Es mochte einen unvorhersehbaren Preis kosten, aber es war unbestreitbar, daß Abdallah Souad, so hieß der Hausmeister, sehr hilfreich sein konnte, nicht nur wenn es darum ging,»phantastische «Dekorationsvorschläge zu machen — man sah an diesem sprachlichen Detail, daß er im Deutschen gut zu Hause war, das Redensartliche, Jargonhafte machte er sich mühelos zu eigen.
«Erzählen Sie mal was Flottes, Hans«, war eine gern geübte Eingangsfloskel, der man mit keiner Silbe zu entsprechen brauchte, denn er interessierte sich für die Mitteilungen anderer Leute, vor allem von Männern, nicht für fünf Pfennige. Das hielt ihn aber nicht davon ab, mit allen möglichen Personen Geschäftsbeziehungen zu unterhalten. Die beiden Ukrainer — gutmütige Pfannkuchengesichter, wie unmittelbar von einem der unermeßlich großen galizischen Kartoffeläcker geholt, die gegenwärtig die Wohnung im vierten Stock» weißelten«, wie man in Süddeutschland sagt, und tatsächlich klatschten sie einfach ein paar Eimer weiße Farbe auf die Wände — stammten aus Souads Fundus. Sowie der Mietvertrag unterschrieben war — Souad unterzeichnete für den Hauseigentümer, er war auch hier» trésorier«—, rief er noch in Hans’ Gegenwart schon diese beiden Männer an, und zwei Tage später war die Wohnung bezugsfertig. Als Hans dann aber daranging, Ina auf die neue Wohnung vorzubereiten, war ihm unversehens nicht ganz wohl zumute.
«Wir hätten eine Wohnung«, sagte er beim nächsten nächtlichen Telephonat — Frau von Klein kehrte üblicherweise spät von ihren Einladungen zurück, denn die begannen dort im Süden auch spät, was ihr sehr zusagte, sie liebte es nicht, sich zu beeilen —»Was heißt das?«fragte Ina mit ihrer glockenhellen Arglosigkeit,»wir hätten sie — haben wir sie?«
«Wir haben sie im Grunde. «Jetzt, wo alles unterschrieben war und die Ukrainer treuherzig und wohlgelaunt ihre Leitern und Bürsten das enge Treppenhaus hinaufschleppten, war ihm wirklich etwas blümerant zumute.
«Wir brauchen nicht lange dort zu wohnen, es ist ein Provisorium.«
Er verlegte sich auf ein männlich-beherrschtes Jammern. Neben der Büro-Arbeit in dieser heißen Stadt eine Wohnung zu suchen, habe ihn an den Rand seiner Kräfte gebracht.»Wäre ich allein, hätte ich die Wohnung nicht genommen. «Das stimmte nicht. Was ihm jetzt Sorgen machte, war nur Inas Miene, und so unterlief ihm mitten in seiner flitterwöchnerischen Verliebtheit bereits der schäbige kleine Versuch, ihr ein Stückchen Schuld zuzuschieben, wenn sie von seiner Entscheidung enttäuscht sein sollte. Diese moralische Fragwürdigkeit war aber ausschließlich der Hitze zuzuschreiben. Wie Wein und Äpfel ist auch eine strikte Moral von gemäßigtem Klima abhängig.
Sie fand sofort den richtigen Ton, um ihn zu besänftigen.»Ich vertraue dir vollkommen, du hast in jedem Fall alles richtig gemacht. «Am Telephon klang ihre Stimme zwitschernd. Sie kitzelte ihn regelrecht im Ohr.
Beim nächsten Anruf hatte sie, so weit sie vom Kampfplatz auch entfernt war, für den gemeinsamen Anfang dennoch etwas geleistet. Frau von Klein habe eingewilligt, alles was da in Kartons gegenwärtig noch in den Kellern und Speichern und Garagen ihres Hauses von der Hochzeit ausruhte — es waren auch ein paar schöne alte Möbel und Bilder darunter —, dort ruhig noch eine Weile zu belassen. Es müßte jetzt gar kein regelrechter Umzug stattfinden. Ina komme mit ein paar Koffern. Möbel seien doch schon da, habe er gesagt. Und was fehle, werde in einem großen Abhollager besorgt und später, wenn sie auszögen, weggeworfen. Sie klang geradezu vergnügt bei dieser Neuigkeit. Ina war weiß Gott nicht unempfindlich für den Reiz von teurem und exquisitem Hausrat und hatte ihre Anteilnahme an der Fülle schöner Sachen, die sich rund um die Hochzeitszeremonie angehäuft hatten, kaum verborgen. In die Nüchternheit, mit der sie darüber Buch führte — nur um sich bei allen bedanken zu können, natürlich —, mischte sich eine feierliche Gespanntheit, die die Augen glitzern ließ. Um so beglückender war für ihren jungen Ehemann, der dies alles aus dem Augenwinkel durchaus bemerkt hatte, daß sie nun fähig sein wollte, ihren Hochzeitsdrachenhort, jedenfalls für eine Weile, hinter sich zu lassen und mit ihm noch einmal unbeschwerte Wochen der Besitzlosigkeit auszukosten. Die Rede des Kollegen von» Bett und Badewanne«, die ihm als Inbegriff des Notwendigen nicht aus dem Kopf ging, hatte, wie ihm jetzt erst in den Sinn kam, auch einen erotischen Unterton. Warum nicht? Ein gemeinsames Leben, das zwischen Bett und Badewanne pendelte, etwas anderes wäre, zumindest für den Augenblick, doch gar nicht wünschenswert.
*
Es war spät, als der junge Mann die Arbeit der Ukrainer abnahm und die beiden bezahlte. Es war dort oben in der Wohnung, als sei eine Woge weißer Dispersionsfarbe durch die Räume und den Korridor geschwappt. Auf dem dunklen Linoleum des Flurs und auf dem Holzboden des großen Zimmers — das Hans bereits Wohnzimmer nannte — leuchteten weiße Spritzer wie Gischtflocken. Wenn sie ganz trocken seien, könne man sie leicht mit einem Messer abkratzen. Die Männer, Vater und Sohn, wie sich jetzt herausstellte, waren maßvoll in ihrer Forderung. Die Räume leuchteten in unwirklicher Perfektion, als hätte sie ein japanischer Zen-Meister aus blendendweißem Papier gefaltet. Der junge Ehemann hatte kein Auge für Details. Er staunte, wie krachend neu dies vorher verwahrlost erscheinende Quartier unversehens aussah. Die Frau des ukrainischen Sohnes hatte sich unterdessen in der Küche beschäftigt und dort jeden Topf mit Sand gescheuert. Die Küchenschränke klebten nicht mehr, die Töpfe waren so angeschlagen und verbeult wie zuvor, aber von dem bräunlichen Fettfilm befreit. Der Herd und der Eisschrank, beides geradezu ehrwürdige Stücke — der Eisschrank gelegentlich laut brummend und dann plötzlich mit einer Art Schluckauf in Schweigen fallend —, waren aus dem Zustand der Unberührbarkeit in neue Brauchbarkeit gehoben. So traulich, wie in dem Eisschrank, den der junge Mann jetzt überprüfend öffnete, das Lämpchen leuchtete, würde man gern sofort ein paar Flaschen hier hineinlegen. Der Äthiopier im Parterre hatte noch geöffnet. Der junge Mann lud die Ukrainer, die Männer und die Frau, zu einem Glas dort unten ein. Nach stummem Blickaustausch zwischen den dreien wurde dies auch angenommen.
In der Stunde, die Hans mit seinen ukrainischen Hilfstruppen oben unterm Dach zugebracht hatte — es lag aber noch ein niedriger Speicher über der Wohnung, ganz ungehemmt prallte die Sonne nicht auf sie herab —, in der weißen Welt, die Kühle suggerierte, auch wenn einem bei ihrem Anblick der Schweiß herunterrann, war der Stehimbiß des Äthiopiers gleichsam umgewendet worden. Nach vorn zur Straße hin hatte der Mann einen eisernen Rolladen herabgezogen, dafür aber standen im Hof nun ein paar Klappstühle, und der Äthiopier holte für die Gäste, die sich hier niedergelassen hatten, die Flaschen durch die Hintertür seines Geschäftes. Das war eine Improvisation des Sommers. Die Polizei hätte vermutlich etwas dagegen gehabt, daß hier nun nicht mehr bloß gestanden, sondern nach Ladenschluß sogar gesessen wurde, aber da waren sich die Versammelten einig: Wenn wirklich ein Polizist um die Ecke gebogen wäre, hätte man die Zusammenkunft als private Feier bezeichnet.
«Nein, niemals kommt die Polizei«, hörte man Souad eifernd und rücksichtslos laut ausrufen, als wolle er die uneingeschränkte Sicherheit des Arrangements herausfordernd demonstrieren. Er selbst vermiete schließlich den Polizisten des Reviers den Kleinbus zu ihrem Betriebsausflug. Die Beamten seien ohnehin froh, in einem derart schwierigen Revier Stützpunkte der Verläßlichkeit zu wissen. Der Äthiopier war ein noch jüngerer Mann mit sehr heller, gelber Haut und einem Gesicht von etwas wächserner, lebloser Ebenmäßigkeit; er entsprach gewiß einem Schönheitsideal seiner Heimat. Er lächelte, aber er war so verschlossen, daß nicht klar wurde, ob dieses nächtliche Hinterhoftreiben aus einer eigenen geschäftlichen Initiative hervorgegangen war oder ob er auf Befehl Souads handelte. Er trank keinen Tropfen Alkohol und lächelte immer nur abwesend und etwas fahl, wenn er neue Flaschen herbeischaffte und die leeren verschwinden ließ. Auf die im Hof inzwischen herrschende rauschende Konversation ließ er sich nicht ein. Es war nicht deutlich, ob er überhaupt folgen konnte — das klärte sich aber in den nächsten Tagen, sein Deutsch war hinreichend.
Ein Teil des Hofes war von der weißen Bogenlampe der Straßenbeleuchtung in hartes, helles Licht getaucht, die andere Hälfte lag in einem davon scharf abgegrenzten, noch dunkler wirkenden Schatten. Der Mond am Himmel, schon abnehmend, strahlte wie ein Scheinwerfer. Man meinte die Mondgebirge mit den Augen gleichsam abschreiten zu können. In alten Schwarzweißfilmen sprach man bei Szenen, die in Dunkelheit spielten, aber mit hellem Lampenlicht gefilmt werden mußten, von einer» amerikanischen Nacht«, und einer Filmaufnahme glich dieser Kreis auf den Klappstühlen tatsächlich, allerdings nicht einer Szene mit Schauspielern, sondern einer Runde von Gehilfen, die bei Filmaufnahmen stets zahlreich zugegen sind, dort gewiß auch benötigt werden, aber die meiste Zeit doch wartend und schwatzend und Bierflaschen kreisen lassend zubringen müssen als irregulärer Landsknechtshaufen, dessen Pflicht darin besteht, sich zur Verfügung zu halten, wenn schließlich die Trompete geblasen wird.
Souad war der Herr dieser Versammlung, wie sich herausstellte, ein Despot, der die Ukrainer und Hans weniger willkommen hieß, als sie im Befehlston zum Hinsetzen und Mittrinken aufzufordern. Ein Blick aus seinen unruhigen Augen mußte genügen, den Äthiopier ins Haus und an den großen Eisschrank mit den Getränken zu beordern, denn inzwischen hatte das Telephon an Souads Brust gezittert. Er wollte in seiner Rastlosigkeit immer an mehreren Orten zugleich wirken.
Neben ihm saß eine Frau mit blonder Löwenmähne, einer Allonge-Perücke des siebzehnten Jahrhunderts ähnlich, die herabstürzenden dicken Locken ließen der spitzen Nase kaum genug Raum, aus ihnen hervorzustoßen. Souad hatte das Telephongespräch schnell und ungeduldig abgebrochen. Man schien am anderen Ende der Leitung nicht sofort gehorchen zu wollen. Jetzt übernahm er die Vorstellung.
«Das ist Monsieur Hans. «Die Löwenmähnen-Dame sagte:»Ich bin die Barbara.«
Erfreulich war es dem jungen Mann nicht, dies» Monsieur Hans«. Er fühlte, daß es ein Fehler war, sich so früh schon von Souad auf seinen Vornamen reduzieren zu lassen. Er war dann aber doch bereit, bei einem Ausländer, auch wenn der flüssig und mühelos und beinahe akzentfrei deutsch sprach, die Schwierigkeit in Rechnung zu stellen, sich einen langen Nachnamen mit ungewöhnlicher Buchstabenfolge zu merken. Man kann eine fremde Sprache bekanntlich vorzüglich beherrschen und kommt dennoch der Natur der einzelnen Wörter nicht näher, weil man deren Genese und Wurzeln nicht kennt und weil deren Umfeld und Stimmung einem unbekannt geblieben sind. Frau von Klein hatte ihrer Tochter mitgeteilt, daß sie den Namen Hans einfältig finde, sie gebrauchte den englischen Ausdruck» plain«, darin war auch das abschließende Urteil über den Träger eines solchen Namens enthalten. Ina hatte ihm versichert, daß es ihr gleichgültig sei, wie ihre Mutter über den Namen Hans denke, denn er sei der einzige Hans in ihrem Leben, tatsächlich sei sie niemals zuvor einem Mann mit diesem an sich häufigen Namen begegnet, und nun habe er diesen Namen derart mit seiner Person gefüllt, daß Überlegungen, wie vorteilhaft» Hans «klinge, gar nicht mehr aufkommen könnten, und er glaubte ihr. Aber eine Scharte in seinem Selbstgefühl hatte Frau von Klein doch hinterlassen. Jetzt im Hinterhof von jedermann Hans genannt zu werden und diesen Namen freudig-ironisch ausgesprochen zu hören, machte ihn befangen, als sei er in Wirklichkeit gar kein Hans, als segle er hier unter der Flagge eines unpassenden Pseudonyms.
Große Harmonie war dem Kreis im Hinterhof übrigens nicht anzumerken. Ein Mann war betrunken und mischte sich in die Gespräche ein, wurde aber stets abgewiesen und mißachtet und manchmal auch bös angefahren — diesen Part übernahm Souad —, worauf er dann ein Weilchen leise brabbelnd wieder in den Hintergrund trat, dort aber von dem Äthiopier fleißig und mit nichtssagender Miene bedient wurde. Souad hatte mit Barbara zu schimpfen, was sie aber nicht weiter ernst zu nehmen schien, sie lachte auf seine Vorwürfe. Im Schatten saß eine Dame, die gar nicht hierher paßte, so streng und würdig sah sie aus; aber ihre Miene mit ausdrucksvollen, beweglichen Augen bewies, daß sie jedem Wort mit höchster und ernster Aufmerksamkeit folgte. Ihr Haar war rabenschwarz, wie es das in ihrem vorgerückten Alter natürlicherweise nicht mehr sein konnte, und mit Kämmen zu einer altmodischen Frisur hochgesteckt. Sie war so mager wie die Herzogin von Windsor, die Knochen des Gesichts und der Hände traten vor in jener erbarmungslosen Eleganz, die der Nordmensch mit dem Typus der spanischen Hofdame alten Stils verbinden mag, einer allwissenden, alles verschweigenden, alles bedenkenden Dueña höchsten Niveaus. Auch ihr Kleid war bemerkenswert: übermäßig großgeblümt in oliv und schwarz, von erhabener Trostlosigkeit, ein Seidenkleid mit kleinem, gleichgemusterten Bolerojäckchen, das in keinem Geschäft der Erde mehr hätte erworben werden können, ein echtes Hausschneiderinnenprodukt levantinischer Damengesinnung und kolonialer Rückständigkeit. Die Dame hatte ihren vor fünfzig Jahren weit weg von Deutschland entwickelten Stil kompromißlos bewahrt und trotzte in ihrer Haltung aller Zufälligkeit, die sie nun in diesen Hinterhof verschlagen hatte. Sie hätte in Kairo auf einem vergoldeten» Louis-Quinze-Fantaisie«-Thron nicht anders den Tee getrunken. Für sie nämlich bereitete der Äthiopier Tee, die Tasse mit dem Teebeutel stand auf der Buntsandsteinfensterbank eines Parterre-Fensters.
Souad sagte in eigentümlich wegwerfendem Ton, bei Hans handele es sich um den neuen Mieter der Dachwohnung.
«Der Dachwohnung«, sagte die alte Dame bedeutungsvoll, als habe sich dort oben etwas ihr nur allzu Bekanntes abgespielt. Sie hatte überraschenderweise einen leicht englischen Akzent, sprach aber gleichfalls gut deutsch.
«Dann werden Sie mit dem Hausbesitzer zu tun bekommen«, diese Bemerkung hatte etwas Unheilvolles.
«Der Hausbesitzer, ach Gott, ach Gott!«rief der Betrunkene.
«Viel Vergnügen«, sagte Barbara, sie nutzte die Gelegenheit, dem gedämpft auf sie einredenden Souad zu entkommen.
«Was, Hausbesitzer?«Souad war geradezu empört.»Das wird alles von mir abgewickelt.«
Die schwarze Dame wandte sich Hans mit Verschwörermiene zu.»Souad ist klug und hat vieles in der Hand, aber nicht alles.«
«Es gibt Menschen, die sind klüger als Gott«, sagte der Betrunkene sichtlich in der Hoffnung, in diesem Gesprächsmoment genau das Passende eingeworfen zu haben. Sein Glück machte ihn so stolz, daß er über seinen Einwurf nachdenken mußte und den eben angeknüpften Faden wieder verlor. Die Dame sandte einen trauernden, gleichwohl brennenden Blick in seine Richtung und machte dann mit der Hand eine vornehme Geste, eine Art Kreiseln vor ihrer gemeißelten Stirn: Der Arme ist durcheinander, sollte das heißen. Sie konnte das natürlich nicht erschüttern.
Hans stamme gewiß aus Frankfurt? Nein? Sie gleichfalls nicht. Sie sei in Damaskus geboren, als Tochter syrischer Kopten.»Ich heiße Despina Mahmouni«, sagte sie, als sei das der erste Satz aus einem bedeutenden Roman des neunzehnten Jahrhunderts, und das war er vielleicht auch.
«Barbara, ich bin dein Freund, ich will verhindern, daß du eine Dummheit machst«, sagte Souad jetzt mit erhobener Stimme.
«Ich bin ein freier Mensch. «Die Spitznasige ließ die Augen zwischen den baumelnden Locken in unbesiegter Freude funkeln.»Und zur Freiheit gehören auch die Dummheiten — es ist schließlich mein Geld.«
Souad lauschte ihr mit dem Ausdruck eines tobsüchtigen Frosches. Was seine rhetorische Schlagkraft schwächte, war freilich das Telephon. Immer, wenn er besonders schnell und treffend hätte antworten müssen, ließ es seine Brust erzittern, und immer erstarrte er dann, als könne er sich dies krabbelnde Beben in seiner Brusttasche einen Augenblick lang nicht erklären: War ihm da etwa ein großer Nachtschmetterling ins Hemd gekrochen? Dann hatte er sich selbst und den Apparat wieder im Griff und sandte seinen Geist in unbekannte, ferne Zonen. Der Barbara hingegen war er die Antwort schuldig geblieben.
«Mein Leben hat sich früh entschieden«, sagte Frau Mahmouni.»Als ich Damaskus verließ, war ich zwanzig Jahre alt und schwanger — der Vater meines Kindes war Schotte, und ich folgte ihm nach Glasgow. Mein Vater hatte bankerott gemacht — zum Abschied gab ich ihm drei Pfund Sterling, alles, was ich besaß, ich verließ Syrien ohne einen Sou. Mein Vater weinte vor Rührung und segnete mich und sagte mir: Alles, was du anfassen wirst, wird zu Geld werden. Und so ist es auch gekommen, obwohl ich das erste Vermögen, das ich erworben habe, auch wieder abgeben mußte — mein erster Mann war ein Lump, Trinker, süchtiger Wetter auf Hunderennen, hatte ein jahrelanges Verhältnis mit seiner eigenen Tochter — ich habe die Beweise, aber was wollen Sie …«Ihr harter Blick rechnete nicht mit diesem Mann ab, der ein Verlorener war. Sie hatte den Ausdruck einer Spielerin, die in mondänem Aufzug am Roulettetisch steht, ihre Chancen kalkuliert und den hohen Verlust ohne Wimpernzucken einsteckt: Schuld oder Leichtfertigkeit hat sie sich nicht vorzuwerfen, und auch das Risiko war ihr vorher bekannt.
«Er wollte mich ins Irrenhaus stecken«— in der Entrüstung über diesen Streich des Verblichenen verbarg sich auch Verachtung für den schlechten Spieler. Hans wurde jetzt erst bewußt, daß sie ihn während der letzten Bekenntnisse fest am Unterarm gepackt hielt, als sei der eine geschnitzte Sessellehne. Sie beugte sich ein wenig zu ihm und ließ ihr lose sitzendes Gebiß — in diesem Gaumen gab es keine fleischliche Substanz, an der ein solches Stück hätte festen Halt finden können — zu den geschlossenen Lippen nach vorn quellen, was ihr Gesicht überraschend verformte, aber auch glättend anspannte.
«Souad macht es nicht gut«, raunte sie.»Die Dame dort ist frisch geschieden und recht gut abgefunden worden. Sie sucht eine Anlage, und Souad will, daß sie ihm ihr Geld anvertraut. Dabei weiß er noch gar nicht, wieviel es ist — nicht viel mehr als hundertachtzigtausend Euro, ich habe es mitgehört, als sie vorhin auf Spanisch telephoniert hat. Er denkt, er könnte den ›Habsburger Hof‹, das Hotel gegenüber, mit ihrem Geld kaufen, er ist ganz verrückt danach, und dabei weiß er noch immer nicht, daß der ›Habsburger Hof‹ niemals ihm gehören wird. «Sie legte den knochigen Finger über die dünnen, jetzt zusammengepreßten Lippen und sah Hans starr und drohend an. Er gab sich alle Mühe, so leise wie möglich zu schwören, daß er nie ein Wort über diese Zusammenhänge verlieren werde.
«Du bist eine blöde Kuh«, rief Souad jetzt,»ich liebe dich, und deshalb macht mich das wütend.«
«Tja, Immobiliengeschäft macht immer viel Arbeit«, antwortete Barbara. Ihre gute Laune war das Geschenk einer ungehemmten Selbstgefälligkeit. Dann beugte sie sich zu Hans und fragte anheimelnd-gesellig-herzlich:»Und was machen Sie so Schönes?«
Hans sah sich nach den Ukrainern um, aber die waren längst stumm im Dunkeln abgezogen.