21

Marcus saß bequem auf seinem Pferd und beugte sich hin und wieder nach vorne, um Lanzers Ohren zu kratzen, als sie den Bergpfad hinunterritten. Peppis saß hinter ihm und döste, vom sanften Rhythmus des Pferdeschritts eingelullt. Marcus überlegte, ob er ihn mit einem Ellbogenstoß wecken sollte, damit er die herrliche Aussicht bewundern konnte, ließ ihn aber doch lieber in Ruhe.

Es kam ihm vor, als könnten sie aus der Höhe ganz Griechenland überblicken, das sich in einer wogenden, grünen und gelben Landschaft mit Olivenhainen und dazwischen in Tälern und auf Bergen verstreuten Gehöften vor ihnen ausdehnte. Die saubere Luft roch hier ganz anders, Düfte unbekannter Blumen lagen darin.

Marcus musste an den sanftmütigen Vepax denken, seinen ehemaligen Lehrer, und fragte sich, ob er einst durch diese Hügel gewandert war. Vielleicht hatte Alexander selbst seine Armeen auf dem Weg in die Schlacht im fernen Persien durch diese Ebenen geführt. Er stellte sich die grimmigen kretischen Bogenschützen und die mazedonische Phalanx vor, wie sie dem jungen König folgten, und richtete sich im Sattel auf.

Renius ritt voraus. Sein Blick wanderte in monotoner Gleichmäßigkeit aufmerksam von dem schmalen Pfad zu dem struppigen Unterholz links und rechts und wieder zurück. In der Woche, die sie nun schon unterwegs waren, hatte er sich immer mehr in sich zurückgezogen, und manchmal vergingen ganze Tage, in denen sie kaum mehr als ein paar Worte wechselten. Nur Peppis brach das lange Schweigen, wenn er mit lauten Ausrufen der Verwunderung über Vögel oder Eidechsen auf den Steinen staunte. Marcus hatte keine Unterhaltung erzwungen, da er spürte, dass der Gladiator das Schweigen vorzog. Immer wieder betrachtete er lächelnd den Rücken des Mannes vor ihm und dachte darüber nach, wie er eigentlich zu ihm stand.

Damals, in jenem Augenblick auf dem Hof des Gutes, als Gaius verwundet im Staub lag, hatte er ihn gehasst. Trotzdem hatte er einen widerstrebenden Respekt verspürt, sogar als er das Schwert gegen seinen Ausbilder erhoben hatte. Renius hatte eine Präsenz, gegen die andere Männer vergleichsweise unscheinbar wirkten. Er konnte brutal sein und war zu gefühlloser Gewalt fähig, konnte Schmerzen oder Angst einfach ignorieren. Andere folgten ihm, ohne groß darüber nachzudenken, als wüssten sie irgendwie, dass dieser Mann sie durchbringen würde. Marcus hatte es auf dem Gut und auf dem Schiff erfahren, und es fiel ihm schwer, nicht selbst einen Anflug von Ehrfurcht zu empfinden. Nicht einmal sein fortgeschrittenes Alter machte etwas aus. Marcus dachte daran, wie Cabera die Wunden des alten Mannes geschlossen hatte, und an sein Erstaunen über die rasche Heilung. Sie hatten beide verwundert zugesehen, wie das Leben in dem zerhauenen Körper wieder aufflackerte und die Haut sich mit dem plötzlich wieder zirkulierenden Blut rötete.

»Er beschreitet einen größeren Weg als die meisten anderen«, hatte Cabera gesagt, nachdem Renius im kühlen Haus auf ein Bett gelegt worden war, wo er vollends genesen sollte. »Seine Füße stehen fest auf dem Boden.«

Marcus hatte sich über Caberas Ton gewundert, als dieser versuchte, dem jungen Mann die Wichtigkeit dessen, was er gesehen hatte, verständlich zu machen.

»Noch nie zuvor habe ich gesehen, dass der Tod seinen Griff so rasch von einem Mann löst wie bei Renius. Als ich ihn berührt habe, flüsterten die Götter in meiner Seele.«

Der Pfad wand sich kreuz und quer zwischen den Steinen hindurch, und sie verlangsamten das Tempo, damit die Pferde sich den Weg suchen konnten, da sie weder eine Zerrung noch einen Sturz riskieren wollten.

Ich frage mich, was die Zukunft wohl für dich bereit hält?, dachte Marcus in der behaglichen Stille. Vater.

Das Wort war plötzlich da, und er erkannte, dass die Vorstellung schon seit einer Weile in ihm gewesen war. Er hatte nie einen Mann gekannt, den er hätte Vater nennen können, und als er tiefer und ohne Schmerzen in seine Gefühle eindrang, schloss das Wort eine Tür in seinem Inneren auf. Renius war nicht von seinem Blut, doch ein Teil von ihm wünschte sich, er würde dieses Land mit seinem Vater durchreisen und sie würden sich dabei gegenseitig vor Gefahren schützen. Es war ein herrlicher Wunschtraum, und er malte sich aus, wie die Leute staunten, wenn sie hörten, dass er der Sohn des Renius war. Vielleicht würden sie dann auch ihn mit ein wenig Ehrfurcht betrachten, und er würde einfach nur lächeln.

Renius ließ geräuschvoll einen Wind abgehen und verlagerte sein Gewicht nach links, ohne sich umzusehen. Marcus, derartig derb aus seinen Gedanken gerissen, musste herzhaft lachen und kicherte noch eine ganze Weile vor sich hin. Der Gladiator ritt weiter, die Gedanken auf den Abstieg gerichtet, und auf das, was ihm selbst bevorstand, wenn er Marcus erst bei der Legion abgeliefert hatte.

Sie näherten sich einer schmalen Stelle, an der der Pfad zwischen auf beiden Seiten hoch aufragenden Felsen hindurchführte, die aussahen, als wäre der Weg durch sie hindurchgeschnitten worden. Renius legte die Hand auf den Schwertgriff und lockerte die Klinge. »Wir werden beobachtet. Halt dich bereit«, rief er gedämpft nach hinten.

Kaum hatte er das gesagt, erhob sich nicht weit vor ihm eine dunkle Gestalt aus dem Unterholz. »Halt.«

Das Wort war lässig und in klarem, verständlichem Latein ausgesprochen worden, doch Renius ignorierte es einfach. Marcus zog sein Schwert halb und ließ sein Pferd mit sanftem Schenkeldruck weitergehen. Die plötzliche Steifheit in den Armen um seine Taille verriet ihm, dass Peppis wach war, aber zumindest diesmal still blieb.

Mit dem gelockten Bart sah der Mann aus wie ein Grieche, doch im Gegensatz zu den Händlern, die sie in der Stadt getroffen hatten, wirkte er eher wie ein Krieger. Er lächelte und erhob noch einmal die Stimme.

»Halt, oder ihr werdet getötet. Letzte Chance.«

»Renius?«, murmelte Marcus nervös.

Der alte Mann knurrte, ritt jedoch unbeirrt weiter und grub die Fersen in Apollos Flanken, um ihn in Trab fallen zu lassen.

Ein Pfeil zerschnitt die Luft und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in die Schulter des Pferdes. Apollo schrie auf und stürzte, warf Renius in einem Durcheinander aus schepperndem Metall und lauten Flüchen zu Boden. Peppis stieß einen Angstschrei aus, Marcus zügelte sein Pferd und suchte gleichzeitig das Unterholz nach dem Bogenschützen ab. War es nur einer, oder gab es mehrere? Diese Männer waren offensichtlich Straßenräuber; wenn sie sich rasch ergaben, kamen sie mit etwas Glück vielleicht mit dem Leben davon.

Renius kam umständlich wieder auf die Beine und riss sein Schwert heraus. Seine Augen glitzerten. Er nickte Marcus zu, der geschmeidig abstieg und sich so hinter sein Pferd stellte, dass es zwischen ihm und dem verborgenen Bogenschützen stand. Er zog ebenfalls seinen Gladius und fühlte sich durch das vertraute Gewicht in der Hand sofort sicherer. Peppis kletterte ebenfalls vom Pferd und versuchte sich hinter einem Bein zu verstecken, wobei er nervös vor sich hin murmelte.

Der Fremde sprach abermals mit freundlicher Stimme. »Macht keine Dummheiten. Meine Gefährten wissen sehr gut mit ihren Bögen umzugehen. Hier in den Bergen kann man nicht viel anderes tun als zu üben. Und hin und wieder einen Reisenden um seinen Besitz erleichtern.«

»Ich glaube, es ist nur ein Schütze«, knurrte Renius, der sprungbereit auf den Fußballen stand und das Gestrüpp im Auge behielt. Er wusste, dass der Mann nicht am gleichen Ort bleiben würde, sondern sich, während sie hier redeten, näher heranschleichen würde, um besser zielen zu können.

»Willst du dein Leben darauf wetten, ja?«

Die beiden Männer sahen einander an, und Peppis packte Lanzers Bein, woraufhin das Pferd unwillig schnaubte.

Der Bandit war einfach und sauber gekleidet. Er sah aus wie die Jäger, die Marcus auf dem Gut gekannt hatte, durch den ständigen Aufenthalt in Wind und Sonne tief gebräunt. Er sah nicht aus wie ein Mann, der leere Drohungen ausstieß. Marcus stöhnte innerlich auf. Bestenfalls würden sie ohne Gepäck und Ausrüstung bei der Legion eintreffen, ein Einstand, den man ihn nie vergessen lassen würde. Schlimmstenfalls erwartete sie in wenigen Augenblicken der Tod.

»Du siehst aus wie ein kluger Mann«, fuhr der Bandit fort. »Wenn ich die Hand sinken lasse, bist du auf der Stelle tot. Leg dein Schwert auf den Boden, dann lebst du noch eine Weile, vielleicht sogar bis ins hohe Alter, ja?«

»Ich bin schon lange alt. Es lohnt sich nicht«, erwiderte Renius und setzte sich bereits in Bewegung.

Er schleuderte dem Mann seinen Gladius entgegen, der sich in der Luft drehte. Bevor die Waffe auftraf, warf sich der Gladiator seitlich hinter einen Felsen. Dort, wo er eben noch gestanden hatte, zischte ein Pfeil durch die Luft, doch es blieb der einzige. Keine weiteren Bogenschützen. Marcus hatte den Moment genutzt, um sich an Peppis vorbei unter dem Bauch des Pferdes hindurchzuducken, und warf sich jetzt in vollem Lauf in das Unterholz und den Hang hinauf, wobei er sich darauf verließ, dass ihn seine Geschwindigkeit auf den Beinen halten würde. Er erreichte den Hauptkamm, ohne langsamer zu werden und rannte noch schneller in die Richtung, in der er den Bogenschützen vermutete. Als er näher kam, brach ein Mann zu seiner Rechten aus der Deckung eines Feigenwäldchens hervor, und Marcus wäre beinahe ausgerutscht, als er herumschwenkte und die Verfolgung aufnahm.

Nach zwanzig Schritten auf dem losen Geröll hatte er ihn eingeholt und brachte ihn mit einem Sprung zu Fall. Der Aufprall riss ihm das Schwert aus der Hand, woraufhin er sich in einen Ringkampf mit einem Mann verwickelt sah, der sowohl größer als auch stärker war als er. Der Bogenschütze drehte sich ruckartig in Marcus’ Griff, und schon hatte einer den anderen mit wild fuchtelnden Händen an der Kehle gepackt. Marcus geriet in Panik. Das Gesicht des Mannes war rot, aber sein Hals schien aus Holz zu sein, das sich einfach nicht richtig greifen, geschweige denn zusammendrücken ließ.

Er hätte nach Renius gerufen, aber der Gladiator hätte den steilen Hang mit nur einem Arm nicht erklimmen können, außerdem bekam er mit den Pranken des Bogenschützen an der Kehle kaum Luft. Marcus bohrte die Daumen in die Luftröhre des Mannes und legte sein gesamtes Gewicht auf diesen Druckpunkt. Der andere grunzte vor Schmerz, doch seine haarigen Hände zogen sich immer fester zusammen, und Marcus sah weiße Blitze vor den Augen, während sein Körper nach Luft schrie. Seine eigenen Hände schienen schwächer zu werden, und einen Augenblick lang wollte er schon verzweifeln. Seine rechte Hand löste sich von der Kehle des Schützen, fast ohne dass er es gewollt hatte, und drosch auf das grunzende Gesicht unter ihm ein. Die weißen Blitze wurden von schwarzen Streifen durchzuckt, und sein Gesichtsfeld verengte sich zu einem dunklen Tunnel, doch er schlug wieder und immer wieder zu. Das Gesicht unter ihm war ein blutroter Brei, aber die Hände hielten seinen Hals erbarmungslos umklammert.

Dann fielen sie einfach herunter und blieben kraftlos auf dem Boden liegen. Marcus japste schluchzend nach Luft und rollte sich seitlich von seinem Gegner herunter. Sein Herz schlug mit unmöglicher Geschwindigkeit, ihm war schwindlig, und es kam ihm vor, als würde er davonfliegen. Mühsam kam er auf die Knie, und seine Finger tasteten halb taub in immer größer werdenden Kreisen nach dem Griff seines Schwertes.

Als sie sich endlich um das lederne Heft schlossen, stieß er ein stummes Dankesgebet aus. Von unten hörte er Renius und Peppis nach ihm rufen, doch er bekam noch nicht genug Luft, um ihnen zu antworten. Er machte ein paar taumelnde Schritte auf den Mann zu und erstarrte, als er sah, dass dessen Augen offen waren und ihn anblickten. Die breite Brust hob und senkte sich ebenso heftig wie die seine.

Rasselnde Worte quollen zwischen den zerschlagenen Lippen des Mannes hervor, doch er sprach Griechisch, und Marcus verstand ihn nicht. Immer noch keuchend setzte er die scharfe Schwertspitze auf die Brust des Mannes und stieß zu. Dann rutschten seine Hände vom Griff ab und er fiel mit ausgestreckten Gliedmaßen zu Boden, drehte sich schwach zur Seite und erbrach sich auf den Boden.

Als Marcus steifbeinig zum Pfad hinunterstakste, hatte Peppis Renius’ Pferd eingefangen, und der Gladiator drückte ein Stück Stoff auf die Wunde in Apollos Schulter. Das große Pferd zitterte, stand jedoch auf allen vieren und war hellwach. Peppis musste Lanzer fest am Zügel halten, denn das Pferd tänzelte immer wieder zur Seite, die Augen aus Angst vor dem Blutgeruch weit aufgerissen.

»Alles in Ordnung, mein Junge?«, erkundigte sich Renius.

Marcus brachte kein Wort heraus, nickte aber. Seine Kehle fühlte sich an, als wäre sie zermalmt worden, und die Luft ging mit jedem Atemzug pfeifend hindurch. Er zeigte darauf, und Renius winkte ihn zu sich, damit er sich seinen Hals ansehen konnte. Um die Pferde nicht zu erschrecken, bewegte er sich betont langsam.

»Nichts Schlimmes«, lautete einen Augenblick später sein Urteil. »Große Hände, dem Abdruck nach.«

Marcus konnte nur schwach keuchen. Er hoffte, Renius würde den säuerlichen Geruch nicht bemerken, der ihn wie eine Wolke zu umgeben schien, aber wahrscheinlich war er nur so rücksichtsvoll, es nicht zu erwähnen.

»Die hätten uns lieber nicht angreifen sollen«, bemerkte Peppis. Sein kleines Gesicht blickte ernst drein.

»Stimmt, mein Junge, aber wir haben trotzdem Glück gehabt«, erwiderte Renius. Dann sah er Marcus an. »Versuch nicht zu sprechen. Hilf dem Jungen, die Ausrüstung auf euer Pferd zu packen. Apollo dürfte ein oder zwei Wochen lahmen. Wir reiten abwechselnd, es sei denn, diese Banditen haben hier irgendwo ihre eigenen Pferde versteckt.«

Lanzer wieherte, und von weiter unten am Berg ertönte zur Antwort ein Schnauben. Renius grinste.

»Das Glück ist uns wieder einmal hold«, verkündete er fröhlich. »Hast du die Leiche durchsucht?«

Marcus schüttelte den Kopf und Renius zuckte die Achseln.

»Es lohnt wohl nicht, noch mal hinaufzusteigen. Sie hatten bestimmt nicht viel, und ein Bogen ist einem Mann mit einem Arm nicht viel nütze. Machen wir uns auf den Weg. Wenn wir uns ranhalten, können wir diesen Berg bis Sonnenuntergang hinter uns lassen.«

Marcus fing an, Apollo abzuladen und hielt das Tier am Zügel. Als Renius sich abwandte, klopfte er Marcus auf die Schulter. Eine Geste, die ihm viel mehr bedeutete als Worte.

Nach einem Monat der langen Tage und kalten Nächte tat es gut, aus der Ferne das Lager der Legion jenseits der Ebene zu erblicken. Selbst aus dieser Entfernung waren leise Geräusche zu hören. Das befestigte Lager sah dort am Horizont wie eine Stadt aus, eine Stadt mit achttausend Männern, Frauen und Kindern, die mit den vielen Verrichtungen beschäftigt waren, die nötig waren, um einen so großen Trupp Männer im Feld zu versorgen. Marcus versuchte sich die Waffenkammern und Schmieden vorzustellen, die für jedes Lager aufgebaut und später wieder zusammengepackt wurden. Es gab Küchen, Lager mit Baumaterial, Steinmetze, Tischler, Sattler, Sklaven, Prostituierte und tausend andere Zivilisten, die dafür lebten und dafür bezahlt wurden, die Kampfkraft Roms aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu den Zeltreihen von Marius’ Legion war das dort vor ihnen ein Dauerlager mit einer soliden Mauer und weiteren Befestigungsanlagen rings um das Zentrum. In gewissem Sinne war es eine Stadt, aber eine Stadt in ständiger Kampfbereitschaft.

Renius hielt an. Marcus lenkte Lanzer neben ihn und brachte auch das dritte Pferd, das sie nach seinem letzten Besitzer auf den Namen Bandit getauft hatten, mit einem Ruck am Zügel zum Stehen. Peppis saß unbeholfen auf Bandits Reitdecke und betrachtete die lagernde Legion mit offenem Mund. Angesichts des ehrfürchtigen Staunens des Jungen musste Renius grinsen.

»Das ist es, Marcus. Das ist deine neue Heimat. Hast du die Papiere noch, die dir Marius gegeben hat?«

Marcus klopfte auf seine Brust, wo er unter der Tunika das zusammengefaltete Pergament spürte. »Kommst du mit?«, fragte er. Renius gehörte nun schon so lange zu seinem Leben, dass ihm der Gedanke, den Mann davonreiten zu sehen, während er allein zum Tor ritt, unerträglich vorkam. »Ich bringe dich und Peppis noch bis zum Praefectus castrorum, dem Quartiermeister. Der sagt dir, welcher Zenturie du zugeteilt wirst. Lerne ihre Geschichte schnell, jede Zenturie hat ihren eigenen Ruf und ihren eigenen Stolz.«

»Noch mehr Ratschläge?«

»Gehorche jedem Befehl ohne Widerwort. Momentan kämpfst du noch wie ein Individuum, wie ein Krieger der unzivilisierten Stämme. Hier lernst du, deinen Kameraden zu vertrauen und im Verband zu kämpfen, was dem einen oder anderen nicht immer leicht fällt.«

Dann wandte er sich an Peppis: »Das Leben wird nicht leicht für dich sein. Tu was man dir sagt, und wenn du alt genug bist, wird man dir erlauben, in die Legion einzutreten. Tu nichts, was dir Schande macht. Hast du verstanden?«

Peppis nickte. Sein Hals war aus lauter Angst vor diesem ungewohnten Leben ganz trocken geworden.

»Ich werde es lernen. Und er auch«, sagte Marcus.

Renius nickte und setzte sein Pferd mit einem Zungenschnalzen in Bewegung. »Ganz bestimmt.« Beim Anblick der sauberen, regelmäßigen Anordnung der Straßen mit ihren Reihen langer, niedriger Mannschaftsbaracken empfand Marcus eine eigenartige Befriedigung. Er und Renius waren am Tor, sobald er seine Papiere vorgezeigt hatte, herzlich willkommen geheißen worden und gingen jetzt zu Fuß zum Quartier des Präfekten, wo er sich verpflichten würde, mehrere Jahre seines Lebens im Dienst der römischen Armee zu verbringen. Renius, der selbstbewusst durch die schmalen Gassen schritt und den in Zehnergruppen vorbeimarschierenden, vorbildlich uniformierten Soldaten mit einem anerkennenden Nicken begegnete, erfüllte Marcus mit Zuversicht. Hinter ihnen trottete Peppis und schleppte das schwere Ausrüstungsbündel auf dem Rücken.

Bevor sie das kleine, weiße Gebäude erreicht hatten, von dem aus der Lagerpräfekt seine römische Kleinstadt in einem fremden Land regierte, musste Marcus seine Papiere noch zweimal vorzeigen. Schließlich durften sie eintreten, und ein schlanker Mann in einer weißen Toga und Sandalen kam in die Vorräume, um sie zu begrüßen.

»Renius! Ich habe eben erst erfahren, dass du im Lager bist. Die Männer reden schon davon, dass du einen Arm verloren hast. Bei den Göttern, wie schön, dich wiederzusehen!« Er strahlte sie an, ein Bild römischer Tüchtigkeit, sonnengebräunt und sehnig, und begrüßte sie einen nach dem anderen mit einem kräftigen Händedruck.

Renius lächelte mit aufrichtiger Freude zurück.

»Marius hat mir nicht gesagt, dass du hier bist, Carac. Freut mich, dich bei bester Gesundheit anzutreffen.«

»Du bist keinen Tag älter geworden! Keinen Tag älter als vierzig, das schwöre ich bei den Göttern! Wie machst du das bloß?«

»Ich lebe anständig«, grunzte Renius, der sich selbst noch nicht an die Veränderung gewöhnt hatte, die Cabera bewirkt hatte.

Der Präfekt hob ungläubig eine Augenbraue, wechselte jedoch das Thema.

»Und der Arm?«

»Ein Trainingsunfall. Der Junge hier, Marcus, hat mich erwischt, dann musste ich ihn abnehmen lassen.«

Der Präfekt pfiff durch die Zähne und schüttelte Marcus noch einmal die Hand.

»Hätte nicht gedacht, dass ich mal jemandem begegne, der es mit Renius aufnehmen kann. Darf ich die Papiere sehen, die du mitgebracht hast?«

Mit einem Mal wurde Marcus nervös. Er reichte sie dem Mann, der ihnen mit einer Geste bedeutete, auf den langen Bänken Platz zu nehmen, während er sich der Lektüre widmete. Schließlich gab er ihm die Schreiben zurück. »Deine Empfehlungen sind eindrucksvoll, Marcus. Wer ist der Junge?«

»Er hat auf dem Handelsschiff gearbeitet, das uns hierher gebracht hat. Er will mein Diener sein und später, wenn er älter ist, in die Legion eintreten.«

Der Präfekt nickte. »Von der Sorte haben wir viele im Lager, normalerweise sind es die unehelichen Kinder der Soldaten und Huren. Wenn er sich einfügt, gibt es womöglich einen Platz für ihn, aber die Konkurrenz ist groß. Ich bin eher an dir interessiert, junger Mann.«

Er wandte sich an Renius. »Erzähl mir von ihm. Ich vertraue deinem Urteil.«

Renius sprach mit fester Stimme, als erstatte er Bericht. »Marcus ist ungewöhnlich schnell, besonders dann, wenn sein Blut in Wallung gerät. Ich denke, er wird sich einen Namen machen, wenn er herangewachsen ist. Er ist unerschrocken und ungestüm und kämpft gerne, was zum Teil seinem Charakter und zum Teil seiner Jugend zuzuschreiben ist. Er wird der Vierten Mazedonischen gut dienen. Ich selbst habe ihm seine Grundausbildung vermittelt, aber er ist schon weit darüber hinaus und wird sich noch viel weiter entwickeln.«

»Er erinnert mich an deinen Sohn. Ist dir die Ähnlichkeit nicht aufgefallen?«, fragte der Präfekt leise.

»Das ... habe ich nicht bemerkt«, antwortete Renius peinlich berührt.

»Das bezweifle ich. Aber sei’s drum, gute Männer können wir immer gebrauchen, und hier ist genau der richtige Ort, um seine Reife zu finden. Ich teile ihn der Fünften Zenturie zu, der Bronzefaust.«

Renius sog geräuschvoll die Luft ein. »Du ehrst mich.«

Der Präfekt schüttelte den Kopf. »Du hast mir einmal das Leben gerettet. Es tut mir Leid, dass ich das deines Sohnes nicht retten konnte. Das hier ist das Geringste, was ich für dich tun kann.« Noch einmal gaben sie sich die Hände. Marcus sah ziemlich verwirrt zu.

»Was hast du jetzt vor, alter Freund? Kehrst du nach Rom zurück, um dein Gold auszugeben?« »Ich hatte gehofft, dass du hier einen Platz für mich hast«, erwiderte Renius leise.

Der Präfekt lächelte. »Ich dachte schon, du würdest nicht fragen. Die Faust sucht dringend nach einem Waffenmeister für die Ausbildung. Der alte Belius ist vor sechs Monaten an einem Fieber gestorben, und wir haben niemanden, der so gut ist wie er. Möchtest du seinen Posten übernehmen?«

Mit einem Mal grinste Renius wieder sein altes, hinterhältiges Grinsen. »Sehr gern, Carac. Ich danke dir.«

Der Präfekt klopfte ihm mit unverhohlener Freude auf die Schulter.

»Willkommen in der Vierten Mazedonischen, meine Herren.« Er gab einem in der Nähe wartenden Legionär ein Zeichen. »Bring diesen jungen Mann in sein neues Quartier bei der Bronzefaust. Schick den Jungen in die Stallungen, bis ich ihm eine Aufgabe bei den anderen Lagerkindern zuweise. Renius und ich haben eine Menge zu besprechen. Und dabei den einen oder anderen Becher zu leeren.«

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