»Und die Moral davon ist -« sagte die Herzogin ...
Alice im Wunderland
Vier Personen saßen am nächsten Morgen zu einem sehr späten Frühstück, oder einem sehr frühen Lunch, in Lord Peters Wohnung versammelt. Der fröhlichste von ihnen war, trotz schmerzender Schulter und entsetzlichem Kopfweh, zweifellos Lord Peter selbst, der zwischen weichen Kissen auf dem Sofa lag und Tee und Toast schlemmte. Nachdem man ihn im Krankenwagen nach Hause gebracht hatte, war er sofort in einen heilsamen Schlaf gesunken und um neun Uhr mit klarem Verstand und überaus unternehmungslustig aufgewacht. Daraufhin hatte er Mr. Parker, nur halb gesättigt und beladen mit der verheimlichten Erinnerung an die Enthüllungen des vergangenen Abends, auf schnellstem Wege zu Scotland Yard geschickt, um die Maschinerie in Gang zu setzen, die Peters Attentäter fangen sollte. »Aber sag nichts von dem Angriff auf mich«, hatte Seine Lordschaft gesagt. »Sag ihnen nur, daß er als Zeuge im Fall Riddlesdale benötigt wird. Das ist alles, was die wissen müssen.« Jetzt war es elf, und Mr. Parker war zurückgekehrt, verdrießlich und hungrig, und ließ sich ein spätes Omelett zu einem Glas Rotwein schmecken.
Lady Mary Wimsey saß zusammengekauert am Fenster. Ihr goldblonder Haarschopf umgab ihr Gesicht im Schein der blassen Herbstsonne mit einem feinen Schimmer. Sie hatte schon vorher etwas zu frühstücken versucht; jetzt saß sie nur noch da und starrte auf den Piccadilly hinaus. Heute morgen war sie zunächst in Lord Peters Morgenmantel erschienen, aber inzwischen trug sie einen Rock aus Serge und einen jadegrünen Jumper; diese Kleidungsstücke hatte ihr die vierte im Bunde, die jetzt gelassen einen Mixed Grill verzehrte und sich mit Parker die Karaffe Rotwein teilte, nach London mitgebracht.
Es handelte sich um eine kleine, etwas pummelige, aber sehr energische ältere Dame mit funkelnden schwarzen Vogelaugen und sehr schönem, kunstvoll frisiertem weißem Haar. Man sah ihr nicht an, daß sie gerade eine lange Nachtfahrt hinter sich hatte; vielmehr war sie von den im Zimmer Anwesenden mit Abstand die ruhigste und frischeste. Was jedoch nicht ausschloß, daß sie sehr ärgerlich war und dies auch wortreich zum Ausdruck brachte. Es war die Herzoginwitwe von Denver.
»Es wäre ja nicht einmal das schlimmste, Mary, daß du gestern abend so plötzlich verschwunden bist - ausgerechnet vorm Abendessen -, diese Umstände und der Schrecken, den du uns eingejagt hast - der armen Helen hat nicht einmal mehr das Abendessen geschmeckt, und das war ihr so unangenehm, denn du weißt doch, wie großen Wert sie darauf legt, sich nie von irgend etwas aus der Ruhe bringen zu lassen - was ich nun wirklich nicht verstehe, denn von den größten Männern haben einige sich nie geniert, ihre Gefühle zu zeigen, wobei ich nicht einmal unbedingt an die Südländer denke, sondern wie Mr. Chesterton ganz richtig sagt - Nelson ja auch, und der war ja nun wirklich Engländer, wenn nicht Ire oder Schotte, das weiß ich nicht mehr, jedenfalls Vereinigtes Königreich (sofern das heutzutage noch etwas heißen will in einem Freistaat - so ein alberner Name, wo er einen doch immer an den OranjeFreistaat erinnert, und damit wollen die doch bestimmt nicht verwechselt werden, wo sie selbst so grün sind). Und einfach ohne angemessene Kleidung loszuziehen und den Wagen mitzunehmen, so daß ich auf den Ein-Uhr-fünfzehn-Zug von Northallerton warten mußte - so eine unmögliche Zeit zum Aufbruch, und so ein schlechter Zug obendrein, der hier erst um 10 Uhr 30 ankommt. Außerdem, wenn du schon unbedingt in die Stadt fahren mußtest, warum so Hals über Kopf? Wenn du vorher wenigstens den Fahrplan studiert hättest, wäre dir nämlich aufgefallen, daß du in Northallerton eine halbe Stunde Aufenthalt haben würdest, so daß du ohne weiteres noch einen Koffer hättest packen können. Es ist soviel besser, gründlich und ordentlich zu Werke zu gehen - auch wenn man etwas Dummes vorhat. Und es war wirklich sehr dumm von dir, so einfach zu verschwinden und dem armen Mr. Parker mit solch dummem Geschwätz auf die Nerven zu gehen - obwohl ich annehme, daß du eigentlich zu Peter wolltest. Weißt du, Peter, wenn du dich schon in schlechten Lokalen herumtreibst, wo lauter Russen und unreife Sozialisten verkehren, solltest du eigentlich etwas Besseres wissen, als sie auch noch zu ermuntern, indem du ihnen nachläufst, und wenn sie alle noch so unwichtig sind und zuviel Kaffee trinken und Gedichte schreiben, an denen nichts dran ist, und sich überhaupt nur die Nerven ruinieren. Und eingebracht hat es sowieso nichts; ich hätte Peter alles selbst sagen können, falls er es nicht überhaupt schon weiß, was anzunehmen ist.«
Lady Mary wurde bei diesen Worten totenblaß und sah Parker an, der mehr zu ihr als zur Herzoginwitwe sagte:
»Nein. Lord Peter und ich hatten noch gar keine Zeit, über irgend etwas zu sprechen.«
»Auf daß er meine strapazierten Nerven nicht vollends zerrüttete und Fieberglut auf meine schmerzende Stirn brachte«, ergänzte der Edelmann liebenswürdig. »Du bist eine freundliche Seele, Charles, und ich wüßte wirklich nicht, was ich ohne dich anfangen sollte. Wenn nur dieser elende Trödler seine Ware etwas früher für die Nacht von der Straße geholt hätte! Man sollte es nicht für möglich halten, wie viele Knöpfe so ein eisernes Bettgestell hat. Ich hab's ja auf mich zukommen sehen, konnte aber nicht mehr bremsen. Aber was ist schon ein armseliges, ehernes Bettgestell? Der große Detektiv, wiewohl zunächst betäubt und schwach nach dem rohen Überfall der fünfzehn maskierten und samt und sonders mit Hackmessern bewaffneten Mordbuben, erlangte dank seiner robusten Konstitution und gesunden Lebensführung bald seine Sinne wieder. Trotz der schweren Gasvergiftung, die er sich in diesem Kellerraum zugezogen hatte - was gibt's? Ein Telegramm? Oh, danke, Bunter.«
Lord Peter schien die Botschaft mit großer innerer Befriedigung zu lesen, denn sein breiter Mund zuckte an den Winkeln, und er steckte das Blatt Papier mit einem leisen Seufzer der Genugtuung in seine Brieftasche. Er rief Bunter nach, er solle den Frühstückstisch abräumen und den feuchten Wickel um seinen Kopf erneuern. Und nachdem dies geschehen war, ließ Lord Peter sich in die Kissen zurücksinken und stellte an Mr. Parker in boshaft vergnügtem Ton die Frage:
»Na, wie hast du dich denn gestern abend mit Mary vertragen? Polly, hast du ihm erzählt, daß du den Mord begangen hast?«
Es gibt kaum etwas Ärgerlicheres, als wenn man sich die größte Mühe gegeben hat, jemanden mit einer schmerzlichen Nachricht zu verschonen, und dann entdecken muß, daß der Betreffende längst alles weiß und es nicht annähernd so tragisch nimmt, wie er es geziemenderweise sollte. Jedenfalls ging Mr. Parker plötzlich der Gaul durch. Er sprang auf und rief ohne den allermindesten Grund: »Es ist doch vollkommen sinnlos, irgend etwas tun zu wollen!«
Lady Mary sprang von ihrem Fensterplatz hoch.
»Ja, das hab ich«, sagte sie. »Und es ist auch wahr. Dein schöner Fall ist abgeschlossen, Peter.«
Die Herzoginwitwe entgegnete ihr völlig ungerührt: »Du mußt deinem Bruder schon zubilligen, daß er seine eigenen Angelegenheiten selbst am besten beurteilen kann, mein Kind.«
»Eigentlich«, erwiderte Seine Lordschaft, »habe ich das Gefühl, daß Polly recht hat. Ich hoffe es wenigstens. Jedenfalls haben wir den Kerl ja jetzt und werden es bald wissen.«
Lady Mary schnappte hörbar nach Luft und trat einen Schritt vor, das Kinn gehoben und die Hände fest zu Fäusten geballt. Es griff Parker richtig ans Herz, zu sehen, wie sie der absoluten Katastrophe so tapfer ins Auge sah. Der Beamte in ihm war zutiefst bestürzt, aber der Mensch ergriff sofort Partei für diesen edlen Trotz.
»Wen habt ihr?« fragte er mit einer Stimme, die ihm gar nicht zu gehören schien.
»Diesen Goyles«, antwortete Peter wegwerfend. »Erstaunlich schnelle Arbeit, was? Aber da ihm nichts Originelleres eingefallen war, als den Schiffszug nach Folkestone zu nehmen, war's nicht weiter schwierig.«
»Es ist nicht wahr«, sagte Lady Mary. Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Das ist gelogen. Er war nicht da. Er ist unschuldig. Ich habe Denis erschossen.«
»Bravo«, dachte Parker, »bravo! Womit hat dieser Kerl das nur verdient?«
»Sei nicht albern, Mary«, sagte Lord Peter.
»Jawohl«, bekräftigte die Herzoginwitwe. »Ich wollte dir übrigens schon sagen, Peter, daß dieser Mr. Goyles - so ein schrecklicher Name, liebe Mary; ich muß sagen, der hat mir nie gefallen, auch wenn es sonst nichts gegen den Mann zu sagen gäbe - und dann unterschreibt er auch noch mit >Geo<. Geo. Goyles - das >Geo.< soll nämlich George heißen, Mr. Parker, und ich habe unwillkürlich immer >Gargoyl< gelesen - also, beinahe hätte ich dir nämlich geschrieben, mein Guter, und dich gefragt, ob du diesen Mr. Goyles nicht mal in London aufsuchen könntest, denn wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich doch gleich das Gefühl, daß er mit diesem Ipecacuanha etwas zu tun hatte.«
»Aha«, meinte Peter grinsend, »du meinst, weil zwischen ihm und einem Brechmittel kein großer -«
»Wie kannst du nur, Wimsey!« grollte Parker, ohne den Blick von Mary zu wenden.
»Lassen Sie ihn nur«, sagte diese. »Wenn du kein Feingefühl hast, Peter -«
»Jetzt schlägt's aber doch dreizehn!« explodierte der Invalide. »Da jagt mir so ein Kerl ohne den geringsten Anlaß eine Kugel in die Schulter, bricht mir das Schlüsselbein, schmeißt mich kopfüber auf ein altes eisernes Bettgestell mit lauter Knöpfen dran und verduftet, und wenn ich ihn mit, wie ich finde, sehr gemäßigten, ja geradezu wohlerzogenen Worten ein Ekel nenne, sagt meine eigene Schwester, ich hätte kein Feingefühl. Sieh mich doch an! Hier sitze ich in meinen eigenen vier Wänden, habe gräßliches Kopfweh und muß mich mit Toast und Tee ernähren, während ihr es euch gutgehen laßt und euch an Mixed Grill, Omeletts und einem Roten vom besten Jahrgang gütlich tut -«
»Dummer Junge«, sagte die alte Herzogin, »reg dich nicht so auf. Außerdem wird es Zeit für deine Medizin. Mr. Parker, würden Sie so freundlich sein und läuten?«
Mr. Parker gehorchte wortlos. Lady Mary kam langsam näher und sah auf ihren Bruder hinab.
»Peter«, sagte sie, »wie kommst du darauf, daß er es war?«
»Daß er was war?«
»Der auf dich - geschossen hat.« Ihre Worte waren kaum hörbar.
Da in diesem Augenblick Mr. Bunter, begleitet von einem kühlen Luftzug, ins Zimmer trat, löste sich die gespannte Atmosphäre ein wenig. Lord Peter kippte seine Medizin hinunter, ließ seine Kissen aufschütteln, gestattete Bunter, ihm die Temperatur zu messen und den Puls zu fühlen, fragte, ob er zum Lunch nicht ein Ei haben dürfe und zündete sich eine Zigarette an. Mr. Bunter zog sich zurück, die Anwesenden verteilten sich auf die bequemeren Sessel und fühlten sich allgemein etwas wohler.
»Also, Polly, paß mal auf«, sagte Peter, »und drück nicht so auf die Tränendrüsen. Ich bin diesem Goyles gestern abend in eurem Sowjet-Club zufällig über den Weg gelaufen. Ich bat Miss Tarrant, uns bekannt zu machen, aber kaum hatte Goyles meinen Namen gehört, haute er ab. Ich ihm nach, nur um mich mal mit ihm zu unterhalten, aber da bleibt der Trottel an der Ecke Newport Court stehen, knallt mich ab und zieht Leine. Das Dümmste, was er machen konnte. Ich kannte ihn doch jetzt. War doch klar, daß er geschnappt würde.«
»Peter -« sagte Mary mit hohler Stimme.
»Sieh doch her, Polly«, sagte Wimsey. »Ich hab ja an dich gedacht. Großes Ehrenwort, wirklich. Ich habe den Mann nicht verhaften lassen. Ich habe nicht einmal Anzeige erstattet - oder hab ich das vielleicht, Parker? Was hast du denen heute morgen im Yard gesagt, was sie tun sollen?«
»Sie sollen Goyles zur Vernehmung vorführen, weil er als Zeuge im Fall Riddlesdale gebraucht wird«, sagte Parker langsam.
»Darüber weiß er nichts«, sagte Mary jetzt eigensinnig. »Er war nicht in der Nähe. In dieser Sache ist er unschuldig!«
»Meinst du?« fragte Lord Peter ernst. »Wenn du weißt, daß er unschuldig ist, warum lügst du uns dann etwas vor, um ihn zu schützen? Das bringt nichts ein, Mary. Du weißt, daß er da war - und du glaubst, daß er es getan hat.«
»Nein!«
»Doch«, sagte Wimsey und hielt sie mit seiner gesunden Hand fest, als sie vor ihm ausweichen wollte. »Mary, hast du dir überlegt, was du da tust? Du willst einen Meineid schwören und Gerald in Lebensgefahr bringen, um einen Mann vor der Justiz zu schützen, den du im Verdacht hast, deinen Verlobten ermordet zu haben, und der mit Sicherheit versucht hat, mich zu ermorden.«
»Mein Gott!« rief Parker gequält. »Dieses Verhör ist gegen alle Regeln.«
»Hör nicht auf ihn«, sagte Peter. »Bist du wirklich überzeugt, das Richtige zu tun, Mary?«
Lady Mary sah ihren Bruder eine Zeitlang hilflos an. Peter schielte unter seinem Verband hervor flehend zu ihr auf. Der Trotz wich langsam aus ihrem Gesicht.
»Ich will die Wahrheit sagen«, sagte Lady Mary.
»Braves Mädchen«, sagte Lord Peter und streckte eine Hand aus. »Entschuldige. Ich weiß, daß du den Burschen gern hast, und darum wissen wir deinen Entschluß auch sehr zu schätzen. Wirklich, das tun wir. So, und nun schieß los, und du, Parker schreibst alles auf.«
»Also, angefangen hat das mit George eigentlich schon vor Jahren. Du warst damals an der Front, Peter, aber ich nehme an, man hat dir alles darüber berichtet - und alles in den häßlichsten Farben geschildert.«
»Das würde ich aber nicht behaupten, Kind«, mischte sich die Herzoginwitwe ein. »Ich glaube, ich habe Peter nur gesagt, daß dein Bruder und ich von dem, was wir von dem jungen Mann zu sehen bekamen, nicht rundum begeistert waren - und gesehen haben wir ja nicht viel von ihm, wenn du dich erinnern möchtest. Er hat sich einmal zum Wochenende selbst eingeladen, als wir das Haus voller Gäste hatten, und anscheinend wollte er es sich sehr angelegen sein lassen, auf niemandes Wohlbefinden Rücksicht zu nehmen als auf sein eigenes. Und du wirst noch wissen, wie du selbst gemeint hast, er sei gegen den armen alten Lord Mountweazle unnötig garstig gewesen.«
»Er hat nur gesagt, was er dachte«, sagte Mary. »Natürlich konnte der gute alte Lord Mountweazle nicht verstehen, daß die heutige Generation es gewöhnt ist, mit den Älteren zu diskutieren, statt vor ihnen auf die Knie zu fallen. Als George seine Meinung sagte, waren das für ihn nur Frechheiten.«
»Aber gewiß«, sagte die Herzoginwitwe. »Wenn man rundweg alles bestreitet, was einer sagt, klingt das für Uneingeweihte vielleicht frech. Aber ich erinnere mich nur, zu Peter gesagt zu haben, daß Mr. Goyles' Manieren mir ein wenig ungeschliffen vorkämen und daß es seinen Ansichten an Unabhängigkeit mangele.«
»An Unabhängigkeit?« rief Mary mit weit aufgerissenen Augen.
»Nun, das war mein Eindruck. Was oft gedacht, und häufig besser ausgedrückt wurde, wie Pope schon sagt - oder war das wer anders? Aber je schlechter man sich heutzutage ausdrückt, für desto tiefgründiger halten einen die Leute - das ist allerdings nichts Neues. Wie Browning und diese komischen metaphysischen Leute, bei denen man nie weiß, ob sie nun ihre Geliebte oder die Staatskirche meinen, so bräutigämlich und biblisch - ganz zu schweigen vom lieben St. Augustin - den aus Hippo, meine ich, nicht den, der hier missioniert hat, obwohl ich den auch ganz ergötzlich finde, und damals hat man ja wohl noch keine jährlichen Basare und Teekränzchen im Gemeindesaal veranstaltet, demnach war das sicher noch was anderes, als was wir heute unter Mission verstehen - er hat sich da jedenfalls ausgekannt - du weißt ja noch, die Geschichte mit der Mandragora - oder war das vielleicht das Ding, wofür man einen großen schwarzen Hund brauchte? Richtig, Manichäer, das ist das Wort, das ich gesucht habe. Wie hieß der noch? Faust? Oder verwechsle ich den jetzt mit dem alten Mann in der Oper?«
»Jedenfalls«, sagte Mary, ohne sich daran aufzuhalten, die Gedankenfäden ihrer Mutter zu entwirren, »war George der einzige Mensch, an dem mir wirklich etwas lag - und das ist er noch immer. Nur war eben alles so hoffnungslos. Vielleicht hast du nicht viel gegen ihn gesagt, Mutter, aber Gerald hat eine Menge gesagt. Und so furchtbare Dinge!«
»Ja«, sagte die Herzoginwitwe. »Er hat eben gesagt, was er dachte. Das tut die heutige Generation nämlich. Ich gebe zu, mein Kind, daß Uneingeweihte das manchmal etwas rüde finden mögen.«
Peter grinste, aber Mary fuhr unbeirrt fort.
»George hatte einfach kein Geld. Er hatte buchstäblich alles auf die eine oder andere Art der Partei gegeben, und dann hatte er auch noch seine Stelle im Informationsministerium verloren; die waren der Meinung, er habe zuviel Sympathie für die Sozialisten im Ausland. Es war entsetzlich unfair. Jedenfalls konnte ich ihm unmöglich auf der Tasche liegen; und Gerald war so gemein, mir zu drohen, er werde mir meinen ganzen Unterhalt streichen, wenn ich George nicht den Laufpaß gäbe. Also hab ich das getan, aber auf unsere Gefühle füreinander hatte das natürlich gar keinen Einfluß. Ich will Mutter zugute halten, daß sie etwas anständiger war. Sie hat gesagt, sie wolle uns helfen, wenn George eine Arbeit fände; aber wie ich schon sagte, wenn George Arbeit gehabt hätte, wären wir auf keine Hilfe angewiesen gewesen!«
»Aber Kind, ich konnte doch Mr. Goyles nicht mit dem Ansinnen beleidigen, vom Geld seiner Schwiegermutter zu leben«, sagte die Herzoginwitwe.
»Warum nicht?« meinte Mary. »George hält nichts von diesen altmodischen Eigentumsbegriffen. Außerdem, wenn du es mir gegeben hättest, wäre es mein Geld gewesen. Wir glauben an die Gleichheit von Mann und Frau. Warum soll immer der eine mehr der Brotverdiener sein als der andere?«
»Ich kann es mir nicht vorstellen, Kind«, sagte die Herzoginwitwe. »Zumindest konnte ich doch von dem armen Mr. Goyles nicht verlangen, daß er von unverdientem Einkommen lebte, wo er doch von ererbten Gütern nichts hält.«
»Das ist ein Fehlschluß«, sagte Mary ausweichend. »Jedenfalls«, fügte sie hastig hinzu, »so war's. Nach dem Krieg ist George nach Deutschland gegangen, um dort den Sozialismus und Arbeiterfragen zu studieren, und alles schien aus zu sein. Und als dann Denis Cathcart kam, habe ich gesagt, daß ich ihn heiraten würde.«
»Warum?« fragte Peter. »Mir kam er nie als der richtige Mann für dich vor. Ich meine, soviel ich weiß war er doch ein Konservativer und geborener Diplomat und - na ja, eben so ein richtiger alter Reaktionär. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ihr auch nur eine einzige gemeinsame Ansicht hattet.«
»Nein; aber dafür war es ihm auch vollkommen gleich, ob ich irgendwelche Ansichten hatte und was für welche. Ich habe ihm das Versprechen abgenommen, daß er mich nicht mit Diplomaten und dergleichen belästigen würde, und er hat gesagt, ich könne tun und lassen, was ich wolle, solange ich ihn nur nicht kompromittiere. Und wir wollten in Paris leben und jeder seine eigenen Wege gehen. Mir war alles lieber als hierzubleiben und jemanden aus den eigenen Kreisen zu heiraten und Basare zu eröffnen und zum Polo zu gehen und vom Prinzen von Wales empfangen zu werden. Also habe ich gesagt, ich heirate Denis, denn mir lag nichts an ihm, und ich bin sicher, daß ihm ebensowenig an mir lag, so daß wir einander bestimmt in Ruhe gelassen hätten. Ich wollte nichts weiter als in Ruhe gelassen zu werden!«
»War Jerry bereit, dir dein Geld zu geben?« fragte Peter.
»Doch, ja - er hat zwar gemeint, Denis sei kein großer Fang - ich wollte, Gerald wäre nicht so vulgär, auf diese platte, frühviktorianische Art -, aber er hat gesagt, nach George könne er nur seinen Sternen danken, daß es nicht noch schlimmer komme.«
»Notier dir das, Charles«, sagte Wimsey.
»Na ja, zuerst schien auch alles gutzugehen, aber mit der Zeit wurde ich immer deprimierter. Weißt du, Denis hatte etwas an sich, was mich ein wenig erschreckte. Er war so außerordentlich reserviert. Ich weiß ja, ich wollte in Ruhe gelassen werden, aber - na ja, es war irgendwie unheimlich! Er war so korrekt. Sogar wenn er einmal aus sich herausging und leidenschaftlich wurde - was nicht oft vorkam -, auch dann verhielt er sich noch korrekt. Unglaublich! Wie in einem dieser komischen französischen Romane - du weißt ja, Peter: unwahrscheinlich heiße Sachen, aber vollkommen unpersönlich.«
»He, Charles!« sagte Lord Peter.
»Hm?«
»Das ist wichtig! Kapierst du, wie wichtig das ist?«
»Nein.«
»Macht auch nichts. Erzähl weiter, Polly.«
»Mache ich dir auch kein Kopfweh?«
»Abscheuliches; aber ich hab das gern. Erzähl nur weiter. Ich lasse mir schon keine Lilien wachsen aus Seelenpein und Fiebertau. Ich hänge gebannt an deinen Lippen. Was du mir eben erzählt hast, war aufschlußreicher als alles, was ich die ganze Woche zu hören bekommen habe.«
»Nanu!« Mary sah Peter mit großen Augen an, und alle Feindseligkeit war aus ihrem Blick gewichen. »Ich hätte nie gedacht, daß du das verstehst.«
»Du lieber Himmel«, sagte Peter. »Wieso denn nicht?«
Mary schüttelte den Kopf. »Nun, ich habe also die ganze Zeit mit George in Briefverbindung gestanden, und Anfang des Monats schrieb er mir plötzlich, er komme aus Deutschland zurück und habe eine Stelle beim Thunderclap - das ist die sozialistische Wochenzeitung - für ein Anfangsgehalt von vier Pfund die Woche, und ich solle doch diese ganze Kapitalistenbrut sausen lassen und mit ihm als ehrliche Arbeiterfrau leben. Er könne mir einen Sekretärinnenposten bei der Zeitung verschaffen. Da könne ich für ihn tippen und so weiter und ihm helfen, seine Artikel zusammenzustellen. Und er hat gemeint, zusammen müßten wir dann etwa sechs bis sieben Pfund die Woche verdienen, was zum Leben mehr als genug sei. Inzwischen wurde Denis mir von Tag zu Tag unheimlicher, und so habe ich ja gesagt. Aber ich wußte, daß es fürchterlichen Krach mit Gerald geben würde. Und im Grunde habe ich mich auch ein bißchen geschämt, die Verlobung war doch schon bekanntgegeben, und dann das gräßliche Gerede und die Leute, die versuchen würden, es mir auszureden. Auch hätte Denis womöglich Gerald die Hölle heiß gemacht - er war so einer. Also haben wir beschlossen, daß wir am besten einfach durchbrennen und erst einmal heiraten sollten, um dem ganzen Knatsch zu entgehen.«
»Sehr richtig«, meinte Peter. »Außerdem hätte sich das gut in der Zeitung gemacht, nicht? HERZOGSTOCHTER HEIRATET SOZIALISTEN - ROMANTISCHE FLUCHT IM BEIWAGEN - >6 £ DIE WOCHE SIND MEHR ALS GENUG«, SAGT IHRE LADYSCHAFT.«
»Ekel!« sagte Lady Mary.
»Danke«, sagte Peter. »Ich hab verstanden. Und daraufhin sollte der romantische Goyles dich also in Riddlesdale abholen - warum Riddlesdale? Von London oder Denver aus wär's doppelt so leicht gewesen.«
»Nein. Erstens hatte er sowieso im Norden zu tun. Zweitens kennt einen in der Stadt jeder, und - überhaupt, wir wollten nicht länger warten.«
»Außerdem hätte man den Jung-Lochinvar-Anstrich vermißt. Na gut. Aber warum zu so gottloser Stunde um drei Uhr morgens?«
»Er hatte Mittwoch abend eine Versammlung in Northallerton. Von dort wollte er gleich kommen und mich holen, und dann wollten wir sofort nach London fahren und mit Sonderlizenz heiraten. Wir haben reichlich Zeit eingeplant. Schließlich mußte George am nächsten Tag wieder im Büro sein.«
»Aha. Gut, dann werde ich jetzt mal weitererzählen, und du unterbrichst mich, wenn ich etwas Falsches sage. Du bist am Mittwochabend um halb zehn nach oben auf dein Zimmer gegangen und hast deinen Koffer gepackt. Du - hast du auch daran gedacht, einen Trostbrief für deine trauernden Freunde und Angehörigen zu hinterlassen?«
»Ja, ich habe einen geschrieben, aber -«
»Versteht sich. Dann bist du zu Bett gegangen, denke ich, oder hast wenigstens die Decke zurückgeschlagen und dich etwas hingelegt.«
»Ja. Ich habe mich hingelegt. Und das war gut so, denn hinterher -«
»Eben. Du hättest nicht mehr viel Zeit gehabt, dem Bett morgens noch ein glaubhaftes Aussehen zu geben, und das wäre uns zu Ohren gekommen. Übrigens, Parker, als Mary dir gestern abend ihre Sünden beichtete, hast du dir da Notizen gemacht?«
»Ja«, sagte Parker, »falls du meine Kurzschrift lesen kannst.«
»Und ob«, sagte Peter. »Also, das zerwühlte Bett macht schon einmal einen Strich durch deine Geschichte, daß du überhaupt nicht zu Bett gegangen wärst, stimmt's?«
»Und ich hatte das für so eine gute Geschichte gehalten!«
»Dir fehlt nur die Übung«, antwortete ihr Bruder freundlich. »Nächstes Mal machst du's besser. Eigentlich gut, daß es gar nicht so einfach ist, eine lange, hieb- und stichfeste Lüge zu erzählen, nicht? Da fällt mir ein, hast du Gerald um halb zwölf hinausgehen hören, wie Mr. Pettigrew-Robinson (daß ihm die Ohren abfallen!) behauptet?«
»Ich glaube, ich habe jemanden herumgehen hören«, sagte Mary, »aber ich hab mir nicht viel dabei gedacht.«
»Eben«, sagte Peter, »wenn ich mitten in der Nacht Leute im Haus herumgehen höre, bin ich viel zu taktvoll, um mir etwas dabei zu denken.«
»Natürlich«, warf die Herzoginwitwe ein, »besonders in England, wo es als so ungehörig gilt, überhaupt zu denken. Das muß man Peter lassen - wenn es für irgend etwas eine kontinentaleuropäische Interpretation gibt, wird er es so interpretieren; wirklich sehr rücksichtsvoll von dir, mein Bester, wenigstens nachdem du anfingst, deine Beobachtungen für dich zu behalten und sie nicht herumzuerzählen, wie du es als kleiner Junge so intelligent gemacht hast. Du hattest schon immer eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe.«
»Die hat er noch«, sagte Mary, wobei sie Peter überraschend freundlich anlächelte.
»Schlechte Angewohnheiten haben ein zähes Leben«, meinte Wimsey. »Aber weiter. Um drei Uhr bist du hinuntergegangen, um dich mit Goyles zu treffen. Warum ist er eigentlich den ganzen Weg bis zum Haus gekommen? Es wäre doch einfacher gewesen, wenn er dich am Feldweg erwartet hätte.«
»Ich wußte doch, daß ich nicht zum Tor hinausgekommen wäre, ohne Hardraw zu wecken, also hätte ich irgendwo über den Zaun steigen müssen. Allein hätte ich das vielleicht geschafft, aber nicht mit dem schweren Koffer. Da also George sowieso über den Zaun mußte, fanden wir es besser, wenn er gleich bis zum Haus kam und mir den Koffer tragen half. Und an der Wintergartentür konnten wir uns auch nicht verpassen. Ich hatte ihm einen Plan vom Weg geschickt.«
»War Goyles da, als du unten ankamst?«
»Nein - zumindest - nein, ich habe ihn nicht gesehen. Aber da lag der arme Denis und war tot, und Gerald stand über ihn gebeugt. Mein erster Gedanke war, Gerald habe George umgebracht. Darum hab ich ja auch gerufen: >Mein Gott, Gerald, du hast ihn getötet!«« (Peter warf Parker einen Blick zu und nickte.) »Dann hat Gerald ihn umgedreht, und ich habe gesehen, daß es Denis war - und dann glaube ich sicher gehört zu haben, wie sich weit weg im Gebüsch etwas bewegte - es hörte sich an wie knackende Zweige -, und plötzlich kam es über mich: Wo war George? Peter, und dann habe ich alles so klar vor mir gesehen! Denis mußte mit George zusammengetroffen sein, der unten auf mich wartete, und hat ihn angegriffen - ich bin ganz sicher, daß Denis ihn angegriffen haben muß. Wahrscheinlich hat er ihn für einen Einbrecher gehalten. Oder er hatte herausbekommen, wer er war, und wollte ihn verjagen. Und bei dem Kampf muß George ihn erschossen haben. Es war schrecklich!«
Peter klopfte seiner Schwester auf die Schulter. »Armes Ding«, sagte er.
»Ich hab nicht gewußt, was ich tun sollte«, fuhr Mary fort. »Weißt du, ich hatte so schrecklich wenig Zeit. Mein einziger Gedanke war, daß niemand auf die Idee kommen durfte, es könnte jemand dagewesen sein. Also mußte ich mir schnell einen Grund ausdenken, warum ich selbst da war. Zuerst habe ich also rasch meinen Koffer hinter die Kakteen geschoben. Jerry war so mit dem Toten beschäftigt, daß er nichts gemerkt hat - du weißt ja, Jerry merkt nie etwas, solange man es ihm nicht vor die Nase hält. Aber ich wußte, wenn ein Schuß gefallen war, mußten Freddy und die Marchbanks ihn gehört haben, darum habe ich so getan, als ob ich ihn auch gehört hätte und nach unten gegangen wäre, um zu sehen, ob Einbrecher da waren. Es war eine ziemlich schlechte Ausrede, aber etwas Besseres fiel mir nicht ein. Gerald schickte mich ins Haus, um alle aufzuwecken, und bis ich die Treppe hinaufgegangen war, hatte ich meine Geschichte fix und fertig. Und ich war so stolz darauf, daß ich den Koffer nicht vergessen hatte!«
»Den hast du in die Truhe getan«, sagte Peter.
»Ja. Und ich hab einen furchtbaren Schrecken bekommen, als ich dich neulich da hineingucken sah.«
»Das ist noch gar nichts gegen meinen Schrecken, als ich den Silbersand darin fand.«
»Silbersand?«
»Aus dem Wintergarten.«
»Mein Gott!« rief Mary.
»Nun gut, erzähl weiter. Du hast Freddy und die Pettigrew-Robinsons aufgeweckt. Und dann mußtest du schnell in dein Zimmer, um den Abschiedsbrief zu vernichten und die Kleider auszuziehen.«
»Ja. Ich fürchte, wie ich das gemacht habe, das war nicht sehr glaubhaft. Aber ich konnte nicht gut jemandem weismachen wollen, daß ich voll angezogen, mit seidener Unterwäsche, sauber geknoteter Krawatte und einer goldenen Krawattennadel auf Einbrecherjagd gegangen sei.«
»Nein. Die Schwierigkeiten verstehe ich gut.«
»Es hat ja auch ganz gut geklappt, weil mir alle ohne weiteres glaubten, daß ich nur aus Mrs. Pettigrew-Robinsons Fängen entkommen wollte - außer natürlich Mrs. P. selbst.«
»O ja; sogar Parker hat das geschluckt, stimmt's, altes Haus?«
»Ja, ja«, sagte Parker finster.
»Das mit dem Schuß war ein böser Fehler von mir«, fuhr Lady Mary fort. »Sieh mal, ich hatte alles so schön erklärt -und dann mußte ich feststellen, daß sonst niemand einen Schuß gehört hatte. Und hinterher haben sie entdeckt, daß sich alles weit weg im Gebüsch abgespielt hatte - und die Zeit stimmte auch nicht. Bei der Voruntersuchung mußte ich natürlich bei meiner Geschichte bleiben - und es sah immer schlimmer und schlimmer aus -, und dann haben sie alles auf Gerald geschoben. In meinen schlimmsten Träumen wäre ich auf die Idee nicht gekommen. Natürlich sehe ich jetzt, wie ich mit meiner eigenen dummen Aussage dazu beigetragen habe.«
»Darum das Ipecacuanha«, sagte Peter.
»Ich hatte mich so furchtbar verstrickt«, sagte die arme Lady Mary, »daß ich es für besser hielt, ganz den Mund zu halten, damit ich alles nicht noch schlimmer machte.«
»Und hast du immer noch geglaubt, daß es Goyles war?«
»Ich - hab nicht mehr gewußt, was ich glauben sollte«, sagte Mary. »Und jetzt weiß ich es auch nicht. Peter, wer könnte es denn sonst gewesen sein?«
»Ehrlich gesagt, mein Kind«, sagte Seine Lordschaft, »wenn er es nicht war, weiß ich das auch nicht.«
»Immerhin ist er ja auch weggelaufen«, sagte Lady Mary.
»Schießen und Weglaufen scheint seine Stärke zu sein«, meinte Peter bissig.
»Wenn er das nicht mit dir gemacht hätte«, sagte Mary langsam, »hätte ich dir das alles nie erzählt. Eher wäre ich gestorben. Aber bei seinen revolutionären Ideen - und wenn man an Rußland denkt und an all das Blut, das da in Aufständen und Kämpfen vergossen wird -, ich glaube, da lernt man ein Menschenleben verachten.«
»Mein Liebes«, sagte die Herzoginwitwe, »ich habe den Eindruck, daß Mr. Goyles für sein eigenes Leben keine große Verachtung an den Tag legt. Du mußt versuchen, die Sache gerecht zu sehen. Auf Leute schießen und weglaufen ist nicht sehr heldenhaft - nach unseren Maßstäben.«
»Was ich nur nicht verstehe«, warf Wimsey schnell dazwischen, »das ist, wie Geralds Revolver ins Gebüsch kam.«
»Und was ich gern wissen möchte«, sagte die Herzoginwitwe, »das ist, ob Denis wirklich ein Falschspieler war.«
»Und worüber ich gern Bescheid wüßte«, sagte Parker, »das ist die grünäugige Katze.«
»Denis hat mir nie eine Katze geschenkt«, sagte Mary. »Das war geflunkert.«
»Waren Sie je mit ihm in einem Juwelierladen in der Rue de la Paix?«
»Das schon; etliche Male. Und er hat mir einen Schildpattkamm mit Brillanten geschenkt. Aber nie eine Katze.«
»Dann können wir das schöne Geständnis von gestern abend also endlich vergessen«, sagte Lord Peter, indem er lächelnd Parkers Notizen durchblätterte. »Eigentlich gar nicht so schlecht, Polly, gar nicht schlecht. Du hast ein Talent für Schauerromane - doch, das meine ich wirklich! Hier und da noch ein bißchen mehr Liebe zum Detail. Zum Beispiel hättest du unmöglich diesen schwerverletzten Mann den ganzen Weg zum Haus schleifen können, ohne dich über und über mit Blut zu beschmieren. Übrigens, hat Goyles Cathcart überhaupt gekannt?«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Parker und ich hatten nämlich schon eine andere Theorie, die Goyles wenigstens vom schlimmsten Verdacht befreit hätte. Erzähl's ihr, Alter; es war ja deine Idee.«
Nach dieser Aufforderung schilderte Parker seine Theorie von Erpressung und Selbstmord.
»Das klingt plausibel«, sagte Mary, »- theoretisch zumindest; aber das sähe George überhaupt nicht ähnlich - ich meine, Erpressung ist doch so etwas Gemeines.«
»Na ja«, meinte Peter, »ich glaube, am besten gehen wir und sehen uns Goyles einmal an. Das Rätsel dieser Mittwochnacht muß schließlich irgendeine Lösung haben, und wenn einer sie kennt, dann er. Parker, alter Freund, wir nähern uns dem Ende der Jagd.«