37

»In seinem Kopf?«

Aires drehte das gläserne Etwas, das sie aus dem Schädel des Toten herausgeschnitten hatten, in den Händen. Ihre Stimme war schrill gewesen vor Unglaube, und auf ihrem Gesicht spiegelte sich ein leichter Ekel. Gesäubert und aus dem Rest des Gehirnes herausgelöst, wirkte das gläserne Ding aus lebendigem Gewebe und blinkendem Metall noch unheimlicher.

Zen hob den Arm und legte die gespreizten Finger auf die Stelle, wo das Gebilde im Schädel des Toten gesessen hatte. »Es hing fest. Ich mußte es herausschneiden.«

»Das ist unglaublich«, murmelte Aires. Behutsam legte sie das unheimliche gläserne Gebilde vor sich auf den Tisch, betrachtete es noch einen Moment eingehend und schüttelte den Kopf. »Ich habe so etwas noch nie gesehen. Ich habe nicht die mindeste Ahnung, was es sein kann.«

»Wir sollten Elder fragen«, schlug Kara vor. »Vielleicht weiß er, was es ist.«

Bei der Erwähnung von Elders Namen blitzte es in Aires’

Augen auf. Aber dann nickte sie nur und wandte sich an Cord, der nahe der Tür stand. »Bitte geh und hol ihn her.«

Sie wartete, bis Cord das Zimmer verlassen hatte, dann drehte sie sich wieder zu Kara und Zen um, die nebeneinander auf der anderen Seite des Tisches saßen. »Hatte nur dieser eine so etwas im Kopf oder die anderen auch?«

Kara und Zen sahen sich eine Sekunde lang betroffen an und schwiegen.

Aires seufzte. »Ich verstehe. Ihr habt nicht nachgesehen.«

»Nein«, gestand Kara kleinlaut. »Um... um ehrlich zu sein, ich bin gar nicht auf den Gedanken gekommen.«

Aires seufzte erneut, winkte dann aber ab. »Wahrscheinlich ist es nicht so wichtig«, sagte sie und schaute nacheinander die anderen an. Ihre Runde war beträchtlich gewachsen, so daß sie sich in dem großen Versammlungsraum im Erdgeschoß des Haupthauses zusammengefunden hatten. Kara gefiel das zwar nicht, aber sie sah ein, daß es keinen Sinn mehr hatte, irgend etwas geheimhalten zu wollen. Außerdem hatte Aires sie vor vollendete Tatsachen gestellt, indem sie sie, Zen und Donay auf der Stelle hatte hierherbringen lassen, kaum daß sie gelandet waren und Zeit gefunden hatten, aus den Sätteln zu steigen. »Vielleicht ist es eine Art... Prothese?« murmelte Donay. Er war noch immer ein wenig blaß. Der ungewohnte Ritt auf dem Rücken des Drachen saß ihm noch in den Knochen. Aires sah ihn zweifelnd an, und Donay fuhr in beinahe verlegenem Tonfall fort: »Ich meine... diese Menschen der Alten Welt sollen sogar künstliche Gliedmaßen gehabt haben. Möglicherweise hatte er einen Unfall...«

Aires seufzte. »Eine Prothesel Also... ich kenne eine Menge Leute, denen ein Stück des Gehirns zu fehlen scheint, aber das erscheint mir dann doch sehr unwahrscheinlich.«

Zaghaftes Gelächter antwortete auf ihre Worte und verstummte sofort wieder, als Aires die Hand hob. »Genug. Wir warten auf Elder. Doch es gibt noch anderes zu besprechen. Donay – du bist der einzige hier, der dabei war. Erzähle.«

Donay zögerte. »Da... gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte er schließlich. »Ich muß gestehen, ich... habe die meiste Zeit in einem Keller verbracht. Ich hatte Angst.«

»Das ist verständlich. Und war im übrigen auch sehr klug gehandelt. Aber du hast gesehen, wie es begonnen hat.«

»Ja«, sagte Donay. »Ich war auf dem Weg zurück zum Schacht.« Er sah flüchtig Kara an. »Dem Krater, an dessen Rand sie gelandet sind.«

»Warum?«

»Ich fahre seit zwei Wochen jeden Tag hinunter«, antwortete Donay, »Sie haben eine Seilbahn eingerichtet.«

»Ich dachte, du bist Biologe«, sagte Zen. »Seit wann interessieren dich alte Steine?«

»Der Hochweg stirbt noch immer«, erwiderte Donay ernst. »Ich war einmal ganz unten. Der Wasserspiegel fällt weiter nicht sehr schnell, aber er fällt. Wenn wir keinen anderen Weg finden, die Wurzeln mit Wasser zu versorgen, ist die Brücke in einem Jahr tot.«

Betretenes Schweigen breitete sich aus, und Kara fragte sich erneut, ob es wirklich klug von Aires gewesen war, allen die Wahrheit zu erzählen. Daß sie anfingen, sich zu wehren, war in Ordnung; aber der Gedanke an einen zu übermächtigen Gegner konnte auch lähmen.

Aires räusperte sich ein wenig zu laut, um Donays Aufmerksamkeit wieder auf sich zu ziehen. »Du wolltest vom Angriff auf Schelfheim erzählen.«

Donays Gesichtsausdruck nach zu schließen, stand ihm der Sinn ganz und gar nicht danach. Aber er zuckte gehorsam mit den Schultern und begann: »Sie kamen zwei oder drei Stunden nach Mitternacht und griffen sofort an. Ich... habe nur ein Heulen gehört, wie ein...« Er suchte nach Worten. »Ein Bienenschwarm«, sagte er schließlich. »Dann waren sie plötzlich da und eröffneten das Feuer, überall zugleich.«

»Ohne Vorwarnung?« vergewisserte sich Aires. »Ohne irgendwelche Forderungen zu stellen? Kein Ultimatum? Keine Aufforderung zur Kapitulation, nichts?«

»Nichts von alledem«, bestätigte Donay. »Ich war draußen auf der Straße und habe alles genau gesehen. Sie müssen durch den Schlund geflogen sein, so tief, daß niemand sie gesehen hat. Sie tauchten plötzlich über der Klippe auf und schossen sofort. Es hat allein zehn Minuten gedauert, bis sich der erste Widerstand formiert hat.« Aires runzelte die Stirn. »Ja. Kara hat von Rusmans... Verteidigung erzählt.« Sie überlegte einen Moment. »Du sagst, du warst in der Nähe des Schachtes, als sie angriffen?« Sie deutete auf Kara. »Kara und die anderen berichten, daß dort niemand überlebt hat.«

»Das stimmt«, sagte Donay. »Es war entsetzlich. Ein Teil von ihnen schoß direkt auf mich zu. Ich weiß nicht, was sie getan haben, aber... aber ich konnte sehen, wie auf der anderen Seite der Straße plötzlich alle umfielen. Alles Glas zersprang, und ich hörte einen entsetzlichen Ton, wie ich ihn nie zuvor im Leben vernommen hatte. Ein Heulen, das...«

»... dir das Gefühl gab, die Augen wollten dir aus dem Kopf springen«, sagte eine Stimme von der Tür her. »Und deine Zähne taten weh, nicht wahr?«

Nicht nur Donay blickte Elder verblüfft an, der in Cords Begleitung unter der Tür erschienen war und offensichtlich schon eine ganze Weile zugehört hatte. Mit gemächlichen Schritten kam er näher und fuhr in einem blasierten Tonfall fort, für den Kara ihn in diesem Augenblick haßte. »Eine Schallwaffe. Du hast verdammtes Glück gehabt, mein Freund. Zehn Meter weiter, und wir könnten mit deinen Knochen jetzt Sandsäcke füllen.«

»Schall?« fragte Aires. »Du meinst, sie benutzen... Lärm als Waffe?« Der Zweifel in ihren Worten war nicht zu überhören. Elder nickte eifrig. »Ultrahohe Schallwellen«, bestätigte er. »Unhörbar, aber tödlich. Wenn sie intensiv genug sind, pulverisieren sie sogar Stahl. Ich habe euch gesagt, daß ihr es mit einer Macht zu tun habt, die euch grenzenlos überlegen ist. Es wäre wirklich besser, ihr würdet euch zurückhalten und es mir überlas...«

Er brach mitten im Wort ab, als er sah, was vor Aires auf der Tischplatte lag. Sein Gesicht wurde grau vor Schrecken. »Großer Gott!« flüsterte er. »Seid ihr wahnsinnig, dieses Ding hierher...« Elder stockte abermals, sah plötzlich mit einem Ruck auf und blickte sich betroffen um.

»Ja?« fragte Aires alarmiert.

Elder blinzelte, fuhr sich nervös mit dem Handrücken über den Mund und trat mit raschen Schritten neben die Magierin. Seine Hand zitterte, als er nach dem gläsernen Gehirn vor ihr griff. Aires ließ es widerstandslos geschehen.

Elder nahm das unheimliche Fundstück hoch, drehte es in den Händen – und atmete erleichtert auf.

»Was hast du, Elder?« fragte Aires. »Was ist daran so gefährlich?«

»Nichts«, antwortete Elder. Er lächelte entspannt und warf das Glasgehirn achtlos auf den Tisch zurück. »Nichts. Ich habe mich geirrt. Tut mir leid, wenn ich euch erschreckt habe. Ich habe das Ding im ersten Moment für etwas anderes gehalten.«

»Wofür?« fragten Aires und Kara wie aus einem Mund.

»Für... etwas, das zu erklären jetzt wirklich zu weit ginge«, sagte er ausweichend. »Es wäre auch nutzlos. Entschuldigt.« Er lächelte, aber Aires’ Gesichtsausdruck verdüsterte sich weiter. Elders Antwort stellte sie ganz und gar nicht zufrieden. »Nun, wenn du uns schon nicht verraten willst, was es nicht ist«, sagte sie gepreßt, »dann sag uns wenigstens, was es ist. Oder hast du Angst, wir wären auch zu dumm, um das zu verstehen?«

Elder lächelte nervös und suchte sich einen freien Platz. »Es ist wirklich nichts«, sagte er. »Ein Ersatzteil. Nicht viel mehr als ein falsches Gebiß. Vergeßt es.«

»Ein Ersatzteil?« Verwirrt blickte Aires zuerst Elder, dann Donay an. Der junge Bio-Konstrukteur lächelte zufrieden, wirkte aber im Grunde nicht weniger verstört als sie. »Aber es war in seinem Gehirn!«

»Natürlich war es in seinem Gehirn«, sagte Elder »In seinem rechten Knie hätte es wenig Sinn, oder? Ich nehme an, der Bursche hat sich irgendwann einmal eine schwere Kopfverletzung zugezogen. Möglicherweise war er blind oder taub, bis man ihm das Ding da verpaßt hat.« Er verzog das Gesicht. »Es ist widerlich. Ihr solltet es in den Schlund hinabwerfen, wo es hingehört.«

»Du willst sagen, ihr könnt sogar zerstörte Gehirne reparieren?« murmelte Kara fassungslos.

»Leider nur zum Teil.« Elder maß das schimmernde Glasgehirn vor Aires mit einem angewiderten Blick. Dann sah er Kara an. »Hinterkopf, linke Seite?«

Sie nickte.

»Ein Teil des motorischen Systems«, erklärte Elder. »So etwas können wir ersetzen. Wirklich wichtige Teile leider nicht.« Er seufzte. »Was aus diesem grauen Matsch da ein denkendes Individuum macht, wissen selbst wir nicht. Vielleicht ist das auch gut so.«

»Ja, vielleicht«, murmelte Aires. Sie wechselte abrupt das Thema. »Cord hat dich über alles informiert?«

»Sicher«, bestätigte Elder. »Ihr braucht euch nicht den Kopf über den Grund dieses Angriffes zu zerbrechen. Es war ein Vergeltungsakt, wie ich euch gesagt habe. Was Donay erzählt hat, paßt hundertprozentig zu dem, was ich über PACKs Taktik weiß. Schnell zuschlagen und wieder verschwinden.«

»Nicht ganz«, sagte Kara. »Wir haben sie vertrieben, hast du das vergessen?«

»Mach dich nicht lächerlich«, sagte Elder ruhig.

Kara wollte auffahren, aber Aires sorgte mit einer raschen Handbewegung für Ruhe. »Kara hat trotzdem recht«, sagte sie. »Sie müssen einen Grund gehabt haben, dieses eine Viertel auszulöschen und dort zu landen.«

»Vielleicht war der ganze Angriff nur ein Ablenkungsmanöver«, vermutete Cord.

»Ich wüßte nicht, wozu«, sagte Elder. »Wo genau sind sie gelandet?«

Kara sagte es ihm. Zuckte Elder leicht zusammen, oder hatte sie es sich nur eingebildet?

»Kannst du dir vorstellen, was sie ausgerechnet dort gesucht haben?« fragte Aires. »Der Weg über das unterirdische Meer wäre bequemer und sicherer gewesen. Dein Vertrauen in ihre Superwaffen in allen Ehren, Elder – aber immerhin haben Karas Drachen fünf von diesen Heliotoptern erwischt.«

»Wir nennen sie Helikopter«, verbesserte sie Elder. »Aber warum sagen wir nicht weiter Libellen?«

»Warum bleiben wir nicht beim Thema?« schlug Cord in leicht gereiztem Ton vor.

Elder schenkte ihm ein abfälliges Lächeln. »Ich weiß nicht, was sie dort gesucht haben«, sagte er. »Aber ihr hattet dort schon einmal Ärger mit ihnen, nicht wahr? Es war doch in der Nähe dieses Schachtes, wo sie damals eure Leute erschossen haben, oder?«

»Ja. Du glaubst, dort unten wäre etwas, das für sie wichtig ist?«

»Oder etwas, was auf keinen Fall in unsere Hände fallen darf«, fügte Kara nachdenklich hinzu. Elder blickte sie an, aber das registrierte sie kaum. Wieder hatte sie das sichere Gefühl, daß etwas hier nicht so war, wie es sein sollte. Und wieder wußte sie nicht, was.

»Sicher«, sagte Elder spöttisch. »Irgendeine Superwaffe, die eure Vorfahren dort vergraben haben, wie?«

»Und wenn es so wäre?«

»Dann ist sie zusammen mit dem Trieb und einigen Kubikmeilen Gestein in die Tiefe gestürzt, als der Schacht zusammenbrach«, sagte Elder. »Außerdem... weißt du, ich habe die Technologie dessen, was ihr die Alte Welt nennt, gründlich untersucht; sie war nicht schlecht – aber sie hatte nichts, was PACK aufhalten könnte. Gott sei Dank.«

»Gott sei Dank? Wieso?«

»Weil das das Schlimmste wäre, was euch passieren kann«, sagte Elder ernst. »Verstehst du immer noch nicht, daß sie bisher nur mit euch gespielt haben? Sie haben irgendwo auf diesem Planeten ein Schlachtschiff versteckt, Kara! Wenn ihr ihnen wirklich weh tut, Kara, dann werden sie auf eine Weise zurückschlagen, die ihr euch nicht einmal vorstellen könnt. Seid ihr so versessen auf eine Neuauflage des Zehnten Krieges?«

Kara starrte ihn an. »Du bist sicher, daß du nicht von ihnen geschickt worden bist, um unsere Kampfmoral zu untergraben?« fragte sie.

Elder grinste.

»Selbst wenn du recht hast, Elder«, sagte Aires rasch, ehe Kara Gelegenheit zu einer weiteren zornigen Bemerkung fand. »Spielt das eine Rolle? Sie werden uns so oder so alle töten.«

»Vielleicht auch nicht«, sagte Elder. »Sie haben die Insektenzivilisation auf dem Ostkontinent ausgelöscht – aber eigentlich nur, weil sie ein bißchen zu hartnäckig gesucht haben.«

»Hatten sie etwas dagegen, ausgerottet zu werden?« fragte Cord höhnisch.

Elder sah ihn an. »Insekten kennen keine Kompromisse«, sagte er. »Sie siegen oder gehen unter. Aber denk an den grauen Staub, von dem ihr erzählt habt. Er tötet nur Erwachsene. Vielleicht wollen sie euer Volk nicht auslöschen.«

»Und was sonst?«

Elder zuckte mit den Schultern. »Einen ganzen Planeten umzubauen ist eine gewaltige Aufgabe«, sagte er. »Arbeitskräfte werden immer gebraucht.«

»Sklaven?« fragte Aires mit hochgezogenen Brauen.

»Warum nicht?«

»Zum Beispiel, weil sie lästige Zeugen wären«, sagte Cord. »Kaum. Bis die ersten Kolonisten hier eintreffen, vergehen noch gute hundert oder auch zweihundert Jahre. Bis dahin haben sie längst vergessen, wer sie einmal waren.«

»Man kann nicht einem ganzen Volk seine Vergangenheit stehlen«, sagte Kara.

»PACK kann«, erwiderte Elder. »Du verstehst noch immer nicht, mit wem ihr es hier zu tun habt. Vielleicht war es ein Fehler, PACK als Firma zu bezeichnen. Das ist es zwar, aber es ist auch eine Macht, die mit Planeten spielt wie... wie ihr mit Schachfiguren.«

»Danke«, sagte Kara säuerlich. »Du machst einem wirklich Mut.«

Elder achtete nicht auf ihre Worte. »Ihr haltet euch für Krieger. Für eine Art Wächter, deren Aufgabe es ist, diesen Kontinent oder besser noch die ganze Welt vor jeder Gefahr zu beschützen. Aber ihr seid dabei, Selbstmord zu begehen! Ihr bringt euch und jedes lebende Wesen auf dieser Welt um, wenn ihr so weitermacht! Ihr dürft nicht gegen sie kämpfen.«

»Und was verlangst du von uns?« erwiderte Kara scharf.

»Sollen wir abwarten, bis sie überlegt haben, ob sie uns umbringen oder nur versklavenl«

»Kara!« sagte Aires scharf.

Kara ignorierte sie. »Gut, dann sterben wir eben alle!« fuhr sie fort. »Aber vorher werden wir ihnen weh tun, Elder. Ich verspreche dir, daß ihnen diese Welt sehr schwer im Magen liegen wird, selbst wenn es ihnen gelingt, sie zu verschlingen.«

»Aber das ist doch gar nicht nötig«, sagte Elder sanft. »Ich kann euch helfen. Helft mir, ihr Schiff zu finden und dorthin zu gelangen. Alles andere erledigen meine Leute.«

»Darauf wette ich«, murmelte Cord. »Und die Rechnung bekommen wir später präsentiert, nicht wahr? Kara hat recht wenn wir schon sterben müssen, dann will ich ihnen vorher noch ein Andenken verpassen, an das sie noch in hundert Jahren denken.«

Elder seufzte. Sekundenlang blickte er den grauhaarigen Drachenkämpfer beinahe traurig an. »Es tut mir leid, Cord«, sagte er dann sehr ruhig und in einem Ton, den Kara nicht zu deuten vermochte. »Ich wollte es dir nicht so deutlich sagen, um dich nicht zu verletzen. Aber du läßt mir keine Wahl: Eure famose Drachenarmee ist nichts! Ihr könnt sie nicht einmal ärgern, geschweige denn ihnen weh tun! Ich bin mit einem kleinen Boot hierher gekommen, Cord, ein Ding, das nicht einmal den Namen Schiff verdient. Und ich gebe dir mein Wort, daß dieses Boot allein in der Lage gewesen wäre, diese ganze Festung samt ihrer Krieger und Drachen zur Hölle zu schicken. PACK hat dieses Schiff vernichtet, Cord. Ohne sich besonders dabei anzustrengen.« Er stand mit einem Ruck auf. »Mehr habe ich dazu nicht zu sagen. Tut, was ihr wollt, ihr Narren? Aber laßt es mich früh genug wissen, damit ich mir ein möglichst tiefes Loch graben kann, ehe sie anfangen, euch zu bombardieren!« Wutentbrannt stürmte er aus dem Zimmer.

Kara sah ihm traurig nach. »Er verschweigt uns etwas«, sagte sie. »Oder er lügt.« Sie wollte noch mehr sagen, aber Aires warf ihr einen strengen Blick zu.

»Es ist spät«, sagte die Magierin. »Ich denke, daß es das beste ist, wenn wir uns alle zurückziehen und versuchen, ein wenig Ruhe zu finden.«

Es war ganz und gar nicht spät, aber alle verstanden, was Aires meinte. Was als strategische Besprechung gedacht gewesen war, war zu etwas entgleist, das keiner von ihnen im Moment wollte. Der Saal begann sich zu leeren, aber Aires gab ihr, Donay und Cord mit Blicken zu verstehen, daß sie noch bleiben sollten.

»Er lügt«, sagte Aires, als der Letzte die Tür hinter sich zugezogen hatte.

»Er ist ein wenig zu sehr darauf bedacht, uns von einem Angriff abzuhalten«, pflichtete ihr Cord bei. »Ich frage mich, warum?«

»Das meine ich nicht«, bemerkte Aires. Sie deutete auf das gläserne Gehirn vor sich. »Dieses Ding hat ihn zu Tode erschreckt. Ich frage mich, was es wirklich ist.«

»Seine Erklärung klingt einleuchtend«, sagte Donay schüchtern.

»Sicher«, sagte Aires. »Ich zweifle auch gar nicht daran, daß es wirklich etwas ist, das sie künstlich in den Kopf gepflanzt haben. Ich zweifle nur daran, daß es sich wirklich um eine Krücke handelt.«

»Mir gefällt die ganze Geschichte nicht, die er erzählt hat«, grollte Cord. »Andere Planeten! Hunderte von Welten, die von ihnen besiedelt worden sind, wie?« Er macht eine zornige Geste. »Wenn das so ist, wieso ist er dann ein Mensch?«

Die anderen sahen ihn fragend an; Aires beinahe entsetzt. »Selbst hier bei uns gibt es mehr als ein Dutzend grundverschiedener Völker. Wenn dieser Kerl wirklich von einer anderen Welt kommt, wieso sieht er dann nicht so aus? Wenn ihr mich fragt, dann ist diese ganze Geschichte von vorn bis hinten erlogen.Ich glaube, diese Burschen stammen von einem der anderen Kontinente, die wir noch nicht kennen. Wahrscheinlich haben sie ein paar alte Maschinen ausgegraben und versuchen jetzt, uns genug Angst einzujagen, damit wir gar nicht erst auf die Idee kommen, uns zu wehren.«

Kara dachte an den Blitz und den grauenhaften Rauchpilz, den sie gesehen hatte. »Wenn das so wäre, warum hätten sie dann Jandhis Leute erledigen sollen?« fragte sie.

»Wer sagt, daß das die Wahrheit ist?« schnappte Cord. »Du hast ihn in diesem anderen Drachenfels gefunden, oder? Wer sagt dir, daß es nicht Jandhis Leute sind?«

»Hat er recht?« fragte Aires, an Kara gewandt.

»Woher soll ich das wissen?« fragte Kara.

»Immerhin bist du ihm so nahe gewesen, wie es nur geht«, erwiderte Aires mit leiser Stimme.

Kara senkte den Blick.

»Du... hast mit ihm geschlafen?« fragte Donay.

»Wie bitte?« Kara war über diese Frage mehr als verblüfft. »Ich will keinen detaillierten Bericht von dir«, antwortete er, ohne zu lächeln oder so zu tun, als wäre ihm die Frage peinlich. »Aber Aires hat recht. Es gibt keine Möglichkeit, einen Menschen genauer kennenzulernen.«

Kara begann nervös mit den Fingerspitzen auf der Tischplatte zu trommeln. Wenn ihr Gesicht so aussah wie es sich anfühlte, mußte es hell genug glühen, um als Lampe zu dienen.

»Bitte, Kara«, sagte Aires. »Es ist viel zu wichtig, als daß wir Rücksicht auf dein Schamgefühl nehmen können, auch wenn es dir noch so peinlich ist. Ist dir irgend etwas aufgefallen?«

Da gab es tatsächlich etwas. Etwas, das sie die ganze Zeit über gewußt hatte; nur hatten sich die Ereignisse in den letzten Stunden derartig überschlagen, daß sie dieser Sache keine Beachtung hatte schenken können.

»Sein Körper ist... perfekt«, sagte sie.

»Ich finde, er ist viel zu dünn«, sagte Cord.

»Das meine ich nicht. Er hat keinen Kratzer, versteht ihr? Er hat mir erzählt, daß er über zweihundert Jahre alt ist, aber er hat nicht eine einzige Narbe.«

»Zweihundert Jahre?« Donay riß die Augen auf.

»Dasselbe hat er mir auch erzählt«, sagte Aires, »als ich heute nachmittag mit ihm sprach. Und?«

»Man müßte es ihm ansehen«, beharrte Kara. »Er ist ein Krieger, zumindest eine Art Abenteurer. Ein solches Leben hinterläßt Spuren?« Aires deutete auf das gläserne Gehirn vor sich. »Wenn sie so etwas können, dann können sie auch ein paar Narben verschwinden lassen, denke ich.«

Kara schüttelte überzeugt den Kopf. »Ihr habt die Explosion nicht gesehen«, sagte sie. »Das halbe Unterwasserboot ist in die Luft geflogen – und er war mitten drin. Er müßte zumindest ein paar Verbrennungen haben.«

»Vielleicht hast du nicht gründlich nachgesehen«, sagte Cord anzüglich.

Kara fuhr auf. »Vielleicht habe ich...« Sie hielt verblüfft inne und wußte plötzlich, woher das Gefühl gekommen war, daß sie die ganze Zeit etwas übersehen hatte. Wieso war sie nur nicht gleich darauf gekommen?

»Was hast du?« fragte Aires alarmiert.

»Der Schacht«, sagte Kara leise. »Er hat davon gesprochen, daß Liss und die anderen dort erschossen worden sind.«

»Und?« fragte Cord. »Das stimmt auch.«

»Ja«, antwortete Kara. »Aber das konnte er nicht wissen. Die offizielle Version lautete, daß sie verschüttet worden sind. Wir haben Gendik und Elder erzählt, daß man sie getötet hat, aber nicht wie.« Sie legte eine winzige Pause ein und fuhr dann mit beinahe ausdrucksloser Stimme fort. »Daß sie von einem Laser getötet wurden, das konnten nur Angella und ich und ein paar von uns wissen.«

»Und der, der sie erschossen hat«, fügte Cord düster hinzu. Lange Zeit saßen sie einfach da und schwiegen, dann stand Kara auf und ging zur Tür. Aires sah ihr mit unverhohlener Sorge nach. »Wohin gehst du?« fragte sie.

»Zu Elder«, knurrte Kara. »Ich muß noch ein Experiment durchführen.«

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