Jemand hatte Kater Brown … vergiftet! Alexandras Blick streifte erneut den Teller mit der Soße, und sie spürte, wie ein Zittern ihren Körper überlief. Wer hatte das getan … und warum? Noch einmal stupste sie den Kater sachte an, aber er reagierte nicht. Tränen traten in ihre Augen, die sie hastig wegzublinzeln versuchte. Auf einmal stutzte sie. Da war doch …
Hatte sie sich das gerade nur eingebildet oder … atmete Kater Brown noch schwach? Sie beugte sich vor und legte behutsam das Ohr auf den weichen Katzenkörper. Nein, sie hatte sich nicht geirrt, der Kater atmete tatsächlich noch! Als Alexandra vorsichtig die Hand auf den schmalen Brustkorb legte, entfuhr ihr ein Laut der Erleichterung. Kater Browns kleines Herz schlug noch, wenn auch langsam, wie es ihr erschien.
Mit zitternden Händen zog sie das Handy aus der Hosentasche und wählte Tobias’ Nummer. Zum Glück meldete er sich schon nach dem zweiten Klingelton. »Komm in den Speisesaal, wir müssen zum Tierarzt! Sofort!«, rief sie aufgeregt und unterbrach die Verbindung.
Auf einem der hinteren Tische entdeckte Alexandra einen Stapel Tischdecken, die wohl für das Frühstück am nächsten Morgen bereitgelegt worden waren. Als sie mit drei Decken unter dem Arm zu Kater Brown zurückeilte, kam gerade Tobias in den Saal gestürmt, dicht gefolgt von Bruder Johannes, der offenbar dem aufgeregten Tobias begegnet und ihm gefolgt war.
»Was ist denn los?«, rief Tobias ihr zu.
»Hier!«, entgegnete sie. »Hinter dem Tisch!«
Während sie den reglosen Kater vorsichtig aufhob und ihn in die Decken bettete, hörte sie Tobias’ unterdrücktes Stöhnen. »Ist er … Ist er …?«
»Nein«, erwiderte sie. »Zum Glück lebt er noch.« So behutsam sie konnte, hob sie das Deckenbündel mit dem Kater auf den Arm. Der kleine Katzenkörper fühlte sich ganz schlaff an, als läge er in tiefer Narkose. Alexandra wies mit dem Kopf auf den Teller mit den Fleischbrocken. »Nimm du den da und komm mit!« Sie zwang sich zu einem ruhigeren Tonfall und wandte sich an Bruder Johannes: »Wo finden wir den nächsten Tierarzt?«
»Um diese Zeit?« Der Mönch schüttelte ratlos den Kopf. »Ja … da müssen Sie nach Neuerburg zu Doktor Erzbauer. Warten Sie, ich suche Ihnen die Adresse raus.« Noch während er redete, lief er vor ihnen her in Richtung Foyer.
»Du fährst«, entschied sie. »Ich kümmere mich unterwegs um Kater Brown.«
Bruder Johannes hielt ihnen einen Zettel hin, auf dem er in aller Eile die Adresse des Tierarztes sowie die Fahrtroute vermerkt hatte. »Das sind ungefähr zwanzig Kilometer, also werden Sie wohl um die fünfundzwanzig Minuten benötigen. Ich werde Doktor Erzbauer anrufen und Sie ankündigen«, sagte er und eilte mit ein paar ausholenden Schritten zur Tür, um sie aufzuschließen und sie ihnen aufzuhalten.
Tobias öffnete kurz darauf die Wagentür und klappte den Sitz zurück. »Ich nehme an, du möchtest mit dem kleinen Kerl hinten sitzen.«
Sie nickte und legte den Kater in seinem Deckenbett vorsichtig auf die Rückbank. Dabei fiel ihr Tobias’ schwarze Laptop-Tasche hinter dem Fahrersitz auf. »Du hast doch einen Mobilfunk-Stick?«
»Ja klar«, konnte er noch antworten, dann war sie auch schon eingestiegen. Als er kurz darauf den Motor startete, war Alexandra bereits damit beschäftigt, den Computer hochzufahren.
»Passwort?«, fragte sie ungeduldig.
»Skywalker.«
Sie tippte es ein, dann öffnete sie den Browser. »Bitte beeil dich, Tobias!«, forderte sie ihn auf, als er den Wagen zur Parkplatzausfahrt lenkte.
»Nach der Zeichnung zu urteilen müssen wir am Schullandheim vorbei, um nach Neuerburg zu kommen«, sagte Tobias. Nachdem er auf die Landstraße eingebogen war, gab er Gas.
»Wir fahren nicht nach Neuerburg«, antwortete Alexandra und tippte hastig auf der Tastatur herum.
Mit fliegenden Fingern zog sie ihr Handy hervor, wählte eine Nummer und wartete. »Ist da die Praxis Paressi? Ja, ich habe hier einen Kater, der vermutlich vergiftet wurde … Nein, bewusstlos … Ja, wir sind in Lengenich … Nein, nach Neuerburg ist es zu weit, finde ich … Ja, gut, vielen Dank … In zwanzig Minuten, würde ich sagen … Ja, bis gleich.«
Als sie das Gespräch beendet hatte, sah sie im Lichtschein, den der Monitor des Laptops verbreitete, dass Tobias den Kopf schüttelte.
»Wieso fahren wir nicht zu Doktor Erzbauer nach Neuerburg?«
»Wir fahren nach Echternacherbrück«, erklärte Alexandra. »Das ist ein wenig näher als Neuerburg. Trotzdem: Beeil dich!«, bat sie und vergrößerte auf dem Laptop die Karte mit der Fahrtroute.
»Ich würde meinen Führerschein zwar noch gern eine Weile behalten …«
Alexandra schien ihn gar nicht gehört zu haben. Sie schaute konzentriert an der Kopfstütze vorbei durch die Windschutzscheibe in die Dunkelheit. »Da vorne links, der Hauptstraße nach.«
Bäume und Büsche zuckten im Scheinwerferlicht vorüber, während Alexandra sich nervös auf die Unterlippe biss und immer wieder einen besorgten Blick auf den bewusstlosen Kater Brown warf. Alexandras Herz klopfte zum Zerspringen! Hoffentlich erreichten sie die Tierarztpraxis noch rechtzeitig!
»Da ist es!«, sagte Alexandra erleichtert, als sie um zwei Minuten nach elf mit quietschenden Reifen in der Einfahrt zu einem Einfamilienhaus am Ufer der Sauer zum Stehen kamen. In weiser Voraussicht hatte die Ärztin die Leuchtreklame eingeschaltet, die auf die Tierarztpraxis hinwies.
Kaum hatte Tobias den Wagen geparkt, sprang er auch schon hinaus und öffnete die Tür, um Alexandra, die den Kater aufgenommen hatte, beim Aussteigen zu helfen.
»Denk an das Fleisch!«, rief sie ihm zu und eilte über den Rasen zu einer Treppe, die in die im Souterrain gelegene Praxis führte.
Als Tobias ins Sprechzimmer kam, hatte Alexandra der Ärztin bereits alles erklärt, was sie über den Zustand des Katers wusste. Kater Brown lag auf einem Behandlungstisch aus glänzendem Edelstahl, der zum Teil von einer Plastikmatte bedeckt war.
Dr. Paressi war eine zierliche Frau Mitte dreißig mit fast schwarzem Lockenkopf, bei deren Statur sich Alexandra unwillkürlich fragte, wie diese Frau wohl die Kraft aufbrachte, um einen schweren Hund, beispielsweise einen Berner Sennenhund oder einen Rottweiler, zu behandeln.
Dr. Paressi leuchtete Kater Brown mit einer schmalen Stifttaschenlampe in die Augen, horchte ihn gründlich ab und drückte vorsichtig die Kiefer auseinander, um ihm in den Rachen zu sehen.
»Davon hat er wohl gefressen«, erklärte Tobias und deutete auf den Teller mit den Fleischbrocken, den er auf dem Tresen links vom Behandlungstisch abstellte. »Ein wenig davon hat er erbrochen.«
»Wie viel er gefressen hat, wissen wir nicht«, ergänzte Alexandra. »Wir hatten ihn eine Weile nicht gesehen.«
»Ja, verstehe«, erwiderte die Tierärztin und fuhr mit der Untersuchung fort.
»Und? Was können Sie uns sagen?«, drängte Alexandra, die sich schreckliche Sorgen um Kater Brown machte.
»Ich möchte mich erst genauer äußern, wenn ich meine Untersuchung abgeschlossen habe«, erwiderte die Frau ruhig und sachlich. Ganz offensichtlich war sie den Umgang mit besorgten Tierhaltern gewohnt und ließ sich von deren Nervosität nicht anstecken. »Ich möchte Sie zu diesem Zeitpunkt weder unnötig aufregen noch bei Ihnen eine womöglich trügerische Zuversicht wecken. Ich werde den Kater behandeln. Aber Sie fahren jetzt bitte wieder nach Hause. Sobald ich Genaueres weiß, werde ich Sie anrufen. Geben Sie mir bitte Ihre Adresse und eine Telefonnummer, unter der ich Sie heute Nacht erreichen kann.« Sie reichte Tobias einen Zettel, er begann sofort zu schreiben. »Und das ist Ihr Kater?« Sie schaute Alexandra freundlich an.
»Nein, Kater Brown lebt im Klosterhotel ›Zur inneren Einkehr‹ in Lengenich. Dort wohnen wir zurzeit.«
»Und Sie sind zu mir gekommen, weil Ihnen die Praxis von Doktor Erzbauer zu weit entfernt schien?«
»Ja, eigentlich hatte man uns dorthin geschickt. Einer der Mönche wollte uns auch telefonisch bei ihm anmelden …«
»Hm«, murmelte die Ärztin, die nun mehrere Spritzen bereitlegte und Fläschchen mit farblosen Lösungen aus einem kleinen Kühlschrank nahm. »Bei ihm anmelden. Interessant.«
Alexandra sah hilfesuchend zu Tobias. »Warum das?«
Dr. Paressi schaute zwischen den beiden hin und her. »Nun, er wird Doktor Erzbauer nicht erreicht haben. Der Kollege ist leider vor etwa vier Wochen bei einer Wanderung in den Alpen tödlich verunglückt, und die Praxis ist seitdem geschlossen.«
Alexandra schnappte erschrocken nach Luft. »Dann … dann wären wir vergeblich zu ihm gefahren?«
Die Ärztin nickte. »Sie hätten einen großen Umweg fahren müssen und wären wahrscheinlich zu spät bei mir eingetroffen. Ein Glück für Kater Brown, dass Sie sich gleich anders entschieden hatten.« Während sie eine Spritze aufzog, fügte sie hinzu: »Über die genauen Hintergründe, wie der Kater an dieses Fleisch dort kam, werden Sie mich noch genauer informieren müssen. Aber nicht jetzt. Jetzt habe ich zu tun.«
»Sie sind doch auch der Meinung, dass Kater Brown vergiftet wurde, oder?«, vergewisserte sich Alexandra.
Die Ärztin nickte. »So sieht es für mich aus. Lassen Sie mich jetzt bitte meine Arbeit machen, ich rufe Sie an.«
Sie verabschiedeten sich und warfen einen letzten Blick auf den reglos auf dem Behandlungstisch liegenden Kater. »Viel Glück, mein Kleiner!«, raunte Alexandra ihm noch zu, dann kehrten sie zu Tobias’ Leihwagen zurück. Tobias hatte tröstend einen Arm um Alexandra gelegt.
In diesem Moment klingelte ihr Handy, und ihr blieb vor Schreck beinahe das Herz stehen. Sie wollte sich schon umdrehen und zurück in die Praxis laufen, als sie auf dem Display eine ihr fremde Handynummer sah. Das war nicht Dr. Paressis Nummer!
»Hallo?«, meldete sie sich zögerlich.
»Frau Berger?«, tönte eine aufgeregte Männerstimme an ihr Ohr. Schnell schaltete sie das Telefon auf Lautsprecher. »Hier ist Bruder Johannes.«
»Ja … Was gibt es denn?«
»Gott sei Dank! Ich habe schon dreimal versucht, Sie zu erreichen, bin aber irgendwie nicht durchgekommen. Hören Sie, bei Doktor Erzbauer hat sich niemand gemeldet, und ich musste mich erst nach einem anderen Tierarzt umhören. Ich kenne mich da nicht so gut aus. Von einem Mitbruder habe ich schließlich erfahren, dass Doktor Erzbauer vor Kurzem verstorben ist. Ich habe sofort nach einer anderen Adresse gesucht und …«
»Es hat sich bereits erledigt«, unterbrach sie ihn beschwichtigend.
»Ist Kater Brown etwa …?«
»Nein, er wird jetzt gerade behandelt. Der Tierarzt macht einen recht kompetenten Eindruck, aber … Na ja«, sie seufzte besorgt, »wir müssen abwarten. Hoffentlich kann Kater Brown noch geholfen werden!«
»Sie müssen fest daran glauben, Frau Berger. Das tue ich auch«, versuchte Bruder Johannes, sie aufzumuntern. »Wir beten hier für ihn, vielleicht möchten Sie sich uns ja später anschließen.«
»Mal sehen«, sagte sie ausweichend, bedankte sich und beendete das Telefonat.
Gemeinsam gingen sie zu Tobias’ Wagen und stiegen ein, als Alexandras Handy den Eingang einer SMS meldete. »Hm«, murmelte sie und öffnete die Kurznachricht.
»Was ist?«
»Eine SMS von Assmann: Bekomme gleich Hr. Wildens Laptop ausgehändigt.«
»Von wem?«, wollte Tobias wissen.
»Das schreibt er nicht.«
»Dann unterhalten wir uns sofort mit ihm, wenn wir zurück im Kloster sind.«
Es war bereits nach Mitternacht, als sie auf den dunklen Parkplatz des Klosterhotels einbogen und den Polo parkten.
Alexandra sah kurz zu ihrem Auto hinüber. »Guck mal, Assmann scheint für die Übergabe weggefahren zu sein. Jedenfalls steht sein Cabrio nicht mehr auf dem Platz neben meinem Auto. Heute Mittag parkte er doch dort.« Sie stieg aus und ging ein paar Schritte, bis Tobias bei ihr war. »Ich kann es gar nicht fassen, dass jemand versucht hat, Kater Brown zu vergiften … und vielleicht ist es ihm sogar gelungen. Aber wer macht so was … und vor allem: warum?«
»Verrückte gibt es überall«, erwiderte Tobias mit sanfter Stimme. »Das ist ja das Schlimme.«
»Nein, ich halte das nicht für die Tat eines Verrückten. Hast du den Teller gesehen? Das waren keine Küchenabfälle und auch kein Katzenfeuchtfutter, sondern in kleine Würfel geschnittenes Rindfleisch ohne Fett oder Sehnen. Das muss jemand extra beschafft und sorgsam mit Gift präpariert haben. Und dann diese seltsame Soße! Ich fand ja, sie roch fischig.«
»Wenn es nicht das Werk eines Verrückten war – welchen Sinn sollte der Giftanschlag denn sonst haben? Kater Brown ist nicht gerade der Typ Zeuge, den man zum Schweigen bringen muss. Schließlich kann er nicht zur Polizei gehen und den Täter anzeigen.«
»Vielleicht soll der Anschlag eine Art Warnung sein«, gab sie zurück. »Oder aber: Kater Brown weiß wirklich noch etwas, das dem Mörder gefährlich werden kann.« Alexandra stutzte. »Außerdem haben wir noch eine neue Erkenntnis über den Täter gewonnen. Er hat offenbar nicht im Affekt gehandelt, sondern ist bereit weiterzumachen. Und wenn er den Kater so einfach vergiftet, scheint er auch vor einem weiteren Mord nicht zurückzuschrecken.«
Tobias schaute sie nachdenklich an. »Aber wer könnte das sein? Wer geht so weit? Wer gewinnt bei der Sache? Assmann? Will er uns davon abbringen, nach Wildens Mörder zu suchen?«
»Es muss nicht Kurt Assmann sein. Es kann jeder von Wildens Truppe gewesen sein. Oder einer der Mönche …«
Tobias blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, oder? Die Mönche würden doch nicht ihr eigenes Maskottchen umbringen.«
»Überleg mal, der Kater hat uns auf die Leiche im Brunnen aufmerksam gemacht, in den so schnell wohl niemand einen Blick geworfen hätte, wäre Kater Brown nicht auf die Idee gekommen, dieses Theater auf dem Brunnenrand zu veranstalten.«
»Sicher, doch früher oder später hätte man die Leiche trotzdem gefunden.«
»Das ja«, stimmte sie ihm zu. »Aber die Leiche wäre nicht heute Morgen gefunden worden, sondern vielleicht nächste Woche. Möglicherweise wurde der Tote zu früh entdeckt, und der Täter muss jetzt Zeit schinden.«
Tobias seufzte leise.
Alexandra fuhr fort: »Denk mal daran, worüber wir gesprochen haben, als wir heute Morgen aus dem Zimmer von Bruder Johannes kamen. Wir unterhielten uns darüber, dass wir es wohl Kater Brown zu verdanken haben, dass wir einen Blick in den Brunnenschacht geworfen haben. Als wir das Zimmer verließen, war da dieser andere Mönch, dieser Bruder … Harald …?«
»Hartmut, wenn ich mich nicht irre«, warf Tobias ein.
»Ja, richtig, Bruder Hartmut! Er stand da und hörte uns über Kater Brown reden. Kurz darauf hat der Kater mich in den Keller geführt, wo ich Bruder Dietmar und Bruder Siegmund belauscht habe, wie sie wegen irgendeiner Sache stritten, die Bruder Johannes nicht erfahren soll. Kater Brown hat sich im Keller vor eine Tür gesetzt, als wartete er darauf, dass ich sie ihm öffne. Die beiden Mönche haben mir zwar diese Geschichte von der vertauschten Bettwäsche aufgetischt, doch ich bin mir sicher, es steckt irgendetwas anderes dahinter. Möglicherweise hat es mit dem zu tun, was sich hinter dieser Tür im Keller befindet. Wenn Bruder Hartmut ebenfalls eingeweiht ist, dann könnten die drei auf die Idee gekommen sein, den Kater aus dem Weg zu räumen, damit er mich … uns nicht zu der Sache führt, die sie sogar vor Bruder Johannes geheim halten wollen.« Sie ließ eine kleine Pause folgen. Schließlich fuhr sie fort: »Die Frage ist natürlich, ob der Mord an Wilden überhaupt mit dem Geheimnis der Mönche in Zusammenhang steht. Ich meine, es könnte ja auch purer Zufall sein, dass Wilden von irgendeinem seiner Angestellten ermordet wird und dass gleichzeitig irgendetwas in diesem Kloster vertuscht werden soll.«
»Und Bruder Johannes? Verdächtigst du ihn auch, den Giftanschlag auf Kater Brown verübt zu haben?«
»Nein«, sagte sie. »Zugegeben, komisch war das eben schon. Erst schickt er uns zu diesem Doktor Erzbauer, und gerade als wir dort angekommen sein müssten, ruft er an und erzählt uns, dass der Arzt tot ist. Aber Doktor Erzbauer hat in Neuerburg praktiziert, nicht in Lengenich, und im Kloster gibt es außer Kater Brown keine Tiere. Also wird Bruder Johannes einfach nicht gewusst haben, dass Doktor Erzbauer gar nicht mehr lebt.«
»Und trotzdem hast du ihm gegenüber von einem Tierarzt gesprochen, der Kater Brown jetzt behandelt. Und du hast auch nicht den Namen Paressi erwähnt. Wieso?«
»Weil ich verhindern will, dass es unserem Unbekannten doch noch gelingt, Kater Brown zu töten. Ich weiß nicht, mit wem Bruder Johannes über den Giftanschlag sprechen wird, aber wenn derjenige, der den Kater vergiftet hat, herausfindet, wo das Tier in Behandlung ist …« Sie unterbrach sich kurz. »Nicht, dass der Giftattentäter noch einmal zuschlägt.«
Tobias atmete seufzend aus. Die Wolkendecke riss auf, und im fahlen Licht der Sterne gingen sie ein Stück und lehnten sich schließlich Seite an Seite gegen den Holzzaun, der um den Parkplatz herum verlief. »Hm, ich weiß nicht. Das wäre doch ein wenig riskant … Und deine Theorie von der Verschwörung der Mönche scheint mir auch weit hergeholt zu sein.«
Eine Weile schwiegen sie, während jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Alexandra legte den Kopf in den Nacken. »Sieh dir nur diese Sterne an! Ist das nicht ein unglaublich schöner Anblick? Und so ruhig. Dort oben gibt es keine Hektik, wie wir sie seit heute Morgen ohne Pause erleben.«
»Was mich so fasziniert, ist die Tatsache, dass wir immer nur die Vergangenheit sehen. Ich weiß gar nicht, wie Menschen allen Ernstes glauben können, anhand der Sterne die Zukunft voraussagen zu können, wenn die Sterne einem doch ein Bild zeigen, das Jahrtausende alt ist.«
Alexandra warf ihm einen fragenden Seitenblick zu.
»Na, die Sterne sind doch zigtausend Lichtjahre entfernt, und das Licht, das wir jetzt gerade sehen, ist schon vor zigtausend Jahren auf die Reise zu uns gegangen. Wenn wir heute Nacht da oben einen Alien beobachten könnten, der ein Schild mit der Aufschrift Helft uns! hochhält, dann käme jede Hilfe von unserer Seite zu spät, weil die Welt des Außerirdischen vielleicht bereits vor dreißigtausend Jahren untergegangen ist. Denn überleg mal, selbst wenn wir in der Lage wären, so schnell wie das Licht durchs All zu reisen, würden wir für diese Strecke dreißigtausend Jahre benötigen, und dann wären bei unserer Ankunft sechzigtausend Jahre seit dem Moment vergangen, als dieser Alien sein Schild hochgehalten hat.«
»So habe ich das Ganze noch nie betrachtet.«
»Tja, ch bringe dich eben auf ganz andere Gedanken.« Alexandra schaute ihn an, dann wieder weg.
Tobias räusperte sich. »Ich …«
Als er verstummte, wandte sie ihm den Kopf zu und schaute ihn erneut an. Obwohl es dunkel war, meinte sie, im fahlen Sternenlicht einen merkwürdigen Ausdruck in Tobias’ Augen zu bemerken.
»Ja?«, brachte sie ein wenig heiser heraus. Unschlüssig biss sie sich auf die Unterlippe.
Was war los mit ihm? Und was war mit ihr selbst los? Was hatte er ihr sagen wollen? Vielleicht war das einer dieser Momente, die etwas zu bedeuten haben. Sollte sie nachhaken? Doch dann verließ sie der Mut und sie senkte den Blick.
Tobias setzte noch einmal zum Reden an. »Alexandra, ich …«
»Ja?« Alexandra schluckte.
»Ich muss Dir etwas sagen …« Plötzlich traf ihn unvermittelt ein greller Lichtstrahl ins Gesicht, sodass Tobias die Augen zusammenkneifen musste.