Es war neunzehn Uhr am Sonntagabend, als sich alle im Saal III versammelt hatten. Die Mönche saßen auf den Stühlen links des Mittelgangs, die Hotelgäste auf der rechten Seite. Polizeiobermeister Pallenberg hatte neben dem Rednerpult Platz genommen. Alexandra und Tobias standen am Pult, vor sich den Laptop, der mit der Lautsprecheranlage des Saals verbunden war. Nach Absprache mit dem Polizeiobermeister waren sie übereingekommen, die Aufnahme allen vorzuspielen, die sich an diesem Wochenende im Klosterhotel aufgehalten hatten.
Kater Brown lag auf einem Beistelltisch in der Nähe. Er hatte die Pfoten eingeklappt und musterte die Anwesenden aus unergründlichen grünen Augen. Seine flaumigen schwarzen Ohren zuckten von Zeit zu Zeit leicht.
Alexandra hatte sich nach der ungeheuerlichen Entdeckung, die sie gemacht hatten, endlich wieder so weit gefasst, dass sie ruhig und sachlich sprechen konnte. »Guten Abend«, begrüßte sie die Anwesenden mit lauter, klarer Stimme. »Danke, dass Sie alle hergekommen sind. Wir danken auch Herrn Pallenberg, der inzwischen wie wir davon überzeugt ist, dass nicht nur Herr Assmann, sondern auch Herr Wilden umgebracht wurde.«
»Wir haben in den letzten zwei Tagen sehr viele Theorien durchgespielt«, ergriff Tobias das Wort. »Und wir mussten dabei feststellen, dass einige Personen in diesem Raum ein mehr oder weniger ausgeprägtes Motiv hatten, sowohl Herrn Wilden als auch Herrn Assmann aus dem Weg zu räumen. Zunächst hatten wir Kurt Assmann auch im Verdacht, weil er durchaus Bestrebungen gehabt haben könnte, Herrn Wildens Platz einzunehmen. Nach Assmanns Tod allerdings mussten wir uns von dieser Theorie verabschieden. Aber es waren ja immer noch genug Tatverdächtige übrig, dass wir nicht mal mit Sicherheit sagen konnten, ob für beide Morde ein Täter verantwortlich war oder ob vielleicht bloß jemand die Gelegenheit genutzt hatte, Herrn Assmann zu töten und den Verdacht auf Bernd Wildens Mörder zu lenken.«
»Wollen Sie jetzt Agatha Christie nachspielen und jedem von uns ausführlich darlegen, aus welchem Grund er Wilden und Assmann ermordet haben könnte?«, warf Kramsch ungehalten ein. »Ich finde, es ist eine Unverschämtheit, dass Sie Verdächtigungen aussprechen, die an Rufmord grenzen.«
»Herr Kramsch, ich wüsste nicht, dass wir Sie als Tatverdächtigen bezeichnet hätten«, erwiderte Alexandra ruhig.
»Ich habe das nicht nur auf mich bezogen, sondern auf alle meine Kollegen!«
»Oh, aber Sie müssen doch zugeben, dass das Nachrücken auf einen begehrten Geschäftsführerposten durchaus ein Motiv für einen Mord darstellen könnte.«
»Vielleicht in Ihrer verdrehten Welt«, konterte Kramsch, dessen Gesicht vor Ärger gerötet war. Alexandra beschloss, sich nicht weiter auf eine so fruchtlose Diskussion einzulassen. »Meine Damen und Herren, wir möchten Sie nicht mit einer langatmigen Zusammenfassung unserer Überlegungen langweilen, und wir möchten Sie auch nicht unnötig auf die Folter spannen. Stattdessen werden wir Ihnen ein Tondokument vorspielen, das erst heute Nachmittag in unseren Besitz gelangt ist.«
Sie trat an den Laptop und tauschte einen raschen Blick mit Herrn Pallenberg. »Die Wiedergabe der Aufzeichnung beginnt jetzt.«
Bruder Johannes, auf dessen Gesicht sich vor Aufregung rote Flecken gebildet hatten, hob schließlich eine Hand. »Wenn Sie gestatten, Frau Berger, Herr Rombach, würden meine Brüder und ich noch gern ein Gebet sprechen und den Herrn bitten, mit dem Täter Nachsicht zu üben.«
Alexandra und Tobias nickten.
Wenig später klickte Alexandra das Start-Symbol an.
»Aktennotiz vom Zwanzigsten des Monats, zweiundzwanzig Uhr und zehn Minuten. Assmann daran erinnern, dass Direktor Magnussen von der Sparkasse eine gesonderte Spendenquittung für sein besonderes Engagement in der Sache erhält«, ertönte Wildens Stimme aus den Lautsprechern. Die Köpfe einiger seiner früheren Mitarbeiter ruckten hoch, und Yasmin Tongers Augen weiteten sich erschrocken. Im Hintergrund hörte man das leise Rauschen des Windes, der sich in Baumkronen verfing. »Außerdem eine Quittung an Frau Ho …«
»Da sind Sie ja, Herr Wilden«, erklang da eine vertraute, aber ungewöhnlich energische Stimme. »Haben Sie alle Vorbereitungen getroffen, um Ihren teuflischen Plan in die Tat umzusetzen?«
»Bruder Johannes? So spät noch unterwegs?« Ein Klacken ertönte – offenbar war dies der Moment, da das Handy in den Spalt zwischen Sitz und Mittelkonsole gerutscht war.
Ein Raunen wurde im Saal laut, und die Blicke der Anwesenden wanderten zu Bruder Johannes hinüber, der mit gesenktem Kopf reglos auf seinem Platz saß. Nur seine ineinander verkrampften Hände, deren Knöchel sich weiß unter der Haut abzeichneten, verrieten seine innere Anspannung.
»Ich habe Sie etwas gefragt!«
»Es ist kein teuflischer Plan. Reden Sie nicht einen solchen Unsinn, Bruder Johannes!«, widersprach ihm Wilden in der ihm eigenen ruppigen Art. »Sie haben sich von Ihrer Bank etwas aufschwatzen lassen, um Ihr geliebtes Kloster zu retten, und dabei ist nichts Besseres herausgekommen als ein Abenteuerspielplatz für Erwachsene. Mit diesem lächerlichen Hotelkonzept werden Sie in einem halben Jahr auf Grund laufen. Dieser Quatsch, den Leuten um zehn Uhr abends das Licht abzustellen und ihnen das Mittagessen vorzuenthalten, um sie an die armen, hungernden Kinder in Afrika zu erinnern, zieht ein Mal. Aber von Ihren Gästen werden bestenfalls zehn Prozent wiederkommen. Ich habe das Konzept unseren vier Hausbanken vorgelegt, und alle sind der gleichen Meinung.«
»Mich interessiert die Meinung dieser Banker nicht …«
»Sie wird Sie spätestens dann interessieren, wenn die Gäste wegbleiben und Ihre Bank die nächste Rate fordert.« Wilden lachte spöttisch. »Dann greift sich die Bank Ihr schönes Kloster, und Sie sitzen auf der Straße.«
»Ach, und Sie meinen, mit Ihrem Konzept ergeht es uns besser?«
»Ja – wenn Sie kooperieren. Ein Luxushotel mit Wellness und allem Drum und Dran ist das, was heutzutage in Scharen Gäste anlockt.«
»Ich will aber kein Luxushotel hier haben«, beharrte der Mönch. »Ich will mein Zuhause behalten und den Menschen vermitteln, was mir und meinen Brüdern wichtig ist.«
»Was Sie wollen und was nicht, Bruder Johannes, interessiert mich nicht.« Wieder lachte Bernd Wilden kalt. »Dieses Kloster gehört Ihnen nicht mehr, sondern der Bank. Ich fahre jetzt zurück nach Kaiserslautern, und morgen früh um acht Uhr unterzeichne ich die Kreditverträge. Mir ist nämlich der Kredit bewilligt worden, mit dem ich das Klosterhotel von Ihrer Bank übernehmen kann. Dort wird man mit dem größten Vergnügen auf mein Angebot eingehen, wie ich erfahren habe, und ist froh, diesen Kasten loszuwerden, bevor die ersten Verluste eingefahren werden.«
»Das können Sie nicht machen! Das dürfen Sie nicht!«, rief Bruder Johannes, und seine Stimme klang mit einem Mal ungewohnt schrill.
»Sie haben die Wahl, was mit Ihnen und Ihren Brüdern passiert«, redete Wilden ungerührt weiter. »Sie können gern bleiben und für mich arbeiten. Schließlich kennen Sie sich hier aus.«
»Für Sie werde ich niemals arbeiten«, sagte der Mönch aufgebracht. »Eher werde ich …«
Es folgte eine kurze Pause, dann erklang wieder Wildens spöttische Stimme: »Eher werden Sie was? Na, Bruder Johannes? … Ja, das dachte ich mir. Große Reden schwingen, aber dann ganz schnell einknicken, wenn’s brenzlig wird.«
»Ich werde das nicht zulassen! Ich lasse nicht zu, dass Sie meinen Traum zerstören!«
»Sie können’s ja mit einer Sitzblockade versuchen, aber das wird mich auch nicht daran hindern, nach Kaiserslautern zu fahren.«
»Nein! Sie werden nirgendwohin fahren!«
»Lassen Sie mich sofort los, Bruder Johannes! Kommen Sie, sehen Sie doch endlich ein, dass Sie mich nicht aufha …«
Ein dumpfes Geräusch – offenbar ein Schlag – unterbrach den Mann mitten im Satz, der stöhnte vor Schmerzen laut auf, aber ein zweiter Schlag brachte ihn endgültig zum Schweigen. Dann waren ein Knirschen und ein leises Ächzen zu hören. Jemand atmete schnaufend, als bewegte er mühsam etwas Schweres von der Stelle. Schritte kamen zurück, und Augenblicke später fiel eine Wagentür zu.
Tobias stoppte die Wiedergabe. »Ab dieser Stelle der Aufnahme ist nur noch das leise Ticken einer Analoguhr zu hören, die in einem Ablagefach von Herrn Wildens Wagen lag. Sein Handy hat noch ungefähr neunzig Minuten lang aufgenommen, dann war der Akku leer, und es hat sich abgeschaltet.«
Im Saal herrschte fassungsloses Schweigen. Alle Blicke waren auf Bruder Johannes gerichtet, der von seinem Platz aufgesprungen war. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, doch seine Augen brannten wie von einem irren Feuer.
Pallenberg schaute Bruder Johannes an.
Der Mönch straffte die Schultern und reckte den Kopf wie jemand, der davon überzeugt war, richtig gehandelt zu haben. Doch seine Stimme klang ungewohnt brüchig, als er zu sprechen begann. »Was soll ich dazu noch sagen? Sie haben ja alle gehört, was Herr Wilden vorhatte. Er wollte uns alles wegnehmen. Das konnte ich doch nicht zulassen! Nicht nach allem, was wir für den Aufbau des Klosters geleistet haben.« Sein Blick, der von dem Polizeibeamten über Tobias zu Alexandra und wieder zurück zu Pallenberg wanderte, schien um Verständnis zu flehen. »Ich habe nicht aus niederen Motiven gehandelt, sondern bei all dem nur an meine Mitbrüder gedacht.« Sein Tonfall klang nun wieder energischer, selbstbewusster. »Manchmal gibt es eben keine andere Lösung als Gewalt, um ein Unheil abzuwehren … und Herr Wilden war das Fleisch gewordene Unheil, ein wahrer Teufel. Jemand musste diesen Mann doch stoppen, sonst hätte er alles zunichtegemacht, wofür wir so hart gearbeitet haben – und immer noch hart arbeiten. Wir alle hier hätten unser Zuhause, unsere Zuflucht verloren.« Bruder Johannes senkte den Blick und nickte mehrmals, als wollte er sich selbst bestärken. Dann murmelte er: »Der Herr weiß, ich habe das Richtige getan.« Als er die Hände vor der Brust faltete und den Blick zur Zimmerdecke emporhob, verriet nur das Zittern seiner Finger seinen inneren Aufruhr.
Alexandra spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihrem Rücken aufstellten, und sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Und deshalb musste auch noch Assmann sterben, nicht wahr? Weil er alles über Wildens Vorhaben wusste.«
Bruder Johannes erwachte aus seiner Versunkenheit und sah sie aus funkelnden Augen an. »Herr Assmann war doch noch schlimmer! Er war fest entschlossen, Herrn Wildens Plan trotzdem in die Tat umzusetzen, und weil er vermutete, dass einer von uns etwas mit Wildens Tod zu tun hatte, kündigte er an, uns vor die Tür zu setzen. In ein paar Wochen wären wir alle obdachlos gewesen.«
Pallenberg ergriff wieder das Wort. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts als professionelle Sachlichkeit. »Und wie haben Sie die beiden Männer umgebracht, Bruder Johannes? Ich konnte auf der Aufnahme zwei dumpfe Schläge hören.«
»Mit einem Hammer … einem Holzhammer«, verriet Bruder Johannes. »Ich bin Herrn Wilden zum Parkplatz gefolgt … und habe zweimal auf ihn eingeschlagen. Danach habe ich ihn im Schutz der Dunkelheit zum Brunnen geschleift und in den Schacht geworfen. Ich hoffte, man könnte später nicht mehr feststellen, dass ihm vor dem Sturz in die Tiefe der Schädel zertrümmert wurde.«
»Und letzte Nacht haben Sie Kurt Assmann in die Kapelle gelockt, nachdem Sie ihm – wahrscheinlich mit einer SMS – die Übergabe von Wildens Laptop angekündigt hatten«, folgerte Tobias leise. »Ihn haben Sie auch mit dem Hammer niedergestreckt und dann alles so arrangiert, dass es nach einem Unfall aussehen sollte.«
Bruder Johannes zuckte mit den Schultern und drückte wieder den Rücken durch. Er schien tatsächlich davon überzeugt zu sein, das Richtige getan zu haben. »Ich hatte meine Gründe.«
Einen Moment lag ungläubiges Schweigen über dem Saal, dann sagte Polizeiobermeister Pallenberg: »Mich würde noch interessieren, wie Sie sich in beiden Fällen so spät am Abend aus dem Kloster geschlichen haben. Sie mussten doch befürchten, von irgendjemandem gesehen zu werden. Einer Ihrer Mitbrüder oder einer der Gäste hätte im Haus unterwegs sein können. Wenn Sie dabei beobachtet worden wären, wie Sie nachts das Kloster verlassen, wäre der Verdacht doch gleich auf Sie gefallen …«
»Ich werde nichts von dem leugnen, was Sie über mich und meine Motive in Erfahrung gebracht haben«, erklärte der Mönch gelassen. »Aber was Sie noch nicht wissen, werde ich Ihnen auch nicht verraten.«
»Ich glaube, ich kann Ihre Frage beantworten«, sagte Alexandra anstelle des Mönchs und zog die Kellerschlüssel hervor, die Tobias ihr gegeben hatte. »Bruder Johannes, Herr Pallenberg, wenn Sie uns in den Keller begleiten würden? Ach ja, Bruder Siegmund und Bruder Dietmar, es wäre schön, wenn Sie beide auch mitkommen könnten.«
Die Mönche tauschten einen unbehaglichen Blick, standen aber auf und kamen zu ihnen.
Wie auf ein Stichwort sprang Kater Brown von dem Beistelltisch. Für den Moment hatte Alexandra ihm die Leine abgenommen; er trug nur das Geschirr.
Gemurmel im Saal wurde laut, als die kleine Prozession sich in Richtung Kellertür in Bewegung setzte.
Im Kellergeschoss angekommen, eilte Kater Brown mit steil aufgerichtetem Schwanz voraus und setzte sich vor die Tür, die in den angrenzenden Raum führte.
»Ja, ich weiß, mein Kleiner«, sagte Alexandra. »Du willst mir dort schon lange etwas zeigen. Gleich habe ich Zeit für dich. Aber zuerst muss ich noch etwas anderes erledigen.«
Kater Brown sah ihr interessiert zu, wie sie aufschloss. Kaum war die Tür einen Spaltbreit geöffnet, huschte er hindurch und verschwand in der Dunkelheit.
Alexandra schaltete das Licht ein, dann bedeutete sie den anderen, ihr zu folgen. Der Kater war nicht zu sehen, als sie den nächsten Raum betrat. Zielstrebig ging sie an den Regalreihen vorbei, bis sie die linke hintere Ecke erreicht hatte. Vor einem der Regale dort blieb sie stehen und zeigte auf den Boden. »Sehen Sie diese Kratzer da unten?«, fragte sie die anderen, die ebenfalls näher gekommen waren.
»Diese bogenförmigen Streifen? Sie sehen so aus wie die Kratzer unter einer Tür, unter der sich Steinchen festgesetzt haben, die dann beim Öffnen über den Boden schaben.«
Der Polizist richtete sich auf, warf Alexandra einen anerkennenden Blick zu und betrachtete das Regal, dann sah er zu Bruder Johannes. »Das ist offensichtlich eine Geheimtür. Wären Sie so freundlich, sie für uns zu öffnen?«
Der Mönch nickte schweigend, ging an Alexandra vorbei, schob einen Karton zur Seite und drückte auf die Holzplatte, die an der Regalrückseite befestigt war. Ein Teil der Platte gab nach, ein Mechanismus wurde in Gang gesetzt, und das Regal bewegte sich wie eine Tür an Scharnieren zur Seite. Dahinter kam eine schmale, steile Treppe zum Vorschein, die nach oben führte.
»Ich glaube, wir müssen nicht erst dorthinaufsteigen, um zu sehen, wohin die Treppe führt«, meinte Alexandra. »Sie endet unter dem Regal in Ihrem Quartier, in dem Sie Ihre Krimisammlung aufbewahren, nicht wahr, Bruder Johannes?«
Der Mönch nickte und schenkte ihr ein spöttisches Lächeln.
»Auf dem Weg konnten Sie unbemerkt Ihr Quartier verlassen.« Sie wandte sich zu den anderen um. »Aber kommen Sie bitte!« Die Gruppe folgte ihr. Im Nebenraum standen die Steinsärge. Auf einem von ihnen hatte sich Kater Brown niedergelassen. Seine Blicke folgten der kleinen Prozession, die sich an ihm vorbei in den Korridor bewegte, von dem aus man in den Vorratsraum der Klosterküche gelangte.
Am Durchgang zur Kapelle blieb Alexandra stehen. »Dort entlang konnte Bruder Johannes über den Umweg durch die Klosterkapelle nach draußen gelangen.«
»Dort entlang?« Pallenberg sah sie ungläubig an. »Doch wohl kaum durch die Holzwand da. Der Weg ist ja bewusst versperrt worden, damit keiner die Kapelle betritt.«
»Der Weg ist nicht ganz versperrt.« Alexandra zeigte wieder auf den Boden. »Bruder Johannes ist, wie Sie wohl selbst sagen müssen, recht schmal gebaut. Die Bretter schließen unten nicht mit dem Boden ab. Der Freiraum ist groß genug, dass jemand von Bruder Johannes’ Statur dort mühelos hindurchpasst.« Sie schaute über die Schulter zurück und fragte den älteren Mönch: »Wollen Sie es Herrn Pallenberg vorführen?«
Der Mann schüttelte den Kopf. »Danke, nein.«
»Dann frage ich Sie jetzt noch einmal: Geben Sie auch den Mord an Kurt Assmann zu?«, vergewisserte sich der Polizist.
Der Mönch hob die Schultern. »Ja. Ich habe getötet, ich wurde überführt, ich werde dafür büßen. Trotzdem habe ich mein Ziel erreicht: Weder Herr Wilden noch Herr Assmann kann uns wegnehmen, wofür wir so sehr gekämpft haben.«
»Und das ist zwei Menschenleben wert?«, entfuhr es Alexandra fassungslos.
»Wilden und Assmann haben nur an sich und ihren persönlichen Profit gedacht«, stellte Bruder Johannes klar. »Ich hingegen habe selbstlos gehandelt und wollte nur meine Brüder schützen. Bin ich deshalb ein schlechterer Mensch als diese beiden?«
»Sie sind ein zweifacher Mörder«, entgegnete Pallenberg. »Mehr hat mich nicht zu interessieren.« Damit zog er die Handschellen aus dem Gürtel.
Sie schlossen sich mit einem metallischen Klicken.
»Augenblick bitte, Herr Pallenberg«, meldete sich Alexandra zu Wort. »Ich glaube, hier gibt es noch etwas, was Sie interessieren dürfte.« Sie ging in den Nebenraum zurück, wo sie vor dem Sarkophag stehen blieb, auf dem sich Kater Brown niedergelassen hatte. Bei ihrem Anblick miaute der Kater laut, stand auf und kam ihr ein Stück entgegen, um seinen Kopf an ihrem Arm zu reiben.
»Bruder Dietmar und Bruder Siegmund, würden Sie mir jetzt bitte verraten, was hier drin ist?« Dabei zeigte sie auf den Steinsarg.
Die beiden Mönche wirkten ehrlich erstaunt und tauschten einen ratlosen Blick miteinander.
»Was haben Sie zu verbergen, von dem nicht einmal Bruder Johannes erfahren soll? Und bitte verschonen Sie mich mit weiteren haarsträubenden Geschichten!«
Auch der Polizist und Bruder Johannes waren ihnen in den Kellerraum gefolgt, Letzterer sah seine Glaubensbrüder verständnislos an.
»Ich denke, darin befinden sich die sterblichen Überreste eines der Gründerväter unseres Klosters. Von etwas anderem weiß ich nicht«, erwiderte Bruder Dietmar verunsichert. »Ich weiß überhaupt nicht, was Sie meinen.«
»Okay«, sagte Alexandra. »Dann werden wir jetzt diesen Sarg öffnen. Immerhin ist Kater Brown offenbar der Meinung, dass wir darin etwas Wichtiges entdecken werden, sonst hätte er sich nicht so zielstrebig daraufgesetzt.«
Als wollte er ihr zustimmen, sprang der Kater laut maunzend auf den Boden.
»Öffnen? Aber … Wie sollen wir denn den Deckel von der Stelle bewegen?«, wollte Bruder Siegmund schaudernd wissen. »Das ist doch massiver Stein.«
»Nehmen Sie mir bitte die Handschellen ab, Herr Pallenberg!«, sagte Bruder Johannes da. »Die beiden haben nichts verbrochen. Ich kann Ihnen zeigen, wie sich der Steinsarg öffnen lässt.« Dabei warf er Kater Brown einen zornigen Blick zu und knurrte: »Es stimmt, dass Katzen vom Teufel persönlich auf die Erde geschickt wurden! Darum haben sie auch von jeher die Nähe von Hexen gesucht … die Nähe des Bösen.«
Alexandra fuhr zu ihm herum. »Dann müssten sie Ihnen in Scharen nachlaufen. Haben Sie deswegen versucht, Kater Brown zu vergiften? Damit er uns nicht zu diesem Sarg führt?«
Wortlos ließ der Mönch sich die Handschellen abnehmen, dann näherte er sich dem Sarkophag. Er strich mit den Händen langsam über die Oberfläche, als suchte er etwas. »Särge wie dieser wurden in den Dreißigerjahren gern so hergerichtet, dass man sie als Versteck benutzen konnte. Dort wurden während des Dritten Reichs wichtige Dokumente aufbewahrt, die keinem Unbefugten in die Finger fallen sollten.« Er drückte auf eine unscheinbare Verzierung am Sargrand. Im nächsten Moment wurde der Deckel ein Stück nach oben gedrückt. Nun konnte er auf zwei massiven Schienen zur Seite geschoben werden.
In dem Sarg lag etwas, das in dicke Plastikfolie gewickelt war. Der eigentlich transparente Kunststoff war nicht mehr durchsichtig, da er etliche Male übereinandergelegt worden war.
»Noch eine Leiche?«, entfuhr es Pallenberg mit einem Ächzen und er presste sich ein Taschentuch vor die Nase. In seinen Augen war unverkennbarer Schrecken zu lesen.
Alexandra nickte. Sie spürte eine leise Übelkeit in sich aufsteigen, die nicht nur von dem süßlichen Verwesungsgeruch herrührte, und sah zu Tobias hinüber.
Auch ihm stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Langsam drehte er sich zu Bruder Johannes um. »Das ist Abt Bruno, nicht wahr?«
Der Polizist stöhnte auf.
»Er wollte uns im Stich lassen«, sagte der Mönch leise. »Ich erhielt einen Anruf vom Landschaftsverband, weil bei den Anträgen für die Förderung unserer Behindertenwerkstatt eine Angabe vergessen worden war, und man wollte das ganz unbürokratisch auf dem kleinen Dienstweg erledigen. Sonst hätten wir die Abgabefrist versäumt und damit riskiert, nur den halben Zuschuss in Höhe von zwanzigtausend Euro zu erhalten. Zuerst nahm ich an, dass es sich um einen Irrtum, eine Verwechslung handelte, aber die Daten zum Kloster selbst stimmten alle. Nur dass es hier keine Behindertenwerkstatt gab. Nein, das stimmt nicht ganz: Die Bankverbindung war ebenfalls nicht die unsrige. Es handelte sich um ein Konto, das Abt Bruno auf den Namen des Klosters eingerichtet hatte, von dem jedoch sonst niemand wusste. Ich schlich mich in einem unbeobachteten Moment in sein Zimmer und durchsuchte die Unterlagen. Dabei stieß ich auf dieses Konto und stellte fest, dass sich darauf noch ein paar Tage zuvor fast zwei Millionen Euro befunden hatten und es danach komplett leergeräumt worden war. Der Betrag war als ›Auszahlung‹ vermerkt worden, aber es gab keinen Vermerk darüber, was anschließend damit geschehen war.
Als ich am Abend Abt Bruno auf dem Klostervorplatz begegnete und er mir wie nebenbei erzählte, er habe vor, am nächsten Morgen für zwei Tage nach Köln zu fahren, um dort mit dem Kardinal zu reden, wusste ich, er wollte sich in Wahrheit absetzen! Ich stellte ihn zur Rede, er stritt nichts ab, und er war so unverschämt, mich auch noch auszulachen. Er fühlte sich völlig sicher. Aus irgendeinem Grund war er davon überzeugt, ich würde ihn nicht aufhalten. Er verspürte nicht die mindeste Reue, und es kümmerte ihn nicht, was seine Unterschlagungen für uns alle bedeuteten. Ich war außer mir vor Zorn und … zog den Hammer aus der Tasche meiner Kutte. Ich hatte gerade im Foyer einige neue Bilder aufgehängt. Und als der Abt mir den Rücken zuwandte, um mich einfach stehen zu lassen, schlug ich ihn nieder. Anschließend schaffte ich ihn durch die Kapelle in den Keller, wickelte ihn in die Plastikfolie und legte ihn in diesen Sarg.«
»Und dann haben Sie Ihren Mitbrüdern erzählt, der Abt sei nach Köln abgereist?«, fragte der Polizist.
Bruder Johannes nickte. »Ja. Als wir nichts mehr von ihm hörten und von unterschiedlichsten Stellen immer wieder nach dem Abt gefragt wurden, erkundigte sich Bruder Andreas in Köln nach ihm. Natürlich wusste man dort nichts von einem Termin mit Abt Bruno. Die anderen waren ratlos. Wir sahen in seinem Zimmer nach, ob es dort einen Hinweis auf sein Verschwinden gab, und dabei entdeckte ich dann ›zufällig‹ den besagten Kontoauszug. Wir fanden außerdem die gefälschten Anträge, und das brachte meine Brüder auf den Gedanken, er müsse wohl das Geld abgehoben und sich ins Ausland abgesetzt haben. Keiner von uns machte sich auf die Suche nach dem Abt, schließlich wusste niemand, wohin er sich gewandt haben könnte. Es gab ja keine Reiseunterlagen. Und die polizeilichen Ermittlungen liefen ins Leere.«
»Nur Kater Brown suchte ihn«, warf Alexandra ein und streichelte den Kater, der nun auf einem der anderen Särge saß und von dort das Geschehen interessiert verfolgte.
»Ja, der Kater sprang jedes Mal auf diesen Steinsarg, wenn er mit einem unserer Brüder in den Keller ging. Zum Glück wunderte sich niemand darüber, aber dann … dann veranstaltete er dieses Theater auf dem Brunnenrand, das Sie auf Herrn Wildens Leiche aufmerksam hatte werden lassen.«
»Und deshalb beschlossen Sie, den Kater zu vergiften, bevor er auch noch auf den toten Abt aufmerksam machen konnte?«, fragte Alexandra zornig.
Bruder Johannes hob hilflos die Arme. »Verstehen Sie denn nicht? Er hätte alles in Gefahr gebracht. Das musste ich verhindern. Zum Glück verwahrten wir in unserem Sanitätsraum noch Medikamente, die Bruder Elmar mitgebracht hatte, als er seine Tierarztpraxis aufgab und sich uns anschloss.«
Tobias schüttelte den Kopf. »Dann wären wir sicher die Nächsten gewesen?«
Bruder Johannes zuckte resignierend mit den Schultern, antwortete jedoch nicht.
Alexandra konnte nicht verhindern, dass ihr ein Schauder den Rücken hinunterlief.
»Zum Glück haben wir Wildens Handy noch rechtzeitig gefunden«, sagte Tobias, kam zu ihr und legte einen Moment den Arm um sie.
Alexandra wehrte sich nicht dagegen. »Es gibt noch etwas, was mich interessiert. Bruder Dietmar und Bruder Siegmund, was treiben Sie beide hinter dem Rücken von Bruder Johannes?«
Die beiden Mönche schraken zusammen, als sie plötzlich wieder im Mittelpunkt des Interesses standen, und schauten sich an. Ihre schuldbewussten Mienen sprachen Bände. Dann räusperte sich Bruder Dietmar und gestand leise:
»Nun, es ist so … da ist dieser belgische Getränkegroßhändler, der uns das Trappistenbier von der Abbaye de Walthéry liefert. Nach der zweiten Lieferung hat er uns einen Vorschlag gemacht …« Der Mönch sah kurz zu Bruder Johannes hinüber, dann blickte er betreten zu Boden. »Er hat ein Imitat im Angebot, das aus China importiert wird und das vom Geschmack und von der Farbe her nicht vom Original zu unterscheiden ist. Es kostet im Einkauf nicht einmal ein Zehntel des Originals, und der Großhändler liefert uns sogar die Etiketten, die täuschend echt wirken. Zu jeder Palette Duc de Walthéry bekommen wir zwei Paletten Billigbier. Wir kleben die falschen Etiketten auf und verkaufen es zum üblichen Preis.« Er hob entschuldigend die Arme. »Aber wir stecken den Gewinn nicht in die eigene Tasche. Vielmehr steigern wir so die Einnahmen unseres Klosters.«
»Ihr täuscht und betrügt unsere Gäste?«, rief Bruder Johannes aufgebracht. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet.
»Es hat niemand gemerkt«, rechtfertigte sich Bruder Siegmund. »Nicht einmal dir ist es aufgefallen. Wir wollten nur einen Beitrag dazu leisten, die Schulden möglichst zügig abzubauen.«
»Ich muss schon sagen, Sie haben ein seltsames Empfinden von Recht und Unrecht«, murmelte Pallenberg kopfschüttelnd, als Bruder Johannes so aufbrauste, und legte ihm wieder die Handschellen an. »Frau Berger, Herr Rombach, ich … also … ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich hätte nach dem Auffinden der ersten Leiche am Samstagmorgen durchaus gründlicher ermitteln müssen. Es tut mir leid.«
Alexandra nickte nur stumm. Wer konnte schon sagen, ob das entscheidende Beweisstück, das Handy mit der entlarvenden Aufnahme, früher gefunden worden wäre, wenn Polizeiobermeister Pallenberg gleich die Ermittlungen aufgenommen hätte? Sie selbst hatten es bei der ersten Durchsuchung von Wildens Wagen ja auch nicht entdeckt. Sie reichte dem Polizeiobermeister ihre Visitenkarte und notierte auch noch rasch Tobias’ Handynummer darauf. »Falls Sie noch Fragen an uns haben, rufen Sie uns an.«
Pallenberg bedankte sich, dann verabschiedete er sich und führte Bruder Johannes ab.
Alexandra nahm Kater Brown auf den Arm und drückte ihn an sich. Der warme Katzenkörper fühlte sich seltsam tröstlich an, und einen Moment verbarg sie das Gesicht in dem weichen Fell des Tieres. Dann stiegen auch Tobias und sie ins Erdgeschoss hinauf.
Die Mönche und die Hotelgäste hatten sich auf dem Platz vor dem Kloster versammelt und sahen schweigend zu, wie Bruder Johannes von Polizeiobermeister Pallenberg zum Streifenwagen geführt wurde.
Als der Polizeiwagen davonfuhr, blickte Bruder Johannes starr vor sich hin. Seine Mitbrüder würdigte er keines Blickes mehr.
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte Alexandra leise, während sie langsam in Richtung Parkplatz schlenderten.
»Unsere erste Zusammenarbeit«, ergänzte Tobias. »Das wird ein interessanter Artikel. Mal sehen, wem wir die Story von den Klostermorden verkaufen können! Bin schon gespannt, was uns als Nächstes erwartet.«
Sie sah ihn überrascht an. »Habe ich das gerade richtig verstanden? Was uns als Nächstes erwartet?«
»Na ja, wir sind doch ein gutes Team, oder nicht?«
Einen Moment schwieg Alexandra, dann konnte sie sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ja, das waren wir tatsächlich.« Spontan beugte sie sich vor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er fiel kürzer aus als ursprünglich beabsichtigt. Aber sie wollte keine falschen Hoffnungen in Tobias wecken. »Danke für deine Hilfe.«
»Ich danke dir«, erwiderte er, und seine Augen strahlten. »Und was machen wir jetzt?«
»Was du jetzt vorhast, weiß ich nicht, ich werde jedenfalls noch heute Abend abreisen. Ich verbringe keine Minute länger hinter diesen Klostermauern.« Sie setzte Kater Brown auf den Boden und wollte gerade die Leine aus ihrer Handtasche nehmen, als der Kater wie ein Blitz davonschoss und auf eine Amsel zujagte, die im Erdreich unter einer der Hortensien gepickt hatte und nun panisch aufflog.
»Ach, verflixt!«, schimpfte Alexandra, als der Kater um die nächste Ecke verschwunden war.
»Der wird schon wieder auftauchen«, sagte Tobias, klang aber selbst nicht allzu überzeugt.
Missmutig ging sie neben ihm zu ihrem Zimmer und packte ihre Sachen zusammen.
Zurück im Foyer, verabschiedete sie sich von Bruder Andreas und verließ dann das Klosterhotel.
Alexandra stellte eben die Reisetasche in den Fußraum vor dem Beifahrersitz ihres Wagens, als jemand nach ihr rief.
»Frau Berger! Frau Berger!« Bruder Jonas eilte mit wehender Kutte auf sie zu. In den Händen hielt er eine Kiste. »Ich habe gerade gehört, dass Sie abreisen, und … Na ja, ich kann gut verstehen, dass Sie nicht länger bei uns bleiben wollen. Trotzdem möchte ich mich auch im Namen meiner Brüder entschuldigen. Ich weiß, für das, was Bruder Johannes getan hat, gibt es keine Entschuldigung, und Bruder Dietmar und Bruder Siegmund werden die Konsequenzen ihres Handelns tragen müssen. Aber wir anderen hier können nur hoffen, dass Ihre Kritik über unser Hotel nicht allzu vernichtend ausfallen wird. Als Zeichen unseres guten Willens möchten wir Ihnen und Ihrem Kollegen eine Kiste Trappistenbier schenken – echtes Trappistenbier natürlich.«
»Danke, Bruder Jonas«, antwortete sie nach kurzem Zögern. »Ich weiß diese Geste zu schätzen, doch das ist nicht nötig. Was meinen Reisebericht angeht, halte ich es im Moment für besser, wenn ich vorerst gar nicht über das Hotel schreibe. Es wäre nicht fair, Sie alle unter den Eindrücken leiden zu lassen, die ich während meines Aufenthaltes gewonnen habe. Er war eben von den schrecklichen Morden überschattet … Ich werde meiner Redaktion vorschlagen, in zwei oder drei Monaten eine andere Reporterin herzuschicken. Sie kann dann unter hoffentlich erfreulicheren Bedingungen recherchieren.« Sie schwieg einen Moment und räusperte sich. »Sie sollen allerdings wissen, dass mein Kollege und ich vorhaben, den Kriminalfall als Story an eine Zeitung oder an ein Magazin zu verkaufen. Aber da wird dann Bruder Johannes im Mittelpunkt stehen. Vielleicht muss der Name des Klosterhotels ja gar nicht genannt werden.«
Bruder Jonas nickte. »Danke, und … möge Gott Sie behüten!«
»Ja, Sie auch«, entgegnete sie.
Der Mönch wandte sich zum Gehen. Auf dem Vorplatz des Klosters kam ihm Tobias mit seinem Gepäck entgegen. Die beiden wechselten noch ein paar Worte, dann ging Tobias weiter.
»Hast du Kater Brown irgendwo gesehen?«, fragte Alexandra bedrückt, als er zu ihr trat.
»Nein, tut mir leid«, antwortete er. »Ich habe auch noch im Kräutergarten nach ihm gesucht, aber er ist verschwunden. Sei nicht traurig! Vermutlich mag er keine Abschiedsszenen.«
»Ja, vermutlich. Dabei wollte ich ihn doch von hier fortbringen …«
»Ihm droht ja keine Gefahr mehr.«
Sie nickte tapfer und befahl sich, nicht länger über den kleinen schwarzen Kerl nachzudenken, weil ihr sonst noch die Tränen kommen würden. Aber sie hätte sich wirklich gern von ihm verabschiedet …
»Und wie sollen wir jetzt mit unserem Artikel vorgehen?«, wollte Tobias wissen. Er hatte sein Gepäck verstaut und trat seltsam verlegen von einem Bein aufs andere.
»Ich schlage vor, ich schreibe einfach mal eine Rohfassung, dann kannst du ergänzen und überarbeiten.«
Tobias nickte. »Ich höre mich derweil schon mal um, wer die Story haben will, doch ich glaube, die werden wir ziemlich schnell los.«
»Ja, das denke ich auch.« Alexandra schaute einen Moment in die Ferne, dann riss sie sich zusammen. »Okay, also dann … Ich rufe dich an, oder ich maile dir … Wenn wir uns nicht schon vorher im Verlag treffen.«
»Ja …« Er zögerte noch einen Augenblick und fuhr ihr sanft mit dem Finger über die Wange. Dann wandte er sich um, stieg in seinen Wagen und fuhr kurz darauf davon.
Alexandra stand noch ein paar Minuten gedankenverloren da und betrachtete das Klosterhotel, das im letzten Licht des Tages dalag. Die Vögel in den Bäumen sangen ihr Abendlied, Grillen zirpten, ansonsten war alles still. Beim Anblick dieses friedlichen Bildes wäre wohl niemand auf die Idee gekommen, dass an diesem Ort drei Menschen brutal ermordet worden waren.
Kopfschüttelnd schloss sie die Beifahrertür, ging um den Wagen herum und stieg ein. So ungern sie auch in die anbrechende Nacht hineinfuhr, wollte sie diesen Ort nun endgültig hinter sich lassen. Vielleicht entdeckte sie ja unterwegs eine Pension, in der sie übernachten konnte.
Als sie den Wagen wenig später auf die Landstraße lenkte und Gas gab, sah sie mit einem Gefühl der Erleichterung, wie das Klosterhotel im Rückspiegel immer kleiner wurde und schließlich ganz verschwand.