II

«Eigentlich ist es doch gleichgültig, wo man wohnt«, dachte der junge Mann, nachdem er siebzehn Wohnungen in schönen, weniger schönen und trostlosen Wohnvierteln besichtigt hatte. Alles, was man ihm gezeigt hatte, war unerhört teuer gewesen. Die Hälfte seines Einkommens, das für ein Anfängergehalt recht nett war, würde auf die Wohnung draufgehen, so sah das nach dieser ersten größeren Recherche aus. Und geboten wurde für das schrecklich viele Geld wenig. Auch ein Mann, der über einen etwas begabteren Blick auf Räume und die in ihnen ruhenden Möglichkeiten verfügt hätte, ein Mensch mit einem Minimum dekorativer Phantasie, wäre bei diesem Angebot an die Grenzen seines Vorstellungsvermögens geführt worden. Die einzige große, geradezu prachtvolle Wohnung, die geheimnisvollerweise bezahlbar gewesen wäre — hatte sie etwa Kakerlaken? — , schnappte ihm ein Rechtsanwaltsehepaar vor der Nase weg. Der Hauswirt ließ durchblicken, daß ihm verheiratete Mieter am liebsten wären, und der junge Mann, der notgedrungen allein auftrat, sah offenbar noch nicht verheiratet genug aus. Der neue Zustand war in seine Physis noch nicht eingedrungen. Ja, selbst der schmale Ehering war ihm noch lästig, er lag auf dem Nachttisch in der Pension, keineswegs aus bedenklicher, sich bereits distanzierender Haltung zur Ehe heraus, im Gegenteil, er war voll Sehnsucht und rief dreimal am Tag bei Ina an.

Sie war heiter und freute sich auf ihre Rückkehr und die Wohnung, als gebe es die schon. Er verschwieg ihr, wie schwer das Suchen war, denn er wollte vermeiden, daß Frau von Klein einen skeptischen Kommentar zu seinen organisatorischen Fähigkeiten abgab. Er hatte zwar gesehen, daß die Sarkasmen seiner Schwiegermutter an Ina abperlten, ohne richtig wahrgenommen worden zu sein — Ina sah bei allem, was ihre Mutter sagte, nur deren bemitleidenswerte Einsamkeit und Witwenschaft —, aber es war ihm die Vorstellung beständigen Einträufelns von Bosheit in die winzigen Ohrmuscheln seiner Frau doch eine tiefe Beunruhigung. Wie es sich eben mit Salzsäure verhält: Irgendwann ist die dickste Schutzschicht weggeätzt.

Die neue Gleichgültigkeit gegenüber Art und Lage der eigenen Wohnung, die der junge Mann so souverän formulierte, war aber weniger das Ergebnis seiner Erschöpfung, als der Versuch, die Lebensgrundsätze eines von ihm sehr geschätzten, bereits jetzt erfolgreichen Kollegen zu übernehmen, der freilich noch unverheiratet war.

«Ich brauche ein großes Bett und eine Badewanne«, sagte dieser braungebrannte, sportliche Mann, dessen Anzüge ihn so starr und knapp umschlossen, als seien sie aus biegsamem Leichtmetall geschmiedet.»Und das Ganze bitte über einem Fitneßstudio und fünf Minuten zu Fuß von der Firma. «Eine ganze Weltanschauung lag in diesem Programm. Wenn er sie schon nicht im Ganzen übernehmen konnte, wollte der junge Mann sie doch wenigstens als Haltung ausprobieren.

«In zwei Jahren müssen Sie hier ohnehin weg sein — sonst haben Sie etwas falsch gemacht«, diesen Satz des Kollegen teilte er Ina mit, denn ein bißchen sollte sie schon fühlen, unter welchem Druck er hier stand. Das neue Bild von einer Karriere — nicht, wie einstmals, die übertragene Tätigkeit immer besser zu verstehen und immer vollkommener zu durchdringen, bis man Meister geworden war, sondern jede Beschäftigung nur als Übergang, nur als Sprungstein für eine ganz andere zu begreifen — hatte für ihn noch etwas Berauschendes, da konnte die Wohnungsfrage wirklich nicht die erste Geige spielen. Es schmeichelte ihm aber, daß Ina sich so fest auf ihn verließ. Er erinnerte sich, wann sie ihm das erste Zeichen solch unbeschränkten Vertrauens gegeben hatte, aus ganz harmlosem Anlaß. Er hatte sie, ohne daß es verabredet war, vom Bahnhof abgeholt, und sie sagte:»Ich wußte, daß du kommst. «An diesem Tag war ihr Liebesverhältnis in ein neues Stadium getreten.

*

Lange war der junge Mann der sinkenden Nacht mit seinem Sportrad entgegengefahren. Er hatte die Steigungen und Senkungen des Frankfurter Terrains kennengelernt, den Tiefpunkt des Geländes am Fluß und den allmählichen Anstieg, mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmbar, dafür aber mit den Waden, die kräftiger treten mußten. An diesem Sommerabend rückten die Taunus-Berge näher, bläulich und mit den fließenden Linien eines gelassenen Ein- und Ausatmens. Obwohl dies Mittelgebirge nicht zu schroffen Höhen ansteigt, war es jetzt als große Masse, als mächtiger Gebirgskörper spürbar. Die Stadt lag in einem weiten, aber wohldefinierten, sich nicht formlos verlierenden Raum. Hier oben, vom Stadtzentrum schon recht weit entfernt, denn die Anhöhe schluckte den Blick auf die untere Hälfte der Hochhäuser und ließ sie nur noch mit ihren Dachgeschossen aus dem Gelände wie aus einem Sumpf aufragen, zogen sich Straßen mit kleinen Villen entlang. Der Zerfall des festen Stadtgefüges bereitete sich vor, obwohl das eigentliche Ausfransen noch nicht begonnen hatte. Die Schatten der Nacht ließen das Bergmassiv geschlossen und fern erscheinen und verbargen, daß die Siedlungen bis weit die Hänge hinauf kein Ende nahmen.

Es schien dem jungen Mann jetzt völlig aussichtslos, in dieser Stadt Fuß fassen zu wollen. Gerade diese kleinen Villen, von denen die eine oder andere Ina vielleicht sogar gefallen hätte, sahen auf geradezu endgültige Weise bewohnt aus. Der Fahrtwind trocknete den Schweiß auf seiner Stirn. Es war, als gleite er auf einer Schiene voran.

Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, und davor lag ja die in der Erinnerung zwar schon ferngerückte Groß-Aufregung der Hochzeit, die sein Körper aber noch keineswegs überwunden hatte. In seinem Pensionszimmer überfiel den jungen Mann eine Müdigkeit, die ihm das bloße Ausziehen zur Last werden ließ. Er warf die Kleider auf den Boden. Sie aufzuhängen fehlte die Kraft. Wie spät war es? Der Wecker war stehengeblieben. Konnte die Hitze die Uhren stehen lassen? Das schien auf einmal möglich. Bevor er in tiefen Schlaf sank, fiel ihm noch ein, daß er für morgen Vormittag um zehn eine Wohnungsbesichtigung verabredet hatte. Die Wohnung kam nicht vom Makler und war erheblich billiger als das bisher Gesehene. Aber das hieß, daß er an einem Samstagvormittag, der ersten Gelegenheit auszuschlafen, hätte aufstehen müssen. Er blickte zum Wecker hinüber. Wie wäre das Erwachen möglich ohne den gnadenlosen Piepton, der den Schlaf sonst gewaltsam beendete?» Ich lasse es darauf ankommen«, dachte der junge Mann und fühlte in einem einzigen seligen, wie immer für den Genuß allzu kurzen Augenblick sein Entgleiten in die Ohnmacht.

*

Er erwachte, als die Sonne am Himmel stand und so unverdrossen wie gestern auf die Stadt herunterbrannte. Das Fenster ging auf einen öden Hof, in dem nur ein großer Abfallbehälter stand. Es war so still wie tief in einem dichten Wald. Ein Vogel zwitscherte. Auf manche Menschen hat das Vogelzwitschern eine tröstliche und ermutigende Wirkung. Der junge Mann hatte das Vogelzwitschern bisher nicht wirklich wahrgenommen, eigentlich nur wenn ihn nach durchfeierter Nacht auf der Straße die ersten Vogelstimmen begrüßten, um den jungen Morgen anzukündigen. Aber heute war dies einzige Zeichen von Leben in diesem Haus und in diesem traurigen Hof plötzlich wie ein Anruf. War das ein Merkmal des Älterwerdens? Er fühlte sich erfrischt, doch er blieb noch ein Weilchen liegen. Die Verabredung fiel ihm ein. Die Uhr stand immer noch. Hätte sie sich in der Nacht etwa einen Ruck geben sollen? Das Schweigen um ihn herum war so dicht, daß er sich von der Welt abgetrennt fühlte wie in einem Keller. Auf dem Gang keine Schritte. Er stand langsam auf. Heute mußte er keine Büro-Uniform tragen. Als habe er alle Zeit der Welt, räumte er sein Zimmer ein wenig auf, die mißhandelte Anzugjacke kam auf einen Bügel. Ob es noch Frühstück gab? Die Serbin, die in diesem Haus den Kaffee kochte, verließ ihre Küche um elf.

Der Frühstücksraum war leer. Am Wochenende hatte die Pension meist wenige Gäste. Die Serbin trat ein und brachte Kaffee. Der junge Mann schlug die Zeitung auf und las sie gründlich. Er fühlte, daß er heute alles ganz langsam machen müsse, diese friedvolle Langsamkeit gehörte noch zum Schlaf. Er bestellte ein zweites Kännchen Kaffee. Die Zeitung war ausgelesen. Es gab eigentlich keinen Grund mehr, sich in diesem Frühstücksraum aufzuhalten, der, sowie man gefrühstückt hatte, gleich ein wenig unwirtlicher zu werden schien. Bis zu diesem Augenblick hatte der junge Mann es sich verboten, nach der Uhr zu fragen. Das tat er jetzt.

Die Serbin sagte» Halb zehn«.

Es sei nicht gut, daß der Mensch allein sei, heißt es schon in der Genesis. Man könnte diesen Grundsatz einschränken, indem man einräumt, daß das Alleinsein jedenfalls gelernt sein will, wenn es zu einem wünschenswerten und fruchtbaren Zustand werden soll. Der junge Mann hatte darin gar keine Übung. Er war sein Lebtag noch niemals zwei Wochen hintereinander allein gewesen, im Internat und beim Militär hatte er sich besonders wohlgefühlt, und Ina ließ er schon zwei Jahre vor der Hochzeit kaum einen Augenblick aus den Augen. Mit den eigenen Gedanken allein zu sein war ein Abenteuer, das Überraschungen bereithielt. Was man in Gesellschaft gar nicht richtig mitbekam: den Wechsel der Stimmungen, wurde, sowie man allein war, zum staunenerregenden Phänomen. In Gesellschaft war jede Stimmung Antwort auf das Betragen oder die Worte eines anderen; ein anderer Mensch machte einen wütend oder brachte einen zum Lachen, aber nun stellte sich heraus, daß Wut, Erregung, Zufriedenheit und Heiterkeit auch ganz ohne ein Gegenüber auftreten konnten und sich genauso heftig wie in Gesellschaft, ja noch viel gewaltsamer Aufmerksamkeit verschafften.

Niemals zuvor hatte der junge Mann mit dem» Schicksal«, so nannte er das jetzt hochtrabend, ein solches Spiel getrieben wie heute morgen, als es darum ging, die Verabredung in der Wohnung einzuhalten oder aber zu versäumen. Wenn du willst — wer sollte da wollen? — , daß ich diese Wohnung anschaue, dann halte du die Zeit an, hatte der junge Mann offenbar im geheimsten während seiner vormittäglichen derart provozierend in die Länge gezogenen Trödelei gedacht, und so war er jetzt von der schlichten Antwort der Serbin in einem Maße überrascht, das die Frau, die er ungläubig ansah, wohl kaum verstand.

Ein Zeichen! Wie gut, daß der sportliche Kollege nicht zugegen war, er hätte, was die beruflichen Aussichten des jungen Mannes anging, besorgt den Kopf gewiegt.

Die beiden großen Bedingungen, denen die gesuchte Wohnung genügen mußte, waren von der Wohnung am Baseler Platz erfüllt: Sie war keine Parterre-Wohnung, dafür allerdings im vierten Stock, Aufzug gab es keinen, die Treppe war wendeltreppenartig eng und ausgetreten — aber gut, darauf sollte es nicht ankommen —, und ein Park lag zwar nicht in der Nähe, aber dafür das Mainufer mit langen auf den Kais angelegten Rasenflächen; da konnte man an dem breiten braunen Wasser, von Möwen umflattert, durchaus etwas herumspazieren, sich womöglich gar auf den Rasen legen, wenn einem die zahlreichen Sonnenbadenden, die unter einer Wolke von Sonnenölduft lagerten, nicht zuwider waren.

Aber davon abgesehen waren das Haus und seine Lage wohl so weit von allen Plänen und Vorstellungen entfernt, die das junge Paar bisher erwogen haben mochte, daß man sich fragen darf, warum der junge Mann bei seinem Anblick nicht auf dem Absatz umkehrte. Ein Eckhaus mit den vertrauenerweckenden Buntsandsteinquadern im Sockel, aber wie anders wirkte dieser Stein hier als in den schönen Wohnvierteln! Etwas Rauchig-Schmutziges lag über ihm, die Kälte eines gründerzeitlichen Spekulantenbaus. Der Hauptbahnhof, der nicht weit im Rücken des Hauses lag, war hier schon spürbar, längst vergangene Lokomotivenrußigkeit blieb hier noch vorstellbar. Das eigentliche große Hurenviertel lag auf der anderen Seite der vierspurigen Trasse, schon geradezu ein Stück Stadtautobahn, die dem Haus, vom Bahnhof zur Mainbrücke führend, gleichsam über die Zehen fuhr. Mit Basel hatte der Platz nicht das geringste zu tun. Es war bei der Benennung dieser städtischen Anlage, die» Platz «im eigentlichen Sinne gar nicht heißen dürfte, schon völlig willkürlich vorgegangen worden; ohne Rücksicht auf alte Orts- oder Flurnamen hatte man diesem Unort durch die Benennung den Anstrich falscher Weltläufigkeit gegeben. Die Stadt bröselte hier regelrecht auseinander. Es war, als habe sich in der Mitte der freien Fläche, die von der Autobahn eingenommen wurde, eine geologische Verwerfung ereignet, die die Häuserzeilen links und rechts der Fahrbahn gleichsam wegkippen ließ. Unten im Haus befand sich ein Schnellimbiß mit Namen» Lalibella«, der von einem Äthiopier geführt wurde. Vorn brauste Verkehr, aber wenn man um das Haus herum in den Hof gelangte — dort war auch die Eingangstür —, herrschte plötzlich Ruhe. Nur ein Rauschen blieb, jenem Meeresrauschen verwandt, das Seereisende nach Wochen an Bord bei ihrer Rückkehr aufs Festland sogar vermissen. Ein erster Blick auf das Haus hätte dennoch genügen müssen. Die Vorstellung, mit Ina, einer Tochter der Frau von Klein, hier einzuziehen und ihr dieses Haus als tägliche Umgebung anzubieten, war, gelinde gesprochen, abwegig.

Wo sollte zum Beispiel für das Tägliche eingekauft werden? Dort drüben, diese Antwort fiel leicht. Ein pakistanischer Gemüseladen präsentierte seine Auberginen und Tomaten schön geordnet am Rand des Verkehrsgebrauses. Wesenlos, raumlos und häßlich-frostig sah es hier auf den ersten und zweiten Blick aus, aber dann sah man, daß sich die menschlichen Ameisen überall in Ritzen und Spalten der toten Gebäude kleine Lebensräume geschaffen hatten: die philippinische Wäscherei, der bengalische Zeitungskiosk, das Tattoo-Studio, das islamische Reisebüro — Spezialität: die Hedschra nach Mekka und Medina —, das libanesische Restaurant mit dem draußen groß angekündigten» All you can eat«-Sonntagsfrühstück-Angebot.

Die seefahrenden Völker des Mittelmeers hielten einst den Blick nicht auf das Hinterland ihrer Häfen, sondern auf die Gegenküsten gerichtet und überspannten leicht mit ihren Gedanken den Meeresleerraum, der sie von den dort liegenden Häfen trennte. So wurden für die hier Wohnenden wohl auch die vier Fahrspuren, die den Platz unheilbar auseinanderrissen und ganz und gar ausfüllten, nach kurzem unsichtbar, weil sie die andere Straßenseite mit den dort eingenisteten Geschäftchen und Souterrain-Lokalen im Auge behielten und Techniken entwickelt hatten, schnell auf die andere Seite zu gelangen. Mit Kinderwagen wäre das freilich schon ein gewagteres Unternehmen gewesen, aber an Kinderwagen und Sandkisten dachte der junge Mann auf einmal überhaupt nicht mehr, dafür war der Gedanke an Frau von Klein gewichtig: Daß sie es unzumutbar finden würde, hierherzukommen, war womöglich das beste Argument, die Dachwohnung aus der Zeitungsannonce wenigstens einmal anzusehen.

War es nicht beinahe schon schade, daß das grelle Hurenviertel mit bunten Lichtreklamen und Eckenstehern und Betrunkenen hier kaum mehr zu ahnen war? Am Baseler Platz herrschte schon technische Blässe, Niemandslandluft. Der Hausverwalter war Marokkaner, wie aus der Visitenkarte hervorging, die er dem jungen Mann überreichte. Als» conseiller trésorier «eines marokkanischen Heimatvereins wurde er darauf bezeichnet. Der Mann war wohl über fünfzig, mit rundem Bauch und kraftlosen Löckchen im Nacken, Geierflaum, den er nußbraun gefärbt hatte. Trotz der Hitze trug er einen Pullover und einen roten Kaschmirschal, den er nach Art des sattsam bekannten Lautrec-Plakats lässig um den Hals gelegt hatte. Er komme aus dem Keller. Der Keller sei kühl, nein, nicht kühl, kalt. Man könne sich im Keller eine Lungenentzündung holen, sagte er eindringlich, während seine braunen Augen mit den langen Wimpern den jungen Mann ungewöhnlich hemmungslos musterten. Dem war, als spüre er diese Blicke wie das Wandern von dicken Fliegen auf dem Gesicht. Sei er der Mann, der angerufen habe? Der junge Mann nannte seinen Namen.

«Ah, Monsieur Hans!«sagte der Hausmeister, indem er nur den Vornamen benutzte, in umstandsloser Vertraulichkeit, um dann aber mißtrauisch innezuhalten:»Sie sind sicher, daß Sie meine Nummer nur von der Annonce kennen? Nicht anderswo her? Sie haben mit niemandem sonst gesprochen?«

Was stellte der Mann sich denn vor? Er war aber an Antworten nicht weiter interessiert. Seine Augen hatten sich an Hans sattgefressen, jetzt rutschten sie in eine andere Richtung und wurden starr.

«Pardon«, sagte der Hausmeister und griff in seine Brusttasche. Sein Mobiltelephon hatte gezittert, und tatsächlich glich das Telephon, wie jeder, der mit diesem Mann umging, schnell feststellte, für sein körperliches und geistiges Sein geradezu einem nach außen verlegten Herzschrittmacher, der ihm die lebensnotwendigen Impulse gab. Das Treppenhaus hatte etwas von einem Turm. Es war nicht nur im Keller kalt, auch dies Treppenhaus bewahrte eine Säule Luft, die deutlich ein paar Grad kühler als draußen war. Auf den Etagen gab es einen Terrazzo-Fußboden, der die angenehme Temperatur bewahren half. Es herrschte eine Stein- und Kellerluft hier, die in dem jungen Mann sofort die Vorstellung der besonderen Reinlichkeit alter Gewölbe wachrief; eigentlich mußten Häuser viel älter als dieses sein, wenn sie solche Luft in sich bergen sollten. Die Wohnung bestand aus einem langen Schlauch, an dem sich mehrere kleine Zimmer, das Bad und die Küche aufreihten. Schließlich gelangte man in einen größeren Raum mit drei Fenstern, der an der Spitze des tortenstückartigen Hauses lag, fünf Wände hatte und das ganze wirre Platz- und Autowesen draußen von hoch oben überblickte, sogar ein Stück vom Fluß kam noch ins Bild. Eben schob sich dort unten ein langer schwarzer Kahn vorbei.

«Die Möbel müssen drin bleiben«, sagte der Hausmeister laut, indem er seinen geflüsterten Telephondialog unterbrach. Tatsächlich standen ein paar Sachen in den Zimmern, aber nicht genug, um die Wohnung als möbliert zu bezeichnen: ein pompöser Schreibtisch mit gedrehten Säulenbeinen und gesprungener Platte, ein thronartiger Sessel, dessen von Messingnägeln gehaltenes Leder allerdings rehbraun zerfiel und zerbrach, sehr schmutzige Küchenschränke voller Töpfe und Pfannen, die mochte man gar nicht anfassen, so klebrig waren sie. Im Flur hing eine Radierung von Burg Eltz, wahrscheinlich aus den zwanziger Jahren. Ein durchgesessenes Sopha mit schmuddeligen Kissen war neueren Datums.

«Das können Sie phantastisch dekorieren«, sagte der Hausmeister.»Ich gebe Ihnen die Adresse von einem marokkanischen Teppich-Importeur, der legt Ihnen ein phantastisches Stück über dies Sopha.«

Der Mann wandte sich Hans bei diesen Worten mit durchbohrender Intensität zu, forschte eindringlich in seinem Gesicht und wandte sich dann ebenso nachdrücklich wieder ab. Der junge Mann wurde nicht überredet und nicht gedrängt.

Er stand in dem hellen Eckzimmer mit dem weiten Blick und dachte nach. Die Wohnung war billig. Sie war ruhig, selbst bei geöffnetem Fenster war der Verkehrslärm gedämpft und verflog in alle Richtungen. Von hier hätte er zehn Minuten zu Fuß zur Bank. Die Töpfe könnte man spülen, die Möbel waren nicht so schlecht, daß man sie hätte hinauswerfen müssen, das Treppenhaus ein gutes Training — es gab durchaus Argumente, die für die Wohnung sprachen. Der Hausmeister mißfiel ihm, aber was scherte ihn der Hausmeister?

Und dennoch, wenn er sich später fragte, warum er die Wohnung genommen habe, dann fühlte er, daß alle diese guten Gründe die Sache nicht trafen. Warum hatte er die Wohnung genommen? Er mußte es sich eingestehen: Auf diese Frage hatte er keine Antwort.

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