Gegen halb eins, als sie den Wagen auf dem Parkplatz vor dem Klosterhotel abstellten, waren die Angestellten des Laurentius-Hilfswerks noch immer mit ihren Drachen beschäftigt. Alexandra und Tobias hatten zuvor an einer Tankstelle angehalten und zwei Paletten Dosenfutter für Kater Brown und eine Auswahl an Fertigsalaten, Sandwiches und Würstchen im Glas sowie eine Kiste Wasser und einige Flaschen Cola für sich selbst gekauft. Ganz egal, was aus der Klosterküche kommen würde, sie würden davon nichts mehr anrühren. Vielleicht waren sie beide ja nun auch zur Zielscheibe des Giftattentäters geworden.
Sie wollten gerade aussteigen, da klingelte Tobias’ Handy. Er unterhielt sich einige Minuten mit jemandem, dann steckte er das Telefon wieder in die Hemdtasche. »Das war Ekki«, sagte er. »Er hat an diesem Sonderheft mitgearbeitet, von dem wir gesprochen haben. Ekki hatte Wildens Handynummer bekommen, und siehe da – er hat das Handy gefunden!«
Alexandras Augen leuchteten auf. »Wo ist es?«
»Langsam, langsam«, erwiderte er. »Ekki hat die letzte bekannte Position des Handys feststellen können, aber ich muss dich vorwarnen: Wir können uns nicht auf ihn berufen; er würde alles abstreiten. Seine Methoden sind nicht ganz legal. Er arbeitet mit Programmen, mit denen er sich in alle möglichen Rechner einklinken kann, um Infos zu sammeln.«
»Und wo ist das Handy?«
»Irgendwo hier in Klosternähe. Der Sendemast oben im Glockenturm …«
»Da ist ein Sendemast eingebaut?«, wunderte sie sich. »Woher weißt du das?«
»Auch von Ekki. Also, der Sendemast hat gestern in den frühen Morgenstunden das letzte Mal ein Signal von Wildens Handy empfangen, irgendwann zwischen drei und vier Uhr. Das haben andere Sendemasten auch, und anhand ihrer Position hat Ekki feststellen können, dass sich das Handy in einem Abstand von maximal rund hundert Metern nördlich des Klosters befunden hat. Das heißt, es ist nicht im Brunnen gelandet.«
»Befunden hat?«, fragte sie.
»Ja. Wenn der Täter es dann abgeschaltet und mitgenommen hat, befindet es sich folglich nicht mehr an dieser Stelle. Und da das Gerät seitdem nicht mehr eingeschaltet wurde, lässt sich auch nicht sagen, wo es jetzt ist.«
»Zwischen drei und vier Uhr war es noch irgendwo hier«, murmelte sie. »Dann hat Wilden um diese Zeit also noch gelebt …«
»Nicht zwangsläufig«, wandte Tobias ein. »Vielleicht hat der Täter ihn beispielsweise um elf Uhr am Freitagabend erschlagen und in den Brunnen geworfen, und später hat er sich auf die Suche nach dem Handy gemacht. Möglicherweise weil ihm da erst eingefallen ist, dass er es besser beseitigen sollte, da er ihn zuvor angerufen hatte.«
Alexandra grübelte eine Weile über diese Worte nach. »Eins macht mich aber stutzig. Wieso kam das letzte Signal von hier, vom Parkplatz? Ich meine, wenn der Täter Wilden hier niedergeschlagen hat, während der meinetwegen telefonierte, dann hätte der Mörder das Handy doch schnell einstecken und Wilden zum Brunnen schaffen können. In diesem Fall musste er sich beeilen, um nicht beobachtet zu werden. Um das Handy konnte er sich da bestimmt erst später kümmern, nachdem er die Leiche beseitigt hatte. Oder dem Täter fiel erst später ein, dass das Handy möglicherweise noch im Wagen lag. Dann musste er ebenfalls schnell handeln, zum Auto laufen, das Gerät einstecken und das Weite suchen und es erst danach ausschalten. In beiden Fällen wäre das letzte Signal dann aber von woanders gekommen.«
Tobias schaute sie mit fragender Miene an. »Worauf genau willst du hinaus?«
»Dass das Handy vielleicht doch noch im Wagen liegt. Möglicherweise hat der Akku einfach irgendwann zwischen drei und vier Uhr den Geist aufgegeben, und das Gerät hat sich abgeschaltet. Darum kam das letzte Signal von Parkplatz.«
Alexandra kramte in der Türablage, dann hielt sie Wildens Porsche-Schlüssel in der Hand. »Wusste ich doch, dass ich ihn da reingesteckt hatte!«
Auf einmal stieß Kater Brown ein lautes, ungehaltenes Miauen aus. Es schien fast so, als wollte er sagen: Hört auf zu diskutieren und sucht das Handy lieber!
Noch einmal stellten sie den Porsche auf den Kopf und suchten in jedem Fach und in jeder Ablage nach Wildens Mobiltelefon. Kater Brown hatte es sich auf der Motorhaube gemütlich gemacht, die von der Sonne angenehm aufgeheizt war. Die Leine hatte Alexandra ein Stück abgerollt und am Außenspiegel befestigt, damit der Kater ihr nicht entwischen konnte.
»Sieht nicht gut aus!«, seufzte sie entmutigt.
»So ein Mist! Ohne Wildens Handy sind wir so schlau wie vorher.«
»Mag sein. Aber es ist ja auch nur eine Vermutung, dass es uns zum Täter führen könnte.« Sie stützte sich auf dem Fahrersitz ab, um sich aufzurichten, als ihre Fingerspitzen in dem schmalen Raum zwischen Sitz und Mittelkonsole etwas Hartes berührten. Alexandra drückte das Polster zur Seite und schaute in einen nur wenige Millimeter breiten Spalt, in dem etwas Schwarzglänzendes steckte. »Tobias, komm mal!«
Er beugte sich über den Beifahrersitz und linste in den Spalt. »Hm, das gehört wohl nicht dahin.« Tobias schob die Finger in den Zwischenraum. Gleich darauf schüttelte er den Kopf. »Da komm ich nicht ran.«
Hastig schaute er sich um, dann öffnete er das Handschuhfach und nahm ein Taschenmesser heraus. Langsam schob er die große Klinge in den Spalt neben der Mittelkonsole und drückte die Spitze seitlich gegen das schwarze Objekt, um es nach oben zu bewegen. Gerade als er kurz davor war, die äußerste Ecke mit den Fingerspitzen zu fassen zu bekommen, verlor die Klinge den Halt, das schwarze Objekt rutschte zurück in den Spalt … und verschwand dann völlig.
»Nein!«, schimpfte er so laut, dass Kater Brown auf der Motorhaube erschrocken in die Höhe fuhr. Seine Ohren zuckten nervös, als er näher kam und durch die Windschutzscheibe ins Wageninnere schaute.
»Augenblick mal«, murmelte Alexandra und schob tastend die Hand unter den Fahrersitz. Plötzlich hellte sich ihre Miene auf, und sie zog den Arm zurück, um ihren Fund zu präsentieren: ein Smartphone.
Rasch betätigte sie den Ein/AusSchalter. Dann verzog sie den Mund. »Der Akku ist tatsächlich leer. Wir müssen das Handy erst aufladen.«
»Gib mal her!«, sagte er und nahm das Gerät an sich. »Ich glaube, da habe ich genau das Richtige.« Er kramte erneut im Handschuhfach und förderte ein weißes Kabel zutage. »Das Ladekabel«, verkündete er freudestrahlend und verband das Handy mit dem Zigarettenanzünder. Die Anzeige ließ erkennen, dass der Akku geladen wurde, aber als Tobias das Telefon nach einer halben Minute versuchsweise einschaltete, funktionierte es zwar, aber er wurde sogleich nach dem Passwort gefragt. Tobias ließ die Schultern hängen. »Das Handy funktioniert noch, doch ich brauche ein Passwort.«
»Oh Mann, das kann ja alles sein«, stöhnte Alexandra frustriert. »Und jetzt?«
»Tja, da muss Ekki wohl noch mal ran.« Tobias hob eine Hand. »Aber versprich dir nicht zu viel davon! Vielleicht kann er das Passwort ja gar nicht knacken. Jedenfalls wird ihm das nicht in fünf Minuten gelingen.«
»Dann ruf ihn sofort an. Umso schneller kann er sich an die Arbeit machen«, sagte sie. Während Tobias mit dem Kollegen telefonierte, löste Alexandra die Leine vom Außenspiegel. Kater Brown sprang von der Motorhaube und rieb den Kopf an Alexandras Beinen. »Wir können uns ja derweil im Keller umsehen«, schlug sie vor, als Tobias das Gespräch beendet hatte. »Mal schauen, ob wir jetzt unbemerkt an den Schlüsselbund kommen!«
Tobias nickte. »Wildens Handy ist übrigens noch angeschlossen, damit es aufgeladen wird«, ließ er sie wissen. »Ich habe die Konsole geschlossen, damit niemand das Gerät sehen kann und auf die Idee kommt, den Wagen aufzubrechen, um es doch noch verschwinden zu lassen.«
»Okay, alles klar.« Alexandra schloss Wildens Wagen ab, dann gingen sie, jeder mit einer schweren Einkaufstasche bepackt, zum Kloster. Kater Brown trottete in einigem Abstand hinter ihnen her, was dank der Auszugleine kein Problem war.
»Das Geschirr scheint ihn so wenig zu stören wie die Leine«, merkte Tobias an.
»Ja, er ist schon etwas ganz Besonderes, finde ich.« Sie drehte sich um und stutzte. »Wo ist er hin?« Sie folgte dem Verlauf der Leine und stellte fest, dass Kater Brown in den Seitenweg eingebogen war, der zur Kapelle neben dem Kloster führte. »He, du Räuber, komm her!«, rief sie, aber der Kater sah nicht zu ihr zurück, sondern marschierte zielstrebig weiter. Alexandra wartete schmunzelnd, bis das Ende der Leine erreicht war. Kater Brown blieb stehen, als er den Widerstand bemerkte, und drehte sich um. Seine Augen funkelten vorwurfsvoll, und er ließ ein sehr energisches Miauen hören.
»Nein, du kommst jetzt her«, erwiderte Alexandra und zog an der Leine.
Der Kater blieb störrisch stehen, miaute erneut … und warf sich auf den Boden!
»Das darf doch wohl nicht wahr sein«, sagte sie. »Der hinterlistige Kerl weiß ganz genau, dass ich ihn nie und nimmer einfach über den Boden schleifen würde.«
Sie stellte die Einkaufstasche ab und ging zu dem Kater, der auf der Seite lag und sie herausfordernd ansah. Seine Schwanzspitze zuckte hin und her. Kurz bevor Alexandra ihn erreicht hatte, sprang er jedoch auf und jagte weiter in Richtung Kapelle. Alexandra hätte den Stopp-Knopf der Leine drücken können, um Kater Brown aufzuhalten. Doch sie ließ ihn gewähren. Als erneut das Ende der Leine erreicht war, warf er sich wieder auf den Boden.
»Ich schätze, das dauert noch ein bisschen«, rief sie Tobias zu, der das Schauspiel mit einem ausgelassenen Lachen kommentierte.
»Ich bringe schon mal die Taschen hinein und schaue noch einmal nach Assmann. Vielleicht hat er sich ja inzwischen blicken lassen«, erwiderte er und ging davon.
Alexandra trat auf Kater Brown zu, hakte diesmal jedoch die Leine ein, damit er nicht noch einmal entwischen konnte. Der Kater stand auf und kam ihr entgegengelaufen. Aber während Alexandra sich bückte, um ihn auf den Arm zu nehmen, ließ sie den Einraste-Knopf los, und Kater Brown schlug einen Haken, lief zweimal um sie herum und blieb dann stehen.
Er hatte Alexandra die Leine so eng um die Beine gezogen, dass sie keinen Schritt mehr gehen konnte. »He, was ist denn in dich gefahren? Willst du, dass ich mir das Genick breche?«
Sie drehte sich um ihre eigene Achse, bis sie sich befreit hatte, und das nutzte der Kater, um noch ein Stück weiterzulaufen. Alexandra schüttelte nachdenklich den Kopf und ließ die Leine locker. Sie wollte herausfinden, was Kater Brown ihr nun schon wieder zeigen wollte. Sein Ziel war offenbar die Kapelle – eine Erkenntnis, die ihr plötzlich ein ungutes Gefühl in der Magengegend verursachte.
Alexandra griff nach ihrem Handy und wählte Tobias’ Nummer. »Komm mal schnell zur Kapelle! Ich glaube, unser Sherlock Brown ist auf eine neue Fährte gestoßen!«
Langsam folgte sie dem Kater zu der zweiflügeligen Holztür der Kapelle. Das kleine Gebäude war komplett mit einem mobilen Zaun umgeben, um Unbefugte am Betreten der Baustelle zu hindern.
»Was ist denn los?«, rief Tobias und kam herbeigelaufen.
»Der Kater dirigiert mich zielstrebig zur Kapelle«, entgegnete sie. »Das gefällt mir gar nicht.«
Alexandra sah sich den Zaun genauer an und entdeckte eine Lücke. »Hier ist ein Element aus dem Betonsockel gehoben worden. Jemand könnte diesen Abschnitt des Zauns wieder an den Sockel herangeschoben haben, nachdem er sich durch die Lücke gezwängt hat.«
»Du denkst an Assmann, nicht wahr?«
Sie nickte bedächtig und wurde mit einem Mal ganz blass. »Komm, lass uns nachsehen! Und dann rufen wir die Polizei. Das hätten wir vielleicht schon heute Morgen tun sollen.«
Kater Brown hatte sich einen Weg zwischen den Gitterelementen hindurch gebahnt und zog ungeduldig an der Leine. Endlich hatte er sie so weit, dass sie ihm folgten!
Tobias schob das Gitter zur Seite, sodass sie hinter die Absperrung und in die Kapelle gelangen konnten. Alexandra zog die Tür einen Spaltbreit auf und spähte ins Innere des kleinen Gotteshauses. Die hohen Fenster zu beiden Seiten der Kapelle waren zum Schutz mit einer lichtdurchlässigen Folie zugehängt worden. Im Innern der Kapelle war es beinahe taghell.
Alexandra hatte eben zwei Schritte in das Gotteshaus gemacht, als sie entsetzt aufschrie. Nicht einmal vier Meter vom Eingang entfernt lag eine gekrümmte Gestalt auf den dunkelroten Fliesen. Assmann! Sein Gesicht war ihnen zugewandt, die weit geöffneten Augen starrten ins Leere. Sein Hinterkopf präsentierte sich als eine einzige blutige Masse. Gleich daneben lagen die Überreste einer steinernen Statue, die vermutlich zuerst Assmanns Schädel zertrümmert hatte und dann auf dem Steinboden in tausend Stücke zersprungen war.
Alexandra hielt sich erschrocken eine zitternde Hand vor den Mund, während Tobias nur dastand und ungläubig den Kopf schüttelte. Auch er war unter der Sonnenbräune blass geworden.
Kater Brown setzte sich in einigem Abstand von dem Toten hin, blinzelte mehrmals und schaute sich dann mit leicht zusammengekniffenen Augen in der Kapelle um.
Nachdem Alexandra sich wieder ein wenig gefasst hatte, folgte sie seinem Beispiel. Schließlich legte sie den Kopf in den Nacken und sah nach oben. »Von da ist die Figur runtergefallen«, murmelte sie und zeigte auf die Empore. »Oder runtergestoßen worden.« Auf der Balustrade standen in gleichmäßigen Abständen Heiligenskulpturen; nur an einer Stelle klaffte eine Lücke.
Skeptisch schüttelte Tobias den Kopf. »Ich weiß nicht. Wie groß sind die Chancen, dass das Opfer von einer solchen Figur tatsächlich getroffen wird? Von einem tödlichen Treffer ganz zu schweigen. Überleg mal, von da oben konnte der Täter sein Opfer nicht einmal sehen. Es hätte sich schon unmittelbar unter ihm befinden müssen, damit er einen Treffer erzielen konnte, und es durfte sich auch nicht von der Stelle rühren. Aber Assmann wurde am späten Abend in die Kapelle gelockt. Da war es längst dunkel. Bestimmt hat er sich besonders vorsichtig hier bewegt und auf jedes Geräusch geachtet. Wenn eine Statue bewegt wird, knirscht es. Assmann wäre vorgewarnt gewesen …« Tobias schüttelte den Kopf. »Nein, ich denke, er ist hier unten niedergeschlagen worden.« Er sah mit zusammengekniffenen Augen zur Empore hinauf. »Guck mal, an der Stelle, wo die Steinskulptur gestanden hat, ragt ein großer Metallstift in die Höhe; damit war die Skulptur offenbar befestigt. Da ist jemand also ganz geplant vorgegangen und hat die Heiligenfigur im Vorfeld gelöst.«
Alexandra gab ihm die Leine, dann ging sie langsam hin und her. Ihr Blick war die ganze Zeit über auf den Boden gerichtet. »Zu schade, dass man nach der letzten Renovierungsrunde hier alles gefegt und gewischt hat, sonst könnten wir auf dem Boden wenigstens die Spuren des Täters zurückverfolgen.« Sie kniete sich hin. »Sieh dir das einmal an!«
Tobias kam zu ihr und ging neben ihr in die Hocke.
»Diese Fliese hier«, erklärte sie. »Sie ist zersplittert, als wäre etwas Schweres hier aufgeschlagen.«
Er schaute nach oben. »Das würde passen. Wenn man die Figur da oben über die Brüstung geschoben hat, hätte sie ungefähr hier landen können. Allerdings wurde Assmann einen Meter von hier entfernt von der Skulptur getroffen.«
Alexandra richtete sich auf und grübelte. »Das passt alles irgendwie nicht zusammen.« Sie ging die hölzerne Wendeltreppe hinauf, die auf die Empore führte, und betrachtete die Szene von oben. Nach ein paar Augenblicken kehrte sie zu Tobias zurück. »Vielleicht ist das Ganze hier extra so angeordnet worden, um den Eindruck zu erwecken, dass Assmann von der Steinskulptur getroffen wurde. Okay, das wurde er auch, das zeigt ja das Blut an den Bruchstücken. Aber ich würde sagen, er wurde bereits beim Eintreten niedergeschlagen. Dann hat der Täter ihn unter der Empore platziert …«
»Der Mörder hat die Figur also zuvor von der Empore nach unten geschafft, um damit auf Assmann einzuschlagen. Anschließend hat er sie wieder nach oben gebracht und von der Brüstung geworfen, um einen Unfall vorzutäuschen.«
»Aber dabei musste er Assmann unbedingt verfehlen, denn ihm war klar, dass eine Autopsie andernfalls zeigen würde, dass Kurt Assmanns Schädel von der Skulptur an zwei verschiedenen Stellen getroffen wurde. Und das hätte eine Unfalltheorie sofort ad absurdum geführt. Also lässt er die Figur da landen«, sie zeigte auf die zersplitterte Fliese, »anschließend sammelt er die Trümmer ein und arrangiert ein Stück weiter rechts eine Szene, die den Eindruck erweckt, als wäre Assmann unbefugt in die Kapelle eingedrungen und dabei von einer Heiligenskulptur tödlich getroffen worden.«
»Schön und gut«, meinte Tobias dazu. »Nur wäre die Polizei bestimmt spätestens bei der Entdeckung des Metallstifts da oben stutzig geworden. Schließlich springt so eine Statue nicht von selbst aus so einer Halterung.«
Alexandra hob die Schultern. »Das hier ist eine Baustelle. Hier hat niemand außer den Bauarbeitern etwas zu suchen, also muss die Figur auch nicht gut gesichert auf diesem Stift gestanden haben. Jemand kann sie hochgenommen haben, weil sie im Weg war, und dann nicht wieder richtig zurückgesetzt haben. So ließe sich die Unfalltheorie vielleicht doch untermauern.«
Tobias seufzte und nickte dann. »Du hörst dich schon an wie Polizeiobermeister Pallenberg.«
Sie grinste schief. Ihr Blick fiel auf Assmanns Leiche, und ein Schauder überlief sie. »Komm, wir müssen den Mönchen Bescheid geben, dass es einen weiteren Toten gibt. Ich überlasse es gern ihnen, die Polizei zu verständigen.«
Als sie sich zum Gehen wandten, stand Kater Brown auf und lief mit hoch erhobenem Kopf vor ihnen her in Richtung Tür.
»Lass dir das Leichenfinden bloß nicht zur Gewohnheit werden«, murmelte Tobias bedrückt. »Zwei Tote sind für meinen Geschmack mehr als genug.«
Der Kater warf ihm über die Schulter einen Blick zu, dann miaute er leise, als wollte er ihm aus vollstem Herzen zustimmen.