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»Was wollt Ihr damit sagen?« Ein erstarrtes Lächeln lag auf Gendiks Zügen, das so falsch und schmierig wirkte wie der betont freundliche Klang seiner Stimme, Kara hatte spontan beschlossen, ihn nicht zu mögen.

Auch Angella brachte ihm offenbar nicht die größten Sympathien entgegen, Ihre Stimme klang so glatt und hart wie das Glas. »Ich will überhaupt nichts sagen, Exzellenz«, antwortete sie kühl. »Aber drei meiner Leute sind mit einem Laser oder einer ähnlichen Waffe erschossen worden. Und der Stützbalken eines Tunnels wurde offensichtlich mit der gleichen Waffe zerschnitten, um den Tunnel zum Einsturz zu bringen. Und das in einer Stadt, in der Schußwaffen bei Todesstrafe verboten sind. Außer für die Angehörigen Ihrer persönlichen Garde.«

»Schelfheim ist eine große Stadt«, antwortete Gendik mit einem ausdruckslosen Lächeln.

»Zählt der Tod von drei Menschen in einer großen Stadt weniger als in einer kleinen?« fragte Angella.

Gendik zeigte sich unbeeindruckt. »Ich will damit sagen, verehrte Angella, daß Schelfheim eine wirklich große Stadt ist. Die Stadtgarde umfaßt allein dreißigtausend Mann. Und jedes Jahr werden hundert oder hundertfünfzig davon getötet. Zwanzig oder dreißig von ihnen verschwinden einfach. Und mit ihnen ihre Waffen. In zehn Jahren macht das allein zwei- oder dreihundert; von den Diebstählen, Überfallen und Waffen, die auf dem schwarzen Markt angeboten werden, ganz zu schweigen. Und...« Er hob die Stimme in jener eingeübten, fast immer wirkungsvollen Art, zu der nur Politiker fähig sind. »Eure Krieger genießen einen gewissen Ruf.« Gendik deutete mit einer gepflegten, aber sehr kräftigen Hand auf Kara. »Gestern erst hat dieses Mädchen, das aussieht wie ein Kind, das keiner Fliege etwas zuleide tun kann, vier meiner Männer niedergeschlagen und einen halben Krieg begonnen.«

»Ich bitte Sie, Exzellenz, das ist doch...«

»Es ist wichtig, Angella«, unterbrach sie Gendik. »Denn es beweist, daß ich recht habe. Man fürchtet Euch, Angella. Ihr genießt den Ruf, unbesiegbar zu sein. Stärke kann sich auch gegen den Starken selbst richten. Es wundert mich nicht, daß die Mörder Eurer Brüder und Schwester sich einer solchen Waffe bedienten. Würdet Ihr einen Drachenkämpfer mit dem Schwert in der Hand angreifen – vorausgesetzt, Ihr gehört nicht selbst zu ihnen?«

»Kaum«, gestand Angella. »Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, Gendik, daß man sie getötet hat. Ihr habt es selbst gesagt. Wir genießen einen gewissen Ruf. Niemand tötet einen Drachenkämpfer ohne einen sehr triftigen Grund.«

»Irgend jemand hat es getan«, widersprach Gendik ruhig. »Und ich fürchte, wir werden nie herausfinden, wer. Vielleicht waren sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Alles mögliche Gesindel treibt sich dort unten herum. Vielleicht haben sie Schmuggler bei ihrer Arbeit gestört. Sie nutzen die Katakomben gern, um unseren Patrouillen zu entgegen.«

»Und dazu steigen sie eine halbe Meile tief in die Erde hinab?«

Angella schnaubte. »Macht Euch nicht lächerlich, Gendik.«

Schelfheims Gouverneur blickte sie verwirrt an. Er wirkte nicht einmal erzürnt, sondern nur verwirrt; vollkommen überrascht, daß es jemand wagte, in diesem Ton mit ihm zu reden. »Jemand hat die drei ermordet, Exzellenz«, fuhr Angella fort. »Es war kein unglücklicher Zufall. Sie wurden ermordet, weil sie etwas sahen, was sie nicht sehen durften. Und ich werde herausfinden, wer es war – und warum.« Sie trank einen Schluck. Das Glas klirrte leise, als es gegen den Rand ihrer Maske stieß. Gendik stand auf und begann unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. Es war ein sehr großes helles Zimmer mit verglasten Fenstern, das sich im obersten Stockwerk des höchsten Bauwerkes der Stadt befand: dem Gouverneurspalast. Der runde Turm ragte weit über den Dächern der Stadt empor, mit dem Ergebnis, daß er mehr als doppelt so schnell in den Boden einsank wie die übrigen Gebäude – woraus wiederum folgte, daß Gendik nicht alle zehn, sondern alle vier Jahre in ein neu aufgesetztes Stockwerk umziehen mußte.

»Was mich zu der Frage zurückbringt, weshalb ich Euch zu mir gebeten habe, edle Angella«, sagte er nach einer Weile, wobei er im Zimmer innehielt, sich aber nicht wieder setzte. »Ihr habt mich gerufen?« Angella runzelte die Stirn. »Ich dachte, ich wäre es gewesen, die Euch sprechen wollte.«

»Euer Bote erreichte mich im gleichen Moment, in dem ich den meinen losschicken wollte«, erwiderte Gendik ungerührt. »Meine Frage ist ganz einfach: Was suchten Eure Leute dort unten, als sie getötet wurden?«

»Einen neuen Zugang zum Trieb«, antwortete Angella. »Der Schacht ist auf halbem Wege eingestürzt.«

»Wenn das die Wahrheit ist«, sagte Gendik in einem Ton, der bewies, daß er ganz genau wußte, daß es nicht die Wahrheit war, »dann sind sie ein gehöriges Stück vom richtigen Weg abgekommen.«

Angella zuckte gelassen die Schultern. »Das mag sein. Wir bewegen uns normalerweise eine Meile über der Erde; nicht darunter.«

Gendik seufzte, spielte das Spiel aber noch immer mit. »Und was glaubtet Ihr dort unten zu finden?«

»Vielleicht etwas, das wir am liebsten gar nicht finden wollten. Ihr habt mit Donay gesprochen.«

»Selbstverständlich«, sagte Gendik. »Aber das beantwortet nicht meine Frage, Angella. Seit wann kümmern sich die Drachenkämpfer um solche Dinge? Wenn der Hochweg wirklich in Gefahr ist – was interessiert Euch daran?«

»Im Grunde nichts«, gestand Angella freimütig. Sie leerte ihr Glas und stellte es auf den Tisch zurück.

»Auf der anderen Seite aber interessiert uns eben alles, was ungewöhnlich ist.«

»Es gibt Stimmen, die meinen, daß Ihr und Eure Kämpfer in den letzten Jahren etwas zu neugierig geworden seid«, erwiderte Gendik.

Kara musterte ihn überrascht von der Seite. Täuschte sie sich – oder hörte sie wirklich eine versteckte Drohung in seiner Stimme? Angella schwieg.

»Es gibt diese Stimmen auch in dieser Stadt«, fuhr Gendik fort. »Manche behaupten, daß Ihr vergessen habt, wer Ihr wirklich seid.«

»So?« erwiderte Angella kalt. »Und wer sind wir?«

»Krieger«, antwortete Gendik ruhig. »Tapfere Krieger, die unseren Respekt und unsere Dankbarkeit verdienen, denn zweifellos wäre diese Welt nicht, was sie ist, ohne Euch und Euren Schutz.«

»Aber Ihr meint auch, wir sollten es dabei bewenden lassen«, sagte Angella. »Ihr meint, wir sollten uns auf unsere Drachen schwingen und die Grenzen des Landes bewachen und nach Feinden Ausschau halten, nicht wahr?«

»Was ich meine, tut nichts zur Sache«, antwortete Gendik. »Aber vielleicht tun wir genau das«, fuhr Angella fort, ohne seine Antwort überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Sie schnippte mit den Fingern. »Ihr habt recht, Gendik – es interessiert mich überhaupt nicht, ob diese Brücke stehenbleibt oder umfällt. Aber ungewöhnliche Dinge interessieren mich. Und es geschehen ungewöhnliche Dinge im ganzen Land. Ich bin sicher, Ihr wißt, wovon ich rede. In mehreren Städten sind die Lebensmittelvorräte für den Winter ohne ersichtlichen Grund verdorben. In der westlichen Provinz ist fast die gesamte Ernte von einem Schädling vertilgt worden, von dem niemand zuvor gehört hat. Im Osten wütet eine Krankheit, gegen die unsere besten Heiler machtlos sind. Es kommt überall im Land zu immer schlimmeren Mutationen, und in manchen Städten werden plötzlich keine Kinder mehr geboren. Die Aufzählung ließe sich beliebig lang fortsetzen, aber ich glaube, Ihr wißt auch so, worauf ich hinaus will.«

Kara sah Angella überrascht und erschrocken zugleich an. Wieso wußte sie nichts von all diesen Dingen?

»Und worauf wollt Ihr hinaus?« fragte Gendik.

»Auf die Frage, ob wir vielleicht nicht schon längst angegriffen werden«, antwortete Angella.

Gendik lachte. »Jetzt seid Ihr es, die sich lächerlich macht«, sagte er. »Angegriffen? Von ein paar Schädlingen und einer Krankheit?«

»Nein«, antwortete Angella ärgerlich. »Aber vielleicht von jemandem, der uns diese Plagen geschickt hat, Gendik! Wenn ich dieses Land erobern müßte, so würde ich es ganz genau so machen. In diesem Winter werden viele verhungern. Im nächsten vielleicht noch mehr, wenn wir nicht mit den Problemen fertig werden. Zwei oder drei solcher Jahre, und wir sind praktisch wehrlos. Vielleicht ist das ihre Art, uns sturmreif zu schießen.«

»Ein interessanter Gedanke«, sagte Gendik. »Aber ein wenig weit hergeholt, findet Ihr nicht auch? Der letzte Angriff auf eine Stadt liegt fünfundzwanzig Jahre zurück.«

»Zehn«, verbesserte ihn Kara.

»Sie muß es wissen. Sie war die einzige Überlebende«, fügte Angella mit einem Blick auf Kara hinzu.

Gendik wirkte ein wenig irritiert, fing sich aber rasch wieder. »Gut. Aber auch zehn Jahre sind eine sehr lange Zeit. Ich glaube nicht, daß sie heute noch eine Gefahr darstellen. Die einzigen Drachen, die es heute noch gibt, sind die, die Ihr und Eure Krieger reitet.«

»Woher wollt Ihr das wissen?« fuhr Angella auf. »Wir haben Jandhi und ihre Feuerdrachen besiegt, aber wir haben niemals herausgefunden, woher sie wirklich kamen! Vielleicht haben sie ja nie aufgehört, uns anzugreifen, und wir haben es nur nicht gemerkt! «

»Und Ihr wollt diesen Krieg nun in Schelfheim beenden?«

»Vielleicht wollen wir ihn hier anfangen, Gendik!« erwiderte Angella heftig. »Begreift Ihr wirklich nicht, daß Ihr hier vor allen anderen in Gefahr seid?«

»Wir? Aber warum denn?«

»Eine solch große Stadt ist allemal ein lohnendes Ziel«, erklärte Angella. »Zerstört Ihr sie, habt Ihr praktisch das halbe Land vernichtet.«

Gendik lachte. »Niemand kann Schelfheim zerstören«, sagte er. »Es ist einfach zu groß. Und selbst wenn, würden wir es wieder aufbauen. Wir haben diese Stadt schon tausendmal wieder aufgebaut, habt Ihr das vergessen?«

»Nein«, seufzte Angella. »Aber ich fürchte, es hat keinen Zweck, wenn wir weiterreden. Ich habe auf Eure Hilfe gehofft, aber...«

»Ich habe Euch bereits geholfen, Angella«, unterbrach sie Gendik. »Auch wenn Ihr es vermutlich nicht einmal bemerkt habt. Die meisten hier waren dagegen, Euch und Eure Kämpfer in die Stadt zu lassen. Es hat mich meinen ganzen Einfluß gekostet, Euch überhaupt den Einlaß zu erlauben – und dann zu verhindern, daß Ihr kurzerhand aus der Stadt geworfen wurdet, nach dem, was dieses Mädchen getan hat. Die Leute fürchten Euch, Angella. Es tut mir leid, aber so stehen die Dinge nun einmal.«

»Dann kann ich... nicht weiter mit Eurer Unterstützung rechnen?« fragte Angella zögernd.

»Mehr kann ich nicht für Euch tun, ja«, antwortete Gendik. »Es darf nichts mehr geschehen, keine Versteckspiele mehr, keine Abenteuer und Husarenstücke.« Er klatschte in die Hände, und fast im gleichen Moment betrat Elder den Raum. Gendik deutete auf ihn.

»Ihr kennt ja Hauptmann Elder. Er wird Euch von jetzt an auf Schritt und Tritt begleiten. Falls Ihr irgendwelche Wünsche habt, so wendet Euch nur an ihn. Ich werde dafür sorgen, daß er weitreichende Vollmachten erhält.«

»Elder?« Angella schüttelte zornig den Kopf. »Als Aufpasser, meint Ihr?«

»Ich denke, das Wort Begleiter macht es Euch leichter. Bitte, glaubt mir, daß ich Euch helfen will, Angella. Aber mir sind die Hände gebunden.«

»Dann betet, daß das noch lange Zeit so bleibt«, sagte Angella zornig. »Denn es könnte gut sein, daß bald jemand kommt, der sie Euch abreißt!«

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