XXXI

Das Jenseitige Land, die Schwarze Schlucht, 6492. Sonnenzyklus, Frühsommer.


Es goss in Strömen. Ein heftiges Unwetter war in der Nacht ausgebrochen und hatte die Festung und die Schlucht mit Niederschlag überschüttet, als wollte es die Verteidiger von den Wehrgängen spülen und den Einschnitt fluten.

Bei Sonnenaufgang hatten Blitz und Donner geendet, der Regen war geblieben. Dennoch sollte der Angriff auf die Scheusale stattfinden. Tungdil hatte darauf gedrängt.

Hinter allen vier Toren standen die Einheiten aufgereiht, dieses Mal streng aufgeteilt: von Osten kamen die Menschen, von Westen die Ubariu, aus dem Norden die Untergründigen und aus dem Süden die Zwerge. Das sollte die Befehlshaber der Bestien verwirren und über die Stoßrichtung des Hauptangriffs hinwegtäuschen. Und dieser härteste Schlag würde aus dem Süden erfolgen. Mit Tungdil, Balyndar, Ingrimmsch, Goda, Coira, Lot-Ionan und den Zwergenkontingenten. Die Menschen würden herumschwenken und mit den Untergründigen zusammen einen Scheinangriff auf den Zugang im Norden führen, während die Ubariu den Zwergen über die Flanke zu Hilfe kommen sollten.

Ingrimmsch stellte sich in die Steigbügel, um die Masse an Kriegerinnen und Kriegern zu überblicken, die hinter ihnen wartete. Banner und Standarten ragten in den grauen Himmel und verkündeten voller Stolz die neue Eintracht unter den Kindern des Schmieds. Ein gemeinsamer Sieg würde den Zusammenhalt fester schmieden. »Ich danke dir, Vraccas«, murmelte er und wandte sich zum Tor. Auch wenn ich heute den Tod finden werde.

Um ihn herum befanden sich die Helden der ersten Mission, dazu Goda und Lot-Ionan. Die Zwergin beachtete den Magusnicht und hatte seine Nähe stets gemieden. Sie hätte mit ihrem einstigen Lehrmeister kein Wort gewechselt, selbst wenn er es wünschte.

Ingrimmsch erkannte an den Augen seiner Gemahlin, dass sie sich lieber gegen den Magus gewandt hätte als gegen die Scheusale aus der Schwarzen Schlucht. Und wieder fing er einen raschen Blick von ihr zu Balyndar auf. Der Fünfte schaute daraufhin zu Slin, der seine Augen auf ihn gerichtet hielt und wie zufällig den Schaft der Armbrust tätschelte.

Ingrimmsch kratzte sich im schwarz-silbernen Bart. Was geht denn da vor sich? Er hatte ganz offensichtlich etwas nicht mitbekommen, und das besorgte ihn. Er konnte mitten im Gemetzel nicht auch noch Kindermädchen für die Zwerge spielen, um sie von irgendwelchem Unsinn abzuhalten.

Er wollte sein Pony zu Tungdil lenken, da gab der Einäugige das Signal zum Angriff. Die Flügel des riesigen Festungstors schwangen auseinander, und er wusste, dass sich auch die drei übrigen Durchgänge öffneten, um die ungleichen Heere auf den Weg zu schicken. Wenn Ingrimmsch sich nicht verschätzt hatte, kam er auf immerhin eintausend Menschenkrieger unter der Führung der Elben, viertausend Untergründige, stattliche zehntausend Ubariu und nochmals zehntausend Zwerge, wobei die Dritten mit sechstausend Mann den größten Anteil daran erbrachten.

Doch bevor einer von ihnen einen Fuß in die Ebene setzen konnte, musste der erste Schlag gelingen.

Lot-Ionan trat vor und musterte die dunkelroten Ausläufer der Barriere, dann legte er die linke Hand dagegen und sprach einen kurzen Satz, an dessen Ende er unvermittelt schrie und seinen Körper anspannte.

Weiße Blitze rannten rissgleich durch den Schild und brachten ihn dazu, sich aufzulösen. Mit einem hellen Ton schwand die Barriere!

»Für das Geborgene Land!«, rief Tungdil und stieß in sein Rufhorn. Sein Pony trabte an, und alle vier Heere begannen mit ihrem Vormarsch, während die Katapulte der Festung die Vernichtung über die verdutzten Scheusale brachten.

Krachend und rumpelnd schleuderten sie ihre Steine, Pfeile und Speere, ihre brennenden Petroleumbeutel und glühenden Eisenkugeln in das ungeschützte Lager. Sie trafen Zelte samt den Bewohnern darin, Belagerungstürme, Rammböcke, Sturmleitern und all diejenigen Scheusale, die sich im Freien aufhielten.

Feuer flammten auf, das laute Knistern von berstendem Holz mischte sich mit dem Schreien der Kreaturen. Gleichzeitig riss die Wolkendecke auf, und der Regen ließ nach, als sandten die Götter ihnen gutes Wetter. Doch unvermittelt entstand keine zwanzig Schritt vor ihnen eine neue Barriere, von welcher die Geschosse abprallten. »Schilde!«, schrie Ingrimmsch nach hinten und suchte seinen eigenen. Die ersten abgefälschten Steine flogen trudelnd auf die Zwerge zu, die ihre Schilde nach oben rissen und sich dahinter verbargen, bis der tödliche Schauer endete. Zwar hatten die Katapultmannschaften auf den Wehrgängen rasch reagiert und den Beschuss eingestellt, doch es hatten sich genügend Geschosse in der Luft befunden, um Unheil in den eigenen Reihen anzurichten.

Ingrimmsch spürte zuerst einen leichten Einschlag, danach einen heftigen, der ihn aus dem Sattel des Ponys warf. Er rollte sich so ab, dass er hinter dem Schild blieb. Das war sein Glück, denn etwas Weiches prallte dagegen, und eine Feuerwolke loderte empor. Rasch warf er den brennenden Schutz von sich und sprang vom Feuer weg. Hätte der Petroleumsack ihn richtig getroffen, wäre er in den Flammen umgekommen. Ingrimmsch sah Goda, die glücklich lächelnd zur Sonne sah, ihr Rufhorn an die Lippen setzte und eine schnelle Tonfolge spielte, mit der er nichts anzufangen wusste. Rings auf den Zinnen von Übeldamm blitzte es unvermittelt grell.

Er sah, wie die Soldaten gehämmerte Metallspiegel von zwei Schritt Durchmesser aufrichteten. Hunderte Reflexionen der Sonne tanzten über den Boden und bündelten sich auf dem größten der gegnerischen Belagerungstürme, wo sich eben die Scheusale bereit machten, die Katapulte in Gang zu setzen. Das Licht störte sich nicht an der magischen Barriere.

Verwirrt schlossen die Ungeheuer die Augen, Ingrimmsch sah sie mit den Armen fuchteln, dann fing das erste von ihnen Feuer! Ingrimmsch staunte. Die Spiegel fangen die Kraft des Gestirns ein und vervielfältigen sie! Auch vom nassen Holz kräuselten erste Rauchfahnen auf, bis sich plötzlich das Petroleum für die Brandpfeile von selbst entzündete und mit einer gewaltigen Stichflamme verpuffte. Der Unterstand verging in der Lohe, der Belagerungsturm brannte.

Goda jauchzte laut auf, und Kiras umarmte sie. Ingrimmsch war stolz, dass seine Gemahlin sich diese List ausgedacht hatte. Auch eine kleine Gelehrte. Nicht nur eine Maga, dachte er und beeilte sich, zu Tungdil und Balyndar aufzuschließen.

Die Spiegel richteten sich von Neuem aus und legten den blitzenden Tod über den nächsten Turm. Das Licht reichte schon aus, um die Bestien hinunterklettern oder -springen zu lassen. Sie konnten sich denken, was ihnen blühte, wenn sie länger an dem Punkt standen, an dem die vereinten Strahlen zusammenliefen; gleich danach wurde aus dem Bauwerk eine riesige Fackel, während der erste Turm zusammenbrach und unzählige Feinde unter seinen brennenden Trümmern begrub.

Aus Ingrimmschs Zuversicht, diese Schlacht zu gewinnen, wurde Überzeugung, aber noch keine unerschütterliche Gewissheit.

Lot-Ionan befand sich an der Barriere und brachte sie ein weiteres Mal zum Zusammenbrechen, doch die Katapulte schwiegen aus Angst, dass plötzlich ein weiterer Schild erschien und die eigenen Leute durch die Querschläger verletzt wurden.

Ingrimmsch sah nach den Verletzten und überschlug die Verluste unter den Zwergen. Einige lagen am Boden, andere bluteten, wieder andere hatten Dellen in ihren Helmen, Schilden und Rüstungen, doch hielten sich tapfer auf den Beinen.

Tungdil sprang von seinem Pony. »Vorwärts!«, brüllte er frenetisch und schwang Blutdürster. »Macht sie nieder!« Dann stürmte er voran, packte den Griff seiner Waffe mit beiden Händen.

Das Heer der Zwerge folgte ihm mit einem gemeinsamen Kampfschrei, der von den Mauern der Festung widerhallte und sie anstachelte.

Die Bestien waren damit beschäftigt, sich in Schlachtformation zu begeben, aber die Aufregung unter ihnen war groß.

Daran änderte auch die Verstärkung nichts, die aus der Schlucht quoll. Die Scheusale wurden von der Verwirrung ihrer Artgenossen angesteckt, und die wütenden Befehlshaber schlugen nur so um sich und droschen mit langen Peitschen auf ihre Truppen ein, als wären sie die Gegner.

Die Zwerge befanden sich keine hundert Schritt mehr von derersten Reihe der Feinde entfernt, da schob sich der hässliche Kopf des Kordrion aus der Schlucht.

Ingrimmsch erkannte ihn unverzüglich als das Exemplar, das Tungdil bei seiner Rückkehr angegriffen hatte. Die Narben und das verlorene Auge waren deutliche Zeichen dafür.

Schnell nahm er die Wachspfropfen heraus und schob sie sich in die Ohren. Und er war damit nicht alleine. Im nächsten Augenblick vernahm er die Geräusche um sich herum dumpf und wie aus weiter Ferne durch Wolken hindurch.

Der Kordrion öffnete das Maul zu einem Schrei und schob sich weiter aus der Spalte. Ingrimmsch grinste. Kein Zwerg und keine Zwergin gerieten ins Stocken, der Schrei wirkte nicht gegen sie. Sicher, er klang nach wie vor erschreckend, aber keineswegs lähmend. Das verunsicherte die Bestien noch mehr.

Und die Antwort erfolgte prompt: Lot-Ionan sandte dem Kordrion zwei gellendblaue Strahlen aus seinen Händen entgegen und traf ihn gegen den Hals. Flämmchen loderten auf, die graue Haut des Scheusals warf Blasen und verbrannte zu Schwarz. Schließlich platzte sie, und schwarzbläuliches Blut schwappte auf die unter ihm stehenden Bestien.

Aufkreischend rannte der Kordrion aus der Schlucht und trampelte die Ungeheuer zu seinen Klauen einfach nieder. Er drückte sich ab und die Schwingen entfalteten sich, als ihn eine weitere magische Attacke - dieses Mal von Goda - traf. Ein knisternder gelber Blitz bohrte sich in seine Flanke und hinterließ ein Loch von der Größe eines kleinen Mühlrads.

Der Kordrion katapultierte sich brüllend in die Luft und schwang sich mit kräftigen Schlägen hoch in den Himmel, während sich Blut aus der Wunde ergoss und auf die Erde niederschlug. Er dachte nicht einmal daran, den Magus und die Maga mit seinem weißen Feuer zu überschütten; der Schrecken und der Schmerz waren zu unvermittelt gekommen. Solche Attacken kannte er nicht.

Ein lautes Jubeln erklang, als die Zwerge ihren größten Feind flüchten sahen. Doch wer auf eine entmutigende Wirkung bei den Bestien gehofft hatte, sah sich enttäuscht. Sie hatten ihr Durcheinander in der Aufstellung kurz vor dem Zusammenprall mit den Zwergen beseitigt und stemmten ihnen nun die Schilde entgegen. Wieder zeigte Lot-Ionan, dass er zu Recht von den Bewohnern des Geborgenen Landes gefürchtet wurde. Er breitete die Arme langsam aus, als wolle er eine Mauer umfangen, und gab einen hohlen, pfeifenden Laut von sich.

Ein fürchterlicher Wind löste sich von ihm und wirbelte auf die Phalanx der Scheusale zu. Auf einer Länge von vierzig Schritt wurden sie von der Sturmböe erfasst, emporgeschleudert und nach hinten geschoben. Die Reihen dahinter verletzten die eigenen Krieger durch die gereckten Waffen, bevor sie selbst abhoben und davonflogen. Der Magus ließ die vernichtenden Kräfte erst enden, nachdem sie eine Schneise von dreißig Schritt geschaffen hatten.

Und genau in diese führte Tungdil das Heer der Zwerge. »Ingrimmsch, du befehligst die rechte Seite«, rief er ihm zu. »Ich nehme die linke.« Schon sprang er davon und ließ Blutdürster unter den Bestien wüten.

Ingrimmsch grinste und reckte stolz die Brust. »Mir nach!«, schrie er und zerschmetterte einem Scheusal, das ihn an einen Gugul auf Beinen erinnerte, den widerwärtigen Kopf. Gallertartige Masse spritzte umher, und es fiel um. »Für das Geborgene Land!«

Die Streitmacht teilte sich und trieb das angeschlagene Heer der Bestien vor sich her. Die Äxte und Beile hackten sich durch Schilde, Rüstungen und Leiber, zerbrachen Waffen und Knochen, sandten Feinde blutend auf den nassen Boden.

Die Kinder des Schmieds ließen sich durch nichts aufhalten, stiegen über die Leichen hinweg und zerschmetterten alles, was sich ihnen entgegenstellte. Ingrimmsch hatte Goda an seiner Seite, die mit kleineren Zaubern für zusätzliche Verwirrung unter den Gegnern sorgte. Coira und Lot-Ionan marschierten mit Tungdil, in dessen Nähe sich auch Balyndar befand. Ingrimmsch vermutete Slin irgendwo in den hinteren Reihen, von wo aus der Vierte den Tod mit seinen Bolzen aussandte.

Er gab sich dem Kampfwahn hin, schrie und lachte gleich einem Tobsüchtigen und führte den Krähenschnabel mit unwiderstehlicher Kraft.

Der Dorn knackte jede Form von Panzerung, jeden Schild und jeden Knochen, die schwere flache Seite zertrümmerte Helme und Gesichter, Kniescheiben und Rippen. Schließlich behinderte das viele Blut der Feinde, das in seine Augen lief, Ingrimmsch in seinem Wüten, und er musste innehalten, um es mit dem Bart wegzuwischen. Da bemerkte er, dass er seinen Teil des Heeres bis zur letzten Reihe der Gegner geführt hatte. Es gab keinen Widerstand mehr zu bekämpfen.

Ingrimmsch riss seine Waffe in die Höhe und schrie ein unbändiges, wildes »Vraccas«, in das die Zwerge ringsum einstimmten. Er drehte sich um, damit er sehen konnte, wie Tungdil sich anstellte.

In diesem Augenblick kam ein einzelner Zwerg aus der Schwarzen Schlucht getreten, und seine Rüstung glänzte im Licht der Sonne rötlich-golden auf.

Sein Erscheinen schien alles zu verlangsamen und der Freude über den ersten Sieg einen Eimer aus Schmutz überzustülpen.

Ingrimmsch musste ihn anstarren und vergaß die Befehle, die er hatte geben wollen. Es erging jedem so, der einen Blick auf den ungewöhnlichen Gegner warf. Er war imposant, trotz seiner im Vergleich zu den Bestien geringen Größe. Eine Aura von finsterer Macht umströmte ihn; daran änderte auch die hellere Rüstung nichts. Der Zwerg in dem geschlossenen Panzer aus Vraccasium hob den rechten Arm, und hinter ihm marschierten Scheusale aus der Schlucht, welche die hochgewachsenen, breiten Ubariu noch um einen Kopf überragten.

Sie trugen dicke Rüstungen aus einem grauen Metall, hatten dunkle Felle darüber geworfen und ihre Helme mit den verschiedensten Hörnern und Spießen zur Zierde versehen. Fratzenvisiere bargen die Gesichter, in ihren Händen hielten sie gewaltige Schwerter oder Äxte, Turmschilde sorgten für zusätzlichen Schutz vor Pfeilen und Angriffen.

Ingrimmsch zählte einhundert. Einhundert besonders gewaltige Herausforderungen. Sie hielten hinter dem Zwerg an und rammten die Schilde auf ein gebrühtes Kommando senkrecht in den Boden, sodass es bedrohlich rumpelte. Und schon marschierte eine weitere Abteilung aus der Schlucht, die ebenso gerüstet war, und begab sich dicht hinter die erste Linie. Diese Bestien hielten Waffen in der Hand, die an Sensen erinnerten; die Schäfte waren lang, mit Eisenbändern verstärkt sowie in der oberen Hälfte mit fingerlangen Dornen besetzt. Der vraccasiumgerüstete Zwerg wartete, bis das Klirren der Rüstungen geendet hatte, dann zog er seine beiden Hämmer und schlug sie fest gegeneinander. Der metallische und äußerst unangenehm hohe Laut, der dabei entstand, brachte Ingrimmsch dazu, sich zu schütteln. Dagegen halfen auch die Pfropfen nichts.

Ingrimmsch sah zu Tungdil, der seine Truppe ebenfalls zum Sieg geführt hatte. Damit standen geschätzte achttausend kampffähige Kinder des Schmieds gegen zweihundert Feinde. Das würde ein Gemetzel werden. Die Größe eines Gegners sagte nichts über sein Können aus.

Einer der riesenhaften Krieger trat neben seinen Herrn. »Der, der viele Namen trägt, verlangt zu wissen«, hallte die Stimme über das Schlachtfeld, »wo der Dieb ist, der seine Rüstung stahl. Der ihn verriet. Der ihn hat feige ermorden wollen.« Da setzte Goda ihr Rufhorn an und gab den Wachen auf den Wehrgängen einen neuen Befehl. Sofort richteten sich die gespiegelten Strahlen auf den unbekannten Zwerg, um ihn in seiner Rüstung zu kochen!

Balyndar hatte sich neben Tungdil durch die Reihen der Gegner gekämpft. Er hielt sich beileibe nicht für einen langsamen, behäbigen Krieger, doch neben dem Einäugigen wirkte er genau so. Während der Fünfte nach einem Schlag noch damit beschäftigt gewesen war, die Feuerklinge aus dem Feind zu ziehen, hatte Tungdil bereits zwei Angreifer zerteilt und sich zwischen die nächsten geworfen. Blutdürster war eine fürchterliche Waffe, die ihrem Namen alle Ehre machte.

Balyndar hatte sich nach Kräften bemüht, doch er hatte den Anschluss kaum halten können.

Coira und Lot-Ionan hatten ihre Kräfte aufgespart und es den Klingen der Zwerge überlassen, die Gegner zu besiegen, was der Fünfte durchaus sinnvoll fand. Ihr Sieg war erschreckend leicht gewesen, und sie hatten sich einige Augenblicke Rast gegönnt, bevor sie auf die Schwarze Schlucht marschierten.

Balyndar suchte mit Blicken nach Slin, entdeckte ihn allerdings nirgends. Die Drohung würde ihn auch nicht von dem abhalten können, was er mit Goda vereinbart hatte. Das Geborgene Land musste über die nächsten tausend Zyklen hinweg sicher sein, und das gelang einzig, indem jegliche Gefahrenquelle zum Versiegen gebracht wurde. Jegliche!

Er bemerkte, dass es um ihn herum stiller geworden war, als ein schmerzhafter Laut in seine Ohren fuhr und ihn zusammenzucken ließ. Balyndar wandte sich nach vorn und sah den Zwerg in der rötlich-goldenen Rüstung vor frischen Gegnern stehen. Schnell schob er sich an Tungdils Seite. Lot-Ionan und Coira erschienen ebenfalls. Er sah der Maga an, dass sie sich fürchtete. Erfahrungen mit dem Krieg, wie er hier tobte, hatte sie keine, und die Begegnung mit Sisaroth hatte tiefe Wunden in ihrer Seele hinterlassen, die wohl noch lange nicht geheilt waren. Das viele Blut, der Gestank nach Gedärmen und Unrat und all die Schreie machten der jungen Frau schwer zu schaffen. Balyndar rechnete fast damit, dass sie bald umkehren würde, um sich in den Schutz der Festung zu begeben. Deswegen berührte er sie sanft am Ellbogen und lächelte ihr aufmunternd zu. Dass sein verschmiertes Gesicht und die triefende Feuerklinge nicht unbedingt die beste Ermutigung waren, fiel ihm zu spät ein.

Coiras Lächeln sah nach einer Grimasse aus, und er bemerkte die Spuren von Erbrochenem an ihrer Lederrüstung.

Auf der anderen Seite des Schlachtfelds kam Bewegung auf.

Einer der riesenhaften Krieger trat neben den in Vraccasium gehüllten Zwerg. »Der, der viele Namen trägt, verlangt zu wissen«, hallte die Stimme über das Schlachtfeld, »wo der Dieb ist, der seine Rüstung stahl. Der ihn verriet. Der ihn hat feige ermorden wollen.«

Tungdil schob sein Visier nach oben und öffnete den Mund, doch da erklang ein Rufhorn.

Die Spiegel bündelten die Strahlen dieses Mal auf den unbekannten Zwerg, dessen Rüstung aufleuchtete.

»Ausgezeichnet«, jubelte Balyndar auf. Dagegen half wohl keine Magie, wie die Scheusale schon hinter der vermeintlich sicheren Barriere zu spüren bekommen hatten. »Er wird gesotten wie in einem Topf!«

»Das war eine Torheit sondergleichen«, rief Tungdil und schrie seine Befehle: Die Zwerge sollten sich rasch zu einer Streitmacht zusammenschließen, während er, Lot-Ionan und Coira sowie Balyndar an der Spitze standen. »Weswegen? Weil dir der Gedanke nicht gekommen ist?« Balyndar war stolz, dass Goda sich die List mit den Spiegeln ausgedacht hatte.

»Sie hätte es mit mir absprechen müssen«, gab Tungdil grollend zurück und klang gefährlich wie ein gereiztes Raubtier. »Es ist das geschehen, was ich hatte verhindern wollen.« Er zeigte auf den Zwerg. »Nun wird er seine gesamte Macht einsetzen, um es uns heimzuzahlen.«

»Deine Anweisung war, dass sich ihm niemand in den Weg stellt«, versuchte Balyndar, Godas Tat zu verteidigen.

Das braune Auge blitzte wütend, und Balyndar sah, dass es seine Farbe veränderte, während Tungdil ihn ansah! Unheimliche grüne Wölkchen und Spiralen drehten sich, und unter der goldenen Augenklappe zuckten schwarze Linien quer über das Gesicht. »Wenn man versucht, ihn zu töten, wie würdest du das wohl bezeichnen?« Er klappte das Visier rasch nach unten. »Für mich und ihn ist es eine Steigerung von in den Weg stellen.«

Balyndar musste seine Überraschung erst verdauen. Diese dunklen Striche kannte er von den Albae, aber nicht von den Kindern des Schmieds! »Endlich Gewissheit«, murmelte er und sah auf die schimmernden Diamanten der Feuerklinge. »Mein Gewissen wird rein sein.«

Der Zwerg in der Vraccasium-Rüstung schlug die Hämmer gegeneinander, und kaum erklang das Klirren, zersprangen die Schilde auf den Wehrgängen in viele kleine Fetzen. Die Soldaten, welche sie gehalten und ausgerichtet hatten, wurden von den Fragmenten überschüttet und gingen zu Boden. Ein lautes Rufen voller Furcht und Schmerzen ging auf die Zwerge nieder.

»Das«, sagte Tungdil düster zu Balyndar, »war nur der Anfang. Ein Wetterleuchten vor dem Gewittersturm.« Er nickte Lot-Ionan zu und schritt vorwärts.

Die beiden Teile des Zwergenheers kamen aufeinander zu, der Einäugige und der Magus bewegten sich von ihnen weg und hielten auf den Gegner zu.

Balyndar folgte ihnen und zerrte Coira am Ärmel hinter sich her, und von der anderen Seite sah er Goda und Ingrimmsch nahen; von Slin fehlte jede Spur.

Der Bestienkrieger, der dem gegnerischen Zwerg als Sprachrohr diente, erhob seine Stimme. »Der, der viele Namen trägt, lacht über den Versuch, ihm schaden zu wollen. Noch sieht ervon einer härteren Bestrafung ab. Und er wird verzeihen, wenn man ihm den Dieb, den er da vor sich sieht, die Festung und alles Land diesseits und jenseits des Gebirges...« »Spar dir die Worte«, fiel ihm Tungdil in die Rede. »Du wirst weder verzeihen noch von einer Bestrafung absehen. Du bist hier, um zu töten.« Er wies ihm Blutdürster. »Einmal hat sie dir das Leben gelassen. Ein zweites Mal geschieht es nicht wieder.« Ingrimmsch betrachtete die aufgereihten Krieger. Sie müssen eine Besonderheit in sich tragen, sonst würden sie sich einer Übermacht wie der unseren nicht stellen. Oder sie waren schlicht dämlich genug. »Was sind das für Gestalten?«, raunte er Tungdil zu. »Ich weiß es nicht«, gab sein Freund zurück, ohne den Kopf zu wenden. »Aber sie sind selbst in ihrer geringen Zahl gefährlich. Sonst hätte er sie nicht mitgebracht.« »Der, der viele Namen trägt, wird dieses Angebot ein Mal unterbreiten. Alles, was danach geschieht, habt ihr euch selbst zuzuschreiben«, rief der Krieger zu ihnen hinüber, während sein Herr regungslos dastand, die Hämmer locker an den herabhängenden Armen haltend.

Die Untergründigen erschienen an ihrer Flanke und sahen, dass sie für die erste Schlacht zu spät gekommen waren. Kiras führte sie und ließ sie anhalten. Weitere Tausende Gegner für die Scheusale.

Das soll wirklich alles sein? Ingrimmsch erwartete ständig eine neuerliche Flut von Tions Ausgeburten, einen weiteren Kordrion, einen Drachen oder irgendetwas, was dem Zwerg und seinen läppischen Zweihundert in der unabwendbaren Schlacht beistehen würde. Dass es nicht so war, sorgte ihn umso mehr. »Wann geht es endlich los?«, flüsterte er. »Gelehrter, wie lange sollen wir noch warten?«

Tungdil machte zwei Schritte vorwärts. »Hier steht ein Famulus, der seinen Meister herausfordert!«, rief er laut. »Lass uns herausfinden, wer im Kampf der Bessere ist. Danach können die Heere gegeneinander antreten, wenn ihnen noch immer danach sein sollte.«

Klirrend und rumpelnd erschien das Kontingent der Menschen auf dem Weg aus der Schwarzen Schlucht hinaus, und die Ubariu kamen über die Felsenwände geklettert. Auch sie formierten sich. Damit war die Umklammerung der zweihundertundeins letzten Feinde vollständig. Ingrimmschs Anspannung wuchs ins Unermessliche. »Wie kann er so ruhig bleiben?«, fragte er leise.

»Meinst du Goldhand oder den anderen?«, gab Balyndar zurück.

»Den anderen.« Er ließ den Blick über die vielen entschlossenen Gesichter der Menschen, Ubariu, Untergründigen und Zwerge schweifen. »Selbst ich wäre an seiner Stelle ein bisschen aufgeregt.«

»Nicht, wenn du wüsstest, dass du eine Abmachung mit deinem vermeintlichen Feind hast«, merkte Balyndar an und sah zu Goda. »Es könnte doch sein, dass wir auf den gemeinsten Verrat in der Geschichte des Geborgenen Landes hereingefallen sind.« »Unsinn«, brummte Ingrimmsch. »Das würde der Gelehrte niemals tun.« Seine Finger spannten sich um den Griff des Krähenschnabels. »Vraccas sei mein Zeuge: Wenn die beiden nicht gleich anfangen, tue ich es!«

Tungdil schritt weiter auf den Zwerg in der Vraccasium-Rüstung zu, dabei reckte er die freie linke Hand nach vorn und winkte auffordernd.

Sein Gegner gab einen Knurrlaut von sich und stapfte ebenfalls los, hob die Arme und ließ die Hämmer spielerisch kreisen.

Die Heere verfolgten, was ihre Anführer taten, und warteten gespannt auf den Zweikampf zwischen Famulus und Meister.

Ingrimmsch sah zufällig zu Lot-Ionan. Der Magus bewegte seine Finger unauffällig, und die Lippen formulierten tonlos einen Spruch. Was tut er?

Bevor sich die zwei verfeindeten Zwerge erreichten, stieß der in Vraccasium Gehüllte einen weiteren Laut aus und zeigte mit einem Hammer auf Tungdil.

Dass nichts geschah, irritierte beide, das erkannte Ingrimmsch deutlich an den Körperhaltungen. Der Gelehrte fing sich als Erster wieder, machte einen schnellen Satz auf seinen Meister zu und hieb mit Blutdürster nach dem Kopf.

Es dauerte, bis Ingrimmsch sich zusammengesponnen hatte, was geschehen war: Der gegnerische Zwerg hatte die magische Sperre der Tioniumrüstung aufrufen wollen, und es war nichts geschehen! Ingrimmsch sah zum Magus, der ein sehr zufriedenes Gesicht machte. Hat er den Zauber unterdrückt? War es mit dem Gelehrten abgesprochen... oder der Auftakt zu einem Verrat?

Der Meister fing Tungdils Schlag zwischen den überkreuzten Stielen der Hämmer ab und drückte den Zwerg nach hinten, der sich sofort um die eigene Achse drehte und die Klinge gegen den Hals seines Gegners führte. Wieder bildeten die Hämmer eine Art Schere, dann drehte sie der Meister und verhakte die Köpfe, sodass Tungdil Blutdürster nicht wegziehen konnte, um sich schnell wegzuducken und ihm die Klinge zu entreißen.

Das Manöver gelang, und ein gemeinsamer Aufschrei des Vereinten Heeres erklang: Blutdürster flog durch die Luft und blieb zehn Schritt von Tungdil entfernt im Morast stecken.

Ein hohles Lachen erklang unter dem Helm des Meisters, und er streifte sein Visier in die Höhe. Der Anblick des entstellten Gesichts ließ tiefe Abscheu bei Ingrimmsch entstehen.

Da sirrte es, und ein Bolzen jagte aus der Masse der Zwerge mitten ins Gesicht des Meisters. Es war unstrittig, dass Slin seine Gelegenheit hatte nutzen wollen. Ingrimmsch sah genau, wie das Geschoss durch das Nasenplättchen schlug. Blut quoll hervor, der Getroffene wankte, machte zwei Schritte zur Seite und wurde von einem seiner heraneilenden Krieger aufgefangen. Er stieß ein lautes Stöhnen aus und fuchtelte scheinbar sinnlos mit den Hämmern. Tungdil rannte unterdessen los, um sich Blutdürster zu greifen, während Lot-Ionan die Arme hob und einen Zauber formte. »Bei Vraccas, jetzt geht es los!«, meinte Ingrimmsch.



Das Geborgene Land, Königreich Urgon, Passenstadt, Nordosten, 31 Meilen vor dem Eingang ins Reich der Vierten im Braunen Gebirge, 6492. Sonnenzyklus, Frühsommer.


Rodario setzte soeben an, Mallenia eine Standpauke zu halten, weil sie aufgestanden war, doch dann schwieg er, ließ sich leise auf der Bettkante nieder und betrachtete sie. Sie stand in ihrem Nachthemd am Fenster und blickte hinaus, über die hohen Hügel von Urgon und dorthin, wo einst das Reich der Trolle in Borwöl gewesen war. Das Licht machte den Stoff durchsichtig und zeigte ihm ihre verführerischen Umrisse, die trotz ihrer Muskeln die weibliche Form nicht verloren hatten. Und doch fühlte sich Mallenia in seinen Armen ganz anders als Coira an. Rodario wurde sich einmal mehr bewusst, dass er unglaubliches Glück hatte.

»Ich staune«, sagte die Ido und drehte sich halb zu ihm um.

»So? Über was?«

»Wie du es überlebt hast. Du kannst nicht schleichen, Rodario.«

»Ich kann schon, aber ich wollte es gar nicht«, erklärte er lächelnd, »um dich nicht zu erschrecken.« Dann bemühte er sich, vorwurfsvoll zu schauen. »Du solltest liegen bleiben. Die Reise hat dich angestrengt.«

»Soll sie doch. Ich möchte den Ausgang der Schlacht nicht verpassen. Das ganze Geborgene Land spricht von nichts anderem mehr.« Sie beugte sich nach vorn und blickte in die Gasse unter dem Fenster ihrer Herberge. »Da sind wieder welche, die sich freiwillig aufmachen, um die Kämpfer zu unterstützen.«

Rodario erhob sich und stellte sich hinter sie, schlang die Arme um sie und hielt sie fest. »Die Menschen sind von ihren Erfolgen und ihrer Freiheit wie berauscht! Das ist gut. Aber noch besser ist, dass sie hoffentlich zu spät kommen.« Er folgte ihren Blicken und sah eine Schar junger Männer in Rüstungen von dannen ziehen, die eine Fahne trugen, auf der das Wappen der Stadt flatterte. »Gegen die Scheusale würden sie verlieren.« Mallenia drehte sich in seinen Armen. »Sind wir deswegen so langsam? Weil du mich schützen willst?« Sie bannte seine braunen Augen mit den eigenen. »Sag die Wahrheit, Schauspieler!«

»Wir sind so langsam, weil die Kutsche nicht schneller ist«, beteuerte er. »Ich möchte doch auch nach Coira sehen und sie nicht länger allein lassen.«

Mallenia nickte. »Ja. Das habe ich gleich gesagt. Sie benötigt deinen Schutz mehr als ich.«

»Als sie uns mit Tungdil und den anderen verließ, verhielt es sich anders. Du warst zu schwach, um ein Messer hochheben zu können«, widersprach er.

»Das«, erwiderte sie grinsend, »hat sich geändert.« Sie versetzte ihm einen spielerischen Stoß, der ihn dennoch zu einem Ausfallschritt zwang.

»Ich merke es«, sagte er und lachte. Er gab ihr einen Kuss auf die Hand. »Dann können wir aufbrechen.« Er suchte ihre Sachen zusammen, während sie sich ohne Scheu vor ihm umzog und Nachthemd gegen Rüstung und Schwerter tauschte. Sie tat sich dabei immer noch etwas schwer und benötigte länger als üblich, um alle Schnallen zu schließen, doch es gelang ihr.

Die Seesäcke waren fertig gepackt, und Rodario rief den Burschen des Wirts zu sich, damit er ihnen beim Tragen half.

Mit vereinten Kräften beluden sie die Kutsche, welche er samt Kutscher und Pferden gemietet hatte, danach stockten sie ihre Vorräte auf und vergaßen dabei auch nicht eine kleine Ration Hafer für die Tiere.

Rodario wollte Mallenia beim Einsteigen helfen, da stand der Wirt neben ihnen. Seinen Laufburschen hielt er grob am rechten Ohr gepackt. »Wartet, Herrschaften!«, rief er erbost. »Dieser Nichtsnutz muss Euch etwas gestehen.«

»Muss ich wirklich?«, jammerte der Junge.

Schon gab es eine harte Ohrfeige, die linke Wange glühte. »Dir sollte man die rechte Hand abschlagen! Und das wird man auch tun, wenn die Herrschaften auf einer Bestrafung bestehen!«, schrie er ihn an. »Du machst meiner Herberge Schande! Und das wirst du mit Schmerzen bezahlen!«

Rodario hatte längst an sich herumgetastet und suchte, ob ihm etwas gestohlen worden war. Es fehlte nichts, und Mallenia schüttelte ebenso den Kopf. »Guter Mann, was habt Ihr denn bei ihm gefunden?«

Der Wirt ließ das Ohr des Laufburschen los und versetzte ihm einen Schlag in den Nacken, dass die Haare flogen. Mit der anderen Hand langte er in seine Lederschürze und reichte dem verwunderten Rodario einen in ein Tuch eingeschlagenen Gegenstand. Das Tuch erkannte der Mime sofort als sein Eigentum, schließlich waren seine Initialen eingestickt. Aber er konnte sich nicht erinnern, etwas darin eingewickelt zu haben. Er nahm es entgegen und tauschte mit der Ido einen kurzen Blick, ehe er es behutsam auswickelte.

»Er hat gesagt, er habe es auf dem Boden in der Stube gefunden. Unter dem Bett, in dem die Dame schlief«, redete der Wirt schnell und in einem Atemzug. »Das kann er mir nicht erzählen, dieser Rotzlöffel! Ständig verschwinden Sachen, seit er in meinen Diensten steht.« Wieder klatschte er dem Jungen die Linke ins Gesicht. »Ich schwöre dir bei den Göttern, dass ich deine Hand selbst abschlage, wenn die Herrschaften darauf bestehen! Es wird mir eine Freude sein!« Der Junge weinte und versuchte, sich mit offenkundigen Lügen zu retten. Rodario schlug die letzte Bahn Tuch auseinander und starrte auf den trüben Stein, der da zum Vorschein kam. »Das ist nicht meiner«, flüsterte er Mallenia zu, die ebenso entgeistert wirkte.

»Ein türkisfarbener Rauchdiamant. Weißt du, wie viel der wert ist?«, gab sie zurück. Noch hatten der Wirt und der geschundene Laufbursche nichts bemerkt, und so schlug der Mime den Fund rasch wieder ein.

»Ich bedanke mich für Eure Umsicht«, sagte er und fischte einige Münzen aus seiner Börse. »Hier, als Belohnung.« Großmütig zeigte er auf den Jungen. »Lasst ihn. Es wird ihm eine Lehre sein. Und falls doch«, er machte ein bösartiges Gesicht, »schlagt ihm die Füße ab. Dann kann er immer noch für Euch in der Küche arbeiten.«

Das Antlitz des Wirts hellte sich auf. »Danke sehr, hoher Herr! Ihr seid großzügig und gescheit!« Mit Tritten in den Hintern scheuchte er den Jungen zurück ins Wirtshaus. Rodario wickelte den Stein aus. »Ein Rauchdiamant. Tatsächlich«, sagte er hingerissen. »Aber wie kommt er in mein Tuch?«

Mallenia nahm den Diamanten an sich, drehte und wendete ihn. Dabei lösten sich dunkle Metallstückchen aus dem Stoff und fielen zu Boden.

Rodario hob sie auf und gab sie der Frau. »Was ist denn das?«

»Reste der Fassung vielleicht?« Sie begutachtete die Splitter. »Das ist Tionium.« »Abgesehen davon, dass der Stein nicht mir gehört, habe ich auch keinen Anhänger aus Tionium, in dem er sich hätte befinden können.« Rodario fuhr sich über das Kinnbärtchen, danach über den schmalen Schnauzer.

Mallenia lachte ihn aus. »Manchmal bist du doch begriffsstutzig.«

Er kreuzte die Arme vor der Brust. »Bin ich das?«

Sie hielt ihm den Rauchdiamanten vor die Augen. »Tionium?«

Rodario sah auf den Stein, dann auf ihr Gesicht, und schon schnappte er sich ihn. »Dazu fällt mir nur Tungdils Rüstung ein...« Er zauderte. »Du meinst, er stammt aus seiner Rüstung?«

»Wer hat ihn herausgebrochen und ihn dir untergeschoben? Mit welchem Gedanken?« »Mich des Diebstahls zu bezichtigen, das ist sicher.« Rodario lehnte sich an die Kutsche, warf den Diamanten ständig in die Höhe und fing ihn wieder. »Aber es ergibt keinen Sinn. Jeder weiß, dass ich es nicht nötig habe.«

»Es ging einfach nur darum, vom wahren Täter abzulenken.«

»Dann hätte er den Stein wegwerfen können.« Seine Augen verfolgten den Flug des getrübten Diamanten. »Es ging um Zwietracht im Verlauf der Mission.« »Aber er konnte nicht ahnen, dass die Gruppe sich aufspaltet«, führte Mallenia den Gedanken fort. »Somit hat er seine Ziele teilweise erfüllt.«

Rodario steckte den Stein in seinen Handschuh und wickelte eine Schnur darum, dass er nicht herausfiel. »Angenommen, er stammt aus Tungdils Rüstung, welchen Zweck hatte er? Ich kann mich nicht an ihn erinnern.«

»Er war durch eine Blende verborgen... oder er saß auf der Innenseite.« »Ist es nicht wichtiger, dass Tungdil seinen Diamanten erhält?« Rodario wollte in die Kutsche springen.

Mallenia hielt ihn fest. »Damit sind wir zu langsam. Wir müssen reiten.« »Wir?« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn. »Ich reite, Mallenia. Du bleibst oder kommst mit der Kutsche nach.«

Sie runzelte die Stirn. »Du möchtest nicht vor den Augen der Städter von einer Frau niedergeschlagen werden, Liebster, oder?«

Rodario schnaufte, um seinen Unmut zu zeigen. »Die körperliche Unterlegenheit seines Gefährten auszunutzen, ist keine gute Grundlage für eine Beziehung, meine Teure.« »Das tue ich auch nicht. Es war eine Frage, mehr nicht.« Mallenia grinste und rief nach dem Wirt, der ihnen zwei gute Pferde besorgen sollte.

Ungeduldig warteten sie im Schankraum bei Wasser, Brot und verschiedenen Sorten von Schinken.

»Denkst du«, Rodario schob sich eine dicke Scheibe in den Mund, »dass wir für den Ausgang der Schlacht verantwortlich sein werden?« Er seufzte. »Oh, das wird sich in einem Schauspiel hervorragend machen. Mein Ahn wäre sehr stolz auf mich! Ich scheine in seine Fußstapfen zu treten, was die Wichtigkeit für das Geborgene Land angeht.« Er kaute und langte nach der zweiten Scheibe. »Und dann ist da noch mein Einsatz als Poet der Freiheit.« Er wippte mit dem Stuhl und schaute zur Decke. »Oh, ich könnte mir sogar einen Posten als König verdient haben!« »Möchtest du über Idoslän herrschen?«, neckte sie ihn. »Dann müsstest du gegen mich bestehen, und das kannst du nicht.« Sie pochte auf den Tisch. »Aber Urgons Thron ist leer. Bewirb dich.«

Rodario lachte. »Das wäre doch mal ein Aufstieg. Das wäre so unglaublich...« »... dass du fortan der neue Rodario der Unglaubliche wärst«, vollendete sie und stand auf. Der Wirt winkte sie zu sich. »Ich glaube es erst, wenn ich es sehe.« Sie gingen hinaus, bezahlten den Mann und schwangen sich in die Sättel der beiden Fuchsbraunen.

»Weißt du, was meine erste Handlung als König von Urgon wäre?« Er prüfte mit kurzem Druck, ob der Diamant sicher an seinem Handgelenk saß.

»Nein.«

»Idoslän unterwerfen und dich zu meiner persönlichen Sklavin machen.« Rodario grinste und ritt los.

»Männer!« Mallenia lachte und drückte ihrem Tier die Fersen in die Flanken.

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