34

Die Beratung dauerte bis nach Sonnenuntergang. Kara schwirrte der Kopf, als sich Aires und Cord schließlich als letzte erhoben und gingen; nicht ohne die Drohung, am nächsten Morgen in aller Frühe wiederzukommen, um die Beratung fortzusetzen.

Sie versuchte, Aires’ Blick festzuhalten, damit sie blieb, aber Aires wich ihr aus und hatte es plötzlich sehr eilig zu gehen. Kara hätte gern noch einen Moment mit ihr gesprochen. Nicht über das, was Elder ihnen erzählt hatte, aber sie hatte während des ganzen Tages immer wieder an Maran gedacht, und irgendwann einmal hatte sie sich eingestanden, daß ihre Entscheidung über das Schicksal des jungen Drachenkriegers eigentlich mehr von einem kindischen Trotz Aires’ gegenüber diktiert gewesen war. Aires jedoch ging, ohne ihr Gelegenheit zu einer Aussprache zu geben, und Kara blieb in einem Zustand tiefer Verwirrung und Furcht zurück. Unruhig lief sie in ihrem Zimmer auf und ab. Der Tag war überaus anstrengend gewesen, und sie war schon wieder müde, trotz der fast zwölf Stunden, die sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatte. Trotzdem wußte sie, daß an Schlaf in den nächsten Stunden nicht zu denken war. Elder hatte irgend etwas gesagt, was ihr keine Ruhe ließ. Sie rang noch eine geschlagene halbe Stunde mit sich selbst, dann verließ sie ihr Zimmer, um noch einmal zu Elder zu gehen.

Als sie auf den Gang hinaustrat, löste sich ein unförmiger Schatten aus einer Nische neben der Tür. »Hrhon?« sagte sie erstaunt. »Du? Wie lange stehst du schon hier?«

Sie bekam keine Antwort, aber sie wußte auch so, daß der Waga die ganze Zeit vor der Tür gestanden hatte. »Warum bist du nicht hereingekommen?«

»Dhu bhissst... dhie nheuhe Herrsssherhin«, antwortete Hrhon zögernd.

»Deswegen bin ich doch noch immer dieselbe, die ich vorher war«, sagte Kara. Aber stimmte das wirklich? Im selben Moment wurde ihr klar, daß sie diesen einen Satz in schärferem Ton gesprochen hatte, als es zwischen Hrhon und ihr üblich war. Sehr viel sanfter fügte sie hinzu: »Wir sind doch noch immer Freunde, oder?«

»Sssisssher«, zischelte Hrhon. »Ahbher nhiehmahnd dharf Angellahsss Sssimmher be...« Er brach ab und verbesserte sich. »Isss mheinhe, dhasss Sssimmher dher Herrsssherhin bhethrethen, ohne aufghefhordher’t sssu ssseinh.«

Kara lächelte flüchtig. »Du schon«, sagte sie. »Ich sehe nicht ein, daß sich irgend etwas zwischen uns ändern sollte, nur weil ich umgezogen bin.«

»Esss whäre nhissst ghut fhür dhie Dhissssssiplhihn«, sagte Hrhon. »Rhegheln sssinhd fhür allhe da.«

Kara seufzte. »Na gut, du dickköpfige Schildkröte. Hiermit ernenne ich dich offiziell zu meinem Leibwächter. Du wirst mich auf Schritt und Tritt begleiten, wohin ich auch gehe. Es sei denn, du hättest das Gefühl, daß ich allein sein möchte. Einverstanden?«

Hrhon nickte. Ein breites Grinsen erschien auf seinem geschuppten Gesicht, und Kara fügte schadenfroh hinzu:

»Natürlich wirst du mich auf meinen Reisen begleiten müssen. Du solltest dir also in den nächsten Tagen schon einmal einen eigenen Drachen aussuchen und reiten üben.«

Sie wußte zwar, daß es unmöglich war – aber sie hätte in diesem Moment jeden Eid geschworen, daß Hrhon unter seinem Schuppenpanzer blaß wurde. »Wende dich an Cord«, bemerkte sie noch. »Er wird dir ein passendes Tier heraussuchen und dich einweisen. Und jetzt komm mit. Ich möchte noch einmal mit Elder reden.«

»Elder?« Hrhon wandte sich gehorsam um und ging neben ihr her. »Ahirhesss whirdh dhasss nhissst ghernhe sssehen.«

»Das kann schon sein«, antwortete Kara achselzuckend.

»Aber weißt du: Ich bin die Herrscherin hier, nicht Aires.«

Sie gingen in den Seitenflügel des Gebäudes, in dem Elders Quartier lag. Auf dem Weg dorthin begegnete ihnen niemand, was an sich schon sonderbar war. Karas Müdigkeit gab ihr zwar das Gefühl, es wäre irgendwann nach Mitternacht, aber die Sonne war erst vor einer halben Stunde untergegangen, und eigentlich sollte dieses Haus noch vor Stimmen und Gelächter widerhallen, denn die Drachenkämpfer waren ein lebenslustiges Völkchen, das gern und oft lachte und keine Gelegenheit zu einem Fest ungenutzt verstreichen ließ. Wahrscheinlich galt Cords Befehl, sie und die anderen abzuschirmen, noch immer.

Erst vor der Tür von Elders Zimmer traf Kara wieder auf einen Menschen; den Posten, den Cord davor abgestellt hatte. Kara schickte ihn mit einer Kopfbewegung fort; der Mann zögerte einen Moment, ehe er gehorchte. In der Tat, dachte sie. Sie würde mit Cord reden müssen.

Elder lag angezogen auf dem Bett und schlief, als sie die Kammer betrat, wachte aber durch das Geräusch der Tür auf. Er konnte nicht tief geschlafen haben, denn sein Blick sprühte sofort vor Feindseligkeit, kaum daß er sie ansah. Mit einer gewandten Bewegung setzte er sich auf, schwang die Beine von der Liege.

»Hallo«, sagte Kara. Seltsam – sie war hergekommen, um mit ihm zu reden, und jetzt wußte sie nicht, was sie sagen sollte. Elder hob den Kopf, sah sie an und schwieg, und zum ersten Mal seit sie sich wiedergesehen hatten, fiel ihr wieder auf, wie gut er aussah. In Ermangelung eines anderen Kleidungsstückes hatte ihm Cord die schlichte schwarze Lederkombination eines Rekruten gegeben.

»Überlegst du gerade, ob du mich köpfen oder lieber bei lebendigem Leib häuten läßt’?« fragte Elder.

Seine Worte taten ihr weh, was Elder sehr genau wußte.

Offensichtlich bereitete es ihm großes Vergnügen.

»Ich... ich wollte nur nach dir sehen«, sagte Kara verlegen. »Wirst du gut behandelt? Fehlt dir irgend etwas?«

»Deine Sorge rührt mich zu Tränen«, erwiderte Elder spöttisch. »Kümmert ihr euch um alle eure Gefangenen so rührend?«

»Du bist unser Gast, Elder, nicht unser Gefangener.«

Elder lachte hart. »Euer Gast? Dann habt ihr eine höchst sonderbare Art, mit Gästen umzugehen. Ich habe noch nie ein Gästezimmer gesehen, bei dem sich der Riegel außen an der Tür befindet. Und ein Wächter davorsteht.«

»Der Posten steht zu deinem Schutz dort«, antwortete Kara. »Den Riegel lasse ich noch heute abend entfernen. Du kannst dich frei bewegen. Ich würde dich nur bitten, dein Zimmer vorerst nicht zu verlassen und mit niemandem zu reden.«

»Ist das eine von diesen Bitten, die man nicht abschlagen kann, ohne Gefahr zu laufen, daß einem etwas anderes abgeschlagen wird?« fragte Elder.

»Es ist eine Bitte, Elder, nicht mehr. Du bist frei. Du kannst tun und lassen, was du willst. Und du kannst gehen, wohin du willst. Ein Wort, und ich lasse dich nach Schelfheim zurückbringen – oder an jeden anderen Ort, den du mir nennst. Aber ich...« Sie stockte. Es fiel ihr schwer, weiterzusprechen. »Ja?« sagte Elder.

»Ich würde mich freuen, wenn du noch eine Weile bleiben würdest«, sagte Kara, ohne ihn anzusehen.

»Wozu? Willst du mich zur Feier der nächsten Jahreswende öffentlich verbrennen lassen?«

Kara fuhr unter seinen Worten zusammen. »Es tut mir leid, Elder«, sagte sie. »Ich entschuldige mich. Wenn du es willst, offiziell und in aller Form. Ich habe einen Fehler gemacht, aber was sollte ich tun? So wie die Dinge liegen, dachte ich, daß... daß du zu ihnen gehörst. Es tut mir leid, daß ich dich geschlagen habe.«

»Darum geht es gar nicht«, sagte Elder. Kara sah ihn überrascht an, und plötzlich lächelte er. »Du hast eine Menge Schaden angerichtet, aber das konntest du nicht wissen. Es war auch meine Schuld. Ich hätte euch ins Vertrauen ziehen sollen, statt den einsamen Helden zu spielen. Das ist es aber nicht.«

»Was dann?« fragte Kara. »Warum haßt du mich so?«

»Blödsinn!« sagte Elder aufgebracht. »Du überschätzt dich, Kind. Ich bin nur wütend auf dich.«

»Weil ich dich niedergeschlagen habe?« Karas Blick tastete schuldbewußt über sein immer noch angeschwollenes Gesicht. »Ich bin wütend darüber, was du danach getan hast«, antwortete Elder. »Du hast mich behandelt wie... wie ein Stück Dreck. Du hast mir nicht die kleinste Chance gegeben, mich zu verteidigen oder auch nur ein Wort zu erklären. Du hast mich zwei Tage lang gefesselt. Ich habe mich beschmutzt, Kara. Ich habe mich vor mir selbst geekelt, und es war mir peinlich. Deshalb bin ich zornig.«

»Es tut mir leid«, sagte Kara. »Wirklich.«

Elder antwortete nicht. Plötzlich aber lächelte er, rutschte ein Stück auf der Bettkante zur Seite und machte eine einladende Geste. Ohne zu zögern, nahm Kara neben ihm Platz, hielt aber einen Meter Abstand zu ihm.

»Ich glaube, wir haben uns alle wie die Idioten benommen«, sagte er kopfschüttelnd. »Weißt du, ich habe darüber nachgedacht, euch um Hilfe zu bitten. Aber ich dachte, ich würde es allein schaffen.«

»Vielleicht hättest du das auch, wenn ich nicht dazwischengekommen wäre«, sagte Kara.

»Nicht vielleicht – bestimmt«, verbesserte sie Elder. Als sie schuldbewußt zusammenfuhr, schüttelte er den Kopf. »Es ist trotzdem meine Schuld. Schließlich kenne ich dich. Ich hätte mir denken müssen, daß du nicht einfach die Hände in den Schoß legst und abwartest, was passiert. Spätestens nach dem, was du auf dem Unterseeboot getan hast. Wie bist du herausgekommen?«

»Mit Glück«, antwortete Kara, »und Hrhons Hilfe. Aber wie bist du herausgekommen? Ich habe die Explosion gesehen!«

»Ich hatte ebenfalls Glück«, antwortete Elder ausweichend. »Ich war noch bei Bewußtsein. Ich konnte mich in Deckung schleppen, ehe die Bombe hochging.«

Kara sah ihn verwirrt an. Sie versuchte, sich das Bild des Unterwasserbootes noch einmal vor Augen zu führen. Da war nichts gewesen, wohinter er sich in Deckung hätte bringen können. Aber Elder sprach schnell weiter, so daß sie ihm ihre ganze Aufmerksamkeit widmen mußte. »Trotzdem hat es mich ziemlich schlimm erwischt. Sie haben mich für tot gehalten und über Bord geworfen. Glücklicherweise war ich nicht ganz so tot, wie sie dachten. Ich schleppte mich zum Ufer.« Er rückte näher an sie heran, so daß sein Gesicht nur noch ein Stück von ihrem entfernt war, als sie den Kopf hob und ihn ansah. »Was danach war, weiß ich nicht mehr. Ich war für ein paar Tage bewußtlos.«

»Bewußtlos? Sie hätten dich finden müssen. Ich meine, die Männer der Stadtgarde haben jeden Meter abgesucht,«

Elder zuckte die Schultern. »Ich glaube, ich bin ein gutes Stück abgetrieben worden. Als ich aufwachte, war ich jedenfalls allein. Ich hatte das Schlimmste wohl hinter mir. Jedenfalls habe ich es irgendwie geschafft, wieder nach oben zu kommen und mit meinen Leuten Kontakt aufzunehmen.«

Seine Geschichte hatte Löcher, die so groß waren, daß man einen Drachen hätte hindurchschieben können. Aber Kara widersprach ihm nicht. Sie war völlig durcheinander. Seine Nähe erfüllte sie mit einer Verwirrung, die es ihr schwermachte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Deine Leute«, sagte sie, aber Elder unterbrach sie sofort mit einem Kopfschütteln – und legte ihr in der gleichen Bewegung den Arm um die Schulter. Kara fuhr unter der Berührung zusammen, aber sie gestand sich auch gleichzeitig ein, daß Elders Nähe ihr gefiel.

»Meine Leute sind tot«, sagte er. »Die vier, die die Explosion meines Schiffes überlebt haben, hast du erledigt.«

Seine Worte erfüllten Kara für einen ganz kurzen Moment mit Schaudern. Die Kälte, mit der er über den Tod seiner Gefährten sprach, stieß sie beinahe ab. Aber das wohlige Gefühl seiner Nähe vertrieb diesen Gedanken rasch. Elders Berührung erfüllte sie mit einem Kribbeln, das ihr nicht ganz fremd war – das sie aber in diesem Augenblick bestimmt nicht erwartet hatte.

Sie schob seinen Arm beiseite, aber er schien genau zu spüren, warum sie es tat, denn er wirkte kein bißchen verletzt, sondern griff statt dessen nach ihrer Hand. Kara wollte auch sie zurückziehen, aber er hielt sie einfach fest.

»Wie lange seid ihr schon hier?« fragte sie.

Er überlegte einen Moment. »Sechs... nein, beinahe sieben Jahre.«

»Das ist eine lange Zeit«, sagte Kara.

»Ja und nein«, antwortete Elder. »Wir rechnen in anderen Zeiträumen als ihr.« Seine Hand löste sich von der ihren und legte sich wieder um ihre Schulter, und diesmal wehrte sie sich nicht, als er sie sanft zu sich heranzog. Außerdem schien sich ihre eigene, linke Hand plötzlich selbständig zu machen, denn sie glitt ohne Karas Zutun seinen Hals hinauf.

Das schien einer der Momente zu sein, in denen Hrhon das Gefühl hatte, sie besser allein zu lassen, denn sie hörte, wie er sich bewegte, und einen Moment später fiel die Tür ins Schloß. »Aber warum habt ihr in all dieser Zeit nicht...«

Er verschloß ihre Lippen mit einem Kuß, gegen den sie sich nur einen Wimpernschlag lang wehrte.

Und auch ihre rechte Hand machte sich plötzlich selbständig und tat Dinge, die sie selbst ein wenig überraschten. »Und wenn jemand hereinkommt?« fragte Elder, als sie sich atemlos wieder voneinander lösten und Kara begann, ihre Bluse zu öffnen. »An Hrhon vorbei?« Sie lachte. »Nichts, was kleiner ist als ein Drachen, kommt an ihm vorbei. Er ist mein Leibwächter.«

»Hoffen wir, daß er seinen Job nicht zu ernst nimmt«, sagte Elder mit einem schrägen Blick zur Tür.

Für die nächste Stunde war das das letzte, was sie sprachen. Elder war nicht der erste Mann, den sie hatte, aber es war wie das erste Mal. Er war zugleich zärtlich wie stark, erfahren und scheu wie ein Junge, der noch nicht ganz zum Mann geworden war. Hinterher lagen sie lange eng aneinandergeschmiegt auf dem viel zu schmalen Bett, und Kara kämpfte gegen die Müdigkeit an, die schon wieder nach ihr greifen wollte. Es wäre schön, einfach so an seiner Seite einzuschlafen, dachte sie, seine Wärme zu spüren und das Gefühl, sicher und beschützt zu sein. Aber sie durfte sich nicht dem Schlaf hingeben. Unvorstellbar, wenn Cord oder gar Aires sie so überraschten.

Sie zwang sich, die Augen offenzuhalten, und stemmte sich auf die Ellbogen hoch, als er die Beine von der Liege schwang und sich nach seinen Kleidern bückte, die auf denen Karas lagen, ineinanderverschlungen wie sie selbst noch vor Augenblicken. Ohne die geringste Scheu betrachtete sie seinen Körper. Angezogen sah er sehr, sehr schlank aus, fast schon schmächtig, aber unter seiner Haut verbargen sich stahlharte Muskeln. Er hatte die Statur eines Raubtieres, das sich schnell wie der Wind zu bewegen imstande war. Und Kara hatte ja auch bei früheren Gelegenheiten schon erlebt, wie stark er war.

Er schien ihren Blick zu spüren, denn er wandte plötzlich den Kopf und sah sie an. »Woran denkst du?« fragte er.

»Vielleicht frage ich mich, was du denkst?« antwortete Kara. »Willst du wissen, ob es schön war?« Elder lachte. »Diese Frage stellt eigentlich der Mann. Aber ich kann dich beruhigen. Es war schön.«

»Nur schön?« Kara setzte sich vollends auf. »Mehr nicht?«

Er schwieg einen Moment. Als er antwortete, klang seine Stimme ein wenig traurig. »Was willst du hören – daß ich dich liebe? Ich mag dich, Kara. Aber Liebe?« Er suchte einen Moment nach Worten. »Ich habe dir gesagt, woher ich komme, Kara. Wir sind dort sehr vorsichtig mit diesem Wort, weißt du? «

»Warum?« fragte Kara. »Kann man niemanden mehr lieben, wenn man zwischen den Sternen fliegt?«

Elder lächelte bitter. »Vielleicht ist das der Preis, den wir bezahlen müssen«, murmelte er. Dann fragte er ganz unvermittelt: »Wie alt bist du, Kara!«

»Achtzehn«, antwortete sie verwirrt. »Warum?«

»Und für wie alt würdest du mich halten?«

Sie betrachtete ihn noch einmal. Zuerst fiel ihr auf, wie schwer es war, sein Alter zu schätzen – er hätte zwanzig, aber auch vierzig Jahre alt sein können. Oder hundert? Durch seine Frage vorgewarnt, sagte sie zögernd: »Dreißig?«

Elder lachte. »Ich bin mehr als zweihundert Jahre alt, Kara.«

Erschrocken setzte sie sich stocksteif auf. »Zweihundert?!«

»Ich sagte dir, daß wir in anderen Dimensionen rechnen als ihr«, antwortete Elder. »Unsere Welt ist größer als eure, und wenn sich die Welt ausdehnt, in der du lebst, dann dehnt sich auch die Zeit. Wir rechnen in Jahrhunderten, wie ihr in Jahrzehnten.«

»Soll das heißen, ihr seid... unsterblich?« fragte Kara ungläubig.

»Nein«, antwortete Elder. »Aber wir leben so lange, daß es der Sache schon ziemlich nahe kommt. Sehr wenige von uns sterben an Altersschwäche, früher oder später erwischt es jeden – ein Unfall, oder du fliegst mit deinem Schiff zu weit hinaus und kommst nicht zurück... Auch Selbstmord ist eine recht häufige Todesursache. Ein langes Leben ist etwas Wundervolles, aber ich glaube, viele werden es eines Tages überdrüssig. Wenn du alles getan hast, was überhaupt getan werden kann, dann ist der Tod irgendwann vielleicht die letzte wirkliche Herausforderung.« Er schwieg einen Moment, aber dann blickte er in ihr Gesicht und sah, mit welchem Schrecken sie seine Worte erfüllten. »Keine Sorge. Ich denke noch lange nicht daran, mich umzubringen. Nicht, solange es noch Mädchen wie dich gibt.«

»Obwohl ich dir nichts bedeute?«

»Aber wer sagt denn das? Ich sagte nur, daß wir sehr vorsichtig mit Worten wie ›Liebe‹ und ›für immer‹ sind«, antwortete er ernst. Dann lächelte er wieder. »Du warst keine Jungfrau mehr«, sagte er. »Hast du viele Männer vor mir... gekannt?«

»Geht dich das etwas an?« fragte Kara.

»Nein. Aber hast du sie alle unsterblich geliebt?«

Sie wollte wütend werden, aber es gelang ihr nicht. »Nein«, gestand sie nach einer Weile. »Sie waren ganz nett, aber...«

»Siehst du?« Elder beugte sich zur Seite und küßte sie flüchtig. »Und ich finde dich eine ganze Menge mehr als ganz nett. Das ist doch schon ein Fortschritt, oder?«

»Zweihundert Jahre.« Kara seufzte und schüttelte ein paarmal den Kopf. »Kein Wunder.«

»Was?«

»Daß du so... anders warst als die anderen. Du hattest eine Menge Zeit zum Üben.«

»Das hatte ich«, bestätigte Elder und küßte sie noch einmal und sehr, sehr viel länger.

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