Lehmflecken und Blutflecken


Andere Dinge mögen in ihrer Art ja recht nett sein - aber reines Blut geht über alles ... Wir sagen: »Da! Das ist Blut!« Es ist eine richtige Tatsache. Wir können mit den Fingern darauf zeigen. Es schließt jeden Zweifel aus. Reines Blut muß es sein, nicht?

David Copperfield


»Bis jetzt«, sagte Lord Peter, während sie unter Mühen der Spur von Schuhgröße 45 durch das Wäldchen folgten, »war ich überzeugt, daß diese entgegenkommenden Verbrecher, die ihre Spuren mit lauter kleinen persönlichen Dingen verzieren - hier ist er, auf einem zertretenen Pilz -, eine Erfindung der Detektivliteratur zum Nutzen der Autoren seien. Ich sehe, daß ich in meinem Beruf noch etwas dazulernen kann.«

»Du übst ihn ja auch noch nicht so lange aus«, meinte Parker. »Außerdem wissen wir nicht, ob die Diamantkatze dem Verbrecher gehört. Sie könnte jemandem aus deiner Familie gehören und schon seit Tagen hier herumliegen. Sie könnte diesem Mr. Dingsda in Amerika gehören, oder dem vorletzten Bewohner, und schon seit Jahren hier liegen. Dieser abgebrochene Zweig hier, das könnte unser Freund gewesen sein - ich glaube, er ist es.«

»Ich werde mal in der Familie nachfragen«, sagte Lord Peter, »und im Dorf könnten wir erfahren, ob sich dort schon einmal jemand nach einer verlorenen Katze erkundigt hat. Das sind nämlich echte Steine. So etwas verliert man nicht, ohne einen Riesenwirbel darum zu machen - jetzt hab ich ihn aber ganz verloren.«

»Macht nichts - ich habe ihn. Hier ist er über eine Wurzel gestolpert.«

»Geschieht ihm recht«, meinte Lord Peter giftig, indem er den Rücken streckte. »Weißt du, ich finde, der menschliche Körper ist für dieses Spürhundgeschäft nicht sehr durchdacht konstruiert. Wenn man auf allen vieren laufen könnte oder Augen an den Knien hätte, das wäre viel praktischer.«

»Die teleologische Betrachtungsweise der Schöpfung hat ihre Tücken«, kommentierte Parker gelassen. »Aha! Jetzt kommen wir an den Zaun.«

»Und hier ist er herübergestiegen«, sagte Lord Peter und zeigte auf eine Stelle, wo die Lattenspitze abgebrochen war. »Hier ist er mit den Absätzen aufgekommen, und hier ist er vornüber auf Hände und Knie gefallen. Hm! Hilf mir mal hoch, bitte. Danke. Aha, der Bruch ist alt. Mr. Montague-in-Amerika sollte seinen Zaun besser in Ordnung halten. Schuhgröße 45 hat sich jedenfalls den Mantel an den Spitzen zerrissen; er hat ein Stückchen Burberry zurückgelassen. Welch ein Glück! Hier auf der anderen Seite ist ein tiefer, sumpfiger Graben, in den ich jetzt spornstreichs hineinfallen werde.«

Ein dumpfes Platschen verriet, daß er seine Worte wahrgemacht hatte. Der solchermaßen schnöde allein gelassene Parker blickte sich um, und als er sah, daß es bis zum Tor nur etwa hundert Schritt waren, lief er hin und wurde von Hardraw, dem Wildhüter, der gerade aus seinem Haus kam, zuvorkommend hinausgelassen.

»Übrigens«, sagte Parker zu ihm, »haben Sie Mittwoch nacht überhaupt etwas von Wilderern entdeckt?«

»Nee«, antwortete der Mann, »nicht mal 'n totes Karnickel. Da muß das gnädige Fräulein sich verhört haben, und es war doch der Schuß, den ich gehört habe, der den Hauptmann getötet hat.«

»Schon möglich«, sagte Parker. »Wissen Sie übrigens, wie lange die Spitzen da drüben an den Zaunlatten schon abgebrochen sind?«

»Na, so um 'nen Monat rum. Hätte längst repariert werden müssen, aber der Mann ist krank.«

»Das Tor ist nachts verschlossen, nehme ich an?«

»Ja.«

»Und jeder, der herein will, muß Sie wecken?«

»Ja, allerdings.«

»Sie haben wohl letzten Mittwoch auch keine verdächtige Person draußen um den Zaun herumschleichen sehen?«

»Nee, Sir. Aber vielleicht meine Frau. He, Frau!«

Die so herbeigerufene Mrs. Hardraw erschien mit einem kleinen Jungen am Rockzipfel in der Tür.

»Mittwoch?« meinte sie. »Nein, da hab ich keinen rumlungern sehen. Ich hab nämlich immer ein Auge auf Landstreicher und so, weil das doch hier so einsam ist. Mittwoch. Warte mal, John, das war doch der Tag, wo der junge Mann mit dem Motorrad hier war.«

»Ein junger Mann mit einem Motorrad?«

»Das muß da gewesen sein. Er hat gesagt, daß er 'nen Platten hat und 'nen Eimer Wasser braucht.«

»Hat er sonst nichts gesagt?«

»Er hat noch gefragt, wie der Ort hier heißt und wem das Jagdhaus gehört.«

»Haben Sie ihm gesagt, daß sich der Herzog von Denver hier aufhält?«

»Ja, Sir, und er hat gemeint, da kommen sicher viele feine Leute hierher zum Jagen.«

»Hat er gesagt, wohin er fahren wollte?«

»Er kommt von Weirdale rauf und will nach Cumberland, hat er gesagt.«

»Wie lange hat er sich hier aufgehalten?«

»Vielleicht 'ne halbe Stunde. Und dann hat er versucht, sein Motorrad wieder zum Laufen zu bringen, und ist in Richtung King's Fenton davongeknattert.«

Sie zeigte nach rechts, wo man Lord Peter wild gestikulierend mitten auf der Straße stehen sah.

»Was war das für ein Mann?«

Wie die meisten Leute tat Mrs. Hardraw sich mit Beschreibungen schwer. Ziemlich jung und ziemlich groß sei er gewesen, meinte sie, weder dunkelhaarig noch blond und mit so einem langen Mantel, wie Motorradfahrer ihn trügen, mit einem Gürtel darum.

»War er ein vornehmer Mann?«

Mrs. Hardraw zögerte, und Mr. Parker stufte den Fremden im Geiste als >so-so< ein.

»Sie haben nicht zufällig die Nummer seines Motorrads gesehen?«

Mrs. Hardraw hatte sie nicht gesehen. »Aber ein Beiwagen war dran«, sagte sie.

Lord Peter winkte immer ungeduldiger, und Mr. Parker beeilte sich, ihm wieder Gesellschaft zu leisten.

»Komm schon her, alte Klatschtante«, schalt Lord Peter grundlos. »Ist das nicht ein wunderschöner Graben?


Aus solcher Goss' wie dieser

Da linde Luft die Bäume schmeichelnd küßte

Und sie nicht rauschen ließ, aus solcher Goss'

Erstieg wohl unser Freund die Mauern Trojas Und wetzte sich im Schlamm die Schuhe blank.


Sieh dir mal meine Hose an!«

»Gar nicht so leicht, von dieser Seite über den Zaun zu steigen«, meinte Parker.

»O ja. Er hat im Graben gestanden, einen Fuß hierher gesetzt, wo die Latte weggebrochen ist, mit einer Hand nach oben gegriffen und sich hochgezogen. Schuhgröße 45 muß ungewöhnlich groß, kräftig und gelenkig sein. Ich habe meinen Fuß da nicht hinaufgekriegt, geschweige die Hand bis oben. Ich bin einsfünfundsiebzig groß. Kommst du ran?«

Parker mit seinen einsdreiundachtzig reichte mit der Hand gerade bis oben.

»Ich könnte es schaffen - an einem guten Tag«, sagte er, »und bei entsprechendem Anreiz und gutem Zureden.«

»Eben«, sagte Lord Peter. »Und daraus schließen wir auf seine ungewöhnliche Größe und Kraft.«

»Ja«, meinte Parker. »Unser Pech, daß wir uns vorhin erst genötigt sahen, ihn für ungewöhnlich klein und schwach zu halten.«

»Oh!« machte Peter. »Hm - ja, da hast du recht, das kommt ein wenig ungelegen.«

»Aber es könnte sich recht bald aufklären. Könnte er nicht einen Komplicen gehabt haben, der ihm hier hinaufgeholfen hat?«

»Dann müßte der Komplice ein Wesen ohne Füße und sonstige Fortbewegungswerkzeuge sein«, sagte Lord Peter und zeigte auf die einsamen Abdrücke eines Paars geflickter Schuhe, Größe 45. »Übrigens, wie hat er im Dunkeln sofort die Stelle gefunden, an der die Spitzen fehlten? Anscheinend ist er aus der Gegend oder hat sich vorher umgesehen.«

»Bei der Gelegenheit«, erwiderte Parker, »kann ich dir ja endlich von dem unterhaltsamen >Klatsch< berichten, den ich mit Mrs. Hardraw hatte.«

»Hoppla!« meinte Wimsey, nachdem er sich das angehört hatte. »Das ist ja interessant. Wir sollten uns mal in Riddlesdale und King's Fenton erkundigen. Inzwischen wissen wir also, woher Schuhgröße 45 gekommen ist; aber wohin ist er verschwunden, nachdem er Cathcarts Leiche neben dem Brunnen abgelegt hatte?«

»Die Spur führt in die Schonung«, sagte Parker. »Dort habe ich sie verloren. Totes Laub und Unterholz bilden einen dicken Teppich.«

»Aber wir müssen dort nicht wieder mit der Nase am Boden herumschnüffeln«, begehrte sein Freund auf. »Wenn der Kerl in die Schonung hineingegangen ist, muß er, da er vermutlich nicht mehr drin ist, auch wieder herausgekommen sein. Durchs Tor kann er nicht gegangen sein, sonst hätte Hardraw ihn gesehen; er ist auch nicht auf demselben Weg wieder herausgekommen, auf dem er hineingegangen ist, sonst hätte er entsprechende Spuren hinterlassen. Demnach ist er woanders herausgekommen. Gehen wir mal um den Zaun herum.«

»Dann sollten wir uns nach links wenden«, meinte Parker, »denn da ist die Schonung, durch die er ja offenbar gelaufen ist.«

»Wahr, o König! Und da dies keine Kirche ist, kann es auch nicht schaden, gegen den Uhrzeigersinn herumzugehen. Apropos Kirche - eben kommt Helen zurück. Geh mal einen Schritt schneller, altes Haus.«

Sie überquerten die Einfahrt, gingen am Häuschen des Wildhüters vorbei und verließen die Straße, um über offene Wiesen dem Zaun zu folgen. Schon bald fanden sie, was sie suchten. An einer der Eisenspitzen über ihnen baumelte ein einsames Stück Stoff. Wimsey kletterte, gestützt von Parker, in geradezu lyrischer Begeisterung hinauf.

»Da haben wir's!« rief er. »Den Gürtel eines Regenmantels. Hier hat er alle Vorsicht fahrenlassen. Dies sind die Spuren eines Mannes, der um sein Leben rennt. Er hat sich den Mantel heruntergerissen und ist - einmal, zweimal, dreimal -verzweifelt am Zaun hochgesprungen. Beim dritten Anlauf hat er den Mantel an den Spitzen festgehakt. Dann ist er hinaufgeklettert und hat uns die schönsten Kratzspuren am Holz hinterlassen. Jetzt ist er oben. Ah, hier ist Blut in eine Ritze gelaufen. Er hat sich die Hand verletzt. Dann springt er hinunter, reißt den Mantel nach und läßt den Gürtel hängen -«

»Spring du endlich auch runter«, knurrte Parker. »Du brichst mir das Schlüsselbein.«

Lord Peter sprang gehorsam hinunter, dann stand er, den Gürtel in der Hand, da und ließ den Blick seiner schmalen grauen Augen rastlos über die Wiesen schweifen. Plötzlich packte er Parkers Arm und ging raschen Schrittes auf einen Steinwall auf der anderen Seite der Wiese zu - ein niedriges Bauwerk lose aufgeschichteter Steine, wie sie für die Gegend typisch sind. Darauf lief er entlang wie ein Terrier, die Nase vorneweg, die Zungenspitze albern zwischen den Zähnen, sprang schließlich hinüber, drehte sich zu Parker um und meinte:

»Hast du mal Des letzten Minnesängers Sang gelesen?«

»Von Scott? In der Schule hab ich viel davon gehört«, sagte Parker. »Warum?«

»Weil da so ein Knirps drin vorkommt, der im unpassendsten Moment schreit: >Gefunden! Gefunden!«« sagte Lord Peter. »Ich habe ihn immer als furchtbar aufdringlich empfunden, aber jetzt weiß ich, was in ihm vorging. Sieh dir das mal an.«

Dicht unterhalb des Steinwalls wies der schmale, lehmige Weg, der hier rechtwinklig zur Straße verlief, die tief eingedrückten Spuren eines Motorrads mit Beiwagen auf.

»Und wie hübsch«, sagte Mr. Parker beifällig. »Neuer Dunlopreifen auf dem Vorderrad, alter Reifen auf dem Hinterrad, geflickter Reifen am Beiwagen. Was wollen wir mehr? Die Spur kommt von der Straße und kehrt wieder zur Straße zurück. Der Bursche hat sein Motorrad von der Straße hierhergeschoben, damit nicht irgendein vorbeikommender Naseweis damit verschwand oder sich die Nummer merkte. Dann ist er auf Schusters Rappen zu der Stelle am Zaun gegangen, die er zuvor am Tag erkundet hatte, und ist hinübergestiegen. Nach der Geschichte mit Cathcart hat er's mit der Angst bekommen, ist durch die Schonung gerannt und hat ohne Rücksicht auf Verluste den kürzesten Weg zu seinem fahrbaren Untersatz genommen. Na bitte.«

Er setzte sich auf den Steinwall, zog sein Notizbuch aus der Tasche und fertigte nach den ihm bekannten Daten eine Beschreibung des Mannes an.

»Allmählich sieht's ein bißchen besser für den guten Jerry aus«, meinte Lord Peter. Er lehnte sich an die Mauer und pfiff leise, aber gekonnt, die kunstvolle Passage von Bach, die mit den Worten beginnt: »Laß Zions Kinder«.

»Ich möchte nur wissen«, sagte der Ehrenwerte Freddy Arbuthnot, »welcher von allen guten Geistern verlassene Trottel den Sonntagnachmittag erfunden hat.«

Er schaufelte mit rücksichtslosem Gepolter Kohlen auf das Kaminfeuer im Arbeitszimmer und weckte damit Oberst Marchbanks auf, der »Wie? Ja, ganz recht!« murmelte und prompt wieder einschlief.

»Du brauchst dich gar nicht zu beklagen, Freddy«, sagte Lord Peter, der seit einiger Zeit dabei war, mit nervtötender Gründlichkeit sämtliche Schreibtischschubladen zu öffnen und an der Verriegelung der Verandatür herumzuspielen. »Denk mal an Jerry, wie der sich erst langweilen muß. Ich sollte ihm vielleicht ein paar Zeilen schreiben.«

Er ging zum Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier. »Weißt du zufällig, ob hier oft jemand Briefe schreibt?«

»Keine Ahnung«, antwortete der Ehrenwerte Freddy. »Schreib selber nie welche. Wozu schreiben, wenn man telegrafieren kann? Dann schreiben die Leute doch nur zurück. Ich glaube, wenn Denver schreibt, schreibt er hier, und neulich habe ich auch den Oberst mit Feder und Tinte sich abquälen sehen, stimmt's, Oberst?« (Der Oberst reagierte mit einem Grunzen auf die Erwähnung seines Namens, ganz wie ein Hund, der im Schlaf mit dem Schwanz wedelt.) »Was ist denn? Keine Tinte da?«

»War nur mal eine Frage«, antwortete Peter gelassen. Er schob ein Papiermesser unter das oberste Löschblatt der Schreibunterlage und hielt dieses gegens Licht. »Ganz recht, altes Haus. Ich muß deine Beobachtungsgabe loben. Das hier ist Jerrys Unterschrift, die andere da ist vom Oberst, und dann haben wir noch eine große, schwungvolle Schrift, die ich für weiblich halten würde.«

Er betrachtete noch einmal das Löschblatt, schüttelte den Kopf, faltete es zusammen und steckte es in die Tasche. »Scheint nichts weiter drauf zu sein«, meinte er, »aber man weiß ja nie. >Fünf irgendwas ... schöne irgendwas< - werden wohl Waldhühner sein. >- oe - is - f. u -< vielleicht >ist fruchtlos< oder so ähnlich. Na ja, kann nicht schaden, das Ding mal aufzuheben.«

Dann glättete er sein Briefpapier und begann:

»Lieber Jerry,

da bin ich, der Spürhund der Familie in Aktion, und es ist mächtig aufregend -«



Der Oberst schnarchte.

Sonntag nachmittag. Parker war mit dem Wagen nach King's Fenton gefahren mit dem Auftrag, unterwegs in Riddlesdale anzuhalten, um sich nach einer grünäugigen Katze sowie einem jungen Mann mit Beiwagen zu erkundigen. Die Herzogin hatte sich ein wenig hingelegt. Mrs. Pettigrew-Robinson hatte ihren Mann auf eine Wanderung entführt. Irgendwo im Obergeschoß erfreute sich Mrs. Marchbanks der vollkommenen Geistesgemeinschaft mit ihrem Gatten.

Lord Peters Feder kratzte leise übers Papier, hielt inne, kratzte weiter, hörte ganz auf. Er stützte das lange Kinn auf die Hände und starrte aus dem Fenster, an dessen Scheiben plötzliche kleine Regenschauer prasselten oder dann und wann ein totes Blatt vorbeiwehte. Der Oberst schnarchte; das Feuer knisterte; der Ehrenwerte Freddy begann vor sich hin zu summen und auf der Armlehne seines Sessels den Takt zu klopfen. Die Uhr rückte träge auf fünf. Das bedeutete Teezeit und brachte die Herzogin auf den Plan.

»Wie geht es Mary?« fragte Lord Peter, indem er plötzlich in den Feuerschein trat.

»Ich mache mir wirklich Sorgen um sie«, antwortete die Herzogin. »Sie läßt sich so merkwürdig gehen. Das paßt gar nicht zu ihr. Sie läßt auch kaum jemanden in ihre Nähe. Ich habe wieder nach Dr. Thorpe geschickt.«

»Findest du nicht auch, sie sollte besser aufstehen und ein bißchen zu uns runterkommen?« meinte Wimsey. »So allein muß sie ja ins Brüten kommen, denke ich. Freddys geistreiche Unterhaltung würde sie sicher aufmuntern.«

»Du darfst nicht vergessen«, erwiderte die Herzogin, »daß die Ärmste mit Hauptmann Cathcart verlobt war. Nicht jeder ist so gefühllos wie du.«

»Sind noch mehr Briefe da, Euer Gnaden?« fragte der Diener, der eben mit dem Postsack hereinkam.

»Ach, bringen Sie jetzt die Post weg?« fragte Wimsey. »Ja, hier ist einer - und noch einer, wenn's Ihnen nichts ausmacht, eine Minute zu warten, bis ich ihn geschrieben habe. Ich möchte so schnell schreiben können wie die Leute in den Filmen«, fuhr er fort und schrieb rasch, während er weitersprach: »>Liebe Lilian, Dein Vater hat Mr. William Snooks umgebracht, und wenn Du mir nicht durch Überbringer desselbigen sofort tausend Pfund schickst, erzähle ich alles Deinem Mann. Hochachtungsvoll, Dein Earl of Digglesbrake.< So macht man das; und alles mit einem Federstrich. Hier, Fleming.«

Der Brief war an Ihre Gnaden die Herzoginwitwe von Denver gerichtet.


Aus derMorningPost von Montag, dem ... November 19 ...: HERRENLOSES MOTORRAD Ein Viehtreiber machte gestern eine erstaunliche Entdeckung. Er pflegt seine Kühe an einem bestimmten Teich zu tränken, der etwa zwölf Meilen südlich von Ripley ein wenig abseits von der Straße liegt. Diesmal sah er, daß eines seiner Tiere offenbar Schwierigkeiten hatte. Als er hinging, um ihm zu helfen, mußte er feststellen, daß es sich in einem Motorrad verfangen hatte, das in den Teich gefahren und dort zurückgelassen worden war. Mit Unterstützung einiger Arbeiter zog er die Maschine heraus. Es handelte sich um eine Douglas mit dunkel grauem Beiwagen. Die Nummernschilder waren abmontiert. Es ist ein tiefer Teich, in dem das Gespann völlig untergetaucht war. Wahrscheinlich hat es jedoch nicht länger als eine Woche darin gelegen, denn der Teich wird sonntags und montags vielfach als Viehtränke benutzt. Die Polizei sucht zur Zeit noch den Besitzer. Am Vorderrad befindet sich ein neuer Dunlopreifen, und der Reifen des Beiwagens ist stark geflickt. Es handelt sich um ein sehr abgenutztes 1914er Modell.


»Das erinnert mich an etwas«, sagte Lord Peter nachdenklich. Er suchte auf einem Fahrplan die Abfahrtszeit des nächsten Zuges nach Ripley heraus und ließ den Wagen vorfahren.

»Und schicken Sie Bunter zu mir«, fügte er hinzu.

Dieser Herr erschien, als sein Gebieter sich gerade in den Mantel zwängte.

»Was hat da noch am Donnerstag von einem Nummernschild in der Zeitung gestanden, Bunter?« erkundigte sich Seine Lordschaft.

Wie von Zauberhand brachte Bunter den Ausschnitt einer Abendzeitung zum Vorschein:

DAS VERSCHWUNDENE NUMMERNSCHILD Heute morgen um sechs Uhr wurde der Pfarrer Nathaniel Foulis aus der Pfarrei St. Simon in North Fellcote angehalten, weil er ein Motorrad ohne Nummernschild fuhr. Der hochwürdige Herr war wie vom Donner gerührt, als man ihn auf sein Vergehen aufmerksam machte. Er erklärte, er sei um vier Uhr dringend zu einem Sterbenden gerufen worden, der sechs Meilen entfernt wohnte, um ihm die Sakramente zu spenden. Er sei mit dem Motorrad hingefahren und habe es vertrauensvoll an der Straße stehen lassen, während er seiner frommen Pflicht nachkam. Um halb sechs habe er das Haus wieder verlassen und nicht gemerkt, daß etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Mr. Foulis ist in North Fellcote und Umgebung wohlbekannt und dürfte unzweifelhaft einem dummen Streich zum Opfer gefallen sein. North Fellcote ist ein kleines Dorf wenige Meilen nördlich von Ripley.


»Bunter, ich fahre nach Ripley«, sagte Lord Peter.

»Ja, Mylord. Werden Mylord mich benötigen?«

»Nein«, sagte Lord Peter, »aber - wen hat meine Schwester denn hier als Zofe, Bunter?«

»Ellen, Mylord - das Hausmädchen.«

»Dann wünsche ich, daß Sie Ihr Unterhaltungstalent bei Ellen zur Geltung bringen.«

»Sehr wohl, Mylord.«

»Flickt und reinigt sie auch die Kleider meiner Schwester und so weiter?«

»Ich glaube ja, Mylord.«

»Aber setzen Sie ihr keine Flöhe ins Ohr, verstanden, Bunter?«

»So etwas würde ich bei einer Frau nie wagen, Mylord. Es steigt ihnen nur zu Kopf, wenn ich so sagen darf.«

»Wann ist Mr. Parker nach London gefahren?«

»Heute früh um sechs Uhr, Mylord.«

Die Umstände begünstigten Mr. Bunters Ermittlungen. Er begegnete Ellen, als sie mit einem Armvoll Kleider die Hintertreppe herunterkam. Dabei wurde ein Paar Lederhandschuhe versehentlich zu Boden gerissen, und Bunter hob sie mit einer Entschuldigung auf und folgte der jungen Frau damit ins Dienstbotenzimmer.

»Da«, sagte Ellen, indem sie ihre Bürde auf den Tisch warf. »Und was ich für Arbeit hatte, die Sachen zu kriegen, das kann ich Ihnen sagen! Einen Rappel nenne ich das, so zu tun, als wenn man solche Kopfschmerzen hätte, daß man keinen Menschen in sein Zimmer lassen kann, um die Sachen zum Ausbürsten abzuholen, und kaum bin ich draußen, springt sie aus dem Bett und hopst im ganzen Zimmer rum. So was nenn ich keine Kopfschmerzen, oder? Aber bitte! Ich sag Ihnen, solche Kopfschmerzen, wie ich sie manchmal kriege, haben Sie noch nie gehabt. Da denke ich, mir zerspringt der Kopf - ich könnte mich nicht auf den Beinen halten, und wenn das Haus am Brennen wär. Muß mich hinlegen und liegenbleiben -grausam ist das, sag ich Ihnen. Und was man davon für Falten auf der Stirn kriegt.«

»Also, Falten sehe ich nun wirklich keine«, entgegn ete Mr. Bunter, »aber vielleicht habe ich nur nicht genau genug hingeschaut.« Es folgte ein Zwischenspiel, bei dem Mr. Bunter genau genug und nah genug hinsah, um eventuelle Falten zu entdecken. »Nein«, sagte er. »Wo sollen da Falten sein? Ich glaube, ich würde nicht einmal welche finden, wenn ich das große Mikroskop nähme, das Seine Lordschaft in London hat.«

»Meine Güte, Mr. Bunter«, sagte Ellen, indem sie einen Schwamm und ein Fläschchen Benzin aus dem Schrank nahm, »wozu braucht denn Seine Lordschaft so ein Ding?«

»Wissen Sie, Miss Ellen, bei unserem Hobby, der Kriminalistik, will man manchmal etwas besonders stark vergrößert sehen - wenn es zum Beispiel um eine Fälschung geht, wollen wir sehen, ob an der Schrift etwas verändert oder ausgelöscht oder ob mit zweierlei Tinte geschrieben wurde. Oder wir sehen uns die Haarwurzeln an, wenn wir wissen wollen, ob ein Büschel Haare ausgerissen wurde oder ausgefallen ist. Oder wir möchten zum Beispiel bei einem Blutflecken wissen, ob es Tierblut oder Menschenblut ist, oder vielleicht auch nur ein Rotweinfleck.«

»Aber stimmt es denn wirklich, Mr. Bunter«, fragte Ellen, indem sie einen Tweedrock auf dem Tisch ausbreitete und die Benzinflasche entstöpselte, »daß Sie und Lord Peter das alles feststellen können?«

»Natürlich sind wir keine Chemiker«, antwortete Mr. Bunter, »aber Seine Lordschaft hat Erfahrung in vielen Dingen - genug jedenfalls, um zu erkennen, wann etwas verdächtig aussieht, und wenn wir Zweifel haben, wenden wir uns an einen sehr berühmten Wissenschaftler.« (Er fing galant Ellens Hand ab, die sich mit einem benzingetränkten Schwamm dem Tweedrock näherte.) »Sehen Sie, da ist zum Beispiel ein Fleck am Rocksaum, unten an der Seitennaht. Nun nehmen wir mal an, es handelt sich um einen Mordfall, und die Person, die diesen Rock getragen hat, ist der Tat verdächtig, dann würde ich diesen Fleck untersuchen.« (Mit diesen Worten zauberte Mr. Bunter eine Lupe aus der Tasche.) »Dann würde ich mit einem feuchten Taschentuch über den Rand reiben.« (Er ließ den Worten die Tat folgen.) »Und dabei würde ich sehen, daß es sich rot färbt. Dann würde ich den Rock umwenden und feststellen, daß der Fleck durch den ganzen Stoff geht; daraufhin würde ich eine Schere nehmen« (Mr. Bunter nahm eine kleine, scharfe Schere zur Hand) »und ein Stückchen von der Innenkante des Saums abschneiden, so« (er tat es), »und das würde ich in dieses Döschen tun« (ein kleines Döschen erschien wie von selbst aus Bunters Brusttasche), »das ich auf beiden Seiten mit einem Etikett versiegeln würde, und darauf würde ich schreiben: >Lady Mary Wimseys Rock< und das Datum. Dann würde ich das Ganze sofort zu diesem Chemiker in London schicken, und der würde den Stoff unterm Mikroskop betrachten und mir sofort sagen, es handle sich zum Beispiel um Kaninchenblut, das schon soundso viele Tage alt sei, und damit wäre der Fall erledigt«, endete Mr. Bunter triumphierend, indem er die Nagelschere und ganz in Gedanken auch gleich das Schächtelchen nebst Inhalt wieder in die Tasche steckte.

»Dann hätte er sich aber geirrt«, erwiderte Ellen mit einer neckischen Kopfbewegung, »denn das Blut ist von einem Vogel und nicht von einem Kaninchen, weil Lady Mary mir das selbst gesagt hat; und ginge es nicht schneller, einfach die betreffende Person zu fragen, statt erst mit so komischen Sachen wie Ihrem Mikroskop herumzuspielen?«

»Nun, ich habe das Kaninchenblut ja nur als Beispiel erwähnt«, sagte Mr. Bunter. »Komisch, daß sie da unten einen Blutfleck abbekommen hat. Sie muß sich ja regelrecht hineingekniet haben.«

»Ja, das arme Ding muß stark geblutet haben. Da hat wohl einer ziemlich schlecht geschossen. Seine Gnaden war es sicher nicht, und auch nicht der arme Hauptmann. Vielleicht Mr. Arbuthnot. Der ballert manchmal ein bißchen wild in die Gegend. Häßliche Sache jedenfalls, und so schlecht zu reinigen, wenn man zu lange wartet. Ich kann Ihnen sagen, mir war an dem Tag, an dem der arme Hauptmann erschossen wurde, auch nicht nach Reinigen; und dann diese Voruntersuchung - so was Schreckliches -, und Seine Gnaden dann einfach so abzuführen! Mich hat das furchtbar aufgeregt. Wahrscheinlich bin ich ein bißchen überempfindlich. Jedenfalls wußten wir alle die ersten Tage nicht, wo uns der Kopf stand, und dann schließt Lady Mary sich auch noch oben in ihrem Zimmer ein und läßt mich nicht an den Kleiderschrank. >Oh!< sagt sie. >Laß diesen Kleiderschrank in Ruhe. Hörst du nicht, wie er quietscht, das halte ich nicht aus, wo mir der Kopf so weh tut und meine Nerven so angegriffen sind<, sagt sie. >Aber ich will doch nur Ihre Röcke ausbürsten, Mylady<, sag ich. >Laß meine Röcke in Ruhe<, sagt sie, >und geh jetzt, Ellen. Ich schreie, wenn ich dich noch einmal da herumkramen sehe. Du gehst mir auf die Nerven<, sagt sie. Na ja, und wieso hätte ich da noch weiterarbeiten sollen, wenn man so mit mir spricht? Muß ja sehr schön sein, wenn man eine Lady ist, da kann man alle Launen mit schlechten Nerven entschuldigen. Ich weiß noch, wie schrecklich ich dran war, als mein Freund, der arme Bert, im Krieg gefallen ist - die Augen hab ich mir fast ausgeweint; aber mein Gott, Mr. Bunter, ich hätte mich doch geschämt, mich so aufzuführen. Außerdem, unter uns gesagt, ich glaube, Lady Mary war in den Hauptmann gar nicht so verliebt. Sie hat nicht gewußt, was sie an ihm hatte, das hab ich auch mal zur Köchin gesagt, und die hat mir recht gegeben. Er hatte schon was an sich, der Hauptmann. Natürlich immer ganz ein Herr; hat nie was gesagt, was ihm nicht zukam - das soll das nicht heißen -, aber ich meine, es hat immer Freude gemacht, für ihn was zu tun. Und so ein schöner Mann war er ja auch, Mr. Bunter.«

»Aha!« sagte Mr. Bunter. »Alles in allem hat Lady Mary sich also etwas mehr erregt, als man von ihr erwartet hätte, ja?«

»Also, ganz ehrlich, Mr. Bunter, ich halte das Ganze nur für Anstellerei. Sie wollte ja bloß heiraten und weg von zu Hause. So ein gemeiner Fleck. Richtig eingetrocknet. Mit dem Herzog ist sie ja nie gut ausgekommen, und wie sie im Krieg in London war, da hat sie sich ja was geleistet, Offiziere gepflegt und sich mit allerlei komischen Leuten eingelassen, mit denen Seine Gnaden nicht einverstanden war. Sie soll sogar eine Affäre mit so einem richtig heruntergekommenen Kerl gehabt haben, sagt die Köchin; ich glaube, das war so ein dreckiger Russe - die uns hier alle in Stücke hauen wollen - als wenn im Krieg nicht schon genug Menschen gestorben wären! Jedenfalls hat Seine Gnaden sich furchtbar aufgeregt und ihr alles Geld gesperrt und sie nach Hause schicken lassen, und seitdem will sie nur noch weg, egal mit wem. Was die sich alles einbildet! Zum Davonlaufen, sag ich Ihnen. Aber Seine Gnaden tut mir leid. Ich kann mir vorstellen, wie ihm zumute ist. Der arme Mann! Und dann für einen Mord verhaftet und eingesperrt zu werden wie ein lausiger Landstreicher. Das muß man sich mal vorstellen!«

Nachdem ihr Atemvorrat erschöpft und die Blutflecken ausgewaschen waren, hielt Ellen inne und streckte den Rücken.

»Harte Arbeit ist das«, sagte sie, weiterrubbelnd, »mir tut schon alles weh.«

»Wenn Sie mir erlauben, Ihnen zu helfen«, sagte Mr. Bunter und nahm schon das warme Wasser, Benzinfläschchen und Schwamm an sich.

Er klappte das nächste Stück Rock hoch.

»Haben Sie eine Bürste«, fragte er, »um den Schmutz hier wegzubürsten?«

»Sie sind ja blind wie eine Fledermaus, Mr. Bunter!« meinte Ellen kichernd. »Sehen Sie denn die Bürste da direkt vor Ihrer Nase nicht?«

»Das schon«, antwortete der treue Diener, »aber die ist mir nicht hart genug. Wenn Sie so lieb sind und mir eine richtig harte Bürste besorgen, mache ich das für Sie.«

»Frechheit!« sagte Ellen. »Aber«, gab sie unter Mr. Bunters feurig bewunderndem Blick nach, »ich hole Ihnen mal die Kleiderbürste aus der Diele. Die ist so hart wie ein Ziegelstein.«

Kaum war sie draußen, hatte Mr. Bunter schon ein Taschenmesser und zwei weitere Döschen zur Hand. Im Nu hatte er an zwei Stellen etwas vom Rock abgekratzt und zwei neue Etikette beschriftet:

»Kies von Lady Marys Rock, fünfzehn Zentimeter über dem Saum.«

»Silbersand von Lady Marys Rocksaum.«

Er setzte noch das Datum ein, und kaum hatte er die Döschen wieder in der Tasche, kam Ellen mit der Kleiderbürste zurück. Der Reinigungsprozeß, begleitet von Ellens unzusammenhängendem Geplauder, dauerte noch eine Weile an. Ein dritter Fleck an Lady Marys Rock zog Mr. Bunters kritischen Blick auf sich,

»Nanu!« sagte er. »Hier hat ja Lady Mary selbst schon Hand anzulegen versucht.«

»Was?« rief Ellen. Sie sah sich den Fleck, der an einer Seite verschmiert und aufgehellt war und überhaupt leicht verwaschen wirkte, aus der Nähe an.

»Na so was!« rief sie laut. »Es stimmt tatsächlich. Also, was soll denn das schon wieder? Und dann tut sie so krank, als ob sie nicht mal den Kopf vom Kissen heben könnte. So was Hinterhältiges!«

»Kann sie das nicht schon vorher gemacht haben?« fragte Mr. Bunter.

»Na ja, vielleicht zwischen dem Tag, an dem der Hauptmann ermordet worden ist, und der Voruntersuchung«, räumte Ellen ein, »aber ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mensch ausgerechnet in der Zeit anfängt, sich für Hausarbeit zu interessieren. Davon versteht sie nämlich sowieso nicht viel, obwohl sie im Krieg Krankenschwester war. Ich hab ja nie geglaubt, daß daraus was wird.«

»Sie hat Seife benutzt«, stellte Mr. Bunter fest, während er resolut mit dem Benzinschwamm daranging. »Kann sie denn in ihrem Zimmer Wasser heiß machen?«

»Na, wozu sollte das denn gut sein, Mr. Bunter?« rief Ellen verwundert. »Sie glauben doch nicht, daß sie da oben einen Wasserkessel hat? Ich bringe ihr jeden Morgen den Tee. Eine Lady macht doch kein Wasser heiß!«

»Das nicht«, sagte Mr. Bunter, »und sie hätte es sich ja auch aus dem Bad holen können.« Er nahm den Fleck noch näher in Augenschein. »Sehr stümperhaft«, meinte er, »eindeutig Amateurarbeit. Scheint dabei auch noch unterbrochen worden zu sein. Eine energische junge Dame, aber nicht sehr erfinderisch.«

Diese letzten Bemerkungen waren vertraulich an die Benzinflasche gerichtet.

Ellen hatte den Kopf aus dem Fenster gestreckt und unterhielt sich mit dem Wildhüter.

Der Polizeichef von Ripley empfing Lord Peter zuerst frostig, dann, nachdem er erfahren hatte, wer er war, mit einer Mischung aus amtlicher Distanz gegenüber dem Privatdetektiv und amtlichem Respekt vor dem Herzogssohn.

»Ich komme zu Ihnen«, sagte Wimsey, »weil Sie sich auf diese Sucharbeit viel besser verstehen als ein Amateur wie ich. Ihre tüchtigen Leute sind ja bestimmt schon an der Arbeit, wie?«

»Natürlich«, sagte der Polizeichef, »aber es ist nicht so leicht, den Weg eines Motorrads zu verfolgen, dessen Nummer man nicht kennt. Denken Sie nur an diesen Mord von Bournemouth.« Er schüttelte bedauernd den Kopf und akzeptierte dankend eine Villar y Villar.

»Wir haben zunächst keinen Zusammenhang mit dieser Nummernschildgeschichte vermutet«, fuhr der Polizeichef in wegwerfendem Ton fort, dem Lord Peter entnahm, daß erst seine eigenen Ausführungen der letzten halben Stunde diesen Zusammenhang im Gehirn des Beamten hergestellt hatten. »Natürlich, wenn man ihn ohne Nummernschild durch Ripley hätte fahren sehen, wäre er aufgefallen und angehalten worden, aber wenn er Mr. Foulis' Nummernschilder hatte, war er so sicher wie - wie die Bank von England«, schloß er mit einem Geistesblitz.

»Zweifellos«, sagte Wimsey. »Sehr ärgerlich für den armen Pfarrer. Und das so früh am Morgen. Ich nehme an, die Sache wurde zuerst als Dummejungenstreich angesehen?«

»Genau«, pflichtete ihm der Polizeichef bei, »aber nachdem wir nun Ihre Ansicht gehört haben, werden wir alles daransetzen, diesen Mann zu finden. Seine Gnaden werden sicher nicht traurig sein, wenn er hört, daß wir ihn haben. Sie können sich auf uns verlassen, und wenn wir den Mann oder die Nummernschilder finden -«

»Der Himmel segne und bewahre uns!« brach es mit unerwartetem Temperament aus Lord Peter heraus. »Mann, Sie werden doch nicht hingehen und Ihre Zeit damit verschwenden, nach den Nummernschildern zu suchen! Glauben Sie denn, er klaut die Nummernschilder des Pfarrers, wenn er seine eigenen in der Nachbarschaft herumzeigen will? Sollten Sie die Dinger finden, so hätten Sie seinen Namen und seine Adresse; solange er die Schilder aber in der Hosentasche hat, sind Sie auf dem Holzweg. Entschuldigen Sie, wenn ich hier so deutlich meine Meinung sage, aber ich ertrage einfach den Gedanken nicht, daß Sie sich womöglich diese ganze Mühe umsonst machen - Teiche abfischen und Misthaufen umgraben, um nach Nummernschildern zu suchen, die gar nicht da sind. Erkundigen Sie sich lieber an den Bahnhöfen nach einem jungen Mann von etwa einsdreiundachtzig bis einsfünfundachtzig, mit Schuhgröße 45, einem Regenmantel, an dem der Gürtel fehlt, und einer tiefen Kratzwunde an einer Hand. Hören Sie, hier haben Sie meine Adresse, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich über alles auf dem laufenden hielten, was sich so ergibt. Furchtbar für meinen Bruder, das alles. So sensibel, der Mann; tut ihm schrecklich weh. Übrigens, ich bin ein sehr unsteter Vogel - mal hier, mal da; Sie könnten mir vielleicht alle Mitteilungen doppelt zukommen lassen - nach Riddlesdale und London, Piccadilly 110 A. Wenn Sie übrigens mal nach London kommen, sind Sie bei mir jederzeit gern gesehen. Entschuldigen Sie, wenn ich mich jetzt wieder auf die Socken mache, ja? Ich habe viel zu tun.«

Bei seiner Rückkehr nach Riddlesdale fand Lord Peter einen neuen Gast am Teetisch vor. Als Peter eintrat, erhob er sich zu imposanter Größe und streckte ihm eine wohlgeformte, ausdrucksvolle Hand entgegen, die einem Schauspieler ein Vermögen eingebracht hätte. Er war zwar kein Schauspieler, fand aber die Hände doch sehr geeignet zur Erzielung dramatischer Effekte. Mit seiner prächtigen Figur und der edlen Kopfform war er eine eindrucksvolle Erscheinung; seine Züge waren makellos, seine Augen hart. Die Herzoginwitwe hatte einmal über ihn gesagt: »Sir Impey Biggs ist der schönste Mann Englands, und keine Frau wird je zwei Penny für ihn geben.« Er war mit seinen achtunddreißig Jahren tatsächlich noch Junggeselle und außerdem berühmt für seine Rednergabe und das Geschick, mit dem er gegnerische Zeugen sanft, aber unbarmherzig auseinandernahm. Sein unvermutetes Freizeitvergnügen war die Zucht von Kanarienvögeln, und außer ihrem Gesang liebte er nur Revueschlager. Er erwiderte Wimseys Gruß mit seiner schönen, klangvollen, wunderbar beherrschten Stimme. Tragische Ironie, beißende Verachtung und helle Empörung waren die Ausdrucksvarianten, mit denen Sir Impey Biggs Richtern wie Geschworenen beikam; er verfolgte die Mörder der Unschuldigen und verteidigte bei Verleumdungsklagen; er verstand zu rühren und war selbst so gefühllos wie ein Stein. Wimsey gab seiner Freude über das Wiedersehen in einem noch verhalteneren, zögernderen Ton Ausdruck, als man ohnehin von ihm gewöhnt war.

»Sie kommen gerade von Jerry?« fragte er. »Bitte frischen Toast, Fleming. Wie geht's ihm denn? Macht's ihm noch Spaß? Ich kenne keinen zweiten Menschen, der aus einer Situation so wenig machen kann wie Jerry. Wie gern würde ich so was mal selbst erleben, allerdings würde es mir wenig Freude machen, eingesperrt zu sein und zusehen zu müssen, wie andere meinen Fall verpfuschen. Das soll keine Anspielung auf Murbles und Sie sein, Biggs. Ich meine mich selbst - oder den Mann, der meine Rolle spielen würde, wenn ich Jerry wäre. Können Sie mir folgen?«

»Ich habe eben zu Sir Impey gesagt«, ließ sich die Herzogin vernehmen, »daß er Gerald unbedingt dazu bringen muß, zu sagen, was er um drei Uhr morgens im Garten wollte. Wäre ich doch nur in Riddlesdale gewesen, dann hätte das alles nicht passieren können. Natürlich wissen wir, daß er nichts Böses getan hat, aber können wir von den Geschworenen erwarten, daß sie das verstehen? Die unteren Klassen sind ja so voreingenommen. Wie dumm aber auch von Gerald, einfach nicht zu begreifen, daß er reden muß! Er kennt keine Rücksicht.«

»Ich tue schon mein Bestes, Herzogin«, sagte Sir Impey, »aber Sie müssen etwas Geduld haben. Wir Rechtsanwälte haben es ja auch gern ein bißchen geheimnisvoll, wissen Sie? Wenn jeder vorträte und geradeheraus die Wahrheit sagte, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, müßten wir alle ins Armenhaus.«

»Hauptmann Cathcarts Tod ist allerdings geheimnisvoll«, sagte die Herzogin, »aber nach allem, was sich jetzt über ihn herausstellt, war es für meine Schwägerin letzten Endes besser so.«

»Sagen Sie, Biggs, könnten Sie nicht auf >Tod durch göttliche Heimsuchung« plädieren?« meinte Lord Peter. »Gottes Strafe dafür, daß er in unsere Familie einheiraten wollte?«

»Ich habe schon dümmere Urteile erlebt«, antwortete Biggs trocken. »Es ist köstlich, was man den Geschworenen alles einreden kann, wenn man nur will. Ich erinnere mich da an einen Fall in Liverpool -«

So lenkte er geschickt hinüber ins ruhige Fahrwasser der Anekdoten. Lord Peter betrachtete sein statuenhaftes Profil vor dem Feuer; es erinnerte ihn an die strenge Schönheit des Wagenlenkers von Delphi und war ebenso ausdrucksvoll.

Erst nach dem Abendessen sprach Sir Impey ganz offen mit Wimsey. Die Herzogin war zu Bett gegangen, und die beiden Männer befanden sich allein in der Bibliothek. Lord Peter, im korrekten Abendanzug und von Bunter bestens versorgt, war den ganzen Abend ungewöhnlich mitteilsam und fröhlich gewesen. Jetzt zündete er sich eine Zigarre an, ließ sich im größten Sessel nieder und hüllte sich in tiefes Schweigen.

Sir Impey Biggs ging eine halbe Stunde lang rauchend auf und ab. Dann trat er entschlossen näher, knipste die Leselampe an, richtete ihren Schein brutal auf Wimseys Gesicht, setzte sich ihm gegenüber und sagte: »Also, Wimsey, jetzt will ich alles hören, was Sie wissen.«

»So, so«, meinte Peter. Er stand auf, zog den Stecker der Leselampe heraus und stellte sie auf eine Anrichte.

»Keine Zeugeneinschüchterung, bitte«, kommentierte er grinsend.

»Meinetwegen, wenn Sie nur aufwachen«, sagte Biggs ungerührt. »Also los.«

Lord Peter nahm die Zigarre aus dem Mund, betrachtete sie mit schiefgelegtem Kopf, drehte sie vorsichtig um, fand, daß die Asche noch ein Weilchen am Deckblatt halten würde, rauchte wortlos weiter, bis sie jeden Moment hinunterfallen mußte, nahm dann die Zigarre wieder aus dem Mund, lud die Asche genau in der Mitte des Aschenbechers ab und begann mit seiner Aussage, bei der er nur die Sache mit dem Koffer sowie die Informationen wegließ, die Bunter von Ellen erhalten hatte.

Sir Impey Biggs hörte ihm mit einer Miene zu, die Peter unangenehm an ein Kreuzverhör erinnerte, und warf hier und da eine scharfe Frage ein. Er machte sich ein paar Notizen, und als Wimsey fertig war, klopfte er nachdenklich auf sein Notizbuch.

»Ich glaube, daraus können wir etwas machen«, sagte er, »selbst wenn die Polizei Ihren mysteriösen Fremden nicht findet. Denvers Schweigen kompliziert die Sache natürlich sehr.« Er hielt sich kurz die Hand vor die Augen. »Sie sagen also, Sie haben die Polizei auf diesen Kerl angesetzt?«

»Ja.«

»Haben Sie eine sehr schlechte Meinung von der Polizei?«

»In solchen Dingen nicht. Das ist ihre Stärke; für so was ist sie eingerichtet, und das macht sie auch gut.«

»Aha! Sie rechnen also damit, daß sie den Mann findet?«

»Ich will es hoffen.«

»So! Und was soll, bitte sehr, aus meiner Verteidigungsstrategie werden, wenn sie ihn findet, Wimsey?«

»Was soll -?«

»Passen Sie mal auf, Wimsey«, sagte der Verteidiger, »Sie sind nicht von gestern und brauchen jetzt auch kein Gesicht zu machen wie ein Dorfpolizist. Wollen Sie diesen Mann wirklich finden?«

»Gewiß.«

»Das ist natürlich Ihre Sache, aber mir sind schon ziemlich die Hände gebunden. Haben Sie sich einmal überlegt, daß es vielleicht besser wäre, den Mann nicht zu finden?«

Wimsey sah den Anwalt mit geradezu entwaffnend ehrlichem Erstaunen an.

»Bedenken Sie folgendes«, sagte dieser. »Wenn die Polizei erst etwas oder jemanden in den Fingern hat, hat es keinen Sinn mehr, auf meine oder Murbles' oder irgend jemandes Diskretion zu bauen. Dann wird alles ans Licht gezerrt, und nicht gerade auf feine Art. Denver steht unter Mordanklage und weigert sich auf das entschiedenste, mir auch nur im mindesten zu helfen.«

»Jerry ist ein Esel. Er begreift nicht -«

»Glauben Sie vielleicht«, unterbrach ihn Biggs, »ich hätte mir nicht die größte Mühe gegeben, es ihm begreiflich zu machen? Aber er sagt nur: >Sie können mich nicht aufhängen; ich habe den Mann nicht umgebracht, obwohl ich es ganz erfreulich finde, daß er tot ist. Was ich im Garten getan habe, geht die nichts an.< Jetzt frage ich Sie, Wimsey, hat es noch etwas mit Vernunft zu tun, wenn ein Mann in Denvers Lage sich auf diesen Standpunkt stellt?«

Peter murmelte etwas wie »noch nie Verstand gehabt«.

»Hat man Denver schon etwas von diesem anderen Mann gesagt?«

»Bei der Voruntersuchung wurden Fußspuren erwähnt, soviel ich weiß.«

»Dieser Mann von Scotland Yard ist ein Freund von Ihnen, höre ich?«

»Ja.«

»Um so besser. Dann wird er ja den Mund halten können.«

»Hören Sie, Biggs, das klingt ja alles sehr eindrucksvoll und mysteriös, aber worauf wollen Sie eigentlich hinaus? Warum soll ich mir den Burschen nicht greifen, wenn ich kann?«

»Ich will Ihnen mit einer Gegenfrage antworten.« Sir Impey Biggs beugte sich etwas weiter vor. »Warum versucht Denver ihn zu decken?«

Sir Impey pflegte sich damit großzutun, daß kein Zeuge in seiner Gegenwart unentdeckt einen Meineid leisten könne. Als er die Frage stellte, entließ er kurz den Blick des andern und sah scharf auf Wimseys langen, beweglichen Mund und die nervösen Hände. Als er eine Sekunde später wieder aufschaute, begegnete er einem Blick, der gut gespielt die ganze Ausdrucksskala überraschten Erkennens durchlief; aber es war zu spät. Er hatte eine kleine Falte am Mundwinkel sich glätten und die Finger kaum merklich sich entspannen sehen.

»Mein Gott!« sagte Peter. »Darauf wäre ich nie gekommen. Was seid ihr Anwälte doch für schlaue Leute! Wenn das so ist, sollte ich wohl etwas leiser treten, wie? War schon immer ein bißchen voreilig. Meine Mutter sagt -«

»Sie sind ein Fuchs, Wimsey«, sagte der Anwalt. »Dann war ich wohl doch im Irrtum. Finden Sie nur ruhig Ihren Mann. Aber eins möchte ich Sie noch fragen. Wen decken Sie?«

»Hören Sie mal, Biggs«, sagte Wimsey, »Sie werden nicht dafür bezahlt, hier solche Fragen zu stellen, klar? Warten Sie damit bis vor Gericht. Ihre Aufgabe ist es, das Beste aus dem zu machen, was wir Ihnen liefern, aber nicht, uns durch die Mangel zu drehen. Angenommen, ich hätte Cathcart selbst umgebracht -«

»Haben Sie nicht.«

»Weiß ich, aber wenn, dann würde ich mich nicht mit so einem Blick ansehen und mir in diesem Ton Fragen stellen lassen. Ich will Ihnen aber entgegenkommen und Ihnen ehrlich sagen, daß ich nicht weiß, wer den Kerl umgebracht hat. Sobald ich es weiß, sage ich es Ihnen.«

»Wirklich?«

»Ja. Aber erst, wenn ich sicher bin. Ihr Brüder versteht aus dem kleinsten Indiz eine ellenlange Beweiskette zu schmieden und würdet mich schon aufhängen, wenn ich erst anfinge, mich selbst zu verdächtigen.«

»Hm!« machte Biggs. »Inzwischen kann ich Ihnen schon mal verraten, daß ich auf ungenügende Beweislage hinauswill.«

»So. Freispruch aus Mangel an Beweisen, wie? Na ja, jedenfalls schwöre ich Ihnen, Biggs, daß mein Bruder nicht hängen wird, weil ich mit Beweisen hinterm Berg halte.«

»Selbstverständlich nicht«, sagte Biggs und fügte stumm hinzu: »Aber du hoffst, daß es soweit nicht kommt.«

Ein Regenschauer prasselte durch den breiten Kamin herunter und verzischte auf den Holzscheiten.


»Craven Hotel

Strand, W. C.

Dienstag

Lieber Wimsey,

wie versprochen, hier ein paar Zeilen über mein bisheriges Vorankommen, obwohl es herzlich wenig ist. Auf der Fahrt hierher saß ich neben Mrs. Pettigrew-Robinson und durfte für sie das Fenster auf- und zumachen und auf ihr Gepäck achtgeben. Sie erwähnte, daß Deine Schwester, als sie am Donnerstagmorgen das Haus aufweckte, zuerst zu Mr. Arbuthnots Tür gegangen sei - was die Dame etwas merkwürdig zu finden scheint, aber bei Licht besehen ist es nur natürlich, denn das Zimmer liegt genau gegenüber der Treppe. Mr. Arbuthnot hat dann die Pettigrew-Robinsons aufgeweckt, und Mr. P. ist sofort nach unten gerannt. Mrs. P. fand, daß Lady Mary sehr schwach aussah, und wollte ihr helfen. Deine Schwester hat sie aber abgewiesen - barsch, sagt Mrs. P. - und sich alle Hilfsangebote >aufs unfreundlichste< verbeten. Sie ist dann in ihr Zimmer gerannt und hat sich eingesperrt. Mrs. Pettigrew-Robinson hat an der Tür gelauscht, >um sicherzugehen<, sagt sie, >daß alles in Ordnung war<, aber als sie Deine Schwester nur hat herumlaufen und Schranktüren schlagen hören, fand sie, daß sie ihre Neugier unten besser befriedigen könne, und ist hinuntergegangen.

Wenn Mrs. Marchbanks mir das erzählt hätte, würde ich ihm zugegebenermaßen mehr Bedeutung beimessen, aber ich glaube, selbst wenn ich im Sterben läge, würde ich zwischen mir und Mrs. Pettigrew-Robinson immer noch die Tür fest zumachen. Mrs. P. war sicher, daß Lady Mary nie etwas in der Hand hatte. Gekleidet war sie genauso, wie sie es dem Untersuchungsrichter geschildert hat - langer Mantel über dem Pyjama (Schlafanzug war Mrs. P.s Ausdruck), derbe Schuhe und eine Wollmütze. Diese Sachen hatte sie auch später noch an, als der Arzt kam. Noch eine kleine Merkwürdigkeit am Rande:

Mrs. Pettigrew-Robinson (die, wie Du Dich erinnerst, seit zwei Uhr wach war) will mit Sicherheit gehört haben, daß kurz bevor Lady Mary an Mr. Arbuthnots Tür klopfte, irgendwo auf dem Korridor eine Tür schlug. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll - vielleicht hat es nichts zu bedeuten, aber ich will es nicht unerwähnt lassen.

Hier in London war's scheußlich. Dein angehender Schwager war ein Muster an Diskretion. Sein Zimmer in Albany ist, aus kriminalistischer Sicht, eine trostlose Wüste: keinerlei Papiere, außer ein paar englischen Rechnungen und Quittungen und ein paar Einladungen. Einige der Absender habe ich aufgesucht, aber sie kannten Cathcart zumeist nur aus dem Club oder vom Militär und konnten mir nichts über sein Privatleben sagen. Er ist in einigen Nachtclubs bekannt. Ich habe letzte Nacht - oder vielmehr heute morgen - die Runde durch sie gemacht. Allgemeiner Eindruck: großzügig, aber undurchschaubar. Sein Lieblingsspiel scheint übrigens Poker gewesen zu sein. Für krumme Sachen keine Anhaltspunkte. Er hat insgesamt sehr beständig gewonnen, aber nie sehr hoch.

Die Informationen, die wir brauchen, dürften uns in Paris erwarten. Ich habe an die Sûreté und an Crédit Lyonnais geschrieben und um seine Papiere, vor allem um sein Kontobuch und sein Scheckheft, gebeten.

Ich bin von der gestrigen und heutigen Arbeit todmüde. Nach so einer Reise auch noch die ganze Nacht auf den Beinen zu sein ist kein Vergnügen. Falls Du mich nicht brauchst, warte ich hier auf die Papiere, oder ich fahre vielleicht selbst nach Paris.

Unter den Büchern, die Cathcart hier hatte, befinden sich ein paar moderne französische Romane und noch eine Ausgabe von Manon, mit >zierlichen< Illustrationen, wie es in den Katalogen immer heißt. Aber er muß doch irgendwo ein Leben geführt haben, oder nicht?

Die beiliegende Rechnung von einem Schönheitssalon in der Bond Street interessiert Dich vielleicht. Ich war da. Die Inhaberin sagt, er sei regelmäßig jede Woche einmal gekommen, wenn er in England war.

Eine völlige Niete habe ich am Sonntag in King's Fenton gezogen - aber das habe ich Dir ja schon erzählt. Ich glaube nicht, daß der Kerl durch diesen Ort gekommen ist. Mich würde es nicht wundern, wenn er sich durchs Moor davongemacht hätte. Meinst Du, es könnte sich lohnen, in dieser Richtung zu suchen? Aber das dürfte wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen sein. Merkwürdig ist ja nach wie vor die Sache mit der Brillantkatze. Du hast im Haus nichts Näheres darüber erfahren, oder? Irgendwie scheint sie mir zu Schuhgröße 45 nicht zu passen - aber man sollte doch meinen, daß man im Dorf etwas davon wüßte, wenn jemand sie verloren hätte. Also bis bald!

Stets Dein Charles Parker«

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