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Die Spiele wurden von Cornelius Sulla ausgerichtet, einem aufstrebenden jungen Mann der römischen Gesellschaft. Als der junge Senator die Zweite Alaudae-Legion in Afrika befehligt hatte, war er bei König Bocchus von Mauretanien zu Gast gewesen. Um sich gut mit ihm zu stellen, hatte König Bocchus nun einhundert Löwen und zwanzig seiner besten Speerwerfer nach Rom gesandt. Mit diesem Grundstock hatte Sulla ein fünftägiges Programm mit Schaukämpfen, Schicksalsprüfungen und anderen Attraktionen zusammengestellt.

Es sollten die größten Spiele werden, die Rom je gesehen hatte, und Cornelius Sulla waren damit Einfluss und Stellung sicher. Im Senat wurden sogar schon Stimmen laut, die die Spiele als eine dauerhaftere Einrichtung forderten. Die für Großveranstaltungen grob zusammengezimmerten Holzbänke waren keine zufrieden stellende Lösung, abgesehen davon, dass es für den großen Andrang ohnehin viel zu wenige waren. Alle wollten die Löwen aus dem dunklen, unbekannten Kontinent sehen. Pläne für ein gewaltiges, kreisförmiges Amphitheater, das sogar geflutet werden konnte, um darin Seeschlachten zu inszenieren, wurden vorgebracht, doch die Kosten dafür waren immens, und so legten die Volkstribunen natürlich ihr Veto ein.

Gaius und Marcus trotteten hinter den beiden älteren Männern her. Seit es Gaius’ Mutter schlechter ging, durften die Jungen nur noch selten in die Stadt, denn bei dem Gedanken daran, was ihrem Sohn in den gefährlichen Straßen alles zustoßen konnte, verfiel sie stets in einen nicht nur sorgenvollen, sondern elenden und gequälten Zustand. Die lärmende Menge wirkte auf die beiden Jungen zuerst wie ein Faustschlag, schon bald aber leuchteten ihre Augen vor Interesse. Die meisten Senatsmitglieder kamen mit Wagen oder Sänften zu den Spielen, die entweder von Sklaven oder Pferden gezogen oder getragen wurden. Gaius’ Vater hatte dafür nur Verachtung übrig und zog es vor, zu Fuß durch die Menge zu gehen. Voll bewaffnet wie er war und in Begleitung von Tubruks eindrucksvoller Erscheinung scheuten die Plebejer davor zurück, sie zu heftig zu drängen oder zu schieben. Die gewaltige Menschenmenge hatte den Schmutz in den engen Straßen in stinkenden Schlamm verwandelt. Schon nach kurzer Zeit waren ihre Sandalen völlig damit überzogen und auch ihre Beine bis fast zu den Knien mit Dreck besudelt. Jeder Laden, den sie passierten, glich einem Bienenstock. Wo man ging und stand, ständig hatte man eine Menschenmenge vor sich, und von hinten drängten die Massen pausenlos nach.

Gelegentlich, wenn der Weg von den Karren der Händler blockiert war, die ihre Waren durch die Stadt schoben, wich Gaius’ Vater in eine Seitenstraße aus. In diesen Gassen drängten sich dicht an dicht die Armen der Stadt. Bettler saßen in den Hauseingängen, blind und verstümmelt, die Hände flehend ausgestreckt. Die gemauerten Häuser, fünf oder sechs Stockwerke hoch, ragten bedrohlich über ihnen auf, und einmal hielt Tubruk Marcus gerade noch rechtzeitig zurück, als jemand aus einem offenen Fenster über ihnen einen Eimer mit Unrat einfach hinunter in die Straße kippte.

Gaius’ Vater hatte ein grimmiges Gesicht aufgesetzt, fand jedoch ohne anzuhalten stets den richtigen Weg. Sein Orientierungssinn führte sie durch das dunkle Labyrinth der Gassen zurück auf die Hauptstraßen und zum Cirkus. Je näher sie kamen, desto lauter wurde der Lärm der Stadt. Die durchdringenden Rufe der Verkäufer, die heiße Speisen anpriesen, wetteiferten mit dem Hämmern der Kupferschmiede und den schreienden oder heulenden Kindern, die rotznasig auf den Hüften ihrer Mütter hingen.

An jeder Straßenecke führten Jongleure, Zauberkünstler, Gaukler und Schlangenbeschwörer für hingeworfene Münzen ihre Kunststücke vor. An diesem Tag jedoch waren ihre Einkünfte trotz der großen Menschenmenge gering. Warum sein Geld an etwas verschwenden, das man jeden Tag sehen konnte, wenn das Amphitheater mit offenen Toren lockte?

»Bleibt dicht bei uns«, sagte Tubruk und lenkte damit die Aufmerksamkeit der Jungen auf sich, weg von den Farben, Gerüchen und dem Lärm um sie herum. Er lachte über ihre vor Staunen offen stehenden Münder. »Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal einen Cirkus gesehen habe, den Vespia. Dort sollte ich meinen ersten Kampf bestreiten. Ich war ungeschult und langsam, nur ein Sklave mit einem Schwert.«

»Aber du hast gewonnen«, entgegnete Julius lächelnd, während sie weiterliefen.

»Mein Magen hat mich die ganze Zeit geärgert, deswegen hatte ich furchtbar schlechte Laune.« Die beiden Männer lachten.

»Ich würde nicht gern einem Löwen gegenüberstehen«, fuhr Tubruk fort. »In Afrika habe ich welche in freier Wildbahn gesehen. Sie können sich bewegen wie Pferde bei einem Angriff der Reiterei, wenn sie wollen, aber mit Fängen und Klauen wie Eisennägel.«

»Sie haben einhundert von diesen Tieren, und es gibt zwei Darbietungen pro Tag, fünf Tage lang. Also werden wir zehn Löwen gegen eine Auswahl an Kämpfern antreten sehen. Ich freue mich schon darauf, die schwarzen Speerwerfer in Aktion zu sehen. Bin sehr gespannt, ob sie den unseren an Zielsicherheit das Wasser reichen können.«

Sie gingen unter dem Eingangstor hindurch und blieben vor einer Reihe mit Wasser gefüllter Holzbottiche stehen. Für ein paar Münzen ließen sie sich Schmutz und Gestank von Füßen und Sandalen schrubben. Es tat gut, wieder sauber zu sein. Mit der Hilfe eines Platzanweisers fanden sie ihre Plätze, die von einem Sklaven vom Gut für sie freigehalten worden waren. Dieser war bereits am Abend zuvor angereist, um ihre Ankunft abzuwarten. Sobald sie sich hingesetzt hatten, stand der Sklave auf, um den Rückweg zum Gut anzutreten. Tubruk drückte ihm eine Münze in die Hand, damit er sich für den Heimweg etwas zu essen kaufen konnte. Der Mann lächelte erfreut, froh, wenigstens einmal der anstrengenden Feldarbeit entronnen zu sein.

Rings umher hatten die Mitglieder der Patrizierfamilien mit ihren Sklaven ihre Plätze bereits eingenommen. Obwohl es nur dreihundert Repräsentanten im Senat gab, mussten noch an die tausend weitere Menschen hier sitzen. Roms Gesetzesgeber hatten sich für die ersten Kämpfe des fünftägigen Spektakels den Tag freigenommen. In der riesigen Grube war der Sand säuberlich glatt geharkt, und dreißigtausend Menschen aus allen Schichten bevölkerten die hölzernen Ränge rundherum. Die morgendliche Hitze, die sich langsam aber stetig zu einer unangenehmen Wand aufbaute, wurde weitgehend ignoriert.

»Wo sind denn die Kämpfer, Vater?«, fragte Gaius, der sich suchend nach den Löwen oder wenigstens ihren Käfigen umsah.

»Sie sind da drüben, in dem Gebäude, das aussieht wie eine Scheune. Siehst du die Tore? Dahinter warten sie.«

Er warf einen Blick auf das Programm, das er bei einem Sklaven am Eingang gekauft hatte. »Zunächst wird uns der Organisator der Spiele begrüßen und vermutlich Cornelius Sulla danken. Dann dürfen wir alle Sullas rührigen Geist bejubeln, der ein solches Spektakel erst ermöglicht hat. Danach gibt es vier Gladiatorenkämpfe, die nur bis zur ersten Verwundung gehen. Diesen folgt ein Kampf auf Leben und Tod. Dann führt Renius irgendetwas vor, und dann streifen die Löwen >durch die Landschaft ihres heimatlichen Afrikac, was auch immer das heißen soll. Alles in allem dürfte es eine sehr beeindruckende Darbietung werden.«

»Hast du schon mal einen Löwen gesehen?«

»Nur einmal, im Tiergehege, aber ich habe nie gegen einen gekämpft. Tubruk sagt, sie sind furchtbare Gegner.«

Als sich unten das Tor öffnete und ein Mann heraustrat, wurde es im Amphitheater schlagartig still. Seine Toga war so strahlend weiß, dass sie zu leuchten schien.

»Er sieht aus wie ein Gott«, flüsterte Marcus.

Tubruk beugte sich zu dem Jungen hinunter. »Vergiss nicht, dass das Tuch mit menschlichem Urin gebleicht wird. Darin liegt irgendwo eine Lektion verborgen.«

Marcus sah Tubruk einen Moment überrascht an und fragte sich, ob das so etwas wie ein Witz gewesen war. Dann vergaß er den Gedanken sofort wieder, weil er dem Mann zu lauschen versuchte, der jetzt in die Mitte des Sandplatzes getreten war. Er besaß eine geübte Stimme, und das Rund des Amphitheaters reflektierte sie perfekt, trotzdem ging ein Teil seiner Ankündigung verloren. Die Leute scharrten unruhig mit den Füßen oder flüsterten mit ihren Freunden und raunten sich gegenseitig zu, endlich still zu sein.

»... ein wohlverdientes Willkommen ... wilde Tiere aus Afrika ... Cornelius Sulla!«

Die letzten Worte wurden in einem Crescendo vorgebracht, woraufhin das Publikum pflichtbewusst jubelte, enthusiastischer als Julius und Tubruk es erwartet hatten. Gaius hörte die Worte des alten Gladiators, der sich zu seinem Vater hinüberlehnte.

»Ein Mann, den man auf jeden Fall beachten sollte.«

»Oder einer, vor dem man sich in Acht nehmen sollte«, erwiderte sein Vater mit vielsagender Miene.

Gaius reckte den Hals, um den Mann zu sehen, der von seinem Platz aufstand und sich verbeugte. Auch er war mit einer einfachen Toga mit goldbesticktem Saum bekleidet und saß nahe genug, dass Gaius ihn genau sehen konnte. Dieser Mann sah wirklich wie ein Gott aus. Er hatte ein ausdrucksstarkes, wohlgeformtes Gesicht und goldbraune Haut. Er winkte und setzte sich wieder. Der Jubel der Menge zauberte ein Lächeln auf seine Lippen.

Jeder setzte sich nun für die Hauptattraktion zurecht. Überall wurde wieder laut geredet. Man unterhielt sich über Politik und Finanzen, und die Patrizier diskutierten über einige umstrittene Fälle, die gerade die Rechtsprechung beschäftigten. Noch immer waren sie in Rom die Mächtigen und hatten das Sagen. Zwar hatten die Volkstribunen mit ihrem Recht, ihr Veto gegen Beschlüsse einzulegen, ihre Autorität eingeschränkt, doch die Patrizier verfügten immer noch über Leben und Tod der meisten Bürger Roms.

Die ersten beiden Kämpfer, in blaue und rote Tuniken gekleidet, betraten die Arena. Keiner der beiden war schwer bewaffnet, denn hier ging es weniger um Blut und Grausamkeit als viel mehr um die Demonstration von Schnelligkeit und Geschick. Manchmal kam zwar auch einer der Männer dabei ums Leben, doch das kam eher selten vor. Nachdem sie den Organisator und Geldgeber der Spiele gegrüßt hatten, begannen sie den Kampf. Sie hielten die kurzen Schwerter ruhig ausgestreckt, und ihre Schilde bewegten sich langsam in einem hypnotisierenden Rhythmus.

»Wer gewinnt, Tubruk?«, fragte Gaius’ Vater plötzlich.

»Der Kleinere mit der blauen Tunika. Seine Beinarbeit ist hervorragend.«

Julius winkte einen der Läufer für die Zirkuswetten heran. Er gab ihm einen Aureus und bekam dafür ein kleines blaues Täfelchen. Kaum eine Minute später wich der kleinere Mann einem zu weiten Ausfall seines Gegners zur Seite aus und streifte ihn in der Drehung mit der Klinge leicht am Bauch. Blut quoll hervor wie über den Rand einer übervollen Tasse und das Publikum brach in Jubel und laute Flüche aus. Julius hatte für das eine Goldstück, das er gesetzt hatte, zwei Aurei gewonnen und steckte den Gewinn gut gelaunt in die Tasche. Bei jedem Kampf, der nun folgte, fragte er Tubruk, wer gewinnen würde, sobald die Männer ihre ersten Bewegungen und Finten ausführten. Die Gewinnspanne sank natürlich nach Beginn des Kampfes, aber Tubruks Auge war an diesem Tag unfehlbar. Nach dem vierten Kampf reckten alle umsitzenden Zuschauer die Hälse, um mitzubekommen, was Tubruk sagte. Dann schrieen sie sofort nach den Wettsklaven, um ihre Wette zu platzieren.

Tubruk war in seinem Element.

»Der nächste Kampf geht auf Leben und Tod. Alexandros, der Kämpfer aus Korinth, ist der Favorit. Er ist noch nie besiegt worden. Aber sein Gegner aus dem südlichen Italien ist ebenfalls Furcht einflößend und bei Kämpfen bis zur ersten Verwundung noch nie geschlagen worden. Im Moment kann ich mir noch kein endgültiges Urteil bilden, wer gewinnt.«

»Sag’s mir, sobald du es kannst. Ich bin bereit, zehn Aurei zu wetten. Das ist unser ganzer Gewinn plus mein ursprünglicher Einsatz. Dein Auge ist heute unfehlbar.«

Julius winkte den Wettsklaven herbei und befahl ihm, neben ihm stehen zu bleiben. Niemand der Umsitzenden wollte jetzt schon wetten, denn sie spürten alle die Gunst dieses Augenblicks und begnügten sich damit, auf Tubruks Zeichen zu warten. Sie beobachteten ihn, manche mit angehaltenem Atem, und lauerten auf erste Anzeichen.

Gaius und Marcus betrachteten die Menge.

»Diese Römer sind schon ein geldgieriger Haufen«, flüsterte Gaius Marcus zu und sie grinsten einander an.

Wieder ging das Tor auf, und Alexandros und Enzo betraten die Arena. Enzo, der Römer, trug den üblichen Kettenschutz, der seinen rechten Arm von der Hand bis zum Hals bedeckte. Über den dunkleren Eisenschuppen trug er einen Helm aus Messing, und in der Linken hielt er einen roten Schild. Bekleidet war er nur mit einem Lendenschurz; Füße und Knöchel waren mit Leinenstreifen umwickelt. Sein Körper war muskelbepackt, und abgesehen von einer gekräuselten Linie, die sich vom Handgelenk bis zum Ellenbogen zog, waren nur wenige Narben zu sehen. Er verbeugte sich vor Cornelius Sulla und grüßte die Menge als Erster, noch vor dem Fremden.

Alexandros bewegte sich geschmeidig und ging sehr sicher und selbstbewusst bis zur Mitte der Arena. Er war genauso gekleidet wie sein Gegner, trug jedoch einen blauen Schild.

»Sie sind schwer auseinander zu halten«, meinte Gaius. »In den Rüstungen könnten es auch Brüder sein.«

Sein Vater schnaubte verächtlich. »Bis auf das Blut, das in ihnen fließt. Der Grieche ist völlig verschieden vom Italiener. Er hat andere und falsche Götter. Er glaubt an Dinge, für die ein anständiger Römer nie einstehen würde.« Er sprach, ohne den Kopf zu wenden, ganz auf die Männer unten im Sand konzentriert.

»Würdest du dann auf einen solchen Mann wetten?«, fragte Gaius wissbegierig. »Selbstverständlich. Wenn Tubruk der Meinung ist, dass er gewinnt«, war die von einem Lächeln begleitete Antwort.

Der Kampf würde mit dem Signal eines Widderhorns beginnen. Es war in der ersten Sitzreihe zwischen zwei Kupferscheiben aufgebaut. Davor wartete ein kurzbärtiger Mann auf das Signal, um die Lippen anzusetzen. Die Gladiatoren stellten sich einander gegenüber, dann dröhnte der lang gezogene Ton aus dem Horn über den Sandplatz.

Bevor Gaius überhaupt hätte sagen können, ob das Signal ganz verklungen war, befand sich die Menge bereits in Aufruhr, und die beiden Männer waren dabei, wütend aufeinander einzudreschen. In den ersten paar Sekunden folgte Schlag auf Schlag. Einige Treffer schnitten tief ins Fleisch, andere glitten am Rüstungsstahl ab, der plötzlich glitschig vom hellen Blut war. »Tubruk?«, hörte Gaius die fragende Stimme seines Vaters.

Die Umsitzenden auf ihren Rängen waren hin und her gerissen zwischen dem faszinierenden Gemetzel einerseits und der Aussicht auf eine erfolgreiche Wette andererseits.

Tubruk runzelte die Stirn, das Kinn auf die geballte Faust gestützt.

»Noch nicht. Ich kann es noch nicht sagen. Sie sind zu ebenbürtig.«

Unfähig, das Anfangstempo der ersten Minuten beizubehalten, ließen die beiden Männer kurzzeitig voneinander ab. Beide bluteten und waren mit Staub bedeckt, der an ihren schweißglänzenden Körpern haften blieb.

Dann rammte Alexandros seinen blauen Schild unter der Deckung seines Gegners hindurch und brachte ihn so aus Rhythmus und Gleichgewicht. Sein Schwertarm zuckte hoch und versuchte, von oben einen Treffer anzubringen. Doch der Italiener stolperte würdelos zurück, wobei sein Schild in den Sand fiel. Die Menge tobte und schrie empört, weil sie sich für ihren Favoriten schämte. Vielleicht von den Kommentaren seiner Landsmänner in seinem Stolz getroffen, richtete sich Enzo wieder auf und ging zum Angriff über.

»Tubruk?« Julius legte die Hand auf Tubruks Arm. Der Kampf konnte jede Sekunde vorbei sein, und wenn einer der Kämpfer offensichtlich im Vorteil war, wurden keine Wetten mehr angenommen.

»Noch nicht. Noch ... nicht.« Tubruk war die personifizierte Konzentration. Unten auf dem Sandplatz war der Kreis um die Kämpfer bereits mit dunklen Flecken gesprenkelt. Sie versuchten es mit Ausfallschritten nach links, dann wieder nach rechts, oder sie stürmten mit wütenden Hieben direkt aufeinander los. Dann wieder duckten sie sich, verkeilten sich ineinander und versuchten, den Gegner zu Fall zu bringen. Alexandros fing das Schwert des Italieners mit dem Schild ab. Der wuchtige Schlag spaltete ihn fast bis zur Hälfte, und die Klinge blieb in dem weicheren Metall des blauen Rechteckes stecken. Doch wie schon zuvor kam sie wieder frei, und die beiden Männer standen sich seitlich versetzt gegenüber. Sie bewegten sich jetzt im Krebsgang seitwärts, um sich mit der Armpanzerung besser schützen zu können. Die Schwerter waren schartig und stumpf geworden, und inzwischen konnte man deutlich sehen, dass die gewaltige Anstrengung in der glühenden römischen Hitze an den Kräften der beiden zu zehren begann. »Alles auf den Griechen. Schnell«, sagte Tubruk plötzlich unvermittelt.

Der Wettsklave warf seinem Besitzer, der hinter ihm stand, einen fragenden Blick zu. Die Einsätze wurden flüsternd ausgehandelt und das Wettgeschäft lief endlich an, denn nun stiegen auch viele andere in der Menge ein.

»Fünf zu eins gegen Alexandros. Wir hätten viel mehr bekommen, wenn wir früher gesetzt hätten«, murmelte Julius, während er die beiden Kämpfer unten betrachtete.

Tubruk schwieg.

Einer der Gladiatoren machte gerade einen Ausfall, schloss jedoch seine Deckung zu schnell für einen Gegenangriff. Sein Schwert schnellte zurück, schlug erneut zu und erwischte den Gegner an der Seite. Augenblicklich schoss ein Blutstrom daraus hervor. Auch der Gegenstoß kam bösartig schnell und durchtrennte einen größeren Beinmuskel. Das Bein knickte unter dem Mann weg, und noch während er zu Boden ging, hieb der Gegner unablässig auf seinen Nacken ein. Wieder und wieder schlug er zu, bis er schließlich nur noch auf einen Leichnam eindrosch. Der Sieger sank in eine sich vermischende Blutlache, die langsam vom trockenen Sand aufgesogen wurde. Vor Erschöpfung und Schmerzen konnte er nur noch stoßweise atmen.

»Wer hat denn jetzt gewonnen?«, fragte Gaius aufgeregt. Ohne die Schilde war das schwer zu sagen, und lautes Gemurmel erhob sich in den Sitzreihen, weil alle sich überall diese Frage stellten. Wer hatte gewonnen?

»Ich glaube, der Grieche ist tot«, sagte der Wettsklave. Sein Herr dagegen glaubte, es sei der Römer, doch bevor der Gewinner nicht aufstand und den Helm abnahm, konnte man dessen nicht sicher sein.

»Was passiert, wenn sie beide sterben?«, fragte Marcus. »Dann sind alle Wetten ungültig«, gab der Besitzer und Finanzier des Wettsklaven zur Antwort. Auch er hatte wahrscheinlich eine Menge Geld auf den Ausgang des Kampfes gesetzt, zumindest sah er ebenso angespannt aus wie alle anderen.

Der überlebende Gladiator blieb ungefähr eine Minute erschöpft am Boden liegen. Er blutete stark, doch die Menge rief nun immer lauter, er solle endlich aufstehen und den Helm abnehmen. Langsam und unter großen Schmerzen ergriff er sein Schwert und stemmte sich damit hoch. Als er endlich, wenn auch sehr unsicher, auf den Beinen stand, hob er eine Hand voll Sand vom Boden auf. Er rieb sich den Sand in die Wunde und sah zu, wie er in kleinen roten Klümpchen wieder herabfiel. Man sah, dass auch seine Hände blutig waren, als er sie hob, um den Helm abzunehmen.

Vor ihnen stand Alexandros, der Grieche, und lächelte mit vor Blutverlust kreidebleichem Gesicht. Die Menge schrie der schwankenden Gestalt wüste Beschimpfungen zu. Münzen wurden hinabgeworfen. Sie glitzerten in der Sonne, sollten den Sieger allerdings nicht belohnen, sondern ihn verletzen. Von Flüchen begleitet wechselte im ganzen Amphitheater Geld den Besitzer, und niemand achtete auf den Gladiator, der wieder auf die Knie fiel und auf Sklaven gestützt hinausgeschafft werden musste.

Nur Tubruk verfolgte seinen Abgang mit undurchdringlicher Miene.

»Ist das einer, den wir als Ausbilder in Betracht ziehen sollten? «, fragte Julius. Hoch erfreut sah er zu, wie sein Gewinn in einen Beutel gezählt wurde.

»Nein. Ich denke, er wird diese Woche nicht überleben. Außerdem ist seine Technik nicht besonders geschult. Er war nur schnell und hatte gute Reflexe.«

»Für einen Griechen«, mischte sich Marcus ein.

»Ja, gute Reflexe für einen Griechen«, stimmte Tubruk geistesabwesend zu.

Während der Sand geharkt wurde, beschäftigte sich die Menge wieder mit sich selbst, auch wenn Gaius und Marcus ein paar Zuschauer sahen, die unter Gebrüll und gespielten Schmerzesschreien die Schläge der Gladiatoren nachstellten. Während sie warteten, sahen die Jungen, wie Julius Tubruk antippte, um seine Aufmerksamkeit auf zwei Männer zu lenken, die durch die Reihen auf sie zukamen. In ihren Togen aus grober Wolle und ohne jeden Metallschmuck auf der Haut wirkten die beiden im Zirkus etwas deplatziert.

Julius und Tubruk standen auf und die beiden Jungen taten es ihnen nach. Gaius’ Vater streckte die Hand aus und begrüßte den Ersten, der ihn erreichte. Beim Handschlag neigte der Mann zum Gruß leicht den Kopf.

»Seid gegrüßt, Freunde. Nehmt Platz. Das hier sind mein Sohn und ein anderer Knabe, der sich in meiner Obhut befindet. Ich denke, die beiden würden sich jetzt bestimmt gerne etwas zu essen holen.«

Tubruk gab jedem von ihnen eine Münze. Die Jungen hatten den Wink verstanden. Zögernd entfernten sie sich durch die Reihen und stellten sich an der Schlange einer Essensbude an. Sie sahen, wie die vier Männer die Köpfe zusammensteckten und miteinander redeten. In dem Lärm auf den Rängen gingen ihre Worte natürlich unter.

Bald darauf, als Marcus gerade Orangen kaufte, sah Gaius, wie die beiden Neuankömmlinge seinem Vater dankten und ihm noch einmal die Hand schüttelten. Dann wandte sich jeder der beiden Tubruk zu, der ihnen beim Abschied Münzen in die Hand drückte.

Marcus hatte für jeden eine Orange gekauft und verteilte sie, als sie ihre Plätze wieder eingenommen hatten.

»Wer waren diese Männer, Vater?«, fragte Gaius neugierig.

»Klienten von mir. Es gibt einige in der Stadt, die mir verbunden sind«, erwiderte Julius, der seine Orange säuberlich schälte.

»Aber was tun sie? Ich habe sie noch nie gesehen.«

Julius wandte sich seinem Sohn zu und bemerkte dessen waches Interesse. Er lächelte.

»Es sind nützliche Männer. Sie wählen Kandidaten, die ich unterstütze, oder beschützen mich in gefährlichen Stadtvierteln. Sie überbringen Botschaften für mich, oder ... erledigen tausend andere nützliche Dinge. Im Gegenzug bekommt jeder der Männer sechs Denare pro Tag.«

Marcus pfiff leise durch die Zähne. »Da kommt ja ein Vermögen zusammen.«

Julius richtete den Blick auf Marcus, der beschämt zu Boden schaute und mit den Orangenschalen spielte.

»Das ist gut angelegtes Geld. Es ist gut, in dieser Stadt Männer zu haben, auf die ich jederzeit für plötzliche Aufgaben zählen kann. Reiche Senatsmitglieder haben manchmal sogar Hunderte von Klienten. Sie sind Teil unseres Systems.«

»Kannst du deinen Klienten denn auch vertrauen?«, unterbrach ihn Gaius.

Julius seufzte. »Nicht, wenn es um etwas geht, das mehr wert ist als sechs Denare am Tag.«

Renius betrat die Arena ohne Vorankündigung. Eben schwatzte die Menge noch munter, und der schmutzige Sandring war leer, da öffnete sich plötzlich eine kleine Tür und ein Mann trat heraus. Zuerst bemerkten sie ihn gar nicht, dann jedoch zeigten die Leute aufgeregt hinunter und standen auf.

»Warum jubeln sie denn so laut?«, fragte Marcus, der mit zusammengekniffenen Augen die einsame Gestalt da unten in der brennenden Sonne betrachtete.

»Weil er noch einmal zurückgekommen ist. Wenn du später einmal selbst Kinder hast, kannst du ihnen erzählen, dass du Renius hast kämpfen sehen«, erklärte Tubruk lächelnd.

Alle um sie herum schienen von seinem Anblick begeistert. Ein Sprechchor bildete sich und schwoll zu unglaublicher Lautstärke an: »Ren-i-us ... Ren-i-us.« Der Ruf übertönte jegliches Fußgetrampel oder Kleiderrascheln. Das einzige Geräusch auf der ganzen Welt war sein Name. Er hob sein Schwert zum Gruß. Selbst aus dieser Entfernung war deutlich zu sehen, dass ihm das Alter noch nicht viel hatte anhaben können.

»Für sechzig Jahre sieht er noch gut aus, aber sein Bauch ist nicht mehr flach. Sieh dir diesen breiten Gürtel an«, murmelte Tubruk zu sich selbst. »Du hast dich gehen lassen, du alter Narr.« Während der alte Mann den Jubel der Menge entgegennahm, betraten mehrere Sklaven einer nach dem anderen den Sandplatz. Jeder hielt einen Gladius, das Kurzschwert der Legionäre, in der Hand und trug, der größeren Bewegungsfreiheit wegen, nur ein Tuch um die Lenden. Schilde oder Rüstung waren nicht zu sehen. Das römische Publikum verstummte, als die Männer sich um Renius herum zu einer Raute formierten. Einen Augenblick lang herrschte Totenstille, dann öffnete sich die Tür zum Tiergehege.

Noch bevor der Käfig von schwitzenden Sklaven in die Arena gezerrt wurde, war kurzes, hustendes Gebrüll zu hören gewesen. Die Leute tuschelten aufgeregt, denn nun sah man drei Löwen in dem Käfig auf und ab gehen. Durch die Gitterstäbe gesehen waren sie von obszöner Gestalt: Rachen, Kopf und die riesigen, gewölbten Schultern, der lang gestreckte Leib, der sich zum hinteren Ende verjüngte, das selbst fast nur wie ein Anhängsel wirkte. Mit ihren gewaltigen Kiefern schienen sie wie geschaffen dazu, Leben zu zermalmen. Als der Käfig endlich zum Stehen kam, hieben sie mit den Pranken zornig durch die Luft.

Die Sklaven holten mit Hämmern aus, um die Holzpflöcke herauszuschlagen, die den vorderen Teil des Käfigs hielten. Die Zuschauer leckten sich über die vor Aufregung trockenen Lippen. Schließlich ließen die Sklaven die Hämmer fallen, und das eiserne Gatter fiel mit einem weithin hallenden Geräusch in den Sand. Mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Furcht erregender Geschmeidigkeit kamen die Großkatzen eine nach der anderen aus dem Käfig.

Die größte der Raubkatzen brüllte die Gruppe der ihr gegenüberstehenden Männer herausfordernd an. Doch die Männer rührten sich nicht, und so lief der Löwe vor dem Käfig auf und ab, ohne sie dabei auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Dann hockte er sich auf die Hinterläufe, während seine beiden Gefährten weiter brüllend die Arena umkreisten.

Ohne Vorzeichen, ohne jede Warnung preschte er urplötzlich auf die Männer los, die sichtlich zurückzuckten. Hier kam der Tod auf sie zu und wollte sie holen.

Man hörte, wie Renius seine Befehle bellte. Die Vorderseite der Rautenformation, drei tapfere Männer, machten sich mit gezogenen Schwertern für den Angriff bereit. Doch kurz vor ihnen setzte der Löwe zum Sprung an, rammte zwei der Männer zu Boden und zerfetzte ihnen mit seinen riesigen Pranken den Brustkorb. Keiner der beiden regte sich mehr, denn ihre Oberkörper bestanden nur noch aus einer Masse blutiger Knochensplitter. Der dritte Mann holte aus und schlug auf die dichte Löwenmähne ein, richtete jedoch kaum Schaden an. Blitzschnell, als hätte eine Schlange zugeschlagen, schloss sich das Maul des Löwen um seinen Arm, und er schrie auf. Er hörte auch nicht auf zu schreien, als er davontorkelte, mit einer Hand den Stumpf des anderen Unterarms umklammernd. Dann strich ein Schwert über die Rippen des Löwen und ein anderes durchtrennte eine Kniesehne, sodass seine Hinterläufe plötzlich lahmten. Die Wunden brachten das Tier noch mehr zur Raserei. Im Blutrausch schnappte es nach sich selbst. Renius knurrte ein Kommando, und die Männer machten ihm den Weg frei, damit er das Tier töten konnte.

In dem Augenblick, in dem er den tödlichen Schlag führte, griffen die beiden anderen Löwen an. Einer schnappte nach dem Kopf des verwundeten Mannes, der hatte weglaufen wollen. Ein kurzes Kieferknacken und es war vorbei. Der Löwe ließ sich neben dem Leichnam nieder, ignorierte die anderen Sklaven, biss in den weichen Unterleib des Toten und begann zu fressen. Daraufhin fiel er den Männern schnell zum Opfer, Rachen und Brust von drei Klingen durchbohrt.

Renius stellte sich dem Angriff des letzten Löwen, der ihn von links anfallen wollte. Der Sklave, der ihn schützte, wurde von der Attacke umgerissen und das wild zuschnappende Tier fiel über ihn her. Die Pranken mit den großen, schwarzen, wie Speerspitzen hervorstehenden Klauen holten mit unbändiger Wucht aus, um ihn vollends in Stücke zu reißen. Renius verschaffte sich einen sicheren Stand und stieß sein Schwert in die Brust des Löwen. Mit einem Schwall dunklen, klebrigen Blutes riss eine Wunde auf, doch die Klinge rutschte am Brustbein ab und Renius wurde von einer Schulter des Löwen umgestoßen. Doch er hatte Glück, denn das Maul schnappte dahin, wo er eben noch gestanden hatte. Er rollte sich geschickt ab und kam sofort wieder auf die Beine, das Schwert noch immer in der Hand. Als das wilde Tier sich nach ihm umsah und wieder auf ihn losstürmte, war er bereit, seine Klinge durch die Achselhöhle des Löwen bis tief in sein pochendes Herz zu stoßen. Augenblicklich wich alle Kraft aus dem Löwen, als hätte das Schwert eine Eiterbeule aufgestochen. Kraftlos lag der Löwe im Sand und verblutete. Er war noch bei Bewusstsein und schnappte nach Luft, aber er bot einen bejammernswerten Anblick. Ein leises Stöhnen drang tief aus seiner blutenden Brust, als Renius sich ihm mit gezogenem Dolch näherte. Rötlicher Speichel tropfte in den Sand, während die durchbohrte Lunge verzweifelt nach Luft rang.

Renius sprach mit leiser Stimme auf das Tier ein, doch seine Worte waren oben in den Zuschauerrängen nicht zu verstehen. Er legte eine Hand auf die Mähne und tätschelte sie geistesabwesend, als läge da sein Lieblingsjagdhund. Dann zog er die Klinge durch die Kehle des Löwen, und es war zu Ende.

Die Zuschauer schienen zum ersten Mal seit Stunden Luft zu holen und lachten, von der drückenden Spannung erlöst, erleichtert auf. Vier Männer lagen tot im Sand, aber Renius, der alte Recke, stand noch, obwohl er ziemlich erschöpft aussah. Das Publikum fing an, seinen Namen zu skandieren, doch er verbeugte sich nur kurz, ging mit zielstrebigen Schritten auf die im Schatten liegende Tür zu und verschwand in der Dunkelheit.

»Geh ihm schnell nach, Tubruk. Du kennst mein Höchstgebot. Aber denke daran: Ein ganzes Jahr in meinen Diensten.«

Tubruk verschwand in der Menge, und die Jungen blieben mit Julius allein zurück. Sie versuchten, sich höflich mit ihm zu unterhalten, aber ohne Tubruk als Vermittler erstarb das Gespräch schnell wieder. Julius liebte seinen Sohn, doch es hatte ihm noch nie Freude bereitet, sich mit Halbwüchsigen zu unterhalten. Sie schwatzten immer nur vor sich hin und wussten nichts von Schicklichkeit und Selbstbeherrschung.

»Wenn es stimmt, was man über ihn sagt, dann dürfte er ein sehr strenger Lehrer sein. Früher gab es im ganzen Imperium niemanden seinesgleichen, aber Tubruk kann diese Geschichten viel besser erzählen als ich.«

Die Jungen nickten eifrig und nahmen sich vor, Tubruk über sämtliche Einzelheiten auszuquetschen, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.

Es war schon fast Herbst, ehe die Jungen Renius auf dem Gut wiedersahen, als er im gepflasterten Hof vor den Stallungen von seinem Wallach stieg. Es gehörte zu seinen Privilegien, dass er reiten durfte wie ein Offizier oder Senatsmitglied. Die beiden Jungen waren gerade in der angrenzenden Heuscheune und sprangen von den aufgetürmten Garben in das lose Heu hinab. Derart mit Staub und Heu bedeckt, durften sie sich nicht sehen lassen, und so schielten sie hinter einer Stallecke hervor nach dem Besucher. Der sah sich suchend im Hof um, bis Tubruk auf ihn zukam und ihm die Zügel abnahm.

»Man wird dich empfangen, sobald du dich nach deiner Reise erfrischt hast.«

»Ich bin kaum fünf Meilen geritten. Ich bin weder schmutzig, noch schwitze ich wie ein Tier. Führ mich ins Haus, oder ich suche mir selbst den Weg«, blaffte ihn der alte Soldat mit gerunzelter Stirn an.

»Ich sehe, du hast nichts von deinem Charme und deinen gepflegten Umgangsformen verloren, seit du mit mir gearbeitet hast.«

Renius lächelte nicht, und einen Moment rechneten die Jungen damit, dass er zum Schlag ausholte oder zumindest zu einer scharfen Erwiderung ansetzte.

»Ich sehe, du hast noch immer nicht gelernt, wie man sich Älteren gegenüber benimmt. Ich hätte mehr von dir erwartet.«

»Jeder ist jünger als du. Doch, doch, ich verstehe schon, dass du keine Lust mehr hast, dich zu ändern.«

Renius erstarrte einen Moment und blinzelte Tubruk gefährlich träge an. »Willst du, dass ich mein Schwert ziehe?«

Tubruk blieb ruhig. Erst jetzt fiel Marcus und Gaius auf, dass auch er sich seinen alten Gladius umgegürtet hatte.

»Ich möchte nur, dass du nicht vergisst, dass ich für die Verwaltung dieses Anwesens hier verantwortlich bin, und dass ich, genau wie du, ein freier Mann bin. Unsere Übereinkunft dürfte allen zum Vorteil gereichen.«

Bei dieser Antwort lächelte Renius. »Ganz recht. Dann führe mich jetzt zum Herrn des Hauses. Ich brenne darauf, den Mann kennen zu lernen, der so interessante Menschen für sich arbeiten lässt.«

Als die beiden Männer davongingen, sahen sich Gaius und Marcus mit vor Aufregung leuchtenden Augen an.

»Er wird ein sehr harter Lehrmeister sein, aber er dürfte von dem Talent, das er formen soll, schon bald beeindruckt sein«, flüsterte Marcus.

»Und dann wird ihm bewusst werden, dass wir seine letzte große Aufgabe sind, bevor er tot umfällt«, fuhr Gaius fort, ganz von dieser Idee eingenommen.

»Ich werde der größte Schwertkämpfer im ganzen Land, denn seit ich ein kleines Kind war, habe ich meine Arme jeden Abend gedehnt«, spann Marcus seine Gedanken weiter.

»Dann werden sie dich den kämpfenden Affen nennen!«, verkündete Gaius ehrfürchtig.

Marcus warf ihm Heu ins Gesicht. In gespielter Wut rangen sie miteinander und kugelten hin und her, bis Gaius schließlich oben war und sich schwer auf die Brust seines Freundes setzte.

»Ich werde bestimmt der ein bisschen bessere Schwertkämpfer von uns beiden. Aber ich bin zu bescheiden, als dass ich dich vor den Damen bloßstellen würde.«

Er warf sich stolz in die Brust, und Marcus schob ihn von sich herunter ins Stroh. Keuchend und einen Moment lang in ihre Tagträume versunken, saßen sie da.

Schließlich brach Marcus das Schweigen: »In Wahrheit wirst du dieses Anwesen führen, genau wie dein Vater. Ich habe nichts, und du weißt, dass meine Mutter eine Hure ist ... Nein, sag jetzt nichts. Wir haben beide gehört, wie dein Vater das gesagt hat. Ich habe kein Erbe außer meinem Namen, und der ist beschmutzt. Die einzige Zukunft für mich liegt in der Armee, wo zumindest meine Geburt nobel genug ist, dass ich einen höheren Rang anstreben darf. Renius als Lehrer zu haben, wird uns beiden nützen, aber mir wesentlich mehr als dir.«

»Du wirst immer mein Freund bleiben, das weißt du. Nichts wird je zwischen uns stehen«, sagte Gaius mit klarer Stimme und sah Marcus dabei fest in die Augen.

»Wir gehen unseren Weg gemeinsam.«

Sie nickten und gaben einander die Hand, um ihren Pakt zu besiegeln. Gerade als sie wieder losließen, steckte Tubruk seinen Kopf in die Scheune.

»Geht euch waschen. Sobald Renius mit deinem Vater gesprochen hat, Gaius, will er euch bestimmt sehen.«

Langsam standen sie auf, aber ihre Bewegungen verrieten deutlich ihre Nervosität.

»Ist er grausam?«, fragte Gaius.

Tubruk lächelte nicht.

»Ja, er ist grausam. Er ist der brutalste Mann, dem ich je begegnet bin. Er gewinnt seine Schlachten, weil die meisten anderen Männer Schmerzen fühlen und Tod und Verstümmelung fürchten. Er aber ist mehr ein Schwert als ein Mann, und er wird euch beide so hart machen, wie er selbst es ist. Ihr werdet ihm wahrscheinlich nie dafür danken, sondern ihn eher dafür hassen. Aber was er euch beibringt, wird euch mehr als einmal das Leben retten.«

Gaius sah ihn fragend an. »Kennst du ihn denn von früher?«

Tubruks Lachen war bitter. »Das könnte man so sagen. Er hat mich für die Arena ausgebildet, als ich noch Sklave war.«

Seine Augen blitzten kurz in der Sonne auf, als er sich zum Gehen umdrehte und verschwand. Renius stand mit schulterbreit gespreizten Beinen und im Rücken verschränkten Armen vor ihnen. Stirnrunzelnd sah er den sitzenden Julius an.

»Nein. Wenn sich irgendjemand einmischt, bin ich noch in der gleichen Stunde weg. Du willst, dass ich aus deinem Sohn und dem Hurenbalg Soldaten mache. Ich weiß genau, wie man das macht, denn das habe ich auf die eine oder andere Weise mein ganzes Leben lang getan. Manchmal lernen sie es erst, wenn der Feind angreift, manchmal lernen sie es nie. Und von Letzteren sind so manche in hastig ausgehobenen Gräbern in der Fremde zurückgeblieben.« »Tubruk wird den Fortschritt der Jungen mit dir besprechen wollen. Sein Urteil ist für gewöhnlich unbestechlich. Immerhin ist er selbst von dir ausgebildet worden«, erwiderte Julius, der versuchte, die verlorene Herrschaft über das Gespräch wiederzuerlangen.

Dieser Mann hatte ein wahrhaft überwältigendes Wesen, denn von dem Augenblick an, in dem er den Raum betreten hatte, hatte er die Unterredung beherrscht. Statt seine Wünsche für die Ausbildung seines Sohnes darzulegen, so wie er es sich vorgenommen hatte, war Julius jetzt in der Defensive und beantwortete stattdessen Renius’ Fragen hinsichtlich seines Anwesens und der Ausbildungsmöglichkeiten. Inzwischen wusste er besser Bescheid über das, was er alles nicht hatte, als über das, was er hatte.

»Sie sind noch sehr jung und .«

»Nur ein wenig älter und es wäre schon zu spät. Ja, man kann einen Mann von zwanzig Jahren auch noch zu einem kompetenten Soldaten machen, ein Kind aber kann man zu einem unzerbrechlichen Stück Metall formen. Manche würden sogar behaupten, du hast bereits zu lange gewartet, weil eine richtige Ausbildung schon mit fünf Jahren beginnen sollte. Aber meiner Meinung nach ist das Alter von zehn Jahren optimal, weil dann Muskeln und Lunge erst richtig entwickelt sind. Beginnt man zu früh, bricht man ihren Geist, beginnt man aber zu spät, hat sich ihr Geist schon in der falschen Richtung gefestigt.«

»Da stimme ich zu. Bis zu einem gewissen Ma-«

»Bist du der richtige Vater des Hurenbalgs?« Renius sprach schroff aber ruhig, gerade so, als erkundigte er sich nach dem Wetter.

»Was? Bei allen Göttern, nein! Ich-«

»Gut. Das hätte das Ganze schwieriger gemacht. Dann nehme ich den Vertrag über ein Jahr an. Du hast mein Wort. Die Jungen sollen draußen im Hof vor dem Stall antreten, damit ich sie mir ansehen kann. Sie haben mich ankommen sehen, also müssten sie inzwischen bereit sein. Ich erstatte dir alle drei Monate in diesem Raum hier Bericht. Wenn du den Termin nicht einhalten kannst, lass es mich bitte wissen. Guten Tag.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und ging hinaus. Als er draußen war, stieß Julius mit geblähten Backen einen Stoßseufzer aus, der sowohl seine Verblüffung als auch seine Zufriedenheit ausdrückte.

»Könnte genau das sein, was ich gesucht habe«, sagte er leise und lächelte zum ersten Mal an diesem Morgen.

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