SCHMÄHLICHER TOD EINES PFERDES

»Das beste Heilmittel für alle Übel der Menschheit ist ein Pferderennen. Es nimmt den Leuten die Streitlust und Habgier. Ohne Pferderennen wäre die Welt um ein Vieles grausamer.«

Der das sagte, war Abt Laisran von Durrow, ein kleiner, rundlicher Mann mit gerötetem Gesicht, der übersprudelte vor Humor und Lebenslust. Wo er ging und stand, strahlte er Fröhlichkeit aus; er war mit der seltenen Gabe gesegnet, stets die positive Seite der Dinge zu sehen. Für ihn war die Welt geschaffen, um ihren Bewohnern Freude zu bereiten.

Schwester Fidelma von Kildare, die neben ihm ging, hatte für seine philosophische Feststellung ein spitzbübisches Grinsen, das ihr als Mitglied der frommen Schwesternschaft von Kildare eigentlich nicht anstand.

»Ich könnte mir vorstellen, dass Erzbischof Ultan deiner Betrachtungsweise wenig abgewinnt, erwiderte sie und unternahm einen schwachen Versuch, sich vorwitzig hervordrängende rote Haarsträhnen zurückzuschieben.

Um den Mund des Abts zuckte es amüsiert, als er seinen einstigen Schützling ansah. Er war es gewesen, der seinerzeit Fidelma zum Studium der Rechtswissenschaft unter dem weithin gerühmten Brehon Morann von Tara gedrängt hatte. Auch später, als sie es bis zum Rang eines anruth gebracht hatte, war sie seinem Rat gefolgt und ins Kloster der heiligen Brigid eingetreten.

»Dafür würde Bischof Bressal mit mir übereinstimmen«, sagte er vergnügt. »Er hat zwei Pferde, die er regelmäßig ins Rennen schickt, und er hat auch nichts dagegen, dass man Wetten auf sie abschließt.«

Fidelma war bekannt, dass Bressal, Bischof am Hof von Fáelán der Uí Dúnlainge, dem König von Laighin, ein glühender Verfechter des Pferdesports war. Im Grunde genommen gab es nur wenige in den fünf Königreichen von Éireann, die das nicht waren. Selbst das alte Wort für ein bekanntes Fest in Éireann, aenach, bedeutete »Wettstreit der Pferde«; da strömten die Menschen zusammen, debattierten über gewichtige Dinge, ließen ihre Pferde rennen, schlossen Wetten auf sie ab, schmausten, freuten sich ihres Lebens und feierten nach Herzenslust. Erst in jüngster Zeit hatte der Erzbischof und Primas Ultan von Armagh begonnen, die beliebten Volksfeste als dem Glauben abträglich zu verurteilen, sie als Gotteslästerung und heidnische Verderbtheit hinzustellen. Er erreichte mit seinen Anprangerungen nicht viel; die meisten, selbst sein eigener Klerus, setzten sich darüber hinweg. Die alten Sitten und Bräuche waren zu tief in den Menschen verwurzelt, als dass die Vorurteile eines einzigen Mannes sie hätten ändern, geschweige denn ausmerzen können.

Auch Abt Laisran und Schwester Fidelma rührten seine Vorhaltungen wenig, mischten sie sich doch unter die Menge, die zum Aenach Lifé, dem jährlichen Fest strebte, das auf der großen Ebene abgehalten wurde. Seit alten Zeiten, seit dem Hochkönig Conaire Mór, hieß die Rennbahn Curragh Lifé, so benannt nach dem mächtigen Fluss, der sich in unmittelbarer Nähe vorbei an den Wällen der Hügelfestung Dún Aillin seinen Weg bahnte. Die Legende wollte es, dass schon die heilige Brigid, die Begründerin des Ordens in dem nahen Kildare, dem auch Fidelma angehörte, ihre Pferde auf ebendieser Ebene ins Rennen geschickt hatte. Jetzt war der Curragh die in allen fünf Königreichen beliebteste Rennstrecke, und zum Aenach Lifé strömten die Menschen aus allen Ecken Irlands. Jedes Jahr war der König von Laighin höchstpersönlich anwesend, eröffnete das Fest und hatte auch selbst die unbestritten besten Rösser aus den königlichen Stallungen im Einsatz.

Fidelma wehrte einen jungen Burschen ab, der ihr heiße Pfannkuchen aufschwatzen wollte, und sah ihren um beträchtliche Jahre älteren Begleiter schmunzelnd an.

»Hast du Bischof Bressal heute schon gesehen?«

»Er soll hier gewesen sein, aber selbst gesehen habe ich ihn nicht. Er schickt heute sein Lieblingspferd Ochain ins Rennen. Seinen Jockey Murchad hingegen habe ich bereits zu Gesicht bekommen. Er schließt hohe Wetten ab, er würde mit Ochain gewinnen. Wie der Bischof ist auch er von sich und seinem Pferd überzeugt.«

Fidelma überlegte und schürzte die Lippen.

»Ochain. Von einem Ross mit dem Namen habe ich schon mal gehört. Wie kann man ein Pferd nur ›der Stöhnende‹ nennen?«

»Angeblich gibt Ochain, wenn er spürt, er ist am Gewinnen, einen stöhnenden Laut von sich. Pferde sind kluge Wesen.«

»Oft klüger als Menschen«, stimmte ihm Fidelma zu.

»Unter uns gesagt, bestimmt klüger als der gute Bischof«, spöttelte Laisran. »Er prahlt öffentlich damit herum, er würde heute das Rennen gegen Fáeláns Pferd gewinnen, und das entzückt den König nicht gerade. Es hat sich bereits herumgesprochen, dass der König über das angeberische Getue des Bischofs reichlich verärgert ist.«

»Fáelán lässt heute eins seiner Pferde laufen?«

»Sein bestes sogar. Damit steht, ehrlich gesagt, der Ausgang schon fest. Im Sattel sitzt Illan, des Königs bester Reiter, und wenn der Aonbharr zwischen seinen Schenkeln hat, kommt keiner in Laighin an ihn ran … Auch nicht ein Murchad auf Ochain. Nebenbei gesagt, wird es Bischof Bressal wenig freuen, dass ausgerechnet Illan das Pferd des Königs reitet.«

»Wieso das?«

»Früher hat Illan Bressals Pferde auf die Rennen vorbereitet und sie bei Wettkämpfen auch geritten. Dann hat der König von Laighin ihm mehr Geld geboten und ihn so für die Arbeit mit Aonbharr abgeworben.«

Aonbharr, das Pferd des Königs, war auch Fidelma ein Begriff. Es war unglaublich schnell, und der König hatte es nach dem sagenumwobenen Pferd des alten Gottes der Meere, Manánnan Mac Lir, benannt, einem wundersamen Ross, das über Land und Wasser fliegen konnte, ohne an Tempo zu verlieren. »Ich habe vergangenes Jahr das Pferderennen auf dem Curragh gesehen, da konnte keins der anderen Tiere mit ihm mithalten. Da muss Bressals Pferd schon enorm gut sein, oder seine Prahlerei wird ihn teuer zu stehen kommen.«

»Du warst das Jahr über auf Reisen und nicht hier, Fidelma, und weißt vielleicht nicht, dass der König und der Bischof mehr oder weniger in Fehde liegen. In den vergangenen zwölf Monaten hat Bressal viermal bei Rennen Pferde gegen des Königs bestes Ross und seinen Jockey in die Bahn geschickt und ist jedes Mal geschlagen worden. Natürlich ist das eine Schmach für ihn, und nun ist er wie besessen. Er fühlt sich von seinem früheren Dresseur und Rennreiter veralbert und ist nur noch darauf aus, das Pferd des Königs und vor allen Dingen Illan zu schlagen. Alle Welt macht sich schon über ihn lustig.« Der Abt wies mit einer Armbewegung auf die dichtgedrängte Menge. »Ich fürchte, ein gut Teil der Leute hier ist nur gekommen, um mit anzusehen, wie Bressal abermals gedemütigt wird, wenn Aonbharr spielend gewinnt.«

»Hab ich nicht gesagt, Pferde hätten mehr Verstand als Menschen?«, meinte Fidelma kopfschüttelnd. »Warum muss eine Lustbarkeit in Feindseligkeit enden?«

Unversehens blieb Laisran stehen und schaute in eine bestimmte Richtung. Ein junger Mann, von der Kleidung her zur Leibgarde des Königs von Laighin gehörend, kämpfte sich durch die Menschenmassen und hielt deutlich auf den Abt und Schwester Fidelma zu. Sichtlich erregt blieb er vor ihnen stehen.

»Ich bitte um Verzeihung, Abt Laisran«, begann er und wandte sich sofort Fidelma zu. »Bist du Schwester Fidelma von Kildare?«

Bestätigend neigte sie den Kopf.

»Würdest du bitte sogleich mit mir kommen, Schwester?«

»Worum geht es?«

»Es geschieht auf ausdrücklichen Wunsch des Königs.« Besorgt schaute sich der junge Mann um und senkte seine Stimme, damit die Umstehenden nicht hören konnten, was er sagte.

»Illan, des Königs ersten Rennreiter, hat man … tot aufgefunden. Aonbharr, des Königs Pferd, ist am Verenden. Der König glaubt, da habe jemand die Hand im Spiel und hat Bischof Bressal festgenommen.«

Mit finsterem Gesicht saß Fáelán vom Stamm der Uí Dúnlainge, König von Laighin, in seinem Zelt. Ohne Umschweife hatte man Fidelma und Laisran zu der beeindruckenden Gruppe von Zelten geführt, die eigens für den König, die Stammesfürsten und die dazugehörigen Damen entlang der Rennbahn aufgestellt worden waren. Es war durchaus üblich, dass ganze Familien während der neun Tage andauernden Festivitäten auf dem Gelände ihr Lager aufschlugen. Hinter den Zelten der Adligen standen die der Dresseure, Reiter und anderer Gefolgsleute, sowie weitere Zelte, die als Ställe für deren Pferde dienten.

Fáelán war ein Mann, der auf die vierzig zuging. Das schwarze Haar und die buschigen Augenbrauen ließen ihn ohnehin düster erscheinen, doch wenn er unfreundlich dreinblickte, hatte er etwas bösartig Gespenstisches an sich, und manch einer zitterte in seiner Nähe.

Nicht so Abt Laisran, der Fidelma begleitet hatte. Unbeeindruckt stand er lächelnd vor dem König, die Hände in den Falten seines Habits verborgen. Er kannte Fáelán gut und wusste, dass sich hinter dessen unnahbarem Äußeren ein anständiger und ehrenhafter Mann verbarg. Neben Fáelán saß die Königin, die schöne Muadnat mit dem glatten Haar, eine große und sinnliche Erscheinung, Geschichten ihrer Liebschaften waren in aller Munde. Sie war festlich gewandet, trug einen mit Juwelen besetzten Gürtel, an dem eine Dolchscheide hing, wie es für Frauen des Adels üblich war. Nur fiel Fidelma auf, dass der dazugehörige kleine Dolch nicht darin steckte. Die Königin wirkte niedergeschlagen, als hätte sie gerade geweint.

Hinter dem Königspaar stand Fáeláns Neffe Énna, der tánaiste, sein Thronnachfolger, und neben ihm dessen Frau Dagháin. Beide waren Mitte zwanzig. Énna war ein gutaussehender, wenn auch mürrisch wirkender Mann, seine Partnerin auf den ersten Blick eine eher unscheinbare Person. Im Gegensatz zur Königin ließ ihre durchaus modische Kleidung die nötige Sorgfalt vermissen. Fidelma bemerkte sofort, dass ihr Gewand befleckt und unordentlich war. Selbst der mit Juwelen besetzte Gürtel und die Dolchscheide machten keinen gepflegten Eindruck, und der zeremonielle Dolch wollte auch nicht so recht in seine Hülle passen. Die Frau hatte Mühe, ein gewisses Unbehagen zu überspielen.

Fidelma stand mit gefalteten Händen vor dem König und wartete geduldig.

»Ich brauche einen Brehon, Schwester«, begann Fáelán. »Ich habe von Énna« – er deutete mit dem Kopf zu seinem tánaiste – »erfahren, dass du mit Abt Laisran hier an der Rennbahn bist.«

Sie schaute ihn aufmerksam an.

»Weißt du schon, was geschehen ist?«, fiel Énna seinem König ins Wort, den dessen vorwitzige Art störte. Noch ehe Fidelma auf Énnas Frage antworten konnte, fuhr Fáelán fort: »Mein bester Rennreiter wurde ermordet, auch hat es jemand darauf angelegt, mein bestes Pferd zu töten. Vom Tierarzt höre ich, es liegt im Sterben und wird die nächsten Stunden nicht überleben.«

»Dein Leibwächter hat es mir gesagt«, erwiderte Fidelma. »Auch weiß ich, dass man Bischof Bressal festgenommen hat.«

»Es geschah auf mein Geheiß«, bestätigte der König. »Wenn einer aus der Gräueltat Gewinn ziehen kann, dann er. Du musst nämlich Folgendes wissen …«

»Ich habe von euren Streitigkeiten wegen der Pferderennen gehört.« Sie winkte ab. »Nur warum verlangst du nach mir? Du hast doch deinen eigenen Brehon.«

Fast unmerklich zuckte Fáelán ob ihrer formlosen Art zusammen und erklärte dann: »Er ist heute nicht anwesend. Es bedarf aber eines Brehons, weil nur er darüber befinden kann, ob es gerechtfertigt ist, den Bischof in Haft zu nehmen und vor Gericht zu stellen. Und da es sich in diesem Fall um einen hohen geistlichen Würdenträger handelt, ist es ein glücklicher Zufall, dass ich mit deiner Person eine dálaigh habe, die gleichzeitig Mitglied eines frommen Ordens ist.«

»Lass mich also die Fakten hören. Wer hat die Leiche deines Rennreiters entdeckt?«

»Ich.«

Die Antwort kam von Dagháin. Fidelma wandte sich ihr zu und hatte so die Möglichkeit, sie etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Sie war blond, hatte eigentlich nichts Besonderes an sich, und auch ihre Gesichtszüge sprühten nicht gerade vor Lebhaftigkeit. Mit ihren grauen und kalten Augen sah sie Fidelma unerschütterlich an.

»Erzähl den Hergang der Geschichte.«

Dagháin vergewisserte sich mit einem fragenden Blick beim König, und als der ihr billigend zunickte, schaute sie wieder Fidelma an.

»Es ist eine Stunde her. Ich war gerade angekommen, wegen der Rennen. Ich bin in Illans Zelt gegangen und fand ihn dort auf der Erde liegen. Er war tot. Dann bin ich zu meinem Mann gelaufen, der beim König war, und habe ihnen berichtet, was ich gesehen hatte.«

Ihre Stimme war sachlich und ohne Arg.

»Vielleicht könnten wir das noch einmal ausführlicher durchgehen«, ermunterte Fidelma sie freundlich. »Du warst gerade angekommen, woher?«

»Meine Frau und ich haben auf der Festung Dún Ailinn übernachtet«, antwortete Énna an ihrer statt. »Hierher gekommen bin ich heute früh, um mich mit Fáelán zu treffen.«

Fidelma nickte.

»Was führte dich unmittelbar in Illans Zelt, dass du nicht erst Ausschau nach deinem Mann gehalten hast?«

Errötete Dagháin ein wenig? Geriet sie ins Zögern?

»Ganz einfach, ich wollte nach Aonbharr, dem Pferd, sehen. Es ist in den Stallungen meines Mannes großgeworden und ging erst später an den König. Ich sah sofort, dass dem Tier etwas fehlte, und eilte zu Illan, um ihm das zu sagen.«

»Und da hast du ihn tot vorgefunden?«

»Ja. Ich war furchtbar erschrocken. Ich wusste mir keinen Rat und rannte hierher.«

»Bist du in der Eile gestürzt?«

»Ja«, gab sie überrascht zu.

»Könnte das erklären, warum deine Kleidung etwas in Unordnung geraten ist?« Es war mehr eine rhetorische Frage, doch die Frau nickte, erleichtert, einer Antwort enthoben zu sein.

»Hast du an Illan etwas erkennen können, das auf die Todesursache hindeutet? Wie lag er da?«

Dagháin überlegte. »Auf dem Rücken. An seiner Kleidung war Blut, mehr habe ich nicht gesehen. Ich wollte nur gleich meinen Mann holen.«

Ein Schluchzen schreckte Fidelma auf. Es kam von Muadnat, der Gattin des Königs. Mit einem Spitzentüchlein tupfte sie sich die Augen ab.

»Du musst schon entschuldigen«, griff der König sogleich ein. »Meine Frau nimmt sich jedwede Form von Gewalt sehr zu Herzen, und Illan gehörte zu unserem Hausstand. Hättest du etwas dagegen, wenn sie sich zurückzieht? Über die Vorgänge kann sie ohnehin keine Auskunft geben und folglich zu deinen Ermittlungen nichts beitragen.«

Fidelma bekundete ihr Einverständnis und nickte der Königin zu. Mit einem verkrampften Lächeln erhob sich Muadnat und verließ mit ihrer Kammerzofe das Zelt.

Jetzt galt Fidelmas Aufmerksamkeit Énna.

»Du hast gehört, was bisher gesagt wurde. Bist du damit einverstanden?«

»Es war, wie es meine Frau geschildert hat«, bestätigte er. »Sie kam reichlich aufgelöst in unser Zelt, wo ich im Gespräch mit Fáelán war, und berichtete uns genau das, was sie dir eben erzählt hat.«

»Und was hast du daraufhin getan?«

»Ich rief ein paar Wachmänner zusammen und ging zu Illans Zelt. Er lag tot auf der Erde, genau wie Dagháin es berichtet hat.«

»Er lag auf dem Rücken?«

»Auf dem Rücken, ja.«

»Fahr fort. Was geschah dann? Bist du der Todesursache nachgegangen?«

»So genau nicht. Allem Anschein nach hatte man ihm unterhalb der Brust einen Stich versetzt. Ich ließ einen Wachtposten bei ihm und ging mit einem zweiten zu dem Zelt, das als Stall diente, um nach Aonbharr zu schauen. Es war, wie Dagháin gesagt hatte. Das Pferd war in einem jammervollen Zustand. Es stand mit gespreizten Beinen da, der Kopf hing zwischen den Schultern, und es hatte Schaum vorm Maul. Ich verstehe genügend von Pferden und sah sofort, dass es offenbar vergiftet worden war. Ich rief Cellach, den Pferdedoktor, er sollte sein Bestmögliches tun, um dem Tier zu helfen. Ich selbst lief zurück zu Fáelán und setzte ihn von allem in Kenntnis.«

Ihre nächste Frage galt dem König.

»Bist auch du, Fáelán vom Stamm der Uí Dúnlainge, der Meinung, dass das bisher Gesagte die Vorgänge genau erfasst?«

»Dem, was Dagháin und Énna berichtet haben, kann ich nur voll und ganz zustimmen.«

»Wie ging es weiter? An welchem Punkt des Geschehens glaubtest du Bressal, deinen eigenen Bischof, als Täter sehen zu müssen?«

Fáelán lachte lauthals los.

»Das stand für mich von Anfang an fest. Das ganze Jahr über ist der Bischof geradezu besessen von dem Gedanken, mein Pferd Aonbharr zu schlagen. Er hat mächtig herumgeprahlt, ist hohe Wetten eingegangen und hat sich erheblich verschuldet. Für das Hauptrennen von heute wollte er mit einem bestimmten Pferd gegen Illan antreten. Ochain, so heißt sein Ross, ist ein gutes Rennpferd, aber gegen Aonbharr hätte es keine Chance gehabt. Man konnte bereits sehen, das Bressal es nicht ertragen würde, gegen mich zu verlieren. Wenn Illan und Aonbharr für das Rennen ausfallen, wird Ochain gewinnen. So einfach ist das. Zudem hat Bressal einen gewaltigen Zorn auf Illan, der früher mal sein Rennreiter war.«

»Als Verdacht ist das nachzuvollziehen, Fáelán.« Fidelma lächelte milde. »Aber für eine Schuldzuweisung und Festnahme braucht es Beweise. Wenn du nur aufgrund deiner Verdachtsmomente gehandelt hast, würde ich dir dringend raten, Bressal auf der Stelle freizulassen, ehe er sich auf Recht und Gesetz beruft und gegen dich vorgeht.«

»Da ist aber noch etwas«, sagte Énna in aller Ruhe und gab einem Krieger der Leibgarde, der am Zelteingang stand, einen Wink. Der Mann ging hinaus und rief jemand. Kurz darauf betrat ein großer, einfach gekleideter Mann mit einem gewaltigen Bart das Zelt und verneigte sich vor dem König und seinem tánaiste.

»Sage der Gerichtsanwältin hier, wie du heißt und was du machst«, forderte ihn Énna auf.

»Ich heiße Angaire und arbeite beim Bischof als Stallknecht.«

Fidelma hob eine Augenbraue, zeigte sonst aber keinerlei Verwunderung.

»Ein Mitglied von Bressals Kloster bist du nicht«, stellte sie sachlich fest.

»Nein, Schwester. Der Bischof hat mich wegen meiner Erfahrung im Umgang mit Pferden eingestellt. Ich reite sein Pferd Ochain zu. Mönch bin ich nicht.« Sein Auftreten war freundlich und selbstsicher.

»Erzähl Schwester Fidelma, was du uns berichtet hast«, verlangte Énna.

»Na ja, Bressal hat oft damit geprahlt, dass Ochain bei dem heutigen Rennen Aonbharr schlagen würde, und hat hohe Wetten auf den Ausgang des Rennens abgeschlossen.«

»Nun komm schon zur Hauptsache«, drängte Fáelán.

»Also heute Morgen machte ich Ochain fertig für …«

»Solltest du ihn heute reiten?«, unterbrach ihn Fidelma. »Ich dachte …«

Angaire schüttelte den Kopf.

»Bressals Rennreiter ist Murchad. Ich trainiere Ochain nur.«

Fidelma bedeutete ihm fortzufahren.

»Ich sagte Bressal, nachdem ich Aonbharr gestern im Probelauf hatte rennen sehen, dass es meiner Meinung nach für Ochain schwer werden würde, ihn auf der Zielgeraden zu überholen. Bressal geriet außer sich. Nie habe ich ihn so wütend gesehen. Er wollte kein Wort von mir hören, und ich ging. Eine halbe Stunde später kam ich an Illans Zelt vorbei …«

»Woher wusstest du, dass es das Zelt von Illan war?«, wollte Fidelma wissen.

»Jeder Rennreiter hat außen am Zelt ein kleines Banner stecken mit dem Zeichen des Besitzers des Pferdes, das er reitet. Bei großen Volksfesten wie diesen hier ist es üblich, die Wappen der Besitzer zu zeigen.«

»Das stimmt«, bekräftigte Fáelán.

»Ich kam also an dem Zelt vorbei und hörte drinnen erregte Stimmen. Die von Bressal erkannte ich sofort. Bei der anderen denke ich mal, es war die von Illan.«

»Und was hast du gemacht?«

Angaire zuckte mit den Schultern. »Es ging mich nichts an. Ich ging weiter zu Murchads Zelt und gab ihm ein paar Ratschläge, was er beim Rennen alles beachten sollte, wenngleich mir klar war, dass er gegen Illan kaum etwas würde ausrichten können.«

»Und dann?«

»Ich verließ Murchads Zelt und sah …«

»Wie viel später war das?«

Angaire blinzelte bei der Unterbrechung. »Zehn Minuten vielleicht. So genau kann ich mich nicht erinnern. Lange haben Murchad und ich jedenfalls nicht gesprochen.«

»Also was hast du gesehen?«

»Ich sah Bressal vorbeilaufen. Auf der Wange hatte er einen roten Striemen, und er war sichtlich aufgebracht. Er hat mich nicht gesehen. Außerdem hielt er unter seinem Umhang etwas verborgen.«

»Kannst du dich etwas genauer zu dem ›etwas‹ äußern?«

»Vielleicht so etwas wie ein langes, schmales Messer.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Fidelma und runzelte die Stirn. »Beschreibe, was genau du gesehen hast.«

»In der einen Hand hatte er etwas Langes und Schmales, verdeckt von seinem Umhang, länger als neun Zoll war es nicht, wie breit, kann ich nicht sagen.«

»Du kannst also nicht beschwören, dass es ein Messer war?« Fidelma wurde scharf. »Ich bin nicht hier, um mir irgendwelche Vermutungen anzuhören, ich brauche Tatsachen. Also weiter.«

Einen kurzen Moment sah er sie betroffen an, zuckte dann mit den Achseln und fuhr fort: »Ich ging meiner Arbeit nach und hörte plötzlich einen Wachmann sagen, man hätte Illan tot in seinem Zelt aufgefunden. Ich hielt es für meine Pflicht, dem Wachtposten von dem zu berichten, was ich wusste.«

»Der Wachtposten kam dann zu mir«, ergänzte Énna, »und später bin ich die Geschichte mit Angaire noch mal durchgegangen.«

»Und ich habe daraufhin Bressal festnehmen lassen.« Fáelán glaubte den Erläuterungen damit einen Schlusspunkt zu setzen.

»Was hat Bressal zu den Anschuldigungen gesagt?«, fragte Fidelma.

»Er hat jede Äußerung verweigert und darauf bestanden, einen Brehon zu sehen«, erwiderte der König. »Als ich von Énna erfuhr, dass du auf der Festwiese bist, habe ich nach dir schicken lassen. Du weißt jetzt genauso viel wie wir. Ich denke, ich habe rechtens gehandelt, den Bischof wegen eines anstehenden Verfahrens in Arrest zu halten. Willst du jetzt mit ihm reden?«

Zu aller Verwunderung schüttelte sie den Kopf.

»Ich möchte erst den Leichnam sehen. Hat man einen Arzt hinzugezogen?«

»Nein. Schließlich ist Illan tot.«

»Dann lass bitte einen kommen. Ich möchte die Leiche untersucht wissen. Während das geschieht, schau ich nach Aonbharr und werde mit dem Pferdedoktor sprechen. Wie hieß er doch gleich?«

»Cellach«, gab ihr der König Bescheid. »Er kümmert sich um alle meine Pferde.«

»Gut. Vielleicht kann mich dein Leibwächter begleiten und zu dem Tier bringen.« Sie wandte sich Abt Laisran zu, der sich die ganze Zeit abseits gehalten hatte. »Würdest du mit mir kommen, Laisran? Ich brauche deinen Rat.«

Unterwegs, als der Krieger ihnen voranging, eröffnete sie Laisran, was sie bewegte: »Ich wollte mit dir sprechen. Mir ist aufgefallen, dass Königin Muadnat von Illans Tod offensichtlich sehr betroffen ist.«

»Deine Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, Fidelma. Ich, zum Beispiel, hatte auch nicht bemerkt, dass Dagháins Kleidung in Unordnung geraten war, erst, als du es erwähntest. Ja, Muadnat hatte ganz deutlich geweint. Illans Tod muss ihr sehr nahegehen.«

»Das hab ich ja selbst schon festgestellt. Aber du weißt mehr von dem, was man sich über das Treiben am Hof erzählt. Es muss doch einen Grund geben, dass sie der Tod derart berührt.«

»Muadnat ist eine hübsche Frau, und dem Hörensagen nach ist sie in ihren fleischlichen Gelüsten unersättlich. Mehr sage ich lieber nicht, denn Fáelán ist ein duldsamer Herrscher.«

»Weshalb sprichst du so in Rätseln, Laisran?«, fragte sie.

»Verzeih. Ich dachte, Illans Ruf als Frauenheld sei dir nicht unbekannt. Illan war nur einer von vielen Liebhabern, die sich in der Gefolgschaft der Königin die Ehre gaben.«

Als Fidelma und Laisran das Zelt betraten, in dem Aonbharr untergebracht war, lag das Pferd auf der Seite, jeder Atemstoß war ein quälendes Röcheln. Es rang mit dem Tod. Etliche Männer standen um das Tier herum, unter ihnen auch Cellach, der Tierarzt.

Der hagere Mann mit dem vom Wetter gegerbten Gesicht blickte die Schwester mit großen grauen und traurigen Augen an. Er litt deutlich mit dem Tier mit.

»Aonbharr stirbt«, gab er auf Fidelmas Frage zur Antwort.

»Kannst du bestätigen, dass man ihn vergiftet hat?«

»Ja«, erwiderte er bitter. »Mit einer Mischung aus Eisenhut, zerstampften Efeublättern und Alraune. So viel habe ich feststellen können, Schwester.«

Sie sah ihn verwundert an, und er bemerkte, dass sie seiner Aussage nicht recht traute.

»Das zu erkennen bedurfte keiner Zauberei, Schwester.«

Sanft berührte er das Maul des Pferdes und öffnete es einfühlsam. Der fahle Gaumen war mit Blut und Speichel besprenkelt. Inmitten des Schleims waren noch Futterreste zu erkennen.

»Du siehst da noch die Reste der Giftmischung. Es ist eindeutig, jemand hat das Tier mit dem tödlichen Zeug gefüttert.«

»Wie lange kann das her sein?«

»Nicht lange. Vielleicht eine Stunde oder auch weniger. Ein paar Handvoll davon sind von sofortiger Wirkung.«

Fidelma legte dem Pferd die Hand auf die Nüstern und streichelte es sanft. Unter Anstrengung machte es die großen braunen Augen auf, sah sie an und atmete mit lautem Stöhnen aus.

»Hat man ihm noch auf andere Weise etwas angetan?«, fragte sie.

»Nein, Schwester.«

»Wäre es denkbar, dass Aonbharr rein zufällig von allein die giftigen Pflanzen gefressen hat?«, gab Laisran zu überlegen.

»Wenn er doch hier im Stall angebunden war? Das ist schwer vorstellbar, Abt«, wehrte Cellach ab. »Auch im Freien verhalten sich Pferde klug und mit Vorsicht. Sie haben einen Spürsinn für Dinge, die ihnen schaden könnten. Abgesehen davon gibt es hier in der Gegend weder Alraune noch Eisenhut. Und wie sollte es Efeublätter kleinstoßen? Nein, das ist vorsätzlich von Menschenhand geschehen.«

»Besteht für das Tier noch Hoffnung?«, fragte Fidelma bewegt.

Cellach schüttelte den Kopf. »Länger als bis Mittag quält es sich nicht mehr.«

Sie ging auf den Zeltausgang zu. »Wir müssen wohl oder übel zu Illan und seinen Leichnam betrachten.«

»Bist du Schwester Fidelma?«, fragte eine Stimme gereizt.

Bei ihrem Eintreten richtete sich eine Nonne auf, die über den auf dem Erdboden liegenden Leichnam gebeugt gewesen war. Es war eine stämmige Frau mit großen Händen und grob geschnittenem Gesicht. Nachdem Schwester Fidelma ihre Frage bestätigt hatte, fuhr sie fort: »Ich bin Schwester Eblenn, die Apothekerin in der Gemeinschaft der heiligen Darerca.«

»Hast du die Leiche schon untersucht?«

Schwester Eblenn verneigte sich flüchtig vor Laisran, der hinter Fidelma erschien, und erwiderte: »Ja. Erstochen. Mitten ins Herz.«

Fidelma wechselte einen Blick mit dem Abt.

»Hast du das Messer gefunden?«

»Die Wunde stammt nicht von einem Messer«, erklärte Eblenn entschieden.

Vergeblich wartete Fidelma auf eine ergänzende Bemerkung und fragte schließlich ungehalten: »Wovon dann?«

Die Apothekerin zeigte auf den Tisch. Da lag ein zerbrochener Pfeil. Es war die vordere Hälfte eines Pfeils; ungefähr neun Zoll Schaftlänge und die Spitze. An der Bruchstelle war der Schaft gesplittert.

Fidelma nahm das Stück in die Hand und betrachtete es näher. Es war blutverschmiert; man konnte schlussfolgern, dass Schwester Eblenn es aus der Wunde gezogen hatte.

»Willst du damit sagen, man hätte Illan mit dem Pfeil hier ins Herz gestochen?«, mischte sich Abt Laisran ein. »Erstochen, hast du gesagt, nicht mit dem Pfeil erschossen?«

Schmollend verzog sie den Mund und sah ihn verdrossen an. »Du hast es doch gehört.«

»Bisher hast du überhaupt nichts erklärt«, wies Fidelma sie zurecht. »Berichte, was genau du festgestellt hast, und halte dich an die Tatsachen.«

Eblenn war es nicht gewohnt, dass man sie befragte. Sie setzte bei anderen das Wissen um die Dinge voraus und verstand es nicht, sich klar und eindeutig auszudrücken. Gerügt zu werden war ihr fremd.

»Der Tote erfuhr einen Stich ins Herz.« Sie sprach langsam und deutlich, ohne innere Anteilnahme, wie ein Kind, das gelangweilt – nach Offensichtlichem befragt – die verlangte Erklärung abgibt. »Der Stich erfolgte mit dem Pfeil hier. Der Täter hat mit dem Pfeil unterhalb des Rippenbogens zugestoßen, genau am Brustbein vorbei, hat mit der nötigen Kraft die Pfeilspitze nach oben und ins Herz getrieben. Der Tod erfolgte unmittelbar. Geblutet hat es so gut wie gar nicht.«

»Aus welchen Erwägungen heraus sprichst du nicht davon, dass der Pfeil abgeschossen wurde?«, fragte Abt Laisran erneut.

»Bei dem Einstichwinkel, wie er sich uns darbietet, hätte der Bogenschütze fünf Fuß entfernt und mindestens fünf Fuß tiefer als das Opfer stehen müssen, um in einem Winkel von fünfundvierzig Grad schräg nach oben schießen zu können. Außerdem ist der Pfeil entzweigebrochen. Ich vermute, der Schaft hat der Kraft, mit der zugestoßen wurde, und der festen Umklammerung durch die Hand des Angreifers nicht standhalten können.«

»Demnach hast du die Pfeilspitze regelrecht herausschneiden müssen?«

Kopfschüttelnd widerlegte sie die Vermutung.

»Die Pfeilspitze ist Teil des Schafts, das Holz vorne lediglich zugespitzt. Ich musste nichts herausschneiden, brauchte den Pfeil nur herauszuziehen. So, wie er hineinging, ging er auch wieder heraus. Es war ganz leicht.«

Im Stillen war Fidelma leicht verzweifelt.

»Schon als du herkamst, um den Leichnam zu untersuchen, war der Pfeil entzwei? Die eine Hälfte steckte im Körper, die andere … Wo war die eigentlich?«

Schwester Eblenn schreckte auf und schaute sich um, als würde ihr das helfen, die Antwort zu finden.

»Das weiß ich nicht; sie müsste hier irgendwo liegen.«

An Fidelma zerrte die Ungeduld. Aus Schwester Eblenn etwas herauszukriegen war wie Forellenangeln. Man musste die Angel aufs Geratewohl auswerfen. Sinnend betrachtete sie die Pfeilspitze. Wie aus der Ferne hörte sie Eblenn etwas sagen.

»Was?«

»Ich muss zurück in mein Apothekerzelt. Der eine Diebstahl heute früh hat mir gereicht, und man weiß ja, Gelegenheit macht Diebe.«

Im Nu war Fidelma hellwach. »Was hat man aus deinem Zelt entwendet?«

»Ach, nur ein paar Kräuter. Aber auch die kosten Geld.«

»Die paar Kräuter – waren das Alraune, Eisenhut und zerstoßener Efeu?«

»Oh, du hast wohl mit Lady Dagháin gesprochen?«

Fidelma stutzte. »Was hat Lady Dagháin damit zu tun?«

»Nichts. Sie kam nur gerade an meinem Zelt vorbei, als ich den Diebstahl entdeckt hatte. Ich bat sie, ihren Mann in Kenntnis zu setzen, der als tánaiste für die königlichen Wachen verantwortlich ist.«

»Wann genau war das?«

»Zur Frühstückszeit. Heute Morgen. Zuvor hatte Königin Muadnat bei mir hereingeschaut, sie wünschte Balsam gegen Kopfschmerz. Kurze Zeit darauf merkte ich, dass die Kräuter fehlten. Als ich dann zum Frühstück gehen wollte, sah ich Lady Dagháin und sagte es ihr.«

Damit verließ sie Schwester Eblenn. Laisran, dem immer noch seine Verwirrung anzumerken war, stellte zufrieden fest: »Wenigstens wissen wir jetzt, woher der Täter das Gift hatte.«

Fidelma nickte geistesabwesend. Sie ging auf die Knie, begann, die Leiche näher zu untersuchen und winkte dann Laisran zu sich heran.

»Schau dir mal die Wunde an, Laisran. Ich habe den Eindruck, Schwester Eblenn mangelt es an Gründlichkeit.«

Nachdem Laisran die Wunde eingehend beäugt hatte, kam auch er zu der Erkenntnis: »Von einer Pfeilspitze stammt die nicht. Sie ist mehr wie ein klaffender Schlitz, könnte eher von einem Messer mit breiter Klinge stammen.«

»Genau der Meinung bin ich auch.«

Sorgsam suchte sie den Erdboden ab, fing bei dem Leichnam an und zog immer größere Kreise. Aber bis auf eine cena aus Leder, einen Beutel mittlerer Größe, fand sie nichts. Sie legte ihn auf den Tisch. Was sie zu finden gehofft hatte, konnte sie nirgends entdecken. Unverrichteter Dinge stand sie wieder auf. Sie nahm das abgesplitterte Pfeilstück, drehte es ratlos hin und her und steckte es in ihr marsupium, die Gürteltasche, die sie stets bei sich trug.

Schließlich warf sie einen letzten Blick auf Illan. Laisran hatte recht – er war ein hübscher junger Mann gewesen. Doch sein Antlitz war ein wenig zu schön, als dass es sie gereizt hätte. Sie konnte sich gut vorstellen, wie selbstgefällig und von sich überzeugt er sich zu Lebzeiten gegeben hatte.

Mit einem Hüsteln machte Abt Laisran auf sich aufmerksam.

»Hast du schon irgendwelche Vorstellungen?«

Sie lächelte ihren alten Mentor an. »Jedenfalls keine, die Sinn machen.«

»Während du mit dem Leichnam beschäftigt warst, habe ich mir den kleinen Beutel, den du in der Zeltecke gefunden hast, etwas näher angesehen. Du solltest auch mal hineinschauen.«

Stirnrunzelnd folgte sie seinem Rat und beförderte eine Kräutermischung ans Tageslicht. Argwöhnisch schnupperte sie daran.

»Ist das wirklich, was ich vermute?«, fragte sie Laisran mit großen Augen.

»Ja. Alraune, Eisenhut und Efeublätter. Nicht nur das, auf der cena ist auch ein kleines Zeichen, aber ein anderes, als ich auf der Apothekertasche von Schwester Eblenn gesehen habe.«

Beinahe hätte Fidelma gepfiffen, aber sie beließ es bei der Lippenbewegung.

»Das gibt uns ein neues Rätsel auf, Laisran. Wir müssen herausfinden, zu wem das Wappen gehört.«

Völlig unerwartet betrat Énna das Zelt.

»Ah, da bist du ja, Schwester. Hast du hier genug gesehen?«

»Was zu sehen war, habe ich gesehen«, erwiderte sie.

Sie wies auf den Leichnam. »Ein trauriges Ende für einen, der so jung und talentiert war.«

»Manch ein Ehemann ist da anderer Meinung, Schwester«, meinte er hämisch.

»Denkst du an die Königin?« Laisran erwehrte sich nicht eines Lächelns.

Peinlich berührt zuckte Énna zusammen. Von Muadnats Affären wussten viele, aber niemand am Hof verlor ein Wort darüber.

»Du wirst jetzt gewiss Bischof Bressal aufsuchen?«, wandte er sich an Fidelma. »Er ist schon etwas ungehalten, dass du nicht als Erstes zu ihm gegangen bist.«

Fidelma hielt sich mit einer Entgegnung zurück.

»Bevor wir das tun, brauche ich deine Hilfe Énna«, sagte sie stattdessen. »Als tánaiste kennst du dich doch sicher mit Wappen und Stammeszeichen aus.«

Er machte eine zustimmende Geste.

»Was für ein Zeichen ist das hier?« Sie hielt ihm den Beutel hin, den sie gefunden hatten.

»Das sind die Insignien aus dem Hause des Bischofs Bressal«, erwiderte Énna ohne Zögern.

Fidelma presste die Lippen zusammen, während Laisran einen erschrockenen Laut von sich gab.

»Ich will den guten Bischof nicht länger als nötig warten lassen«, sagte Fidelma fast ein wenig ironisch. »Gehen wir zu ihm.« »Erzähl, wie sich dir die Dinge darstellen«, forderte Fidelma den Bischof des Königs von Laighin auf und nahm vor dem erregten Mann Platz. Bressal war groß und beleibt, von starkem Knochenbau und hatte im Gegensatz dazu ein blasses, fast kindliches Gesicht, dazu den Ansatz einer Glatze. Was ihr gleich als Erstes auffiel, war der rote Striemen auf seiner linken Wange.

Missbilligend sah er sein junges Gegenüber an, um dann aufzublicken und Abt Laisran zuzunicken, der gleichfalls das Zelt betreten hatte und mit verschränkten Armen am Eingang stehen geblieben war. Als vierte Person stand noch ein groß gewachsener Krieger im Raum, der zu Bressals Hausstand gehörte, denn Rang und Amt des Bischofs berechtigten ihn zu einer Leibwache.

»Du hast dich ohne Erlaubnis in meiner Gegenwart gesetzt, Schwester«, tadelte er Fidelma.

In aller Ruhe sah sie ihm ins Gesicht und erklärte ungerührt: »Mich zu setzen ist mir ohne ausdrückliche Aufforderung in der Gegenwart jedes Kleinkönigs gestattet. Ich bin eine dálaigh, Anwältin beim Gericht, und habe den Grad eines anruth erworben. Mit anderen Worten, selbst in der Gegenwart des Hochkönigs darf ich mit seiner Erlaubnis sitzen. Ich bin …«

Verärgert winkte er ab. Mit den Regeln von Vorrechten der Brehons in ihren Rangabstufungen war er vertraut.

»Kommen wir zur Sache, anruth. Wieso sehe ich dich erst jetzt? Je früher man mich anhört, desto rascher hat meine unerhörte Festnahme ein Ende.«

Nachdenklich sah sie ihn an. Was war das nur für ein hochmütiger Mann! An den Geschichten, die sie über ihn und sein eitles Vorhaben gehört hatte, beim Pferderennen unbedingt gegen das Pferd des Königs siegen zu wollen, musste etwas dran sein.

»Wenn dir an einer zügigen Klärung der Vorfälle gelegen ist, dann beantworte bitte meine Fragen und lass deine beiseite. Im vorliegenden Fall …«

»Der ist doch klar!«, polterte der Bischof los. »Fáelán versucht mir für eine Sache die Schuld zuzuschieben, mit der ich nichts zu tun habe. Da gibt es nichts dran zu rütteln. Wahrscheinlich hat er das alles selbst gemacht, um mich in ein schlechtes Licht zu setzen, weil er wusste, dass mein Pferd seins schlagen würde.«

Fidelma zog die Augenbrauen hoch.

»Mit Gegenanschuldigungen kommt man besser erst, wenn man seine Unschuld bewiesen hat. Ich hätte gern gewusst, wo überall du dich heute Morgen aufgehalten hast.«

Er wollte sich weiter mit ihr anlegen, ließ sich dann aber doch herab, ihr zu antworten.

»Ich bin in Begleitung meines Leibwächters Sílán« – er wies mit einer Kopfbewegung auf den Krieger – »zur Rennstrecke gegangen. Wir wollten nach meinem Pferd Ochain sehen.«

»Wer hatte Ochain dort hingebracht?«

»Angaire, der mit dem Pferd arbeitet, und Murchad, mein Rennreiter.«

»Und wann genau wart ihr unterwegs? Ich meine, wie lange, bevor man Illans Leiche entdeckte.«

»Wann man die Leiche entdeckt hat, weiß ich nicht, aber ich muss etwa eine Stunde zurück gewesen sein, als Fáelán, dieser Dreckskerl, mich hat verhaften lassen.«

»Bist du außer Angaire und Murchad noch anderen begegnet?«

»Da waren jede Menge Leute an der Rennstrecke. Der eine oder andere wird mich auch gesehen haben, aber wer im Einzelnen dort war, das kann ich nicht sagen.«

»Mir geht es mehr darum, ob du dich mit irgendjemand unterhalten hast, vielleicht auch mit jemand Bestimmtem … mit Illan, zum Beispiel.«

Er starrte sie an. Dann schüttelte er den Kopf. Sie sah ihm an, dass er nicht die Wahrheit sagte. Seine Augen verrieten ihn.

»Du hast also heute Morgen nicht mit Illan gesprochen?«, drängte sie.

»Ich hab es doch eben gesagt.«

»Denk noch einmal nach, Bressal. Bist du nicht zu seinem Zelt gegangen, weil du mit ihm sprechen wolltest?«

Er starrte sie abermals an. Schuldbewusstsein machte sich auf seinem Gesicht breit.

»Ein Knecht Gottes sollte nicht lügen, Bressal«, mahnte Laisran vom Zelteingang her. »Ein Bischof schon gar nicht.«

»Ich habe Illan nicht getötet«, erklärte er widerborstig.

»Wie hast du dir die frische Wunde auf der linken Wange zugezogen?«, fragte Fidelma plötzlich.

Wie im Reflex hob Bressal die Hand und tastete nach dem Striemen im Gesicht.

»Ich …« Er kam nicht weiter, ihm fiel keine brauchbare Antwort ein. Er sackte zusammen, wurde förmlich kleiner auf seinem Stuhl und gab sich geschlagen.

»In der Not ist die Wahrheit die beste Zuflucht«, empfahl ihm Fidelma ungerührt.

»Es stimmt, ich bin zu Illans Zelt gegangen und geriet in Streit mit ihm. Dabei hat er mir eine versetzt«, gab er mürrisch zu.

»Und du hast zurückgeschlagen?«

»Heißt es nicht bei Lukas: ›Wer dich schlägt auf einen Backen, dem biete den anderen auch dar‹?«, wehrte er sich.

»Nicht immer hält man sich an das, was in der Heiligen Schrift geschrieben steht. Muss ich es so verstehen, dass du – ein Mann nicht arm im Geiste – es Illan nicht mit gleicher Münze heimgezahlt hast, als er dich schlug?«

»Illan lebte, als ich ihn verließ«, murmelte er.

»Aber handgreiflich bist du geworden?«

»Natürlich! Der Hund hat es gewagt, mich, einen Fürsten und Bischof von Laighin, anzurühren!«

Fidelmas Seufzer war unüberhörbar.

»Und weswegen ist er gewalttätig geworden?«

»Ich … ich habe ihn erzürnt.«

»Hatte euer Streit etwas damit zu tun, dass er früher mal dein Rennreiter war, dann aber aus deinen Diensten ausgeschieden ist, um für Fáelán zu reiten?«

»Du scheinst eine Menge zu wissen, Schwester Fidelma«, sagte er aufs höchste erstaunt.

»In welchem Zustand hast du Illan verlassen?«

»Ich hatte ihm einen Kinnhaken versetzt, und er fiel in Ohnmacht. Unser Gespräch war damit zu Ende, und ich ging. Getötet habe ich ihn nicht.«

»Wie kam es zu dem Streit?«

Beschämt senkte Bressal den Kopf, aber da er sich nun einmal für eine wahrheitsgemäße Schilderung entschieden hatte, blieb er seinem Vorsatz treu.

»Ich bin zu ihm gegangen, weil ich ihn mit Geld überreden wollte, von dem Rennen Abstand zu nehmen und sich wieder in meine Dienste zu begeben.«

»Hat irgendjemand davon gewusst, dass du ihn bestechen wolltest?«

»Ja, Angaire.«

»Dein Stallknecht, der mit deinem Pferd arbeitet?« Fidelma überlegte fieberhaft.

»Ich hatte Angaire gesagt, dass ich mit der Art und Weise, wie er Ochain zuritt, nicht sehr glücklich wäre. Ich habe ihm auch gesagt, wenn ich Illan dazu bewegen könnte, zu mir zurückzukommen, könne er sich nach einer anderen Arbeit umsehen. In allen diesjährigen Rennen hat mir Angaire nicht einen Sieg beschert.«

Fidelma wandte sich dem schweigend dastehenden Krieger zu.

»Wie viel von dem eben Dargelegten kannst du bestätigen, Sílán?«

Verblüfft starrte sie der Mann an und schaute dann zu Bressal, als brauche er sein Einverständnis, sprechen zu dürfen.

»Erzähl ihnen, was sich heute früh zugetragen hat«, befahl ihm Bressal unwirsch.

Steif bezog Sílán Position vor Fidelma, Blick geradeaus, und fing mit monotoner Stimme an zu reden.

»Ich bin an der Rennbahn kurz nach …«

»Bist du schon lange Leibwächter des Bischofs?«, unterbrach ihn Fidelma. Sie hatte etwas gegen einstudierte Reden, und wenn sie das Gefühl hatte, man wollte ihr eine vorsetzen, ging sie gern mit einer Frage dazwischen, um den Vortragenden aus dem Konzept zu bringen.

»Ja, Schwester. Seit einem Jahr.«

»Fahr fort.«

»Kurz nach der Morgendämmerung bin ich zur Rennbahn gekommen, um beim Zeltaufbau des Bischofs zu helfen.«

»Hast du da bereits Illan gesehen?«

»Selbstverständlich. Es waren schon viele da. Der Bischof, auch Angaire, Murchad, Illan, selbst Fáelán und die Königin und der tánaiste …«

Er sprach mit ihr, aber sie sah ihn nicht an. Ihr Blick haftete auf dem Köcher, den er an der Seite trug. Ein Pfeil schien kürzer als die anderen. Das mit den Federn besetzte Ende war zwischen den anderen etwas tiefer in den Köcher gesunken.

»Kipp mal deinen Köcher aus!«, forderte sie ihn unvermittelt auf.

»Was soll ich?«

Er schaute sie fassungslos an. Selbst Bressal schien zu glauben, sie sei verrückt geworden.

»Kipp die Pfeile aus deinem Köcher und lege sie hier auf den Tisch vor mir«, wies sie ihn an.

Mit gekrauster Stirn tat er, wie geheißen.

Zielgerichtet griff Fidelma nach einem Pfeil und hatte sein abgesplittertes hinteres Ende von etwa sechs Zoll Länge in der Hand. Sie wusste, dass sie nach der dazugehörigen vorderen Hälfte nicht zu suchen brauchte.

Stillschweigend verfolgten die anderen, wie sie das entsprechende vordere Ende mit der Pfeilspitze aus ihrem marsupium zog. Unter ihren gebannten Blicken fügte sie die beiden Hälften zusammen. Sie passten haargenau zueinander.

»Ich fürchte, du bist in einer dummen Lage, Sílán«, sagte Fidelma bedächtig. »Die Spitze deines Pfeils steckte in der Wunde, an der Illan starb.«

»Ich hab es nicht getan!«, rief der Krieger verzweifelt.

»Ist es einer deiner Pfeile oder nicht?«, fragte sie und hielt die beiden Hälften in die Höhe.

»Worauf willst du hinaus?«, rief Bressal dazwischen.

Neugierig trat Laisran näher. »Das Zeichen am Schaft stimmt mit deinen anderen Pfeilen überein.«

Sílán nickte. »Ja, es muss einer meiner Pfeile sein. Ein jeder wird dir sagen, dass er das Kennzeichen des Bischofs trägt.«

»Laisran, lege bitte den Beutel, den wir in Illans Zelt gefunden haben, auf den Tisch«, forderte Fidelma jetzt den Abt auf. Dann deutete sie auf das Wappen.

»Und wie ist es mit diesem Zeichen hier? Es gleicht dem auf dem Pfeilschaft.«

»Na und?«, meinte Bressal achselzuckend. »Alle Mitglieder meines Hausstands tragen meine Hausmarke. Beutel wie der hier dienen als Satteltaschen, jeder, der in meinen Stallungen arbeitet, hat Zugriff zu ihnen.«

»Würde es dich sehr erstaunen, wenn du erfährst, dass der hier giftige Kräuter enthält, und zwar genau die, mit denen Aonbharr vergiftet wurde?«

Sílán und Bressal schwiegen.

»Es könnte leicht heißen, dass Sílán auf Anweisung von Bischof Bressal, seinem Herrn, Illan getötet und Aonbharr vergiftet hat«, überlegte sie laut.

»Ich habe es nicht getan!«

»Und ich habe ihn niemals angewiesen, so etwas zu tun«, rief Bressal kreidebleich und außer sich.

»Wenn du gestehst, du hättest die Tat auf Anordnung von Bressal begangen, würde man mit dir weniger hart ins Gericht gehen«, redete Fidelma dem Krieger zu.

Doch Sílán blieb bei seiner Aussage.

»Ich habe nie eine solche Anweisung erhalten und habe es nicht getan.«

Nun wandte sich Fidelma Bressal zu.

»Zunächst sind es nur Indizienbeweise, Bischof. Sei es, wie es sei, sie sprechen dennoch gegen dich. Der Pfeil und der Beutel mit der giftigen Kräutermischung sind Beweisstücke, die sich schwer widerlegen lassen.«

Ihre Worte machten ihn betroffen.

»Hast du Illan aus eigenem Antrieb umgebracht?«, fragte er Sílán barsch.

Der schüttelte heftig den Kopf und sah Fidelma flehend an. Sie spürte, dass er unschuldig war. Die Beweise, die gegen ihn und den Bischof vorlagen, ließen ihn hilflos dastehen.

»Ich kann mir das alles nicht erklären«, war das Einzige, was er hervorbrachte.

»Hast du heute Morgen deinen Köcher mit den Pfeilen die ganze Zeit bei dir getragen?«, gab Fidelma ihm zu überlegen.

Er dachte eine Weile nach. »Nicht den ganzen Morgen. Die meiste Zeit über hatte ich Köcher und Bogen im Zelt des Bischofs gelassen, weil ich alle möglichen Gänge zu erledigen hatte.«

»Was für Gänge, zum Beispiel?«

»Ich sollte zum Beispiel sehen, wo Murchad ist. Ich fand ihn in der Nähe von Illans Zelt, wo er gerade mit Angaire sprach; das war, als Lady Dagháin aus Illans Zelt gestürzt kam, sie war ganz blass und rannte zu ihrem Zelt. Ich weiß noch, dass Angaire eine unfeine und anzügliche Bemerkung machte. Ich ließ ihn stehen und kam mit Murchad hierher.«

»Der Köcher mit den Pfeilen war also hier im Zelt, während du auf des Bischofs Geheiß unterwegs warst, um ihm seinen Rennreiter zu holen?«, fasste Fidelma seine Schilderung zusammen. »Und der Bischof war allein hier im Zelt?«

Ihre Bemerkung brachte Bressal auf, und er wurde zornesrot.

»Wenn du jetzt behauptest, ich hätte einen Pfeil genommen und wäre losgegangen, um Illan zu töten …«, fing er erregt an.

»Immerhin warst du zu der Zeit allein hier im Zelt, oder?«

»Nicht die ganze Zeit. Síláns Waffen lagen die überwiegende Zeit hier, und wir waren beide mal drin, mal draußen. Auch Besucher kamen und gingen. Selbst Fáelán und Muadnat, seine Frau, haben vorbeigeschaut.«

Das überraschte Fidelma. »Was hat ihn hierhergeführt, wenn ihr doch bittere Rivalen wart?«

»Fáelán wollte mit Aonbharr angeben, das war alles.«

»Kam er vor oder nach deinem Streit mit Illan?«

»Davor.«

»Und er war in Begleitung von Muadnat?«

»Ja. Und dann kam Énna.«

»Und was wollte der?«

»Mich bitten, Ochain aus dem Rennen zu nehmen; die Feindseligkeiten zwischen mir und dem König wären dem Ruf des Königreichs nicht dienlich. Aber das stand außer Frage. Auch waren Angaire und Murchad hier.«

»Lady Dagháin, Énnas Frau, gehörte die ebenfalls zu deinen Besuchern?«

Der Bischof schüttelte den Kopf. »Wie auch immer, wenn es dir darum geht, ob es möglich gewesen wäre, dass jemand einen Pfeil genommen und Illan getötet hat, dann kann ich nur sagen, Gelegenheit dazu hatten mehr als einer.«

»Und wie erklärst du den Beutel mit den Giftkräutern?«

»Dazu kann ich nur sagen, dass mein Wappen darauf ist, alles andere entzieht sich meiner Kenntnis.«

Fidelma lächelte schwach und bat Laisran: »Lass uns gehen.«

Dass sie Anstalten machte, das Zelt zu verlassen, erboste Bressal, und er rief ihr hinterher: »Was gedenkst du jetzt zu tun?«

Sie war schon am Zeltausgang, drehte sich aber noch einmal zu ihm um. »Ich gedenke meine Nachforschungen abzuschließen, Bressal«, sprach’s und verschwand, gefolgt von dem leicht verwirrten Laisran.

Draußen hatte Fáelán mehrere Krieger aus seiner Leibgarde zur Bewachung des Gefangenen aufgestellt.

»Viel übrig hast du für den guten Bischof nicht«, meinte Laisran.

Sie lachte schelmisch. »Er ist ja auch nicht gerade ein liebenswerter Mensch.«

»Und das Beweismaterial spricht gegen ihn. Der Fall ist damit wohl schlüssig.« Er hatte seinen Schritt beschleunigt und ging jetzt neben ihr.

Fidelma schüttelte den Kopf.

»Wenn Bressal oder Sílán als Mordwerkzeug den Pfeil benutzt hätten, dann hätten sie die verräterische Hälfte davon nicht für jedermann so offensichtlich bei sich behalten.«

»Irgendwo ergibt es aber doch einen Sinn. Der eine wie der andere könnte Illan mit dem Pfeil umgebracht haben. Dann ging dem Täter auf, dass die Hausmarke auf dem Schaft ihn hätte verraten können, er brach das hintere Ende ab, nahm es an sich und entfernte es damit vom Tatort.«

»Und ließ den Beutel mit dem Wappen und den giftigen Kräutern gut sichtbar in Illans Zelt? Nein, mein guter Mentor«, widersprach sie mit nachsichtigem Lächeln, »wenn der Mörder so klug gedacht hätte, wie du glaubst, dann hätte er den Pfeil leicht vernichten können. Es gibt genug Feuerstellen, wo man ihn mühelos hätte verbrennen können. Warum das Pfeilende so augenfällig in den Köcher zurückstecken? Auch hätte er den Beutel verschwinden lassen. Vor allen Dingen aber hast du eine Tatsache außer Acht gelassen, die ganz offensichtlich auch Bressal und Sílán übersehen haben, und das wiederum belegt ihre Unschuld.«

Verständnislos sah Laisran sie an.

»Jetzt musst du mir auf die Sprünge helfen.«

»Wir haben doch gemeinsam festgestellt, dass der Pfeil erst in die Wunde gesteckt wurde, als Illan bereits tot war. Eine Irreführung also. Illan wurde mit einem Dolch erstochen und nicht mit dem Pfeil getötet.«

Laisran schlug sich mit der Hand vor den Kopf. Bei dem Kreuzverhör von Bressal und Sílán, das er erregt mitverfolgt hatte, war ihm der entscheidende Punkt glatt entfallen.

»Glaubst du, da ist eine Verschwörung im Gange, um Bressal als schuldig erscheinen zu lassen?«

»Ja, der Auffassung bin ich.«

Wie vom Donner gerührt, blieb er stehen.

»Wer aber …? Du glaubst doch nicht etwa, der König …? Dass Fáelán in Sorge geraten war, sein Pferd könnte nicht gegen das von Bressal gewinnen, und er einen so verteufelten Plan ausgeheckt hat?«

»An deiner Hypothese ist etwas dran, aber noch bleibt einiges zu tun, ehe wir mit ihr arbeiten können«, entgegnete sie zurückhaltend.

Énna stand plötzlich vor ihnen.

»Warst du bei Bressal, Schwester?«, fragte er anstelle einer Begrüßung.

Sie nickte.

»Und, hat er sich schuldig bekannt?«

Sie schaute ihn nachdenklich an.

»Wieso? Hältst du ihn für schuldig?«

»Was heißt, für schuldig halten? Das steht doch außer Zweifel.«

»Nach unseren Gesetzen muss jemandem, wenn er nicht von sich aus seine Schuld bekennt, eine Missetat nachgewiesen werden. Bressal weist jede Schuld von sich. Im Ergebnis meiner Ermittlungen müsste ich ihn des Verbrechens überführen können.«

»Das dürfte nicht weiter schwierig sein.«

»Das sagst du.« Er spürte ihren spöttischen Unterton, wohl war ihm dabei nicht. »Ich hätte gern, dass sich alle, die von der Sache betroffen sind, in Fáeláns Zelt einfinden: Bressal, Sílán, Angaire, Murchad, Fáelán und Muadnat, du und Dagháin. Ich werde dort das Ergebnis meiner Nachforschungen darlegen.«

Énna eilte davon, und Fidelma wandte sich Laisran zu.

»Geh schon zu Fáeláns Zelt und warte dort auf mich. Ich bin gleich da.« Und auf seinen fragenden Blick fügte sie hinzu: »Ich muss mich noch einer Sache vergewissern, damit alles Hand und Fuß hat.«

Sie waren ihrer Aufforderung gefolgt und hatten sich im Zelt von Fáelán, dem König von Laighin, versammelt.

»Es ist eine höchst merkwürdige Geschichte, die sich hier abgespielt hat«, begann sie, nachdem der König ihr das Wort erteilt hatte. »Was anfangs offenkundig schien, wurde immer rätselhafter und undurchsichtiger. Bis eben noch.« Sie verzog ihr Gesicht zu einem breiten Lächeln.

»Und was hat sich ergeben?«, drängte Fáelán.

»Jetzt fügen sich alle Mosaiksteinchen zu einem Ganzen. Zunächst ist natürlich das Beweismaterial gegen Bressal erdrückend.«

»Es ist nicht wahr. Ich bin nicht schuldig«, ereiferte sich Bressal.

Mit erhobener Hand gebot ihm Fidelma Schweigen.

»Ich habe nicht gesagt, dass du schuldig bist, sondern nur, dass die Beweislage gegen dich erdrückend war. Träfe dich wirklich die Schuld oder hätte Sílán die Tat in deinem Auftrag begangen, dann hättest du gewusst, dass Illan nicht mit einem Pfeil, sondern mit einem Dolch erstochen wurde. Allein der tatsächliche Mörder und die Person, die den Pfeil in die Wunde gesteckt hat, konnten das wissen. Mit dem in dem Toten steckenden Pfeil wollte man die Wahrheit vertuschen und die Fährte zu Bressal hin lenken. Man hatte gehofft, ich würde den Pfeil für das Mordwerkzeug halten und die offensichtliche, aber falsche Schlussfolgerung ziehen.«

Erleichtert seufzte Bressal auf. Auch Sílán hinter ihm gab sich entspannter.

»Als Erstes ging ich dem Tatmotiv näher auf den Grund, das für alle klar schien«, führte Fidelma aus. »Ein jeder glaubte, Illan und auch Aonbharr, das Pferd, seien umgebracht worden, damit sie für das heutige Rennen von vornherein ausscheiden. Wer hätte aus der Situation einen Gewinn ziehen können? Bressal natürlich, denn sein Pferd Ochain mit Murchad, seinem Jockey, waren außer Illan und Aonbharr die einzigen ernstzunehmenden Teilnehmer. Wenn Bressal nun aber keine Schuld trifft, wer kommt dann als Täter in Frage? Wer sonst zöge aus dem Mord einen Nutzen? Murchad vielleicht, der eine hohe Wette auf seinen Sieg gesetzt hatte? Laisran hatte schon heute am frühen Morgen gesehen, wie Murchad – von sich überzeugt – einen hohen Wetteinsatz riskierte.«

»Das ist nicht gesetzeswidrig!«, rief Murchad hochrot vor Wut. Fidelma schenkte ihm keine Beachtung und fuhr fort:

»Murchad war es offensichtlich auch nicht, er hatte kein Tatmotiv. Er hätte im Falle eines Sieges den Wettgewinn einfach eingesammelt; es ging ihm ohnehin mehr ums Geld als um den sportlichen Ehrgeiz. Hätte er Illan ermordet und Aonbharr vergiftet und auch die Spur fälschlich auf Bressal gelenkt, wäre Bressal verhaftet, und Pferd und Reiter wären aus dem Rennen genommen worden. Murchad hätte damit seinen Wetteinsatz selbst verspielt.«

Murchad begleitete ihre Ausführungen mit bedächtigem Kopfnicken. Fidelma fuhr munter fort.

»Wer käme weiter in Frage? Angaire, der täglichen Umgang mit Bressals Pferd hatte? Bressal war mit seiner Arbeit nicht zufrieden und hatte ihm erst heute früh gesagt, dass er sich von ihm trennen wollte. Er hatte ihm nicht verschwiegen, dass er Illan aufgesucht hatte, um ihn zu überreden, in seine Dienste zurückzukehren und für ihn statt für Fáelán zu reiten. Angaire hätte also eher einen Beweggrund gehabt als Murchad.«

Angaire trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Fidelma jedoch sprach unbeirrt weiter.

»Halten wir an der Vorstellung fest, dass es bei allem immer um das Rennen ging, dann kommt nur noch eine Person in Frage, die etwas davon gehabt haben könnte, Bressal zum Täter zu stempeln.«

Ihr Blick fiel auf Fáelán, den König. Der sah sie erstaunt an, und im gleichen Moment ging seine Verwunderung in Empörung über. Doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Warte. Die Sache ist viel komplizierter. Außerdem wussten alle, dass Aonbharr mit Leichtigkeit Ochain hinter sich lassen würde. Um seinen Sieg musstest du dir keine Sorgen machen, also hattest du kein Motiv.«

Sie machte eine Pause und schaute in die erwartungsvollen Gesichter.

»Es schälte sich heraus, dass Illans Ermordung nichts mit Rivalitäten auf der Rennstrecke zu tun hatte. Das Verbrechen wurde aus einem anderen Grund begangen. Aber war es der gleiche wie für die Vergiftung von Aonbharr?«

Im Zelt herrschte gespanntes Schweigen, alle hingen an ihren Lippen.

»Das Tatmotiv für Illans Tod ist ein altbekanntes, so alt wie die Menschheitsgeschichte. Unerwiderte Liebe. Illan war jung und schön und sein Ruf unter Frauen derart, dass er viele Geliebte hatte. Er pflückte sie wie andere Blumen, behielt sie, so lange das Liebesverhältnis frisch war, und warf sie dann achtlos weg. Ich sehe das doch richtig, oder nicht?«

Fáelán war blass geworden und sah verstohlen zu Muadnat. »Das ist kein Verbrechen, Fidelma. In unserer Gesellschaft haben noch immer viele eine zweite Frau, einen zweiten Mann, Liebhaber oder Geliebte.«

»Das stimmt. Aber eine der Blumen, die Illan sich auserwählt hatte, wollte sich nicht einfach wegwerfen lassen. Sie ging heute Morgen in sein Zelt und stritt mit ihm. Und als er sie verschmähte und ihr sagte, er wolle nichts mehr mit ihr zu tun haben, packte sie die Wut, und sie erstach ihn. Mit einem raschen Dolchstoß unterhalb des Rippenbogens war alles erledigt.«

»Wenn es sich so zugetragen hat, wie du sagst«, erklärte Énna ruhig, »warum dann der ganze Umstand, um Bressal die Schuld in die Schuhe zu schieben? Warum noch Aonbharr vergiften? Die Gesetzgebung bei uns übt Nachsicht gegenüber denen, die Straftaten aus Liebe begehen.«

»Das gilt aber nur, wenn eine Frau unter den angedeuteten Umständen dem Opfer eine nicht tödliche Verletzung beigebracht hat, nur dann wäre sie nicht haftbar. Wenn es zu unbeherrschten Handlungen aufgrund leidenschaftlicher Erregung kommt, zeigt das Gesetz Milde. Führt die Handlung jedoch zum Tod, muss sie Sühnegeld für den Getöteten zahlen. Von jeder anderen Form der Bestrafung würde man absehen.«

»Weshalb sollte dann, wenn es tatsächlich an dem ist, die Frau ihre Tat verheimlichen wollen? Verheimlichung zieht doch nur eine größere Bestrafung nach sich.« Wieder war es Énna, der die Frage stellte.

»Weil zwei unterschiedliche Täter am Werk waren, und die Tat des einen den anderen verlockte, sie für seine eigenen Absichten zu nutzen.«

»Es fällt mir schwer, dir zu folgen. Wer hat nun Illan getötet?«, wollte Fáelán wissen und blickte mit zwiespältigen Gefühlen zu seiner Frau. »Nach deinen Worten war es eine Frau. Ihr Versuch, die Tat zu verbergen, würde ohne Rücksicht auf ihren Rang und Namen dazu führen, dass man sie im Falle des Schuldbeweises in einem Boot auf dem Meer aussetzen und sie mit nur einem Paddel und ein wenig Nahrung ihrem Schicksal überlassen würde. Schwester Fidelma«, fragte er schließlich mit gebrochener Stimme, »ist es Muadnat, von der du sprichst?«

Seine Frau erstarrte, während Fidelma sich mit einer Antwort zurückhielt. Stattdessen holte sie aus ihrem marsupium einen Gürtel hervor, an dem ein mit Edelsteinen besetztes Futteral hing. Darin steckte ein kleiner Dolch. Sie zog den Dolch heraus und reichte ihn Muadnat.

»Ist das dein Dolch?«, fragte sie.

»Ja, es ist meiner«, erwiderte Muadnat finster.

Entsetzt hielt Fáelán den Atem an, seine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen.

»Dann …?«, hub er fassungslos an, doch Fidelma schüttelte den Kopf.

»Nein. Dagháin hat Illan getötet.«

Die Offenbarung löste in der Runde lautes Erschrecken aus, und alle Blicke gingen zu Énnas Frau, der das Blut in die Wangen schoss. Einen Moment saß sie wie betäubt da, ehe sie sich langsam, fast traumwandlerisch erhob. Suchend schaute sie um sich, und dann brach es aus ihr heraus: »Lügnerin! Verräterin!«

Fidelma nahm den Ausbruch befriedigt zur Kenntnis.

Dagháin wurde heftiger, tobte und fluchte auf eine Art und Weise, die jeden der Anwesenden von ihrer Schuld überzeugte. Énna war auf seinem Stuhl zusammengesackt, unfähig, ins Geschehen einzugreifen.

Nachdem Dagháin in Gewahrsam gebracht worden war, überfielen die anderen Fidelma mit Fragen. Nur mit Mühe konnte sie sich Gehör verschaffen.

»Bereits am frühen Morgen hatte man Dagháin zur Rennbahn kommen sehen. Schwester Eblenn, die Apothekerin, hatte mit ihr gesprochen, kurz nachdem sie bestohlen worden war, ziemlich bald nach dem Frühstück. Folglich hatte Dagháin gelogen, als sie behauptete, heute Morgen später zur Rennstrecke gekommen zu sein. Ihr Lügen erregte meinen Verdacht. Der Verdacht erhärtete sich, als ich feststellte, dass nicht der Pfeil das Mordwerkzeug war, sondern die Wunde von einem Dolch stammte. Als ich das erste Mal vor Fáelán trat, trug Muadnat zwar die übliche Dolchscheide, aber die war leer.«

»Das verstehe ich nicht. Was du eben beschrieben hast, würde doch den Verdacht auf Muadnat richten.«

»Ich gebe zu, dass ich das auch eine Weile gedacht habe. Aber ich traute meiner Beobachtungsgabe: der Dolch, den ich in Dagháins Gürtelgehänge gesehen hatte, passte nicht recht hinein, er war zu klein. Das verlangte eine Erklärung. Ich kam dahinter, dass sie irgendwann den Dolch von Muadnat gegriffen haben musste. Habe ich recht?«

Muadnat sprach leise. »Sie wollte zur Beruhigung ihrer Nerven einen Apfel und bat mich, ihr meinen Dolch zu leihen, sie hätte ihren irgendwo verlegt. Ich habe vorhin erst bemerkt, dass sie ihn mir nicht zurückgegeben hatte.«

»Bei ihrer Schilderung, in welchem Zustand sie Illan gefunden hat«, fuhr Fidelma fort, »hieß es, sie sei geradewegs zu Énna gerannt, um ihm von dem eben Erlebten zu berichten. Andere haben jedoch beobachtet, dass sie von seinem Zelt direkt zu dem ihrigen gelaufen ist. Ich habe vorhin erst ihr Zelt durchsucht. Ich hatte Glück, denn sie hatte ihren Gürtel mit dem Futteral achtlos abgeworfen. Mein Verdacht, dass der Dolch nicht ihrer, sondern der von Muadnat war, bestätigte sich.«

»Wo war dann aber Dagháins Dolch?«, fragte Laisran gespannt.

»Ich habe ihn da gefunden, wo ich ihn vermutete: in Angaires Satteltasche; an der Klinge haftete noch Illans Blut.«

Mit einem jähen Aufschrei sprang Angaire zum Zelteingang, wurde aber von einem Krieger aus des Königs Leibgarde mit gezogenem Schwert zum Stehen gebracht. Ohne den Zwischenfall zu beachten, sprach Fidelma weiter.

»Angaire hat nicht Illan getötet, wohl aber Aonbharr vergiftet und dann versucht, Bressal als Verursacher beider Schandtaten hinzustellen, indem er den Pfeil und den Beutel als Beweismaterial an Ort und Stelle gelassen hat. Mit seiner Handlungsweise hat er die Spur von Illans wahrem Mörder verwischt. Er wusste, dass Bressal sich von ihm trennen wollte. Darüber habe ich bereits gesprochen. Bressal hatte es ihm in aller Deutlichkeit gesagt. Auch wenn Illan es abgelehnt hatte, wieder in Bressals Dienste zu treten, so waren Angaires Tage als Betreuer seines Rennpferdes doch gezählt.

Nach meinem Empfinden schwebte Angaire bereits vor, wie er Bressal Schaden zufügen würde. Ich glaube, seine ursprüngliche Absicht war, Ochain zu vergiften, und deshalb entwendete er früh am Morgen giftige Kräuter aus Schwester Eblenns Zelt. Dann nahm das Schicksal seinen Lauf. Er hörte zufällig den Streit zwischen Bressal und Illan, ohne dass er sich zu dem Zeitpunkt die Dinge im Einzelnen schon zurechtgelegt hatte.

Der Gedanke reifte wohl erst, als er wenig später mit Murchad und Sílán zusammenstand und sah, wie Dagháin aus Illans Zelt hastete. Ihr Kleid war in Unordnung, auch fehlte der zu ihrer Aufmachung gehörende Dolch. Sie strebte ihrem eigenen Zelt zu. Ohne weiter darüber nachzudenken, ließ er eine anzügliche Bemerkung fallen. Sílán und Murchad gingen. In dem Moment, vielleicht auch schon kurz zuvor, blitzte in ihm der Gedanke auf, er könnte mit seiner unbedachten Bemerkung gar nicht so falsch gelegen haben, was wenn … Und warum fehlte der Dolch?

Er ging in Illans Zelt und sah Dagháins Dolch in dessen Brust stecken. Sein ungutes Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Er zog die Mordwaffe heraus, und ein bisher vager Gedanke nahm Gestalt an. Hier bot sich ihm die Gelegenheit, mit Bressal abzurechnen und sich einen einträglichen Posten in Dagháins Diensten zu sichern. Er eilte zu ihrem Zelt, zeigte ihr den Dolch und benutzte ihn als Druckmittel gegen sie. Er überredete sie, noch eine Weile zu warten, ehe sie zu ihrem Mann ging, dem sie dann die Geschichte erzählen sollte, die sie auch uns vorgegaukelt hat. Sie hätte Illan in seinem Zelt aufgesucht, weil ihr aufgefallen war, dass mit Aonbharr etwas nicht stimmte. Diese Auskunft war eine Zutat von Angaire, sie war eine glaubhafte Erklärung und zugleich ein wesentliches Teilstück seines verbrecherischen Vorhabens.

Von Dagháin lief er zu Bressals Zelt, entwendete aus Síláns Köcher einen Pfeil, brach ihn in zwei Teile und steckte das hintere Ende wieder zurück. Mit dem vorderen Ende und seinem Beutel, der die giftige Kräutermischung enthielt, lief er zurück und machte sich ans Werk. Eine beträchtliche Menge des giftigen Zeugs verfütterte er an Aonbharr. Danach begab er sich in Illans Zelt, bohrte die Pfeilspitze in die offene Wunde und ließ den Beutel mit den restlichen Kräutern gut sichtbar liegen. Die irreführende Spur war gelegt.

Wie ihr seht, haben wir es mit zwei ursprünglich voneinander unabhängigen Tätern zu tun, die sich zu einem großen Verbrechen zusammentaten. Wer von den beiden hat nun die größere Schuld auf sich geladen? Dagháin, eine bemitleidenswerte, abgewiesene Frau, oder Angaire, ein untergeordneter, aber rachsüchtiger Mann, der mit seiner Boshaftigkeit beinahe ein noch größeres Unheil heraufbeschworen hätte? Eins will ich dir nicht vorenthalten, Fáelán. Wenn es so weit ist, dass Dagháins Fall vor Gericht verhandelt wird, möchte ich sie als Anwältin vertreten.«

»Wie bist du darauf gekommen, Dagháin mit Illan in Verbindung zu bringen?«, wollte Fáelán wissen.

»Énna selbst hat in einer wie nebensächlich hingeworfenen Bemerkung verlauten lassen, dass seine Frau ein Verhältnis mit Illan gehabt hätte. Du wusstest doch von ihrer Liebschaft, Énna, nicht wahr?«

Der auf seinem Stuhl Zusammengesunkene blickte mit rotumränderten Augen auf. Bekümmert nickte er.

»Ich wusste davon, ja. Aber dass sie so vernarrt in ihn war und zu solchen Mitteln greifen würde, als er sie von sich wies, hätte ich nie gedacht«, flüsterte er. »Fáelán, ich bin eines tánaiste nicht würdig, ich trete zurück.«

»Darüber reden wir später miteinander«, erklärte der König von Laighan mit sichtlichem Unbehagen und darauf bedacht, an Muadnat, seiner Frau, vorbeizusehen. »Ich kann mich in deine Situation hineinversetzen. Zweifelsohne gibt es mehrere Opfer in diesem schrecklichen Drama. Und doch will mir nicht in den Kopf, warum Dagháin so etwas tun konnte. Sie war die Frau eines tánaiste, des rechtmäßigen Anwärters auf den Thron von Laighin, Illan hingegen nichts weiter als ein Rennreiter. Nur weil er sie wegen einer neuen Liebschaft von sich stieß, ließ sie sich zu so einer Tat hinreißen?«

Die Frage war an Fidelma gerichtet.

»Die Gefühle eines Menschen ergründen zu wollen ist alles andere als einfach, Fáelán«, erwiderte sie. »Aber wenn wir nach den Opfern in dieser Geschichte fragen, dann sollten wir in erster Linie an Aonbharr denken. Das arme Tier erlitt einen schmählichen Tod, weil es für menschliche Vergehen herhalten musste.«

Draußen ertönte eine Fanfare.

Mit einem Stoßseufzer riss sich Fáelán zusammen.

»Das ist das Signal für mich, das Rennen des heutigen Nachmittags zu eröffnen … Mit dem Herzen bin ich nicht dabei.«

Er erhob sich und bot wie gewohnt seiner Frau den Arm. Zögernd und ohne ihn anzuschauen, nahm sie ihn an. Das Verhältnis von König und Königin wieder ins rechte Lot zu bringen würde einiges kosten, dachte Fidelma für sich. Fáelán wandte sich um und rief seinem Bischof zu: »Ob du uns nicht besser begleitest, Bressal? Komm und bleib bei mir, wenn ich das Fest eröffne. Die Leute sollen sehen, dass wir zusammenstehen und keine Feindschaft gegeneinander hegen. Wenn schon unsere Pferde beim Rennen nicht mitmachen, sollten wir beide wenigstens den Menschen Einigkeit demonstrieren, zumindest heute.«

Bressal brauchte ein Weilchen, ehe er der Aufforderung nachgab.

»Gott sei gedankt, dass wir so weise Brehons wie dich haben, Fidelma«, sagte Fáelán als Letztes. »Die Anwaltskosten, die ich dir schuldig bin, schicke ich nach Kildare.«

Als sie das Zelt verlassen hatten, erhob sich auch Énna langsam. Niedergeschlagen blickte er Fidelma und Laisran an.

»Ich wusste, dass sie eine Liebschaft hatte. Stets hätte ich zu ihr gestanden, selbst mein Amt hergegeben, so wie ich auch jetzt bereit bin, es zu tun. Hätte sie sich mir anvertraut und die Wahrheit bekannt, nie im Leben hätte ich mich von ihr scheiden lassen oder sie zurückgewiesen. Ich bleibe auch weiterhin an ihrer Seite.«

Schweigend sahen ihm Fidelma und Laisran nach, wie er das Zelt verließ.

»Es ist eine traurige Welt, in der wir leben«, stellte Fidelma nachdenklich fest.

Dann gingen auch sie und bahnten sich einen Weg durch die lärmende, sorglose Menge, die zur Rennstrecke strömte. Mit einem verhaltenen Lächeln schaute Fidelma ihren alten Lehrmeister an.

»Es ist, wie du gesagt hast, Laisran – ein Pferderennen ist das beste Heilmittel für alle Übel der Menschheit. Es nimmt den Leuten ihre Streitlust und Habgier.«

Schmunzelnd sah er in ihr schelmisches Gesicht, war aber klug genug, auf eine Erwiderung zu verzichten.

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