Einundzwanzig

Die Spuren von Kuhmist halfen nicht viel weiter, denn es hatte mehrere Besitzer gegeben, bevor das Auto beim Schrotthändler gelandet war. Jeder von denen hätte in Kuhmist treten und ihn ins Auto tragen können. Vor mehr als dreißig Jahren war Reykjavik eine ländliche Stadt, und der Besitzer hätte nicht einmal die Stadtgrenzen verlassen müssen, um auf Kühe zu stoßen. Erlendur konnte sich gut an Schafe erinnern, die aus einer eingezäunten Wiese ausgebrochen waren und nach kurzer Zeit mitten in der Stadt bei Háaleitisbraut herumstreunten. Er hatte damals gerade bei der Polizei angefangen und war einer von denen gewesen, die sie wieder einfangen mussten.

Es konnte aber auch sein, dass Haraldur, der immer noch auf allem und jedem herumhackte, irgendetwas herausrutschen würde. Seine Laune hatte sich nicht gebessert, seit Erlendur zuletzt in seinem Zimmer gesessen hatte. Er war gerade dabei, sich das Mittagessen einzuverleiben, Hafergrütze mit gesäuerter Sülzwurst. Sein Gebiss lag auf dem Nachttisch. Erlendur versuchte krampfhaft, nicht dorthin zu blicken. Es reichte schon, das Schlürfen zu hören und zu sehen, wie ihm der Brei am Mundwinkel herunterlief.

Haraldur schmatzte mit sichtlichem Genuss auf einem Bissen herum.

»Wir wissen, dass der Verkäufer mit seinem Falcon zu euch auf den Hof gekommen ist«, sagte Erlendur, als das Schmatzen aufgehört und Haraldur sich den Mund abgewischt hatte. Er war wie beim ersten Mal aufgebraust, als er Erlendur erblickte, und hatte ihm gesagt, er solle sich zum Teufel scheren, aber Erlendur hatte nur gelächelt und sich hingesetzt.

»Kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«, hatte Haraldur gesagt und gierig auf sein Essen gestarrt. Er wollte Erlendur nicht beim Essen dabeihaben.

»Iss ruhig«, hatte Erlendur gesagt. »Ich warte so lange.« Haraldur schaute ihn grimmig an, kapitulierte aber bald.

Erlendur schaute weg, als er sich das Gebiss aus dem Mund nahm.

»Und was für Beweise wollt ihr dafür haben?«, fragte Haraldur jetzt. »Ihr habt gar keine Beweise, weil er nämlich nie zu uns gekommen ist. Gibt es denn kein Gesetz, das einen vor solchen Belästigungen schützt? Dürft ihr einen wirklich am laufenden Band behelligen?«

»Wir wissen jetzt, dass er zu euch gekommen ist«, sagte Erlendur.

»Pah. Verdammter Blödsinn. Wie wollt ihr so was wissen?«

»Wir haben sein Auto gründlich untersucht«, sagte Erlendur. Er hatte eigentlich nichts in der Hand, fand es aber die Mühe wert, dem Alten etwas zuzusetzen und ihn glauben zu machen, dass es Indizien gäbe. »Seinerzeit wurde das Auto nämlich nicht sehr genau unter die Lupe genommen, und seitdem hat sich die gesamte Technik revolutioniert.« Erlendur versuchte zu bluffen. Haraldur ließ den Kopf hängen und starrte auf den Boden.

»Auf diese Weise haben wir neue Indizien gefunden«, fuhr Erlendur fort. »Der Fall wurde damals nicht als kriminelles Delikt angesehen und nicht entsprechend bearbeitet. Das wird bei Vermisstenmeldungen im seltensten Fall gemacht, weil es hierzulande gar nichts Besonderes ist, wenn Leute verschwinden. Vielleicht wegen der Wetterverhältnisse. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in Island so etwas gern auf die leichte Schulter nimmt. Vielleicht genügt uns ja die simple Erklärung, dass die Selbstmordrate hier erschreckend hoch ist.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, entgegnete Haraldur.

»Er hieß Leopold. Kannst du dich daran erinnern? Er war Verkäufer, und du hattest ihm in Aussicht gestellt, einen neuen Traktor bei ihm zu kaufen. Und an dem bewussten Tag hatte er nichts anderes mehr vor, als zu euch hinauszufahren. Ich glaube, das hat er gemacht.«

»Irgendein Recht muss man doch haben«, sagte Haraldur.

»Du kannst doch nicht einfach hier aufkreuzen, wann es dir passt.«

»Leopold ist zu euch auf den Hof gekommen«, sagte Erlendur.

»Quatsch.«

»Er kam zu euch Brüdern, und irgendwas ist passiert. Ich weiß nicht, was das war. Er hat vielleicht etwas gesehen, was er nicht hätte sehen dürfen. Ihr habt euch mit ihm angelegt wegen etwas, das er gesagt hat. Vielleicht war er zu penetrant. Er wollte an diesem Tag den Kaufvertrag unter Dach und Fach bringen.«

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, beharrte Haraldur. »Er ist nie zu uns gekommen. Er hatte es vor, aber er ist nicht erschienen.«

»Was glaubst du wohl, wie lange du noch zu leben hast?«, fragte Erlendur.

»Einen Scheißdreck glaube ich. Du hast überhaupt keine Beweise, sonst hättest du mir sie schon längst unter die Nase gerieben. Aber du hast gar nichts in der Hand. Du kannst nämlich nichts in der Hand haben, weil er nie zu uns gekommen ist.«

»Willst du mir nicht einfach sagen, was passiert ist?«, sagte Erlendur. »Du wirst es nicht mehr sehr lange machen. Du würdest dich besser fühlen. Selbst wenn er zu euch gekommen ist, muss das nicht bedeuten, dass ihr ihn umgebracht habt. Davon habe ich nichts gesagt. Er kann genauso gut wieder weggefahren sein und sich dann aus dem Staub gemacht haben.«

Haraldur hob den Kopf, und die Augen unter den buschigen Brauen waren starr auf ihn gerichtet.

»Mach, dass du wegkommst«, sagte er. »Ich will dich nie wieder hier sehen.«

»Ihr hattet Kühe da auf dem Hof, nicht wahr?«

»Raus mit dir!«

»Ich bin hingefahren und habe den Kuhstall und den Misthaufen dahinter gesehen. Du hast mir gesagt, ihr hättet zehn Kühe gehabt.«

»Was soll denn das?«, sagte Haraldur. »Wir waren Bauern, willst du mich etwa deswegen einbuchten?« Erlendur stand auf. Er ließ sich von Haraldur irritieren und provozieren, obwohl er wusste, dass er über den Dingen stehen sollte. Er hätte einfach gehen und mit der Ermittlung weitermachen sollen, anstatt sich über ihn zu ärgern und sich von ihm reizen zu lassen. Haraldur war nichts anderes als ein unangenehmer alter Griesgram. Erlendur ließ sich aber nicht lange von solchen Gedanken beeinflussen.

»Wir haben Kuhscheiße im Auto gefunden«, sagte er.

»Deswegen musste ich an deine Kühe denken, Skjalda oder Huppa oder wie du sie genannt hast. Ich glaube nicht, dass der Dreck von Leopold ins Auto getragen wurde. Es ist natürlich eine Möglichkeit, dass er mit Kuhscheiße an den Schuhen eingestiegen und weggefahren ist. Ich bin aber eher der Ansicht, dass jemand anderes das gemacht hat. Jemand, der auf dem Hof lebte, jemand, der in einen Streit mit ihm geriet. Jemand, der über ihn herfiel und sich dann ins Auto setzte, um es zum Busbahnhof zu bringen.«

»Lass mich in Ruhe. Ich weiß nichts von Kuhscheiße.«

»Ganz bestimmt nicht?«

»Nein. Hau ab, und bleib mir vom Leib.«

Erlendur sah auf Haraldur herunter.

»Da ist nur ein Haken an meiner Theorie«, fuhr er fort.

»Pah«, ließ Haraldur sich vernehmen.

»Und zwar die Sache mit dem Busbahnhof.«

»Was damit?«

»Da sind zwei Dinge, die nicht zusammengehen.«

»Es interessiert mich nicht, was du da quasselst. Hau ab!«

»Das ist nämlich viel zu genial eingefädelt.«

»Pah.«

»Und dazu bist du viel zu blöd.«


Die Firma, bei der Leopold bis zu seinem Verschwinden gearbeitet hatte, existierte immer noch, war aber jetzt Teil eines großen Autoimportunternehmens. Der ehemalige Besitzer hatte die Firma vor vielen Jahren verkauft. Sein Sohn hatte Erlendur zu verstehen gegeben, dass er sich lange damit abgestrampelt hatte, den Betrieb am Laufen zu halten, aber es sei so hoffnungslos gewesen, dass er ihn schließlich verkaufte, bevor es zum Bankrott kam. Der Sohn war beim Verkauf mit in die neue Firma gewechselt und hatte nun die Abteilung für Bau- und Landmaschinen unter sich. Diese Veränderungen waren vor mehr als zehn Jahren eingetreten. Ein paar der alten Mitarbeiter waren wie er übernommen worden, aber von denen arbeitete niemand mehr in der Firma. Erlendur erfuhr den Namen des früheren Eigentümers — und eines Mannes, der über den insgesamt längsten Zeitraum in der Firma tätig gewesen war, eben auch zu der Zeit, als Leopold dort arbeitete.

Als Erlendur wieder in seinem Büro war, suchte er im Telefonbuch die Nummern heraus. Er versuchte es bei dem ehemaligen Verkäufer, aber niemand ging an den Apparat.

Das Gleiche war der Fall, als er beim früheren Besitzer der Firma anrief.

Erlendur nahm noch einmal den Hörer auf. Er schaute aus dem Fenster und sah den Sommer auf den Straßen von Reykjavik. Er wusste nicht, warum ihn der Fall des Falcon-Manns nicht losließ. Der Mann hatte bestimmt Selbstmord begangen. Es gab kaum Hinweise, die in eine andere Richtung deuteten, und trotzdem hatte er bereits den Hörer in der Hand und war im Begriff, die Genehmigung zu beantragen, das ehemalige Land der beiden Brüder in einer groß angelegten Suchaktion zu durchkämmen, zu der mindestens fünfzig Polizisten und Angehörige von Rettungsmannschaften benötigt wurden, was wiederum ein gefundenes Fressen für die Medien sein würde.

Aber es war nicht auszuschließen, dass der Vertreter dieser Lothar war, und es war denkbar, dass er die ganzen Jahre auf dem Grund des Sees gelegen hatte. Vielleicht handelte es sich tatsächlich um ein und denselben Mann? Langsam legte er den Hörer wieder auf die Gabel. War er so besessen davon, das spurlose Verschwinden von Menschen aufzuklären, dass er nun weit über das Ziel hinausschoss? In seinem Innersten wusste er, dass es vernünftiger wäre, den Fall Leopold in die Schublade zu packen und da vergammeln zu lassen, genau wie die anderen Vermisstenmeldungen, für die es keine plausible Erklärung gab.

Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, während sich Erlendur diese Gedanken durch den Kopf gehen ließ.

Es war Patrick Quinn aus der amerikanischen Botschaft.

Sie tauschten ein paar Höflichkeiten aus, aber dann kam der Botschaftsangehörige zur Sache.

»Ihre Leute haben von uns die Informationen erhalten, die wir damals zur Verfügung stellen konnten«, erklärte Quinn. »Jetzt haben wir aber die Erlaubnis erhalten, diesbezüglich noch etwas weiter zu gehen.«

»Es sind wohl kaum ›meine Leute‹«, sagte Erlendur und dachte an Elínborg und Sigurður Óli.

»Yes, whatever«, erwiderte Quinn. »Wenn ich richtig verstanden habe, leiten Sie diese Ermittlung wegen des Skeletts in diesem See. Die beiden waren nicht ganz überzeugt von dem, was ich ihnen über das Verschwinden von Lothar Weiser gesagt habe. Uns lagen Informationen vor, dass er ins Land eingereist, aber nicht wieder ausgereist sei. In meiner Darstellung mag es sich vielleicht auch so angehört haben, als wären sie, wie soll ich mich ausdrücken, nicht besonders zuverlässig. Ich habe noch einmal mit meinem Ministerium in Washington Rücksprache genommen und habe die Genehmigung, Ihnen und Ihrer Behörde ein wenig mehr entgegenzukommen. Wir kennen den Namen eines Tschechen, der vermutlich das Verschwinden Weisers bestätigen kann. Er heißt Miroslav. Ich werde sehen, was ich da tun kann.«

»Sagen Sie mir eines«, sagte Erlendur. »Verfügen Sie über ein Foto von Lothar Weiser, das Sie uns leihweise überlassen könnten?«

»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Quinn, »doch ich werde es überprüfen lassen. Es könnte aber eine Weile dauern.«

»Ich bedanke mich.«

»Aber, bitte, rechnen Sie nicht unbedingt damit«, sagte Quinn, bevor sie sich verabschiedeten.

Erlendur versuchte noch einmal, den ehemaligen Verkäufer anzurufen, und wollte schon fast wieder auflegen, als jemand an den Apparat ging. Der Mann hörte schlecht und glaubte, dass Erlendur von der Seniorenbetreuung war. Er beschwerte sich bitter über das Essen, das ihm mittags nach Hause gebracht wurde. »Es ist immer kalt«, sagte der Mann.

»Und das ist beileibe nicht alles«, fuhr er fort. Erlendur merkte, dass er im Begriff war, eine lange Litanei über das Schicksal alter Menschen in Reykjavik vom Stapel zu lassen.

»Ich bin von der Kriminalpolizei«, erklärte Erlendur laut und deutlich. »Ich möchte dir ein paar Fragen über einen deiner ehemaligen Kollegen stellen, der seinerzeit mit dir zusammen in dieser Firma für Landmaschinen gearbeitet hat. Er ist eines Tages verschwunden und seitdem hat man nie wieder etwas von ihm gehört.«

»Du meinst Leopold?«, fragte der Mann. »Wieso fragst du nach so langer Zeit nach ihm? Habt ihr ihn vielleicht gefunden?«

»Nein«, sagte Erlendur. »Wir haben ihn noch nicht gefunden. Kannst du dich an ihn erinnern?«

»Tja, ein bisschen«, sagte der Mann. »Wahrscheinlich wegen dem, was passiert ist, besser als an vieles andere. Weil er verschwunden ist. Hat er nicht irgendwo ein funkelnagelneues Auto rumstehen lassen?«

»Vor dem Busbahnhof«, sagte Erlendur. »Was für ein Mensch war er?«

»Was hast du gesagt?«

Erlendur war aufgestanden. Er wiederholte die Frage, indem er fast in die Muschel brüllte.

»Das lässt sich nicht so einfach sagen. Er war ein sehr reservierter Typ und hat nicht viel von sich erzählt. Er war wohl viel zur See gefahren, und ich glaube sogar, dass er nicht in Island zur Welt gekommen ist. Er sprach zumindest mit etwas Akzent. Und er hatte eine recht dunkle Haut, so gesehen, ich meine, er war kein Neger oder so was, aber er war nicht so leichenblass wie wir Isländer. Aber ansonsten ein freundlicher Mensch. Traurig, wie es mit ihm ausgegangen ist.«

»Er ist als Handelsreisender im ganzen Land herumgekommen«, sagte Erlendur.

»Ja, ja sicher, das haben wir ja alle gemacht. Sind von Hof zu Hof gezogen mit unseren Prospekten und haben versucht, den Bauern etwas zu verkaufen. Was das Reisen betrifft, hat er uns alle übertroffen. Er hat auch immer Brennivín dabeigehabt, verstehst du, um das Eis zu brechen. Die meisten von uns machten das, denn damit konnte man die potenziellen Käufer leichter zu einem Vertragsabschluss bringen.«

»Hattet ihr bestimmte Landesteile zu betreuen, ich meine, habt ihr irgendwie das Land unter euch aufgeteilt?«

»Nein, das gab es kaum. Die reichsten Bauern sind natürlich entweder in Südisland oder im Norden, und die haben wir unter uns aufgeteilt. Tja, und die meisten waren natürlich dick im Geschäft mit der verdammten Genossenschaft.«

»Hat Leopold irgendwelche Landesteile häufiger als andere besucht? Gab es Orte, wo er selber immer wieder hinwollte?«

Aus der Leitung kam eine ganze Weile nichts, und Erlendur stellte sich vor, wie der alte Mann versuchte, sich an Dinge im Zusammenhang mit Leopold zu erinnern, die er längst vergessen hatte.

»Wo du das so sagst«, kam schließlich die Antwort, »Leopold war ziemlich häufig in Ostisland, vor allem in den Fjorden im Südosten. Man könnte schon sagen, dass das seine bevorzugte Gegend war. Aber er war auch in Westisland und in den Westfjorden. Und auf Reykjanes. Er ist eigentlich überall gewesen.«

»Hat er viel verkauft?«

»Nein, das kann ich nicht sagen. Manchmal war er wochenlang unterwegs, vielleicht sogar monatelang, ohne dass viel dabei rumkam. Du müsstest eigentlich mit dem alten Benedikt, dem Chef, reden. Leopold war nicht so lange bei uns, und ich kann mich erinnern, dass es da ein bisschen Theater gab, weil er unbedingt eingestellt werden musste.«

»Weil er eingestellt werden musste?«

»Ich meine mich zu erinnern, dass seinetwegen jemand anderem gekündigt wurde. Benedikt hat bei ihm ziemlich Druck gemacht, obwohl er keineswegs mit ihm zufrieden war. Ich hab das nie kapiert. Unterhalte dich lieber mit ihm, sprich mit Benedikt.«


Sigurður Óli schaltete den Fernseher aus. Er hatte sich eine Zusammenfassung der isländischen Fußballspiele vom Wochenende angesehen, die spätabends ausgestrahlt wurde.


Bergþóra war in ihrem Damenclub. Als das Telefon klingelte, dachte er, sie sei es, und nahm ab. Sie war es aber nicht. »Entschuldige, dass ich dauernd bei dir anrufe«, sagte die Stimme in der Leitung. Sigurður Óli zögerte ein wenig, bevor er auflegte. Gleich darauf klingelte es wieder. Sigurður Óli starrte auf den Apparat. »Verdammt noch mal«, sagte er, als er abhob. »Nicht auflegen, bitte«, sagte der Mann. »Ich wollte nur ganz kurz mit dir sprechen. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich mit dir reden kann. Von dem Augenblick an, als du zu mir nach Hause kamst und mir die Nachricht überbracht hast.«

»Ich bin … im Ernst, ich bin nicht dein Seelsorger. Du gehst zu weit. Ich möchte, dass du damit aufhörst. Ich kann dir nicht helfen. Es war ein erbärmlicher Zufall und nichts anderes. Damit musst du dich abfinden. Versuch doch, das zu verstehen. Adiós.«

»Ich weiß, dass es Zufall war«, sagte der Mann. »Aber ich war es, der ihn bewirkt hat.«

»Niemand kann Zufälle bewirken«, sagte Sigurður Óli. »Sonst wären es ja keine Zufälle. Es fängt damit an, dass man in diese Welt hineingeboren wird.«

»Wenn ich sie nicht aufgehalten hätte, wären die beiden sicher nach Hause gekommen.«

»Das ist völlig absurd. Und du weißt es auch. Du kannst dir nicht die Schuld daran geben. Das kannst du einfach nicht machen. Es ist einfach ein Unding, sich an so etwas die Schuld zu geben.«

»Wieso nicht? Zufälle kommen nicht von allein zustande. Sie entstehen aus den Umständen, die wir schaffen. Wie an jenem Tag.«

»Das ist völlig absurd, und ich habe absolut keine Lust, darüber zu reden.«

»Weshalb?«

»Wenn wir uns von solchen fixen Ideen leiten lassen, wie sollen wir es dann je geregelt kriegen, irgendwelche Entscheidungen zu treffen? Deine Frau fuhr an diesem Tag zum Supermarkt, mit der Entscheidung hattest du nichts zu tun. War es dann vielleicht Selbstmord? Nein, natürlich nicht, sondern es war ein hirnrissiger Depp in einem Jeep und noch dazu besoffen. Nichts anderes.«

»Den Zufall habe ich bewirkt, denn ich habe sie angerufen.«

»Wenn du so weitermachst, können wir endlos darüber diskutieren«, sagte Sigurður Óli. »Sollen wir einen Ausflug aufs Land machen? Sollen wir ins Kino gehen? Sollen wir uns in einem Café treffen? Niemand würde es noch wagen, so etwas vorzuschlagen, aus lauter Angst, dass etwas passiert. Du bist absurd.«

»Genau darum geht es«, sagte der Mann. »Wie bitte?«

»Wie kriegen wir es geregelt?«

Sigurður Óli hörte Bergþóra zur Tür hereinkommen. »Jetzt muss ich Schluss machen«, erklärte er. »Das ist blanker Unsinn.«

»Ja, ich auch«, sagte der Mann. »Ich muss Schluss machen.« Dann legte er auf.

Загрузка...