SCHIERLING ZUR VESPER

Die Glocke, die zum Sechs-Uhr-Gebet rief, war längst verklungen, als Fidelma am Tor des in der Abenddämmerung liegenden grauen Klosters anlangte. Sie war spät dran. Die Andacht war vorüber, und die Schwestern hatten sich bereits in den Speisesaal zum abendlichen Mahl begeben. Fidelma klopfte flüchtig den Reisestaub von der Kleidung, eilte zum Refektorium und huschte in demütiger Haltung mit gesenktem Kopf und in den Falten des Habits verschränkten Armen an ihren Platz.

Einem aufmerksamen Beobachter wäre aufgefallen, dass die Kopfhaltung das einzige Anzeichen von Demut an ihrer äußeren Erscheinung war. Selbst die Schwesterntracht konnte die schlanke, wohlgefällige Figur nicht verbergen; der Gang verriet Lebensfreude und Tatendrang, weniger Ergebenheit und in sich gekehrte Würde, wie man es von Nonnen kannte. Widerspenstige rote Haarsträhnen, die sich unter dem Schleier hervordrängten, unterstrichen den Eindruck; sie passten gut zu dem blassen, jugendlich frischen Gesicht und den leuchtend grünen Augen, die fröhlich in die Welt schauten.

Qualmende Öllampen gaben dem Saal Licht; ihr stechender Geruch vermischte sich mit dem von brennendem Torf, denn an der Stirnseite des Raumes schwelte ein Feuer. Beides, Lampen und Herdstelle, sorgten für etwas Wärme an dem kalten Vorfrühlingsabend.

Die Äbtissin hatte bereits zum Gratias angehoben, als Schwester Fidelma ihrem Platz am Ende eines der langen Tische zustrebte, wo sie etwas atemlos und in ungebührlicher Hast das Knie beugte. Teils empörte, teils amüsierte Blicke der Mitschwestern begleiteten sie.

»Benedic nobis, Domine Deus, et omnibus donis Tuis, quae ex larga liberalitate Tua sumpturi sumus per …«

Einem plötzlichen Schmerzensschrei folgten Sekunden erschrockenen Schweigens. Sie vernahmen den Aufschrei ein zweites Mal, ein unbeherrschtes Stöhnen aus männlicher Kehle, dann den dumpfen Aufprall eines menschlichen Körpers und das Geräusch splitternden Geschirrs. Schwester Fidelma war nicht die Einzige, die ob der unerwarteten Ruhestörung den Kopf hob; erregtes Geflüster ging durch den Saal.

Alle Blicke wanderten zu dem Tisch, der für die Gäste des Hauses der heiligen Brigid in Kildare vorgesehen war und an dem sichtliche Aufregung herrschte. Eine Schwester eilte zu dem auf einem Podest stehenden Tisch, von dem aus man die im Saal Versammelten im Auge haben konnte und wo die Äbtissin und die anderen führenden Mitglieder des Hauses hinter ihren Plätzen standen.

Es war Schwester Poitigéir, die Apothekerin, die der Äbtissin in heller Aufregung etwas ins Ohr flüsterte. Die Äbtissin verzog keine Miene. Mit einer Kopfbewegung fertigte sie die Schwester ab.

Inzwischen war das Getuschel in ein Stimmengewirr übergegangen. An die hundert Mitglieder der Gemeinschaft waren nach der abendlichen Vesper in den Saal geströmt, um das letzte Mahl des Tages einzunehmen.

Ruhe gebietend, hämmerte die Äbtissin mit ihrem irdenen Becher auf den Tisch. Sie war finster entschlossen, in ihrem Dankgebet fortzufahren.

»… sumus per Jesum Christum Dominum nostrum. Amen.«

Zwei Schwestern mühten sich, einen Mann – wie es Fidelma schien – aus dem Saal zu schaffen. Follaman, ein großer Mensch mit rötlichem Gesicht, dessen Aufgabe es war, sich um die männlichen Besucher im Gästehaus zu kümmern, kam ihnen zu Hilfe.

»Amen.« Rau hallte das Schlusswort durch den Raum, und die hundert Anwesenden glitten nahezu lautlos auf ihre Plätze. Normalerweise hätte jetzt mit dem Herumreichen von Brot die Mahlzeit beginnen sollen, doch die Äbtissin hob die Hand und gebot den Verantwortlichen, mit dem Austeilen zu warten.

Aufmerksames Schweigen. Sie räusperte sich. »Meine Kinder, wir müssen uns ein wenig gedulden. Unserem Gast ist plötzlich unwohl geworden, und wir müssen den Bericht unserer Apothekenschwester abwarten. Sie glaubt, er könnte etwas zu sich genommen haben, das ihm nicht bekommen ist.«

Sie begegnete dem augenblicklich ertönenden aufgeregten Gemurmel mit einer gebieterischen Bewegung ihrer schmalen, weißen Hand. »Während wir hier warten, übernimmt Schwester Murgain das Gebet …«

Ohne weitere Erklärung entschwebte die Äbtissin, und Schwester Murgain intonierte in einem Gemisch von Latein und Irisch mit schriller Stimme:

Regem regum rogamus

In nostris sermonibus

anacht Nóe a luchtlach

diluvii temporibus

König der Könige,

Wir beten zu dir,

Der du Noah beschützt hast

Zu Zeiten der Sintflut.

Schwester Fidelma beugte sich zu Schwester Luan, einem etwas einfältigen Geschöpf, das neben ihr saß, und fragte leise: »Wer war das, den sie da hinausgetragen haben?« Sie war zwei Wochen in Tara, dem Hauptort der fünf Königreiche von Irland und dem Sitz des Hochkönigs, gewesen und wusste nicht, was sich in der Zwischenzeit in ihrer Gemeinschaft ereignet hatte.

Schwester Luan wartete, bis die grelle Stimme von Schwester Murgain in ihrem Singsang

Regis regum rectissimi

prope est dies Domini

eine kleine Pause machte.

»Ein Gast, der im tech-óired wohnt. Sillán heißt er, aus Kilmatan.«

Alle frommen Häuser im Land hatten ein tech-óired auf ihrem Gelände, ein Gästehaus für Durchreisende oder auch für wichtige Besucher, denen man Gastfreundschaft erwies.

»Und wer ist dieser Sillán?«, forschte Schwester Fidelma weiter.

Sie spürte einen energischen Händedruck auf der Schulter und schreckte hoch. Gab es jetzt eine Rüge, weil sie während des Gebets gesprochen hatte? Sie sah in die vorwurfsvolle Miene von Schwester Ethne. Die schon ältere Nonne mit dem verhärmten, an einen Habicht erinnernden Gesicht und stets zusammengekniffenen Lippen war bei den jüngeren Mitgliedern der Schwesternschaft gefürchtet. Wenn sie einen anschaute, hatte man das Gefühl, ihre fahlen, leblosen Augen würden durch einen hindurch sehen. Es hieß, sie wäre so alt, dass sie schon im Dienste Christi stand, als die heilige Brigid vor einem Jahrhundert hierher gekommen war, um eben an dieser Stelle die erste Abtei für Frauen im Land zu begründen. Der Name Kildare, Kirche an der Eiche, leitete sich von jenem Kirchlein her, das im Schatten der großen Eiche errichtet wurde. Schwester Ethne war die bean-tigh, die Hausverwalterin, in deren Verantwortung die alltäglichen Belange der Schwesternschaft lagen.

»Die Äbtissin wünscht dich unverzüglich in ihren Räumlichkeiten zu sehen«, erklärte Schwester Ethne und schniefte. Es war eine dumme Angewohnheit von ihr, jede Äußerung mit einem Schniefer zu begleiten.

Leicht verwundert stand Schwester Fidelma auf und verließ mit der älteren Nonne den Saal. Trotz der gesenkten Köpfe und des beflissenen frommen Gesangs verfolgten alle Schwestern neugierig das Zwischenspiel.

Die Äbtissin Ita von Kildare saß in dem Raum, der ihr als Arbeitszimmer diente, an einem langen Eichentisch. Ihr Gesichtsausdruck war gefasst und entschlossen. Sie war eine immer noch gutaussehende Frau in den Fünfzigern, gebieterisch, mit bernsteinfarbenen Augen, in denen sonst eine verhaltene Fröhlichkeit blitzte. Davon war jetzt in dem flackernden Licht von zwei großen Bienenwachskerzen, die das dunkle Gemach spärlich erleuchteten, kaum etwas zu erkennen. Der Duft von Hyazinthen und Narzissen verlieh dem Raum eine angenehme Note.

»Komm herein, Schwester Fidelma. Hattest du eine erfolgreiche Reise nach Tara?«

»Ja, Ehrwürdige Mutter«, erwiderte das Mädchen und leistete der Aufforderung Folge. Sie wurde gewahr, dass hinter ihr auch Schwester Ethne das Zimmer betreten, die Tür von innen geschlossen hatte und mit züchtig verschränkten Armen dort stehen geblieben war. Ruhig wartete sie, während die Äbtissin sich zunächst zu sammeln schien, sich dann aber unvermittelt von einem halben Dutzend kleiner Steine, die auf dem Tisch lagen, ablenken ließ. Mit einer um Verständnis bittenden Geste stand die Äbtissin auf, sammelte die Steine ein und legte sie in ein Behältnis. Dann wandte sie sich um und nahm mit einem verlegenen Lächeln wieder Platz.

»Steine. Hab sie gesammelt. Aber solch eine Unordnung auf dem Tisch kann ich nicht dulden«, fühlte sie sich bemüßigt zu erklären. Sie nagte an den Lippen, wusste nicht, wie beginnen und kam dann ohne Überleitung zur Sache.

»Warst du im Speisesaal?«

»Ja. Ich war gerade nach Kildare zurückgekehrt.«

»Da ist etwas passiert, was für unsere Gemeinschaft besorgniserregend ist. Unser Gast, Sillán aus Kilmantan, ist tot. Unsere Apothekenschwester sagt, es sei eine Vergiftung.«

Schwester Fidelma war bemüht, sich ihr Erstaunen nicht anmerken zu lassen.

»Vergiftet? Rein zufällig?«

»Das wissen wir nicht. Die Apothekenschwester untersucht gerade das Essen im Speisesaal. Deshalb habe ich untersagt, mit der Mahlzeit zu beginnen.«

Schwester Fidelma zog die Stirn in Falten.

»Muss ich daraus entnehmen, dass dieser Sillán zu essen begonnen hat, ehe du das Dankgebet beendet hattest, Ehrwürdige Mutter? Du wirst dich erinnern, dass er vor Schmerz aufschrie und zusammenbrach, während du noch am Sprechen warst.«

Ihre Augen wurden etwas größer, und sie nickte.

»Man rühmt zu Recht deine Wahrnehmungsgabe und deine Art, den Dingen auf den Grund zu gehen, Fidelma. Nur gut, dass wir in unserer Gemeinschaft jemand haben, der sich in solchen Fragen und in der Rechtsprechung der Brehons auskennt. Genau deshalb habe ich dich holen lassen. Ich weiß, du bist gerade erst von deiner Reise zurück und wirst müde sein. Aber das hier lässt keinen Aufschub zu. Ich möchte, dass du unverzüglich die Ermittlungen zu Silláns Tod aufnimmst. Die Angelegenheit muss so rasch wie möglich aufgeklärt werden.«

»Warum so rasch, Ehrwürdige Mutter?«

»Sillán war ein wichtiger Mann. Er hat sich in unserer Umgebung auf ausdrücklichen Wunsch des Uí Failgi von Ráith Imgain aufgehalten.«

Schwester Fidelma wusste, was das bedeutete.

Kildare lag im Gebiet des Kleinkönigtums der Uí Failgi. Der Sitz der Könige der Uí Failgi war die Burg Ráith Imgain, nordwestlich von Kildare am Rande der Einöde gelegen, die unter dem Namen »Moor von Aillín« bekannt war. Gleich mehrere Fragen gingen ihr durch den Kopf, aber sie hielt den Mund. Fragen würde man später stellen können. Es war klar, dass die Äbtissin darauf bedacht war, jegliche Feindseligkeit mit Congall, dem Kleinkönig, den man kurz und bündig nach seinem Stamm Uí Failgi nannte, zu vermeiden. Der Gesetzgebung der Brehons zufolge überließ nämlich der Kleinkönig mit seiner Ratsversammlung den frommen Schwestern von Kildare das Land, auf dem sie lebten, und konnte es ihnen jederzeit entziehen. Grundsätzlich wurde den Kirchen Grund und Boden von den Clanversammlungen zugesprochen, denn so etwas wie privates Eigentum gab es im Königreich von Irland nicht. Das Land wurde von den Ratsversammlungen, die die Geschicke der Stämme und Königreiche lenkten, aufgeteilt und vergeben.

»Wer war dieser Sillán? Ein Abgesandter der Uí Failgi?«, fragte Fidelma.

Schwester Ethne kam mit einer Auskunft zu Hilfe, wobei sie ihre Sätze mit den unvermeidlichen Schniefern unterbrach.

»Er war ein uchadan, ein Handwerksmann, der in den Minen von Kilmatan arbeitete. So hat es mir jedenfalls Follaman, der für das Gästehaus zuständig ist, erzählt.«

»Was hat er hier gewollt?«

Warf die Äbtissin Schwester Ethne einen warnenden Blick zu? Schwester Fidelma erhaschte eine unfreiwillige Augenbewegung ihrer Mitschwester zu der Äbtissin, konnte aber nicht so schnell deren Reaktion verfolgen. Schade.

»Also gut. Ich übernehme die Untersuchung des Falls. Habe ich deine Vollmacht, jeden nach meinem Gutdünken zu befragen?«

»Du bist eine dálaigh des Gerichtshofes der Brehons, mein Kind.« Die Äbtissin lächelte gequält. »Du bist Anwältin im Rang eines anruth. Du brauchst dem Gesetz nach meine Vollmacht nicht. Du hast die Vollmacht der Brehons.«

»Ich brauche aber deine Erlaubnis und deinen Segen als Vorsteherin meiner Gemeinschaft.«

»Dann sollst du sie haben. Ich stelle dir die tech-screptra, die Bibliothek, für deine Arbeit zur Verfügung. Wenn es etwas zu berichten gibt, lass es mich wissen. Gehe mit Gott. Benedictus sit Deus in Donis Suis

Schwester Fidelma beugte das Knie.

»Et sanctus in omnibus operibus Suis«, erwiderte sie.

Schwester Ethne hatte für zwei Lampen, einfache unglasierte Töpferware, gesorgt, die seitlich spitz zuliefen und so einem Docht Halt verliehen. Auf diese Weise erhielt die düstere gewölbte tech-screptra ein wenig Licht. Die Bibliothek barg alle Bücher und sonstigen Schätze des Hauses der heiligen Brigid. Fidelma hatte dort Platz genommen, wo sonst der leabharcoimdaech, der Bibliothekar, saß, der die wertvollen Werke hütete. Der kostbare Schatz der Handschriften hing in säuberlich angeordneten Reihen an den Wänden verteilt in kunstfertig gearbeiteten Lederranzen. Die tech-screptra von Kildare konnte sich rühmen, viele alte »Ruten der fili« zu besitzen, Stäbe aus Haselnuss und Espe, in die die Lettern in Ogham-Zeichen eingeschnitzt waren, Zeugnisse aus uralten Zeiten, lange bevor die Schreiber in Irland dazu übergegangen waren, ihr Wissen mit Hilfe des lateinischen Alphabets festzuhalten.

In der Bibliothek flackerte ständig ein Feuer, damit keine Feuchtigkeit in die Folianten dringen konnte. Trotzdem war es kühl.

Schwester Ethne hatte sich als Verwalterin des Hauses angeboten, Fidelma behilflich zu sein und ihr die Personen, die sie zu befragen wünschte, zuzuführen. Im Augenblick war sie emsig bemüht, die Lampen so einzustellen, dass sie mit ihrem beißenden Qualm nicht den Raum verräucherten.

»Als Erstes werden wir uns die Todesursache von Sillán bestätigen lassen«, verkündete Fidelma, sowie Schwester Ethne mit den Lampen fertig war. »Geh und bitte die Apothekenschwester zu mir.«

Schwester Poitigéir machte einen nervösen Eindruck. In ihren Bewegungen erinnerte sie Fidelma an einen Kranich; sie hatte einen watschelnden, sorgsam tastenden Gang und ließ den Kopf, der auf einem verhältnismäßig langen Hals saß, in gewissen Abständen plötzlich und ruckartig vorschnellen, sodass man Angst hatte, er könnte gänzlich abfallen. Aber Fidelma kannte ihre Mitschwester seit ihrem Eintritt in die Abtei von Kildare und wusste, dass sich hinter dem unsicheren Auftreten ein wacher und scharfer Verstand verbarg, wenn es um Botanik und Chemie ging.

»Woran ist Sillán von Kilmatan gestorben?«

Schwester Poitigéir schürzte die Lippen und streckte den Kopf rasch vor und zurück.

»Conium maculatum«, erklärte sie knapp.

»Giftiger Schierling?«, vergewisserte sich Fidelma und zog die Augenbrauen hoch.

»Krämpfe und Lähmung waren ein untrügliches Zeichen. Er starb noch, während wir ihn aus dem Refektorium trugen. Außerdem …«, sie zögerte.

»Außerdem?«, wiederholte Fidelma.

Schwester Poitigéir biss sich auf die Lippen, fügte sich dann aber in die Situation.

»Mir war zuvor am Nachmittag aufgefallen, dass ein Krug mit zerstoßenen Schierlingsblättern aus der Apotheke verschwunden war. Heute Vormittag stand er noch an seinem Platz, und zwei Stunden vor der Vesper merkte ich, dass er fehlte. Ich wollte den Vorfall der Äbtissin nach der Andacht melden.«

»Aus welchem Grund hast du Gift wie Schierling in deiner Apotheke?«

»Fachkundig verabreicht ist er ein gutes Beruhigungs- und Schmerzmittel. Er hilft bei jeder Art von Krämpfen. Wir haben ihn nicht nur in der Apotheke, wir halten ihn auch als Pflanze in unseren Gärten, und um die kümmere ich mich selbst zusammen mit Follaman. Wir haben mannigfache Kräuter angebaut. Schierling hilft bei vielen Beschwerden.«

»Kann aber auch töten. Im alten Griechenland zwang man zur Todesstrafe verurteilte Verbrecher davon zu trinken, und bei den Juden, so heißt es, hat man ihn denen, die gesteinigt wurden, zur Schmerzlinderung gegeben. Ich habe einmal einen Disput miterlebt, in dem es darum ging, dass man unserem Herrn, als er am Kreuz hing, Essig, Myrrhe und Schierling reichte, um den Schmerz zu betäuben.«

Schwester Poitigéir begleitete Fidelmas Darlegungen mit dem ihr eigenen raschen, ruckartigen Kopfnicken.

»War das Gift in dem Essen, das für die Abendmahlzeit im Refektorium gedacht war?«, fragte Schwester Fidelma nach einer kurzen Pause.

»Nein.«

»Du scheinst dir deiner Sache sicher.«

»Bin ich mir auch. Das Gift hat keine sofortige Wirkung. Zudem habe ich die Speisen für das abendliche Mahl im Refektorium überprüft. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass sie vergiftet gewesen wären.«

»Das heißt, du gehst davon aus, dass man Sillán das Gift bereits verabreicht hat, bevor er den Speisesaal betrat?«

»Ja.«

»Könnte er es aus freien Stücken genommen haben?«

»Das weiß ich nicht«, meinte sie achselzuckend. »Ich halte es aber für unwahrscheinlich.«

»Weshalb?«

»Giftigen Schierling zu sich zu nehmen führt zu einem qualvollen Tod. Warum sollte man Schierling trinken und dann zum Abendessen in den Speisesaal gehen, wenn man weiß, dass einen Todeskrämpfe erwarten?«

Die Überlegung leuchtete Fidelma ein.

»Hast du Silláns Kammer und die Gästequartiere nach dem fehlenden Krug mit den gestoßenen Schierlingsblättern durchsucht?«

Schwester Poitigéir schüttelte nervös den Kopf.

»Das solltest du unverzüglich tun. Gib mir Bescheid, wenn du was findest.«

Als Nächstes ließ Fidelma Follaman kommen. Er war kein Mönch, vielmehr ein Laie, den das Kloster eingestellt hatte, um jemanden für das Gästehaus zu haben. Jede Bruder- oder Schwesternschaft hielt sich einen timthirig oder Bediensteten, dem die Aufsicht des tech-óired oblag. Zu Follamans Pflichten gehörte, sich um die Wünsche der männlichen Besucher zu kümmern, Arbeiten zu verrichten, die für die Nonnen körperlich zu anstrengend waren, und den Schwestern bei der Gartenarbeit zur Hand zu gehen.

Er war ein großer, stämmiger Mann mit breiten Schultern, hatte fuchsrotes Haar, eine frische Hautfarbe und wasserblaue Augen. Das Gesicht war übersät von Sommersprossen, als hätte ein vorbeifahrender Karren ihn über und über mit Dreck bespritzt. Er mochte in den Mittvierzigern sein, ein treuherzig wirkender Mensch, mehr wie ein großer Junge, der noch unschuldig in die Welt blickte. Alles in allem ein einfaches Gemüt.

»Hast du von dem, was vorgefallen ist, gehört, Follaman?«

Er öffnete den Mund, sodass Fidelma leicht angewidert seine schwärzlichen Zähne sehen konnte, die nicht von einem übertriebenen Hang zur Reinlichkeit zeugten.

Er nickte schweigend.

»Erzähl, was du über Sillán weißt.«

Nachdenklich kratzte er sich den Kopf. »Er war Gast hier.«

»Und weiter? Seit wann ist er hier in Kildare?«

Follamas Gesicht hellte sich auf. Fidelma begriff, dass sie ihm am besten konkrete Fragen stellte, denn mit seinem Denk- und Kombinationsvermögen schien es schlecht bestellt. Er konnte ihr nur langsam folgen, und von Scharfsinn konnte schon gar keine Rede sein.

»Er ist vor acht Tagen angekommen, Cailech.« Follaman sprach alle Nonnen mit dem förmlichen Titel »Cailech« an. In weltlichen Kreisen nannte man sie so; es bedeutete »jemand, der den Schleier genommen hat« und ging auf das Wort caille zurück, was so viel wie »Schleier« hieß.

»Weißt du, wer er war oder was ihn hergeführt hat?«

»Das weiß doch jeder, Cailech.«

»Du musst mir schon auf die Sprünge helfen. Ich war zwei Wochen lang auf Reisen und nicht hier.«

»Ach ja, stimmt«, erklärte der kräftige Mann, nachdem er eine Weile gebraucht hatte, bis ihre Worte bei ihm angekommen waren. »Also Sillán hat mir erzählt, er wäre ein bruithneóir, ein Schmelzer aus den Gruben in den Kilmatanbergen.«

»Und was für Gruben sind das?«

»Goldminen natürlich, Cailech. Er hat in den Goldminen gearbeitet.«

Sie konnte gerade noch ihre Verwunderung zurückhalten.

»Aber was suchte er in Kildare? Wir haben doch keine Goldminen hier.«

»Angeblich hat ihn der Uí Failgi geschickt.«

»Ach so? Weißt du, warum?«

Follaman schüttelte den roten Haarschopf.

»Nein, Cailech. Er war immer nur kurz im Gästehaus, schlief dort, ging bei Tagesanbruch aus dem Haus und kehrte erst zum Abendessen zurück.«

»Hast du eine Ahnung, wo Sillán heute Nachmittag war?«

Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Heute kam er schon zeitig zurück und blieb in seiner Kammer.«

»Den ganzen Nachmittag?«

Follaman bedachte sich einen Moment. »Bald nach seiner Rückkehr begab er sich zur Äbtissin. Er war eine ganze Weile bei ihr, und als er ihr Gemach verließ, sah er reichlich verärgert aus. Er ist dann in sein Zimmer gegangen.«

»Hat er ein Wort darüber verloren, was ihn so verärgert hat?«

»Nein, Cailech. Ich habe ihn nur gefragt, ob er irgendwelche Wünsche hätte. Das und nicht mehr, wie es meine Pflicht ist.«

»Hat er eine Erfrischung verlangt?«

»Nur Wasser …, nein, er bat um Met. Das war alles.«

»Hast du ihm den Met gebracht?«

»Ja. In einem Steinkrug aus der Küche.«

»Wo ist der Krug jetzt?«

»Ich habe das Gästehaus noch nicht saubergemacht. Er muss also noch dort sein.«

»Weißt du, was giftiger Schierling ist?«

»Eine schlimme Sache. Soviel ist mir bekannt.«

»Weißt du, wie er aussieht? Ich meine, Form und Farbe der Pflanze?«

»Wie soll ich das wissen, Cailech? Ich bin doch nur ein einfacher Diener. Schwester Poitigéir, die weiß so was.«

»Sillán hat also nach Met verlangt, und du hast ihm welchen gebracht. Hat er ihn sofort getrunken, oder hast du den Krug bei ihm stehenlassen?«

»Ich habe den Krug bei ihm gelassen.«

»Könnte sich jemand daran zu schaffen gemacht haben?«

Angestrengt dachte Follaman nach. »Wie soll ich das wissen, Cailech? Möglich wäre es.«

»Macht nichts, Follaman«, meinte sie lächelnd. »Aber eins noch. Bist du dir sicher, dass sich Sillán den ganzen Nachmittag bis zur Vesper im tech-óired aufgehalten hat?«

Er legte die Stirn in Falten und schüttelte langsam den Kopf.

»So sicher bin ich mir da nicht. Es hatte den Anschein, ja. Er traf Vorkehrungen, die Abtei bei Tagesanbruch zu verlassen. Er packte seine Taschen und bat mich, dafür Sorge zu tragen, dass sein Kastanienbrauner fertig gesattelt war.« Follaman hielt inne und fuhr dann einfältig fort: »Ja, er begleitete mich zu den Ställen, Cailech. So gesehen, hat er das Gästehaus zwischendurch verlassen.«

»Wieso hat er dich nicht allein zu den Ställen gehen lassen?«, fragte Fidelma leicht verwirrt.

»Er wollte mir zeigen, welches sein Pferd ist. Wir haben eine Reihe Pferde, die von der Farbe her für mich alle gleich aussehen. Ich kann leider keine Farben unterscheiden.«

Schwester Fidelma presste die Lippen zusammen. Dass Follaman farbenblind war, hatte sie vergessen. Sie nickte verständnisvoll und schaute ihn aufmunternd an.

»Sillán hat aber nichts in der Richtung erwähnt, was ihn aufgebracht hatte oder was ihn zur Abreise bewog?«

»Nein, Cailech. Er hat nur gesagt, dass er nach Ráith Imgain müsse, mehr nicht.«

Die Tür öffente sich, und Schwester Poitigéir erschien. Sie nickte Fidelma bestätigend zu, wobei ihr Kopf in der bewährten Manier vor und zurück ruckte. Follaman blickte verdutzt von einer Schwester zur anderen.

»Ist das jetzt alles, Cailech?«

»Fürs Erste ja, Follaman.«

Er ging. Schwester Fidelma lehnte sich zurück und starrte versonnen auf die schwere Eichentür, die er hinter sich zugezogen hatte. Ein unbestimmter Gedanke ließ ihr keine Ruhe. Was war es, was sie im Unterbewusstsein beschäftigte? Es wollte ihr nicht einfallen. Ärgerlich rieb sie sich den Nasenrücken. Schließlich wandte sie sich mit fragendem Blick Schwester Poitigéir zu.

»In Silláns Zimmer stand ein Krug mit Met«, berichtete die eilfertig. »Met überdeckt den unangenehmen Geruch von Schierling, doch mir macht man da nichts vor. Ein kräftiger Schluck von so einer Mischung reicht, um einem starken Mann den Garaus zu machen. Aber meinen aus der Apotheke entwendeten Krug mit den zerstoßenen Schierlingsblättern habe ich nicht gefunden.«

»Danke, Schwester Poitigéir.« Fidelma wartete, bis sie sich entfernt hatte, und ließ sich müde zurückfallen.

Schwester Ethne beobachtete sie mit leichter Verwunderung.

»Was jetzt, Schwester? Ist deine Befragung abgeschlossen?«

Fidelma schüttelte den Kopf. »Nein, Schwester Ethne. So schnell geht das nicht. Die Sache ist längst noch nicht geklärt. Sillán wurde ermordet, so viel steht für mich fest. Nur warum?«

Von den Toren der Abtei her, die meist gleich nach der Vesper geschlossen und erst mit dem Morgengrauen wieder geöffnet wurden, vernahm man Bewegung und Pferdegetrappel. Schwester Ethne horchte auf und eilte, betont Ruhe bewahrend, zum Fenster.

»Ein Dutzend Reiter stehen draußen und begehren Einlass«, stellte sie empört schniefend fest. »Sie führen ein königliches Banner mit sich. Ich muss ans Tor und sie empfangen.«

Schwester Fidelma nickte gedankenverloren. Erst als Schwester Ethne den Raum verließ, um ihren Pflichten als Verwalterin der Abtei Genüge zu tun, blitzte ein Gedanke in ihr auf, und sie ging zum Fenster und blickte hinaus auf den Hof.

Im unruhigen Licht der Fackeln sah sie, dass mehrere Reiter von den Pferden gestiegen waren. Follaman war ihnen behilflich. Fidelma erkannte, dass es sich um Krieger handelte und dass einer das königliche Banner des Uí Failgi von Ráith Imgain trug. Ein anderer hielt das traditionelle ríchaindell, das königliche Licht, das stets bei Dunkelheit mitgeführt wurde, um dem Stammesfürsten oder seinem Thronnachfolger den Weg zu erleuchten. Bei den Ankömmlingen handelte es sich keineswegs um einfache Besucher. Fidelma vergaß, was sich gehörte, und gab – für andere kaum wahrnehmbar – einen leisen Pfeifton von sich.

Keine fünf Minuten vergingen, und die Tür zur tech-screptra wurde aufgerissen. Ein untersetzter junger Mann kam hereingestürmt, gefolgt von einem weiteren Mann, und hinter den beiden tauchte mit bekümmerter Miene auch Schwester Ethne auf. Fidelma wandte sich vom Fenster ab und betrachtete die Eindringlinge mit betonter Gelassenheit.

Der stämmige Jüngere ging auf sie zu. Reisestaub lag auf seiner reichverzierten Kleidung. Er hatte stahlgraue Augen, deren scharfem Blick nichts entging. Er sah gut aus, sein Auftreten wirkte überheblich und betonte den Mann von Rang.

»Das ist Schwester Fidelma«, erklärte Schwester Ethne, die sich verängstigt an ihnen vorbei durch die Tür gezwängt hatte, mit zittriger Stimme und vergaß vor Aufregung ihr Schniefen.

Schwester Fidelma rührte sich nicht vom Fleck und sah den jungen Mann nur fragend an.

»Wie ich höre, ist Sillán von Kilmantan tot. Vergiftet. Es heißt, die Untersuchung des Falls liegt in deiner Hand.« Er formulierte seine Sätze als Feststellungen, nicht als Fragen.

Fidelma sah sich nicht gemüßigt, auf seinen scharfen Ton zu reagieren. Ihre wachen grünen Augen glitten über sein Gesicht, auf dem sich Verärgerung ob ihres Schweigens breitmachte. Noch einen Moment ruhte ihr Blick auf seinen Zügen, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit dem Krieger zu, der neben ihm stand, und schaute schließlich, mit hochgezogenen Augenbrauen eine Frage andeutend, Schwester Ethne an.

»Das ist Tírechán, der tánaiste des Uí Failgi«, stellte sie ihn nahezu atemlos vor.

Ein tánaiste war der Nachfolger auf dem Fürstenthron. Er wurde während der Herrschaft eines Königs oder Stammesfürsten gewählt, womit etwaige Streitigkeiten nach deren Tod oder Abdankung über die Thronnachfolge vermieden wurden.

Fidelma ging zu ihrem Stuhl, setzte sich und bedeutete Tírechán, ihr gegenüber am Tisch Platz zu nehmen. Dem jungen Prinzen war sein Erstaunen anzumerken, und schon schoss ihm Zornesröte in die Wangen.

»Ich bin Schwester Fidelma«, sagte sie in aller Ruhe, noch ehe er seiner Empörung Luft machen konnte. »Ich bin dálaigh am Gericht der Brehons, und das im Range eines anruth

Tírechán brachte seinen drohenden Wutausbruch unter Kontrolle, und sein Gesichtsausdruck wurde verbindlicher. Eine dálaigh, eine Anwältin am Gerichtshof der Brehons, noch dazu eine im Rang eines anruth, war jedem Kleinkönig oder Stammesfürsten gleichgestellt und durfte sich selbst mit dem Hochkönig ohne besondere Verhaltensregeln unterhalten. Ein anruth stand nur eine Stufe unter dem ollamh, dem höchsten Gelehrtengrad, dessen Worten sich sogar der Hochkönig fügen musste. Dass eine so junge Frau über Rang und Ansehen verfügte, nötigte Tírechán ungewollt Achtung ab. Er leistete ihrer Aufforderung Folge und nahm ihr gegenüber Platz.

»Ich bitte um Verzeihung, Schwester. Mich hat niemand über deine Stellung in Kenntnis gesetzt, man hat mir lediglich gesagt, dass du die Todesumstände von Sillán untersuchst.«

Fidelma überging seine Entschuldigung. Tírecháns Leibgarde schloss die Tür und blieb mit gekreuzten Armen vor ihr stehen. Schwester Ethne war eingedenk ihres Versäumnisses, Schwester Fidelma in angemessener Form vorzustellen, immer noch verunsichert und stand wie angewurzelt auf ein und demselben Fleck.

»Ich darf wohl davon ausgehen, dass du Sillán kanntest?«

»Mehr seinen Namen. Ich wusste, wer er war«, stellte Tírechán richtig.

»Du hattest die Absicht, dich mit ihm hier zu treffen?«

»Ja.«

»Aus welchem Anlass?«

Er antwortete nicht gleich und senkte den Blick.

»Im Auftrage meines Stammesfürsten Uí Failgi …«, er stockte.

Fidelma konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Der Mann hatte offensichtlich Schwierigkeiten, über persönliche Angelegenheiten seines Stammesfürsten zu sprechen.

»Kann ich vielleicht helfen?«, ermunterte sie ihn, denn plötzlich drängte sich ihr ein Gedanke auf, dessen Logik nicht von der Hand zu weisen war. »Sillán war aus Kilmatan, und in den Bergen dort gibt es zahlreiche Goldminen. Nicht umsonst sprechen wir von dem Gebiet als das Kilmatan des Goldes. Sillán war ein bruithneóir, ein ausgebildeter Fachmann. Es muss einen Grund gegeben haben, weshalb der König von Ráith Imgain einen Mann wie diesen beauftragt hat, nach Kildare zu gehen.«

Der tánaiste fühlte sich von ihrem amüsierten, aber festen Blick bedrängt und rutschte unruhig hin und her. Schließlich antwortete er, wenn auch widerwillig.

»Ich kann mich darauf verlassen, dass meine Aussagen vertraulich behandelt werden?«

Allein eine solche Frage zu stellen, empfand Fidelma als dreist. »Ich bin dálaigh beim Gericht der Brehons«, war alles, was sie erwiderte. Der so Zurechtgewiesene brauchte keine weiteren Erklärungen. Seine Wangen röteten sich. Trotzdem sprach er in einem Ton, als gäbe es etwas zu rechtfertigen.

»Der Erste, der in Irland Gold gegraben und geschmolzen hat, war der edle Tigernmas, der sechsundzwanzigste Hochkönig aus der Nachkommenschaft des Stammvaters aller Iren Milesius. Seitdem schürft man überall im Land nach Gold. Von Derry und Antrim im Norden bis nach Süden zu den Bergen von Kilmantan und bis zu den Ufern des Carman gibt es Goldminen. Und doch ist der Bedarf an Gold an den Höfen und im Handel nicht gesättigt. Wir suchen neue Minen.«

»Dann hat Uí Failgi also Sillán nach Kildare geschickt, um nach Gold zu suchen?«, forschte Fidelma.

»Das Schürfen von Gold hat nicht mit seiner Nachfrage Schritt gehalten, Schwester Fidelma. Wir müssen es aus Iberien und anderen fernen Ländern einführen. Unser Bedarf ist groß. Nicht umsonst befinden sich die Eóghanacht von Glendamnách mit den Uí Fidgente im Krieg wegen der Goldminen von Cuillen im Land der Stechpalmen.«

»Aber wie kommt Uí Failgi darauf, dass es hier in Kildare Goldvorkommen gibt?«

»Ein alter Mann entsann sich, dass es in Kildare einst eine Goldmine gegeben hat, eine Tatsache, die längst in Vergessenheit geraten war. Die Aussage des Alten hat Uí Failgi bewogen, Sillán herzuschicken, um nach der alten Mine zu forschen. Die Wahl fiel auf Sillán, weil der bei den Bergbewohnern von Kilmantan einen legendären Ruf für das Auffinden von Goldadern hat.«

»Und? Hat er sie entdeckt?«

Tírechán verzog ärgerlich das Gesicht.

»Um das zu erfahren, bin ich hergekommen. Stattdessen höre ich, Sillán ist tot. Vergiftet. Wie konnte das geschehen?«

Schwester Fidelma krauste die Nase.

»Ich hoffe, meine Nachforschungen werden das zeigen, tánaiste des Uí Failgi.«

Sie lehnte sich zurück und schaute sinnend den jungen Thronnachfolger an.

»Wer alles hat von Silláns Auftrag hier gewusst?«

»Sillán selbst natürlich, dann Uí Failgi, ich als tánaiste und unser Oberster Richter. Sonst wusste keiner etwas. Ein Wissen um das Wo und Wie von Gold schafft nur Unruhe unter den Menschen. Es war besser, gar nichts davon verlauten zu lassen, um unnötige Aufregung zu vermeiden.«

Fidelma nickte, war aber mit ihren eigenen Überlegungen beschäftigt.

»Hätte man Gold entdeckt, dann wäre das Uí Failgi sehr gelegen gekommen?«

»Nicht nur ihm, auch seinem Volk. Gold würde unseren Ruf festigen und unserem Handel mit anderen Königreichen neuen Aufschwung bringen.«

»Sillán stammte doch aber aus dem Gebiet der Uí Máil; was, wenn er gegenüber seinem Stammesfürsten von der Sache etwas hätte verlauten lassen?«

»Er wurde äußerst großzügig bezahlt«, lautete die Antwort.

»Trotzdem, wenn die Uí Máil oder auch die Uí Faeláin im Nordosten von einem Goldvorkommen in Kildare erführen, könnte es schnell zu Gebietsstreitigkeiten und kriegerischen Auseinandersetzungen um den Besitz der Goldadern kommen. Du hast ja selbst gesagt, dass es zwischen den Uí Fidgente und Eóghanacht von Glendamnách Krieg wegen der Minen von Cuillin gibt.«

»Gerade deshalb wurde über Sinn und Zweck des Vorhabens Stillschweigen bewahrt. Nur Sillán selbst wusste um seinen Auftrag in Kildare.«

»Nun ist er aber tot. War dir bekannt, dass er beabsichtigte, schon morgen früh das Kloster zu verlassen und nach Ráith Imgain zurückzukehren?«

Die Nachricht überraschte ihn. »Dann muss er die Goldmine gefunden haben«, rief er erregt.

Schwester Fidelma konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Wie kommst du zu der Schlussfolgerung, Tírechán?«

»Er war erst acht Tage hier, und was anderes als eine Erfolgsmeldung hätte ihn veranlasst, so rasch zu Uí Failgi zurückkehren zu wollen?«

»Das ist eine kühne Vermutung. Genauso gut könnte es sein, dass er sich zur Rückkehr entschieden hatte, weil ihm klar geworden war, dass seine Suche nach einer legendären Goldmine in Kildare sinnlos war.«

Ohne auf ihre Überlegung einzugehen, fragte der tánaiste: »Bist du dir sicher, dass er morgen von hier abreisen wollte?«

»Zumindest hat er Follaman, unserem timthirig, gesagt, dass er das vorhabe.«

Aufgeregt schnipste er mit den Fingern.

»Nein, nein. Er hat die Mine entdeckt. Nie würde Sillán die Suche so rasch aufgegeben haben. Aber wo, wo hat er sie gefunden? Wo ist der Stollen?«

»Weit wichtiger scheint mir, eine Antwort darauf zu finden, wie Sillán zu Tode gekommen ist«, meinte Fidelma kopfschüttelnd.

»Das ist Gott sei Dank nicht meine Aufgabe, Schwester Fidelma«, erwiderte der junge Mann. »Aber Uí Failgi, mein Stammesfürst, wird darauf bestehen, zu erfahren, wo sich das Bergwerk befindet, das Sillán mit Gewissheit ausgemacht hat.«

Sie erhob sich und forderte ihn damit auf, es ihr gleichzutun.

»Ich gehe davon aus, dass du mit deinen Kriegern zur Nacht hier bei uns bleibst. Am besten begibst du dich jetzt in unser Gästehaus und machst dich frisch. Sowie sich etwas für dich Wissenswertes ergibt, hörst du von mir.«

Zögernd stand auch er auf und bedeutete seiner Leibwache, ihm die Tür zu öffnen. Auf der Schwelle drehte er sich um, hatte sichtlich das Bedürfnis, noch mehr zu sagen, doch Fidelma blieb hart. Sie entließ ihn mit einem »Benedictus benedicat«. Widerstrebend zog er sich zurück.

Sie setzte sich und stützte sich mit den Händen, die Handflächen nach unten, auf der Tischplatte ab. Für einen Moment war sie ganz in ihren Gedanken versunken, doch lange währte es nicht. Schwester Ethne machte sich mit heiserem Husten bemerkbar.

»Wäre das jetzt alles, Schwester?«

Kopfschüttelnd verneinte Fidelma ihre Frage und stand wieder auf.

»Wir sind noch lange nicht am Ende. Wir gehen ins Gästehaus. Ich möchte Silláns Kammer sehen. Nimm eine der Lampen mit.«

Die Kammer im tech-óired, dem Gästehaus, war den Zellen, wie sie die Nonnen bewohnten, nicht unähnlich. Es war ein kleiner, dunkler Raum mit Wänden aus grauem Stein und einer winzigen Fensteröffnung, vor der ein schweres Sacktuch hing, um die kühle Nachtluft abzuhalten. In einer Ecke befand sich eine schmale Bettstatt aus Kiefernholz mit einer Strohmatte und Decken. Ein Tisch und ein Schemel waren die einzigen weiteren Möbelstücke. Auf dem Tisch stand eine Kerze. Überall im Gästehaus hatte man nur einfache, aus Binsen und Talg hergestellte Kerzen. Sie gaben nur spärliches Licht und brannten schnell herunter. In weiser Voraussicht hatte Fidelma deshalb darauf geachtet, eine Öllampe aus der Bibliothek mitzunehmen.

Schwester Ethne setzte die Lampe auf dem Tisch ab, während Fidelma im Türrahmen stehen blieb und von dort aus den Raum mit aufmerksamen Blicken abtastete.

Am Fußende des Bettes lehnte eine geräumige Satteltasche, daneben ein kleinerer Lederbeutel für Werkzeug. Ganz offensichtlich hatte Sillán schon alles für die Abreise gepackt.

Fidelma ging hinüber zum Bett und hob den, wie sich herausstellte, schweren Lederbeutel hoch. Sie schaute hinein. Er enthielt eine Reihe von Werkzeugen, die vermutlich zu Silláns Gewerbe gehörten. Sie lugte auch in die andere Tasche; in der waren seine persönlichen Sachen.

Fidelma wandte sich zu Schwester Ethne.

»Ich habe hier nicht lange zu tun. Geh bitte zur Äbtissin und sag ihr, dass ich sie nachher noch sprechen möchte, und das bitte unter vier Augen. Ich würde noch in weniger als einer Stunde zu ihr kommen.«

Schwester Ethne wollte etwas entgegnen, besann sich aber eines Besseren, nickte ergeben und verließ – nicht ohne ihr übliches Schniefen – den Raum.

Fidelmas Aufmerksamkeit galt jetzt der Tasche mit Silláns persönlichen Dingen. Stück für Stück nahm sie heraus und betrachtete jedes von allen Seiten. Dann tastete sie sorgsam das Tascheninnere ab und überprüfte mit Hilfe der Lampe den Staub an ihren Fingerspitzen. Als Nächstes nahm sie sich die Werkzeugtasche vor. Auch hier überprüfte sie im Lampenschein die Staubablagerung am Boden des Beutels. Schließlich packte sie alles so zurück, wie sie es vorgefunden hatte.

Dann ließ sie sich auf die Knie nieder und suchte sorgfältig die Fliesen des Bodens ab, Zoll für Zoll. Unter der Bettstatt stieß sie mit der Hand gegen etwas, das sich wie ein Steinbrocken anfühlte. Sie umschloss es mit den Fingern, kroch zurück und hielt den Gegenstand ins Lampenlicht.

Zunächst hatte sie den Eindruck, es handelte sich tatsächlich um ein Stück unbehauenen Stein. Sie rieb ihn auf dem Fußboden und hielt ihn erneut ans Licht. Die Seite, deren Oberfläche sie glatt gerieben hatte, erglänzte in einem strahlenden Gelb.

Ein zufriedenes Lächeln glitt über ihr Gesicht.

Ruhig und gelassen saß Äbtissin Ita kerzengerade in ihrem Stuhl. Sie wirkte in ihrer Haltung so beherrscht, dass es schon fast unnatürlich war. Man hätte annehmen können, sie hätte sich seit ihrer letzten Begegnung mit Fidelma nicht vom Fleck gerührt. Argwöhnisch maßen die bernsteinfarbenen Augen Fidelma, ähnlich einem Steinmarder, der einen über ihm kreisenden Habicht wachsam verfolgt.

»Nimm bitte Platz, Schwester«, forderte die Äbtissin sie auf. Das war ungewöhnlich und ihrer Stellung als Anwältin, weniger der als Mitglied der frommen Gemeinschaft geschuldet.

Mit einem »Danke, Ehrwürdige Mutter« ließ sich Fidelma ihr gegenüber nieder.

»Es ist schon spät. Wie kommst du mit deinen Nachforschungen voran?«

»Sie sind ziemlich weit gediehen. Ich hätte von dir nur noch gern ein paar Fragen beantwortet.«

Es war die Andeutung einer Handbewegung, mit der die Äbtissin ihr Einverständnis erklärte.

»Als dich Sillán heute Nachmittag aufsuchte, wovon war da die Rede, dass er so aufgebracht war?«

Nur kurz zuckten ihre Augenlider; es war die einzige Regung, die zu erkennen gab, dass die Äbtissin eine solche Frage nicht erwartet hatte.

»Er soll bei mir gewesen sein?«, versuchte sie Fidelma hinzuhalten.

»Du weißt es sehr wohl.«

»Es wäre töricht, vor dir die Wahrheit verbergen zu wollen«, bekannte sie mit einem Stoßseufzer. »Dafür kenne ich dich zu lange. Ich habe mich schon immer gewundert, dass du dich für das Leben in einem Kloster entschieden hast, anstatt einem weltlichen Beruf nachzugehen. Eine Auffassungsgabe wie die deine und ein solch logisches Denkvermögen sind einem Menschen selten gegeben.«

Fidelma schwieg zu den lobenden Worten.

»Sillán kam, um mir von gewissen Dingen, die er entdeckt hatte, Kenntnis zu geben.«

»Und was er entdeckt hatte, war die verloren geglaubte Goldmine von Kildare.«

Diesmal hatte Äbtissin Ita ihre Gesichtszüge nicht unter Kontrolle. Sie brauchte einige Augenblicke, um ihre Fassung zurückzugewinnen, dann brachte sie ein verbissenes Lächeln zustande.

»Ja. Ich nehme an, du hast das vom tánaiste des Uí Failgi erfahren, der, wie ich höre, hier eingetroffen ist und sich unserer Gastfreundschaft erfreut. Dann weißt du auch, dass Sillán ein erfahrener Bergwerksmann war und Uí Failgi ihn hergeschickt hatte, um eine alte Goldmine ausfindig zu machen und auf ihre Ergiebigkeit hin zu überprüfen.«

»Das weiß ich, ja. Aber es war ein geheimer Auftrag. Nur Sillán, Uí Failgi und sein tánaiste wussten davon. Wie kommt es, dass auch du davon Kenntnis hattest?«

»Sillán hat mich von sich aus heute Nachmittag aufgesucht und es mir anvertraut.«

»Nicht schon früher?«

»Nein«, war die entschiedene Antwort.

»Dann erzähl, was er berichtet hat.«

»Es war in der Nachmittagsstunde, weit nach dem Angelusgeläut, als Sillán zu mir kam. Er eröffnete mir, weshalb er hier in Kildare war. Um ehrlich zu sein, ich hatte so etwas schon vermutet. Er war acht Tage zuvor mit allen Vollmachten des Uí Failgi hier eingetroffen. Aus welchen Beweggründen konnte sich ein Mann aus Kilmantan im Auftrag von Uí Failgi hier aufhalten? Ich wusste von den uralten Legenden über die verschwundene Goldmine in Kildare. Folglich argwöhnte ich etwas.«

Sie machte eine Pause.

»Und?«, drängte sie Fidelma.

»Er teilte mir mit, dass er sie gefunden hätte, die alte Goldmine, die man vor Jahrhunderten betrieben hatte, und dass er sich einige der Stollen näher angesehen hätte. Es gäbe sehr wohl noch Goldadern dort, die sich ohne weiteres schürfen ließen. Er würde morgen früh abreisen, um Uí Failgi von seinen Erkundungen zu berichten.«

»Aber weshalb hat er die Absprachen der Geheimhaltung mit Uí Failgi gebrochen und dir alles erzählt?«

»Sillán von Kilmantan hatte eine ehrfürchtige Haltung gegenüber unserer Gemeinschaft und wollte uns warnen. So einfach erklärt sich das. Unser Kloster liegt unmittelbar über dem Bergwerk. Ist das erst einmal bekannt, dürfte Uí Failgi nicht lange zaudern und dafür Sorge tragen, dass man uns hier vertreibt, uns vertreibt von dem gesegneten Fleckchen Erde, wo die heilige Brigid ihre Schüler um sich versammelt, und ihnen unter der großen Eiche gepredigt und hier ihre fromme Gemeinschaft begründet hat. Selbst wenn man von uns verlangt, nur ein Stückchen weiter zu ziehen, würde es bedeuten, den heiligen Boden aufzugeben, wo Brigid und ihre Nachkommen bestattet sind, wo ihre sterblichen Überreste sich mit der Erde mischen und sie so zu einem Heiligtum machen.«

Schwester Fidelma schaute ernst in das besorgte Gesicht der Äbtissin und überhörte auch nicht die nur mühsam unterdrückte Bewegung in ihrer Stimme.

»Du glaubst, sein einziger Beweggrund, dir das zu erzählen, war, die Gemeinschaft zu warnen?«

»Sillán war ein frommer Mann und fühlte sich von seinem Gewissen getrieben, mir nicht vorzuenthalten, was er entdeckt hatte. Er wollte unserer Gemeinschaft Zeit geben, uns auf das Unvermeidliche vorzubereiten.«

»Aber deshalb kann er doch nicht so aufgebracht gewesen sein.«

Die Äbtissin kniff den Mund zusammen. Als sie schließlich sprach, tat sie das mit fester und beherrschter Stimme.

»Ich versuchte, mit ihm vernünftig zu reden. Ich bat ihn, für sich zu behalten, dass er die Mine gefunden hatte. Ich beschwor ihn im Namen unseres gemeinsamen Glaubens, erinnerte ihn an die heilige Brigid, an das Wohl und Wehe unserer Gemeinschaft. Er ging nicht darauf ein, lehnte mein Ansinnen höflich, aber entschieden ab und sagte, er fühle sich auf Ehre und Gewissen verpflichtet, Uí Failgi von seiner Entdeckung Mitteilung zu machen.

Ich führte ihm vor Augen, zu welch weitreichenden Komplikationen es kommen würde. Verbreitete sich die Nachricht von der Goldmine, bestünde ähnlich wie in Cuillin die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen.«

Fidelma begleitete eine solche Vorstellung mit bedächtigem Kopfnicken, hatte doch auch sie ähnliche Befürchtungen.

»Ich bin der Vorgänge in Cuillin sehr wohl eingedenk, Ehrwürdige Mutter.«

»Du bist dir sicher auch bewusst, dass Kildare im Land der Uí Failgi liegt, in unmittelbarer Nähe der Stammesgebiete der Uí Faeláin im Nordosten und der Uí Máil im Südosten. Lediglich die trostlose Ebene des Hochmoors von Aillín befindet sich zwischen uns und ihnen. Das Wort ›Gold‹ wird in den Stammesfürsten einen wahren Rausch entfachen, denn ein jeder von ihnen ist auf Macht versessen. Den uns ans Herz gewachsenen, grünen Flecken hier, friedlich und unbeschadet wie er ist, wird man mit dem Blut von Kriegern und dem der Menschen tränken, die hier einst in Harmonie mit der Natur lebten. Der Gemeinschaft von Kildare wird es nicht anders als der Spreu vom Weizen ergehen – sie würde in alle Winde verweht werden.«

»Und doch bleibt die Frage offen: Was hat Sillán so verärgert?«

Äbtissin Ita gab sich als Schmerzensreiche.

»Als ich ihm das alles auseinandergelegt hatte und er immer noch dabei blieb, es wäre seine Pflicht, Uí Failgi von seinem Fund zu berichten, wies ich ihn darauf hin, dass er die volle Verantwortung für sämtliche Folgen trüge. Gottes Fluch sei ihm sicher, weil er den Frieden des Landes gestört hätte. Verdammt würde er sein, sowohl in dieser als auch in der nächsten Welt. Der Name Sillán würde fortan für die Zerstörung des heiligen Schreins der Brigid von Kildare stehen.«

»Und was geschah dann?«

»Sein Gesicht wurde rot vor Zorn, er verließ empört den Raum und beteuerte, noch im Morgengrauen abzureisen.«

»Wann hast du ihn dann wiedergesehen?«

»Erst zur Vesper.«

Schwester Fidelma schaute sie ernst an. Nur schwer hielten die bernsteinfarbenen Augen ihrem prüfenden Blick stand.

»Du glaubst doch nicht etwa …«, flüsterte die Äbtissin, blass geworden, denn sie las in dem jüngeren Gesicht vor ihr den Verdacht.

Schwester Fidelma blickte sie weiter unverwandt an.

»Ich bin als dálaigh hier, Äbtissin Ita, nicht als Mitglied deiner Gemeinschaft. Mir geht es um die Wahrheit, nicht um Wohlverhalten. In der Abtei liegt ein Toter. Vergiftet. Aus den Umständen ist zu schließen, dass er sich nicht selbst vergiftet hat. Daraus ergibt sich die Frage, wer hat das getan und weshalb? Wollte man Sillán davon abhalten, Uí Failgi von der verloren geglaubten Goldmine zu berichten? Das wäre eine logische Schlussfolgerung. Wer aber würde etwas davon haben, wenn man die Wiederentdeckung des Stollens geheim hielt? Einzig und allein die Gemeinschaft dieses Klosters, Ehrwürdige Mutter.«

»Und die Menschen im Umland!«, ereiferte sich Äbtissin Ita heftig. »Vergiss das nicht, wenn du die Rechnung aufmachst, Schwester Fidelma. Denk auch an all das Blut, das in den kommenden Jahren nicht vergossen wird.«

»Recht kann nicht mit Unrecht erzwungen werden, so sagt es das Gesetz. Und ich muss mich an das Gesetz halten. Du weißt sehr wohl, dass ich als dálaigh am Gericht der Brehons dem Gesetz verpflichtet bin und dass das nichts mit meinen Pflichten als Mitglied dieser Gemeinschaft zu tun hat. Warum hast du dennoch mich gebeten, diesem Fall nachzugehen? Du selbst hättest doch Nachforschungen anstellen können. Warum ausgerechnet ich?«

»In einem so gewichtigen Fall wie diesem würden die Darlegungen einer dálaigh am Gerichtshof der Brehons bei Uí Failgi mehr zählen.«

»Hast du darauf gesetzt, dass ich die Existenz der Goldmine verschweigen würde?«, fragte Fidelma mit Nachdruck.

Äbtissin Ita war erregt aufgestanden. Auch Fidelma erhob sich, so dass sie sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden.

»Antworte mir geradeheraus, Ehrwürdige Mutter: Hast du Sillán vergiftet oder veranlasst, dass er vergiftet wird, um zu verhindern, dass er mit Uí Failgi spricht?«

Einige Augenblicke herrschte eisiges Schweigen. Es glich der Stille, wie sie einem Erdbeben vorausgeht. Der Gesichtsausdruck der Äbtissin wurde ein anderer, wechselte von Zorn in Traurigkeit. Sie war es, die den Blick vor der Jüngeren senkte.

»Meine Hand hat Sillán nicht das Gift verabreicht. Aber ich gestehe, dass mir ein Stein vom Herzen fiel, als ich von der Tat erfuhr.«

Einzig die Stille der Zelle umgab sie. Vollständig bekleidet, mit den Händen unter dem Kopf, lag Schwester Fidelma auf ihrem Bett und starrte in die Dunkelheit. Die Kerze hatte sie gelöscht, und so unterschied sie nur schemenhaft Hell und Dunkel, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Ihre Gedanken kreisten um den mysteriösen Tod von Sillán.

Sie versuchte zu ordnen, was sie in den letzten Stunden erfahren hatte. Eine unbestimmte Ahnung drängte sich ihr auf, ließ sich aber nicht fassen. So viel stand fest: Man hatte Sillán umgebracht, weil das, was er wusste, der Außenwelt verborgen bleiben sollte. Nur sagte ihr etwas im Innern, dass es tatsächlich besser war, wenn Silláns Entdeckung geheim blieb.

Das Gesetz aber war nicht für solche Überlegungen geschrieben, und als dálaigh bei Gericht war sie dem Gesetz verpflichtet. Wiederum war es von Menschen gemacht. Ein zu enges Festhalten am Gesetz konnte auch größere Ungerechtigkeit nach sich ziehen. Rechtsprechung folgte blind den vorgeschriebenen Regeln, während in einer idealen Welt Gerechtigkeit einen offenen Blick für beide Seiten haben musste – für Leid und wirklich Böses.

Schwester Fidelma befand sich in einem moralischen Dilemma, und die quälenden Gedanken begleiteten sie in einen unruhigen Schlaf.

Jemand rüttelte sie am Arm. Das war das Erste, dessen sie gewahr wurde, erst dann hörte sie das Angelus-Läuten.

Aus den verschwommenen Umrissen schälte sich das blasse, habichtsähnliche Gesicht von Schwester Ethne.

»Rasch, Schwester, komm rasch. Noch ein Toter.«

Fidelma schnellte hoch und sah Schwester Ethne ungläubig an. Bis zur Morgendämmerung war es noch eine Stunde, und ihre Besucherin hatte vorsorglich die Kerze angezündet.

»Noch ein Toter? Wer?«

»Follaman.«

»Wie?« Fidelma sprang aus dem Bett.

»Wie gehabt. Gift. Rasch, du musst in die tech-óired kommen.«

Follaman, der timthirig des Klosters, lag auf dem Rücken, das Gesicht auch im Tod noch schmerzverzerrt. Der eine Arm war zur Seite gestreckt, und folgte man der Richtung der geöffneten Hand, sah man auf dem Fußboden verstreut die Scherben eines irdenen Bechers. Ein dunkler Fleck auf dem Steinfußboden deutete auf vergossene Flüssigkeit hin.

Die Apothekenschwester, die man als Erste gerufen hatte, war bereits in der Zelle und hatte den Leichnam untersucht.

»In dem Becher war Schierling, Schwester Fidelma«, berichtete sie unter heftigem Auf und Ab ihres Kopfes. »Genau wie Sillán hat auch er das Gift getrunken, nur dass er es nachts zu sich nahm und niemand seinen Todesschrei gehört hat.«

Verstört prägte sich Fidelma den Anblick ein und sagte zu Schwester Ethne: »Ich muss mit der Äbtissin sprechen. Bitte sorge dafür, dass uns niemand stört.«

Äbtissin Ita stand am Fenster ihres Gemachs und betrachtete die Farbenpracht von Rot, Gelb und Orange der aufgehenden Sonne.

Als Schwester Fidelma eintrat, drehte sie sich nur leicht zur Tür, um sich zu vergewissern, wer es war, wandte sich wieder um und öffnete das Fenster. Das leuchtende Morgenlicht durchflutete den Raum und verlieh ihm einen milden goldenen Glanz.

»Nein, Fidelma«, ergriff sie das Wort, noch ehe Fidelma etwas sagen konnte. »Ich habe Follaman nicht vergiftet.«

»Ich weiß, dass du es nicht warst, Ehrwürdige Mutter.«

Äbtissin Ita wandte sich zu ihr und starrte sie überrascht an. Mit einer Handbewegung forderte sie Fidelma zum Platznehmen auf und setzte sich selbst. Sie sah blass und übernächtigt aus.

»Du weißt also, wer der Täter ist? Du weißt, wie Sillán und Follaman zu Tode gekommen sind?«

Schwester Fidelma nickte.

»In der vergangenen Nacht habe ich schwer mit mir gerungen, Ehrwürdige Mutter, wem ich als dálaigh zu dienen habe – dem Gesetz oder der Gerechtigkeit.«

»Aber ist das nicht ein und dasselbe, Fidelma?«

»Manchmal ja und manchmal nein.« Sie lächelte schmerzlich. »In diesem Fall geht beides auseinander.«

»Nämlich?«

»Sillán wurde unrechtmäßig getötet. Das ist eindeutig. Er wurde getötet, weil sein Wissen von der Existenz einer Goldmine unter den ehrwürdigen Gebäuden hier verschwiegen werden sollte. War die Person, die ihn umgebracht hat, im Recht oder im Unrecht? Welche Maßstäbe sollen wir anlegen, um das zu beurteilen? Einem Menschen das Leben zu nehmen ist unserem Gesetz nach unrechtmäßig. Wenn aber Sillán sein Wissen preisgegeben und man unsere Gemeinschaft daraufhin von hier vertrieben hätte oder wenn es sogar zu einem Krieg zwischen den um diesen Flecken Erde ringenden Kräften gekommen wäre, wäre das dann Gerechtigkeit gewesen? Vielleicht gibt es doch so etwas wie eine natürliche Gerechtigkeit, die über den Dingen steht?«

»Ich kann dir durchaus folgen, Fidelma«, erwiderte die Äbtissin. »Der Tod eines Unschuldigen kann den Tod zahlloser anderer Menschen verhindern.«

»Aber haben wir das Recht, das zu entscheiden? Ist das nicht etwas, was wir Gott überlassen sollten?«

»Manchmal zeigt uns Gott Mittel und Wege, seinen Willen in die Tat umzusetzen.«

Schwester Fidelma sah die Äbtissin fest an. »Es gibt jetzt nur zwei Menschen, die von Silláns Entdeckung wissen.«

»Zwei?«, fragte sie und zog eine Augenbraue hoch.

»Die eine bin ich, und du, Ehrwürdige Mutter, bist die andere.«

Die Äbtissin runzelte die Stirn. »Derjenige, der Follaman getötet hat, muss es doch auch wissen.«

»Gewusst haben«, verbesserte Fidelma sie vorsichtig.

»Das musst du mir erklären.«

»Follaman hat den Schierling beigemischt und somit Sillán getötet.«

Die Äbtissin biss sich auf die Lippen.

»Weshalb hätte Follaman so etwas tun sollen?«

»Aus dem gleichen Grund, über den wir eben gesprochen haben, um zu verhindern, dass Sillán über die Goldader etwas verlauten lassen kann.«

»So weit, so gut. Aber wieso Follaman? Er war ein einfacher, rechtschaffener Mensch«, stellte die Äbtissin fest.

»Rechtschaffen und treu ergeben. Hat er nicht seit seiner Jugend hier im Kloster als Verwalter des Gästehauses gearbeitet? Er fühlte sich mit dem Haus hier ebenso verbunden wie jeder andere unserer Gemeinschaft. Auch wenn er kein frommer Bruder war, so war er doch einer der Unseren.«

»Wie konnte er von der Sache wissen?«

»Er hat deinen Streit mit Sillán mit angehört. Vermutlich hat er absichtlich gelauscht. Er wusste oder ahnte, welchen Beruf Sillán ausübte. Vielleicht ist er ihm auf seinen Erkundungen auch gefolgt. Ob er es getan hat oder ob nicht, spielt jetzt auch keine Rolle. Als Sillán gestern Nachmittag zurückkam und ihm eröffnete, er würde am nächsten Morgen nach Ráith Imgain zurückkehren, schlussfolgerte Follaman, dass er auf einen Fund gestoßen sein müsste. Als Sillán zu dir ging, ist er ihm wahrscheinlich gefolgt und hat das Gespräch zwischen euch belauscht.

Da du nicht gegen Gottes oder die von Menschen geschaffenen Gesetze verstoßen konntest, glaubte er auf seine Weise eine natürliche Gerechtigkeit walten zu lassen. Er entwendete aus der Apotheke den Krug mit dem giftigen Schierling, und als Sillán um ein Getränk bat, mischte er etwas davon bei. Von der nötigen Menge für eine entsprechende Wirkung hatte er keine Ahnung, und deshalb spürte Sillán auch nichts, sondern erst später, als die Glocke zur Abendmahlzeit geläutet hatte.«

Äbtissin Ita folgte aufmerksam Fidelmas Ausführungen.

»Und dann?«

»Dann begann ich mit meinen Nachforschungen. Dann tauchte auch der tánaiste von Uí Failgi auf, der Sillán oder wenigstens eine Erklärung für seinen Tod suchte.«

»Wer aber hat Follaman getötet?«

»Follaman wusste, dass man ihn früher oder später als Täter entlarven würde. Die Schuld, die er mit dem Tod eines anderen Menschen auf sich geladen hatte, quälte sein einfaches Gemüt. Rechtschaffen, wie er war, beschloss er, die Strafe auf sich zu nehmen. Den Ehrenpreis für ein Leben. Konnte er für das Leben Silláns einen größeren Ehrenpreis zahlen, als sein eigenes hinzugeben? Er entschied sich für einen kräftigen Schluck des giftigen Schierlings.«

Beide schwiegen eine Weile.

»Was du sagst, klingt einleuchtend, Schwester Fidelma. Aber lässt sich deine Erklärung erhärten?«

»Als ich Follaman befragte, konnte er mir genau Auskunft über Silláns Beruf geben. Das ist das eine. Zum anderen gab es zwei Ungereimtheiten: Er sagte, er hätte Sillán höchst verärgert aus deinem Zimmer kommen sehen. Deine Räumlichkeiten liegen aber, vom Gästehaus aus gesehen, am anderen Ende der Abtei. Follaman muss sich folglich in der Nähe deiner Räume aufgehalten haben. Und erst recht auffällig ist, dass Follaman, als ich ihn fragte, ob er wüsste, wie Schierling aussieht, das verneinte.«

»Wieso spricht Letzteres gegen ihn?«

»Weil es zu Follamans Aufgaben gehörte, im Kräutergarten zu helfen, und Schwester Poitigéir hatte mir erzählt, dass sie dort auch Schierling für Heilzwecke zogen und dass das zerstoßene Schierlingspulver von den Pflanzen aus eben dem Garten stamme. Follaman würde ihr beim Anbau und der Pflege von Pflanzen im Garten zur Hand gehen. Er hätte also wissen müssen, wie Schierling aussah. Es musste einen Grund dafür geben, dass er mich belog.«

»Ich verstehe«, sagte die Äbtissin grübelnd. »Du gehst also davon aus, dass Follaman versucht hat, uns – ich meine unsere Gemeinschaft hier in Kildare – zu schützen?«

»Ja. Er war ein einfacher, rechtschaffener Mann und sah keinen anderen Ausweg.«

Die Äbtissin brachte ein schmerzliches Lächeln zustande.

»Um ehrlich zu sein, Schwester, trotz besseren Wissens hätte auch ich keinen anderen Ausweg gefunden als den seinen. Was also schlägst du jetzt vor?«

»Es gibt Situationen, in denen die Gesetzgebung Ungerechtigkeit nach sich zieht, doch um mit sich in Frieden und Einklang zu leben, braucht der Mensch den Triumph der Gerechtigkeit. Es gilt folglich abzuwägen zwischen Gerechtigkeit und der Strenge des Gesetzes.« Fidelma hielt inne und fuhr dann schweren Herzens fort: »Bleiben wir bei der rein menschlichen Gerechtigkeit. In meinem Bericht wird es heißen, dass Sillán durch unglückliche Umstände zu Tode gekommen ist, ebenso wie Follaman. Man hätte für den Met im Gästehaus versehentlich Wasser aus einem Krug benutzt, dem Follaman für die Bekämpfung von Ungeziefer im Abteigewölbe Gift zugesetzt hätte. Erst als auch Follaman an einer Vergiftung gestorben war, sei man dem Grund des Übels auf die Schliche gekommen.«

»Und was sagen wir dem tánaiste des Uí Failgi wegen der Goldmine?«

»Dass Sillán beschlossen hätte, nach Ráith Imgain zurückzukehren, weil die Legende von der Goldmine in Kildare nichts weiter als eine Legende sei.«

Die Äbtissin lächelte zufrieden. »Gut. Da du gewillt bist, so und nicht anders auszusagen, stimme ich deinem Bericht als Vorsteherin unserer Gemeinschaft zu. Auf diese Art und Weise erhalten wir unser Kloster zukünftigen Generationen. Was die Falschaussage deines Berichts betrifft, so spreche ich dich von jeder Verantwortung und Sünde los.«

Das entspannte Lächeln der Äbtissin verunsicherte Fidelma ob ihrer Entscheidung. Im Sinne der rein menschlichen Gerechtigkeit war sie bereit gewesen, den Mund zu halten. Aber die Erleichterung und Selbstgefälligkeit von Äbtissin Ita ärgerte sie. Und wenn sie mit sich selbst ins Gericht ging, so spürte sie, dass ihr Stolz auf ihren Ruf als Anwältin, selbst schwierigste Fälle zu lösen, hier Schaden nahm.

Bedächtig schob sie eine Hand in ihr Gewand, zog den kleinen Steinbrocken hervor, den sie in Silláns Kammer im Gästehaus gefunden hatte, und warf ihn auf den Tisch.

»Das war eins von Silláns Beweisstücken für seine Entdeckung. Vielleicht ist es besser bei dir aufgehoben zusammen mit den anderen Goldaderbröckchen, die Follaman dir übergeben hat, nachdem er Sillán vergiftet hatte … gemäß deiner Anweisung.«

Äbtissin Ita war aschfahl geworden und sah Fidelma mit angstgeweiteten Augen an. »Wie …?«, stammelte sie.

Schwester Fidelma hatte nur ein bitteres Lächeln für sie übrig. »Du brauchst nichts zu befürchten, Ehrwürdige Mutter. Es bleibt bei dem, was ich gesagt habe. Dein Geheimnis ist bei mir sicher. Ich handle im Sinne unserer Gemeinschaft, für das Wohl und die Zukunft des Hauses der heiligen Brigid von Kildare und all der Menschen, die in diesen Mauern in Frieden leben. Über dich zu urteilen steht mir nicht zu. Du wirst dich vor Gott verantworten müssen, vor Sillán und Follaman, den beiden Toten.«

»Aber wie …«, wiederholte die Äbtissin mit zitternden Lippen.

»Ich habe vorhin betont, dass Follaman ein einfacher Mensch war. Selbst wenn er klug genug war, die Tragweite von Silláns Entdeckung für die Abtei und die Gemeinschaft zu erkennen, bleibt die Frage, ob er in der Lage war, den giftigen Schierling zu nehmen und unterzumischen.«

»Du selbst hast doch aber ausgeführt, dass er das gekonnt hätte. Du hast von Schwester Poitigéir erfahren, dass er ihr im Kräutergarten zur Hand ging und gewusst haben muss, wie Schierling aussah.«

»Wie Schierling aussah, wusste Follaman, ja. Aber welches die zerstoßenen Schierlingsblätter waren, hätte man ihm sagen müssen. Dafür muss man Farben unterscheiden können. Nachdem die ursprüngliche Blattform zerstört war, konnte Follaman die lila und weißen Spitzen des zerstoßenen Gemischs nicht erkennen und sich folglich nicht den richtigen Krug greifen. Follaman war nämlich farbenblind; er war unfähig, Farben zu unterscheiden. Jemand musste ihm also das Gift gegeben haben, damit er es beimischen konnte.«

Mit schmalem, zusammengekniffenem Mund saß die Äbtissin vor ihr. »Aber Follaman habe ich nicht getötet«, erklärte sie wütend. »Ich gebe zu, ich habe Follaman nahegelegt, dass unserer Gemeinschaft am besten mit Silláns Tod gedient wäre, ich gebe auch zu, dass ich ihm eine Möglichkeit eröffnet habe, wie man ihn mundtot machen könnte, aber wer hat Follaman getötet? Ich war es nicht.«

»Nein«, erwiderte Fidelma. »Es war, wie ich gesagt habe. Follaman ist deinem Vorschlag gefolgt und hat Sillán das Gift verabreicht, weil du ihm eingeredet hast, es wäre Gottes Wille. Du hast ihn als Werkzeug benutzt. Er aber, ein einfacher und rechtschaffener Mann, konnte nicht mit der Schuld leben, einen Menschen umgebracht zu haben. Er übte an sich selbst Vergeltung und nahm sich das Leben. Er hatte etwas von dem Schierling zurückbehalten und in seiner Zelle zur Seite gestellt. Vergangene Nacht hat er ihn getrunken und so seine Tat gesühnt. Er hat die Buße auf sich genommen, Ehrwürdige Mutter, die Schuld aber bleibt deine.«

Ratlos sah die Äbtissin sie an. »Was soll ich tun?«, fragte sie mit gebrochener Stimme.

Ein zynisches Lächeln glitt über Fidelmas Gesicht.

»Mit deiner Erlaubnis werde ich Kildare noch heute Vormittag verlassen. Zuvor werde ich dem tánaiste des Uí Failgi Bericht erstatten. Du hast nichts zu befürchten. Mein oberstes Anliegen ist das Wohlergehen der Gemeinschaft. Das Wohlergehen der Menschen hier wiegt stärker als das Gesetz. Doch ich werde nach Armagh zum Schrein des heiligen Patrick pilgern und Buße tun für die Unwahrheit meines Berichts.« Sie machte eine Pause und blickte der verstörten Äbtissin in die Augen. »Dein Schuldgefühl kann ich dir nicht nehmen, Ehrwürdige Mutter. Ich denke, du solltest dir einen verständnisvollen Beichtvater suchen und auf seinen Beistand hoffen.«

Загрузка...