- und die Tochter, in großer Angst


»Auch die Frauen sahen blaß und krank aus.«

Des Pilgers Wanderschaft


Mr. Bunter brachte Lord Peter am Mittwochmorgen Parkers Brief ans Bett. Das Haus war fast leer, denn alle waren nach Northallerton gefahren, um dem Haftprüfungstermin beizuwohnen. Dieser würde natürlich eine reine Formsache sein, aber es gehörte sich nun einmal, daß die Familie dabei voll repräsentiert war. Sogar die Herzoginwitwe war gekommen - sie war sofort zu ihrem Sohn geeilt und wohnte tapfer in einem möblierten Zimmer, doch die jüngere Herzogin fand das von ihrer Schwiegermutter mehr couragiert als würdevoll. Man wußte außerdem nie, was sie anstellen würde, wenn man sie sich selbst überließ. Womöglich gab sie noch einem Zeitungsreporter ein Interview. Überdies gehörte in so einem Augenblick die Frau an die Seite ihres Mannes.

Lady Mary war krank, wogegen man nichts sagen konnte, und wenn Lord Peter es vorzog, im Pyjama herumzusitzen und Zigaretten zu rauchen, während sein einziger Bruder einer öffentlichen Demütigung unterzogen wurde, so war von ihm ja nichts anderes zu erwarten. Peter schlug nach seiner Mutter. Wie dieser exzentrische Zug in die Familie geraten war, konnte Ihre Gnaden leicht erraten; die Herzoginwitwe entstammte zwar einer guten Familie aus Hampshire, aber an den Wurzeln des Stammbaums war fremdländisches Blut. Ihre eigene Pflicht war klar, und sie würde sie tun.

Lord Peter war wach und sah ziemlich mitgenommen aus, als ob er auch nachts noch den Spürhund gespielt hätte. Mr. Bunter hüllte ihn fürsorglich in einen prächtigen orientalischen Morgenmantel und stellte ihm das Tablett auf die Knie.

»Bunter«, sagte Lord Peter leicht verdrießlich, »Ihr café au lait ist das einzig Erträgliche in diesem gräßlichen Haus.«

»Vielen Dank, Mylord. Es ist heute wieder sehr kühl, Mylord, aber es regnet nicht direkt.«

Lord Peter las stirnrunzelnd den Brief.

»Steht was in der Zeitung, Bunter?«

»Nichts Wichtiges, Mylord. Eine Versteigerung nächste Woche in der Northbury Hall - Mr. Fleetwhites Bibliothek -, eine Caxton-Ausgabe der Confessio Amantis —«

»Wozu sagen Sie mir das überhaupt, wenn wir hier noch Gott weiß wie lange festsitzen werden? Wäre ich doch nur bei meinen Büchern geblieben und hätte die Finger von der Kriminalistik gelassen! Haben Sie die Proben an Lubbock geschickt?«

»Ja, Mylord«, sagte Bunter sanft. Dr. Lubbock war der >berühmte Wissenschaftler«

»Wir brauchen Fakten«, sagte Lord Peter. »Fakten. Als kleiner Junge habe ich Fakten immer gehaßt. Ich fand sie häßlich - hart und unhandlich. Und so kompromißlos.«

»Sehr wohl, Mylord. Meine alte Mutter -«

»Ihre Mutter, Bunter? Wußte gar nicht, daß Sie eine haben. Hab mir immer eingebildet, Sie seien fix und fertig auf die Welt gekommen. Pardon. Sehr ungezogen von mir. Entschuldigung!«

»Keine Ursache, Mylord. Meine Mutter wohnt in Kent, Mylord, nicht weit von Maidstone. Fünfundsiebzig ist sie, Mylord, und eine überaus aktive Frau für ihr Alter, wenn Sie mir die Erwähnung gestatten. Ich war einer von sieben.«

»Das ist eine Erfindung, Bunter. Ich weiß es besser. Sie sind einzig. Aber ich habe Sie unterbrochen. Sie wollten mir von Ihrer Mutter erzählen.«

»Sie sagt immer, Tatsachen seien wie Kühe, Mylord. Wenn man ihnen nur fest genug in die Augen sieht, laufen sie meist weg. Sie ist eine sehr energische Frau, Mylord.«

Lord Peter streckte impulsiv die Hand aus, aber Mr. Bunter war viel zu gut erzogen, um sie zu sehen. Er hatte bereits begonnen, das Rasiermesser abzustreichen. Lord Peter sprang plötzlich mit einem Satz aus dem Bett und rannte über den Flur ins Bad.

Hier fand er so weit wieder zu sich, daß er die Stimme heben und »Come unto these Yellow Sands« anstimmen konnte, woraufhin er, da ihm gerade so recht nach Purcell zumute war, »I attempt from Love's Sickness to Fly« folgen ließ, was seine Laune so verbesserte, daß er gegen alle Gewohnheit etliche Liter kaltes Wasser in die Wanne laufen ließ und sich mit dem Schwamm von oben bis unten abrieb. Dann stürzte er, nachdem er sich kräftig trockengerubbelt hatte, aus dem Bad und stieß dabei recht unsanft mit dem Schienbein gegen den Deckel einer großen Eichentruhe, die neben dem Treppenaufgang stand - so unsanft, daß der Deckel dabei hochsprang und mit einem protestierenden Knall wieder zufiel.

Lord Peter ließ ein paar kräftige Ausdrücke hören und rieb sich das schmerzende Bein. Doch plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er legte Handtücher, Seife, Schwamm, Bürste und die übrigen Utensilien ab und hob ruhig den Deckel der Truhe hoch.

Ob er nun, wie die Heldin in Jane Austens Northanger Abbey, etwas Grausiges darin zu finden erwartete, war nicht ersichtlich. Sicher ist hingegen, daß er gleich ihr nichts weiter Aufregendes fand als ein paar säuberlich zusammengelegte Laken und Decken auf dem Truhenboden. Unzufrieden nahm er das oberste Laken behutsam heraus und betrachtete es eine Weile im Licht des Treppenfensters. Eben wollte er es leise pfeifend wieder an seinen Platz legen, als ein leises Zischen von heftig eingeatmeter Luft ihn erschrocken aufblicken ließ.

Neben ihm stand seine Schwester. Er hatte sie nicht kommen hören, aber da stand sie in ihrem Morgenmantel, die Hände ängstlich vor der Brust ineinander verschlungen. Ihre Pupillen waren so geweitet, daß ihre blauen Augen fast schwarz wirkten, und ihre Haut hatte fast die gleiche Farbe wie ihr aschblondes Haar. Wimsey starrte sie über das Laken in seinen Armen an, und das Entsetzen in ihrem Gesicht griff auf ihn über, prägte sie beide plötzlich mit der geheimnisvollen Ähnlichkeit der Blutsverwandtschaft.

Peters eigener Eindruck von sich selber war, daß er eine Minute lang glotzte »wie ein abgestochenes Schwein«. In Wahrheit aber wußte er, daß er sich nach einem Sekundenbruchteil wieder gefangen hatte. Er ließ das Laken in die Truhe fallen und stand auf.

»Nanu, Polly, altes Mädchen«, sagte er, »wo hast du dich denn die ganze Zeit versteckt gehalten? Seh dich zum erstenmal. Du machst ja wohl ziemlich schlechte Zeiten durch.«

Er legte den Arm um sie und fühlte, wie sie zusammenzuckte.

»Was hast du denn?« fragte er. »Was ist los, Schwesterchen? Schau mal, Mary, wir haben ja bisher wenig voneinander gesehen, aber ich bin immerhin dein Bruder. Hast du Kummer? Kann ich dir nicht -«

»Kummer?« sagte sie. »Peter, dummer Kerl, ich soll wohl keinen Kummer haben? Hast du noch nicht gehört, daß man meinen Verlobten umgebracht und meinen Bruder ins Gefängnis geworfen hat? Ist das nicht Kummer genug?« Sie lachte, und Peter dachte plötzlich: Sie redet wie in einem Kitschroman. Jetzt sprach sie aber in normalerem Ton weiter. »Ist ja schon gut, Peter. Wirklich - aber mir tut der Kopf so weh. Ich weiß wirklich nicht mehr, was ich tue. Was suchst du da eigentlich? Du hast solchen Lärm gemacht, da bin ich herausgekommen. Ich hatte geglaubt, da sei eine Tür zugeschlagen.«

»Du kriechst mal besser wieder unter die Decke«, sagte Lord Peter. »Sonst erkältest du dich noch. Warum müssen Frauen in diesem kalten Klima immer so spinnwebendünne Pyjamas tragen? Nun laß den Kopf nicht hängen. Ich schaue später mal rein, und dann halten wir beide ein gemütliches Schwätzchen, j a?«

»Heute nicht - bitte nicht heute, Peter. Ich werde noch verrückt.« (Wieder Kitschroman, dachte Peter.) »Machen sie Gerald heute den Prozeß?«

»Einen Prozeß nicht direkt«, antwortete Peter, indem er sie sanft zu ihrem Zimmer schob. »Reine Formsache, verstehst du? So ein alter Friedensrichter hört sich die Klageschrift an, dann tritt Murbles auf und sagt, er möchte, bitte sehr, zur Sache nicht Stellung nehmen, da er den Verteidiger informieren muß. Das ist nämlich Biggy. Dann hören sie sich die Haftverfügung an, und Murbles sagt, daß Gerald sich seine Verteidigung vorbehält. Das ist alles bis zum Schwurgerichtsprozeß - alles nur Gewäsch. Der Prozeß dürfte Anfang nächsten Monats stattfinden. Bis dahin mußt du wieder obenauf sein.«

Mary schauderte.

»N-nein! Könnte ich davon nicht verschont bleiben? Ich kann das nicht noch einmal durchmachen. Ich würde krank. Ich fühle mich entsetzlich elend. Nein, komm nicht herein. Ich will nicht. Läute nach Ellen. Nein, laß mich; geh weg. Ich will dich nicht, Peter!«

Peter zögerte leicht erschrocken.

»Besser nicht, Mylord, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten«, hörte er Bunters Stimme an seinem Ohr. »Das gäbe nur einen hysterischen Anfall«, fuhr er fort, während er seinen Gebieter sanft von der Tür wegführte. »Eine Qual für beide Beteiligten und vom Ergebnis her völlig unproduktiv. Warten wir lieber auf die Rückkehr Ihrer Gnaden, der Herzogin.«

»Völlig richtig«, sagte Peter. Er drehte sich um und wollte seine Sachen nehmen, aber Bunter kam ihm geschickt zuvor. Noch einmal hob er den Deckel hoch und sah in die Truhe.

»Was sagten Sie noch, was Sie an diesem Rock gefunden haben, Bunter?«

»Kies, Mylord, und Silbersand.«

»Silbersand.«

Hinter Riddlesdale Lodge streckte sich endlos das dunkle Moor aufwärts. Das Heidekraut war braun und naß, und die kleinen Bäche dazwischen hatten keine Farbe. Es war sechs Uhr, aber einen Sonnenuntergang gab es nicht. Den ganzen Tag war nur ein blasser Schimmer hinter einem bedeckten Himmel langsam von Osten nach Westen gewandert. Lord Peter, der nach langer, fruchtloser Jagd nach Informationen über den Mann mit dem Motorrad heimwärts wanderte, gab dem dumpfen Leiden seines Herdentriebs lauten Ausdruck. »Wäre Parker nur hier«, maulte er und stapfte weiter den sumpfigen Viehpfad hinunter.

Sein Ziel war nicht direkt das Jagdhaus, sondern ein Gehöft namens Grider's Hole, das rund zweieinhalb Meilen davon entfernt lag. Es befand sich fast genau nördlich von Riddlesdale, ein einsamer Vorposten am Rande des Moors in einem fruchtbaren Tal zwischen zwei ausgedehnten Moorhügeln. Der Pfad wand sich von Whemmeling Fell, so hieß die Höhe, hinunter, führte um einen tückischen Sumpf herum und überquerte etwa eine halbe Meile vor dem Gehöft das Bächlein Ridd. Peter hatte kaum Hoffnung, in Grider's Hole etwas Neues zu erfahren, aber er war nun einmal grimmig entschlossen, wirklich jeden Stein umzudrehen. Insgeheim war er überzeugt, daß der Mann mit dem Motorrad, Parkers Ermittlungen zum Trotz, über die Landstraße gekommen und vielleicht direkt durch King's Fenton gefahren war, ohne anzuhalten oder sonstwie Aufmerksamkeit zu erregen. Doch er hatte versprochen, die Nachbarschaft zu durchkämmen, und Grider's Hole lag in der Nachbarschaft. Er blieb kurz stehen, um seine ausgegangene Pfeife wieder anzuzünden, dann stapfte er unbeirrt weiter. Der Weg war in regelmäßigen Abständen zuerst mit kräftigen weißen Pfosten markiert, später mit Hürden eingezäunt. Den Grund dafür verstand man sofort, wenn man ins Tal kam, denn nur ein paar Meter links vom Weg begannen die vereinzelten Büschel groben, schilfigen Grases zwischen schwabbeligem schwarzem Moor, das alles, was schwerer war als eine Bachstelze, im Nu inmitten blubbernder Bläschen verschluckte. Wimsey bückte sich nach einer leeren Sardinenbüchse, die furchtbar verbeult zu seinen Füßen lag, und schleuderte sie achtlos in den Sumpf. Sie schlug mit einem Geräusch, das einem feuchten Kuß ähnelte, auf der Oberfläche auf und war im nächsten Augenblick verschwunden. Jenem Instinkt folgend, der einen immer, wenn man gedrückter Stimmung ist, in trüben Gedanken schwelgen läßt, lehnte Peter sich traurig an eine Hürde und ergab sich schwermütigen Betrachtungen über 1. die Eitelkeit menschlichen Strebens; 2. die Unbeständigkeit allen Seins; 3. die erste Liebe; 4. den Verfall der Ideale; 5. die Nachwehen des Weltkriegs; 6. Geburtenkontrolle und 7. den Trug des freien Willens. Damit war jedoch sein Nadir erreicht. Er merkte, daß seine Füße immer kälter wurden und sein Magen immer leerer, und da er noch ein paar Meilen vor sich hatte, überquerte er den Bach auf ein paar schlüpfrigen Steinen und näherte sich dem Tor zum Gehöft, das nicht aus den üblichen fünf Stangen bestand, sondern solide und wehrhaft gebaut war. Ein Mann stand daran gelehnt, einen Strohhalm im Mund. Er machte keine Anstalten, sich vom Fleck zu rühren, als Wimsey näher kam.

»Guten Abend«, sagte der Adelssproß munter und legte die Hand auf den Riegel. »Recht kühl, wie?«

Der Mann antwortete nicht, sondern lehnte sich noch schwerer ans Tor und atmete vor sich hin. Er trug einen Rock aus grobem Stoff und Breeches, und seine Gamaschen starrten von Kot.

»Natürlich der Jahreszeit angemessen«, sagte Peter. »Gut für die Schafe, nicht? Macht die Wolle schön kraus und so.«

Der Mann nahm den Strohhalm aus dem Mund und spuckte in die Richtung von Peters rechtem Stiefel.

»Gehen Ihnen viele Tiere im Moor verloren?« fuhr Peter fort, indem er wie unabsichtlich den Riegel löste und sich von der anderen Seite ans Tor lehnte. »Ich sehe, Sie haben eine feste Mauer ums Haus. Muß ein bißchen gefährlich sein hier im Dunkeln, wenn Sie etwa einen kleinen Abendspaziergang mit Ihrer Freundin machen wollen, wie?«

Der Mann spuckte wieder aus, zog seinen Hut in die Stirn und meinte kurz angebunden:

»Was woll'n Sie?«

»Och«, sagte Peter, »ich möchte nur Mr. - ich meine, dem Besitzer dieses Hofs einen kleinen Freundschaftsbesuch machen. So von Nachbar zu Nachbar. Einsame Gegend hier, nicht? Meinen Sie, ob er zu Hause ist?«

Der Mann grunzte.

»Freut mich zu hören«, sagte Peter. »Ich finde es immer wieder erfreulich, wie nett und gastfreundlich die Leute hier in Yorkshire alle sind. Egal wer kommt, ein Plätzchen am Feuer ist immer für ihn da. Entschuldigen Sie, aber Sie lehnen so am Tor, daß ich es nicht aufkriege. Nur aus Versehen natürlich, aber zufällig haben Sie da, wo Sie stehen, den längsten Hebel. Ein bezaubernd schönes Haus, nicht? So herrlich fest und trutzig und so weiter. Kein Efeu, keine Rosenbögen und derlei Spießerkram. Wer wohnt denn hier?«

Der Mann betrachtete ihn ein paar Sekunden lang von oben bis unten und sagte dann: »Mr. Grimethorpe.«

»Ach nein, wirklich?« rief Lord Peter. »Wer hätte das gedacht? Genau der Mann, den ich kennenlernen möchte. Das Muster eines Bauern, wie? Überall, wohin ich in Nord-Yorkshire komme, landauf, landab höre ich Mr. Grimethorpes Lob. >Grimethorpes Butter ist die beste.< - >Grimethorpes Wolle reißt nie von der Rolle.< - >Freuden winken mit Grimethorpes Schinken« - >Für den Schlemmer Grimethorpes Lämmer« - >Mit Grimethorpes Rinderbraten muß jedes Fest geraten« Es ist der Traum meines Lebens, Mr. Grimethorpe einmal von Angesicht zu Angesicht kennenzulernen. Und Sie sind gewiß sein treuer Knecht und unentbehrlicher Gehilfe: Du springst vom Bett, noch eh' der Tag anbricht, die Küh' zu melken vor dem ersten Licht. Du, wenn das Abendrot die Erde kost, die sanften Schafe von dem Berge holst. Du, an des Herdes heimeligem Schein, von alter Zeit erzählst den Kindern fein. - Ein schönes Leben, obwohl im Winter vielleicht etwas eintönig. Erlauben Sie mir, Ihre ehrliche Hand zu drücken.«

Ob von dieser lyrischen Anwandlung gerührt, oder ob das schwindende Tageslicht noch nicht zu trübe war, um einen blassen Schimmer von dem runden Metallstück in Lord Peters Hand zurückzuwerfen, jedenfalls trat der Mann eine Winzigkeit vom Tor zurück.

»Herzlichen Dank, Gevatter«, sagte Peter und drängte sich flink an ihm vorbei. »Vermute ich richtig, daß ich Mr. Grimethorpe im Haus antreffen werde?«

Der Mann sagte nichts, bis Wimsey ein Dutzend Schritte auf dem gepflasterten Weg weitergegangen war, dann rief er ihm nach, ohne sich jedoch umzudrehen:

»Mister!«

»Ja, mein Freund?« antwortete Peter liebenswürdig und ging zu ihm zurück.

»Kann sein, daß er die Hunde auf Sie hetzt.«

»Was Sie nicht sagen!« rief Lord Peter. »Der treue Hund begrüßt den verlorenen Sohn bei der Heimkehr. Szene familiärer Wiedersehensfreude. >Mein lange verirrtes Fleisch und Blut!< Tränen und lange Reden, Freibier für das beglückte Gesinde. Frohsinn und Lachen am Kamin, bis die Balken sich biegen und die Räucherschinken runterfallen, um mitzufeiern. Gute Nacht, mein Fürst, bis die Kühe heimkehren und die Hunde Isebel fressen in jenem Lande Israels, da des Lenzes Windspiele den Spuren des Winters folgen. Ich fürchte«, sagte er zu sich selbst, »die Teezeit ist vorbei.«

Lord Peters Stimmung hob sich, während er sich der Haustür näherte. Solche Besuche liebte er. Obgleich er sich der Kriminalistik zugewandt hatte, wie er sich bei anderer Veranlagung auf Indischen Hanf verlegt haben würde -nämlich des Nervenkitzels wegen -, als sein Leben in Staub und Asche zu liegen schien, war seine Mentalität nicht in erster Linie die eines Kriminalisten. Von seinen Nachforschungen in Grider's Hole versprach er sich so gut wie nichts, und wenn, dann hätte er alles, was er wissen wollte, gegen eine im rechten Augenblick gezückte Banknote auch von dem griesgrämigen Herrn am Tor erfahren können. So wäre Parker mit Sicherheit vorgegangen; er wurde dafür bezahlt, zu ermitteln und sonst nichts, und weder seine natürlichen Gaben noch seine Schulbildung (auf dem Gymnasium von Barrow-in-Furness) machten ihn geneigt, aus der Laune einer unbotmäßigen Phantasie heraus auf Nebenpfade auszuweichen. Für Lord Peter aber war die ganze Welt ein unterhaltsames Labyrinth von Nebenpfaden. Er hatte es in fünf bis sechs Sprachen zu einer beachtlichen Fertigkeit gebracht, war ein Musiker von einigem Geschick und noch mehr Verständnis, Giftexperte, Sammler seltener Buchausgaben, Salonlöwe und ein gewöhnlicher Naseweis. Man hatte ihn schon sonntags um halb eins in Frack und Zylinder durch den Hyde Park spazieren und die News of the World lesen sehen. Seine Leidenschaft für das Unerforschte ließ ihn im Britischen Museum obskure Pamphlete ausgraben, die Gefühlswelt von Steuerbeamten erforschen und herausfinden, wo seine eigene Abwasserleitung endete. Und jetzt führte für ihn kein Weg daran vorbei, in einem persönlichen Gespräch zu ergründen, warum ein Bauer in Nord-Yorkshire die Angewohnheit hatte, seine Hunde auf harmlose Besucher zu hetzen. Das Ergebnis war unvermutet.

Sein erstes Klopfen blieb unbeachtet, und er klopfte noch einmal. Diesmal war drinnen Bewegung zu vernehmen, und eine verdrießliche Männerstimme rief:

»Nun laß ihn schon rein, zum Teufel mit ihm - und mit dir«, woraufhin man einen Gegenstand zu Boden fallen oder gegen die Wand fliegen hörte.

Die Tür wurde unverhofft von einem etwa siebenjährigen Mädchen geöffnet, das sehr dunkel und hübsch war und sich den Arm rieb, als ob es dort von dem Wurfgeschoß getroffen worden sei. Schüchtern stand die Kleine da und blockierte die Schwelle, bis dieselbe Stimme von neuem ungeduldig grollte:

»Na, wer ist's?«

»Guten Abend«, sagte Wimsey und nahm den Hut ab. »Verzeihen Sie, wenn ich hier so hereinplatze. Ich wohne zur Zeit im Jagdhaus von Riddlesdale.«

»Na und?« rief die Stimme. Über den Kopf des Kindes hinweg erkannte Wimsey jetzt die Silhouette eines großen, schwer gebauten Mannes, der rauchend in der Ecke neben einem gewaltigen Kamin saß. Das Feuer spendete das einzige Licht, denn das Fenster war klein, und draußen war es schon ziemlich dunkel geworden. Es schien ein großer Raum zu sein, aber er wurde gleich hinterm Kamin von einer hohen eichenen Sitzbank abgeteilt, und dahinter herrschte undurchdringliche Finsternis.

»Darf ich eintreten?« fragte Wimsey.

»Wenn es sein muß«, antwortete der Mann ungnädig. »Mach die Tür zu, Göre; was glotzt du so? Geh zu deiner Mutter und laß dir von ihr Manieren beibringen.«

Dies war nun wohl ein Fall von unsachgemäßem Umgang eines Glashausbewohners mit harten Gegenständen, doch das Mädchen verschwand eilig in der dunklen Höhle hinter der Bank, und Peter trat ein.

»Sind Sie Mr. Grimethorpe?« fragte er höflich.

»Und wenn?« erwiderte der Bauer. »Ich hab keinen Grund, mich für meinen Namen zu schämen.«

»Ganz gewiß nicht«, sagte Lord Peter, »und schon gar nicht Ihres Hofes. Hübsch haben Sie's hier, wie? Übrigens, mein Name ist Wimsey - Lord Peter Wimsey, genauer gesagt; der Bruder des Herzogs von Denver. Ich möchte Sie wirklich nicht stören - Sie haben sicher viel zu tun, mit den Schafen und so -aber ich hab mir gedacht, ein kleiner Nachbarschaftsbesuch tut nicht weh. Einsame Gegend hier, nicht wahr? Ich weiß nun mal gern, wer meine Nachbarn sind. Von London her bin ich es gewöhnt, daß sich die Leute gegenseitig auf die Füße treten. Hier kommen wohl nicht viele Fremde vorbei, oder?«

»Gar keine«, sagte Mr. Grimethorpe mit Nachdruck.

»Na ja, ist vielleicht auch ganz gut so«, fuhr Lord Peter fort. »Da weiß man seine eigenen vier Wände zu schätzen, nicht? Ich denke oft, in der Stadt begegnet man viel zuviel Fremden. Nichts geht über die eigene Familie, wenn die Arbeit getan ist - so gemütlich. Sie sind verheiratet, Mr. Grimethorpe?«

»Was geht das Sie an?« knurrte der Bauer und drehte sich mit solcher Heftigkeit zu ihm um, daß Wimsey nervös nach den erwähnten Hunden Ausschau hielt.

»Natürlich nichts«, antwortete er. »Ich dachte nur, dieses reizende kleine Mädchen sei vielleicht Ihr Töchterchen.«

»Und wenn ich dächte, daß sie nicht von mir war«, sagte Mr. Grimethorpe, »würde ich den Balg erwürgen, und die Mutter dazu. Na, was sagen Sie jetzt?«

Im Grunde ließ diese Bemerkung, wenn man sie als Beitrag zur Unterhaltung auffassen wollte, so vieles zu wünschen übrig, daß Wimseys natürliche Geschwätzigkeit einen schweren Rückschlag erlitt. Er rettete sich jedoch auf einen typisch männlichen Ausweg und bot Mr. Grimethorpe eine Zigarre an, wobei er dachte:

»Diese Frau muß die Hölle auf Erden haben.«

Der Bauer lehnte die Zigarre mit einem einzigen Wort ab und schwieg. Wimsey zündete sich seinerseits eine Zigarette an und betrachtete nachdenklich seinen Gesprächspartner. Dieser war ein Mann von etwa fünfundvierzig Jahren, derb, hart und wettergebräunt, mit kantigen Schultern und kurzen, dicken Schenkeln - ein bösartiger Bullterrier. Wimsey sah, daß zarte Andeutungen bei so einem Wesen verlorene Liebesmüh waren, und wählte eine offenere Methode.

»Ehrlich gesagt, Mr. Grimethorpe«, sagte er, »ich bin nicht ganz und gar ohne Grund hier hereingeschneit. Es ist immer gut, sich mit einem Vorwand zu wappnen, nicht? Obwohl es mir natürlich ein reines Vergnügen ist, Sie kennenzulernen -ich meine, dazu bedürfte es keines Vorwands. Aber die Sache ist die, ich suche einen bestimmten jungen Mann, einen - äh -Bekannten von mir -, er hat gesagt, daß er sich um diese Zeit hier in der Gegend herumtreiben wird. Aber ich fürchte, ich habe ihn verpaßt. Sehen Sie, ich bin gerade erst aus Korsika zurückgekommen - interessantes Land, Mr. Grimethorpe, allerdings ein bißchen abgelegen -, und wenn ich meinen Freund richtig verstanden habe, muß er hier vor ungefähr einer Woche aufgekreuzt sein und mich ausfindig gemacht haben. Glück muß man haben. Aber er hat seine Karte nicht hinterlassen, und darum bin ich eben nicht ganz sicher, verstehen Sie? Sie sind ihm wohl nicht zufällig begegnet? Groß ist er, mit langen Füßen und einem Motorrad mit Beiwagen. Ich dachte, er hat sich vielleicht mal hier sehen lassen. Oh! Kennen Sie ihn etwa?«

Das Gesicht des Bauern war angeschwollen und fast schwarz vor Wut.

»Welcher Tag, sagen Sie?« fragte er gepreßt.

»Mittwoch abend oder Donnerstag morgen, würde ich meinen«, sagte Peter, die Hand an seinem schweren MalakkaStock.

»Hab ich's doch gewußt!« grollte Mr. Grimethorpe. »Diese Schlampe - diese verdammten Weiber allesamt. Sie, Mister, der Kerl ist ein Freund von Ihnen? Sie, ich war am Mittwoch und Donnerstag in Stapley - das haben Sie doch gewußt, oder? Und dieser Freund von Ihnen auch, wie? Und wenn ich nicht weg gewesen wäre, um so schlimmer für ihn. Im Peter's Pott läg er jetzt, wenn ich ihn erwischt hätte, und da landen Sie auch gleich, hol Sie der Teufel! Und wenn ich ihn noch mal hier herumschleichen sehe, breche ich ihm sämtliche Knochen im Leib und schicke ihn da nach Ihnen suchen!«

Und mit diesen erstaunlichen Worten wollte er Peter an die Kehle wie eine Bulldogge.

»So aber nicht«, sagte Peter, indem er sich mit einer Behendigkeit, die seinen Gegner überraschte, aus dessen Griff befreite und mit unvermuteter Kraft sein Handgelenk schmerzhaft umspannte. »Das wäre unklug - auf diese Weise könnten Sie mal einen umbringen. Und Mord ist was Häßliches. Untersuchungsprozeß, vorwitzige Fragen vom Staatsanwalt, und zum Schluß legt man Ihnen noch einen Strick um den Hals. Außerdem ist Ihre Methode ein bißchen primitiv. Halten Sie still, Sie Narr, oder soll ich Ihnen den Arm brechen? Besser so? Dann ist es ja gut. Setzen Sie sich. Sie laden sich mal Ärger auf, wenn Sie auf höfliche Fragen immer so reagieren.«

»Raus aus meinem Haus«, sagte Mr. Grimethorpe finster.

»Aber gern«, sagte Lord Peter. »Ich muß mich noch für den sehr unterhaltsamen Abend bedanken, Mr. Grimethorpe. Schade, daß Sie mir nichts über meinen Freund sagen konnten

Mr. Grimethorpe sprang mit einem gotteslästerlichen Fluch auf, rannte zur Tür und schrie: »Jabez!« Lord Peter sah ihm noch kurz nach, dann schaute er sich im Zimmer um.

»Hier stinkt's«, sagte er. »Der Kerl weiß etwas. Ein mordlüsterner Irrer. Ob er -«

Er warf einen Blick hinter die Sitzbank und sah sich einer Frau gegenüber - ein weißer Fleck in der tiefen Düsternis.

»Du?« stieß sie mit einem leisen, heiseren Keuchen hervor. »Du? Bist du verrückt, hierherzukommen? Mach schnell, daß du wegkommst! Er geht die Hunde holen.«

Sie legte ihm beide Hände auf die Brust und drängte ihn verzweifelt fort. Als aber dann der Feuerschein auf sein Gesicht fiel, stieß sie einen halberstickten Schrei aus und stand wie versteinert - ein Medusenhaupt des Schreckens.

Medusa war schön, heißt es in der Sage, und auch diese Frau war schön; breite weiße Stirn unter fülligem, schwärzlichem Haar, schwarze, glühende Augen unter geraden Brauen, breiter, leidenschaftlicher Mund - ein Anblick so wunderbar, daß sich selbst in diesem heiklen Augenblick sechzehn Generationen herrschaftlicher Privilegien in Lord Peter regten. Instinktiv faßten seine Hände nach den ihren, aber sie riß sich schnell von ihm los und wich zurück.

»Madam«, sagte Wimsey, kaum daß er sich wieder gefangen hatte, »ich weiß nicht -«

Tausend Fragen gingen ihm durch den Kopf, aber bevor er auch nur eine davon formulieren konnte, erscholl hinterm Haus ein langgezogenes Heulen, und dann noch eines und noch eines.

»Laufen Sie, laufen Sie!« sagte sie. »Die Hunde! Mein Gott, mein Gott, was soll aus mir werden? Gehen Sie, wenn Sie nicht wollen, daß er mich umbringt. Gehen Sie! Haben Sie Erbarmen!«

»Hören Sie«, sagte Peter, »soll ich nicht lieber bleiben und Sie beschützen -?«

»Wenn Sie bleiben, ermorden Sie mich«, sagte die Frau. »Gehen Sie!«

Peter ließ die Grundsätze seiner Erziehung fahren und ergriff die Flucht. Die Bestien waren ihm hart auf den Fersen. Der ersten versetzte er eins mit seinem Stock, und das Tier blieb knurrend auf Abstand. Am Tor lehnte immer noch der Mann, dem Grimethorpe jetzt mit heiserer Stimme zuschrie, er solle den Flüchtigen halten. Peter erreichte ihn; ein kurzes Getümmel von Menschen und Hunden, und plötzlich fühlte Peter sich gepackt und buchstäblich übers Tor geworfen. Als er sich aufrappelte und weiterlief, hörte der den Bauern auf den Mann einschimpfen und den Mann erwidern, daß er nichts dafür könne; dann die Stimme der Frau, hoch und angstvoll. Er sah über die Schulter zurück. Der Mann und die Frau und noch ein zweiter Mann, der jetzt hinzugekommen war, prügelten die Hunde zurück und schienen Grimethorpe zu beschwören, sie nicht vom Hof zu lassen. Offenbar hatten ihre Vorhaltungen einen gewissen Erfolg, denn der Bauer machte verdrossen kehrt, während der zweite Mann mit viel Geschrei und Peitschenknallen die Hunde zurückrief. Die Frau sagte etwas, und ihr Mann ging wutentbrannt auf sie los und schlug sie zu Boden.

Peter wollte schon wieder zurück, aber ein starkes inneres Gefühl sagte ihm, daß er alles nur noch schlimmer machen konnte, und so blieb er stehen und wartete, bis die Frau sich wieder erhoben hatte und ins Haus ging, unterwegs das Blut und den Schmutz mit dem Schal von ihrem Gesicht abwischend. Der Bauer drehte sich um, schüttelte noch einmal drohend die Faust nach ihm und folgte ihr ins Haus. Jabez hatte die Hunde wieder beisammen und trieb sie zurück, und Peters Freund lehnte sich wieder ans Tor.

Peter wartete, bis die Haustür hinter Mr. und Mrs. Grimethorpe zu war, dann zog er sein Taschentuch heraus und machte dem Mann im Halbdunkel vorsichtig ein Zeichen;

dieser schlüpfte rasch durchs Tor und kam langsam zu ihm herunter.

»Vielen Dank«, sagte Wimsey und drückte ihm eine Münze in die Hand. »Ich fürchte, da habe ich Unheil angerichtet, ohne es zu wollen.«

Der Mann sah das Geld und dann ihn an.

»So macht's der Bauer mit allen, die kommen und die Frau sehen wollen«, sagte er. »Am besten bleiben Sie hier weg, sonst laden Sie sich noch ihr Blut aufs Gewissen.«

»Sagen Sie mal«, meinte Wimsey, »haben Sie zufällig um den letzten Mittwoch herum einen jungen Mann mit Motorrad hier in der Gegend gesehen?«

»Nee. Mittwoch? Muß der Tag gewesen sein, als der Bauer in Stapley war, glaub ich, wegen der Maschinen. Nee, da hab ich nichts gesehen.«

»Na schön. Wenn Sie von jemandem hören, der ihn gesehen hat, sagen Sie mir Bescheid, ja? Hier steht mein Name drauf, und ich wohne im Jagdhaus Riddlesdale Lodge. Gute Nacht und nochmals vielen Dank.«

Der Mann nahm die Karte entgegen und schlurfte ohne ein Wort des Abschieds zurück.

Lord Peter ging langsam, den Mantelkragen hochgeschlagen und den Hut über die Augen gezogen. Diese kinoreife Episode sperrte sich gegen seine Logik. Mit Mühe brachte er ein wenig Ordnung in seine Überlegungen.

»Erstens«, sagte er, »Mr. Grimethorpe. Ein Herr, der vor nichts zurückschreckt. Bärenstark. Unliebenswürdig. Ungastlich. Hervorstechendste Eigenschaft - Eifersucht auf seine erstaunlich hübsche Frau. War letzten Mittwoch und Donnerstag in Stapley, um Maschinen zu kaufen. (Hilfreicher Herr am Hoftor bestätigt das übrigens, so daß man es in diesem Stadium der Ermittlungen als brauchbares Alibi durchgehen lassen kann.) Hat darum unsern geheimnisvollen Freund mit dem Seitenwagengespann nicht gesehen, falls er da war. Ist aber geneigt, zu glauben, daß er da war, und zweifelt kaum am Grund seines Daseins. Was eine interessante Frage aufwirft. Wozu der Beiwagen? Ist doch lästig beim Fahren. Sehr gut. Aber wenn unser Freund wegen Mrs. G. hier war, hat er sie doch offenbar nicht mitgenommen. Wieder gut.

Zweitens, Mrs. Grimethorpe. Ein ganz besonderer Punkt, beim Zeus!« Er blieb meditierend stehen, um einen erregenden Augenblick zu rekonstruieren. »Geben wir unumwunden zu, daß Schuhgröße 45, wenn er ihretwegen gekommen war, jede Entschuldigung hat. Ja! Mrs. G. lebt in ständiger Todesangst vor ihrem Mann, der sich nichts dabei denkt, sie auf bloßen Verdacht hin niederzuschlagen. Ich wollte - aber ich hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Bei so einer Bestie von Mann tut man einer Frau den größten Gefallen, wenn man sich von ihr fernhält. Hoffentlich gibt das nicht eines Tages noch einen Mord. Einer genügt schon. Wo war ich stehengeblieben?

Aha, ja. Mrs. Grimethorpe weiß etwas - und kennt jemanden. Sie hat mich für jemanden gehalten, der allen Grund hatte, nicht nach Grider's Hole zu kommen. Wo mag sie nur gewesen sein, als ich mit Grimethorpe sprach? Im Zimmer nicht. Vielleicht hat das Kind sie gewarnt. Halt, nein, so geht's nicht. Dem Kind habe ich gesagt, wer ich bin. Aha, Moment! Geht mir ein Licht auf? Sie hat aus dem Fenster geschaut und einen Kerl in einem nicht mehr ganz neuen Burberry gesehen. Schuhgröße 45 ist ein Kerl in einem alten Burberry. Also, nehmen wir für einen Augenblick an, sie hält mich für Schuhgröße 45. Was macht sie? Vernünftigerweise bleibt sie außer Sichtweite - begreift nicht, wie ich so ein Narr sein und herkommen kann. Als Grimethorpe dann hinausrennt und nach den Hunden schreit, kommt sie unter Einsatz ihres Lebens heruntergeschlichen, um ihren - sagen wir kühn: Geliebten? zu warnen, daß er verschwinden soll. Sie entdeckt, daß er nicht ihr Geliebter ist, sondern nur ein blöd gaffender Esel von (wie ich fürchte) sehr entgegenkommendem Wesen. Neue peinliche Situation. Sie sagt dem Esel, er soll verschwinden, um sich und sie zu retten. Der Esel verschwindet - nicht eben anmutig. Die nächste Folge dieses berückenden Dramas sehen Sie demnächst in diesem Theater - wann? Das wüßte ich selbst nur zu gern.«

Er trottete eine Zeitlang weiter.

»Trotzdem«, gab er sich selbst die Antwort, »wird aus alldem nicht klarer, was Schuhgröße 45 am Riddlesdale Lodge gewollt hat.«

Am Ende seiner Wanderung hatte er noch immer keine Lösung gefunden.

»Was auch geschieht«, sagte er bei sich, »und wenn es geht, ohne ihr Leben in Gefahr zu bringen, muß ich Mrs. Grimethorpe wiedersehen.«

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