16

Sie bestatteten Angella und den toten Fremden ein gutes Stück vom Ufer entfernt. Da der Boden aus Fels bestand und sie keinerlei Werkzeuge hatten, bedeckten sie die Toten mit flachen Steinen und Schlamm, den Kara mit bloßen Händen vom Meeresgrund dicht am Ufer kratzte. Keiner von ihnen sprach auch nur ein Wort. Kara hatte immer geglaubt, daß es wichtig und auch gut wäre, in einem solchen Moment irgend etwas zu sagen, aber die Wahrheit war, daß alle Worte in diesem Moment leer und hohl klingen mußten.

»Sie war eine alte Frau.« Mehr hatte Elder nicht gesagt. Und es war nur eine reine Feststellung gewesen, eine Tatsache, die nichts änderte, es aber vielleicht ein wenig leichter machte. Angella war alt gewesen, und sie hatte ein Leben gehabt, das reicher und erfüllter gewesen war als das der meisten anderen. Es bereitete Kara keine Schwierigkeiten, die beiden Gräber so dicht nebeneinander anzulegen, als gehörten sie zusammen. Obwohl es gut möglich war, daß dieser Mann Angellas Tod verschuldet hatte, empfand sie nichts für ihn als Gleichgültigkeit. Vielleicht war es ja wirklich so, wie man sagte: daß der Tod alle Unterschiede verwischt.

Danach wartete sie.

Minuten reihten sich zu einer halben Stunde, dann zu einer ganzen.

Die Männer, auf die Elder wartete, kamen nicht. Doch auch sonst kam niemand. Entweder hatte Elder durch einen Zufall genau die Frequenz getroffen, auf der die Funkgeräte der Stadtgarde arbeiteten – oder die anderen machten sich nicht die Mühe, den Funkverkehr zu überwachen. So abwegig war diese Vorstellung auch gar nicht – wer kam schon auf die Idee, fünf Meilen unter der Erde nach geheimen Nachrichten Ausschau zu halten?

Im gleichen Maße, in dem sich Karas unmittelbarer Schmerz legte, kehrten ihre Gedanken zu den vor ihnen liegenden Problemen zurück. Je länger sie sich in dieser gigantischen unterirdischen Höhle aufhielten, desto weniger glaubte Kara, daß die Fremden wirklich etwas mit dem Verschwinden des Wassers zu tun hatten. Das Licht, das ihnen nach der langen Dunkelheit hell vorkam, war in Wahrheit so blaß, daß sie wahrscheinlich nur zwei oder drei Meilen weit sehen konnten. Aber selbst wenn die Höhle gar nicht viel größer war, so mußte die in ihr enthaltene Wassermenge ungeheuerlich sein. Selbst die fortschrittlichste Technik, die sie sich vorstellen konnte, mußte vor der Aufgabe kapitulieren, diese unvorstellbaren Wassermengen irgendwie zu transportieren.

Nein, sie glaubte nicht, daß sie irgend etwas getan hatten. Aber sie hatten davon gewußt und wahrscheinlich auf eine rätselhafte Weise davon, profitiert. Und das reichte, um sie sofort und endgültig zu Karas Feinden zu erklären.

Mehrmals glaubte sie ein Geräusch zu hören und sah auf, aber sie mußte sich wohl getäuscht haben. Und als sie dann wirklich etwas hörten, da kam der Laut nicht aus dem Schacht über ihren Köpfen, sondern drang vom Wasser herüber.

Elder und sie hörten es nahezu im selben Moment; und sie reagierten auch gleichzeitig und ohne daß es irgendeiner Absprache zwischen ihnen bedurft hätte. Sie liefen los und duckten sich hinter einen Felsen, der ihnen zum offenen Wasser hin Deckung bot.

Sie warteten mit angehaltenem Atem, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. Alles, was sie hörten, war das monotone Klatschen der Wellen gegen den Fels. Doch war Kara völlig sicher, nicht nur Opfer eines Streiches geworden zu sein, den ihr die überreizten Nerven gespielt hatten. Etwas hielt sich dort draußen auf, das aus Unvorsichtigkeit oder aus einem anderen Grund ein sonderbares Geräusch ausgestoßen hatte.

Kara hatte sich nicht getäuscht. Es verging eine Weile, aber dann hörten sie beide das Geräusch noch einmal, ein Laut, als bewege sich ein riesenhafter Fisch mit majestätischer Langsamkeit durch das Wasser, das Klatschen der Wellen, die sich an stählernen Flanken brachen. Und plötzlich flammte ein grellweißer Lichtbalken auf und trieb ihnen die Tränen in die an das graue Zwielicht gewöhnten Augen.

Der Scheinwerferstrahl griff aus einer Entfernung von zwei oder vielleicht auch drei Meilen auf den Strand und verwandelte eine Nacht, die vielleicht seit Anbeginn der Zeiten gedauert hatte, jäh in den Tag. Das Licht riß jede noch so winzige Einzelheit aus dem Dunkel und war so intensiv, daß Kara sich einbildete, das Wasser unter seiner Berührung zischen zu hören. Zuerst sehr schnell, dann ein zweites Mal sehr langsam glitt der Strahl über den Strand, verharrte einen Moment auf dem durchsichtigen Zelt, wobei er winzige weiße Sterne in seinen transparenten Wänden auflodern ließ. Dann richtete er sich für einen Moment auf die schwebende Kristallscheibe und kehrte wieder zum Zelt zurück. Kara war plötzlich sehr froh, der Verlockung widerstanden zu haben, in der Wärme und Trockenheit dort auf das Eintreffen von Elders Männern zu warten. Als sie aus eng zusammengekniffenen Augen zum Zelt hinübersah, bemerkte sie ein winziges Licht, das rot auf dem Funkgerät zu flackern begonnen hatte.

»Ihre Leute«, sagte Elder, der auch das Licht gesehen hatte. »Sie rufen sie.«

»Und wenn sie nicht antworten – «

»-dann werden sie herkommen und nachsehen«, führte Elder den Satz zu Ende.

Kara dachte besorgt an die beiden Gräber, die nicht sehr weit vom Zelt entfernt lagen. Wenn der Scheinwerferstrahl sie erfaßte, dann würden sie nicht nur argwöhnen, daß hier irgend etwas nicht stimmte, sondern es plötzlich wissen.

Unvermittelt erlosch der grelle Lichtbalken wieder, aber noch bevor die Dunkelheit wie eine Woge über ihnen zusammenschlagen konnte, hörten sie ein pfeifendes Zischen, und weit auf dem Meer stieg ein grellgelber Stern in die Höhe, der einen funkensprühenden Schweif hinter sich herzog. Ein flackerndes Licht, das beinahe die Farbe der Sonne hatte, verwandelte den Strand in ein sinnverwirrendes Durcheinander aus hellen reflektierenden Flächen und tintenschwarzen Schatten.

Kara blinzelte verwirrt zum steinernen Firmament hinauf. Es war nicht die erste Leuchtkugel, die sie sah, wohl aber die erste, die am Ende ihrer Bahn anhielt und flackernd weiterbrannte, wie von unsichtbaren Seilen gehalten.

Elder deutete plötzlich aufgeregt über das Meer, und als Karas Blick seiner Bewegung folgte, sah sie etwas, das sie noch sehr viel mehr verblüffte als die von unsichtbaren Kräften gehaltene Leuchtkugel.

Ob es wirklich ein Schiff war, konnte Kara ebensowenig sagen wie sie es wagte, seine Größe zu schätzen. Aber das Gebilde war riesig; es mußte aus Metall oder sehr schwerem Holz bestehen, denn die Wellen, die gegen seine Flanken klatschten, vermochten es nicht um einen Deut zu erschüttern. Und aus seiner Mitte erhob sich ein runder, an der Vorderseite abgeflachter Turm, an dessen Spitze der ausgeschaltete Scheinwerfer nachglühte wie ein riesiges, langsam verlöschendes Auge.

»Was ist das?« flüsterte Kara. Elder fuhr erschrocken zusammen und legte den Zeigefinger auf die Lippen, als befürchte er, schon die leisesten Worte könnten auf dem Meer gehört werden. »Ich weiß es nicht. Aber es sieht gefährlich aus«, preßte er hervor. Nervös hob Kara den Blick und sah zum Schacht empor. »Wo bleiben deine Leute?«

»Ich kann nur hoffen, daß sie nicht ausgerechnet jetzt auftauchen«, sagte Elder düster. Kara sah ihn verständnislos an, und Elder fügte mit einer Kopfbewegung auf das Gebilde im Wasser hinzu: »Was immer es ist – ich bin sicher, daß es bis an die Zähne bewaffnet ist. Sie würden sie abschießen wie junge Spatzen!«

Kara schauderte bei der Vorstellung. Elder hatte recht. Wenn sie an die unheimliche Präzision dachte, mit der das grüne Licht Hrhon und die beiden Männer erfaßt hatte, dann konnten sie nur hoffen, daß die angeforderte Verstärkung noch eine Weile auf sich warten ließ.

Sehr langsam näherte sich der eiserne Fisch dem Ufer. Kara und Elder beobachteten ihn aus der sicheren Deckung ihres Felsens heraus, wagten es aber nicht, ihr Versteck zu verlassen, obgleich das riesige Scheinwerferauge nicht noch einmal aufleuchtete. Aber die Besatzung mußte entweder Verdacht geschöpft haben, oder sie waren von Natur aus sehr mißtrauisch. Das Fahrzeug änderte mehrmals seinen Kurs, aber es hielt schließlich nicht vor den Riffen an, wie Kara erwartet hatte, um Männer auf Booten oder den kleinen Flugscheiben an Land zu schicken. Statt dessen glitt es einige Minuten lang vor der natürlichen Sperre hin und her, und fuhr dann durch eine Spalte in den Felsen, die Kara bisher nicht einmal gesehen hatte. Einen Moment lang erfreute sie sich an der Vorstellung, daß der riesige Eisenfisch im nächsten Augenblick einfach auf den felsigen Meeresgrund auflaufen und festsitzen würde.

Aber der Eisenfisch tat ihr nicht den Gefallen, sich selbst den Bauch aufzuschlitzen, statt dessen stiegen plötzlich rings um seinen metallenen Leib Luftblasen empor. Das Wasser brodelte, schien zu kochen und verwandelte sich in weißen Schaum, und dann erhob sich das Schiff, bis es nur noch auf dem Wasser zu fahren schien!

Kara sah aus den Augenwinkeln, wie Elder erstaunt zusammenfuhr. Gebannt beobachteten sie, wie das bizarre Gebilde unaufhörlich herankam. Sein Leib mußte fast so lang wie ein Drachen sein, und es bot mit Sicherheit Platz für hundert oder mehr Männer. Wasser perlte in breiten Strömen von dem mit schwarzen Stahlplatten gepanzerten Rumpf, an dem auch überall kleinere Lichter brannten. Zischend und auf einer gewaltigen Bugwelle aus kochendem Wasser reitend, näherte sich der Gigant dem Ufer. Ein abgestorbener, riesiger Wurzelstrang war ihm im Weg, aber er machte sich nicht die Mühe, ihm auszuweichen, sondern zermalmte das Holz mit seinem stumpfen Bug.

Es war dieser Augenblick, der Kara schlagartig wieder zu Bewußtsein brachte, in welcher Gefahr Elder und sie schwebten. Zwei Schwerter und eine altersschwache Laserpistole waren ein bißchen wenig...

»Hast du eine gute Idee?« fragte sie.

Elder nickte. »Wie wäre es damit: Kennst du zufällig ein paar nützliche Zaubersprüche?«

Kara ersparte sich eine Antwort. Ihre Gedanken überschlugen sich. Das Schiff bewegte sich noch immer äußerst langsam, aber auch so blieben ihnen allerhöchstens noch zehn Minuten. Wenn ihnen bis dahin nichts eingefallen war, konnten sie sich genausogut auch gegenseitig umbringen. Nach dem, was sie den beiden Posten angetan hatten, würden die Männer auf diesem Schiff kurzen Prozeß mit Elder und ihr machen.

Wenn sie Glück hatten.

Ihr Blick fiel auf eines der riesigen Holzstücke, das nahe dem Ufer im Wasser dümpelte. Rasch sah sie noch einmal zum Boot hinüber und verlängerte seinen Kurs in Gedanken. Es konnte klappen. Mit ein wenig Glück konnte es klappen.

»Kannst du schwimmen?« fragte sie.

Elder sah sie irritiert an, und Kara machte eine Kopfbewegung zum Trümmerstück. Es dauerte einen Moment, aber dann begriff er, was sie vorhatte. »Ja.«

»Das trifft sich gut«, sagte Kara. »Ich nämlich nicht.«

Elder riß erstaunt die Augen auf, sagte aber nichts. Nachdem er sich seines gelben Umhanges entledigt hatte, krochen sie auf dem Bauch liegend und jede noch so winzige Deckung ausnutzend zum Ufer und glitten ins Wasser. Kara wußte, daß sie dennoch leicht zu entdecken sein mußten, wenn sich irgend jemand die Mühe machte, den Strand ein wenig aufmerksamer im Auge zu halten. Nach wenigen Augenblicken erreichten sie unbehelligt das Wasser und glitten durch die eisige Kälte auf den zyklopischen hölzernen Findling zu.

Kara hatte nicht gelogen, als sie behauptete, nicht schwimmen zu können. Aber mit Elders Hilfe war es nicht einmal sehr schwer, durch das Wasser zu tauchen und nur ab und zu den Kopf zu heben, um zu atmen.

Schwieriger war es schon, in das riesige Holzstück hineinzuklettern, denn das Holz war so morsch, daß es unter jeder Berührung einfach abbrach. Nur mit äußerster Anstrengung gelang es Elder und ihr, sich auf den schwankenden Boden hinaufzuziehen. Geduckt, unsicher und sehr vorsichtig bewegten sie sich weiter. Sie mußten aufpassen, wo sie hintraten, denn nur zu oft gab der morsche Boden unter ihnen nach. Einmal brach Elder bis an die Hüften ins Wasser ein, ehe Kara ihn festhalten und wieder in die Höhe ziehen konnte.

Ein Blick über den Rand ihres schwimmenden Verstecks hinweg zeigte ihr, daß der Riesenfisch noch näher gekommen war, seine Fahrt aber verlangsamt hatte. Außerdem hatte sich ihre hölzerne Scholle in Bewegung gesetzt und trieb langsam vom Ufer fort.

Sie beratschlagten einen Moment lang, dann machte Elder einen Vorschlag, der Kara den puren Angstschweiß auf die Stirn trieb, obwohl er sie nicht einmal überraschte. Genaugenommen hatte sie die Idee schon selbst gehabt, es aber nicht gewagt, sie laut auszusprechen.

Mit Elders Hilfe brach sie ein längeres Stück aus der Rinde, ließ es ins Wasser gleiten und legte sich flach darauf. Elder war dicht neben ihr, als sie sich von ihrem schwimmenden Versteck trennten und mit gleichmäßigen Hand- und Fußbewegungen einen Kurs auf den Eisenfisch einzuschlagen versuchten – was sich als recht schwierig gestaltete, denn rings um das riesige Schiff kochte und brodelte das Wasser heftiger als je zuvor. Dreißig oder vierzig Meter vom Ufer entfernt und fast auf gleicher Höhe mit Elder und ihr kam das Schiff schließlich zur Ruhe. Der weiße Schaum versiegte, und Kara hörte ein dumpfes Knirschen, als der stählerne Rumpf den Meeresboden berührte. Endlich lag es vollkommen still. Kara hörte eine Reihe dumpf polternder Schläge, die tief aus seinem Rumpf herausdrangen.

Sie sah sich nach Elder um. Sein Kopf hüpfte wie ein Korken drei oder vier Meter neben ihr auf den Wellen, und obwohl das Wasser so kalt war, daß Kara fast erwartete, kleine Eisklümpchen auftauchen zu sehen, brachte er die Unverschämtheit auf, sie anzugrinsen. Kara selbst hatte das Gefühl, im nächsten Moment nicht nur erfrieren, sondern vor Angst sterben zu müssen. Das Brett, auf dem sie lag, trug sie zuverlässig, und wahrscheinlich war das Wasser an dieser Stelle nicht einmal tief genug, um zu ertrinken. Aber all ihre Instinkte schrien ihr zu, daß der sichere Tod nur noch die Stärke eines verfaulten Brettes von ihr entfernt war. Sie mußte mit aller Macht die Panik niederkämpfen, die sie zu überwältigen drohte. Es war absurd sie hatte in den letzten zehn Jahren gelernt, einen Drachen zwei Meilen über der Erde durch die Luft zu steuern, sie wagte auf Markors Rücken Flugmanöver, die selbst erfahrenen Drachenreitern den Angstschweiß auf die Stirn trieben, aber dieses seichte Wasser trieb sie vor Angst fast in den Wahnsinn. Zu ihrem Entsetzen wandte sich Elder plötzlich dem offenen Meer zu und gab mit einem Zeichen zu verstehen, ihm zu folgen. Kara war viel zu starr vor Angst, um auch nur zu protestieren, und so paddelte sie ungeschickt hinter ihm her, zuerst ein gutes Stück von dem gewaltigen Boot fort, dann in einem weiten Bogen wieder zu ihm zurück, so daß sie sich ihm von der dem Ufer abgewandten Seite näherten.

Auf dem Eisenfisch hatte sich mittlerweile eine Klappe geöffnet, und ein gutes Dutzend Männer waren ins Freie getreten. Sie trugen die gleiche Art blauschwarzer Uniform wie jene beiden, die Kara und Elder oben getroffen hatten, und sie verbargen ihre Gesichter ebenso hinter bizarren Masken aus getöntem Glas. Voller Unbehagen registrierte Kara, daß ein großer Teil von ihnen mit den gläsernen Gewehren ausgerüstet war.

Zum Glück konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit völlig auf das vor ihnen liegende Ufer. Keiner warf auch nur einen Blick auf das Meer hinaus. Allerdings hätten sie Kara und Elder kaum entdeckt. Auf der fast schwarzen Wasseroberfläche waren sie so gut wie unsichtbar. Langsam trieben sie näher. Das Schiff spie immer noch Männer aus, und aus einer zweiten, größeren Luke wurde eine Anzahl der runden Flugscheiben entladen. Kara vermutete, daß ihre Zahl begrenzt war, denn sie brachten jeweils zwei der glasbehelmten Krieger ans Ufer und flogen dann leer zurück, um weitere zu holen.

Als sie sich dem Schiff näherten, geriet das Deck außer Sicht. Kara hörte noch immer das hohe Singen der Kristallscheiben. Sie hoffte, daß alle Männer vom Deck des Schiffes verschwunden waren, wenn sie es erreichten. Gleichzeitig fragte sie sich zum ersten Mal, was sie dort eigentlich wollten.

Auf ihre Frage hin zuckte Elder mit den Schultern. »Wäre doch nett, wenn wir es erobern könnten, oder?«

»Wir beide?« Kara blickte schaudernd an der gewaltigen Flanke des stählernen Fisches hoch, die wie ein Berg aus Eisen vor ihnen aufragte. Einen winzigen Moment lang peinigte sie die Vorstellung, daß das Schiff sich plötzlich bewegen und sie unter seinem gewaltigen Leib zerquetschen könnte. Eine gräßliche Vorstellung. Sie schüttelte sie ab. »Du bist verrückt!«

»Wahrscheinlich. Aber es wäre wirklich phantastisch, dieses Ding in die Hände zu bekommen. Und sei es nur, um zu erfahren, wer diese Kerle eigentlich sind.«

Und schlimmstenfalls, dachte Kara, konnten sie sich immer noch verstecken und warten, bis der Gigant wieder abfuhr. Falls er irgendwann einmal wieder abfuhr und falls sie bis dahin nicht erfroren waren. Ihre Glieder waren schon gefährlich blau angelaufen. Kara sah ein, daß sie auf das Boot klettern mußten, ob sie wollten oder nicht. Wenn Flucht unmöglich war, was außer Angriff blieb ihnen dann schon noch?

An den Seiten des Schiffes waren in regelmäßigen Abständen eiserne Leitersprossen angebracht worden, aber Karas Finger waren so steifgefroren, daß sie drei Versuche brauchte, ehe sie sich auch nur auf die erste der drei Dutzend Sprossen emporziehen konnte. Der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Mit zusammengebissenen Zähnen kletterte sie weiter, hielt aber immer wieder inne, um neue Kraft zu schöpfen. Das Leben kehrte schmerzhaft in ihre Finger und Zehen zurück, aber ihre Muskeln waren immer noch so verkrampft, daß sie nicht einmal sicher war, ob sie ihr Schwert würde halten können.

Sie hielt ein letztes Mal inne, als das Deck eine Handbreit über ihr lag, und warf einen Blick unter sich. Elder folgte ihr in dichtem Abstand. Er sah erschöpft und müde aus wie sie. Sein Gesicht war grau, und er zitterte am ganzen Leib und hatte sichtliche Mühe, sich überhaupt noch auf der Leiter zu halten. Und sie wollten dieses Monstrum von Schiff erobern? Sie mußten völlig verrückt sein!

Vorsichtig kletterte Kara weiter und warf einen Blick über das Deck. Es war verlassen, wie sie gehofft hatte. Nur ein einzelner Posten war zurückgeblieben. Er stand breitbeinig nur wenige Schritte von Kara entfernt, blickte zum Ufer und wandte ihr den Rücken zu.

Kara ließ sich wieder ein Stück zurücksinken und sah zu Elder hinab. »Ein Wächter«, flüsterte sie.

»Aha«, sagte Elder müde.

»Du oder ich?«

»Alter vor Schönheit«, murmelte Elder. »Ich schenke ihn Dir.«

»Danke«, knurrte Kara – obwohl sie gleichzeitig einsah, saß ihre Frage ziemlich überflüssig gewesen war. Sie war nun einmal die erste auf der Leiter. Vorsichtig zog sie sich weiter empor, bis sie zuerst das rechte, dann das linke Knie auf das Deck schieben konnte. Langsam richtete sie sich ganz auf und beobachtete den Posten mit angehaltenem Atem. Nichts. Er hatte sie nicht bemerkt. Seine Konzentration galt voll und ganz dem, was sich am Ufer abspielte.

Bis zu dem Moment, in dem Kara den ersten Schritt machte. Das Wasser in ihren Stiefeln verursachte ein deutlich hörbares, quietschendes Geräusch, und der Posten fuhr erschrocken herum. Sein Unterkiefer klappte herunter, als er das dunkelhaarige, bis auf die Haut durchnäßte Mädchen hinter sich erblickte.

Kara machte einen Satz, riß den Fuß hoch und versetzte ihm einen überraschend kräftigen Tritt unter das Kinn. Der Kopf des Mannes flog mit einem harten Ruck in den Nacken. Sie konnte hören, wie sein Genick brach. Kara war mit einem Satz bei ihm und fing ihn auf, bevor er auf das Deck schlagen konnte. Er war ziemlich schwer. Ihre verkrampften Muskeln versagten ihr den Gehorsam, so daß sie ihn wahrscheinlich fallengelassen hätte, wäre nicht in diesem Moment Elder neben ihr aufgetaucht. Gemeinsam schleiften sie den Toten über das Deck und warfen ihn kurzerhand über Bord – nachdem Kara die Laserpistole aus seinem Gürtel gezogen hatte.

Elder sah sie überrascht an.

»Man kann nie wissen«, sagte Kara, während sie die Waffe unter ihrem Mantel verschwinden ließ.

Sie warf einen raschen Blick zum Ufer hinüber. Die Krieger hatten sich auf dem felsigen Strand verteilt und suchten pedantisch jeden Fußbreit Boden ab. Niemand hatte bemerkt, was geschehen war.

Instinktiv wollte Kara zu der Luke eilen, durch die die Männer das Schiff verlassen hatten, aber Elder schüttelte hastig den Kopf und deutete auf die andere Luke, aus der die Flugscheiben herausgekommen waren. Wahrscheinlich hat er recht, dachte Kara. Es war sicherer, durch eine Ladeluke einzudringen, statt durch eine Tür, hinter der es vermutlich von Soldaten wimmelte.

Kara bewegte unter Schmerzen die Finger, um das Leben in ihre abgestorbenen Glieder zurückzuzwingen. Es tat entsetzlich weh; es würde vermutlich Tage dauern, bis ihre Muskeln die gewohnte Geschmeidigkeit zurückerlangt hatten, aber sie konnte sich wenigstens bewegen. Geduckt näherten sie sich der Ladeluke. Elder warf einen aufmerksamen Blick in die Tiefe und gab ihr dann mit einem Nicken zu verstehen, daß alles in Ordnung war. Nacheinander kletterten sie in die Tiefe.

Das pulsierende Licht der Leuchtkugel, die sonderbarerweise noch immer brannte, blieb über ihnen zurück, aber dafür umgab sie ein kalter, blauer Schein, in dem alle Farben falsch und alle Bewegungen abgehackt wirkten. Ein dumpfes Dröhnen und Rauschen drang an ihr Ohr, und ein warmer Lufthauch schlug ihnen in die Gesichter.

Aufmerksam blickte Kara sich um. Sie befanden sich in einem niedrigen, mit Schränken und Regalen vollgestopften Raum. Der Boden bestand aus geriffeltem, vielfach durchbrochenen Metall. In einem großen Gestell aus stählernen Trägern hingen drei der kristallenen Flugscheiben, und das Gestell selbst bot noch Platz für sieben weitere der bizarren Fluggeräte. An jedem Ende des langgestreckten Raumes gab es eine halbrunde Tür aus Metall, die äußerst massiv aussah.

Sie gingen in Richtung Bug. Elder brauchte nur einen Moment, um den simplen Öffnungsmechanismus der Tür zu durchschauen, der nur aus einem massiven eisernen Speichenrad bestand. Die Tür war nicht verriegelt; nachdem Elder keuchend das Rad zweimal gedreht hatte, schwang sie beinahe lautlos nach innen und gab den Blick auf einen schmalen, vom gleichen bläulichen Licht erfüllten Gang frei. Zahlreiche Türen zweigten davon ab. Alles hier unten war aus Metall. Kara hörte eine Reihe verwirrender Laute, die sie nicht einordnen konnte. Niemand war zu sehen. Vielleicht war wirklich die gesamte Besatzung dieses sonderbaren Eisenschiffes von Bord gegangen. Aber Kara glaubte nicht daran, daß sie soviel Glück hatten. »Und jetzt?« fragte sie.

Elder überlegte einen Moment. Sein Blick tastete aufmerksam über die gleichförmigen, grauen Türen. Kara hatte das Gefühl, daß er nach etwas suchte. »Es muß eine Art... zentralen Raum geben«, sagte er schließlich. »Wie die Brücke auf einem Schiff, verstehst du?«

»Nein«, sagte Kara. »Wieso?«

»Wenn wir irgendwo Schaden genug anrichten können, um dieses Ding lahmzulegen, dann dort.«

»Wieso zerstören wir nicht einfach die Maschinen, die es antreiben?« fragte Kara.

»Hast du eine Vorstellung, wie groß sie wahrscheinlich sind?«

Elder schüttelte entschieden den Kopf. »Komm, ehe sie merken, daß der Posten nicht mehr da ist.«

Er zog die schwere Tür ohne spürbare Anstrengung weiter auf und begann geduckt den Gang vor Kara entlangzuhuschen. Kara rechnete jeden Augenblick damit, daß eine der Türen auffliegen und irgend jemand sie angreifen würde, aber sie erreichten unbehelligt das jenseitige Ende des Ganges. Hinter der Tür lag ein runder Schacht, in dem eine schmale Metalleiter nach oben und unten führte. Die Luft war feucht. Stimmen und eine Vielzahl anderer, verwirrender Laute drangen aus der Tiefe zu ihnen.

»Dort oben geht es wahrscheinlich zum Turm«, flüsterte Elder.

Kara deutete nach unten. »Und dort zu deinem zentralen Raum«, sagte Kara. »Worauf warten wir. Eine bessere Chance bekommen wir nicht.«

»Reinkommen ist nicht das Problem«, sagte Elder. »Ich möchte ganz gern auch wieder lebendig rauskommen«. Er sah sich suchend um. Rasch kletterte er über die Leiter in die Höhe. Sie gelangten in einen runden Raum, der sich tatsächlich im Turm des Schiffes zu befinden schien, denn über ihren Köpfen lag eine runde, offenstehende Luke, über der das flackernde Licht der Leuchtkugel zu sehen war. Ein Schatten bewegte sich über ihnen. Kara erschrak. Wenn sie einen Posten auf dem Turm zurückgelassen hatten, dann konnte ihnen das Verschwinden des zweiten Wächters nicht mehr sehr lange verborgen bleiben.

Es gab drei Türen. Elder probierte sie rasch nacheinander aus, schlüpfte durch die dritte hindurch. Kara hörte ein klatschendes Geräusch, dann einen Aufprall. Hastig folgte sie Elder, die rechte Hand auf dem Schwertgriff. Aber er brauchte keine Hilfe. Er stand gebeugt über einer reglosen Gestalt am Boden, die eine schwarzblaue Uniform und einen Helm mit einem Glasvisier trug. Der winzige Raum war mit verwirrenden Apparaturen und Gerätschaften vollgestopft.

Elder zog dem Mann den Helm vom Kopf und streifte ihn sich selbst über. Sein Gesicht verschwand hinter getöntem Glas, worauf eine unheimliche Veränderung mit ihm vonstatten ging. Er schien plötzlich zu einem von ihnen zu werden. Kara starrte ihn an.

»Was hast du?« fragte Elder.

»Nichts«, antwortete Kara hastig. Verrückt! Für einen winzigen Augenblick war sie davon überzeugt gewesen, daß er einer von ihnen war. »Es ist nichts«, sagte sie noch einmal. »Ich war erschrocken. Du siehst unheimlich aus mit dem Ding. Was soll das?«

»Tarnung«, erklärte Elder. »Schade, daß wir nicht auch einen für dich haben. Es wäre – he!«

»Was ist?« fragte Kara alarmiert.

»Das ist... faszinierend!« sagte Elder. »In dem Glas sind plötzlich Bilder. Und Buchstaben und Zahlen. Sieht man sie von außen?«

Kara schüttelte den Kopf. »Was bedeuten sie?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, erwiderte Elder. »Aber es ist einfach unglaublich. Ich werde das Ding auf jeden Fall mitnehmen.«

Kara verdrehte die Augen und seufzte. In diesem Moment regte sich der Mann zu Elders Füßen stöhnend. Elder versetzte ihm einen Faustschlag unter das Kinn, der ihn sofort wieder erschlaffen ließ.

»Er lebt noch«, sagte Kara vorwurfsvoll.

»Man kann einen Gegner auch ausschalten, ohne ihn gleich umzubringen«, sagte Elder. »Darüber solltest du vielleicht einmal nachdenken.«

»Habe ich«, antwortete Kara. »Das Problem ist, daß er irgendwann wieder aufsteht«.

»Und wenn du ihn umbringst, kommt ein anderer an seiner Stelle. Oder auch zehn. Oder hundert.«

»Du weißt eine Menge über diese Burschen«, sagte Kara.

»Woher willst du wissen, daß es nicht nur ein paar sind?«

Elder schnaubte. »Sieh dich doch um! Glaubst du, sie hätten dieses Ding auf dem Müll gefunden oder aus ein paar alten Ersatzteilen zusammengeschraubt? Begreife doch! Angella hatte recht. Das hier ist keine Bande von Halsabschneidern und Lumpen. Das hier ist eine Invasion!«

Kara fror plötzlich wieder. Elders Eröffnung hätte sie eigentlich nicht überraschen dürfen, und doch erschütterten sie seine Worte bis ins Innerste. Er hatte recht. Der Alptraum, auf den Angella sie und alle anderen ihr Leben lang vorbereitet hatte, war zur Wirklichkeit geworden. Sie fragte sich, ob es wirklich Zufall war, daß Angella das erste Opfer dieser Invasion geworden war oder nur eine besondere Ironie des Schicksals.

»Du wolltest... irgend etwas beschädigen, damit sie nicht weg können«, sagte sie stockend.

Elder sah sich einen Moment lang suchend um, dann hob er die Schultern. »Ich denke, ich kümmere mich erst einmal um den Burschen auf dem Turm«, sagte er. »Ich habe gern den Rücken frei. Warte hier!« Ehe Kara ihn zurückhalten konnte, schlüpfte er aus der Tür und war verschwunden.

Er blieb nicht sehr lange fort. Nach kaum einer Minute hörte Kara eine Reihe gedämpfter, metallisch klingender Laute; kurz darauf kam Elder zurück.

»Was hast du getan?«

»Dafür gesorgt, daß sie so schnell hier nicht wegkommen«, antwortete Elder. »Wenigstens hoffe ich das.«

Kara blickte fragend.

»Das hier scheint eine Art Schiff zu sein, das unter Wasser fahren kann«, erklärte Elder. »Ich bin gespannt, wie sie das anstellen, ohne das Turmluk zu schließen.«

Sie verließen die Kammer, kletterten wieder in die Tiefe und passierten unbehelligt den Ausgang, durch den sie hergekommen waren. Der Boden des nächsten Ganges lag noch vier oder fünf Meter unter ihnen, als das Licht plötzlich von blau zu rot wechselte und zu pulsieren begann. Gleichzeitig zerriß ein heulender, an- und abschwellender Ton die Luft.

»Verfluchter Mist!« schimpfte Elder. »Sie müssen den Posten gefunden haben!« Er überwand das letzte Stück der Leiter mit einem gewagten Satz, drehte sich in der gleichen Bewegung, in der er die Kraft des Sprunges abfederte, einmal um seine Achse und gab Kara dann mit einer Geste zu verstehen, daß sie ihm folgen sollte. Dann flog plötzlich eine Tür in Elders Rücken auf, und einer der Blauuniformierten stürmte heraus. Elder schlug ihn nieder und fing ihn auf, ehe er zu Boden stürzen konnte. Mit vereinten Kräften schleiften sie den Mann in den Raum zurück, aus dem er gekommen war.

Elder ließ ihn zu Boden sinken, band ihm die Hände auf dem Rücken zusammen und versuchte, ihm den Helm abzunehmen. Kara sah sich um, während Elder mit dem ledernen Kinnriemen des Helmes kämpfte. Sie befanden sich in einer kleinen, offensichtlich für vier Männer gedachten Kabine: an beiden Wänden rechts und links der Tür standen vier Betten, jeweils zwei übereinander, der restliche verbliebene Raum wurde fast völlig von vier Spinden und einem an der Wand verschraubten Tisch eingenommen. An den Spindtüren hingen bunte Bilder.

»Hier!« Elder hatte den Helm endlich dem Mann vom Kopf gezogen und hielt ihn Kara hin. Sie setzte ihn auf, und die Welt war plötzlich um eine Nuance dunkler, doch sie sah keine Bilder wie Elder zuvor.

Ihre Nerven waren bis zum Zerreißen angespannt, als sie die Kabine hinter Elder wieder verließ. Sie näherten sich den Stimmen und Geräuschen, die aus einem Raum am Ende des langen Korridors drangen. Obwohl im Schiff noch immer die Alarmsirenen widerhallten, begegnete ihnen niemand mehr. Entweder befand sich der Großteil der Besatzung tatsächlich nicht an Bord, oder alle Männer hatten bereits Gefechtsposition bezogen, als der Alarm losging.

Zwei Schritte vor der Tür bedeutete Elder Kara mit Handzeichen, vorsichtiger zu sein. Sie preßten sich rechts und links des Durchganges gegen die Wand, lauschten einen Moment, dann schob sich Kara weiter und lugte vorsichtig durch die Tür in den dahinterliegenden Raum.

Im ersten Moment erkannte sie nichts außer einem verwirrenden Durcheinander. Der Raum wirkte winzig, weil sämtliche Wände, ja sogar die Decke und der Boden mit Instrumenten, Skalen, Bildschirmen und anderen technischen Geräten versehen war. Ein knappes Dutzend Männer stand oder saß an diesen Apparaturen, und genau gegenüber der Tür prangte ein gewaltiger, dreidimensionaler Monitor, ganz ähnlich den Geräten, die Kara im Drachenfels gesehen hatte; nur viel größer und mit einem viel schärferen Bild.

Als ihr Blick das Bild auf dem Monitor erfaßte, wurde ihr klar, wie sie unbehelligt so weit hatten vordringen können. Der Alarm galt nicht ihnen. Der Monitor zeigte den Abschnitt des Strandes, auf dem die Männer mit ihren kleinen Flugscheiben niedergegangen waren. Immer wieder zuckten grüne und rote Lichtblitze zum oder vom Himmel, Männer hetzten wild durcheinander, schossen oder wurden selbst von großen, über den Himmel fegenden Schatten unter Feuer genommen. Elders Leute waren gekommen. Und offensichtlich ließen sie sich doch nicht ganz so leicht vom Himmel schießen, wie Elder befürchtet hatte.

Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf einen Mann, der mit dem Rücken zur Tür stand und mit lauter Stimme in ein Mikrofon sprach. »Diver vier an Diver eins und drei. Wir haben hier Schwierigkeiten. Ich glaube, wir kommen allein zurecht, aber es ist wahrscheinlich besser, wenn ihr erst einmal auf Distanz bleibt.«

Diver vier? Bedeutete das, daß es noch drei weitere von diesen Ungeheuern aus Eisen gab? Elder hatte recht gehabt – es war eine Invasion.

Elder machte eine Geste, und Kara reagierte so schnell und präzise, als wären sie ein seit langer Zeit perfekt aufeinander eingespieltes Team: mit einer fast gleichzeitigen Bewegung drehten sich beide durch die Tür und blieben rechts und links des Einganges stehen. Kara zog ihr Schwert und setzte die Spitze der meterlangen Klinge an die Halsschlagader eines Mannes, der unweit der Tür vor einem Pult saß und auf der Stelle erstarrte. Elder zog mit einer ebenso schnellen Bewegung seine Pistole und zielte auf den Mann am Bildschirm.

Von allen hier im Zentralraum reagierte er als allererster, obwohl er wahrscheinlich der Kommandant dieses Bootes war. Jedes Wort in dem halbrunden Raum verstummte. Eine Sekunde lang schienen selbst die leise summenden Apparaturen den Atem anzuhalten, dann fuhr der Mann vor dem Bildschirm blitzschnell herum, versuchte seine Waffe zu ziehen – und fiel mit einem Schmerzlaut auf die Knie, als Elder ihm den Lauf seiner Waffe hart ins Gesicht schlug.

»Noch so eine Dummheit«, sagte Elder, »und ich erschieße dich. Und das gilt für jeden hier!«

Stöhnend richtete sich der Mann wieder auf, den Elder niedergeschlagen hatte. Aus einer Wunde über seiner Stirn lief Blut und malte eine gezackte rote Linie auf seine Wange. Sein Gesicht war verzerrt, aber nicht vor Schmerz oder Furcht was Kara in seinen Augen las, war grenzenloses Entsetzen über ihr plötzliches Auftauchen, Offensichtlich überstieg die Vorstellung, daß es zwei Fremden gelungen sein sollte, unbemerkt in sein Allerheiligstes vorzudringen, einfach sein Fassungsvermögen. »Was wollt ihr?« stammelte er. »Wer seid ihr? Was wollt ihr hier!«

»Dein Schiff«, antwortete Elder. »Was sonst?«

Der Ausdruck von Fassungslosigkeit auf dem Gesicht des Kapitäns wich purem, unverfälschtem Entsetzen. »Ihr wollt... was?« krächzte er. »Ihr müßt... ihr müßt vollkommen verrückt sein!«

»Stimmt«, sagte Kara. »Du solltest das bedenken, bevor du irgend etwas tust.«

»Ihr habt keine Chance«, versuchte der Kapitän eine neue Taktik einzuschlagen. »Ihr kommt hier niemals lebend raus!«

»Möglich«, sagte Elder, schwenkte den Lauf seiner Laserpistole und gab einen einzelnen Schuß ab. Der dünne Lichtblitz fuhr in das Pult hinter dem Kapitän und verursachte eine funkensprühende Explosion. Flammen zügelten aus dem Pult, und zwei oder drei Männer wollten instinktiv aufspringen, um den Brand zu bekämpfen, erstarrten aber mitten in der Bewegung, als Elder drohend mit seiner Waffe gestikulierte.

»Ich kann weitermachen«, sagte er, »und hier alles kurz- und kleinschießen. Oder du legst das Schiff freiwillig auf Grund.«

»Warum sollte ich so etwas tun?« fragte der Kapitän. »Außerdem liegt es bereits auf Grund, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.«

»Du weißt ganz gut, was ich meine«, sagte Elder unwillig. »Und der Unterschied ist ganz einfach der, daß wir dein Schiff sowieso bekommen – aber es liegt an dir, ob du und deine Leute dann noch am Leben sind oder nicht. Also?«

Der Kapitän wollte antworten, aber er kam nicht dazu.

Etwas traf mit unvorstellbarer Wucht den Schiffsrumpf und ließ ihn dröhnen wie eine hundert Meter lange, gußeiserne Glocke, und mit Ausnahme Karas, die sich instinktiv am Türrahmen festklammerte, fegte die Erschütterung jedermann im Kommandoraum von den Füßen. Auch Elder. In fast jeder anderen Situation wäre die Besatzung in diesem Moment über die beiden Eindringlinge hergefallen, aber die Männer schienen von der plötzlichen Erschütterung ebenso überrascht wie Kara und Elder zu sein, und als sie sich von dieser Überraschung erholt hatten, war Elder bereits wieder auf den Beinen und schwenkte drohend seine Waffe.

»Also?« fragte er. »Wie es aussieht, bleibt dir nicht mehr allzu viel Zeit, dich zu entscheiden.« Wie um dem zögerlichen Kapitän ein wenig auf die Sprünge zu helfen, hob er demonstrativ seine Waffe und zielte auf ein weiteres Pult.

»Nicht«, sagte der Kapitän hastig. »Ich tue, was du verlangst. Wenn du auf die falsche Stelle schießt, fliegen wir hier alle in die Luft!«

»Gut zu wissen«, grinste Elder.

Kara warf gelegentlich einen Blick über die Schulter in den Gang zurück. Bisher schien niemand außerhalb dieses Raumes ihr Eindringen bemerkt zu haben. Trotzdem machte sie sich nichts vor.

Sie standen zu zweit fünf Gegnern gegenüber, und jeder von ihnen war ein ausgebildeter Soldat. Sie durften ihr Glück nicht überstrapazieren.

»Beeil dich«, sagte sie an Elder gewandt.

Elder fuchtelte mit seiner Waffe, als der Kapitän noch immer zögerte. »Du hast sie gehört.«

Kara versuchte, einen Blick auf den Monitor zu erhaschen, während der Kapitän an seine Kontrollen trat und in rascher Folge Schalter umzulegen begann. Aber sie konnte nicht viel erkennen. Die Soldaten auf dem Strand kämpften gegen einen Gegner, der sie von zwei Seiten angriff: aus der Deckung der Felsen heraus und vom Ende des Tunnels. Sie konnte nicht sehen, um wen es sich dabei handelte.

Der Kommandant legte einen Hebel nach dem anderen um, und allmählich begann sich etwas in der Geräuschkulisse des Schiffes zu ändern. Kara konnte nicht sagen was – aber irgend etwas tat sich.

Ein unsichtbar angebrachter Lautsprecher knackte, dann sagte eine Stimme aus dem Irgendwo: »Steeler hier, Maschinenraum. Das ist doch nicht Ihr Ernst, Commander. Bitte begründen Sie diesen Befehl!«

Der Kapitän sah Elder stirnrunzelnd an. Elder überlegte einen Moment, dann nickte er widerstrebend. »Sagen Sie etwas«, sagte er, »bevor er Verdacht schöpft. Keine Tricks!«

Commander berührte eine Taste. »Steeler? Sie haben richtig verstanden. Schalten Sie die Reaktoren ab.«

»Aber ich brauche eine Woche, um sie wieder hochzufahren«, erwiderte Steeler noch immer ungläubig.

»Das war ein Befehl, Steeler«, erklärte Commander mit fester Stimme. »Schalten Sie die Generatoren ab.«

»Ich denke ja nicht daran«, antwortete Steeler. »Ich komme rauf. Das will ich aus Ihrem eigenen Mund hören!« Ein scharfes Knacken verkündete das Ende der Sprechverbindung.

»Verdammt!« Elder biß sich zornig auf die Unterlippe. »Das war doch ein Trick, oder?«

»Du hast Steeler gehört«, antwortete Commander gelassen. »Ich kann nichts tun. Er hat seinen eigenen Kopf, wenn es um seine Maschinen geht.« Er sah erst Elder, dann Kara durchdringend an. »Gebt auf, ihr habt keine Chance. Selbst wenn ihr Steeler auch noch kidnappt – ihr könnt nicht die ganze Besatzung gefangennehmen.«

»Er hat recht, Elder«, sagte Kara. »Laß uns von hier verschwinden, so lange wir es noch können!«

Elder überlegte fieberhaft. Kara konnte sich vorstellen, was in ihm vorging. Die Vorstellung, dieses phantastische Fahrzeug in seine Hand zu bekommen, mußte eine ungeheure Verlockung für ihn darstellen. Aber ihre Chancen standen wirklich erbärmlich schlecht – vorsichtig formuliert.

»Das Mädchen hat recht«, sagte Commander. Er streckte vorsichtig die Hand aus. »Gib mir die Waffe. Ich verspreche dir, daß wir euch am Leben lassen.«

»So habe ich das nicht gemeint«, sagte Kara, und Elder nickte bekräftigend, hob seine Waffe und ließ den grellen Laserstrahl in einer weit ausholenden Bewegung durch den Raum kreisen. Flammen und Funken stoben auf. Bildschirme explodierten in grellweißen Stichflammen und überschütteten den Raum mit glühenden, scharfkantigen Glassplittern und Feuer. Männer warfen sich mit entsetzten Sprüngen in Deckung, und in das noch immer anhaltende Heulen der Alarmsirenen mischte sich ein zweiter, schriller Ton.

Elders Laserstrahl hinterließ eine Spur der Zerstörung. Trotzdem glaubte Kara nicht, daß sie dieses gewaltige Schiff ernsthaft in Gefahr bringen konnten. Doch jeder Schaden, den sie dem Feind zufügten, konnte ihnen nutzen.

»Das reicht«, sagte sie und winkte Elder. »Los jetzt – raus hier!«

»Sofort!« Elder hatte einen Monitor erspäht, den er noch nicht zerstört hatte, und jagte einen gezielten Schuß hinein. Dann war er mit einem Satz auf dem Gang draußen, zog die schwere Eisentür mit einem Ruck zu und verschweißte das Schloß mit einem Schuß aus seiner Laserpistole.

Als sie sich umwandten, um zur Leiter zu laufen, erschien der Kopf eines grauhaarigen Mannes über dem Schachtrand. Sein Gesicht war rot vor Zorn; und seine hektischen Bewegungen verrieten den Grad seiner Erregung. Steeler.

Elder gab im Laufen einen Schuß auf ihn ab. Er verfehlte ihn. Neben Steelers Gesicht sprühten weißglühende Funken auf und trieben ihn hastig in den Schacht zurück. Kara war sehr sicher, daß Elder absichtlich vorbeigeschossen hatte.

Sie erreichten die Leiter, die zum Turm hinaufführte, aber Elder winkte hastig ab, als Kara nach den Metallsprossen greifen wollte. Er gab zwei, drei ungezielte Schüsse in die nächstuntere Etage ab, wohin Steeler verschwunden war, sprang mit einem Satz über den Schacht hinweg und sah sich wild um. Auf dem Gang vor ihnen öffnete sich eine Tür. Elder schoß, und sie wurde hastig wieder zugeschlagen.

Wie von Furien gehetzt rannten sie den Weg zurück, den sie gekommen waren. Sonderbarerweise wurden sie nicht angegriffen, ja, nicht einmal aufgehalten, bis sie den Laderaum erreicht hatten, durch den sie auch hereingekommen waren. Wahrscheinlich waren wirklich alle Soldaten von Bord gegangen, so daß sie es nur mit ein paar verschreckten Matrosen und Technikern zu tun hatten.

Elder warf die Tür hinter sich zu, verschweißte auch sie mit einem gezielten Laserschuß und begann dann an einer der kristallenen Flugscheiben herumzuzerren, die noch in ihren Tragegestellen lag. Es dauerte einen Moment, bis Kara begriff, was er überhaupt vorhatte, aber dann half sie ihm. Mit vereinten Kräften wuchteten sie die Scheibe zu Boden. Elder begann mit fliegenden Fingern nach irgend etwas zu suchen, womit er sie einschalten konnte, während Kara einen besorgten Blick nach oben warf. Die Lichtkugel brannte noch immer, und vom Strand her zuckte ein wahres Gewitter verschiedenfarbiger Lichtblitze herüber. Sie hörte Schreie und dumpfe Explosionen. »Verdammt!« fluchte Elder. »Irgendwie muß dieses Scheißding doch angehen!« Er schlug wütend mit der Faust auf das halb durchsichtige Kristall und sah zu Kara auf. Mit der anderen Hand deutete er auf die Metallschränke und –kisten, die sich im rückwärtigen Teil des Lagerraums befanden. »Sieh zu, ob du irgend etwas findest, was uns nutzt. Ich schätze, wir bekommen gleich Besuch!«

Kara gehorchte. Elders Verhalten gab ihr immer mehr Rätsel auf – sie hatte gewußt, daß er sich eine Zeitlang mit dem technischen Erbe der Alten Welt beschäftigt hatte. Aber er verstand ihrer Meinung nach beinahe ein wenig zuviel von der Funktion all dieser fremdartigen Maschinen und Apparaturen. Einen Moment lang hatte sie sogar geglaubt, daß er zu ihnen gehörte; irgendwie. Aber wieso wußte er dann nicht einmal, wie man eine Flugscheibe einschaltete?

Sie verscheuchte den Gedanken und machte sich daran, die Schränke und Kisten zu durchsuchen. Die meisten waren verschlossen, und in den anderen fand sie buchstäblich Tausende verschiedener Dinge, von denen ihr nicht ein einziges etwas sagte. Schließlich wählte sie eine Anzahl von Gegenständen aus, die ihr noch die größte Ähnlichkeit mit irgendeiner Art von Waffe zu haben schien, und trug sie zu Elder zurück. Elder warf das meiste einfach achtlos zu Boden und behielt nur ein schwarzes, klobiges Kästchen, auf dessen Oberseite sich zwei kleine rote Tasten befanden. Gleichzeitig berührte er eine Stelle am Rand der Flugscheibe, und das Kara schon bekannte Singen und Pfeifen hob an. Die Scheibe glitt in die Höhe.

»Gibt es noch’ mehr von diesen Dingern?« Elder deutete mit dem Kinn auf das Kästchen in seiner Hand.

Kara nickte. »Eine ganze Kiste. Zehn oder zwölf, mindestens. Soll ich sie holen?«

Elders Finger berührten in einem raschen, verwirrenden Rhythmus die beiden Tasten, und auf der gerade noch ebenmäßigen Oberfläche des Kästchens begannen grüne Leuchtbuchstaben zu flackern. »Nein«, sagte er. »Bring das zurück und leg es zu den anderen.«

»Du verstehst eine Menge von solchen Sachen, wie?« fragte Kara mißtrauisch. »Wie kommt das?«

Elder zögerte. »Ich erkläre es dir«, sagte er schließlich, »sobald wir hier raus sind. Aber jetzt bring das Ding zurück und komm. Wir haben noch genau fünf Minuten.«

Kara trug das Kästchen zu der Kiste zurück, dann kletterte sie neben Elder auf die schwankende Flugscheibe hinauf, und sie stiegen langsam in die Höhe.

Als sie über den Rand der Ladeluke glitten, durchschnitt ein grüner Lichtstrahl die Luft und traf Elder in die Brust. Lautlos glitt er nach hinten, stürzte auf das Deck zurück und schlug schwer auf dem stählernen Boden auf.

Durch die jähe Gewichtsveränderung geriet die Scheibe für einen Moment ins Trudeln – und das rettete Kara das Leben. Ein zweiter Lichtblitz stach nach ihr und hätte sie unweigerlich getroffen, wäre sie nicht mitsamt ihres Fluggefährts zur Seite gekippt. Sie torkelte, fiel auf die Knie herab und kämpfte einen Moment lang verzweifelt darum, nicht zu stürzen. Gleichzeitig versuchte sie zu erkennen, wer auf sie schoß.

Drei Mann waren auf dem Turm erschienen. Ein weiterer tauchte in der kleinen Luke davor auf; auch er legte sofort auf sie an.

Kara hantierte verzweifelt an den Kontrollen der Scheibe. Als Elder das Gerät bedient hatte, hatte es so leicht ausgesehen, aber ihre eigenen Versuche führten nur dazu, daß die Scheibe immer wildere Sprünge ausführte und es ihr immer schwerer fiel, sich auf ihrer Oberfläche zu halten. Allerdings gab sie so auch ein sehr schwer zu treffendes Ziel ab. Die Männer schossen noch immer auf sie, aber sie konnten lediglich darauf hoffen, einen Zufallstreffer anzubringen. Im Zickzack glitt die Scheibe über das Deck des Bootes, näherte sich gefährlich dem Turm und raste dann fast im rechten Winkel auf das Wasser hinaus und auf den Strand zu. Kara verwandte eine halbe Sekunde darauf, sich den Kampf am Ufer anzuschauen. Das Zucken der grünen und weißen Lichtblitze hielt immer noch an, aber die Uniformierten schienen die Oberhand zu gewinnen: In der Luft über ihnen kreisten nur noch zwei oder drei gewaltige Käfergestalten; eine sehr viel größere Anzahl lag verkohlt am Strand oder im seichten Wasser. Elders Männer hatten gegen einen derart überlegen bewaffneten und rücksichtslosen Gegner keine Chance gehabt!

Allmählich brachte Kara die Flugscheibe in ihre Gewalt: Sie kauerte sich so eng auf ihr zusammen, wie sie konnte, denn sie rechnete damit, daß die Männer auf dem Schiff ihr Feuer verstärken würden, nun, da sie ein sicheres Ziel bot.

Das Gegenteil aber war der Fall.

Die grünen Blitze hörten plötzlich auf, nach ihr zu züngeln, und als Kara irritiert zum Schiff zurücksah, begriff sie auch den Grund: Aus der Ladeluke stiegen die beiden verbliebenen Flugscheiben empor. Die Männer hatten nicht sehr lange gebraucht, um die von Elder zugeschweißte Tür zu überwinden. Die beiden Scheiben kamen rasend schnell näher.

Fluchend hämmerte Kara auf den Kontrollen der Scheibe herum, erreichte aber nur, daß sie wieder zu trudeln begann. Verzweifelt blickte sie zum Strand hinüber und versuchte die Zeit abzuschätzen, die sie noch brauchte, um ihn zu erreichen. Sie würde es nicht schaffen, denn ihre Verfolger hatten noch an Tempo gewonnen. Entschlossen richtete sie sich auf der über der Wasseroberfläche dahinrasenden Scheibe auf, suchte mit gespreizten Beinen festen Halt und zog ihr Schwert.

Einer der beiden Männer hob sein Gewehr und drückte ab. Kara wappnete sich gegen den entsetzlichen Schmerz, der alles auslöschen mußte. Aber der Schmerz kam nicht. Der grüne Lichtblitz traf die Scheibe, auf der sie stand, und ließ sie in Millionen winziger Splitter zerbersten. Eine halbe Sekunde lang flog Kara noch fast waagerecht über das Wasser, dann prallte sie auf und versank.

Der Aufschlag hatte ihr fast das Bewußtsein geraubt. Drei, vier Meter tauchte sie unter, preßte instinktiv die Lippen zusammen und machte instinktiv hilflose Schwimmbewegungen. Sie versuchte, den entsetzlichen Druck auf ihrer Brust zu ignorieren und öffnete die Augen. Überrascht stellt sie fest, daß es nicht dunkel um sie herum war – auch hier herrschte der gleiche, unheimliche graue Schimmer wie in der Höhle; die Wasseroberfläche über ihr spiegelte das gelbe Licht der Leuchtkugel wider, so daß sie einige Meter weit sehen konnte. In der nächsten Sekunde wünschte sie sich, sie hätte ihre Augen besser nicht geöffnet.

Ein riesiger Schatten, mit Zähnen und Klauen und einem gewaltigen, schwarzbraun geschuppten Leib, bewegte sich rasend schnell auf sie zu! Wer, zum Teufel, hatte gesagt, daß dieses unterirdische Meer kein Leben beherbergte?

Voller Panik paddelte sie und trat Wasser, so schnell sie konnte. Prustend durchstieß sie die Wasseroberfläche und fiel zurück, noch ehe sie Zeit für einen Atemzug fand. Doch sie tauchte nicht weit unter, denn etwas schrammte so rauh wie Sandpapier an ihren Beinen entlang und katapultierte sie regelrecht aus dem Wasser. Im gleichen Moment griff eine starke Hand nach ihr, krallte sich in ihre Schulter und hielt sie fest. Kara schrie gellend auf, vor ihrem inneren Auge entstand noch einmal das Bild des gewaltigen Ungeheuers, das sie gesehen hatte: riesig, geschuppt und mit entsetzlichen Krallen, die sie mit einem einzigen Hieb in Stücke reißen mußten.

Erst dann wurde ihr klar, daß man Luft brauchte, um schreien zu können. Abrupt öffnete sie die Augen und blickte in das Gesicht eines der beiden Männer, die sie verfolgt hatten. Ihr Oberkörper lag auf der Kristallscheibe, die kaum eine Handbreit über dem Wasser schwebte. Mit einer kraftlosen Bewegung versuchte sie, die Hand beiseite zu schieben, die sie hielt, und erntete eine schallende Ohrfeige.

»Laß das!« sagte der Mann streng. »Oder du kannst zum Schiff zurückschwimmen.«

Eine schemenhafte Bewegung glitt durch das Wasser. Ein riesiger, plumper Umriß zog in einem großen, aber sehr schnellen Bogen um die Flugscheibe herum und kam wieder näher.

Der Mann auf der zweiten Scheibe bemerkte die Bewegung im gleichen Moment wie sie. Mißtrauisch runzelte er die Stirn und richtete seine Waffe auf das Wasser. »Da ist irgend etwas«, sagte er. »Irgend so ein verdammtes Vieh, das – «

Der Schatten machte einen regelrechten Satz; ein ungeheurer Schlag traf die Kristallscheibe und zerschmetterte sie, und das riesige Wesen griff nach dem Mann und zog ihn mit einem Ruck in die Tiefe.

Der Mann, der sie gepackt hatte, schrie entsetzt auf und ließ ihre Schultern los. Kara rutschte auf der glatten Oberfläche der Scheibe zurück, versuchte sich verzweifelt irgendwo festzuklammern und ergriff zufällig den Knöchel des Mannes. Er schrie abermals auf und begann mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht zu kämpfen, wodurch die ganze Scheibe gefährlich ins Schwanken geriet.

Kara strampelte wie besessen mit den Beinen und warf einen Blick zu der Stelle zurück, an der die zweite Flugscheibe verschwunden war. Das Wasser schien zu kochen. Blasen und weißer Schaum tanzten auf seiner Oberfläche, und plötzlich färbte sich der Schaum rot.

Der Bursche über ihr trat nach ihrer Hand. Kara keuchte vor Schmerz, ließ aber nicht los. Sie war verloren, wenn sie es tat. Selbst wenn das Ungeheuer sie nicht zerriß, würde sie ertrinken! Mit zusammengebissenen Zähnen klammerte sie sich fest. Der Mann trat noch einmal nach ihr, fuhr dann plötzlich herum, fiel auf die Knie herab und richtete seine Waffe auf den zyklopischen Schatten hinter Kara, aber das Wasser fing den Laserblitz auf und machte ihn zu einer grell leuchtenden, aber harmlosen Woge aus Licht, die sich rasend schnell nach allen Seiten ausbreitete.

Zu einem zweiten Schuß kam er nicht mehr.

Kara konnte fühlen, wie das Ungeheuer heranraste. Irgend etwas traf die Scheibe mit unvorstellbarer Wucht und zertrümmerte sie. Der Soldat stürzte ins Wasser und ließ seine Waffe fallen, und Kara tauchte unmittelbar neben ihm unter und klammerte sich instinktiv an ihm fest. Der Soldat begann mit den Füßen zu strampeln. Sein Gesicht verzerrte sich. Er mußte entweder völlig in Panik geraten sein, oder er glaubte, daß Kara ihn angriff, denn er begann mit beiden Fäusten auf sie einzuschlagen. Halb bewußtlos vor Schmerz und Atemnot klammerte sie sich weiter an ihn. Sie stiegen wieder in die Höhe. Der Wasserspiegel befand sich nur noch eine Armlänge über ihnen, aber Kara wußte, daß sie es nicht schaffen würden.

Einen Wimpernschlag bevor sie die Wasseroberfläche erreichten, legte sich eine riesige, vierfingrige Pranke von hinten um das Gesicht des Soldaten und drückte zu. Er bäumte sich auf, und plötzlich färbte sich das Wasser rings um sie herum rot. Karas Hände glitten kraftlos von der Brust des Mannes herunter. Was für ein Tod, dachte sie. Was für ein lächerlicher, grauenhafter Tod. Dann gab sie den Kampf auf und verlor das Bewußtsein.

Einen Moment, bevor sie den Mund öffnen und ihre Lungen mit Wasser füllen konnte, packten sie Hrhons starke Hände und stießen ihren Kopf durch die Oberfläche des Meeres.

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