Meriba


»Oho, mein Freund! Du bist wohl in die Grube gefallen!«

Jack the Giant-Killer


Lord Peter unterbrach seine Reise nach Norden in York, wohin man den Herzog von Denver nach der Sitzung des Assisengerichts gebracht hatte, da das Gefängnis von Northallerton geschlossen werden sollte. Mittels kluger Überredungskunst gelang es Peter, die Erlaubnis zu einem Gespräch mit seinem Bruder zu erwirken. Er traf den Herzog verdrießlich und von der Gefängnisatmosphäre niedergeschlagen, aber nach wie vor unbeugsam und störrisch an.

»Dumme Geschichte, alter Junge«, sagte Peter, »aber du hältst dich wirklich prima. Furchtbar langweilig, dieser ganze Juristenkram, wie? Aber wir gewinnen dadurch Zeit, und das ist auch schon was.«

»Ein unerhörter Skandal ist das!« sagte Seine Gnaden. »Möchte wissen, was Murbles sich dabei denkt. Kommt hierher und versucht mich einzuschüchtern - so eine Unverschämtheit! Man sollte glauben, er hält mich für den Täter.«

»Nun paß mal auf, Jerry«, sagte sein Bruder ernst, »warum gibst du nicht endlich dein Alibi preis? Es wäre so ungemein hilfreich. Denn immerhin, wenn einer nicht sagen will, was er getan hat -«

»Es ist nicht meine Aufgabe, etwas zu beweisen«, erwiderte Seine Gnaden würdevoll. »Die müssen beweisen, daß ich da war und den Kerl umgebracht habe. Ich bin nicht verpflichtet, zu sagen, wo ich war. Schließlich habe ich als unschuldig zu gelten, bis man mir eine Schuld nachweist, oder? Ich nenne das eine Schande. Ein Mord wurde begangen, und die machen sich nicht die geringste Mühe, den wirklichen Mörder zu finden. Ich gebe ihnen mein Ehrenwort, von meinem Eid ganz zu schweigen, daß ich Cathcart nicht getötet habe - obwohl das Schwein es, wohlgemerkt, verdient hat -, aber die scheren sich nicht darum. Inzwischen kann der wirkliche Verbrecher entkommen, wohin er will. Wenn ich doch nur frei wäre, ich würde denen einheizen.«

»Nun, warum kürzt du die Geschichte dann nicht einfach ab?« drängte Peter. »Ich meine ja nicht hier und jetzt vor mir -« damit warf er einen Blick auf den Wärter, der in Hörweite saß - »sondern vor Murbles. Dann könnten wir an die Arbeit gehen.«

»Ich wollte, du würdest dich gefälligst heraushalten«, knurrte der Herzog. »Ist es nicht so schon widerwärtig genug für die arme Helen und Mutter und alle andern, auch ohne daß du gleich wieder die Gelegenheit ergreifst, Sherlock Holmes zu spielen? Ich hatte wirklich geglaubt, du würdest den Anstand besitzen, dich der Familie zuliebe ruhig zu verhalten. Mag ja sein, daß ich mich in einer hundsmiserablen Lage befinde, aber ich mache mich wenigstens nicht noch zu einem öffentlichen Schauspiel!«

»Zum Kuckuck!« rief Peter mit solcher Heftigkeit, daß der stumpfsinnig dreinblickende Wärter richtig zusammenzuckte. »Wer hier ein öffentliches Schauspiel bietet, das bist doch gerade du! Ohne dich wär's gar nicht erst dazu gekommen. Meinst du vielleicht, mir macht es Spaß, meinen Bruder im Gefängnis sitzen und meine Schwester durch die Gerichtsinstanzen gezerrt zu sehen, auf Schritt und Tritt über Zeitungsreporter zu stolpern, mich an jeder Straßenecke von deinem Namen auf irgendeinem Zeitungsblatt anstieren zu lassen und dieses ganze scheußliche Theater miterleben zu müssen, mit großem Schlußakt im Oberhaus, wo sie dann alle in Purpur und Hermelin und dem ganzen Klimbim antanzen müssen? Im Club fangen die Leute schon an, mich komisch anzusehen, und ich kann sie förmlich flüstern hören, daß >an Denvers Verhalten weiß Gott was faul< ist! Mach endlich einen Punkt, Jerry.«

»Nun, wir können jetzt nicht mehr zurück«, sagte sein Bruder, »und dem Himmel sei Dank, daß es unter den Peers noch ein paar anständige Männer gibt, die das Wort eines Edelmannes zu würdigen wissen, selbst wenn mein eigener Bruder nicht über seine erbärmlichen juristischen Beweise hinaussehen kann.«

Und wie sie einander so zornig anstarrten, schlüpfte plötzlich jene geheimnisvolle Blutsverbindung, die wir Familienähnlichkeit nennen, aus ihrem Versteck hervor und prägte ihre so grundverschiedenen Gesichter koboldhaft zu Karikaturen voneinander. Es war, als sähe ein jeder sich selbst in einem Zerrspiegel, während ihre Stimmen eine der anderen Echo hätten sein können.

»Also gut«, sagte Peter, der sich als erster fing, »es tut mir aufrichtig leid. Ich wollte mich nicht so gehenlassen. Wenn du nichts sagen willst, dann eben nicht. Jedenfalls arbeiten wir alle wie die Irren und hoffen zuversichtlich, den Richtigen bald zu finden.«

»Du solltest das lieber der Polizei überlassen«, meinte Denver. »Ich weiß ja, daß du gern Detektiv spielst, aber ich finde doch, du solltest irgendwo eine Grenze ziehen.«

»Das war nicht nett«, sagte Wimsey. »Aber ich betrachte das nicht als ein Spiel und kann nicht einfach sagen, ich halte mich da heraus, denn ich weiß, daß ich wertvolle Arbeit leiste. Trotzdem verstehe ich deinen Standpunkt - doch, wirklich. Es tut mir leid, daß du mich als so aufdringlich empfinden mußt. Wahrscheinlich fällt es dir auch schwer, zu glauben, daß ich Gefühle habe. Aber ich habe welche, und ich werde dich hier herausholen, und wenn Bunter und ich alle beide dabei draufgehen. Also, mach's gut - der Wärter wacht soeben auf, um zu sagen: >Zeit, meine Herren.« Halt die Ohren steif. Und viel Glück!«

Draußen erwartete ihn Bunter.

»Bunter«, fragte er, als sie zusammen durch die Straßen der alten Stadt gingen, »ist mein Benehmen wirklich aufreizend, auch wenn ich es gar nicht sein will?«

»Es ist möglich, Mylord - wenn Eure Lordschaft mir die Bemerkung erlauben -, daß die frische Art, mit der Eure Lordschaft zu Werke gehen, diesen falschen Eindruck auf Menschen mit beschränkter -«

»Vorsicht, Bunter!«

»- mit begrenzter Phantasie macht, Mylord.«

»Wohlerzogene Engländer haben keine Phantasie, Bunter.«

»Gewiß nicht, Mylord. Ich wollte auch nichts Geringschätziges damit gesagt haben.«

»Na schön, Bunter - o Gott, da läuft ein Reporter! Schnell, verstecken Sie mich irgendwo!«

»Hier hinein, Mylord.«

Mr. Bunter zog seinen Gebieter rasch in die kühle Leere einer Kathedrale.

»Ich möchte empfehlen, Mylord«, beschwor er ihn im Flüsterton, »daß wir Haltung und äußeres Erscheinungsbild von Betenden annehmen, wenn Eure Lordschaft gestatten.«

Durch die Fingerritzen sah Lord Peter einen Küster auf sie zugeschossen kommen, strengen Tadel auf den Lippen. Im selben Augenblick aber kam der Verfolger hereingestürzt und zückte sein Notizbuch. Der Küster warf sich sofort auf die neue Beute.

»Die Wendeltreppe, unter der wir uns befinden«, hob er mit ehrfurchtsvoll eintöniger Stimme an, »ist bekannt unter dem Namen >Die Sieben Schwestern von York«. Es heißt -«

Herr und Diener stahlen sich leise hinaus.

Für den Besuch des Marktstädtchens Stapley staffierte Lord Peter sich mit einem alten Gürtelanzug, sportlichen Socken, einem uralten Hut mit rundum heruntergezogener Krempe, derben Schuhen und einem schweren Eschenstock aus. Seinen Lieblingsstock - einen schönen Malakka mit Zolleinteilung für detektivische Zwecke, einem Degen in seinem Innern und einem Kompaß im Knauf - ließ er mit Bedauern zurück. Er fürchtete nämlich, dieser könne die Eingeborenen gegen ihn einnehmen, da er so etwas Städtisches, wenn nicht Eingebildetes an sich habe. Die Folgen dieser löblichen Hingabe an seine Arbeit sollten deutlich zeigen, wie recht Gertrude Rhead hatte mit ihrer Bemerkung: »Diese ganze Selbstverleugnung ist ein tragischer Fehler.«

Es war ein schläfriges Städtchen, in das sie mit einem Einspänner aus Riddlesdale einfuhren - Bunter neben Lord Peter, und auf dem Rücksitz Wilkes, der Untergärtner. Lieber wäre Wimsey an einem Markttag hierhergekommen, weil er da vielleicht Grimethorpe persönlich angetroffen hätte, aber die Zeit drängte, und er mochte keinen weiteren Tag verlieren. Es war ein rauher, kalter Morgen, der Regen verhieß.

»In welchem Gasthaus steigt man am besten ab, Wilkes?«

»Da wäre der >Ziegelstein<, Mylord - ein gutes, angesehenes Lokal, oder die >Zinnbrücke< am Markt, oder die >Rosenkrone< auf der andern Seite vom Marktplatz.«

»Wo gehen denn die Leute am Markttag meist hin?«

»Vielleicht ist die >Rosenkrone< am beliebtesten, würde ich sagen - der Wirt, Tim Watchett, ist sehr redselig. Greg Smith aus der >Zinnbrücke< gegenüber ist ziemlich mürrisch, aber dafür hat er gutes Bier.«

»Hm - Bunter, ich glaube, unser Mann würde sich eher von Verdrießlichkeit und gutem Bier angezogen fühlen als von einem geschwätzigen Wirt. Wir sollten uns mal die >Zinnbrücke< ansehen, und wenn wir dort eine Niete ziehen, gehen wir in die >Rosenkrone< und quetschen den redseligen Mr. Watchett aus.«

Und so bogen sie in den Hof eines großen, finster dreinblickenden Hauses ein, auf dessen lange nicht mehr renoviertem Schild gerade noch die Umrisse einer zinnenbewehrten Brücke zu erkennen waren, die der Volksmund (vielleicht in Anlehnung an die zinnernen Bierkrüge) im Laufe der Zeit zur >Zinnbrücke< gemacht hatte. Peter wandte sich in seinem leutseligsten Ton an den brummigen Stallknecht, der das Pferd in Empfang nahm:

»Scheußlich frischer Morgen, wie?«

»Hm.«

»Füttern Sie mir den Gaul gut. Ich bleibe ein Weilchen.«

»Hm.«

»Heute ist wohl nicht viel los hier, was?«

»Nee.«

»Aber an Markttagen haben Sie sicher viel zu tun?«

»Hm.«

»Da kommen wohl die Leute von weit her?«

»Hüah!« sagte der Stallknecht. Das Pferd machte drei Schritte vorwärts.

»Harr!« sagte der Stallknecht. Das Pferd blieb stehen; die Deichseln waren frei, und der Mann ließ sie auf den knirschenden Kies hinunter.

»Hüah!« rief der Stallknecht; er führte das Pferd gemächlich in den Stall und ließ Lord Peter einfach stehen. So hatte der Adelssproß sich schon lange nicht abgefertigt gefühlt.

»Ich bin mehr und mehr überzeugt«, sagte Seine Lordschaft, »daß dies die gewohnte Absteige unseres Mr. Grimethorpe ist. Gehen wir mal an die Bar. Wilkes, ich brauche Sie vorerst nicht. Besorgen Sie sich was zu essen, wenn Sie Hunger haben. Ich weiß nicht, wie lange wir bleiben werden.«

»Sehr wohl, Mylord.«

In der Bar der >Zinnbrücke< fanden sie Mr. Greg Smith verdrießlich über eine lange Rechnung gebeugt. Lord Peter bestellte für sich und Bunter etwas zu trinken. Der Wirt schien dies als Dreistigkeit zu empfinden und verwies sie mit einer Kopfbewegung an die Kellnerin. Es war nur recht und billig, daß Bunter, nachdem er sich bei seinem Herrn geziemend für das Bier bedankt hatte, sofort eine Unterhaltung mit dem Mädchen anknüpfte, während Lord Peter seine Aufmerksamkeit Mr. Smith zuwandte.

»Ah!« sagte Seine Lordschaft. »Das ist mal ein guter Schluck, Mr. Smith. Man hat mir gesagt, für ein gutes Bier müsse ich mich hierher wenden, und weiß der Himmel, man hat mich an die richtige Stelle geschickt.«

»Hm!« machte Mr. Smith. »Ist auch nicht mehr, was es mal war. Was Gutes gibt's heute doch nicht mehr.«

»Also, ich könnte es mir nicht besser wünschen. Übrigens, ist Mr. Grimethorpe heute hier?«

»Was?«

»Ist Mr. Grimethorpe heute morgen in Stapley, wissen Sie das zufällig?«

»Wie soll ich das wissen?«

»Ich dachte, er kehrt immer hier ein.«

»Hm.«

»Vielleicht habe ich auch den Namen falsch verstanden. Aber ich hätte ihn für den Mann gehalten, der dahin geht, wo es das beste Bier gibt.«

»So?«

»Na gut, wenn Sie ihn nicht gesehen haben, wird er wohl heute nicht hierhergekommen sein.«

»Wohin?«

»Nach Stapley.«

»Wohnt er nicht hier? Kann doch kommen und gehen, ohne daß ich es weiß.«

»Natürlich!« Wimsey mußte den Schock erst einmal verdauen, dann begriff er das Mißverständnis. »Ich meine doch nicht Mr. Grimethorpe aus Stapley, sondern Mr. Grimethorpe von Grider's Hole.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich? Den? Ja.«

»Ist er heute hier?«

»Nein. Weiß nichts von ihm.«

»Aber an Markttagen kommt er doch her, denke ich?«

»Manchmal.«

»Es ist ja ein ziemlich weiter Weg. Man kann doch hier übernachten?«

»Wollen Sie 'n Zimmer?«

»Nein, ich glaube nicht. Ich dachte mehr an meinen Freund Grimethorpe. Könnte mir denken, daß er oft hier über Nacht bleibt.«

»Kann sein.«

»Steigt er denn nicht hier ab?«

»Nee.«

»Oh!« machte Peter und dachte ungeduldig: »Wenn die hier alle so verschlossen sind wie die Austern, werde ich doch noch über Nacht bleiben müssen ... Na schön«, fuhr er laut fort, »wenn er sich das nächste Mal hier sehen läßt, sagen Sie ihm bitte, daß ich nach ihm gefragt habe.«

»Und wer ist >ich

»Ach, nur Brooks aus Sheffield«, meinte Lord Peter mit vergnügtem Grinsen. »Einen guten Morgen. Ich werde nicht vergessen, Ihr Bier weiterzuempfehlen.«

Mr. Smith grunzte. Lord Peter begab sich langsam hinaus, und bald folgte ihm Bunter forschen Schrittes und mit einem Ausdruck im Gesicht, den man bei jedem anderen für die Überreste eines Schmunzelns gehalten hätte.

»Nun?« erkundigte sich Seine Lordschaft. »Ich hoffe, die junge Dame war etwas mitteilsamer als dieser Tölpel.«

»Ich fand die junge Person« (»Wieder eins drauf«, dachte Lord Peter) »durch und durch liebenswürdig, Mylord, doch leider nicht gut informiert. Mr. Grimethorpe ist ihr nicht unbekannt, aber er pflegt nicht hier zu wohnen. Sie hat ihn manchmal in Gesellschaft eines gewissen Mr. Zedekiah Bone gesehen.«

»Nun gut«, sagte Seine Lordschaft, »dann schlage ich vor, Sie machen sich auf die Suche nach Bone und kommen mir in ein paar Stunden berichten. Ich versuche mein Glück in der >Rosenkrone<. Wir treffen uns am Mittag unter diesem Ding.«

»Das Ding« war ein hohes Gebilde aus rosarotem Granit, das einen zerklüfteten Felsen darstellen sollte, bewacht von zwei steinernen Infanteristen mit Helm. Aus einem Bronzeknauf auf halber Höhe ergoß sich ein dünner Wasserstrahl, in den achteckigen Sockel war eine Ehrenliste gemeißelt, und vier Gaslaternen auf gußeisernen Ständern vervollkommneten dieses Monument der Disharmonie.

Mr. Bunter betrachtete es eingehend, um es nur ja wiederzuerkennen, und wollte sich respektvoll entfernen. Lord Peter machte zehn hurtige Schritte auf die >Rosenkrone< zu, als ihm plötzlich ein Gedanke kam.

»Bunter!«

Mr. Bunter eilte sofort an seine Seite zurück.

»Ach, nichts weiter«, sagte Seine Lordschaft. »Mir ist nur eben ein Name dafür eingefallen.«

»Für -«

»Dieses Denkmal«, sagte Lord Peter. »Ich habe mich entschlossen, es >Meriba< zu taufen.«

»Jawohl, Mylord. Das Haderwasser. Überaus zutreffend, Mylord. Es hat wirklich nichts Harmonisches an sich, wenn ich so sagen darf. Wünschen Sie sonst noch etwas, Mylord?«

»Nein, das wär's.«

Mr. Timothy Watchett von der >Rosenkrone< war gewiß das genaue Gegenteil von Mr. Greg Smith. Er war ein kleiner, dünner Mann von etwa fünfundfünfzig Jahren mit verschmitztem Blick und so wachen Bewegungen, daß Lord Peter auf den ersten Blick seine Herkunft erriet.

»Morgen, Herr Wirt«, sagte er freundlich. »Und wann haben Sie zuletzt den Piccadilly Circus gesehen?«

»Schwer zu sagen, Sir. Wird wohl an die fünfunddreißig Jahre her sein. Ich hab schon so manches Mal zu meiner Frau gesagt: >Liz, dir zeig ich noch mal das Holborn Empire, bevor ich sterbe.< Aber dann kommt eins zum andern, und die Zeit zerrinnt einem unter den Fingern. Ein Tag gleicht so sehr dem andern - manchmal weiß ich nicht mal mehr, wie alt ich werde, Sir.«

»Na, na, noch haben Sie ja eine Menge Zeit«, sagte Lord Peter.

»Hoffentlich, Sir. Ich hab mich nie, wie man so sagt, an diese Nordländer hier gewöhnt. So was von langsam, wie die sind, Sir - mich hat fast der Schlag getroffen, als ich zum erstenmal herkam. Und wie sie reden - daran mußte man sich auch erst mal gewöhnen. Wenn das Englisch sein soll, hab ich immer gesagt, dann sind mir die Franzosen in ihrem Chantycleer-Restaurant aber lieber, sag ich. Aber Gewohnheit ist alles. Manchmal erwisch ich mich dabei, wie ich schon selbst so rede. Ich!«

»Ich glaube, es besteht keine große Gefahr, daß Sie hier naturalisiert werden«, sagte Lord Peter. »Hab ich Sie nicht auf Anhieb erkannt? >In Mr. Watchetts Bar<, hab ich zu mir gesagt, >steht dein Fuß auf heimischem Pflaster ...<«

»Richtig, Sir. Und wenn Sie schon mal hier sind, womit darf ich das Vergnügen haben, Ihnen zu dienen? ... Entschuldigen Sie mal, Sir, aber hab ich Ihr Gesicht nicht schon irgendwo gesehen?«

»Das glaube ich nicht«, sagte Peter, »aber dabei fällt mir ein: Kennen Sie einen gewissen Mr. Grimethorpe?«

»Ich kenne fünf Grimethorpes. Welchen meinen Sie, Sir?«

»Mr. Grimethorpe aus Grider's Hole.«

Das freundliche Gesicht des Wirts verfinsterte sich.

»Freund von Ihnen, Sir?«

»Nicht unbedingt. Ein Bekannter.«

»Na also!« rief Mr. Watchett und ließ seine Hand auf die Theke sausen. »Ich hab doch gewußt, daß Ihr Gesicht mir bekannt vorkam! Wohnen Sie nicht drüben in Riddlesdale, Sir?«

»Zur Zeit ja.«

»Hab ich es doch gewußt«, wiederholte Mr. Watchett triumphierend.

Er tauchte unter die Theke und brachte einen Packen Zeitungen zum Vorschein, woraufhin er mit gut angelecktem Daumen erregt die Seiten umblätterte. »Da! Riddlesdale! Natürlich, das war's!«

Er klatschte auf einen Daily Mirror, der wohl vierzehn Tage alt war. Auf der ersten Seite stand in dicker Balkenschrift: DER RIDDLESDALE-MORD. Darunter fand sich ein lebensechter Schnappschuß mit der Bildunterschrift: Lord Peter Wimsey, der Sherlock Holmes vom Westend, wendet seine gesamte Zeit und Energie auf, um die Unschuld des Herzogs von Denver, seines Bruders, zu beweisen. Mr. Watchett strahlte.

»Ich darf Ihnen sicher sagen, wie stolz ich bin, Sie in meiner Bar zu haben, Mylord. - He, Jim, bedien mal die Herren da; du siehst doch, daß sie warten! - Alle Ihre Fälle hab ich verfolgt, Mylord, in den Zeitungen - die füllen ja schon ein ganzes Buch. Und wenn ich mir vorstelle -«

»Hören Sie mal, alter Freund«, sagte Lord Peter, »könnten Sie, wenn's geht, etwas leiser sprechen? Und nachdem ja nun der Felix aus dem Sack ist, meinen Sie, es wäre Ihnen möglich, mir ein paar Informationen zu geben und nichts weiterzusagen, wie?«

»Kommen Sie mal mit nach hinten in den Salon, Mylord. Da hört uns keiner«, sagte Mr. Watchett und hielt diensteifrig die Klappe hoch. »He, Jim! Bring uns eine Flasche - was möchten Sie denn trinken, Mylord?«

»Na, ich weiß nicht, wohin ich heute noch überall muß«, meinte Seine Lordschaft skeptisch.

»Jim, bring uns mal 'nen Liter von dem alten Ale - das ist was Besonderes, Mylord. So was hab ich noch nirgends sonst getrunken, höchstens einmal vielleicht in Oxford. Danke, Jim. Und jetzt schleich dich, und kümmer dich um die Kunden. Also, Mylord.«

Mr. Watchetts Informationen liefen auf folgendes hinaus: Dieser Mr. Grimethorpe pflegte recht häufig in die >Rosenkrone< zu kommen, vor allem an Markttagen. Vor etwa zehn Tagen sei er ziemlich spät gekommen, schwer betrunken und streitsüchtig, zusammen mit seiner Frau, die wie immer in Höllenangst vor ihm zu leben schien. Grimethorpe habe Schnaps verlangt, aber Mr. Watchett habe sich geweigert, ihm welchen zu geben. Es habe Krach gegeben, und Mrs. Grimethorpe habe versucht, ihren Mann wegzubekommen. Grimethorpe habe sie prompt niedergeschlagen und sie mit Anzüglichkeiten über ihre Tugend beschimpft, und Mr. Watchett habe sofort die Knechte gerufen und Grimethorpe hinauswerfen lassen, wobei er ihm verboten habe, jemals wieder sein Lokal zu betreten. Er habe von allen Seiten gehört, daß Grimethorpes notorisch übler Charakter in letzter Zeit geradezu teuflisch geworden sei.

»Könnten Sie ungefähr angeben, wie lange das so geht oder seit wann?«

»Nun, wenn Sie so fragen, Mylord, würde ich sagen, besonders seit Mitte letzten Monats - vielleicht etwas länger.«

»Hm!«

»Nicht daß ich damit irgendwas unterstellen wollte, wie Sie ja sicher auch nicht, Mylord«, sagte Mr. Watchett rasch.

»Gewiß nicht«, sagte Lord Peter. »Was zum Beispiel?«

»Aha!« meinte Mr. Watchett. »Das ist es ja. Was?«

»Sagen Sie mal«, fuhr Lord Peter fort, »können Sie sich vielleicht erinnern, ob Grimethorpe am 13. Oktober in Stapley war - an einem Mittwoch?«

»Das muß der Tag gewesen sein, als - aber klar! Ja, ich erinnere mich, denn ich weiß noch, wie ich es komisch gefunden habe, daß er hier war, weil doch kein Markttag war. Irgendwelche Maschinen wollte er sich ansehen, sagte er -Sämaschinen, jawohl. O ja, er war hier.«

»Wissen Sie noch, um welche Zeit er angekommen ist?«

»Also, ich meine, er wäre zum Lunch hiergewesen. Das weiß aber sicher die Kellnerin. He, Betty!« rief er durch die Nebentür. »Weißt du zufällig noch, ob Mr. Grimethorpe am 13. Oktober hier zum Lunch war - ein Mittwoch war das, der Tag, an dem dieser arme Mann drüben in Riddlesdale ermordet worden ist.«

»Grimethorpe von Grider's Hole?« fragte die Kellnerin, eine gutgewachsene junge Frau mit echtem Yorkshire-Tonfall. »Ja! Zu Mittag hat er gegessen, und dann ist er zum Schlafen wiedergekommen. Da irre ich mich bestimmt nicht, denn ich hab ihn bedient und ihm morgens das Wasser raufgetragen, und er hat mir nur zwei Pence gegeben.«

»Ungeheuerlich!« fand Lord Peter. »Hören Sie, Miss Elizabeth, sind Sie ganz sicher, daß es am dreizehnten war? Ich habe nämlich mit einem Freund darum gewettet, wissen Sie, und das Geld möchte ich nicht gern verlieren, wenn ich es verhindern kann. Wissen Sie genau, daß es die Mittwochnacht war, als er hier geschlafen hat? Ich hätte schwören mögen, es war Donnerstag.«

»Nee, Sir, das war Mittwoch, denn ich weiß noch, wie die Männer am nächsten Tag in der Bar über den Mord gesprochen und es Mr. Grimethorpe erzählt haben.«

»Klingt überzeugend. Was hat denn Mr. Grimethorpe dazu gesagt?«

»Na so was!« rief die junge Frau. »Das ist aber komisch, daß Sie das fragen; das haben nämlich alle gemerkt, wie eigenartig er sich benommen hat. Er ist so weiß geworden wie ein Bettlaken und hat seine beiden Hände angeguckt, erst die eine, dann die andere, und dann hat er sich die Haare aus der Stirn gestrichen - wie benommen. Wir haben alle gedacht, er hat das Trinken nicht vertragen. Er ist nämlich öfter betrunken als nüchtern. Dem seine Frau möcht ich nicht sein, nicht für fünfhundert Pfund.«

»Das glaube ich gern«, sagte Peter. »Sie finden auch sicher was Besseres. Na, dann hab ich mein Geld wohl verloren. Übrigens, um welche Zeit ist denn Mr. Grimethorpe zum Schlafen gekommen?«

»Kurz vor zwei Uhr morgens«, sagte die junge Frau und warf den Kopf zurück. »Wir hatten schon zugeschlossen, und Jim hat extra runtergemußt, um ihn reinzulassen.«

»Wenn das so ist«, rief Peter, »dann kann ich mich vielleicht doch noch irgendwie herausmogeln, nicht wahr, Mr. Watchett? Zwei Uhr morgens ist doch schon Donnerstag, nicht? Jedenfalls werde ich's mal versuchen. Danke bestens. Mehr wollte ich nicht wissen.«

Betty grinste und entfernte sich kichernd, nachdem sie die Großzügigkeit dieses fremden Herrn mit Mr. Grimethorpes Knickrigkeit hatte vergleichen können. Peter stand auf.

»Ich bin Ihnen unendlich dankbar, Mr. Watchett«, sagte er. »Jetzt möchte ich nur noch kurz ein Wort mit Jim reden. Übrigens, Sie sagen ja nichts davon weiter.«

»Ich bestimmt nicht«, sagte Mr. Watchett. »Ich weiß, wo's langgeht. Viel Glück, Mylord.«

Jim bestätigte Bettys Aussage. Grimethorpe sei am 14. Oktober morgens um zehn vor zwei zurückgekommen, betrunken und völlig verdreckt. Er habe etwas von einem Watson gelallt, dem er begegnet sei.

Als nächstes wurde der Stallknecht befragt. Er glaube nicht, daß jemand ohne sein Wissen des Nachts mit einem Pferdegespann vom Hof herunterkomme. Diesen Watson kenne er. Das sei ein Fuhrmann, der in der Windon Street wohne. Lord Peter entlohnte seinen Informanten angemessen und machte sich auf den Weg zur Windon Street.

Eine Schilderung seiner dortigen Ermittlungen wäre jedoch zu weitschweifig. Um Viertel nach zwölf traf er Bunter am Meriba-Denkmal.

»Erfolg gehabt?«

»Ich habe gewisse Informationen erhalten, Mylord, die ich mir gewissenhaft notiert habe. An Bier für mich selbst und die Zeugen habe ich sieben Shilling und zwei Pence ausgelegt, Mylord.«

Lord Peter bezahlte wortlos die sieben Shilling, zwei Pence, und dann begaben sich beide in die >Rosenkrone<. Nachdem sie in einem Privatzimmer Platz genommen und ihr Mittagessen bestellt hatten, stellten sie folgenden Zeitplan zusammen:

GRIMETHORPES BEWEGUNGEN VON MITTWOCH, 13.

OKTOBER, BIS DONNERSTAG, 14. OKTOBER

13. Oktober:

12.30 Ankunft >Rosenkrone<.

13.00 Mittagessen.

15.00 Bestellt bei einem Mr. Gooch im Trimmer's Lane zwei Sämaschinen.

16.30 Trinkt mit Mr. Gooch auf Geschäftsabschluß.

17.00 Spricht bei John Watson, Fuhrmann, wegen einer Lieferung Hundefutter vor. Watson nicht zu Hause.

Mrs. Watson sagt, daß sie Watson abends zurückerwartet. G. verspricht, wiederzukommen.

17.30 Besucht Mark Dolby, Lebensmittelhändler, und beschwert sich über Dosenlachs.

17.45 Besucht Mr. Hewitt, Optiker, um Rechnung für Brille zu bezahlen und ihre Höhe anzuzweifeln.

18.00 Trinkt in der >Zinnbrücke< mit Zedekiah Bone.

19.00 G. wird von Konstabler Z15 im >Pfeifenden Eber< gesehen, wo er mit mehreren Männern trinkt. Stößt Drohungen gegen unbekannte Person aus.

19.20 Verläßt >Pfeifenden Eber< mit zwei Männern (noch nicht identifiziert).

14. Oktober:

1.15 Wird von Watson, Fuhrmann, etwa eine Meile vor Stapley an der Straße nach Riddlesdale aufgelesen; sehr schmutzig und schlechtgelaunt und nicht ganz nüchtern.

1.45 Wird von James Johnson, Schankknecht, in die >Rosenkrone< eingelassen.

9.00 Von Elizabeth Dobbin geweckt.

9.30 In der Bar der >Rosenkrone<. Erfährt von ermordetem Mann in Riddlesdale. Benimmt sich verdächtig.

10.15 Löst bei der Lloyds Bank einen Scheck über £ 129, 17 s. 8 d. ein.

10.30 Bezahlt Sämaschinen bei Gooch.

11.05 Verläßt >Rosenkrone< zur Rückkehr nach Grider's Hole.

Lord Peter besah sich diese Liste eine Weile und legte dann den Finger auf die große Lücke von sechs Stunden ab 19.20 Uhr. »Wie weit ist es bis Riddlesdale, Bunter?«

»Knapp vierzehn Meilen, Mylord.«

»Und der Schuß wurde um 23.55 Uhr gehört. Zu Fuß wäre das nicht zu machen gewesen. Hat Watson erklärt, warum er erst um zwei Uhr morgens von seiner Fuhre zurückgekommen ist?«

»Ja, Mylord. Er sagte, er habe gegen elf Uhr zurück sein wollen, aber sein Pferd habe zwischen King's Fenton und Riddlesdale ein Hufeisen verloren. Er habe es langsam nach Riddlesdale führen müssen - etwa dreieinhalb Meilen weit -, wo er gegen zehn angekommen sei und den Schmied herausgeklopft habe. Er habe dann bis zur Polizeistunde im >Goldenen Ritter< gesessen und sei anschließend zu einem Freund mit nach Hause gegangen, wo sie noch ein paar getrunken hätten. Um 0.40 Uhr sei er nach Hause aufgebrochen und habe Grimethorpe etwa eine Meile vor Stapley aufgeladen, in der Nähe der Kreuzung.«

»Klingt plausibel. Der Schmied und der Freund müßten es bestätigen können. Aber wir müssen unbedingt diese Männer aus dem >Pfeifenden Eber< finden.«

Das Essen war gut. Aber damit schien ihr Glück sich für diesen Tag erschöpft zu haben, denn bis drei Uhr hatten sie die gesuchten Männer noch immer nicht identifiziert, und die Spur schien kalt zu sein.

Aber Wilkes, der Untergärtner, hatte auch etwas zu den Ermittlungen beizutragen. Er war beim Mittagessen einem Mann aus King's Fenton begegnet, und sie waren natürlich auf den geheimnisvollen Mord beim Jagdhaus zu sprechen gekommen, und bei der Gelegenheit hatte der Mann gesagt, er kenne einen alten Mann, der am Whemmeling-Moor wohne, und der habe ihm erzählt, er habe in der Mordnacht mitten in der Nacht einen Mann durchs Moor gehen sehen. »Und mir ist ganz plötzlich die Idee gekommen«, schloß Wilkes strahlend, »daß es Seine Gnaden gewesen sein könnte.«

Weitere Nachforschungen ergaben, daß der alte Mann Groot hieß und daß Wilkes ohne weiteres Lord Peter und Bunter am Beginn des Viehpfades absetzen könne, der zu seiner Hütte führe.

Hätte Lord Peter nun seines Bruders Rat befolgt und sich mehr mit englisch-ländlichem Sport befaßt als mit Inkunabeln und Londoner Kriminellen - oder wäre Mr. Bunter in den Mooren aufgewachsen statt in einem Dörfchen in Kent - oder wäre Wilkes (der in Yorkshire geboren und aufgewachsen war und es hätte besser wissen müssen) nicht so unerhört eingebildet auf seine eigene Wichtigkeit gewesen, die er mit seinem Hinweis erlangt zu haben glaubte, und so ungeduldig darauf bedacht, daß diesem Hinweis unverzüglich nachgegangen wurde - oder hätte auch nur einer der drei seinen gesunden Menschenverstand gebraucht -, so wäre dieser ungeheuerliche Vorschlag nie gemacht, geschweige an einem Novembertag in Nord-Yorkshire auch noch ausgeführt worden. So aber stiegen Lord Peter und Bunter um zehn vor vier am Füße des Moorpfades vom Wagen, entließen Wilkes und wanderten zu der kleinen Hütte am Rande des Moors hinauf.

Der alte Mann war stocktaub, und nach halbstündiger Befragung war das Ergebnis immer noch ziemlich mager. In einer Nacht im Oktober, die seiner Meinung nach die Mordnacht sein konnte, habe er an seinem Torffeuer gesessen -so gegen Mitternacht, schätzte er -, als plötzlich ein hochgewachsener Mann aus der Dunkelheit aufgetaucht sei. Er habe gesprochen wie ein Südengländer und gesagt, er habe sich im Moor verlaufen. Der alte Groots sei zur Tür gegangen und habe ihm den Pfad gezeigt, der nach Riddlesdale führe. Daraufhin habe der Fremde ihm einen Shilling in die Hand gedrückt und sei verschwunden. Die Kleidung des Fremden könne er nicht näher beschreiben, außer daß er einen weichen Hut und einen Mantel getragen habe, eventuell auch Gamaschen. Er sei einigermaßen sicher, daß es die Mordnacht gewesen sei, denn hinterher habe er noch darüber nachgedacht und sei zu dem Ergebnis gekommen, daß es vielleicht einer von den Leuten im Jagdhaus gewesen sei - möglicherweise der Herzog. Er sei erst nach langem Nachdenken auf diese Idee gekommen und habe sich nicht damit gemeldet, weil er nicht gewußt habe, wo oder bei wem.

Damit mußten die Frager sich zufriedengeben, und nachdem sie Groot mit einer halben Krone beschenkt hatten, traten sie kurz nach fünf Uhr wieder ins Moor hinaus.

»Bunter«, sagte Lord Peter durch die Dämmerung, »ich bin absolut sicher, daß die Lösung der ganzen Geschichte in Grider's Hole liegt.«

»Sehr wohl möglich, Mylord.«

Lord Peter streckte einen Finger nach Südosten aus. »Da liegt Grider's Hole«, sagte er. »Gehen wir.«

»Sehr wohl, Mylord.«

Und so machten sich Lord Peter und Bunter, ganz wie zwei ahnungslose Städter, munteren Schrittes den schmalen Moorpfad hinunter auf den Weg nach Grider's Hole, ohne auch nur einmal einen Blick über die Schulter zu werfen, um die große weiße Gefahr zu sehen, die sich aus der weiten Einsamkeit des Whemmeling-Moors lautlos durch die Novemberdämmerung heranwälzte.

»Bunter!«

»Hier, Mylord!«

Die Stimme war gleich neben seinem Ohr.

»Gott sei Dank! Ich dachte schon, jetzt wäre ich Sie für immer los. Menschenskind, das hätten wir aber wissen müssen.«

»Jawohl, Mylord.«

Es war von hinten gekommen, mit einem einzigen großen Schritt - dick, kalt und erstickend, so daß sie einander nicht mehr sehen konnten, obwohl sie kaum einen oder zwei Schritte voneinander entfernt waren.

»Ich bin ein Idiot, Bunter«, sagte Lord Peter.

»Mitnichten, Mylord.«

»Nicht bewegen; sprechen Sie weiter.«

»Ja, Mylord.«

Peter tastete nach rechts und klammerte sich an den Ärmel des andern.

»Ah! Und was machen wir jetzt?«

»Ich wüßte es nicht zu sagen, Mylord, da ich damit keine Erfahrung habe. Hat das - äh - Phänomen irgendwelche Gewohnheiten, Mylord?«

»Keine festen, glaube ich. Manchmal zieht es weiter. Ein andermal bleibt es tagelang an einem Platz. Wir können hier die ganze Nacht stehenbleiben und warten, ob es bei Tagesanbruch besser wird.«

»Ja, Mylord. Nur ist es hier leider etwas klamm.«

»Etwas - wie Sie sagen«, pflichtete Seine Lordschaft ihm mit einem kurzen Lachen bei.

Bunter nieste und entschuldigte sich höflich.

»Wenn wir weiter nach Südosten gehen«, sagte Seine Lordschaft, »kommen wir schon nach Grider's Hole, und die werden uns gefälligst für die Nacht aufnehmen müssen - oder uns eine Begleitung mitgeben. Ich habe eine Taschenlampe bei mir, und wir können uns nach dem Kompaß richten - o verdammt!«

»Mylord?«

»Ich hab den falschen Stock. Diese widerliche Esche! Kein Kompaß, Bunter - jetzt sind wir aufgeschmissen.«

»Könnten wir uns nicht immerzu bergab halten, Mylord?«

Lord Peter zögerte. Erinnerungen an Gehörtes und Gelesenes gingen ihm durch den Kopf und sagten ihm, daß aufwärts oder abwärts im Nebel einerlei sei. Doch der Mensch wandelt in eitlem Schatten. Es fällt ihm schwer, zu glauben, daß er wirklich hilflos ist. Die Kälte war eisig. »Wir könnten es versuchen«, sagte er schwach.

»Ich habe sagen hören, Mylord, daß man im Nebel immerzu im Kreise geht«, sagte Mr. Bunter, von verspäteter Zagheit erfaßt.

»Aber doch nicht an einem Hang«, entgegnete Lord Peter, der aus reinem Widerspruchsgeist heraus wieder mutig wurde.

Bunter fühlte sich außerhalb seines Elements und wußte einmal keinen Rat anzubieten.

»Na ja, schlimmer als jetzt kann es nicht mehr kommen«, sagte Lord Peter. »Wir versuchen es einfach und werden zwischendurch immerzu rufen.«

Er ergriff Bunters Hand, und vorsichtig gingen sie weiter in den dicken, kalten Nebel hinein.

Wie lange dieser Alptraum dauerte, hätte keiner von ihnen sagen können. Es war, als ob die Welt um sie herum gestorben wäre. Ihre eigenen Rufe erschreckten sie; als sie zu rufen aufhörten, war die Totenstille noch erschreckender. Sie stolperten über dicke Büschel Heide. Es war erstaunlich, wie sehr sie, der Sicht beraubt, die Unebenheiten des Bodens zu spüren bekamen. Nur sehr unsicher vermochten sie zwischen bergauf und bergab zu unterscheiden. Sie waren bis auf die Knochen durchgefroren, und doch lief ihnen der Schweiß der Mühsal und Angst die Gesichter hinunter.

Plötzlich ertönte - unmittelbar vor ihnen, wie es schien, und nur ein paar Schritte entfernt - ein langgezogener, schrecklicher Schrei - und noch einer - und noch einer.

»Mein Gott! Was war das?«

»Ein Pferd, Mylord.«

»Natürlich.« Sie erinnerten sich, Pferde einmal so schreien gehört zu haben. Damals hatte irgendwo ein Stall gebrannt.

»Armes Vieh«, sagte Peter. Impulsiv setzte er sich in die Richtung des Schreis in Bewegung und ließ Bunters Hand los.

»Kommen Sie zurück, Mylord!« rief der Diener in plötzlicher Verzweiflung. Und dann in angstvoller Erleuchtung:

»Um Gottes willen, bleiben Sie stehen, Mylord - das Moor!«

Ein heller Schrei in der undurchdringlichen Schwärze. »Dableiben - rühren Sie sich nicht - es hat mich!«

Und dann ein schauriger, schlürfender Ton.

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