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Wie anstrengend ihr Ritt tatsächlich gewesen war, spürte Kara, als sie nach dem Essen zusammen mit Angella, Jan und einigen anderen ihres Trupps in Jans gemütlicher Wohnküche saß. Da die Küche nicht für alle Platz bot, waren etliche der Drachenkämpfer draußen bei den Pferden geblieben. Kara hätte es vorgezogen, zusammen mit ihnen zu essen, aber Angella hatte darauf bestanden, daß das Mädchen sie begleitete. Während Angella und Jan freudig Erinnerungen austauschten, machte Kara ein finsteres Gesicht und antwortete nur mit knappen, unfreundlichen Worten. Doch weder Angella noch Jan schienen ihre schlechte Laune bemerken zu wollen. Sie wurden im Gegenteil immer ausgelassener.

Nach dem Mahl wurde Kara von Müdigkeit überwältigt. So sehr sie auch dagegen ankämpfte, immer wieder fielen ihr die Augen zu. Schließlich fragte Jan, ob einer der Diener sie auf ihr Zimmer führen solle. Kara lehnte ab. Sie war in Schelfheim, und die Zeit war zu kostbar, um sie mit Schlaf zu vergeuden. Aber Jan widersprach ihr: »Du wirst nicht viel von dieser Stadt sehen, wenn dir vor Müdigkeit die Augen zufallen. Und du versäumst nichts. Ihr werdet lange hierbleiben.« Fragend sah er Angella an. »Eine Woche?«

»Ich hoffe«, antwortete Angella. »Wenn wir so rasch fertig werden.« Und obwohl sie nicht mehr sagte, schlich sich ein Gefühl der Sorge zwischen sie. Unbehagliches Schweigen breitete sich in Jans Küche aus; niemand schien mehr zu wissen, was er sagen sollte...

Schließlich räusperte sich Jan übertrieben und stand auf. »Ich denke, es wird Zeit«, sagte er. »Es ist bereits dunkel, und der morgige Tag wird für die meisten von euch genauso anstrengend wie die vergangenen Tage. Also ruht euch aus, so gut ihr könnt.« Er klatschte in die Hände, und zwei schlanke Hornköpfe erschienen aus der angrenzenden Kammer und begannen den Tisch abzuräumen, während sich die Drachenkrieger einer nach dem anderen entfernten. Nur Kara blieb sitzen.

»Worauf wartest du?« fragte Angella ungehalten. »Du kannst gehen.«

»Ich bin noch nicht müde«, antwortete Kara. Das war eine sehr dürftige Lüge, aber ihre Neugier war nun einmal geweckt. Denn verblüfft war ihr eingefallen, daß sie sich im Verlauf der gesamten letzten fünf Tage nicht einmal gefragt hatte, warum Angella eigentlich nach Schelfheim reisen mußte.

»Du bist schlicht und einfach neugierig«, antwortete Angella gepreßt.

»Und wenn es so wäre?«

»Hätte ich vielleicht keine Lust, deine Neugier zu befriedigen«, erwiderte Angella mit einem Blick, der Kara begreifen ließ, daß einzig Jans Anwesenheit sie davon abhielt, einen unfreundlicheren Ton anzuschlagen. Aber lange würde sie ihre Wut nicht zurückhalten. Kara zog es vor, doch aufzustehen. »Geht es mich nichts an, weshalb wir wirklich hier sind?« fragte sie.

»Nein«, antwortete Angella. »Jedenfalls im Moment noch nicht. Wenn es an der Zeit ist, werde ich dir schon alles erzählen.« Sie machte eine befehlende Geste in Hrhons Richtung. »Bitte, sei so nett, Kara auf ihr Zimmer zu begleiten«, sagte sie. Hrhon erhob sich so schnell, daß der Stuhl, auf dem er gesessen hatte, unter ihm zusammenbrach. Jan lächelte amüsiert, während Angellas Zorn noch wuchs. Kara verließ das Zimmer so hastig, daß Hrhon Mühe hatte, mit ihr Schritt zu halten. »Wharhum bhisst dhu so feindhsheligh zu ihhr?« fragte der Waga, während er sie zu dem Zimmer begleitete, das Jan ihr zugewiesen hatte. Kara registrierte ohne sonderliche Überraschung, daß Hrhon den Weg zu kennen schien. Sie antwortete erst, als sie das Zimmer erreicht hatten und die Tür hinter ihnen zugefallen war.

»Bin ich das?« fragte sie herausfordernd.

»Das bissst dhu«, antwortete Hrhon. »Dhu hassst ihr seer wheh ghethan. Wharum?« Kara wußte es selbst nicht. Es war, als wäre ihr Zorn niemals wirklich erloschen, sondern hätte die ganze Zeit auf eine Gelegenheit gewartet, aus ihr hervorzubrechen. »Vielleicht bin ich es leid, wie ein Kind behandelt zu werden, Hrhon«, fuhr sie den Waga an. »Und leid, belogen zu werden!«

»Ssshieh haht dhich nhicht bhelhogen«, sagte Hrhon ernst. »Nhiemhalsss.«

»O doch, das hat sie!« behauptete Kara aufgebracht. »Vielleicht weiß sie es nicht einmal selbst, aber sie hat es getan. Und nicht nur einmal, Hrhon! Zehn Jahre meines Lebens hat sie mich belogen.«

»Ahbher dhasss issst dhoch nhicht whahr«, zischelte Hrhon. »Es ist wahr!« widersprach Kara heftig. »Ich bin vor zehn Jahren zu euch gekommen, Hrhon, um mich zu einer Drachenkämpferin ausbilden zu lassen! Ich bin eine Kriegerin, Hrhon, und zwar die verdammt beste, die ihr jemals hattet! Du weißt das?«

»Jha«, sagte Hrhon ruhig.

»Aber warum läßt sie mich dann nicht kämpfen?« fragte Kara. »Wozu hat sie mir beigebracht, einen Drachen zu reiten, wenn ich ihn nicht fliegen darf?«

»Wheil dhu zhu wherthvholl bissth«, antwortete Hrhon.

Kara starrte ihn einen Moment lang fassungslos an, und dann lachte sie schrill. »Jetzt bist du auch noch übergeschnappt, wie? Du willst mir erzählen, daß ihr mich nicht in den Kampf ziehen laßt, weil...«

»Ein Ssswert khann ssspröde wherden, wenn mhan dhie Khlinghe zhu sssehr ssshärft«, unterbrach Hrhon sie, und im gleichen Moment erklang hinter ihr ein leises Lachen. Kara fuhr herum. Jan hatte lautlos die Tür geöffnet und war hereingekommen.

»Besser hätte ich es auch nicht ausdrücken können«, sagte er. »So?« Kara funkelte ihn an. Wieso hatte sie nicht gehört, daß er das Zimmer betreten hatte? Niemand konnte sich so leise bewegen, daß ein Drachenkrieger ihn nicht hörte! Niemand. Jan lachte abermals, setzte sich lässig auf die Bettkante und sah Kara auffordernd an. Natürlich rührte sie sich nicht. »Hrhon meint, daß ein Schwert, das zu scharf ist, nicht mehr für einen groben, gemeinen Kampf taugt. Selbst wenn die Klinge nicht zerbricht, würde sie Scharten bekommen, und dazu ist sie viel zu kostbar. Grobe Waffen hat Angella genug. Aber nur eine einzige Waffe, die scharf genug wäre...«

»Ein Haar zu spalten?« schlug Kara vor.

Jan entging die feine Anspielung keineswegs. Er antwortete zwar nicht darauf, lächelte aber amüsiert. »Angella hat mir erzählt, was passiert ist«, sagte er. »Glaub mir, ich verstehe dich. Auch ich war einmal jung. Ich weiß genau, was du jetzt empfindest. Aber du mußt auch Angella verstehen. Du bist zu wertvoll für sie. Sie hat zu viel für dich getan, um das alles jetzt aus einer Laune heraus aufs Spiel zu setzen.«

»Für mich getan?« fuhr Kara auf, aber Jan ließ sie nicht zu Wort kommen.

»Sie ist alt, Kara. Sie wird nicht mehr lange leben, und sie weiß das.«

Kara erschrak. »Was soll das heißen?« fragte sie. »Ist Angella etwa krank?«

Jan hob beruhigend die Hand. »Ich sehe, daß du dich doch noch, stärker um sie sorgst, als du zugeben willst. Aber sie ist nicht krank. Nur alt, Kara. Sie wird nicht morgen sterben und auch nicht nächstes Jahr. Doch sie ist auch nicht unsterblich. Wenn sie geht, dann braucht sie eine würdige Nachfolgerin.«

»Mich?« fragte Kara spöttisch.

Eine Spur schärfer entgegnete Jan: »Dich. Und jetzt verschwende bitte nicht deine und meine Zeit. Du bist vom ersten Tag an zu nichts anderem ausgebildet worden, als Angellas Nachfolgerin zu werden.«

»Und wer sagt dir, daß ich es auch will?« fragte Kara trotzig. »Du hast die Vorteile, die dir aus dieser Rolle erwuchsen, immer gern angenommen, nicht wahr?«

»Da habe ich noch nicht gewußt, wie hoch der Preis sein würde, den ich dafür vielleicht bezahlen muß«, antwortete Kara.

»Hübsch gesagt«, sagte Jan und zog eine Grimasse. »Glaub mir – du wirst noch mehr Kämpfe bestehen müssen, als dir lieb ist. Vielleicht nicht auf dem Rücken eines Drachen. Vielleicht nicht einmal mit dem Schwert, aber du wirst kämpfen. Und viel eher, als du jetzt schon ahnst.«

»Hübsch gesagt«, versetzte Kara und versuchte möglichst boshaft zu klingen, was ihr allerdings nicht ganz gelang. »Hat Angella dich geschickt, damit du mir das alles erzählst?«

»Nein«, antwortete Jan und stand auf. »Ich bin sogar gegen ihren Willen hier. Sie schäumt vor Zorn. Ginge es nach ihr, so hätte sie dich noch heute abend zum Drachenhort zurückgeschickt.«

Er ging zur Tür, öffnete sie und sagte wie zu sich selbst: »Und wer weiß, vielleicht wäre es sogar das beste.«

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