MORD IM TIEFSCHLAF

»Keine Frage, Bruder Fergal hat dieses Verbrechen begangen«, sagte der Brehon im Brustton der Überzeugung. »Er hat eindeutig das Mädchen ermordet.«

Der oberste Richter der Eóghanacht von Cashel war ein untersetzter Mann. In seinem runden, finsteren Gesicht verrieten klare, scharfe Augen einen hellen Kopf. Hinter dem bedächtigen, beinahe pingeligen Benehmen verbarg sich ein wacher, präziser Verstand. Er war ein Mann, der, wie es sein Beruf verlangte, das Geschehene sorgfältig betrachtete und Tatsachen gegeneinander abwägte, ehe er eine Entscheidung traf. Und er ließ sich von niemandem zum Narren halten.

Mit funkelnden grünen Augen stand Schwester Fidelma vor dem Brehon und hatte die Hände demütig gefaltet. Ihr Ordensgewand und die Haube, unter der vorwitzige rote Haarsträhnen hervorlugten, konnten ihre Jugend und Schönheit kaum verbergen. Der Brehon schätzte sie auf etwa Mitte zwanzig. An ihrer Haltung fiel ihm eine unterdrückte Erregung auf.

»Die Äbtissin hat mir versichert, dass Bruder Fergal genauso wenig fähig ist, einen Menschen zu töten, wie ein Kaninchen fliegen kann.«

Der Brehon der Eóghanacht von Cashel seufzte. Er gab sich gar nicht erst Mühe, seine Verärgerung über den Widerspruch der jungen Frau zu verhehlen.

»Trotzdem, Schwester, sind die Beweise offenkundig. Man hat Fergal in seiner Hütte gefunden, die er sich an den Hängen des Cnoc-gorm gebaut hat. Er schlief. Neben ihm lag der Leichnam von Barrdub. Man hatte das Mädchen erstochen. An Fergals Händen und auf seiner Kleidung klebte Blut. Als man ihn weckte, behauptete er, nichts von alldem zu wissen. Das ist eine sehr schwache Verteidigung.«

Schwester Fidelma neigte den Kopf, als wollte sie die Logik in der Aussage des Brehon anerkennen.

»Wie kam es dazu, dass man Barrdubs Leichnam fand?«

»Ihr Bruder Congal war in großer Sorge. Das Mädchen hatte sich in Bruder Fergal verliebt. Er ist ja auch ein hübscher junger Mann, das muss man zugeben. In jener Nacht verließ, laut Congals Aussage, seine Schwester das Haus und kehrte nicht wieder zurück. Am frühen Morgen kam Congal zu mir und bat mich, ihn zu Fergals Hütte zu begleiten, um die beiden zur Rede zu stellen. Barrdub hat das Alter der Wahl noch nicht erreicht, verstehst du, und Congal ist ihr gesetzlicher Vormund, weil sie keine anderen Verwandten mehr haben. Wir beide fanden Fergal und die Leiche des Mädchens, wie ich es beschrieben habe.«

Schwester Fidelma presste die Lippen aufeinander. Diese Beweise waren wahrhaftig belastend.

»Die Verhandlung findet morgen Mittag statt«, fuhr der Brehon fort. »Bruder Fergal muss sich vor dem Gesetz verantworten, denn über die Rechtsprechung der Brehons ist niemand erhaben, weder Priester noch Druiden.«

Schwester Fidelma lächelte schwach.

»Dank dem heiligen Patrick sind nun schon zwei Jahrhunderte verronnen, seit die Druiden die Lehren des Heilands dieser Welt angenommen haben.«

Der Brehon erwiderte ihr Lächeln.

»Und doch sagt man, dass viele, die in den Bergen oder in abgelegenen Burgen leben, noch dem alten Glauben anhängen. Dass es unzählige Menschen gibt, die sich durch die Lehre Christi nicht von der Verehrung des Dagda und der alten Götter Irlands haben abbringen lassen. Auch in unserer Gegend haben wir so einen. Erca, der Einsiedler, haust am Cnoc-gorm und schwört auf die alten Riten.«

Schwester Fidelma zuckte gleichgültig mit den Achseln.

»Ich bin nicht zum Missionieren hergekommen.«

Der Brehon musterte sie eingehend.

»Was ist dann in dieser Angelegenheit deine Rolle, Schwester? Vertrittst du die Abtei, die, wenn ich es recht verstehe, nun Bruder Fergals Familie ist? Vergiss nicht, das Gesetz fordert, dass die Familie für das Sühnegeld einstehen muss, nachdem das Gericht sein Urteil gefällt hat.«

»Ich kenne das Gesetz, Brehon der Eóghanacht«, erwiderte Schwester Fidelma. »Die Äbtissin hat mich in meiner Eigenschaft als dálaigh hierhergeschickt. Ich soll als Anwältin Bruder Fergal vor Gericht vertreten.«

Der Brehon zog leicht überrascht eine Augenbraue hoch. Als die junge Frau zu ihm gekommen war, hatte er sie einfach für ein Mitglied von Bruder Fergals Gemeinschaft gehalten. Er glaubte, man hätte sie geschickt, weil man herausfinden wollte, warum man ihn verhaftet und des Mordes angeklagt hatte.

»Das Gesetz verlangt von allen Anwälten die entsprechende Qualifikation, damit sie eine Sache vor dem Dál vertreten können.«

Schwester Fidelma richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Inzwischen war sie leicht verärgert über den herablassenden Ton und die arroganten Unterstellungen des Mannes.

»Ich besitze die notwendigen Abschlüsse. Ich habe bei dem großen Brehon Morann von Tara Jurisprudenz studiert.«

Wieder einmal konnte der Brehon seine Verwunderung kaum verbergen. Dass dieses junge Ding, das da vor ihm stand, ein Studium der Rechte von Éireann absolviert haben sollte, war in seinen Augen höchst erstaunlich. Gerade wollte er den Mund aufmachen, als die junge Frau seiner Frage zuvorkam, indem sie in die Falten ihres Gewandes griff und ihm ein beschriebenes Pergament überreichte. Der Brehon überflog es mit staunend aufgerissenen Augen, zögerte noch ein wenig und gab es ihr zurück. Nun war sein Blick respektvoll, seine Stimme gar ein wenig ehrfürchtig.

»Da steht, dass du eine anerkannte anruth bist.«

Ehe man den Rang einer anruth erreichen konnte, musste man zwischen sieben und neun Jahren an einer Kloster- oder Bardenschule studiert haben. Als anruth war man nur eine Stufe unter dem höchsten Rang, dem eines ollamh oder Professors, der den gleichen Stand wie ein König besaß. Als anruth musste man umfassendes Wissen über Lyrik, Literatur, Recht und Medizin besitzen, mit großer Autorität über alle Dinge reden und schreiben und wortgewandt debattieren können.

»Ich war acht Jahre bei Brehon Morann«, entgegnete Fidelma.

»Dein Recht, vor Gericht als Anwältin aufzutreten, wird hier anerkannt, Schwester Fidelma.«

Die junge Nonne lächelte.

»In diesem Fall möchte ich mich auf mein Recht berufen, mit dem Angeklagten und dann mit den Zeugen zu sprechen.«

»Nun gut. Aber es kann vor Gericht nur einen Spruch geben. Die Beweise sind zu belastend, als dass man behaupten könnte, irgendjemand außer Bruder Fergal könnte Barrdubs Mörder sein.«

Wie der Brehon gesagt hatte, war Bruder Fergal ein gutaussehender junger Mann von kaum mehr als fünf- oder sechsundzwanzig Jahren. Auf seinem blassen Gesicht spiegelte sich Verwirrung wider. Die braunen Augen waren weit aufgerissen, das rötliche Haar zerzaust. Er sah aus wie jemand, den man aus dem Schlaf aufgeschreckt hat und der sich nun in einer Welt wiederfand, die er nicht mehr erkannte. Er erhob sich unbeholfen, als Schwester Fidelma eintrat, und hüstelte nervös.

Der stämmige Gefängniswärter schloss die Tür hinter ihr, blieb aber draußen stehen.

»Gottes Gnade mit dir, Bruder Fergal«, grüßte sie ihn.

»Und Gottes und Mariens Gnade mit dir, Schwester«, antwortete der junge Mönch wie automatisch. Seine Stimme klang ein wenig atemlos und keuchend.

»Ich bin Fidelma, und man hat mich von der Abtei geschickt, damit ich dich verteidige.«

Ein bitterer Zug zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes.

»Was soll das schon Gutes bringen? Der Brehon hat sich sein Urteil bereits gebildet und hält mich für schuldig.«

»Und bist du es?«

Fidelma setzte sich auf einen Schemel, der außer einem groben Strohsack das einzige Möbelstück in der Zelle war. Sie schaute zu dem jungen Mönch auf.

»Bei der heiligen Muttergottes, ich bin unschuldig!« Der Ausruf war wütend und verzweifelt zugleich. Der junge Mann unterstrich seine Antwort mit einem Hustenanfall.

»Besser, du setzt dich, Bruder«, sagte Fidelma fürsorglich. »Bei der Kälte hier ist es kein Wunder, dass du hustest.«

Der junge Mönch zuckte gleichgültig die Achseln.

»Ich leide nun schon einige Jahre an Asthma, Schwester. Ich lindere die Krankheit, indem ich den Rauch von brennenden Blättern des stramóiniam inhaliere oder Kräutertee trinke, ehe ich mich zur Ruhe begebe. Aber leider wird mir dieser Luxus hier versagt.«

»Ich werde mit dem Brehon darüber sprechen«, versicherte ihm Schwester Fidelma. »Er ist kein uneinsichtiger Mann. Vielleicht können wir einige Blätter und Fruchtkapseln des stramóiniam finden und dir schicken lassen.«

»Ich wäre sehr dankbar dafür.«

Schwester Fidelma erinnerte den jungen Mann nun daran, dass sie noch immer auf seine Version der Geschichte wartete.

Zögernd hockte er sich auf seinen Strohsack und hustete wieder.

»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Die Äbtissin hat mich vor vier Wochen zu den Eóghanacht von Cashel geschickt, damit ich dort predige und mich um sie kümmere. Ich habe mir eine verlassene Zelle am Hang des blauen Berges, des Cnoc-gorm, wieder aufgebaut. Eine Weile lang ging alles gut. Ich habe in diesem Teil von Éireann zweihundert Jahre nach der Bekehrung unseres Volkes durch den heiligen Patrick tatsächlich noch Menschen vorgefunden, deren Herzen und Seelen nicht für die Sache Christi gewonnen werden konnten. Das hat mich mit großer Traurigkeit erfüllt …«

»Ich habe mir sagen lassen, dass es hier jemanden gibt, der noch dem alten Druidenglauben anhängt«, ergänzte Fidelma ermunternd, als der junge Mann zögerte und in Gedanken versunken schien.

»Der Einsiedler Erca? Ja, er lebt auch am Cnoc-gorm. Er hasst alle Christen.«

»Wirklich?«, fragte Fidelma nachdenklich. »Aber sag mir, was kannst du mir von den Ereignissen der Mordnacht berichten?«

Bruder Fergal verzog das Gesicht.

»Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich in der Abenddämmerung in meine Klause zurückkehrte. Ich war erschöpft, denn ich war an diesem Tag sechzehn Meilen gelaufen, hatte den Hirten in den Bergen das Wort Christi gebracht. Ich hatte Schmerzen in der Brust, also machte ich mir meinen Kräutertee warm und trank ihn. Er hat mir gutgetan, denn ich schlief tief und fest. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, war der Brehon, der über mir stand, und Congal war bei ihm. Congal schrie, ich hätte seine Schwester ermordet. Dann sah ich neben mir den blutverschmierten Leichnam Barrdubs.«

Er begann wieder zu husten. Fidelma betrachtete aufmerksam sein Gesicht. Es lag kein Arg darin.

»Das ist alles?«, drängte sie ihn, als er wieder Atem geschöpft hatte.

»Du hast mich gefragt, was ich von den Ereignissen der Mordnacht berichten kann. Das ist alles.«

Fidelma biss sich auf die Lippe. Die Geschichte klang nicht sonderlich plausibel.

»Du bist nicht gestört worden? Du hast nichts gehört? Du bist eingeschlafen und hast nichts mitbekommen, bis der Brehon und Congal dich weckten und du das Blut an deinen Kleidern und den Leichnam des toten Mädchens in deiner Hütte sahst?«

Der junge Mann stöhnte leise und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Sonst weiß ich nichts«, beharrte er. »Es klingt absurd, aber es ist die Wahrheit.«

»Gibst du zu, dass du Barrdub kanntest?«

»Natürlich. In der Zeit, die ich hier verbracht habe, lernte ich alle Mitglieder des Clans der Eóghanacht kennen.«

»Und was ist mit Barrdub? Wie gut kanntest du sie?«

»Sie kam regelmäßig zum Gottesdienst, und ein- oder zweimal kam sie und half mir, als ich meine Hütte wieder aufbaute. Aber das haben auch viele andere aus dem Dorf gemacht.«

»Du hattest keine besondere Beziehung zu Barrdub?«

In der keltischen Kirche konnten Priester, Mönche und Nonnen heiraten, vorausgesetzt, dass die Ehe von einem Bischof oder der Gemeinde ihrer Abtei gesegnet wurde.

»Ich hatte keine Beziehung zu Barrdub, außer dass ich der Hirte dieser Herde war. Außerdem hat das Mädchen das Alter der Wahl noch nicht erreicht.«

»Du weißt, dass Congal behauptet, Barrdub sei in dich verliebt gewesen und du hättest sie ermutigt? Die Anklage wird argumentieren, sie sei in jener Nacht zu dir gekommen, du hättest sie aus irgendeinem Grund zurückgewiesen, und als sie dann nicht gehen wollte, hättest du sie umgebracht. Man wird vorbringen, ihre Liebe sei dir peinlich gewesen.«

Der junge Mönch war empört.

»Aber das habe ich nicht getan! Ich kannte das Mädchen nur flüchtig, und zwischen uns ist nichts vorgefallen. Nun …, nun, das Mädchen ist außerdem verlobt, soviel ich weiß, mit jemandem aus dem Dorf. Sein Name fällt mir im Augenblick nicht ein. Ich versichere dir, dass zwischen dem Mädchen und mir nichts war.«

Fidelma nickte bedächtig und stand auf.

»Fein, Bruder Fergal. Wenn du mir sonst nichts zu sagen hast …?«

Der junge Mann schaute mit großen, flehenden Augen zu ihr auf.

»Was wird nun aus mir werden?«

»Ich übernehme deine Verteidigung«, erklärte sie ihm. »Aber bisher habe ich nicht viel, was ich vorbringen kann.«

»Dann wird man mich für schuldig befinden?«

»Du kennst die Gesetze des Landes. Wenn man dich des Mordes für schuldig befindet, musst du ihrem nächsten Verwandten den Brautpreis für das Mädchen zahlen. Barrdub war wohl, wie ich gehört habe, eine Freie, die Tochter eines Mitglieds der Clan-Versammlung. Die Strafe ist auf fünfundvierzig Milchkühe plus vier Milchkühe als Gebühr an den Brehon festgelegt.«

»Aber ich besitze keine Reichtümer. Ich habe alles aufgegeben, als ich mich entschloss, in den Dienst des Herren einzutreten, und mein Armutsgelübde ablegte.«

»Du weißt sicherlich auch, dass deine Familie für die Strafe zuständig ist.«

»Aber meine einzige Familie ist die Abtei, unser Orden von Brüdern und Schwestern in Christus.«

Fidelma blickte ihn an.

»Sicherlich. Die Äbtissin muss entscheiden, ob unser Orden deine Strafe bezahlt. Bei der wichtigeren Anhörung, bei der es um deine unsterbliche Seele geht, wird sie dem Gericht vorsitzen. Solltest du des Mordes an Barrdub schuldig gesprochen werden, dann musst du nicht nur vor dem Zivilgericht deine Wiedergutmachung leisten, sondern auch vor Gott büßen.«

»Was ist, wenn die Äbtissin sich weigert, die Strafe zu zahlen?«, fragte Fergal, und sein Atem ging schwer.

»Es wäre sehr ungewöhnlich, das zu verweigern«, versicherte ihm Fidelma. »Unter außergewöhnlichen Umständen könnte sie das tun. Die Äbtissin hat das Recht, dich zu verstoßen, wenn deine Tat so frevelhaft war. Du kannst aus der Klostergemeinschaft ausgeschlossen werden. In diesem Fall kann dich der Brehon der Familie des Opfers übergeben. Die darf dann mit dir verfahren, wie sie will – dich als Sklaven halten oder auf irgendeine ihr angemessen scheinende Art bestrafen. So bestimmt es das Gesetz. Aber so weit wird es nicht kommen. Die Äbtissin will nicht glauben, dass du dieses Mädchen getötet hast.«

»Bei Gott, ich bin unschuldig«, schluchzte der junge Mann.

Fidelma ging mit dem Brehon zu der geschützten Nische an der Flanke des Cnoc-gorm, wo Fergal sich die alte Hütte wieder aufgebaut hatte. Die Klause war ohne Mörtel aus Feldsteinen zusammengefügt.

»Hier hast du Bruder Fergal und das tote Mädchen gefunden?«, fragte Fidelma, als sie vor der Tür stehen blieben.

»Ja«, antwortete der Brehon. »Allerdings wurde der Leichnam des Mädchens inzwischen fortgebracht. Ich verstehe nicht, wozu es gut sein soll, dass du dir die Hütte ansiehst.«

Fidelma lächelte einfach nur, duckte sich unter dem Türsturz und trat ein.

Der Innenraum war klein und dunkel; er ähnelte der Zelle, in der sie gerade mit Fergal gesprochen hatte, außer dass es hier trocken und in der Gefängniszelle feucht war. Fidelma sah ein Holzbett, einen Tisch mit Stuhl, ein Kruzifix und einige andere Gegenstände. Sie schnupperte und bemerkte einen bittersüßen Geruch, der von der kleinen Feuerstelle ausging. Es roch nach verbrannten Blättern des Krautes stramóiniam.

Der Brehon war hinter ihr eingetreten.

»Wurde außer dem Leichnam des Mädchens und Bruder Fergal noch etwas von hier entfernt?«, fragte Fidelma, während ihr Auge auf ein Holzschälchen fiel, das auf dem Tisch stand.

»Wie du siehst, wurde nichts angerührt. Bruder Fergal lag im Bett da drüben, das Mädchen beim Kamin. Wir haben nur die Leiche und Bruder Fergal mitgenommen. Sonst nichts, da uns nichts wichtig erschien.«

»Keine anderen Gegenstände?«

»Keine.«

Fidelma trat zum Tisch, nahm das Schälchen hoch und roch daran. Es war noch ein wenig Flüssigkeit darin, und sie tauchte den Finger hinein, hielt ihn sich unter die Nase und führte ihn an die Lippen. Sie verzog das Gesicht.

»Wie erklärst du dir als Brehon die Tatsache, dass Bruder Fergal, wenn er schuldig ist, Barrdub ermordet haben muss, dann ins Bett gegangen ist, ihre Leiche hier liegen ließ und friedlich bis zum nächsten Morgen schlief? Jemand, der einen Mord begangen hat, würde doch sicherlich erst alles Mögliche unternehmen, um die Leiche zu verbergen und alle Spuren des Verbrechens zu beseitigen, falls jemand käme und es entdeckte?«

Der rundgesichtige Brehon nickte und lächelte.

»Darauf bin ich auch schon gekommen, Schwester Fidelma. Aber ich bin ein einfacher Richter. Ich habe mich mit dem zu beschäftigen, was augenfällig ist, mich um die Indizien zu kümmern. In meiner Ausbildung hat man mir nicht beigebracht, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, warum ein Mann sich so verhält, wie er es tut. Ich interessiere mich nur dafür, ob er sich so verhalten hat.«

Fidelma seufzte, stellte das Schälchen wieder ab und blickte sich noch einmal um, ehe sie die Klause verließ.

Draußen bemerkte sie einen dunklen Fleck an einem der vertikalen Steinpfeiler, die die Tür einrahmten. Er war ein wenig über Schulterhöhe.

»Barrdubs Blut, nehme ich an?«

»Das ist vielleicht dorthin gelangt, als meine Leute die Leiche heraustrugen«, stellte der Brehon gleichgültig fest.

Fidelma betrachtete den Fleck eine Weile, ehe sie sich umwandte, um sich auch die Umgebung der Hütte genauer anzuschauen. Zu beiden Seiten wurde des Gebäude von Baumreihen geschützt, die sich im Wind bogen, der über die Bergflanke peitschte. Ringsum wuchs dichtes Farngestrüpp. Der Hauptpfad von der Hütte zum Dorf hinunter war schmal und ausgetreten. Ein weiterer, noch schmalerer Pfad ging hinter dem Gebäude weiter den Berg hinauf, während ein dritter sich nach rechts an der Bergflanke entlangschlängelte. Alle wurden sichtlich häufiger, als nur gelegentlich benutzt.

»Wo führen sie hin?«

Der Brehon war ein wenig überrascht über diese Frage.

»Auf dem Pfad den Berg hinauf kommt man zur Hütte des Einsiedlers Erca. Der am Hang entlang ist einer von den vielen Wegen, die einen überall hinführen können. Man gelangt so auch ins Dorf.«

»Ich möchte Erca gern sehen«, sagte Fidelma.

Der Brehon wollte etwas erwidern, zuckte dann aber nur mit den Achseln.

Erca war genau so, wie Fidelma ihn sich vorgestellt hatte: ein dünner, schmutziger Mann, der in ein fadenscheiniges Gewand gekleidet war. Sein Haar war zerzaust und verfilzt, und er hatte Glubschaugen. Kaum näherten sie sich seinem rauchenden Feuer, ließ er Beleidigungen auf sie herabregnen.

»Verdammte Christen!«, keifte er. »Geht mir aus den Augen mit eurem ausländischen Gott! Was fällt euch ein, diesen Boden zu entheiligen, der Dagda, dem Vater aller Götter, geweiht ist?«

Der Brehon verzog wütend das Gesicht, aber Fidelma lächelte und ging unverdrossen weiter auf den Einsiedler zu.

»Friede mit dir, Bruder.«

»Ich bin nicht dein Bruder!«, knurrte der Mann.

»Erca, wir sind alle Brüder und Schwestern unter dem einen Gott, der über uns allen ist, bei welchem Namen wir ihn auch immer anrufen. Ich will dir nichts Böses.«

»Nichts Böses, ja? Ach, würden sich doch alle Götter der Dé Danaan aus dem sidhe erheben und alle Anhänger des fremden Gottes aus unserem Land vertreiben, wie sie es seinerzeit in den Zeiten der großen Nebel mit den bösen Formorii gemacht haben.«

»Du hasst also die Christen?«

»Ich hasse die Christen.«

»Du hasst Bruder Fergal?«

»Dieses Land kann meinem Hass auf alle Christen keine Grenzen setzen.«

»Du würdest Bruder Fergal Böses antun, wenn du könntest?«

Der Mann schnipste seine Finger in ihre Richtung.

»So viel halte ich von Bruder Fergal und seinesgleichen!«

Fidelma schien ungerührt. Sie deutete mit dem Kopf auf den Kochtopf, der über dem rauchenden Feuer stand.

»Du kochst Kräuter. Du weißt sicher alles über die Kräuter, die hier wachsen.«

Erca grinste verächtlich.

»Ich bin auf die althergebrachte Art erzogen worden. Als euer wahnsinniger Patrick unsere Priester vom Hill of Slane vertrieb und unsere Leute zwang, sich seinem Christus zuzuwenden, konnte er unser Wissen nicht zerstören.«

»Ich sehe dort drüben einen Haufen hellbrauner Wurzeln. Von welchem Kraut stammen die?«

Erca schaute sie eine Weile verwundert an.

»Das ist lus mór na coille.«

»Ah, Tollkirsche«, sagte Fidelma. »Und diese Blätter mit den hellen Spitzen gleich daneben?«

»Das sind die Blätter des muing, des Blutschierlings.«

»Und die wachsen beide hier am Berg?«

Erca bestätigte ihr das mit einer ungeduldigen Bewegung.

»Dann sei der Friede mit dir, Bruder Erca«, beendete Schwester Fidelma das Gespräch unvermittelt. Sie machte auf dem Absatz kehrt und eilte den Berg hinunter. Erca blieb verdutzt zurück. Der erstaunte Brehon trottete hinter ihr her.

»Kein Friede mit dir, verdammte Christin!«, erschallte Ercas Ruf hinter ihnen, sobald sich der Einsiedler von seiner Verwunderung erholt hatte. »Kein Friede, ehe nicht alle Anhänger dieses fremden Gottes aus Éireann vertrieben sind!«

Fidelma schwieg, während sie den Hang hinunter zurück zu Fergals Hütte gingen. Dort schlüpfte sie rasch in die Klause und kam wenig später mit dem Holzschälchen zurück.

»Das werde ich vor Gericht benötigen. Würdest du es für mich aufbewahren?«

»Was hast du vor, Schwester?«, fragte der Brehon mit gerunzelter Stirn, als er das Schälchen entgegennahm und sie zum Dorf weitergingen. »Einen Augenblick lang glaubte ich, du wärest zu dem Schluss gelangt, dass Erca irgendwie mit der Sache zu tun hat.«

Fidelma lächelte, beantwortete die Frage aber nicht.

»Ich würde nun gern Barrdubs Bruder sehen. Wie hieß er doch gleich? Congal?«

Sie trafen Barrdubs Bruder in einer armseligen Hütte aus morschem Holz, die am Flussufer stand. Bevor sie eintraten, hatte der Brehon Fidelma erzählt: »Congals Vater führte einst das Gasthaus der Eóghanacht von Cashel. Er war ein allseits geehrter und geachteter Mann und zudem Sprecher der Clan-Versammlung. Congal ist ganz anders. Er war immer schon ein Träumer. Als sein Vater starb, verprasste er, was sein Eigentum hätte sein können, sodass er und seine Schwester schließlich gezwungen waren, in dieser Hütte zu leben. Er stand ohne eigene Viehherde da und musste sich als Arbeiter bei anderen Mitgliedern des Clans verdingen.«

Congal war ein dunkler, mürrischer Mann mit unergründlichen grauen Augen und wütend wie die See an einem stürmischen Wintertag.

»Wenn du gekommen bist, um den Mörder meiner Schwester zu verteidigen, beantworte ich keine einzige Frage!«, teilte er Fidelma kämpferisch mit. Seine dünnen, blutleeren Lippen waren fest zusammengekniffen.

Der Brehon seufzte verärgert.

»Congal, du wirst dich dem Gesetz fügen. Es ist das Recht einer dálaigh, dir Fragen zu stellen, und es ist deine Pflicht, sie wahrheitsgemäß zu beantworten.«

Schwester Fidelma forderte den Mann mit einer Handbewegung auf, sich hinzusetzen, aber er blieb stehen.

»Hast du schon einmal Bruder Fergal sein stramóiniam gebracht?«, begann sie ihre Befragung.

Congal blinzelte verwundert.

»Nein«, erwiderte er. »Fergal hat seine Arznei gegen das Asthma bei Iland, dem Kräuterheiler, gekauft.«

»Gut. Nun, ich habe gehört, wie du die Leiche deiner Schwester gefunden hast. Ehe du den Bericht des Brehon über diese Entdeckung bestätigst, möchte ich, dass du mir sagst, warum du deine Schwester in Bruder Fergals Hütte gesucht hast, als du sie vermisstest?«

Congals Gesicht verdunkelte sich.

»Weil Barrdub in ihn vernarrt war. Er hatte sie verzaubert, und er hat sie ausgenutzt.«

»Verzaubert? Wieso sagst du das?«

Congals Stimme klang aufgebracht.

»Ich kannte doch meine Schwester, oder nicht? Seit Fergal hier im Dorf ist, hat Barrdub ihn mit Kuhaugen angeschaut. Ständig erfand sie irgendwelche Ausflüchte, um ihn zu besuchen oder ihm beim Aufbau seiner Hütte zu helfen. Es war widerlich.«

»Warum denn widerlich?«, warf der Brehon ein, den die Sache plötzlich interessierte. »Wenn sie Fergal haben wollte und er sie, dann hätte doch nichts dagegen gesprochen, außer dass sie deine Zustimmung brauchte oder warten musste, bis sie das Alter der Wahl erreicht hatte. Du weißt so gut wie ich, dass alle Diener Christi das Recht haben, den Partner ihrer Wahl zu heiraten, bis hinauf zu den Äbten oder Äbtissinnen.«

»Es war so widerlich, weil sie mit Rimid verlobt war«, beharrte Congal.

»Und doch«, sagte der Brehon vorsichtig, »warst du mit Rimid als Ehemann für Barrdub auch nicht einverstanden, ehe Fergal hier eintraf.«

Congal errötete.

»Was hattest du gegen Rimid einzuwenden?«, fragte Fidelma dazwischen.

»Er …«

»Er konnte nicht den vollen Brautpreis aufbringen«, erwiderte der Brehon, ehe Congal zu antworten vermochte. »Das stimmt doch?«

»Das Gesetz über den Brautpreis ist so alt wie Éireann. Niemand heiratet, ohne der Familie der Braut eine Entschädigung zu zahlen.«

»Bist du Barrdubs einziger Angehöriger?«, fragte Fidelma.

»Sie hat mir den Haushalt geführt. Wäre sie fortgegangen, hätte ich niemanden mehr gehabt. Es ist nur recht und billig, dass man mir nach unserem uralten Recht da eine Entschädigung gezahlt hätte.«

»Wahrscheinlich hast du den gleichen Einwand gegen ihre Verbindung mit Fergal vorgebracht? Als Mönch konnte er ja gleichfalls keinen Brautpreis bezahlen.«

Congal erwiderte mürrisch: »Davon war nie die Rede. Er wollte sie doch gar nicht heiraten. Er hat meine Schwester ausgenutzt, und als sie zu ihm ging und von Ehe faselte, hat er sie umgebracht.«

»Das ist noch nicht bewiesen«, erwiderte Fidelma. »Wer sonst wusste von dem Verhältnis zwischen deiner Schwester und Fergal?«

»Niemand«, sagte Congal rasch. »Meine Schwester hat es mir nur sehr widerwillig eingestanden.«

»Du hast es also für dich behalten? Bist du sicher, dass sonst niemand davon wusste? Was ist mit Rimid?«

Congal zögerte, hielt die Augen auf den Boden gerichtet.

»Ja«, murmelte er zögernd. »Rimid wusste davon.«

»Dann möchte ich als Nächsten Rimid sprechen«, erklärte Fidelma dem Brehon. Sie wandte sich um und wollte gerade gehen, hielt dann inne, um einige Blumen- und Kräuterbündel anzuschauen, die zum Trocknen an der Wand neben dem Kamin hingen.

»Was für ein Kraut ist das?«

Congal schaute sie eine Weile nachdenklich an.

»Ich verstehe nichts von derlei Dingen. Barrdub hat all unsere Kräuter für die Küche gesammelt.«

Draußen warf der Brehon Fidelma einen langen, fragenden Blick zu.

»Du interessierst dich sehr für Kräuter«, meinte er.

Fidelma nickte. »Wusstest du, dass Bruder Fergal an Asthma leidet und dass er die Angewohnheit hat, jeden Abend den Rauch von brennenden Blättern des Krauts stramóiniam zu inhalieren oder einen Tee aus ähnlichen Kräutern zu trinken, um besser atmen zu können?«

Der Brehon zuckte die Achseln. »Manche Leuten leiden an dieser Krankheit«, gestand er ihr zu, war aber trotzdem verwundert über ihre Anmerkung. »Ist das wichtig?«

»Wo kann ich Rimid finden?«

»Er könnte um diese Zeit noch bei der Arbeit sein.« Der Brehon seufzte.

Fidelma zog eine Augenbraue in die Höhe. »Ich hatte den Eindruck, dass Rimid nicht arbeitet, da mir doch Congal erklärt hat, dass er nicht in der Lage war, den Brautpreis zu bezahlen.«

Der Brehon lächelte über das ganze Gesicht.

»Es passte Congal nicht, dass Rimid nicht die volle Summe zahlen konnte. Rimid ist nicht reich, aber er ist ein freier Mann, und im Gegensatz zu Congal darf er in der Clan-Versammlung sitzen.«

»Und Congal nicht? Ist der so arm?«

»Du hast es ja mit eigenen Augen gesehen. Er hat seine Armut selbst verschuldet. Dauernd hat er große Pläne, aber er verwirklicht sie nie. Er träumt immer davon, wie er sich auf wunderbare Weise Respekt verschaffen und im Clan aufsteigen könnte, doch es gelingt ihm nie. Oft muss er sich auf die Großzügigkeit des Clans verlassen, um überhaupt genug zu beißen zu haben. Das macht ihn bitter.«

»Und Barrdub? War sie auch verbittert?«

»Nein. Sie hoffte, der Armut ihres Bruders durch eine Heirat zu entkommen.«

»Sie muss enttäuscht gewesen sein, als Congal sich gegen die Eheschließung mit Rimid aussprach.«

»Das stimmt. Ich dachte, sie würde vielleicht warten, bis sie das Alter der Wahl erreicht hätte und als erwachsene Frau in allem ihre eigene Wahl treffen durfte. Dann, so hoffte ich, würde sie Rimid heiraten. Sobald sie volljährig wäre, konnte Congal auf keinen Fall mehr einen Brautpreis verlangen. Rimid hoffte wohl auf diese Zeit. Er war sehr traurig, als er mitbekam, dass sich Barrdub nun Bruder Fergal an den Hals warf.«

»Ach wirklich?«, sagte Fidelma nachdenklich. »Nun, dann wollen wir einmal mit Rimid sprechen. Du sagst, er könnte noch bei der Arbeit sein? Wo ist das?«

Der Brehon seufzte.

»Er könnte in der Hütte von Iland, dem Kräuterheiler, sein.«

Fidelma zögerte und starrte den Brehon erstaunt an.

»Ist Rimid auch ein Kräuterheiler?«

Der Brehon schüttelte den Kopf.

»Nein, nein. Er ist kein Heiler. Er ist beim Kräuterheiler angestellt und sammelt jeden Tag draußen die Kräuter und Blumen, die der für seine Arzneien braucht.«

Auf Rimids Zügen spiegelte sich bitterer Hass. Sein Gesicht war gerötet; offensichtlich war er ein aufbrausender junger Mann, der kaum das Alter der Wahl erreicht hatte.

»Ja, ich habe Barrdub geliebt, ich habe sie geliebt, und sie hat mich betrogen. Ich hätte sie für mich zurückgewinnen können, wenn nicht dieser Fergal gewesen wäre. Ich bringe ihn um.«

Der Brehon schnaufte verächtlich.

»Dazu hast du nicht das Recht, Rimid. Das Gesetz verhängt die Strafe und fordert die Wiedergutmachung.«

»Und doch würde ich nicht zögern, ihn wie einen Wurm totzutreten, sollte ich ihm auf der Straße begegnen.«

»Dein Hass ist groß, Rimid, denn du hast das Gefühl, dass er dir Barrdub gestohlen hat«, warf Fidelma ein. »Das ist verständlich. Hast du auch Barrdub gehasst?«

Rimids Augen weiteten sich.

»Gehasst? Nein! Ich habe sie geliebt!«

»Und dennoch sagst du, sie hätte dich betrogen, deine Liebe wegen Bruder Fergal verschmäht. Du musst doch wütend auf sie gewesen sein … wütend genug …«

Fidelma beendete den Satz absichtlich nicht.

Rimid blinzelte.

»Niemals! Ich hätte ihr nie etwas angetan!«

»Trotz deines Hasses? Hasst du auch Congal?«

»Warum sollte ich Congal hassen?« Rimid schien verwirrt.

»Aber er hat dir doch Barrdub verweigert, hat dein Angebot eines Brautgeldes abgelehnt, weil er es nicht für ausreichend hielt.«

Rimid zuckte die Achseln.

»Ich mag Congal nicht, das stimmt. Aber es blieben doch nur noch sechs Monate, bis Barrdub das Alter der Wahl erreicht hätte, und sie hat mir versprochen, dass sie mich dann auch ohne die Zustimmung ihres Bruders heiraten würde.«

»Wusste Congal das?«

Rimid schaute sie gleichgültig an. »Das ist mir nicht bekannt. Wahrscheinlich hat Barrdub es ihm gesagt.«

»Wie hat er das aufgenommen?«

»Da konnte er nichts machen … Aber dann kam Bruder Fergal.«

»Aber Fergal hatte doch gar kein Brautgeld zu bieten. Er gehört einem Orden an und hat ein Armutsgelübde abgelegt.«

»Congal sagt, dass es nicht um eine Heirat ging. Fergal hat Barrdub einfach verzaubert und mit ihren Gefühlen gespielt, bis sie ihm lästig wurde.«

»Verzaubert?« Fidelma sah ihn ungläubig an. »Eine interessante Wortwahl, Rimid.«

»Es stimmt aber.«

»Hast du Barrdub wegen dieser Beziehung zur Rede gestellt?«

Rimid zögerte und schüttelte den Kopf.

»Ich war blind. Ich wusste nicht, was hinter meinem Rücken vorging, bis zu dem Tag vor dem Mord.«

»Wie hast du davon erfahren?«

»Congal hat es mir erzählt. Ich habe ihn an jenem Abend auf der Straße getroffen, und er sah sehr wütend aus. Barrdub hatte es ihm gerade gesagt.«

»Und wann hast du von ihrem Tod gehört?«

»Ich wollte am Morgen danach zu Fergals Hütte gehen, um die Sache mit ihm auszufechten, als ich den Brehon und Congal auf dem Pfad traf. Die haben mir von Barrdubs Tod erzählt. Zwei Männer trugen ihre Leiche auf einer Bahre, und Fergal hatte man wegen des Verbrechens festgenommen.«

Fidelma schaute rasch zum Brehon, der diese Aussage mit einem Nicken bestätigte.

»Wie lange sammelst du schon Kräuter, Rimid?«, fragte Fidelma plötzlich.

»Seit meinen Kindertagen«, erwiderte er, ein wenig verwirrt über diese abrupte Wendung des Gesprächs.

»Hast du oder hat Iland, der Kräuterheiler, Bruder Fergal Kräuter verkauft?«

»Ich nicht, aber ich wusste, dass Iland ihm welche verkaufte. Ich sammle Kräuter für Iland. Fergal litt an Kurzatmigkeit, die er mit Kräutern linderte.«

»Ist das allgemein bekannt?«

»Viele wissen es«, antwortete Rimid.

»Auch Barrdub?«

»Ja. Sie hat es einmal erwähnt, als wir im Gottesdienst waren.«

»Und Congal, wusste der davon?«

Rimid zuckte die Achseln. »Viele wussten es. Ich kann nicht genau sagen, wer und wer nicht.«

Fidelma hielt ein wenig inne und lächelte dann.

»Das war alles.« Sie wandte sich dem Brehon zu. »Ich bin nun bereit, morgen vor dem Gericht zu Fergals Verteidigung zu sprechen.«

Die meisten Mitglieder des Clan der Eóghanacht von Cashel waren in der großen Halle des Stammesfürsten versammelt. Der Stammesfürst Eóghan hatte zur Rechten des Brehon Platz genommen, der zu Gericht sitzen würde. Das Gesetz und auch das Gebot der Höflichkeit verlangten von ihm, sich mit dem Stammesfürsten des Clans zu besprechen, ehe er das Urteil fällte.

Bruder Fergal stand vor dem Brehon und dem Stammesfürsten, und neben ihm sollte ein untersetzter und muskelbepackter Clan-Angehöriger für Ruhe und Ordnung sorgen. Fergal wurde zu einer kleinen, taillenhohen hölzernen Schranke geführt. Von hier aus mussten alle sprechen, die vor dem Gericht angeklagt waren.

Rechts davon befand sich eine Plattform, die man für den Vertreter der Anklage, den dálaigh, einen dünnen Mann mit scharfen Gesichtszügen, errichtet hatte. Linker Hand saß auf einer ähnlichen Plattform Schwester Fidelma. Sie hatte die Hände züchtig im Schoß gefaltet, aber ihre flinken grünen Augen verpassten nichts. Man hatte die Zeugen aufgerufen, und die große Halle war überfüllt mit Männern und Frauen aus dem Clan, denn im Dorf konnte sich niemand erinnern, dass je zuvor schon einmal ein Mönch des Mordes angeklagt gewesen war.

Der Brehon bat um Ruhe und fragte Bruder Fergal, ob er Schwester Fidelma als seine Anwältin annahm, denn nach dem Gesetz hatte Fergal das Recht, sich selbst zu verteidigen. Der Bruder schüttelte den Kopf und bedeutete damit Schwester Fidelma, sie solle für ihn sprechen.

Dann trug der Ankläger seine Sicht des Falls vor, so wie es der Brehon Schwester Fidelma bereits mitgeteilt hatte.

Erwartungsvolles Murmeln ging durch den Raum, als schließlich Schwester Fidelma aufstand und sich an den Brehon wandte.

»Bruder Fergal ist dieses Verbrechens nicht schuldig«, begann sie mit lauter, bezwingender Stimme.

Schweigen herrschte unter den Zuhörern.

»Stellst du die Beweise in Frage?«, wollte der Brehon wissen, der nun leise lächelte. »Erinnere dich, ich bin mit Congal zum Tatort gegangen und habe Barrdubs Leiche gefunden, die in Bruder Fergals Hütte lag, während Fergal in seinem Bett schlief. Ich sah das Blut an seinen Kleidern.«

»Das bezweifle ich nicht«, versicherte ihm Fidelma. »Aber das allein ist noch kein Beweis dafür, dass er der Mörder ist. Die Ereignisse, wie sie die Anklage beschrieben hat, will ich nicht bestreiten, nur die Art, wie sie ausgelegt wurden.«

Von der Zeugenbank protestierte Rimid wütend.

»Fergal ist der Mörder! Sie will nur einen von ihren Leuten schützen!«

Der Brehon bedeutete ihm mit einer Geste, er solle schweigen.

»Fahre mit deiner Verteidigung fort, Schwester Fidelma.«

»Bruder Fergal leidet an Asthma. Es ist bekannt, dass er Kräuterarzneien nimmt, um seine Krankheit zu lindern. Das wussten mehrere Leute. In jener Nacht kehrte er erschöpft in seine Hütte zurück. Gewöhnlich zündet er ein Feuer aus den Blättern des stramóiniam an und inhaliert den Rauch, ehe er sich schlafen legt. Aber manchmal, wenn er zu müde ist, trinkt er auch einen Tee aus ähnlichen Kräutern.«

Bruder Fergal starrte sie an.

»Fergal, hast du an jenem Abend inhaliert oder den Kräutertee getrunken?«

»Ich war zu erschöpft, um noch lange aufzubleiben und die Inhalation vorzubereiten. Ich halte immer einen Kessel mit einem Tee aus den Kräutern bereit. Also habe ich den nur aufgewärmt und eine Schale voll getrunken.«

»Und du kannst dich an nichts erinnern, bis zum Morgen?«

»An gar nichts, bis mich der Brehon und Congal aufweckten«, antwortete der Mönch.

»Du hast tief und fest geschlafen. Tust du das immer?«

Bruder Fergal zögerte und zog die Stirn in Falten, als hätte er darüber noch nie nachgedacht.

»Es ist ungewöhnlich. Oft bekomme ich schlecht Luft, sodass ich in den frühen Morgenstunden aufwache und zur Linderung mehr Tee trinken muss.«

»Aha. Du hast ungewöhnlich fest geschlafen. So fest, dass jemand in deine Hütte eintreten konnte, ohne dass du es merktest. Wie es der Brehon und Congal ja auch taten. Man musste dich wachrütteln, sonst hättest du nicht mitbekommen, dass die beiden da waren.«

Es war mäuschenstill im Gerichtssaal; der Brehon schaute Fidelma neugierig an.

»Was willst du damit andeuten, Schwester Fidelma?«

»Ich will gar nichts andeuten. Ich lege Beweise vor. Ich habe in deinem Beisein ein Holzschälchen aus Bruder Fergals Hütte mitgenommen und es dir als Beweis übergeben.«

Der Brehon nickte und wies auf das Schälchen, das vor ihm stand.

»Das stimmt. Hier ist es.«

»Ist dies die Schale, aus der du getrunken hast, Fergal?«

Der Mönch untersuchte sie und nickte.

»Das ist meine. Hier ist mein Name in die Oberfläche eingeritzt. Ja, aus dieser Schale habe ich getrunken.«

»Es ist immer noch ein wenig Flüssigkeit in der Schale. Das ist kein Tee aus stromóiniam

»Was dann?«, wollte der Brehon wissen.

»Wenn es dem Gericht beliebt, können wir Iland, den Kräuterheiler, herbeirufen, damit er die Flüssigkeit untersucht und uns seine Meinung sagt. Aber dem Gericht ist bekannt, dass ich eine anruth bin und also auch eine qualifizierte Kräuterkundige.«

»Das Gericht akzeptiert dein Wissen, Schwester Fidelma«, erwiderte der Brehon ungeduldig.

Fidelma neigte demütig den Kopf.

»Die Schale enthält die Reste eines Tees, der aus lus mór na coille und etwas muing zubereitet wurde.«

»Für alle, die nicht mit Kräutern vertraut sind, erkläre bitte, was das für Kräuter sind«, bat sie der Brehon.

»Gewiss. Das lus mór na coille, das wir auch Tollkirsche nennen, ist ein starkes Beruhigungsmittel, das schläfrig macht, während muing, der gefleckte Schierling, in großen Mengen genossen, zu Lähmungen führen kann. Jeder Kräuterkundige wird dir dies bestätigen. Als Bruder Fergal diesen Tee trank, wurde er in Wirklichkeit betäubt. Er schlief wie ein Toter und bemerkte nichts, was um ihn herum vor sich ging. Er kann von Glück sagen, dass man ihn überhaupt wieder aufwecken konnte. Es ist nämlich durchaus möglich, dass derjenige, der ihm diesen Trank bereitete, gar nicht wollte, dass er je wieder aufwachte. Man hätte Bruder Fergal einfach tot aufgefunden und neben ihm Barrdub. Daraus hätte man geschlossen, dass er sie getötet und dann reuig Gift genommen hatte.«

Sie hielt inne, weil ihre Worte Aufruhr im Saal hervorgerufen hatten. Bruder Fergal schaute sie mit erschrockenem, bleichem Gesicht an.

Der Brehon bat um Ruhe und wandte sich dann an Fidelma.

»Willst du damit sagen, dass Barrdub in Fergals Hütte getötet wurde, während er schlief?«

»Nein. Ich will sagen, dass die Person, die Fergal betäubt hat, Barrdub anderswo ermordet hat und ihre Leiche anschließend in die Hütte schaffte. Dann schmierte die Person Blut auf Fergals Hände und Kleidung, während er wie betäubt schlief. Darauf ging der Mörder wieder fort. Ihm unterliefen jedoch einige Fehler. Er ließ ein verräterisches Beweisstück zurück, nämlich die Schale, in der noch Reste des starken Schlaftrunks waren. Und als er Barrdubs Leiche in die Hütte trug, streifte er versehentlich den Türpfosten und verursachte einen Blutfleck.«

»Ich erinnere mich, dass du mir diesen Fleck gezeigt hast«, warf der Brehon dazwischen. »Ich habe dich darauf hingewiesen, dass er wahrscheinlich entstanden ist, als wir die Leiche forttrugen.«

»Nein, das kann nicht sein. Der Fleck war in Schulterhöhe. Als ihr die Leiche hinausgeschafft habt, wie du mir berichtet hast, lag sie auf einer Bahre, die zwei Männer trugen.«

Der Brehon nickte.

»Mit einer Leiche darauf lässt sich eine Bahre allerhöchstens in Taillenhöhe tragen. Aber der Fleck war in Schulterhöhe. Deswegen wurde er nicht verursacht, als man die Leiche aus der Hütte fortschaffte, sondern als man sie dort hineintrug. Der Mörder war allein und musste sie auch allein tragen. Wahrscheinlich hatte er sie sich auf die Schulter gelegt, denn auf diese Weise ist es am leichtesten. So entstand der Fleck in Schulterhöhe.«

»Das ist nachvollziehbar«, gab der Brehon zu. »Aber nicht völlig überzeugend.«

»Dann möchte ich dem Gericht Folgendes zu bedenken geben. Du sagst, Bruder Fergal hätte Barrdub in wütendem Wahn erstochen. Danach, sagst du, sei er erschöpft gewesen, zu erschöpft, um die Leiche aus der Klause zu tragen und die Tat zu verschleiern. Er hätte sich auf sein Bett gelegt und dort tief und fest bis zum nächsten Morgen geschlafen.«

»So behauptet es die Anklage.«

»Wo ist dann die Mordwaffe?«

»Waaas?«, fragte der Brehon gedehnt, und Zweifel trat in seine Augen.

»Du hast keine Waffe erwähnt, kein Messer, mit dem Barrdub erstochen wurde. Wenn du es nicht mitgenommen hast, als du Fergal an jenem Morgen fandest, dann hätte es noch vor Ort sein müssen. Ich habe die Klause durchsucht. Ich habe kein Messer gefunden.«

Der Brehon biss sich auf die Unterlippe.

»Es stimmt, es wurde keine Mordwaffe gefunden.«

»Und doch muss es eine geben.«

»Fergal hätte sie versteckt haben können«, warf der Brehon ein, dem klar wurde, dass es ein Fehler war, nicht schon vorher die Suche nach der Tatwaffe angeordnet zu haben.

»Warum? Warum die Waffe verstecken, wenn Fergal zu erschöpft war, die Leiche zu verbergen?«

»Damit magst du recht haben. Und doch, wenn Fergal Barrdub nicht ermordet hat, wer dann?« Die Augen des Brehon leuchteten auf. »Ah, also deswegen hast du dich für die Kräuter des Einsiedlers Erca interessiert! Behauptest du, er hätte es getan? Glaubst du, dass er Fergal damit schaden wollte? Wir alle wissen, dass er die Christen hasst.«

Fidelma schüttelte energisch den Kopf.

»Erca hasst alle Christen, aber er ist nicht der Täter. Er hat einfach nur meinen Verdacht bestätigt, dass man die Kräuter mit starker betäubender Wirkung, die ich in der Schale festgestellt hatte, in der näheren Umgebung sammeln kann. Dieser Mord wurde aus einem viel persönlicheren Motiv begangen, als es der Hass auf alle Christen ist.«

Sie drehte sich herum und sah in Rimids bleiches Gesicht. Seine Lippen bebten.

»Sie versucht, die Schuld mir zuzuschieben!«, rief er.

Auch der Brehon schaute voller Misstrauen auf Rimid. Er fragte: »Hast du Fergal nicht gehasst? Das hast du uns doch gestern eingestanden.«

»Ich war es nicht. Ich liebte Barrdub … ich …« Rimid sprang auf und begann sich einen Weg aus dem Gerichtssaal zu bahnen.

»Haltet ihn!«, rief der Brehon. Sofort stürzten sich zwei Männer aus dem Clan auf den Fliehenden.

Aber Fidelma wandte sich kopfschüttelnd dem Brehon zu.

»Nein, lasst ihn gehen. Er war es nicht.«

Der Brehon sah sie fragend an. Rimid, der zwischen den beiden Männern stand, hörte auf, sich zu wehren.

»Wer denn dann?«, erkundigte sich der Brehon unwillig.

»Barrdub wurde von Congal ermordet.«

Ein Aufschrei ging durch die Menge.

»Eine Lüge! Die Schlampe lügt!« Congal war aufgesprungen. Er war leichenblass, die Hände hatte er zu Fäusten geballt.

»Congal hat seine eigene Schwester ermordet?« Der Brehon wollte es nicht glauben. »Aber warum?«

»Aus einem der ältesten Gründe. Aus Habgier.«

»Aber Barrdub hat doch keinen Besitz. Was konnte er da mit seiner Tat gewinnen?«

Schwester Fidelma seufzte traurig.

»Congal hatte wenig Geld. Sein Vater war im Clan ein geachteter Mann. Wenn alles gutgegangen wäre, hätte Congal das auch sein können. Aber bei Congal geht nie alles gut. Er ist launisch und unzuverlässig. Er träumt gern vor sich hin und macht hochfahrende Pläne, die stets scheitern. Schließlich sah er sich gezwungen, mit seiner Schwester in einer armseligen Hütte aus Holz und Lehm zu wohnen und sich bei seinen Nachbarn, denen es besser ging als ihm, als Taglöhner zu verdingen. All das ist im Dorf bekannt. Du, Brehon, hast es mir auch erzählt.

Rimid und Barrdub liebten einander. Rimid verfügt über keine großen Reichtümer. Wie die meisten von uns ist er es zufrieden, wenn das, was er verdient, für den Lebensunterhalt reicht. Als er Congal um die Erlaubnis bat, Barrdub, die noch nicht das Alter der Wahl erreicht hatte, heiraten zu dürfen, verweigerte ihm dieser seine Zustimmung. Warum? Weil Congal sich nicht um das Glück seiner Schwester scherte. Ihm lag nur am Reichtum. Er verlangte den vollen Brautpreis, der der Tochter eines freien Gastwirts im Clan zusteht, obwohl er und seine Schwester schon längst nicht mehr diese gehobene Stellung innerhalb der Gemeinschaft innehatten.«

»Und doch stand ihm das von Rechts wegen zu«, wandte der Brehon ein.

»Es war sein Recht, das stimmt. Aber manchmal können Rechte auch eine Form von Ungerechtigkeit sein«, meinte Fidelma.

»Fahre fort.«

»Rimid war nicht in der Lage, den vollen Brautpreis zu zahlen. Barrdub war wütend auf ihren Bruder und machte ihm klar, sobald sie alt genug wäre und alles frei und selbständig entscheiden durfte, würde sie ohnehin zu Rimid gehen. Und dann würde ihr Bruder überhaupt nichts vom Brautpreis bekommen.«

Schwester Fidelma hielt einen Augenblick inne.

»Congal hatte sich ausgemalt, die einzige Möglichkeit, seine Armut zu lindern und im Clan zu Würden zu gelangen, wäre, in den Besitz der zwanzig Milchkühe zu kommen, die der zukünftige Ehemann von Barrdub als vollen Brautpreis zahlen müsste. Dann kam ihm eine neue Idee. Eine hervorragende Idee. Warum sollte er sich mit zwanzig Milchkühen zufriedengeben? Falls seine Schwester ermordet würde, dann müsste der Mörder oder die Familie des Mörders ihm eine Entschädigung zahlen, und diese Entschädigung würde laut Gesetz mindestens fünfundvierzig Milchkühe betragen. Das wäre eine Grundlage für eine anständige Herde, und damit würde er sich im Clan wirklich Respekt verschaffen. Aber er musste natürlich dafür sorgen, dass die Person, der das Verbrechen zur Last gelegt wurde, in der Lage war, eine solche Summe zu zahlen.

Dann tauchte Bruder Fergal auf. Ein Mönch ist zwar nicht reich, aber das Gesetz verweist stets auf die Familie einer Person, wenn diese nicht in der Lage ist, der Familie des Opfers die entsprechende Buße zu zahlen. Es ist allgemein bekannt, dass bei Ordensleuten das Kloster an die Stelle der Familie tritt. Falls ein Mitglied eines Ordens eines Verbrechens für schuldig befunden wird, erwartet man vom Kloster, dass es das Sühnegeld aufbringt. Congal überlegte sich, dass sich der Orden sehr wohl die fünfundvierzig Milchkühe leisten konnte, die seine Entschädigung sein würden. Damit war das Schicksal der unglückseligen Barrdub besiegelt.

Congal wusste von Fergals Krankheit und kannte auch die Arznei dagegen. Er bereitete seine Kräutermischung vor, kippte Fergals üblichen Tee fort und ersetzte ihn durch den Schlaftrunk. Er überlegte sich, dass Fergal wohl den Inhalt seines Kessels nicht untersuchen würde, ehe er sich den Tee aufwärmte. Dann ging Congal zu Rimid und erzählte ihm, Barrdub sei in Fergal vernarrt, sie seien ineinander verliebt. Schließlich machte er sich auf die Suche nach Barrdub, und den Rest wissen wir.

Er tötete sie, trug sie in Fergals Hütte, sobald der Mönch tief und fest schlief, ließ sie dort zurück, nachdem er Fergals Hände und Kleidung mit ihrem Blut beschmiert hatte. Seine beiden größten Fehler bestanden darin, dass er keine Mordwaffe am Tatort hinterließ und dass er die Spuren seines Kräutertrunks in Fergals Trinkschale nicht beseitigte.«

Sie wandte sich Congal zu, der mit kreidebleichem Gesicht und zuckendem Mund vor ihr stand.

»Da steht der Mörder! Er hat seine leibliche Schwester für eine Herde Kühe umgebracht!«

Mit einem schrillen Schrei zog Congal ein Messer und wollte sich auf Schwester Fidelma stürzen. Entsetzt wichen links und rechts die Menschen vor ihm zurück.

Kurz bevor er Fidelma erreichte, fing ihn eine dunkle Männergestalt ab und schlug ihm mitten ins Gesicht. Es war Rimid. Congal sackte bewusstlos zu Boden. Als Rimid sich auf ihn stürzen wollte, legte ihm Schwester Fidelma ihre schmale Hand auf die Schulter.

»Rache ist keine Gerechtigkeit, Rimid. Wenn wir für jedes an uns begangene Übel Rache fordern wollten, würden wir uns nur größerer Vergehen schuldig machen. Lass das Gericht Recht über ihn sprechen.«

Rimid zögerte.

»Er hat keine Mittel, um an die, denen er Schlimmes angetan hat, den Sühnepreis zu zahlen«, protestierte er.

Fidelma lächelte leise.

»Er hat eine Seele, Rimid. Er hat versucht, einem Mitglied des Klosters Unrecht anzutun. Das Kloster wird eine Entschädigung fordern. Das wird seine unsterbliche Seele sein, die er Gott überantworten muss.«

»Du wirst ihn töten lassen? Zu Gott ins Jenseits schicken?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Gott wird ihn zu sich holen, wenn seine Zeit gekommen ist. Nein, er wird im Kloster dienen müssen und so für seine Tat Buße tun.«

Nachdem man Bruder Fergal freigesprochen hatte und Congal bis zum Gerichtstag in Gewahrsam genommen worden war, ging Fidelma mit dem Brehon zum Ausgang der großen Halle.

»Wie ist dein Verdacht auf Congal gefallen?«, fragte der Brehon.

»Wer einmal lügt, der lügt wieder.«

»Bei welcher Lüge hast du ihn ertappt?«

»Er behauptete, nichts von Kräutern zu verstehen, aber er wusste sofort, wofür stramóiniam benutzt wird, und ihm war bekannt, dass Bruder Fergal es regelmäßig einnahm. Der Rest war eine Mischung aus einfachen logischen Schlüssen und Bluff. Aber es wäre wahrscheinlich schwierig gewesen, ihn zu überführen, wenn er mich nicht angegriffen hätte.«

»Du bist eine hervorragende Anwältin, Schwester Fidelma«, sagte der Brehon.

»Es ist keine große Kunst, ein kluges und ausgefeiltes Argument vorzubringen. Eine größere Gabe ist es, die Wahrheit zu erkennen und zu verstehen.« Sie hielt an der Tür inne und lächelte den Richter an. »Friede mit dir, Brehon der Eóghanacht von Cashel.« Dann war sie fort und schritt über die staubige Straße auf ihr fernes Kloster zu.

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