VI

Leute wie Herr Dr. Wittekind, der nach kurzem übrigens schon vorschlug, ihn Elmar zu nennen, und seine Freundin Britta mit dem blumenhaften Pseudonym gehörten bisher nicht zum Bekanntenkreis von Hans, und zu Inas schon ganz und gar nicht.»Bitte keine häßlichen Intellektuellen, die sich mit ihrer Bildung wichtig machen«, sagte Frau von Klein. Sie tat, als sei es nicht die Bildung selbst, die sie störe — wobei offen blieb, was sie darunter verstand —, sondern das Mitführen von Bildungsbrocken im Strom der Unterhaltung. Sie empfand es als die eigentliche Ungehörigkeit, wenn Leute in ihrer Gegenwart etwas sagten, das sie nicht sofort mit einem scharfen Wort abfertigen konnte.

Hans kannte solche Antipathien nicht. Er war mit der glücklichen Einstellung geboren und aufgewachsen, daß es niemanden gebe, gegen den er sich zur Wehr setzen müsse. Alle Menschen waren» nett «oder offenbarten wenigstens nach kurzem eine» nette Seite«. Oder waren nur zu unglücklich, um die innere Nettigkeit nach außen hin zur Geltung zu bringen. Kein bohrender, mißtrauischer, tiefer und sich nach Tiefe sehnender Geist also, sondern die reine Oberfläche, die aber so wohlansehnlich, daß er mit den Mädchen, mit denen er sich vor Ina befaßt hatte, ganz besonders aber mit Ina selbst, stets ein» schönes Paar «abgeben konnte, wie das in der Generation seiner Eltern noch hieß. Daß die Nettigkeit allein als Maßstab der Menschenerkenntnis nicht ausreichen mochte, hatte er inzwischen recht deutlich am Beispiel der Frau von Klein erfahren, die mit dem Wort» nett «alles andere als zureichend beschrieben worden wäre. Sie war ein gut gewähltes Beispiel zur Problematik der Kategorie» nett«: Wenn man sie hörte, mußte man glauben, sie dulde nur» nette Leute «in ihrer Gegenwart — fanden sich solche dann aber ein, verwandelte sich Frau von Klein in ein Ungeheuer von Langeweile und Ungeduld. Niemals hätte sie gestattet, daß Ina einen Mann heiratete, dem die Welt die Eigenschaft» nett «versagte, und zugleich war sie niemals bereit, mit der Harmlosigkeit, die mit der Nettigkeit nun einmal geschwisterlich einherging, ihren Frieden zu schließen. Hans sei ja wohl eher harmlos, das hatte Ina schon bald, nachdem sie ihren zukünftigen Mann nach Hause gebracht hatte, von ihrer Mutter hören dürfen, nicht zum letzten Mal. Als Kompliment war es nicht gemeint, und Hans durfte es schließlich selber hören, denn gegenüber ihren Kindern verachtete Frau von Klein jede Geheimnistuerei.

«Findest auch du mich farblos?«fragte er, als Ina in seinen Armen lag. Der Gott der Liebe gab ihr die richtige Antwort ein:»Ich frage mich gar nicht, wie du bist. «Das glaubte er ihr sofort, und es beruhigte ihn zutiefst.

Schade, daß Ina nicht mit heruntergekommen war. Der große Raum war in seiner anheimelnden Schattigkeit von Lichtstreifen geradezu gerastert. Die Rolläden waren nach außen gestellt und setzten den Raum jenseits der Fenster zeltartig fort. Es war ein bißchen lauter als bei ihnen oben, das eine Stockwerk Unterschied machte etwas aus, aber das immer noch gedämpfte Brausen schuf in dem lichtgestreiften Dunkel die Vorstellung einer südlichen Großstadt, ein Klein-Madrid war am Baseler Platz entstanden. Für Wittekind und Britta Lilien hatte die Wohnung übrigens gar nichts Exotisches. In der jetzt beginnenden Unterhaltung, die zunächst das Favoritenthema aller Großstädter, die Immobilienfrage, aufgriff, ließen die beiden nicht spüren, daß sie sich irgend etwas über das unmittelbar Praktische hinaus zum Baseler Platz gedacht hatten. Frankfurt war so klein, daß die Quartiere des Stadtinneren, die sich ihrem Charakter nach dennoch deutlich voneinander unterschieden, sämtlich zu Fuß erreicht werden konnten. Beider Arbeitsstätten, das Theater und das Museum, waren vom Baseler Platz aus nur ein paar Minuten entfernt. Beide hatten schon in viel größeren Städten gelebt, Wittekind länger in Paris, gegenüber seinen improvisierten Umständen dort war diese Wohnung hier geradezu ein Schritt in die Bürgerlichkeit.

Hans sah, daß Britta, eine Norddeutsche wie er selbst und mit ihm wohl gleichaltrig, gegenüber ihrem Freund nicht den kecken Ton anschlug, den er bei ihr kennengelernt hatte. Waren der Bescheidenheit, mit der sie hier auftrat, nicht sogar Zeichen eines Respekts anzumerken, als wolle sie deutlich machen, daß sie wisse, mit welch bedeutender Persönlichkeit sie zusammen sei? Elmar sprach nie anders als mit der sich schon in seinem ersten Satz äußernden milden, resignativen Ironie, aber sie ging auf diesen Ton in einer Weise ein, die den ersten Eindruck von Hans bestätigte: Jawohl, respektvoll war das richtige Wort. Von seiner Seite höfliche, reservierte Milde, von ihrer eine zur Unauffälligkeit gezügelte Aufmerksamkeit. So stellte das Paar sich ihm dar. Bevor sie ihn fragte, was er trinken wolle, stellte sie diese Frage ganz leise an Elmar Wittekind, als gebe es hier ein Regime zu beachten, irgendeine ärztliche Maßregel, aber der tat, als verstehe er sie nicht.

«Warum machen wir nicht meinen Wein auf?«fragte Hans treuherzig. So geschah es nach einigem Hin und Her dann auch, obwohl Britta von dem beiseite gesprochenen Konferieren zunächst nicht lassen wollte. Eine Frau, die sich unterordnet, gewinnt an Einfluß; für alles, was man aufgibt, erwirbt man eine andere Kompetenz, dieses Gesetz schien sie schauspielerisch illustrieren zu wollen. Das Gespräch wandte sich der einzigen Person zu, die allen Anwesenden bekannt war, Herrn Abdallah Souad. Beide wurden fröhlich bei Nennung dieses Namens.

«Man muß Souad in Schach halten«, sagte Wittekind, dessen Gesicht Hans nur als schwarze Silhouette wahrnahm, denn der Hausherr hatte sich gegen das streifenförmig einfallende und selbst in diesen kleinen Dosen blendende Licht gesetzt. Britta hingegen war weich beschienen in gebrochenen, die Farbigkeit vertiefenden Schattentönen. Sie lag auf einer mit einem bunten Kelim bedeckten Couchette. Die weißen nackten Unterschenkel rieben sich an dem kratzigen Stoff, das tat ihr offenbar gut. Sie war ein schönes Mädchen, aber sie gab zu verstehen, daß sie ihrem Aussehen jetzt im Privaten, gleichsam hinter der Bühne, nicht die geringste Bedeutung beimesse, Gewicht habe für sie allein ihre Wirkung im Scheinwerferlicht.

«Sehen Sie, Souad ist neugierig«, sagte Wittekind so bedeutsam, als habe er Souads ganzes Wesen in diesen Begriff gebannt,»und ich habe gar nichts zu verbergen, und deshalb ist mir diese Neugier ganz besonders lästig.«

Souad fühle sich verpflichtet, über alles im Haus informiert zu sein, sagte Britta, und das nehme manchmal erstaunliche Formen an. Neulich habe Elmar einen Strafzettel für irgendeinen lächerlichen Verkehrsverstoß bekommen. Souad sprach ihn darauf geradezu grob im Treppenhaus an:»Warum haben Sie mir davon nichts gesagt? Warum? Ich habe hier die ganze Polizei unter mir, die Leute fahren in meinem Bus — aber wenn Sie mir nichts sagen, kann ich auch nichts machen. «Sie hätten diesem verletzt klingenden Anwurf verblüfft gelauscht und nichts Rechtes darauf geantwortet, bis ihnen später blitzartig klar geworden sei, daß Souad den Brief aus dem Polizeipräsidium offenbar geöffnet habe.

«Wir sind zunächst nicht darauf gekommen, weil man so etwas nicht für möglich hält«, sagte Elmar, der diesen Zwischenfall nur von der komischen Seite nehmen wollte. Britta ließ diese Sicht gelten, obwohl sie sie ganz und gar nicht teilte, aber sie wollte zeigen, daß sie in Elmars Haltung den herausgehobenen Standpunkt einer höheren Geistigkeit erkenne.

«Wir haben ein neues Schloß an den Briefkasten machen lassen, und dasselbe empfehle ich auch Ihnen«, sagte sie in der dem Fall angemessenen gleichgültigen Kühle. Elmar Wittekind gestattete aber nicht, daß in seiner Gegenwart triviale Themen oder aber triviale Themen ohne höheren philosophischen Bezug erörtert wurden. Ein Gespräch über den Hausmeister war nur würdig, wenn sich darüber der Zugang zum Großen und Ganzen der Gegenwartsfragen öffnete. Man trank übrigens nicht wenig, die Hitze machte alle durstig. Die von Hans mitgebrachte Flasche, ein italienischer Weißwein, war längst geleert. An seiner Stelle stand jetzt eine Pfälzer Riesling-Literflasche, die viel besser war als der Italiener, wie Hans in kurzer Beschämung feststellte.

«Ich vermute, Souad ist ein Fall von Überanpassung«, sagte Elmar Wittekind in seiner festen Freundlichkeit. Souad habe mit ganzer Seele den Westen gewählt. Er setze auf den Westen. Er habe den orientalischen Zuständen, aus denen er stamme, bewußt den Rücken gekehrt, natürlich mit Opfern, unter Zerreißung von Bindungen, nicht wahr? Souad sei wegen dieser Opfer — die von der anderen Seite womöglich gar Verrat genannt würden — im Westen aber zum Erfolg verurteilt. Er stehe unter dem Druck, daß sich die Entscheidung für den Westen gelohnt haben müsse. Hans kannte diesen besonderen Gebrauch des Wortes» gelohnt «aus seinem Abitur, als ihn der freundliche junge Griechischlehrer behutsam durch die mündliche Prüfung gehoben hatte und zu dem Gestammel, mit dem Hans seine Fragen beantwortete, sagte:»Die Unterscheidung, die Sie zwischen Platon und Sokrates machen, hat sich gelohnt. «Auch wo es nicht um Geld ging, konnte sich etwas» lohnen«.

Souad sehe aber, daß ihm weite Regionen westlicher Denkungsart verschlossen geblieben seien — ein zwangsläufiges Erlebnis jedes Ausländers, der nach Jahrzehnten der Anpassung im neuen Land die letzten und nun unübersteigbaren Mauern entdeckt, die ihn von der vollständigen Assimilation trennten —, das sei übrigens auch seine, Elmars, Erfahrung in Paris gewesen, und deshalb sei er wieder nach Deutschland zurückgekommen, obwohl er in Deutschland viel weniger Verbindungen als in Frankreich besessen habe.

«Souad will nicht bei den Verlierern sein«, sagte Hans, indem er ein Schlagwort der gegenwärtig in den Zeitungen geführten Debatte aufgriff: mit Souad hatte das aber gar nichts zu tun, es bezog sich auf den Guerrillero-Krieg, den die Islamisten mit Hilfe von Attentätern gegen Nordamerika führten, und niemand hatte Souad im Verdacht, hier mehr als grundsätzlich landsmannschaftliche Sympathien zu pflegen, wie man sie auch für die heimische Fußballmannschaft behält, obwohl man schon längst nicht mehr weiß, wie sie sich in den letzten Jahren geschlagen hat.

«Das sind Spinner«, sagte Souad, wenn man von einem Bombenattentat erfuhr, mehr Empörung durfte ein taktvoller Mensch von ihm nicht verlangen.

«Man möge mit dem Begriff Verlierer in weltgeschichtlichen Zusammenhängen sehr vorsichtig sein«, sagte Elmar Wittekind aus seiner Schattigkeit heraus, während die Lichtstreifen um seinen Kopf rötlich zu strahlen begannen, denn die Sonne ging unter, das Licht wurde schwächer, seine Züge begannen hervorzutreten. Er erinnere daran, daß die Kämpfe der Geschichte nicht nach den Punktsystemen von Linienrichtern gemessen würden. In vielen Fällen sei es folglich unmöglich, Gewinner und Verlierer festzustellen. Wenn eine Seite verliere, dann heiße dies meist nur, daß der Kampf noch nicht zu Ende sei. Für verlorene Partien würde in der Geschichte immer Revanche gefordert, manchmal freilich fünfhundert Jahre später.

«Man hat den Krieg mit dem Schachspiel und das Schachspiel mit dem Krieg verglichen«, sagte Wittekind, der jetzt dort angelangt war, wo er sich am wohlsten fühlte. Seine Freundin, die sich behaglich ausstreckte, sah auffordernd zu Hans hinüber; sollte das heißen, er möge die Ohren spitzen?

«Das ist ein schöner Vergleich, wenn man auch den wichtigen Unterschied festhält: Der Krieg ist ein Schachspiel, bei dem die geschlagenen Figuren auf dem Brett bleiben. «Den Sieger erwarte die schlimmste Last: Nun habe er die Verlierer auf dem Hals. Ein Verlierer lasse sich nicht mehr abschütteln.»Denken Sie an die Griechen«, sagte Wittekind zu Hans, der nie an die Griechen dachte,»was geschah, als sie die Perser besiegt hatten? Sie persifizierten sich.«

«Aber hieße das nicht, daß wir — sollten die Islamisten doch irgendwie die Verlierer sein — «, ganz mochte Hans sich von der schönen These, die soviel Beruhigendes hatte, nicht lösen,»daß wir uns dann islamisieren würden?«Ein Staunen war seinen Worten anzuhören, das über Widerspruch weit hinausging.

Das täten wir doch schon, antwortete Wittekind voll heiterer Genugtuung. Schon heute zeichneten sich Züge einer kommenden Theokratie in Nordamerika ab, der Tag sei nicht fern, an dem der Präsident gemeinsam mit den Deputierten und Senatoren zum Sonntagsgebet fahre — eine Kuppel habe das Capitol ja bereits. Er könne sich gleichfalls gut vorstellen, daß aus dem amerikanischen Feminismus neue Formen der Abgrenzung und Aussonderung der Frauen hervorgingen, die vom islamischen Harem, was schließlich» Heiligtum «heiße, gar nicht so weit entfernt seien.

«Gut, die Amerikaner«, rief Hans und dachte an seinen scharf gebügelten, muskelhart trainierten Kollegen mit der praktischen Lebensphilosophie,»aber wir Europäer …«

«Wir sind keine Europäer mehr«, sagte Wittekind und verbarg seine Genugtuung nicht,»wir sind Phönizier. Wir haben die europäische Kultur aufgegeben und die Nachfolge der phönizischen Kultur angetreten. «Die Europäer hätten alle wesentlichen kulturellen Merkmale des weitgehend untergegangenen, aber wirkmächtig in die Geschichte hineinverdampften phönizischen Volkes zu neuer Blüte und zu einer ungeahnten Entfaltung geführt.

Britta schloß die Augen in einem Akt gesteigerten Zuhörens, Hans bemerkte aber trotz des Dämmerns, daß sich ihres Körpers eine atmende Ruhe bemächtigte, die dem entspannten Schläfchen einer Siesta in der Hitze des Tages auffällig glich. Sie hatte sich tatsächlich während der oft quälend langweiligen Proben eine Technik angeeignet, aufs höchste konzentriert zu erscheinen und zugleich in eine kontrollierte Ohnmacht abzutauchen.

Phönizisch sei unser Verhältnis zu den Zahlen, sagte Wittekind liebenswürdig lächelnd, unser Wille und unsere erstaunliche Fähigkeit, jedes Lebensverhältnis, jeden Gedanken, jede Realität nur noch als Zahlenketten verstehen und darstellen zu wollen. Phönizisch sei unsere entschlossene Abkehr von der Produktion zugunsten des Handels als der vorherrschenden ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Aktivität. Selbst die Kunst hätten wir dem Handel dienstbar gemacht und sähen sie nur noch als Funktion des Handels. Phönizisch sei unser Verhältnis zum Raum: in den Metropolen gleichsam mit dem Rücken zum eigenen Land zu leben und in Frankfurt etwa nicht mit dem Spessart oder der Wetterau, sondern mit Tokio und New York befaßt zu sein, nicht mehr den eigenen Landraum, sondern die ferne Gegenküste im Blick habend. Phönizisch sei unsere neue Unfähigkeit zur Herstellung schöner Kunstwerke — er denke da an die wirklich grauenvollen Fetische und Ölgötzen der Phönizier, bei ihrem gleichzeitigen Sammeln alter und für sie exotischer Kunstwerke —, die Phönizier hätten wie wir kostbare griechische Statuen gekauft, mit denen sie ebenso wenig zu tun hatten wie wir. Ja, was noch? Die phönizische Religion, schließlich: Das Opfern der erstgeborenen Kinder für Moloch, dem entspreche unsere gesetzlich geförderte Praxis der Abtreibung.»Aber das kann man doch nicht vergleichen«, sagte Britta aus ihrem offenbar wirklich sehr leichten Schlaf heraus.

«O doch, das kann man sehr gut vergleichen«, sagte ihr Freund ohne Eifer,»die Abtreibungen bei uns sind genau solche Opfer, die für eine glückliche und wohlhabende Zukunft dargebracht werden.«

«Haben Sie Kinder?«fragte Hans unversehens. Er hätte am liebsten nichts dergleichen gesagt, aber jetzt war es heraus.

«Nein«, antwortete Wittekind und seine Augen blitzten heiter:»Wir sind glücklich und wohlhabend.«

Britta verließ ihren Divan. Sie wirkte, mit gerunzelten Brauen, ärgerlich. Sie zog die Rolläden hinauf. Es war dunkel geworden. Am Himmel stand ein dick und kraftvoll leuchtender Halbmond, nahrhaft wie eine halbierte Torte.

«Beim nächsten Mal müssen Sie Ihre Frau mitbringen, sonst dürfen Sie nicht wiederkommen«, sagte sie sehr nachdrücklich, als Hans sich verabschiedete. Sie blickte ihm offen und fest ins Gesicht. Warum glaubte er nur, er könne diesen Blick nicht aushalten?

*

Auf der Treppe fiel ihm ein, daß er gar zu gern wieder einmal eine Zigarette rauchen würde. Für sein amerikanisches Büro wollte er sich das Rauchen eigentlich abgewöhnen, die Raucher wurden dort schief angesehen. So fand er seinen Weg, anstatt zu Ina zurückzukehren, noch einmal hinab zum Äthiopier. Der hatte seinen Hinterhofsalon wieder eröffnet, bediente zugleich aber auch noch zur Straße hinaus, dort allerdings ein ganz anderes Publikum, das sich neben den Herrschaften im Hof bei gesunder Selbsteinschätzung nicht hätte blicken lassen dürfen. Nur der Trinker war so dreist, sich aus der Vorderhausmannschaft in den exklusiven Hinterhof mitunter herüberspülen zu lassen. Als Hans den Hof betrat, fand er Souad, Barbara und einen dünnen jüngeren Mann mit langen blonden Haaren und haarreifartig auf den Kopf geschobener Sonnenbrille gesellig beisammensitzen. Alle drei telephonierten angelegentlich in unterschiedlichen Sprachen, Souad sprach arabisch, der blonde Jüngling mit dem Sonnenbrillendiadem französisch, Barbara spanisch. Sie am kürzesten. Souad schützte sich gegen die Abendkühle mit einem gelben Kaschmirpullover, der ihn sehr wichtig aussehen ließ, soviel runden Bauch hatte er zu umspannen, die Temperatur in der Steinwelt des Hinterhofs war aber nur um ein oder zwei Grad gesunken, die Mauern bewahrten die Hitze wie ein guter Ofen. Der Äthiopier hatte einen Kübel mit Eiswürfeln gebracht. Man trank heute kein Bier, sondern Wodka aus kleinen Fläschchen wie aus einem Kinderkaufladen. Barbara unterrichtete Hans über den jungen Blonden an ihrer Seite. Regelrecht vorstellen konnte sie ihn nicht, denn er ließ sich in seinem angelegentlichen Telephongespräch nicht unterbrechen. Er sei ihr Vetter, vielsprachig, in mindestens sechs Sprachen fließend zu Hause, wie sie selbst auch, eine einzigartige Begabung, zuletzt Koch in Gran Canaria, es sei eine Schande, daß der Mann nichts aus sich mache. Seit ihrer Scheidung hätten sie sich ein bißchen zusammengetan, er berate sie.

«Ich kaufe Rat«, sagte sie stolz. Sie lasse sich nichts schenken. Wie immer ihre übrigen Sprachkenntnisse aussahen, ihr Deutsch war lückenhaft, obwohl sie Deutsche war, aber heute sei ihr Deutsch oft einfach weg, sie vergesse schnell, was sie nicht täglich benötige.»Ich weiß englisch … ich weiß französisch, nur deutsch weiß ich nicht«, so lautete ihr heiteres Bekenntnis. Sie hatte sich einen Akzent zugelegt, der ihr grundsätzliches Ausländischsein noch betonte: So formte sie ein nuschelndes» Isch«, wenn sie von sich redete, in einem vibrierenden Zischlaut, der allen möglichen Sprachen hätte entstammen können. Lange sei sie weggewesen, jetzt gelte es wieder Fuß zu fassen. Man solle doch in dem Land leben, in dem man seine Interessen habe, nicht wahr? Ihr Vetter sei übrigens gegen die Rückkehr nach Deutschland und meckere den ganzen Tag. Dieses gefalle ihm nicht und jenes, aber Souad wolle sie um jeden Preis hier in Deutschland haben, und so sitze sie denn zwischen zwei Mühlsteinen. Dieser Platz schien ihr unbändiges Vergnügen zu bereiten. Ihre Löwenmähne war in der feuchten Hitze etwas zusammengefallen, viel Stroh umgab jetzt die Spitznase, aber den Wodka vertrug sie besser als die Männer, die beide zänkisch davon wurden. Souad sei wütend, weil sie ihn heute in der Stadt ertappt habe. In einem Café am Opernplatz habe er mit einer Dame gesessen, sehr weißhäutig, mit schönen Farben und ganz kleinem Doppelkinn, etwas spießig mit Silberschmuck.

«Souad, war das deine Frau?«Diese Frage genüge, daß er zu schimpfen anfange. Hans solle aufpassen. Sie führe es ihm gleich noch einmal vor, es funktioniere mit Sicherheit, es habe nämlich schon viermal funktioniert.

Ein Taxi hielt am Hoftor, und mit steifen Beinen entstieg ihm höchst behutsam Frau Mahmouni. Der Taxifahrer geleitete sie in den Hof. Sie trug ein Kleid von gleichem Schnitt wie das erste Mal, nur aus einer anderen Gardine gemacht. Der Taxifahrer blieb bei ihr sitzen. Er gehörte zu ihren Vasallen.

«Der Anblick dieser Telephonate unterhält mich«, sagte sie flüsternd zu Hans.»Ich möchte gern erleben, was die Herren für ein Gesicht machen, wenn sie erfahren, daß der ›Habsburger Hof‹ ihnen durch die Lappen gegangen ist. Diese Leute wissen und können alles mögliche, aber sie sind keine Geschäftsleute — jedenfalls nicht das, was ich darunter verstehe.«

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