maffio Polo nahm die Tafel und steckte sie wieder in seine Ledertasche.

«Es geht mir wie dir, Nicolo», erwiderte er. «Ich kann die Zeit nicht mehr erwarten, nach Venedig zu kommen, und doch kleben meine Gedanken wie Vögel auf einer Leimrute an dem fernen Land mit seinen stillen Seen zwischen den wilden, blütengeschmückten Bergen.»

«Wir waren vierzehn Jahre weg», sagte Nicolo Polo. Er stützte den Kopf in die Hände. Gewaltsam versuchte er sich von den Gedanken zu befreien, die ihn während der ganzen langen Reise begleitet hatten. Es gelang ihm nicht; es gelang ihm auch nicht, die geheime Sorge um das Wohlergehen der Gattin und des Sohnes, der damals eben geboren worden war, abzuschütteln. Vierzehn Jahre! Was nützten die ewigen Selbstvorwürfe? Der Drang, immer tiefer einzudringen in das riesige Reich, die spöttischen Bemerkungen seines Bruders, wenn er zur Umkehr gemahnt hatte, waren stärker gewesen.

«Grüble nicht länger», sagte Maffio und schlug ihm auf die Schulter, «bald sind wir zu Hause. Was sind denn vierzehn Jahre? Denke daran: Wir kommen nicht mit leeren Händen.» Er schlug auf die Ledertasche. «Die Diamanten sind soviel wert wie drei Schiffsladungen. Komm nur, laß uns gehen. Die Fahrt übers Mittelmeer ist nicht mehr als ein Sprung für uns.»

«Recht hast du, Maffio, das Grübeln bringt nichts ein.» Nicolo Polo sprang auf und hängte sich seine fremdartig aussehende Tasche um. Ein mongolischer Lederhandwerker hatte sie für ihn angefertigt.

Der Wirt begleitete seine Gäste bis zur Tür, schob eilfertig den Perlenvorhang zur Seite und flehte den Segen Allahs für sie herab.

Das Leben regte sich wieder in den Straßen und Gassen der Hafenstadt. Kamele und Maulesel zogen zum Marktplatz, verschleierte Frauen eilten leichtfüßig über die Straße, und die Händler priesen in den Basaren ihre Waren an. Das Meer war spiegelglatt und schimmerte in durchsichtigem Blau. In der Hafenbucht lagen nur wenige Schiffe, und keines trug die Flagge mit dem goldenen Löwen von San Marco. Layas war ein kleiner, unbedeutender Hafen, besaß aber eine Niederlassung der venezianischen Kaufleute.

Maffio und Nicolo gingen an dem Posten vorbei durch das Tor in den Fondaco. Sie kamen auf einen viereckigen Hof, der von Häusern, Marktbuden und Warenmagazinen umgeben war. Sie unterschieden die Wohnungen der Kaufleute, ein Schlachthaus, ein Backhaus, ein Bad und ein Gerichtshaus. Neben der Kaufhalle, einem Holzgebäude, stand eine kleine Kirche, die Nicolo an San Giacomo auf Rialto erinnerte, obwohl sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit dieser Kirche besaß.

Auf dem Hof, besonders vor den Warenmagazinen und Marktbuden, und in der Kaufhalle herrschte reges Leben. Maffio und Nicolo Polo näherten sich einer Gruppe weiß gekleideter Araber, die um einen venezianischen Kaufherrn herumstanden und mit lebhaften Gebärden verhandelten. Ein Dolmetscher übersetzte mit ruhiger Stimme die italienischen Worte ins Arabische.

Die beiden Reisenden blieben stehen und versuchten einen Blick auf die Gesichter ihrer Landsleute zu werfen. Die heimatlichen Laute berührten sie so stark, daß es ihnen schwerfiel, sich zu trennen.

Der Dolmetscher sah den beiden nach und wußte nicht, in welche Gruppe er sie einordnen sollte. Ihre Gesichter waren dunkel — braun wie die der Araber, aber der Gesichtsschnitt verriet, daß sie Italiener waren. Er hatte keine Zeit, lange nachzudenken. Sein Geschäft nahm ihn bald wieder ganz in Anspruch.

Maffio und Nicolo schritten durch die Kaufhalle. Auch hier befanden sich mehr fremde Verkäufer als Venezianer. Das Geschwader, das auf seiner Reise nach Cypern und Damaskus auch Layas berühren sollte, traf frühestens in dreißig Tagen ein, aber die Händler aus der Stadt und der Umgebung waren schon jetzt bemüht, ihre Waren als Tauschobjekt mit großem Stimmaufwand anzubieten.

Der Kaufherr, den Maffio und Nicolo Polo nach höflichem Gruß ansprachen, hörte erstaunt ihre Worte.

«Wer seid Ihr?» fragte er. «Ihr sprecht die venezianische Mundart, aber Eure Rede ist mit fremdartigen Worten gemischt, die keiner in Venedig verstehen würde. - Verzeiht, daß ich Euch in der ersten Überraschung ausfragte», sagte er lächelnd. «Darf ich Euch in meine Wohnung einladen? Ihr habt sicher eine weite Reise hinter Euch.»

Er machte eine einladende Handbewegung und bat die Fremden, ihm zu folgen. Nicolo und Maffio Polo nahmen die Einladung an. Auf dem Wege nach der Wohnung des Kaufherrn überlegten sie sich die Sätze, mit denen sie sich vorstellen wollten, und bemerkten überrascht, daß sie nach den einfachsten Worten in der heimatlichen Mundart suchen mußten.

In dem Fondaco lebten zu dieser Zeit nur fünfundzwanzig Venezianer, darunter fünf Kaufherren, die von hier aus des öfteren nach Aleppo, Antiochia oder nach den cyprischen Häfen reisten, um die Handelsgeschäfte für die ankommenden venezianischen Schiffe vorzubereiten. Die anderen Bewohner des Fondaco waren Schreiber und Handwerker.

Der Kaufherr, ein jüngerer Mann von etwa dreißig Jahren, schwarzhaarig, mit schmalen Schultern und schnellen Bewegungen, stellte sich als Agnolo Nelli vor. Er klatschte in die Hände und befahl dem Diener, ein Mahl zu bereiten. Die beiden Reisenden sagten, sie hätten gerade gegessen; der Kaufherr aber meinte, daß ein kleiner Imbiß mit ein wenig Wein nicht schaden könne.

Während Maffio und Nicolo Polo ihre Hände in die Fingerschalen tauchten, schickte der Gastgeber nach den beiden anderen im Fondaco anwesenden Kaufleuten und ließ ihnen die Ankunft der Reisenden melden. Bald kamen sie auch in die Wohnung des Agnolo Nelli, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Es war in dem abgelegenen Layas ein Ereignis, neue Gesichter zu sehen, das man sich nicht entgehen lassen konnte. Leider kannte keiner der Kaufleute die Familie Polo; denn sie wohnten am anderen Ende der Stadt, im Sestier di Castello. Venedig war groß, über hundertfünfzigtausend Seelen lebten auf den Laguneninseln, die Zeit, da einer den anderen kannte, war längst vorbei.

Maffio und Nicolo Polo erfuhren neben anderen Neuigkeiten, daß der Papst Clemens IV. Ende des vergangenen Jahres gestorben und noch kein neuer gewählt worden sei. Seine Geschäfte nähme inzwischen der Gesandte zu Acre, Teobaldo de Viscoti, wahr, der zu dieser Zeit auf seiner Burg im Süden Italiens weilte.

Die drei Kaufherren hatten es sich um den Tisch bequem gemacht und waren begierig, die Geschichte der Reisenden zu erfahren.

Nicolo ergriff das Wort und begann von ihrer langwierigen Reise und ihren Erlebnissen am Hofe des mächtigsten aller Fürsten zu sprechen. Er mußte im Anfang nach den Worten suchen, aber je länger er sprach, um so leichter fiel es ihm und um so deutlicher klang die heimatliche Mundart hindurch, allerdings noch oft mit fremden Ausdrücken durchsetzt.

Die Kaufleute hörten schweigend zu, wechselten von Zeit zu Zeit Blicke, um sich zu vergewissern, daß sie wohl einer Meinung über die Erzählung ihrer Landsleute in den abgeschabten Reisekleidern seien.

Nicolo Polo schilderte die von Gold und Silber schimmernde riesige Halle im Palast des Kublaikhans, sprach von den weidenden Hirschen, Rehen und Gazellen und dem Teich mit den Goldfischen inmitten des den Palast umgebenden Parkes, in dem es einen künstlichen Berg gebe, auf dem die schönsten Bäume des Landes zur Zierde eines auf seinem Gipfel befindlichen grünen Palastes gepflanzt worden seien. Kein anderer Herrscher der Erde gebiete über so gewaltige Armeen und habe so große Besitzungen und Reichtümer aufzuweisen wie Kublaikhan, der übrigens sehr gebildet sei und sie mit großen Ehren aufgenommen habe.

Der lebhafte Agnolo Nelli bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her und ermunterte mit seinen Blicken die beiden Kaufherren, doch endlich dem lügnerischen Prahlen der Abenteurer ein Ende zu machen. Er als Gastgeber mußte sich, so schwer es ihm fiel, noch zurückhalten.

Als Nicolo eine Pause machte und in seinen Erinnerungen nach einem Erlebnis suchte, das geeignet sein könnte, den Landsleuten die fremde Welt lebendig zu machen, sagte der ihm gegenübersitzende ältere Kaufherr mit spöttischem Unterton:

«Der Reichtum des mächtigsten Herrschers der Erde scheint auf Euch nicht abgefärbt zu haben?»

Die anderen lachten auf.

Maffio Polo zog seine Mundwinkel nach unten und sah die Spötter mit schmalen Augen an. Aber er sagte nichts. Die Heiterkeit der drei Zuhörer legte sich. Agnolo Nelli, dem Gastgeber, wurde es unbehaglich zumute. Das plötzliche Schweigen forderte zu einer versöhnlichen Bermerkung heraus.

«Entschuldigt, daß wir Euren Worten nicht folgen können», sagte Agnolo, «es ist so ungewöhnlich, was Ihr uns erzählt.»

Der ältere Kaufherr sah ihn unwillig an. «Ungewöhnlich?» fragte er. «Ihr drückt Euch sehr vorsichtig aus, Agnolo.»

«Ihr haltet uns also für Lügner?» fragte Nicolo Polo mit zornrotem Gesicht und stand auf. Sein Bruder legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter, und Agnolo Nelli bat ihn, ein offenes Wort nicht übelzunehmen.

Maffio Polo wandte sich an den älteren Kaufmann. «Ihr meintet, der Reichtum des mächtigen Herrschers habe auf uns nicht abgefärbt», sagte er ruhig. «Da habt Ihr recht. Unsere Kleider sehen nicht zum Besten aus. Durch die Wüsten und über die Gebirge geht man nicht in Samt und Seide gekleidet wie ein Bischof zur Prozession oder wie ein Kaufherr im Fondaco von Layas.» Er sah sein Gegenüber fest an und konnte nicht vermeiden, daß sich sein Mund in feinem Spott verzog, als er fortfuhr: «Trotzdem ist unsere Reise nicht ganz vergeblich gewesen. Seht, was wir mitgebracht haben. Ein wenig hat der Reichtum doch abgefärbt…»

Maffio Polo zog einen Beutel mit Edelsteinen aus der Tasche und schüttelte sie vorsichtig auf dem Tisch aus. Sie fingen das Sonnenlicht und warfen ein gleißendes Farbbündel zurück, das die» Augen blendete.

Die Kaufleute, überwältigt von der Schönheit der Steine, stießen bewundernde Rufe aus. Sie schienen mit einem Male ihre Zweifel und spöttischen Bemerkungen vergessen zu haben. Der ältere Kaufherr griff nach einem großen Diamanten, legte ihn auf die Handfläche und betrachtete ihn mit Kennerblicken.

«Es war nicht böse gemeint», sagte er. «Verzeiht! — Wenn ich Euch einen guten Rat geben darf, so empfehle ich Euch, die kostbaren Steine während der überfahrt in Eure Kleider einzunähen.»

Die Reisenden neigten die Köpfe und sahen sich mit einem kurzen Blick an.

«Euer Rat ist gut», sagte Nicolo. «Wir danken Euch dafür.» In seinen Augen funkelten Lichter auf. Die Kaufleute hielten sie für den Widerschein der auf dem Tisch liegenden Diamanten. Wie konnten sie wissen, daß sich in den Nähten und geheimen Taschen der abgetragenen Reisekleider bereits Edelsteine befanden, die den Wert des Beutels um ein Vielfaches übertrafen?

Als Maffio Polo den Herren die goldene Tafel und die Briefe an den Papst vorlegte, schwanden auch die letzten Zweifel. Agnolo Nelli entschuldigte sich viele Male und stellte den Reisenden seine Wohnung mit der Dienerschaft zur Verfügung. Sie könnten bei ihm bleiben, solange sie Lust hätten, es sei ihm eine Ehre, ihnen dienen zu können.

Maffio und Nicolo Polo aber wollten so schnell wie möglich nach Italien zurück, um ihre Botschaft an den Papst oder seinen Stellvertreter auszurichten und dann nach Venedig zu reisen. Nicolo beantwortete die vielen Fragen, die an ihn gerichtet wurden, nicht allzu wortreich, obwohl er bei seiner ersten Schilderung gezeigt hatte, wie lebendig er berichten konnte. So verabschiedeten sich die Kaufherren bald, und Agnolo erbot sich, persönlich nach dem Hafen zu gehen, um zu erfahren, wann das nächste Schiff nach Italien auslaufe.

Die Reisenden hörten nach seiner Rückkehr, daß am kommenden Morgen eine kleinere französische Galeere ihre Fahrt nach Massilia antrete, bei der sie auch im Hafen von Tarent anlegen werde. Dann segele erst wieder in vierzehn Tagen ein Schiff zur italienischen Küste. Agnolo Nelli bot ihnen an, bis zur Abfahrt des zweiten Schiffes seine Gäste zu sein. Sie könnten doch nicht, kaum seien sie angekommen, sogleich wieder abreisen. Nicolo Polo aber meinte, sie seien es gewohnt, schnelle Entschlüsse zu fassen. Auch sein Bruder war für die sofortige Abreise. Sie dankten dem Landsmann für seine Gastfreundschaft und begaben sich zum Kapitän des Schiffes, einem lustigen Franzosen aus Tarascon, mit dem sie bald handelseinig wurden. Zwei Matrosen bekamen den Auftrag, im Laderaum einige Kisten zur Seite zu räumen, um einen behelfsmäßigen Aufenthaltsraum für die Gäste zu schaffen.

Am anderen Morgen stach das Schiff in See. Die venezianischen Kaufleute standen am Anlegekai und verabschiedeten die seltsamen Reisenden, die gestern erst vom Berg herabgestiegen waren, um heute schon wieder auf das Meer hinauszusegeln.

Ein sanfter Wind blähte die Segel, langsam glitt das Schiff aus der schützenden Bucht. Die Fahrt verlief unter günstigen Windverhältnissen. Der Kapitän freundete sich mit seinen Gästen an; oft saßen sie beim Würfelspiel zusammen, tranken guten französischen Wein und hörten den Seemannsgeschichten des weitbefahrenen Franzosen zu.

Maffio und Nicolo Polo aber hüteten sich, von ihren Reiseabenteuern zu erzählen. Die Erfahrungen mit ihren Landsleuten hatten sie vorsichtig gemacht, im übrigen war es nicht notwendig, daß Kapitän und Mannschaft von den Edelsteinen erfuhren, die sie mit sich führten.

Die Reisenden hielten sich meist auf Deck auf.

Die Insel Cypern lag bereits hinter ihnen. Tage und Nächte vergingen, bis an einem Nachmittag die gebirgige Insel Kreta vor ihren Augen aus dem blauen Meer aufstieg. An einer Stelle wichen die Berge in einem weiten Bogen zurück und gaben eine breite grüne Talsohle frei, die bis zum Meere reichte. Maffio wies auf die Häuser eines Städtchens, die von der Küste bis an die Berghänge gebaut waren. Menschen winkten, Äcker, Wiesen, weidendes Vieh, silbrige Olivenbäume und schlanke Zypressen. Griechische Frauen schritten mit Traghölzern zum Brunnen und gönnten dem Schiff verstohlene, sehnsüchtige Blicke.

Der Steuermann wechselte den Kurs, um von der gefährlichen Nähe der Küste wegzukommen. Menschen, Häuser und Bäume wurden klein wie Kinderspielzeug, bald waren nur noch die Umrisse der Berge zu sehen, eine Schattierung dunkler als das Blau der unendlichen Wasserfläche.

Nicolo Polo ging zum Bug des Schiffes. Er kämpfte gegen eine bange Ahnung, die ihn befallen hatte, als das Schiff von dem trauten Bild des an den Berg geschmiegten Städtchens weg auf das offene Meer hinaussegelte. Seine Gedanken versuchten, sich die Heimkehr, die ersten Schritte über den Hof, das öffnen der Haustür vorzustellen — aber als er weiterdenken wollte, stand plötzlich das Bild der in der Ferne verschwindenden Häuser und winkenden Menschen vor seinen Augen.

Die Wellen schlugen gegen den Leib des Schiffes. Ein guter Wind trug sie dem größer werdenden, sinkenden Sonnenball entgegen.

«Wie wäre es mit einem Spielchen, Monsieur Polo?» fragte der Kapitän. «Es hat keinen Sinn, stundenlang aufs Wasser zu starren.»

«Buono, Kapitän. Ihr habt recht. Wir kommen dadurch nicht schneller und nicht langsamer voran», erwiderte Nicolo Polo.

Anfang April des Jahres 1269 erreichten die beiden Reisenden nach vierzehnjähriger Abwesenheit zum ersten Male wieder italienischen Boden, standen im Hafen von Tarent, hörten italienische Laute, gingen wie im Traum durch die Stadt und fanden an einem verfallenen, grünumrankten Griechentempel ihren nüchternen Sinn für die Wirklichkeit und die erprobte Entschlußkraft zurück. Es bedurfte keiner Worte, um ihren Plan für die Weiterreise festzulegen. Sie versahen sich, indem sie einige Diamanten verkauften, mit den nötigen Geldmitteln, erwarben eine Kutsche mit zwei schnellen Pferden, mieteten fünf Kriegsknechte und fuhren schon nach zwei Tagen los. Im Königreich Neapel und auch im Kirchenstaat soll ein Straßenräuber sein Unwesen treiben, erzählte man, vor dem kein vornehmer Reisender sicher sei. Nicolo hatte die Gerüchte mit spöttischem Lächeln quittiert, der umsichtige Maffio aber harte gemeint, daß sie nicht vierzehn Jahre durch die ganze Welt gereist seien, um am Ende ausgeraubt zu werden. Deshalb also reisten sie in Begleitung der Bewaffneten und hatten auch für sich selbst Armbrust und Degen in Bereitschaft.

Sie reisten auf der Via Appia, der alten römischen, vielbefahrenen Heerstraße, zum Gesandten Teobaldo de Visconti, der sie mit großer Freundlichkeit empfing, ihren Bericht anhörte und die Briefe des Großkhans Kublai entgegennahm. Er ließ die Siegel öffnen und bat die beiden Reisenden, die tatarischen Sätze ins Lateinische zu übersetzen. Aufmerksam lauschte er auf jedes Wort. Seine Hand mit dem schmalen Gelenk kam aus dem Hermelinbesatz und stützte das Kinn. Er hatte ein kluges, energisches Gesicht mit einer drohenden, senkrechten Stirnfalte über der Nase. Die Botschaft des sagenhaften Herrschers kam ihm in seinem Bestreben, den Papststuhl zu besteigen, sehr gelegen. Er befahl seinen Ratgebern, den Raum zu verlassen.

Den beiden Poli bedeutete er in der folgenden kurzen Unterredung mit vorsichtigen Worten, daß er, wenn er zum Papst gewählt würde, das Anerbieten des Großkhans, gelehrte Mönche in sein Reich zu schicken, annehmen werde.

Maffio und Nicolo verließen den Gesandten mit dem befreienden Gefühl, ihre Botschaft an die rechte Stelle weitergeleitet zu haben.

Am nächsten Tage setzten sie sich wieder in ihre Kutsche und reisten der Heimat entgegen. Noch immer trugen sie ihre Reisekleidung, auch beim Besuch des Gesandten hatten sie ihre alten Kleider nicht abgelegt.

Sie sahen das siebenhundertjährige Kloster auf dem Monte Cassino, fuhren nichtsahnend am Schlupfwinkel der Truppe des Königs der Felder vorbei und kamen, die Grenze des Kirchenstaates überschreitend, in die Toscana, deren Hügel, Wiesen und Felder sie wie ein großer, blühender Garten umfingen.

Die Heimat war schön. Sie lehnten sich schweigend in das Polster zurück, schlossen die Augen, um sich für immer den Anblick des fruchtbaren Landes einzuprägen.

In Padua schickten sie die Kriegsknechte nach Hause, verkauften die Kutsche und legten die letzte Strecke des Weges auf dem Rücken der Pferde zurück.

Sie sprachen kaum miteinander. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt und versuchte des Sturmes der Gefühle Herr zu werden.

An einem stillen, sonnendurchglühten Abend erreichten sie Mestre, stellten ihre Pferde unter und mieteten eine Barke zur Weiterfahrt.

Der Hauch der Lagune wehte sie an.

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