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Für die beiden Jungen war der Pfad, auf dem sie durch den Wald schlenderten, ein breiter Damm. Beide waren so mit dickem schwarzem Schlamm verklebt, dass man sie kaum als menschliche Wesen erkennen konnte. Der größere der beiden hatte blaue Augen, die unnatürlich hell aus der antrocknenden, juckenden Panade hervorstachen.

»Dafür bringen sie uns um, Marcus«, sagte er grinsend und schwang lässig seine Schleuder, die von dem Gewicht eines glatten Flusskiesels straff gehalten wurde.

»Und du bist schuld daran, Gaius, weil du mich reingestoßen hast. Ich hab dir ja gesagt, dass das Flussbett nicht überall trocken ist.«

Noch während er sprach, schubste der kleinere Junge seinen Freund lachend in die Büsche, die den Wegrand säumten. Unter lautem Gejohle rannte er davon, als Gaius sich wieder herauswand und mit wirbelnder Schleuder die Verfolgung aufnahm.

»Auf in die Schlacht!«, erklang sein Schrei.

Die Abreibung, die ihnen zu Hause drohte, weil sie ihre Tuniken verdreckt hatten, war noch weit weg, außerdem kannten die beiden Jungen ohnehin sämtliche Tricks und Ausflüchte, um sich aus der Affäre zu ziehen. Für die beiden zählte jetzt nichts anderes, als mit voller Geschwindigkeit über die Waldwege zu jagen und Vögel aufzuscheuchen. Beide Jungen waren barfuß, und obwohl sie erst acht Sommer erlebt hatten, zeigten sich an ihren Füßen bereits Schwielen.

»Dieses Mal kriege ich ihn«, murmelte Gaius keuchend vor sich hin. Es war ihm ein Rätsel, wieso Marcus, obwohl ihm genau die gleiche Anzahl Beine und Arme zur Verfügung stand wie ihm selbst, diese irgendwie dazu bringen konnte, sich schneller zu bewegen. Eigentlich müssten seine Schritte doch kürzer sein, weil er kleiner war, oder?

Die Blätter peitschten an ihm vorbei und brannten auf seinen nackten Armen. Er hörte, wie sich Marcus, der nicht weit vor ihm war, über ihn lustig machte. Allmählich tat Gaius die Lunge weh, und er bleckte die Zähne.

Ohne Vorwarnung kam er aus vollem Lauf auf eine Lichtung geschossen, wo er abrupt zum Stehen kam. Marcus lag auf dem Boden, versuchte sich aufzusetzen und hielt sich mit der rechten Hand den Kopf. Drei Männer - nein, es waren ältere Jungen - mit Wanderstäben in den Händen standen um ihn herum.

Gaius erfasste die Situation und stöhnte auf. Die wilde Jagd hatte die beiden Jungen von dem kleinen Anwesen seines Vaters weg und in das Waldstück des Nachbarn hineingeführt.

Eigentlich hätte er den Pfad, der die Grenzen markierte, gleich erkennen müssen.

»Was haben wir denn da? Ein paar kleine Schlammfische, frisch aus dem Fluss gekrochen!«

Der so sprach war Suetonius, der älteste Spross des Nachbarn. Er war vierzehn und hatte nichts anderes zu tun als die Zeit totzuschlagen, bevor er zur Armee ging. Seine Muskeln waren gut trainiert, wohingegen die der beiden jüngeren Knaben noch nicht voll entwickelt waren. Ein blonder Schopf thronte über Suetonius’ mit Pickeln gesprenkeltem Gesicht. Nicht nur Wangen und Stirn waren mit Pusteln bedeckt, noch mehr tiefrote Entzündungen lugten unter seiner Praetexta hervor. Außerdem hatte er einen langen, geraden Stock, ein paar Freunde, die es zu beeindrucken galt, und einen Nachmittag, mit dem er sonst nichts Besseres anzufangen wusste. Gaius hatte Angst. Er wusste, dass er eigentlich nicht hier sein durfte. Er und Marcus hatten die Grenze überschritten. Das Mindeste, was ihnen jetzt widerfahren würde, waren ein paar Stockhiebe, schlimmstenfalls aber wurden sie derartig verprügelt, dass sie sich ein paar gebrochene Knochen einhandelten. Er blickte zu Marcus hinüber und sah, wie sein Freund versuchte, wieder auf die Beine zu kommen. Offensichtlich war er mit irgendwas zu Boden geschlagen worden, nachdem er unversehens in die älteren Jungen hineingerannt war.

»Lass uns gehen, Tonius. Wir werden zu Hause erwartet.«

»Sprechende Schlammfische! Damit machen wir ein Vermögen, Jungs! Schnappt sie euch. Ich habe zufällig ein Seil zum Schweinefesseln dabei, das kann man bestimmt auch für Schlammfische benutzen.« Da Marcus nicht entkommen konnte, zog Gaius Flucht gar nicht erst in Betracht. Das hier war kein Spiel mehr. Die Grausamkeit der Jungen ließ sich womöglich besänftigen, wenn man ihnen mit Vorsicht begegnete und besonnen auf sie einredete wie auf Skorpione, die bereit waren, ohne Vorwarnung anzugreifen.

Suetonius’ Gefährten näherten sich mit schlagbereiten Stäben. Gaius kannte die beiden nicht. Einer riss Marcus hoch, der andere, ein stämmiger, beschränkt aussehender Junge, rammte Gaius seinen Stab in den Bauch. Unfähig einen Laut von sich zu geben, krümmte dieser sich vor Schmerzen. Als er zusammenklappte, hörte er den Jungen lachen. Er stöhnte leise und versuchte, sich um den Schmerz herumzukrümmen.

»Da drüben ist ein Ast, der müsste reichen. Bindet ihre Füße zusammen und verschnürt sie so, dass wir sie baumeln lassen können. Dann können wir ausprobieren, wer der beste Speerund Steinwerfer ist.«

»Dein Vater kennt meinen Vater«, stieß Gaius hervor, als der Schmerz in seinem Bauch etwas nachließ.

»Das stimmt. Aber er kann ihn nicht leiden. Mein Vater ist ein richtiger Patrizier, nicht wie deiner. Wenn er wollte, könnte er deine ganze Familie zu seinen Bediensteten machen. Dann lass ich deine verrückte Mutter die Fliesen schrubben.«

Immerhin redete Suetonius noch. Der Schläger war gerade dabei, Gaius’ Füße mit dem Seil aus Pferdehaar zusammenzubinden, um ihn daran hochzuziehen. Womit konnte Gaius weiter verhandeln? Sein Vater hatte nicht viel Einfluss in der Stadt, nur die Familie seiner Mutter hatte ein paar Konsuln hervorgebracht, das war alles. Aber Onkel Marius war ein mächtiger Mann, zumindest behauptete das seine Mutter.

»Wir sind Nobilitas! Mit meinem Onkel Marius sollte man sich besser nicht anlegen .« Plötzlich ertönte ein schriller Schrei. Das Seil über dem Ast spannte sich, und Marcus wurde kopfüber in die Luft geschleudert.

»Bindet das Seilende an diesem Baumstumpf fest! Dann kommt dieser Fisch hier an die Reihe«, lachte Tonius schadenfroh.

Gaius sah, dass Tonius’ Freunde seinen Befehlen ohne Zögern Folge leisteten, also war es völlig sinnlos, einen der beiden anzuflehen.

»Lass uns runter, du pickliger Eiterbeutel!«, schrie Marcus, dessen Gesicht durch den Blutandrang rot anlief.

Gaius stöhnte. Jetzt würden sie sie umbringen, so viel war sicher.

»Marcus, du Idiot. Sag nichts über seine Pickel. Man sieht doch, dass er deswegen bestimmt empfindlich ist.«

Suetonius zog eine Augenbraue hoch und klappte überrascht den Mund auf. Der untersetzte Junge, der gerade das Seil über den gleichen Ast werfen wollte, an dem bereits Marcus schaukelte, hielt inne.

»Oh, jetzt hast du aber einen Fehler gemacht, kleiner Fisch. Zieh den da auch noch hoch, Decius. Den lass ich ein bisschen bluten.«

Plötzlich kippte die Welt vor Gaius’ Augen auf Übelkeit erregende Weise auf den Kopf; er hörte den Ast ächzen, und ein leises Pfeifen summte in seinen Ohren, als ihm das Blut in den Kopf stieg. Er drehte sich langsam im Kreis, bis er Marcus in der gleichen prekären Stellung neben sich hängen sah. Seine Nase blutete ein wenig von dem Schlag, der ihn anfangs zu Boden gestreckt hatte.

»Ich glaube, du hast mein Nasenbluten gestillt, Tonius. Danke schön.« Marcus’ Stimme zitterte leicht, und Gaius musste über die Tapferkeit seines Freundes lächeln.

Als er zu ihnen auf das Gut kam, war der kleine Junge von Natur aus sehr nervös und ein bisschen zu klein für sein Alter gewesen. Gaius hatte ihm das Anwesen gezeigt, und schließlich waren sie in der Heuscheune gelandet, hoch über den aufgestapelten Garben. Sie hatten auf den losen Haufen tief unter ihnen hinuntergeschaut, und Marcus’ Hände hatten gezittert.

»Ich springe zuerst und zeige dir, wie’s geht«, hatte Gaius fröhlich gesagt und war jauchzend mit den Füßen voran in die Tiefe gehüpft.

Von unten hatte er ein paar Sekunden lang zur Kante hinaufgeblickt und darauf gewartet, dass Marcus ihm folgte. Gerade als er schon glaubte, dass nichts mehr geschehen würde, schoss eine kleine Gestalt in hohem Bogen durch die Luft. Gaius konnte sich gerade noch zur Seite werfen, bevor Marcus atemlos nach Luft japsend ins Heu plumpste.

»Ich dachte schon, du hast zu viel Angst«, hatte Gaius zu dem neben ihm ausgestreckten Jungen gesagt, der ihn durch die Staubwolke anblinzelte.

»Hatte ich auch«, hatte Marcus leise geantwortet, »aber Angst lasse ich einfach nicht gelten. Ich lasse sie einfach nicht zu.«

Suetonius’ harsche Stimme unterbrach Gaius’ kreisende Gedanken: »Meine Herren, Fleisch muss zuerst ordentlich weich geklopft werden. Nehmt eure Positionen ein und beginnt mit der Prozedur, und zwar so.«

Mit diesen Worten holte er mit seinem Stock über Gaius’ Kopf aus und traf ihn dicht über dem Ohr. Die Welt um Gaius herum wurde zuerst weiß, dann schwarz. Als er die Augen schließlich wieder öffnete, drehte sich alles um ihn herum, weil das Seil im Kreis herum trudelte. Eine Zeit lang spürte er die Schläge noch, während Suetonius laut mitzählte. »Eins, zwei, drei. Eins, zwei, drei .«

Er bildete sich ein, Marcus weinen zu hören, dann schwanden ihm inmitten des höhnischen Gejohles und Gelächters die Sinne.

Noch bei Tageslicht kam er ein paarmal zu sich, wurde jedoch immer wieder ohnmächtig. Erst in der Abenddämmerung gelang es ihm endlich, bei Bewusstsein zu bleiben. Sein rechtes Auge war blutunterlaufen, sein Gesicht geschwollen und verklebt. Noch immer hingen sie kopfüber an dem Ast und pendelten sanft im Abendwind, der von den Hügeln herunterstrich.

»Marcus, wach auf! Marcus!«

Sein Freund rührte sich nicht. Er sah furchtbar aus, wie eine Art Dämon. Die Kruste aus angetrocknetem Flussschlamm war abgeplatzt, nur grauer, von roten und purpurnen Streifen durchzogener Staub haftete noch an ihm. Sein Kiefer war geschwollen, und an der Schläfe stand eine Beule ab; seine linke Hand war dick und hatte im schwindenden Licht eine bläuliche Tönung. Gaius versuchte, die eigenen Hände zu bewegen, die noch immer mit dem Seil gefesselt waren. Obwohl sie ganz steif waren und schmerzten, konnte er beide bewegen und versuchte, sie frei zu bekommen. Sein junger Körper war geschmeidig, und die Sorge um seinen Freund ließ ihn die Schmerzwelle ignorieren, die von neuem über ihm zusammenschlug. Er musste sich um Marcus kümmern, ihm durfte nichts passiert sein. Doch dazu musste Gaius zuerst selbst wieder auf die Erde kommen.

Eine Hand kam frei. Er streckte sie nach unten und streifte mit den Fingerspitzen Staub und trockene Blätter. Nichts. Auch die andere Hand kam frei und er weitete seine Suche aus, indem er seinen Körper langsam im Kreis schaukeln ließ. Ja, da lag ein kleiner Stein mit einer scharfen Kante. Und jetzt zum schwierigen Teil.

»Marcus! Kannst du mich hören? Ich hole uns hier runter. Mach dir keine Sorgen! Und dann bringe ich Suetonius und seine fetten Freunde um.«

Marcus schaukelte sanft und lautlos hin und her; sein schlaffer Mund stand offen. Gaius holte tief Luft und wappnete sich gegen den Schmerz. Schon unter normalen Umständen wäre es äußerst schwierig gewesen, nach oben zu greifen und, nur mit einem scharfen Stein ausgerüstet, ein dickes Seil zu durchtrennen. Da sein ganzer Unterleib mit Blutergüssen übersät war, schien die Aufgabe nahezu unmöglich.

Also los!

Er hievte sich hoch, und der Schmerz, der seinen Bauch blitzartig durchzuckte, ließ ihn aufschreien, doch es gelang ihm, den Oberkörper trotzdem nach oben zu recken und mit beiden Händen zuzufassen. Seine Lunge pumpte vor Anstrengung wie rasend. Er fühlte, wie er wieder schwächer wurde und vor seinen Augen alles verschwamm. Zuerst glaubte er, sich übergeben und nach ein paar Sekunden wieder loslassen zu müssen. Aber dann gelang es ihm doch, die Hand, die den Stein hielt, Zentimeter für Zentimeter zu lösen und sich nach hinten zu lehnen. Damit hatte er genug Platz, nach der Leine zu fassen und daran zu sägen, wobei er versuchte, seine Haut nicht zu verletzen, wo die Fesseln zu tief eingeschnitten hatten.

Der Stein war entmutigend stumpf, und Gaius konnte sich nicht lange oben halten. Um den Fall besser kontrollieren zu können, versuchte er loszulassen, bevor seine Hände abrutschten, doch das war unmöglich.

»Du hast immer noch den Stein«, murmelte er vor sich hin. »Du musst weitermachen, bevor Suetonius zurückkommt.«

Ein anderer Gedanke durchzuckte ihn. Vielleicht war sein Vater aus Rom heimgekehrt, denn er wurde jeden Tag zurückerwartet. Jetzt, mit Anbruch der Dunkelheit, würde er sich Sorgen machen. Vielleicht suchte er bereits nach den beiden Jungen, kam dieser Lichtung immer näher und rief ihre Namen. So durfte er sie auf keinen Fall finden. Die Schande wäre zu groß.

»Marcus? Wir sagen einfach, wir sind hingefallen. Ich will nicht, dass mein Vater davon erfährt.« Marcus schaukelte besinnungslos an dem knarrenden Seil im Kreis.

Noch fünfmal musste sich Gaius nach oben schwingen und an dem dicken Strick sägen, ehe dieser endlich nachgab. Dann landete er fast flach auf dem Boden und schluchzte, als seine geschundenen Muskeln zuckten und zitterten.

Er versuchte, Marcus langsam herabzulassen, doch er war zu schwer für ihn, und das plötzliche Gewicht in seinen Armen ließ ihn fast zusammenbrechen.

Immerhin erwachte Marcus durch den neuerlichen Schmerz des Aufpralls und öffnete die Augen. »Meine Hand«, flüsterte er mit brüchiger Stimme.

»Ich würde sagen, die ist gebrochen. Halte sie ruhig. Wir müssen hier weg, falls Suetonius zurückkommt oder mein Vater uns sucht. Es ist schon fast dunkel. Kannst du aufstehen?«

»Ich denke schon ... obwohl meine Beine sich ziemlich schwach anfühlen. Dieser Tonius ist ein Dreckskerl«, murmelte Marcus. Er versuchte, den Unterkiefer nicht zu bewegen und sprach stattdessen zwischen den geschwollenen, aufgeplatzten Lippen hindurch.

Gaius nickte grimmig. »Wohl wahr! Ich denke, mit dem haben wir noch eine Rechnung zu begleichen.«

Marcus grinste und zuckte sofort schmerzvoll zusammen, weil dabei die Risse in seinen Lippen wieder aufplatzten. »Aber erst müssen wir uns ein wenig erholen, meinst du nicht? Im Augenblick bin ich nicht besonders scharf darauf, es mit ihm aufzunehmen.«

Sich gegenseitig stützend wankten die beiden Jungen in der Dunkelheit nach Hause. Sie gingen etwa eine Meile über die Kornfelder, an den Sklavenquartieren der Feldarbeiter vorbei und auf die Hauptgebäude zu. Wie zu erwarten gewesen war, brannten die Öllampen an den Mauern des Haupthauses noch.

»Tubruk wartet bestimmt noch auf uns, der schläft nie«, murmelte Gaius, als sie zwischen den Pfeilern des äußeren Tores hindurchhumpelten.

Die Stimme aus dem Schatten erschreckte sie beide.

»Das ist auch gut so. Diesen Anblick hätte ich mir nur ungern entgehen lassen. Du kannst froh sein, dass dein Vater nicht hier ist. Wenn der euch dabei erwischt, wie ihr in einem solchen Aufzug nach Hause kommt, zieht er euch die Haut vom Rücken. Was war es denn dieses Mal?« Tubruk trat in das gelbe Licht der Öllampen und beugte sich vor. Er war kräftig gebaut, ein ehemaliger Gladiator, der sich die Position des Aufsehers auf dem kleinen Gut vor den Toren Roms gekauft und nie mehr zurückgeschaut hatte. Gaius’ Vater sagte immer, Tubruk sei ein Organisationstalent, wie man nur eines im Tausend findet. Die Sklaven arbeiteten gut unter ihm, manche aus Angst, andere, weil sie ihn mochten. Er roch an den beiden Jungen.

»Seid wohl in den Fluss gefallen, was? Jedenfalls riecht es so.«

Froh darüber, dass eine Erklärung bei der Hand war, nickten die beiden.

»Aber diese Striemen von Stockhieben habt ihr euch nicht im Flussbett geholt, oder? Das war Suetonius, stimmt’s? Ich hätte ihm schon vor Jahren mal in den Hintern treten sollen, als er noch jung und für gute Erziehung empfänglich war. Also?«

»Nein, Tubruk. Wir hatten Streit und haben ein bisschen miteinander gerauft. Außer uns war niemand im Spiel. Und selbst wenn es so wäre, würden wir das lieber alleine regeln, verstehst du?«

Tubruk musste grinsen, als er solche Worte von einem kleinen Jungen vernahm. Er war fünfundvierzig Jahre alt, doch sein Haar war bereits in den Dreißigern ergraut. Er war Legionär in der Dritten Kyrenaika in Afrika gewesen und hatte als Gladiator fast hundert Kämpfe ausgefochten, wovon eine Unmenge Narben auf seinem Körper zeugten. Er streckte seine riesige Schaufelhand aus und strich Gaius mit kantigen Fingern durchs Haar.

»Ja, das verstehe ich gut, kleiner Wolf. Du bist ganz der Sohn deines Vaters. Aber noch kannst du nicht alles alleine regeln. Du bist immer noch ein Knabe, und Suetonius oder wer auch immer entwickelt sich, wie ich höre, zu einem ausgezeichneten jungen Krieger. Seht euch vor. Sein Vater ist viel zu mächtig, als dass man ihn im Senat zum Feind haben sollte.«

Gaius richtete sich zu seiner vollen Größe auf und sprach so förmlich, wie er nur konnte, um seine Position klarzustellen.

»Dann trifft es sich ja gut, dass dieser Suetonius überhaupt nichts mit uns zu tun hatte«, erwiderte er.

Tubruk unterdrückte ein Grinsen und nickte, als akzeptiere er den Einwand.

Etwas selbstsicherer fuhr Gaius fort: »Schick Lucius zu uns, damit er nach unseren Wunden sieht. Meine Nase ist gebrochen und Marcus’ Hand höchstwahrscheinlich auch.« Tubruk sah ihnen nach, wie sie zum Haupthaus wankten und kehrte dann zu seinem Posten in der Dunkelheit zurück. Wie jede Nacht hielt er die erste Wache am Tor. Bald war Hochsommer und die Tage würden wieder unerträglich heiß sein. Das Leben war herrlich, mit einem so klaren Himmel über sich und ehrlicher Arbeit vor sich.

Am nächsten Morgen meldeten sich Muskeln, Gelenke und Wunden mit schmerzhaftem Protest, und die beiden darauf folgenden Tage waren sogar noch schlimmer. Marcus hatte Fieber bekommen. Von der gebrochenen Hand, die, geschient und verbunden, zu unglaublichen Dimensionen angeschwollen war, sei es zum Kopf gewandert, sagte der Medicus. Tagelang war er glühend heiß und musste im Dunkeln liegen, während Gaius auf den Stufen draußen vor sich hin grübelte.

Fast genau eine Woche nach dem Angriff im Wald war Marcus zwar immer noch schwach und schlief viel, befand sich jedoch auf dem Weg der Besserung. Auch Gaius’ Muskeln taten noch weh, wenn er sie streckte, und sein Gesicht war ein hübsches Sammelsurium aus gelben und blauen Flecken, die, an manchen Stellen glänzend und geschwollen, nach und nach verheilten. Es wurde langsam Zeit, Suetonius zu finden. Höchste Zeit sogar.

Während er durch den Wald des Familienguts streifte, schwirrten ihm Gedanken an Angst und Schmerz durch den Kopf. Was, wenn Suetonius nicht mehr auftauchte? Es bestand kein Grund, anzunehmen, dass er regelmäßige Ausflüge in den Wald unternahm. Was, wenn der ältere Junge wieder mit seinen Freunden unterwegs war? Sie würden ihn umbringen, daran bestand kein Zweifel. Dieses Mal hatte Gaius einen Bogen mitgebracht und übte im Gehen, die Sehne zu spannen. Es war ein Bogen für einen erwachsenen Mann und viel zu groß für ihn. Doch er hoffte, dass er das Bogenende auf den Boden stützen und die Sehne mit eingelegtem Pfeil weit genug spannen konnte, um Suetonius damit einzuschüchtern, falls der sich weigern sollte, den Rückmarsch anzutreten.

»Suetonius, du bist ein Drecksack voller Eiter. Wenn ich dich auf dem Land meines Vaters erwische, jage ich dir einen Pfeil durch den Kopf.«

So sprach er beim Gehen laut vor sich hin. Es war ein wunderschöner Tag, um im Wald spazieren zu gehen, und er hätte es vielleicht sogar genossen, wäre der Grund für sein Hiersein nicht so ernst gewesen. Dieses Mal hatte er sein braunes Haar mit Öl eng an den Kopf gekämmt und trug einfache, saubere Kleidung, die ihm Bewegungsfreiheit und ungehindertes Hantieren mit dem Bogen erlaubte.

Gaius befand sich immer noch auf seiner Seite der Grenze und war deshalb überrascht, als er Schritte hörte und plötzlich Suetonius und ein kicherndes Mädchen auf dem breiten Weg vor sich auftauchen sah. Der ältere Junge bemerkte ihn nicht gleich, war er doch ganz auf das Mädchen in seiner Begleitung konzentriert.

»Du überschreitest unsere Grenze«, fuhr Gaius ihn an. Er war froh, dass seine Stimme, wenn auch hell, so doch klar und fest klang. »Du befindest dich auf dem Grund und Boden meines Vaters.«

Suetonius erschrak und stieß vor Überraschung einen Fluch aus. Als er sah, wie Gaius das eine Ende des Bogens in den Waldboden bohrte, begriff er, dass man ihm drohte und fing an zu lachen.

»Oha, jetzt ist er ein kleiner Wolf! Es scheint ganz so, als könntest du viele Formen annehmen. Hast du das letzte Mal nicht schon genug Schläge eingesteckt, kleiner Wolf?«

Gaius fand das Mädchen sehr hübsch, aber er wünschte trotzdem, sie würde weggehen und irgendwo im Wald verschwinden. In seiner Fantasie war bei diesem Aufeinandertreffen kein Platz für ein weibliches Wesen, und er fühlte eine neue Art Gefahr von Suetonius ausgehen. Dieser legte melodramatisch einen Arm um das Mädchen.

»Vorsicht, meine Liebe. Das ist ein gefährlicher Kämpfer. Und kopfüber ist er besonders gefährlich, dann ist er überhaupt nicht mehr aufzuhalten!« Er lachte über seinen eigenen Witz und das Mädchen stimmte ein.

»Ist das der, von dem du mir erzählt hast, Tonius? Schau dir nur sein kleines, wütendes Gesicht an!«

»Wenn ich dich hier noch einmal erwische, durchbohre ich dich mit einem Pfeil«, sagte Gaius schnell. Seine Worte überschlugen sich. Er zog den Pfeilschaft ein paar Zentimeter zurück. »Verschwinde jetzt, oder ich schieße dich nieder.«

Suetonius hatte zu lächeln aufgehört und wog seine Chancen ab.

»Nun gut, lupusparvus, ich gebe dir, was du anscheinend haben willst.«

Ohne Vorwarnung rannte er auf Gaius los, der den Pfeil viel zu schnell losließ. Der Pfeil streifte die Tunika des älteren Jungen und fiel wirkungslos auf den Boden. Suetonius stieß einen gellenden Triumphschrei aus und kam mit vorgestreckten Armen und grausamen Augen auf Gaius zu. Von Panik ergriffen schlug Gaius mit dem Bogen um sich und traf den älteren Jungen auf die Nase. Blut schoss hervor und Suetonius brüllte vor Schmerz und Wut auf. Der Schmerz trieb ihm die Tränen in die Augen. Als Gaius erneut den Bogen hob, war Tonius bei ihm und packte die Waffe mit einer Hand. Mit der anderen griff er nach Gaius’ Kehle und stieß ihn allein durch die Wucht seines Angriffs sechs oder sieben Schritte zurück.

»Hast du noch mehr Drohungen auf Lager?«, knurrte er und drückte fester zu. Aus seiner Nase lief Blut und befleckte seine Tunika. Er entrang den Bogen Gaius’ Griff und fing an, damit auf ihn einzudreschen, ließ Schläge auf Gaius niederhageln, gab jedoch dessen Kehle nicht einen Moment frei.

»Er wird mich umbringen und dann behaupten, es sei ein Unfall gewesen«, dachte Gaius verzweifelt. »Ich sehe es in seinen Augen. Ich kriege keine Luft mehr.«

Er schlug mit den Fäusten auf den größeren Jungen ein, aber seine Arme waren zu kurz, als dass er wirklich einen Treffer hätte landen können. Die Farben schwanden vor seinen Augen, alles kam ihm vor wie im Traum, und seine Ohren nahmen keine Töne mehr wahr. Als Tonius ihn ins nasse Laub schleuderte, verlor er das Bewusstsein.

Etwa eine Stunde später fand Tubruk Gaius auf dem Weg und weckte ihn, indem er ihm Wasser über den geschundenen und zerschlagenen Schädel goss. Auch dieses Mal sah Gaius’ blutverkrustetes Gesicht wieder schlimm aus. Sein beinahe verheiltes Auge hatte sich jetzt mit Blut gefüllt, sodass er auf dieser Seite nurmehr Schatten wahrnahm. Seine Nase war erneut gebrochen und der Rest des Körpers ein einziger blauer Fleck.

»Tubruk?«, murmelte er benommen. »Ich bin vom Baum gefallen.«

Das Lachen des großen Mannes hallte durch den dichten Wald.

»Weißt du, mein Junge, niemand zweifelt an deinem Mut. Was aber deine Fähigkeiten als Kämpfer angeht, bin ich mir da nicht so sicher. Es wird höchste Zeit, dass du kämpfen lernst, bevor dich noch jemand umbringt. Sobald dein Vater aus der Stadt zurück ist, muss ich mit ihm darüber reden.«

»Du sagst ihm aber nichts davon ... dass ich vom Baum gefallen bin? Ich habe beim Sturz viele Äste gestreift.« Gaius schmeckte das Blut, das ihm von der gebrochenen Nase im Hals hinunterlief.

»Hast du den Baum wenigstens auch getroffen? Nur ein einziges Mal?«, fragte Tubruk, musterte das aufgewühlte Laub und las darin die Antwort.

»Ich schätze, der Baum hat genauso eine Nase wie ich.« Gaius versuchte zu lächeln, übergab sich jedoch stattdessen ins Unterholz.

»Hmmm. Glaubst du, die Geschichte ist damit beendet? Ich kann dich nicht so weitermachen lassen und zusehen, wie man dich verkrüppelt oder gar tötet. Wenn dein Vater in der Stadt ist, erwartet er, dass du allmählich deine Pflichten als sein Erbe und als Patrizier erlernst. Ganz bestimmt ist ihm nicht daran gelegen, einen nutzlosen Bengel großzuziehen, der ständig in sinnlose Keilereien verwickelt ist.« Tubruk bückte sich, um den zerbrochenen Bogen aus dem Unterholz zu ziehen. Die Sehne war gerissen, und er schüttelte missbilligend den Kopf.

»Dafür, dass du auch noch den Bogen geklaut hast, sollte ich dir den Hintern versohlen.«

Gaius nickte unglücklich.

»Keine Schlägereien mehr, verstanden?« Tubruk stellte ihn auf die Füße und klopfte ihm ein wenig nasse Erde ab.

»Keine Schlägereien mehr. Versprochen! Danke, dass du gekommen bist, um mich zu holen«, erwiderte Gaius.

Der Junge taumelte und fiel beinahe um, während er sprach. Der alte Gladiator seufzte. Mit einem raschen Griff hievte er sich den Knaben auf die Schultern, trug ihn zurück zur Villa und rief bei jedem tief herabhängenden Ast laut: »Duck dich!«

In der folgenden Woche war Marcus, bis auf seine geschiente Hand, schon wieder ganz der Alte. Er war etwa fünf Zentimeter kleiner als Gaius, hatte braunes Haar und kräftige Gliedmaßen.

Seine Arme waren im Vergleich zum Rest seines Körpers etwas zu lang, doch er behauptete immer, dass ihn das wegen der zusätzlichen Reichweite später zu einem großen Schwertkämpfer machen würde. Er konnte mit vier Äpfeln jonglieren und hätte es auch mit Messern versucht, wenn die Küchensklaven nicht Gaius’ Mutter Aurelia davon erzählt hätten. Sie hatte ihn angeschrieen, bis er versprochen hatte, es nie wieder zu probieren. Die Erinnerung daran ließ ihn jedes Mal kurz stocken, wenn er ein Messer zum Essen in die Hand nahm.

Als Tubruk den fast bewusstlosen Gaius zur Villa zurückbrachte, war Marcus bereits aufgestanden und hatte sich in den riesigen Küchenkomplex hinuntergeschlichen. Gerade als er seine Finger in die fettverschmierten Eisenpfannen stippen wollte, hörte er Stimmen. Marcus trottete an den gewaltigen Ziegelöfen vorbei zu Lucius’ Behandlungsraum.

Immer wenn sie sich verletzt hatten, versorgte Lucius, der Physikos unter den Sklaven, ihre Wunden. Er behandelte die Familie und alle Sklaven des Gutes, verband Schwellungen, versorgte Entzündungen mit Schröpfumschlägen, zog mit seiner Zange Zähne und vernähte Schnittwunden. Lucius war ein ruhiger, geduldiger Mann, der immer, wenn er sich konzentrierte, geräuschvoll durch die Nase atmete. Dieses sanfte Schnauben aus der Lunge des alten Arztes war für die Jungen zu einem Zeichen für Frieden und Geborgenheit geworden. Gaius wusste, dass, wenn sein Vater einmal starb, Lucius als Belohnung für seine treu sorgende Pflege Aurelias ein freier Mann sein würde.

Marcus saß da und kaute auf einem Stück Brot mit schwarzem Fett herum, während Lucius Gaius’ gebrochene Nase wieder richtete.

»Dann hat dich Suetonius also wieder verprügelt?«, fragte er.

Gaius konnte nichts sagen und nickte nur. Seine Augen tränten so stark, dass er auch nichts sehen konnte.

»Du hättest auf mich warten sollen. Dann hätten wir ihn gemeinsam fertig gemacht.«

Gaius konnte nicht einmal nicken. Lucius tastete gerade nach einem Stück Nasenknorpel, fand es und zog kräftig an der Nase, um das lose Stück wieder an die richtige Stelle zu schieben. Neues Blut rann über die noch frischen Blutkrusten des heutigen Kampfes.

»Bei allen verdammten Tempeln, Lucius, pass doch auf! Du reißt mir ja die Nase ab!«

Lucius lächelte und begann, Leinen in Streifen zu schneiden, um Gaius den Kopf zu verbinden.

In der Zwischenzeit drehte dieser sich zu seinem Freund um. »Du hast eine gebrochene und geschiente Hand, außerdem geprellte oder gebrochene Rippen. Du kannst nicht kämpfen.« Marcus sah ihn nachdenklich an. »Schon möglich. Willst du es noch mal versuchen? Wenn du das tust, bringt er dich nämlich um, das weißt du.«

Über seine Bandagen blickte ihn Gaius ruhig an, während Lucius seine Utensilien einpackte und aufstand, um zu gehen.

»Danke, Lucius. Er wird mich nicht umbringen, weil ich ihn nämlich besiegen werde. Ich muss nur meine Strategie anpassen, das ist alles.«

»Er bringt dich um«, wiederholte Marcus und biss in einen getrockneten Apfel, den er aus den Wintervorräten stibitzt hatte.

Auf den Tag genau eine Woche später stand Marcus im Morgengrauen auf und begann mit den

Übungen, die seiner Meinung nach die Reflexe stimulierten, die man als hervorragender Schwertkämpfer brauchte. In seinem Zimmer, einer einfachen, weißen Steinzelle, stand nur sein Bett und eine Truhe mit seinem persönlichen Hab und Gut. Gaius bewohnte den angrenzenden Raum, und auf dem Weg zum Abtritt trat Marcus gegen dessen Tür, um ihn zu wecken. Dann betrat er die kleine Kammer und wählte eines der mit Stein eingefassten Löcher, das in einen Abwasserkanal mit ständig fließendem Wasser mündete. Dieses Wunder der Ingenieurskunst sorgte dafür, dass so gut wie kein Gestank entstand, weil der Unrat der Nacht sofort in den Fluss hinausgespült wurde, der durch das Tal floss. Er nahm den Deckelstein weg und zog sein Nachtgewand hoch.

Als er zurückkam, war von Gaius immer noch nichts zu sehen. Also öffnete er dessen Tür, um ihn für seine Faulheit zusammenzustauchen. Das Zimmer war leer. Marcus spürte, wie Enttäuschung in ihm aufstieg.

»Du hättest mich mitnehmen sollen, mein Freund. Du hättest es nicht so offensichtlich zu zeigen brauchen, dass du mich nicht brauchst.«

Rasch zog er sich an und machte sich auf den Weg, um Gaius zu suchen. Draußen stieg gerade die Sonne über das Tal und ergoss ihr Licht gleichmäßig auf alle Gutshöfe, während sich die Feldsklaven bereits über ihre Morgenarbeit beugten.

Selbst im kühleren Wald war das bisschen Nebel rasch verdunstet. Marcus fand Gaius schließlich an der Grenze zwischen den beiden Gütern. Unbewaffnet stand er da.

Marcus näherte sich ihm von hinten und Gaius drehte sich erschrocken um. Doch als er seinen Freund erkannte, entspannte er sich wieder und lächelte.

»Ich bin froh, dass du da bist, Marcus. Ich wusste nicht, wann er kommt, deswegen bin ich schon eine Weile hier. Als ich dich eben gehört habe, dachte ich schon, er sei es.«

»Weißt du, ich hätte auch mit dir zusammen gewartet. Ich bin dein Freund. Schon vergessen? Außerdem schulde ich ihm genauso eine Abreibung.«

»Deine Hand ist gebrochen, Marcus. Und abgesehen davon schulde ich ihm sogar zwei Abreibungen.«

»Das stimmt, aber ich hätte von einem Baum aus auf ihn draufspringen oder ihm ein Bein stellen können, wenn er angerannt kommt.«

»Mit Tricks gewinnt man keine Schlachten. Ich werde ihn mit meiner Stärke schlagen.«

Für einen Moment verstummte Marcus. Der Junge, dem er hier gegenüberstand und der sonst immer so unbeschwert wirkte, hatte jetzt etwas Kaltes und Erbarmungsloses an sich.

Die Sonne stieg langsam höher und die Schatten wanderten. Marcus setzte sich auf den Boden. Zuerst saß er mit angewinkelten Knien, dann streckte er die Beine vor sich aus. Er wollte nicht als Erster sprechen, denn Gaius hatte aus dieser Angelegenheit einen Wettstreit in Ernsthaftigkeit gemacht, außerdem konnte er nicht stundenlang stehen, so wie es sich Gaius anscheinend vorgenommen hatte. Die Schatten bewegten sich weiter und Marcus markierte ihre Positionen mit Stöcken. Er schätzte, dass sie bereits drei Stunden gewartet hatten, als Suetonius schließlich seelenruhig den Pfad entlanggeschlendert kam. Als er sie erblickte, verzog er das Gesicht zu einem abfälligen Grinsen und blieb stehen.

»So langsam mag ich dich richtig, kleiner Wolf. Ich denke, heute bringe ich dich um, oder ich breche dir ein Bein. Was meinst du wäre angebracht?«

Gaius lächelte und stand so aufrecht und gerade da, wie er nur konnte.

»Ich würde mich töten. Denn wenn du das nicht tust, werde ich weiter gegen dich kämpfen, bis ich groß und stark genug bin, um dich zu töten. Und dann nehme ich deine Frau, nachdem ich sie meinem Freund überlassen habe.«

Marcus blickte entsetzt auf, als er hörte, was Gaius soeben gesagt hatte. Vielleicht sollten sie doch lieber wegrennen. Suetonius blinzelte die beiden an und zog ein kurzes, fies aussehendes Messer aus dem Gürtel.

»Kleiner Wolf, Schlammfisch - ihr seid viel zu dumm, als dass man sich über euch ärgern sollte, aber ihr kläfft wie kleine Hunde. Ich werde euch wieder zum Schweigen bringen.«

Mit diesen Worten rannte er auf sie los, doch kurz bevor er sie erreichte, gab mit einem lauten Krachen der Boden unter ihm nach, und Suetonius verschwand in einer Wolke aus hochgewirbeltem Staub und Blättern.

»Ich hab dir eine Wolfsfalle gebaut, Suetonius!«, schrie Gaius übermütig.

Der Vierzehnjährige versuchte, an den Wänden der Grube hochzuspringen, und Gaius und Marcus verbrachten ausgelassen einige Zeit damit, ihm auf die Finger zu treten, wenn er in der trockenen Erde Halt suchte. Er beschimpfte sie wütend, aber die beiden schlugen sich gegenseitig auf den Rücken und verspotteten ihn.

»Ich habe zuerst überlegt, ob ich noch einen großen Stein auf dich werfen soll, so wie sie es oben im Norden mit den Wölfen machen«, sagte Gaius ruhig, als Suetonius schließlich aufgab und nur noch wütend schmollte. »Aber du hast mich nicht getötet, also werde ich dich auch nicht töten. Vielleicht werde ich nicht einmal irgendjemand davon erzählen, wie wir Suetonius in einer Wolfsfalle gefangen haben. Viel Glück beim Herauskommen.«

Dann stieß er plötzlich einen Kriegsschrei aus, in den Marcus rasch einstimmte. Ihr Geschrei und ihre begeisterten Rufe verklangen langsam im Wald, als sie siegestrunken davonstürmten.

»Ich dachte, du wolltest ihn mit deiner Stärke schlagen«, schrie Marcus seinem Freund über die Schulter zu, während sie den Pfad entlangrannten.

»Hab ich doch. Ich habe die ganze Nacht an diesem Loch gegraben.«

Die Sonne schien durch die Bäume und sie fühlten sich so stark, als könnten sie den ganzen Tag so rennen.

Sobald Suetonius alleine war, hangelte er sich an den Seiten der Grube hinauf, bekam den Rand zu fassen und zog sich hoch. Eine Zeit lang saß er da und betrachtete nachdenklich seine schmutzige Praetexta und seine Beinlinge. Fast den ganzen Weg nach Hause legte er mit finsterer Miene zurück, doch als er aus dem Wald ins Sonnenlicht hinaustrat, fing er an zu lachen.

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