3. Kapitel Das Foyer der Oper

Gabriel Lambert hatte recht; dieser Name sagte mir, wenn nicht alles, doch wenigstens einen Teil von dem, was ich zu wissen wünschte.

»Es ist richtig, Henri de Faverne!« rief ich. »Henri de Faverne, so ist es! Warum, zum Teufel, habe ich ihn nicht wiedererkannt?«

Allerdings hatte ich den, welcher diesen Namen führte, nur zweimal gesehen, doch unter Umständen, unter denen sich seine Züge tief in mein Gedächtnis eingeprägt.

Es war die dritte Vorstellung von »Robert der Teufel«; ich ging mit einem meiner Freunde, dem Baron Olivier d'Hornoy, im Foyer der Oper auf und ab.

Ich war mit ihm an diesem Abend nach drei Jahren zum erstenmal wieder zusammengetroffen.

Wichtige Angelegenheiten hatten ihn nach Guadeloupe gerufen, wo seine Familie beträchtliche Güter besaß, und er war erst seit einem Monat aus den Kolonien zurück.

Dieses Wiedersehen gewährte mir große Freude, denn wir hatten früher in enger Verbindung miteinander gestanden.

Zweimal begegneten wir beim Hinundhergehen einem Menschen, der d'Hornoy jedesmal auf eine höchst auffällige Weise anschaute.

Wir sollten ihm eben zum drittenmal begegnen, da fragte mich Olivier: »Ist es Ihnen gleichgültig, ob wir im Korridor oder hier auf und ab gehen?«

»Völlig gleichgültig«, antwortete ich, »doch warum?«

»Ich werde es Ihnen gleich sagen«, erwiderte er.

Wir machten einige Schritte und befanden uns im Korridor.

»Weil«, fuhr er fort, »weil wir zweimal einem Menschen begegnet sind ...«

»... der uns auf eine seltsame Weise anschaute; ich habe es bemerkt. Wer ist dieser Mensch?«

»Ich kann es Ihnen nicht genau sagen, ich weiß nur, daß er aussieht, als suche er aus irgendeinem Grund eine Auseinandersetzung mit mir, während ich ganz und gar keinen Streit mit ihm wünsche.«

»Und seit wann, mein Olivier, fürchten Sie die Streitigkeiten? Wenn ich mich recht erinnere, standen Sie früher in dem unseligen Ruf, sie eher zu suchen als zu fliehen.«

»Ja, es ist wahr, ich schlage mich, wenn es sein muß; doch Sie wissen, man schlägt sich nicht mit jedem.«

»Ich begreife, dieser Mensch ist ein Industrieritter.«

»Das weiß ich nicht genau, doch ich befürchte es.«

»In diesem Fall, mein Lieber, haben Sie völlig recht: Das Leben ist ein Kapital, das man nur gegen ein ungefähr gleichbedeutendes Kapital wagen darf; wer es anders hält, betreibt ein Narrenspiel.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür einer Loge, und eine junge, hübsche Frau machte Olivier kokett ein Zeichen mit der Hand, daß sie ihn zu sprechen wünsche.

»Verzeihen Sie, mein Lieber, ich muß Sie verlassen.«

»Für lange Zeit?«

»Nein, gehen Sie im Korridor auf und ab, ich werde Sie nicht länger als zehn Minuten warten lassen.«

Ich setzte meinen Spaziergang allein fort und war gerade auf der Seite, die der Loge gegenüberlag, vor der ich Olivier verlassen hatte, als ich plötzlich lauten Stimmenwechsel vernahm und sah, wie sich die in den Gängen Flanierenden zu der Stelle wandten, wo dieser Stimmenwechsel entstanden war; ich ging auch dorthin und gewahrte Olivier, der aus dem Menschengewühl herauskam, mich, sobald er meiner ansichtig wurde, am Arm nahm und zu mir sagte: »Kommen Sie, mein Lieber, lassen Sie uns gehen.«

»Was gibt es denn?« fragte ich. »Und warum sind Sie so bleich?«

»Es ist geschehen, was ich voraussah; dieser Mensch hat mich beleidigt, und ich muß mich mit ihm schlagen. Doch kommen Sie mit zu mir, oder wollen wir zu Ihnen? Ich werde Ihnen alles erzählen.«

Wir stiegen rasch eine Treppe hinab, während der Fremde die andere hinuntereilte; er hielt sein mit Blut beflecktes Taschentuch vor das Gesicht.

Olivier und er trafen sich an der Tür.

»Sie werden es nicht vergessen, mein Herr«, sprach der Fremde mit lauter Stimme, so daß ihn jeder hören mußte. »Sie werden es nicht vergessen, daß ich Sie morgen um sechs Uhr im Bois de Boulogne erwarte.«

»Jawohl, mein Herr«, versetzte Olivier, die Schultern zuckend. »Ich werde Sie nicht verfehlen.«

Und er trat einen Schritt zurück, um seinen Gegner vorüberzulassen. Dieser verließ das Theater und warf sich mit einer schwungvollen Bewegung, wahrscheinlich, um aller Augen auf sich zu lenken, den Mantel um.

»Mein Gott«, sagte ich zu Olivier, »was für ein Mensch ist das? Und Sie wollen sich mit ihm schlagen?«

»Ich muß wohl.«

»Warum müssen Sie?«

»Weil er die Hand gegen mich erhoben hat und weil ich ihm einen Hieb mit dem Stock über das Gesicht versetzt habe.«

»Wirklich?«

»Bei meinem Wort! Eine Lastträgerszene, so schmutzig, wie man sie sich nur immer denken kann. Ich schäme mich dessen; doch was wollen Sie! Es ist nun einmal so.«

»Aber wer ist denn dieser Bauernkerl, der da glaubt, man müsse Leuten unserer Art Ohrfeigen geben, um sie dazu zu bringen, daß sie sich schlagen?« »Wer er ist? Er ist ein Herr, der sich Vicomte Henri de Faverne nennen läßt.«

»Henri de Faverne, ich kenne ihn nicht.«

»Ich auch nicht.«

»Wie können Sie sich mit jemandem streiten, den Sie gar nicht kennen?«

»Gerade weil ich ihn nicht kenne, ist dieser Streit entstanden. Das kommt Ihnen seltsam vor, nicht wahr?«

»Ich gestehe es.«

»Ich will es Ihnen erzählen. Hören Sie, es ist schönes Wetter, statt uns zwischen vier Wänden einzuschließen, wollen wir, wenn es Ihnen genehm ist, bis zur Madeleine gehen.«

»Wohin Sie wollen.«

»Vernehmen Sie also, dieser Henri de Faverne hat herrliche Pferde und spielt ein wahnsinniges Spiel, ohne daß man weiß, ob und woher er Vermögen besitzt. Übrigens bezahlt er gut, was er kauft oder was er verliert, und es läßt sich von dieser Seite nichts gegen ihn sagen. Doch da er, wie es scheint, heiraten will, hat man ihn um einige Erläuterungen über das Vermögen gebeten, von dem er so großzügigen Gebrauch macht. Er erwiderte darauf, er entstamme einer reichen Pflanzerfamilie, die bedeutende Güter in Guadeloupe besitze.

Nun bin ich ja gerade erst von Guadeloupe hier angekommen, und deshalb erkundigte man sich bei mir und fragte mich, ob ich einen Grafen de Faverne in Pointe-a-Pitre kenne. Dazu muß ich Ihnen sagen, daß ich in Pointe-a-Pitre alles kenne, das gekannt zu werden verdient; und von einem Ende der Insel bis zum anderen gibt es ebensowenig einen Grafen de Faverne wie auf meiner Hand.

Sie begreifen, ich sagte ganz einfach, wie die Sache war, ohne auf das, was ich äußerte, irgendein Gewicht zu legen. Da es übrigens der Wahrheit entspricht, hätte ich es am Ende in jedem Fall gesagt.

Es scheint nun, meine Weigerung, diesen Herrn anzuerkennen, hat seinen Heiratsplänen ein Hindernis in den Weg gestellt. Er schrie ganz laut, ich wäre ein Verleumder und er würde mich meine Verleumdung bereuen lassen. Ich kümmerte mich nicht weiter darum, doch heute abend begegnete ich ihm, wie Sie gesehen haben, und ich fühlte - Sie wissen, man fühlt so etwas -, ich würde Streit mit diesem Menschen bekommen.

Sie sind übrigens Zeuge, mein lieber Freund, daß ich diesen Streit vermieden habe, solange ich konnte. Ich verließ das Foyer, ich ging in den Korridor, und als ich sah, daß er uns auch in den Korridor folgte, trat ich in die Loge der Gräfin M..., die, wie Sie wissen, Kreolin ist und nie von diesem Herrn oder von irgendeinem Faverne hat sprechen hören.

Ich glaubte damit allem Weiteren aus dem Weg zu gehen, aber er erwartete mich vor der Loge, das übrige wissen Sie. Morgen schlagen wir uns, wie Sie gehört haben.«

»Ja, um sechs Uhr morgens; doch wer hat diesen Zeitpunkt festgesetzt?«

»Das beweist mir abermals, daß ich es mit einem Bauernkerl zu tun habe. Ist es je an den Gegnern, dergleichen Dinge zu arrangieren? Was bliebe den Zeugen dann noch zu tun? Und außerdem - sich morgens um sechs Uhr zu schlagen, begreifen Sie das? Wer steht um sechs Uhr auf? Dieser Mensch ist also in seiner Jugend Ackerknecht gewesen! Ich meinesteils weiß, daß ich morgen von einer abscheulichen Laune sein und mich sehr schlecht schlagen werde.«

»Wie, Sie werden sich sehr schlecht schlagen?«

»Ganz gewiß, es ist, zum Teufel, etwas Ernstes um einen Zweikampf. Man nimmt sich jede Bequemlichkeit bei der Liebe, aber man gesteht sich nicht die geringste Phantasie zu, wenn es sich um ein Duell handelt! Ich weiß nur, daß ich mich immer um elf Uhr oder zur Mittagsstunde geschlagen und mich im allgemeinen sehr gut dabei befunden habe. Ich frage Sie: um sechs Uhr morgens, im Monat Oktober, man stirbt vor Kälte, man schnattert, man hat nicht geschlafen!«

»Gehen Sie nach Hause, und legen Sie sich zu Bett!«

»Ja, legen Sie sich zu Bett, das ist leicht gesagt; man hat immer, wenn man sich am anderen Tag schlägt, etwas Ähnliches wie ein Testament zu machen, einen Brief an seine Mutter oder seine Geliebte zu schreiben: alles das nimmt einen bis zwei Uhr morgens in Anspruch.

Dann schläft man schlecht; denn sehen Sie, man mag sagen, was man will, man mag brav sein, sosehr man will: Es ist immer eine schlimme Nacht, die Nacht, die einem Duell vorhergeht; und um fünf Uhr aufstehen! Denn soll man sich um sechs Uhr im Bois de Boulogne einfinden, so muß man um fünf Uhr aufstehen. Bei Licht aufstehen, kennen Sie etwas Verdrießlicheres als das?

Er mag sich ja gut halten, dieser Herr; ich werde ihn nicht schonen, dafür stehe ich Ihnen. Ah! Ich rechne damit, daß Sie mein Zeuge sind.«

»Sie dürfen mit mir rechnen.«

»Bringen Sie bitte Ihre Degen mit; ich möchte meine deshalb nicht benutzen, damit er nicht sagen kann, ich wolle mich meines Vorteils versichern.«

»Sie werden sich mit Degen schlagen?«

»Ja, das ist mir lieber; das tötet ebensogut wie die Pistole und macht nicht zum Krüppel; eine schlechte Kugel zerschmettert einem den Arm, man muß ihn abnehmen, und man ist verstümmelt. - Bringen Sie Ihre Degen mit.«

»Es ist gut; ich werde um fünf Uhr bei Ihnen sein.«

»Um fünf Uhr! Wie belustigend muß es auch für Sie sein, um fünf Uhr aufstehen zu müssen!«

»Oh, mir ist es beinahe gleichgültig, denn es ist die Stunde, zu der ich mich sonst schlafen lege.«

»Gleichviel, wenn die Dinge unter anständigen Leuten vorgehen und Sie mein Zeuge sind, so lassen Sie mich schlagen, wie es Ihnen beliebt, doch lassen Sie mich um elf Uhr oder zur Mittagsstunde schlagen, und Sie werden sehen, bei meinem Ehrenwort, es wird kein Vergleich sein; ich werde zu hundert Prozent gewinnen.« »Still doch, ich bin überzeugt, Sie sind morgen unübertrefflich.«

»Ich werde mein Bestes tun; doch auf Ehre, ich hätte mich lieber heute abend wie ein Soldat auf der Wache unter einer Laterne geschlagen, als daß ich morgen um eine solche Stunde aufstehen müßte; Sie, mein Lieber, der Sie kein Testament zu machen haben, legen Sie sich zu Bett und empfangen Sie meine Entschuldigung im Namen dieses Menschen.«

»Ich gehe von Ihnen, mein lieber Olivier, doch nur, um Ihnen Ihre ganze Zeit zu lassen. Haben Sie mir sonst einen Auftrag zu geben?«

»Ja, bitte. Ich brauche zwei Zeugen: Gehen Sie in den Club, und sagen Sie Alfred de Nerval, ich rechne auch mit ihm; das wird ihm nicht zu lästig sein, er wird bis um diese Stunde spielen, und damit ist alles abgemacht. Dann brauchen wir - bei meinem Ehrenwort, ich weiß nicht, wo ich den Kopf habe -, wir brauchen einen Arzt; ich habe keine Lust, diesem Herrn, wenn ich ihm einen Degenstich beibringe, das Blut auszusaugen; es ist mir lieber, wenn man ihn zur Ader läßt.«

»Haben Sie an jemand Bestimmtes gedacht?«

»Wie meinen Sie?«

»Ob Sie an einen bestimmten Arzt gedacht haben.«

»Nein! Ich halte von ihnen allen nicht viel. Nehmen Sie Fabien; ist es nicht Ihr Arzt? Es ist auch mein Arzt; er wird uns diesen Dienst mit Vergnügen leisten, wenn er nicht etwa befürchtet, es könnte ihm beim König schaden; Sie wissen ja wohl, daß er alle Vierteljahre bei Hof ist, um den König zu untersuchen.«

»Seien Sie unbesorgt, er wird nicht daran denken.«

»Ich glaube es auch, denn er ist ein vortrefflicher Junge; entschuldigen Sie mich bei ihm, daß ich ihn zu einer solchen Stunde aufzustehen veranlasse.«

»Bah, er ist daran gewöhnt!«

»Für eine Geburtshilfe, ja, aber nicht für ein Duell. - Doch ich plaudere hier wie eine Elster und halte Sie auf, während Sie im Bett sein sollten. Legen Sie sich nieder, mein lieber Freund, legen Sie sich nieder.«

»Gute Nacht und guten Mut!«

»Ich schwöre Ihnen, ich weiß nicht, wie es sein wird«, sagte Olivier, indem er gähnte, als wolle er sich den Kiefer ausrenken, »in der Tat, Sie machen sich keinen Begriff davon, wie sehr es mich langweilt, mich mit diesem Burschen zu schlagen.«

Nach diesen Worten verließ mich Olivier, um nach Hause zu gehen, während ich in den Club und zu Fabien ging.

Ich hatte ihm, als ich ihn verließ, die Hand gegeben und gefühlt, daß seine Hand von einem nervösen Zittern befallen war.

Ich begriff das nicht. Olivier stand beinahe in dem Ruf, keinem Duell aus dem Wege zu gehen. Wie konnte ein Zweikampf plötzlich einen so heftigen Eindruck auf ihn machen.

Nichtsdestoweniger war ich seiner für den anderen Tag sicher.

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