Kapitel 4

Als die Versammlung zu Ende war, wurde mir klar, weshalb sie in diesem unpersönlichen Rahmen auf der Rennbahn abgehalten worden war. Jeder von den Teilnehmern wohnte woanders.

Sie gingen einer nach dem andern hinaus, jeder für sich in einem Stacheldrahtverhau der Selbstgerechtigkeit, und daß ich noch da war, schien allen gleichgültig zu sein.

Nur Dart blickte sich in der Tür noch einmal um und sah, wie ich den Exodus beobachtete.

«Kommen Sie?«sagte er.»Der Spaß ist vorbei.«

Lächelnd trat ich zu ihm, während er mich nachdenklich musterte.

«Lust auf ein Bier?«fragte er und fügte, als ich zögerte, hinzu:»Direkt vor dem Haupteingang ist ein Pub, der den ganzen Tag aufhat. Und ich bin offen gestanden neugierig.«

«Die Neugier beruht auf Gegenseitigkeit.«

Er nickte.»Einverstanden. «Er führte mich auf einem anderen Weg nach unten, als ich heraufgekommen war, und wir kamen in einem Bereich bei den Sattel- und Absattelplätzen heraus, der an dem Renntag von Leuten überfüllt war, aber jetzt standen da nur ein paar Wagen. In jedes Auto stieg ein Stratton, niemand von den Brüdern, den Sprößlingen oder Cousins fand sich zu einem gemütlichen Familienplausch zusammen.

Dart nahm das als selbstverständlich hin und fragte mich, wo mein Wagen stehe.

«Da hinten. «Ich wies in die ungefähre Richtung.

«Aha? Dann steigen Sie ein. Ich nehme Sie mit.«

Darts Wagen, ein staubiges altes Stadtauto, stand neben Marjories schwarzglänzendem Daimler mit Chauffeur, und sie ließ, als sie langsam davonrollte, das Fenster im Fond runter und schaute zu uns herüber, als könne sie nicht fassen, daß Dart und ich uns vertrugen. Dart winkte ihr fröhlich zu und erinnerte mich lebhaft an meinen Sohn Alan, den Grobgerasterten, Verwegenen, den die Macht von Drachen auch nicht schreckte.

Wagentüren schlugen, Motoren schnurrten, Bremslichter gingen an und aus; die Strattons zerstreuten sich. Dart fuhr uns direkt zum Haupteingang, wo ein paar verloren wirkende Gestalten, überwiegend in Strickmützen, mit Plakaten auf und ab gingen wie SCHLUSS MIT DEM HINDERNISSPORT und TIERQUÄLEREI.

«Die versuchen uns die Leute zu vergraulen, seit hier vorigen Samstag das Pferd verunglückt ist«, bemerkte Dart.»Schildbürger nenne ich die.«

Eine durchaus treffende Bezeichnung, fand ich angesichts der handgeschriebenen, dilettantisch gemachten Plakate, die sie vor sich hertrugen, aber ihr Engagement stand außer Zweifel.

«Sie verstehen nichts von Pferden«, sagte Dart.»Pferde laufen und springen, weil sie es wollen. Sie setzen alles daran, an die Spitze der Herde zu gelangen. Es gäbe keine Pferderennen, wenn Pferde nicht von Natur aus ihr Letztes geben würden, um die Ersten zu sein und zu siegen. «Ein Lächeln blitzte auf.»Ich habe nicht den Naturtrieb eines Pferdes.«

Seine Schwester schon, dachte ich.

Dart fuhr um die Demonstranten herum und über die Straße auf den Parkplatz des Mayflower Inn, einer Gastwirtschaft, die aussah, als hätte sie von Plymouth nie etwas gesehen, geschweige denn jemals den Altantik überquert.

Im Inneren war sie entschieden mit künstlichen Erinnerungsstücken aus der Zeit um 1620 geschmückt, aber gar nicht mal so übel. Wandgemälde von Pilgervätern mit Zylinderhüten (ein Anachronismus) und weißen Bärten (Irrtum, die Pilgerväter waren jung) erinnerten mehr an Abraham Lincoln, zweihundert Jahre später, doch wen kümmerte das? Die Gaststube war einladend und warm, und man hatte sich immerhin Mühe gegeben.

Dart holte uns zwei schlichte Halbe und stellte sie behutsam auf ein dunkles Eichentischchen, während wir uns in zwei leidlich bequemen alten Lehnstühlen, ebenfalls aus Eiche, niederließen.

«Also, weshalb sind Sie gekommen?«sagte er.

«Acht Anteile an einer Rennbahn.«

Er hatte stahlgraue Augen: ungewöhnlich. Im Gegensatz zu seiner Schwester hatte er seine Statur nicht bis auf die Knochen dünn geschliffen. Offenbar hielt er nichts von den Qualen und niederziehenden Entbehrungen eines unerbittlichen Kampfes mit dem Gewicht. Schon mit Anfang Dreißig neigte Dart zu einer Rundlichkeit, die ahnen ließ, daß er einmal so in die Breite gehen könnte wie sein Vater. Im Gegensatz zu seinem Vater verlor er außerdem sehr früh schon Haare, und das machte ihm, wie ich nach und nach herausfand, schwer zu schaffen.

«Ich hatte schon von Ihnen gehört«, sagte Dart,»aber Sie wurden immer als Schurken hingestellt. So sehen Sie überhaupt nicht aus.«

«Wer hat mich als Schurken hingestellt?«

«Vor allem Hannah, denke ich. Sie hat die Zurückweisung durch ihre Mutter nie verwunden. Ich meine, Mütter sollen schließlich ihre Kleinen nicht verlassen, hm? Väter tun das regelmäßig, es ist ein männliches Vorrecht. Rebecca würde mich dafür umbringen, daß ich so rede. Jedenfalls hat Ihre Mutter Hannah im Stich gelassen und nicht Sie. Ich an Ihrer Stelle würde mich vor Dolchstößen in acht nehmen.«

Es klang frivol und obenhin gesagt, aber ich hatte den Eindruck, eine ernsthafte Warnung erhalten zu haben.

«Was machen Sie?«fragte ich sachlich.»Was tun Sie alle so?«

«Also, ich betreibe Landwirtschaft. Das heißt, ich kümmere mich um die Familiengüter. «Vielleicht las er höfliche Überraschung in meinem Gesicht, denn er verzog abwertend den Mund und sagte:»Wir haben zufällig einen Verwalter, der die Bewirtschaftung regelt, und einen Gutsinspektor, der sich der Pächter annimmt, aber ich treffe die Entscheidungen. Das heißt, ich höre mir an, was der Verwalter will und was der Inspektor will, und entscheide dann, daß sie genau das tun sollen, und sie tun es. Falls Vater nicht anders denkt. Oder früher, falls Großvater nicht anders dachte. Und — das versteht sich — falls sie nicht alle auf meine Großtante Marjorie gehört haben, deren Vorstellungen unumstößlich sind. «Er unterbrach sich recht vergnügt.»Die ganze Chose ist stinklangweilig und überhaupt nicht das, wozu ich Lust habe.«

«Und das wäre?«fragte ich amüsiert.

«Traumland«, sagte er.»Privatbesitz. Betreten verboten. «Er meinte es nicht böse. Aus dem Mund von Keith wäre die gleiche Antwort eine Abfuhr gewesen.»Was machen Sie denn?«fragte er.

«Ich bin Bauunternehmer«, sagte ich.

«So? Welche Sparte?«

«Häuser vor allem.«

Es interessierte ihn nicht sonderlich. Er ging kurz auf das Tun und Treiben der anderen Strattons ein, soweit ich sie kennengelernt hatte.

«Rebecca ist Rennreiterin, wie Sie bestimmt schon geschnallt haben. Sie war von klein auf pferdenärrisch. Unser Paps besitzt ein paar Rennpferde und geht auf die Fuchsjagd. Er hat meinen Job gemacht, bis er fand, ich sei zu faul, und so tut er jetzt noch weniger. Aber um gerecht zu sein, er schadet auch keinem, und das ist heute ja schon ein Schritt zum Heiligenschein. Mein Onkel Keith. weiß der Himmel. Er ist irgendwie im Geldgeschäft, was immer das bedeutet. Mein Onkel Ivan hat ein Gartenzentrum, das Neueste an Zwergen und so. Er hantiert da zwar manchmal herum, verläßt sich sonst aber auf seinen Geschäftsführer.«

Er trank einen Schluck und musterte mich mit schimmernden Blicken über den Glasrand hinweg.

«Nur weiter«, sagte ich.

«Hannah«, nickte er.»Die hat noch nicht einen Tag im Leben gearbeitet. Mein Großvater hat sie zum Ausgleich für die Kränkung durch ihre Mutter — durch Ihre Mutter — mit Geld überschüttet, aber es sah nicht so aus, als hätte er sie geliebt… Wahrscheinlich sollte ich das nicht sagen. Jedenfalls ist Hannah nicht verheiratet, hat aber einen Sohn, der einem den letzten Nerv raubt. Wen haben wir denn noch? Großtante Marjorie. Abgesehen vom Stratton-Geld hat sie einen Großkapitalisten geheiratet, der so anständig war, relativ früh zu sterben. Keine Kinder. «Er überlegte.»Das wär’s.«

«Was ist mit Forsyth?«fragte ich.

Sofort schob er dem unbefangenen Geplauder einen Riegel vor.

«Großvater hat seine fünfundsiebzig Anteile an Stratton Park unter uns allen aufgeteilt«, konstatierte er.»Einundzwanzig Anteile für jeden der drei Söhne und drei für jeden der vier Enkel. Forsyth bekommt seine drei Anteile genau wie wir anderen auch. «Er schwieg mit sorgsam unverfänglichem Gesicht.»Was Forsyth macht, geht mich nichts an. «Er ließ unmißverständlich durchblicken, daß es mich auch nichts anging.

«Was werden Sie nun alle mit der Rennbahn anfangen?«fragte ich.

«Außer uns darum zu zanken? Kurzfristig gar nichts, das hat die Großtante ja klargestellt. Danach werden wir für ungeheures Geld eine neue Tribüne hochziehen, die überhaupt nichts bringt, und dann werden wir das Land verkaufen müssen, um die Tribüne zu bezahlen. Sie können Ihre Anteilscheine eigentlich gleich zerreißen.«

«Es scheint Sie nicht übermäßig zu kümmern.«

Das fröhliche Grinsen blitzte wieder auf.»Es ist mir ehrlich gesagt egal. Selbst wenn sie mich enterben, weil ich irgendeine Teufelei abziehe — zum Beispiel für die Abschaffung der Fuchsjagd eintrete —, ich kann mit der Zeit immer nur reicher werden. Großvater hat mir vor Jahren schon Millionen vermacht. Und auch mein Vater ist nicht ohne. Er hat mir bereits einen Teil seines Vermögens übertragen, und wenn er noch drei Jahre lebt, ist es steuerfrei. «Er schaute mich stirnrunzelnd an.»Warum erzähle ich Ihnen das?«

«Möchten Sie mich beeindrucken?«

«Ach, woher. Mir ist es schnurz, was Sie denken. «Er kniff leicht die Augen zusammen.»Das stimmt wohl nicht ganz. «Er schwieg.»Es gib irritierende Löcher in meinem Leben.«

«Nämlich?«»Zuviel Geld. Keine Motivation. Und mir gehen die Haare aus.«

«Heiraten Sie«, sagte ich.

«Davon kommen die Haare nicht wieder.«

«Aber vielleicht macht es Ihnen dann nichts mehr aus.«

«Damit findet man sich nie ab. Und es ist so verdammt unfair. Die Ärzte sagen mir, ich kann rein gar nichts dagegen tun, es sei in meinen Erbanlagen, aber ich wüßte mal gern, wie es dahin gekommen ist. Vaters Haare sind okay, Großvater hat noch mit seinen achtundachtzig eine volle Matte gehabt, und dann erst Keith, der sie sich dauernd mit beiden Händen aus der Stirn streicht wie Rapunzel. Ich hasse diese Angewohnheit. Auch Ivan hat keine kahlen Stellen, bei ihm lichten sie sich insgesamt, aber das ist nicht so schlimm. «Er sah deprimiert auf meinen Kopf.»Sie sind so alt wie ich ungefähr und haben volles Haar.«

«Versuchen Sie’s mit Schlangenöl«, schlug ich vor.

«Das ist typisch. Die Leute können sich nicht vorstellen, wie es ist, wenn man überall seine Haare findet. Im Waschbecken. Auf dem Kopfkissen. Haare, die verdammt noch mal aus meiner Platte sprießen sollten. Woher wußten Sie denn überhaupt, daß ich nicht verheiratet bin? Und kommen Sie mir jetzt nicht mit dem Standardspruch, daß ich aussehe, als hätte ich keinen Kummer. Meine Haare machen mir verdammt viel Kummer.«

«Sie könnten es mit Implantaten versuchen.«

«Ja. Lachen Sie nicht. Das tu ich auch.«

«Ich lache nicht.«

«Insgeheim bestimmt. Alle finden es zum Kugeln, wenn jemand anders kahl wird. Aber wenn es einen selbst trifft, ist es tragisch.«

Es gab unausweichliche Desaster, sah ich, die nur schlimmer werden konnten. Dart trank einen mächtigen Schluck, als würde das Bier die müden Haarbälger beleben, und fragte mich, ob ich verheiratet sei.

«Seh ich so aus?«

«Sie wirken ausgeglichen.«

Überrascht sagte ich, ja, ich sei verheiratet.

«Kinder?«

«Sechs Söhne.«

«Sechs!« Er schien entsetzt.»So alt sind Sie doch noch nicht.«

«Wir haben mit neunzehn geheiratet, und meine Frau bekommt gern Kinder.«

«Ach, du lieber Gott. «Mehr fiel ihm dazu nicht ein, und ich dachte wieder einmal zurück an die abgehobene Studentenzeit, als Amanda und ich aufeinander geflogen waren. Wir hatten damals viele Freunde und Freundinnen, die ohne Trauschein zusammenlebten: es war gang und gäbe.

«Laß uns heiraten«, sagte ich spontan.»Kein Mensch heiratet heutzutage«, meinte Amanda.»Laß uns trotzdem«, sagte ich.

Also heirateten wir, glücklich kichernd, und ich hörte nicht auf meine Mutter, die mir klarmachen wollte, daß ich Amanda mit den Augen heiratete, eine noch kaum erwachsene Frau, die ich nicht richtig kannte.»Ich habe Keith Stratton wegen seines Aussehens geheiratet«, sagte sie mir,»und das war ein böser Fehler. Es ist immer ein Fehler.«

«Aber Amanda ist reizend.«

«Sie sieht reizend aus und ist nett und liebt dich ganz offensichtlich, aber ihr seid beide noch so jung — du wirst dich ändern, wenn du älter wirst, und sie genauso.«

«Mama, kommst du zu der Hochzeit?«

«Selbstverständlich.«

Ich heiratete Amanda wegen ihrer langen Beine und ihrer blonden Haare und wegen ihres Namens, Amanda, den ich toll fand. Es dauerte zehn Jahre, bis ich in der Lage war, mir einzugestehen, daß meine Mutter mit der Prognose, wir würden uns ändern, recht gehabt hatte.

Weder Amanda noch ich hatten mit neunzehn gewußt, daß sie fast sofort einen Appetit aufs Kinderkriegen entwickeln würde. Beide hatten wir nicht voraussehen können, wie sehr sie den eigentlichen Geburtsvorgang genoß und daß sie die nächste Schwangerschaft planen würde, sobald sie ein Kind ausgetragen hatte.

Christopher und Toby waren schon geboren, als ich noch für mein Schlußexamen büffelte, und es schien mit geradezu unmöglich, uns vier zu versorgen und uns ein Zuhause zu geben. Eine Woche nach dem Examen war ich dann in ein deprimierendes altes Pub gegangen, um meine Sorgen zu ertränken, und der Wirt hatte mir noch etwas vorgeweint, da sein eigener Lebenstraum in Scherben gegangen war. Man hatte sein Lokal für baufällig erklärt, er war total verschuldet, seine Frau hatte ihn verlassen, und am nächsten Tag lief seine Schanklizenz ab.

Wir handelten einen Freundschaftspreis aus. Ich bat die Stadt, den Abbruch auszusetzen. Ich bettelte, nahm Darlehen auf, verpfändete meine Seele, und Amanda, die beiden Jungen und ich zogen in unser erstes Abbruchhaus.

Ich begann es instandzusetzen, während ich mich nach einer Stelle umsah, und fand ein bescheidenes Plätzchen in einem großen Architekturbüro; nicht, daß es mir da gefiel, aber wegen der Lohntüten harrte ich verbissen aus.

Im Gegensatz zu Dart wußte ich sehr gut, wie es ist, wenn einen nachts die Frage wachhält, welche Rechnung man als nächstes bezahlen soll und wovon überhaupt; was man dringender braucht, Strom oder Telefon (Strom), und ob man dem Klempner sein Geld geben soll (gib es ihm, aber lerne selbst klempnern); ob man erst Dachziegel kauft (ja) oder Mauersteine (nein).

Ich hatte losen Schutt weggekarrt, hatte improvisiert, hatte eimerweise mürben Mörtel abgekratzt, hatte alten Steinen neuen Glanz verliehen und einen Kamin gebaut, der niemals qualmte. Das baufällige Haus wurde wieder bewohnbar, und ich verließ das Architekturbüro und reifte und änderte mich unwiderruflich. Mit neunzehn hatte ich noch nicht gewußt, daß Teamarbeit nichts für mich war und daß mir das Bauen mit den Händen mehr lag als bloß die Arbeit am Zeichenbrett. Amanda hatte nicht geahnt, daß das Zusammenleben mit einem Architekten Schmutz, Strapazen und Monate ohne Einkommen bedeuten konnte; aber wir hatten uns soweit zusammengerauft, daß sie ihre Babys haben konnte und ich meine Ruinen, beide also das, was wir zu unserer Erfüllung brauchten, und zugleich hatten wir uns soweit auseinandergelebt, daß selbst unser gegenseitiges sexuelles Interesse zu einer wenn auch überwindbaren Gleichgültigkeit verflacht war.

Nach Neils Geburt, in einer Phase, in der gar nichts mehr zu klappen schien, hätten wir uns fast endgültig getrennt, doch die notwendige Versorgung des Nachwuchses war vorgegangen. Ich hatte mir angewöhnt, die Nächte allein unter den Planen zu verbringen, während die anderen im Bus schliefen. Als eine Art Fluchtbewegung arbeitete ich achtzehn Stunden am Tag. Nach vier immer rentableren, aber unglücklichen Jahren, in denen wir beide keinen neuen Partner kennengelernt hatten, überwanden wir uns,»noch einmal von vorn anzufangen«. Jamie war das Ergebnis. Er hielt Amanda noch bei Laune, und obwohl der Neuanfang nach und nach im Sand verlaufen war, hatte er doch eine für beide Seiten vorteilhafte und akzeptable Waffenruhe ermöglicht, die mir für die absehbare Zukunft ausreichend erschien, zumindest so lange, bis die Jungen erwachsen waren.

Und die freie Wahl? Wo kam die da ins Spiel? Ich entschloß mich zu heiraten, weil ich anders sein wollte, und ich hielt an der Ehe fest, weil ich mir nicht eingestehen konnte, daß sie ein Fehler war. Ich entschloß mich, allein zu arbeiten, weil es mir an Teamgeist fehlte. Jede Entscheidung war durch die Umstände vorgegeben. Von freier Wahl keine Spur.

«Ich entscheide, wie ich bin«, sagte ich.

Dart sagte verblüfft:»Was?«

«Nichts. Nur eine Theorie. War es unvermeidlich, daß Conrad, Keith, Ivan und Ihr anderen über die Zukunft der Rennbahn heute so und nicht anders entschieden habt?«

Er suchte in seinem Bier nach einer Antwort und blickte kurz zu mir auf.»Das ist mir zu hoch«, meinte er.

«Hätten Sie sich auch vorstellen können, daß Ihr Vater verkaufen will? Oder daß Keith alles so lassen möchte wie bisher?«

«Oder daß Rebecca Männer mag?«Er grinste.»In allen drei Fällen nein.«

«Was wäre denn Ihrer Meinung nach gut für die Rennbahn?«fragte ich.

«Sagen Sie es mir«, erwiderte er freundlich.»Sie sind der Fachmann.«

Er schien mir ein bißchen sehr bequem zu sein. Was man einem beinah Unbekannten wiederum nicht sagen konnte.

«Noch ein Halbes?«schlug ich vor und wies auf unsere fast leeren Gläser.

«Nein, danke. Was ist, wenn man den Zufall entscheiden läßt? Eine Karte zieht oder so? Oder wenn man praktisch denkt — es regnet, also nehme ich einen Schirm mit?«

«Viele Leute nehmen keinen mit.«

«Weil es ihnen fremd ist? Weil sie es weibisch finden?«

«Mehr oder weniger.«

«Wie sind wir darauf gekommen?«Er schien das Thema leid zu sein.»Noch mal zu der Sitzung. Sie haben doch meinen Vater gefragt, ob er schon Pläne von den anvisierten neuen Tribünen hat. Haben Sie das gefragt, weil es in Ihr Fach schlägt?«

«Ja«, nickte ich.

«Hm… Könnten Sie die Pläne beurteilen, wenn Sie sie sehen würden?«

«Vielleicht.«

Er dachte darüber nach.»Ich weiß, wo die Pläne sind, aber außer mir will sicher keiner, daß Sie sie sehen. Wenn ich sie Ihnen zeige, würden Sie mir dann im Vertrauen sagen, was Sie davon halten? Dann hätte ich wenigstens einen Anhaltspunkt, ob die Idee mit der neuen Tribüne gut ist oder nicht. Ich meine, es geht um die Zukunft der Rennbahn, aber ich weiß nicht, wie ich da stimmen soll, weil mir nicht klar ist, wo die einzelnen Möglichkeiten hinführen. Von daher haben Sie recht — wenn ich jetzt entscheiden müßte, wäre meine Entscheidung vom Instinkt geleitet. Ich würde nach meiner Nase gehen. Stimmt’s?«

«Stimmt.«

«Sollen wir uns also die Pläne von Conrads Lieblingsarchitekt mal anschauen?«

«Ja«, sagte ich.

Er grinste.»Das mit den Entscheidungen ist super. Auf geht’s, wir machen einen kleinen Einbruch. «Er stand ent-schlossen auf und wandte sich zur Tür.»Können Sie Schlösser knacken?«

«Kommt auf das Schloß an. Aber wenn es sein muß und wenn die Zeit reicht, schaffe ich es schon.«

«Gut.«

«Wie lange wird das dauern?«fragte ich.

Er blieb stehen und zog die Brauen hoch.»Eine halbe Stunde vielleicht.«

«Okay.«

Ich folgte ihm aus dem Mayflower und in sein Stadtauto, und schon preschten wir einem mir unbekannten Ziel entgegen.

«Und wenn ich nun beschließe, keine Glatze zu kriegen?«sagte er mit einer bitteren Heiterkeit.

«Das liegt nicht bei Ihnen.«

Wir fuhren in östlicher Richtung, Swindon hinter uns, Wantage den Schildern nach vor uns. Lange bevor wir dorthin kamen, stieg Dart jedoch auf die Bremse und bog durch ein offenes Tor zwischen Steinmauern auf eine kurze Einfahrt. Wir hielten vor einem großen Haus aus glatten grauen Ziegeln mit Streifen aus glatten roten Ziegeln und eingelegten Mustern aus glatten gelblichen Ziegeln, insgesamt ein (für meine Begriffe) verbotener Anblick.

«Hier bin ich aufgewachsen«, sagte Dart angeregt.»Was halten Sie davon?«

«Edwardianisch«, sagte ich.

«Dicht dran. Victorias letztes Jahr.«

«Jedenfalls gediegen.«

Ein Türmchen. Große Schiebefenster. Wintergarten. Stolzer gehobener Mittelstand.

«Meine Eltern haben es jetzt für sich allein«, sagte Dart freimütig.»Sie sind übrigens nicht da. Vater wollte sich nach der Rennbahn mit Mutter treffen. Sie kommen erst in Stunden wieder. «Er zog den Schlüsselbund aus der Zündung und stieg aus.»Wir können hinten reingehen«, sagte er, indem er einen Schlüssel heraussuchte.»Kommen Sie.«

«Nichts mit Einbrechen?«

«Später.«

Auch aus der Nähe war das Mauerwerk abscheulich, und obendrein fühlte es sich glitschig an. Der Weg nach hinten war von tristen immergrünen Sträuchern gesäumt. Auf der Rückseite befand sich ein Anbau aus rotem Backstein für die nachträglich integrierten Toiletten: Braun bestrichene Rohre liegen kreuz und quer über die Außenwand, eine Einladung an den Frost. Dart sperrte eine braun gestrichene Tür auf, und so betraten wir (buchstäblich) die Eingeweide des Hauses.

«Hier entlang«, sagte er und marschierte an einem Klo und anderen sanitären Anlagen, die man flüchtig durch halb offene Türen gewahrte, vorbei.»Und dann hier durch. «Er stieß eine Schwingtür auf, die uns vom Zweckmäßigen zum Aufwendigen führte — zu einer schwarzweiß gefliesten Eingangshalle.

Wir durchquerten sie und kamen zu einer blankpolierten Tür und einem vollgestopften eichengetäfelten Raum, in dem unzählige Pferdebilder auf das Auge einstürmten, sei es von Ölgemälden, dicht gehängt, einzeln beleuchtbar, sei es von Schwarzweißfotos in silbernen Standrahmen auf jeder geeigneten Fläche, sei es von Buchumschlägen. Pferdekopf-Bücherstützen flankierten in Leder gebundene Klassiker wie The Irish R. M. und Handley Cross. Auf einem vollen Schreibtisch diente ein silberner Fuchs als Briefbeschwerer. Silber- und Goldmünzen lagen in

Schaukästen aus. Eine Reitpeitsche ringelte sich wie zufällig auf einem Sessel mit zersprungenen Federn. Ein Zeitschriftenständer war beladen mit Ausgaben von Horse & Hound und Country Life.

«Vaters Heiligtum«, sagte Dart überflüssigerweise. Er ging unbekümmert durch das Zimmer, um den Schreibtisch und den großen Drehsessel herum und blieb vor der Täfelung stehen, die hier, wie er sagte, eine von seinem Vater stets verschlossen gehaltene Schranktür verbarg.

«Da sind die Pläne für die Rennbahn drin«, fuhr er fort.»Wollen wir nachsehen?«

«Ihr Vater wäre damit nicht einverstanden.«

«Wohl wahr. Kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit moralischen Bedenken. Sie haben doch gesagt, Sie könnten es.«

«Das ist mir zu persönlich.«

Ich trat aber zu ihm und bückte mich, um mir das Schloß genauer anzusehen. Von außen war nur ein unauffälliges Schlüsselloch zu erkennen; hätte Dart nicht gewußt, daß die Tür überhaupt vorhanden war, wäre sie fast unsichtbar gewesen, zumal ein Gemälde — Reiter und Hunde bei einem Jagdtreffen — daran hing, um den Eindruck einer durchgehenden Wand zu verstärken.

«Und?«fragte Dart.

«Wie sieht der Schlüssel aus?«

«Was meinen Sie damit?«

«Nun, ist es ein kleiner, kurzer Schlüssel oder ein langer, schmaler mit vielen Einschnitten im Bart?«

«Ein langer.«

Ich richtete mich auf und teilte ihm die schlechte Neuigkeit mit.

«Dann lasse ich die Finger davon«, sagte ich.»Liegt denn der Schlüssel nicht hier irgendwo im Zimmer?«

«Als Teenager habe ich den jahrelang gesucht. Ohne Erfolg. Und wenn wir ein bißchen Gewalt anwenden?«

«Kommt nicht in Frage.«

Dart spielte mit irgendwelchen Utensilien auf dem Schreibtisch herum.»Was ist mit dem Federmesser? Oder hiermit?«Er hielt einen langen Stiefelknöpfer hoch.»Wir wollen ja doch nichts stehlen. Nur mal was ansehen.«

«Weshalb hat Ihr Vater die Pläne weggeschlossen?«

Dart zuckte die Achseln,»Er ist heimlichtuerisch veranlagt. Was für Energien das kostet. Wär’ mir viel zu mühsam.«

Das Schloß war ein altes, sicher ganz einfaches Hebelschloß und wahrscheinlich von innen aufgesetzt. Das Schlüsselloch selbst war stattliche zweieinhalb Zentimeter hoch, da mußte die Tür im Handumdrehen zu knacken sein. Am besten mit einem abgefeilten Schlüssel, aber zwei Drähte hätten auch genügt. Ich hatte jedoch nicht vor, sie aufzubrechen, denn einmal würde Conrad zu Recht wütend werden, wenn er dahinterkam, und zum anderen war mein Interesse an den Plänen nicht absolut unwiderstehlich.

«Sind wir umsonst hergekommen?«fragte Dart.

«Tut mir leid.«

«Na ja. «Seine Abenteuerlust schien problemlos einer vernünftigeren Einstellung gewichen zu sein.»Ich habe stark das Gefühl, Sie könnten das Schloß aufkriegen, aber Sie wollen nicht.«

Die Fahrt war eine Enttäuschung gewesen. Ich sah auf meine Uhr und fragte ihn, ob er mich zur Rennbahn zurückbringen könne. Er war einverstanden, wenn auch offenbar genauso ernüchtert wie ich. Es war klar, daß ich seine Erwartungen nicht erfüllt hatte.

Wir fuhren mit seinem Wagen wieder los, und ich fragte ihn, wo er jetzt wohne.

«Ich?«sagte er.»In Stratton Hays.«

«Ist das ein Dorf?«

«Gott behüte. «Er war amüsiert.»Ein Haus. Aber im Grunde genommen ist es wirklich so groß wie ein Dorf. Der alte Knochen war einsam nach Großmamas Tod, darum bat er mich, eine Zeitlang bei ihm zu wohnen. Das war vor ungefähr zehn Jahren. Keith hielt natürlich gar nichts davon. Er wollte mich rausdrängen und selbst einziehen. Schließlich hatte er schon einen großen Teil seines Lebens da verbracht. Er meinte, es sei gegen die Natur, daß sich da ein Zwanzigjähriger einnistet, aber Großvater wollte Keith nicht wieder im Haus haben. Ich weiß noch, was für eine Brüllerei das gab. Wenn Keith da war, hab ich mich immer verdrückt. Aber das war auch früher schon so. Jedenfalls mochte ich Großvater, und wir kamen gut miteinander aus. Wir haben gemeinsam zu Abend gegessen, und tagsüber habe ich ihn meistens auf dem Gut oder auf der Rennbahn herumgefahren. Eigentlich hat er die Rennbahn ja geleitet. Das heißt, der Colonel, über den Rebecca sich beschwert hat, Colonel Gardner, der alte und neue Rennbahnverwalter, hat immer getan, was Großvater wollte. Der Mann ist ausgezeichnet, egal was Rebecca sagt. Großvater hatte überhaupt eine glückliche Hand in der Wahl seiner Mitarbeiter, bei Colonel Gardner und auch bei den zweien, auf die ich angewiesen bin, dem Gutsverwalter und dem Gutsinspektor. Das ist ein Trost, denn um ehrlich zu sein, das einzige Genie, das es in unserer Familie je gab, war der erste Baron, ein Handelsbanker, der hat aus allem Geld und noch mal Geld gemacht. «Es war leichthin gesprochen, ein wenig selbstverachtend, aber die nächsten Worte sagte er mit Nachdruck.»Der alte Knabe fehlt mir gewaltig, müssen Sie wissen.«

Wir kurvten weiter, bis die paradierenden Schildbürger wieder in Sicht kamen.

«Nach Stratton Hays«, sagte Dart,»geht’s geradeaus am Tor vorbei. Es ist nicht weit. Grenzt an das Rennbahngelände. Möchten Sie es sehen? Da hat ja Ihre Mutter auch mit Keith gewohnt. Da hat sie Hannah zurückgelassen.«

Ich blickte auf meine Uhr, doch die Neugier war stärker als das väterliche Verantwortungsgefühl. Ich sagte, es würde mich sehr interessieren, und wir fuhren hin.

Stratton Hays war alles, was Conrads Haus nicht war, ein in sich geschlossener alter Palast nach Art eines kleineren Hardwicke Hall. Ausgewogene Proportionen in Stein und Glas, mit leichter Hand gebaut im Goldregen der elisabethanischen Ära. Es sah noch genauso aus wie vor fast vier Jahrhunderten und ganz gewiß so wie vor vierzig Jahren, als meine Mutter dort als Braut eingezogen war.

Da sie ihr ganzes Leid in seine Mauern projiziert und» das Stratton-Haus «als einen seelenlosen Bunker bezeichnet hatte, war ich auf seine anmutige Pracht nicht vorbereitet. Auf mich wirkte es freundlich und einladend.

«Mein Ururgroßvater hat das Schloß gekauft«, sagte Dart leutselig,»da er es als standesgemäßen Sitz für einen frisch ernannten Baron ansah. Die erste Baronin fand es nachweislich nicht edel genug. Sie wollte palladianische Säulen, Ziergiebel und Portiken.«

Auch dieses Haus betraten wir durch einen unauffälligen Nebeneingang, und wieder gelangten wir in eine schwarzweiße, doch diesmal mit Marmor ausgelegte Halle. Viel Raum zwischen den Möbeln, keine Vorhänge an den hohen Fenstern, und wie meine Mutter gesagt hatte, lag der Atem vergangener Generationen in der Luft.

«Keith hat den Westkorridor oben bewohnt«, sagte Dart, während er eine breite Treppe hinaufstieg.»Nach der Scheidung von Ihrer Mutter hat er wieder geheiratet, und Großvater bat ihn, sich mit seiner neuen Frau und Hannah eine andere Wohnung zu suchen. Da war ich natürlich noch nicht geboren. Keith wollte anscheinend nicht wegziehen, aber Großvater bestand darauf.«

Dart überquerte einen großen, unmöblierten Flur und bog um die Ecke auf einen langen, breiten Gang mit dunklem Holzboden, karminrotem Läufer und einem hohen Fenster am anderen Ende.

«Der Westkorridor«, sagte Dart.»Alle Türen sind offen. Die Zimmer werden einmal im Monat entstaubt. Sie können sich gern umschauen.«

Ich sah mich mit einem gewissen Unbehagen um. Hier hatte meine Mutter Schläge über sich ergehen lassen und das, was man heute Vergewaltigung in der Ehe nennt. In ihrem Schlafzimmer war die Zeit stehengeblieben. Mir schauderte.

Ein Ankleideraum, ein Damen-, ein Arbeits- und ein Wohnzimmer lagen ebenfalls an diesem Gang. Ein viktorianisches Bad und eine Küche neueren Datums nahmen den Raum ein, der vermutlich einmal ein zweites Schlafzimmer gewesen war. Von einem Kinderzimmer keine Spur.

Ich kehrte zu Dart zurück und dankte ihm.

«Gab es hier nie Vorhänge?«fragte ich.

«Die sind verrottet«, sagte Dart.»Großvater hat sie rausgeschmissen und wollte nicht, daß Großmama neue aufhängt. «Er ging auf die Treppe zu.»Die Großeltern haben im Ostkorridor gewohnt. Der ist genauso angelegt, aber komplett eingerichtet. Teppiche, Vorhänge, richtig nett. Alles ausgesucht von Großmama. Es kommt einem sehr leer vor, jetzt wo sie beide nicht mehr sind. Abends habe ich oft mit Großvater dort im Wohnzimmer zusammengesessen, aber jetzt halte ich mich da kaum noch auf.«

Wir gingen die Treppe hinunter.

«Wo wohnen Sie denn?«fragte ich.

«Das Haus ist E-förmig«, sagte er.»Ich habe das Erdgeschoß im Südflügel. «Er wies auf einen breiten Gang, der von der Vorhalle abging.»Vater hat das Haus geerbt, aber er und Mutter wollen hier nicht wohnen. Es ist ihnen zu groß. Jetzt verhandle ich mit Vater wegen eines Mietvertrages. Keith will mich raushaben, weil er rein möchte — zum Teufel mit ihm.«

«Der Unterhalt muß ein Vermögen kosten«, bemerkte ich.

«Der Nordflügel hat kein Dach«, sagte er.»Es ist absurd, aber wenn ein Teil des Hauses unbewohnbar ist, kostet es weniger Steuern. Das Dach da hätte erneuert werden müssen, aber es war wirtschaftlicher, die Bedachung ganz zu entfernen und das Wetter darauf loszulassen. Der Nordflügel ist hin. Die Außenwände sehen noch ganz gut aus, aber das täuscht.«

Ich würde bald wiederkommen, dachte ich, und mir, wenn ich durfte, den verfallenen Flügel einmal ansehen, doch im Augenblick ging es mir nur darum, die Gardners von ihrem ausgedehnten Babysitting zu erlösen.

Dart fuhr mich freundlicherweise die anderthalb Kilometer zurück zum Haupteingang der Rennbahn, wo uns ein massiger Mann mit Bart und Strickmütze die Zufahrt versperrte, indem er uns vor den Wagen lief. Dart fluchte, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als mit einem Ruck anzuhalten.

«Das haben die schon mal gemacht«, sagte er.»Sie haben Tante Marjorie auf dem Weg zur Hauptversammlung aufgehalten. Und Vater und Keith auch. Die waren sauer.«

Da Roger Gardner mich über einen hinteren Eingang zu sich dirigiert hatte, war mir der Spießrutenlauf erspart geblieben. Die Jungen hätten von der sicheren hohen Warte des Busses aus bestimmt Spaß daran gehabt.

Der Bärtige trug ein Plakat mit der roten Aufschrift PFERDERECHTE GEHEN VOR. Er blieb stur vor dem Wagen stehen, während eine Frau mit scharfgeschnittenem Gesicht auf Darts Seite ans Fenster klopfte und ihm bedeutete, es herunterzudrehen. Als Dart sich standhaft weigerte, schrie sie uns ihre Parole zu, nämlich daß alle Menschen, die mit dem Rennsport zu tun hatten, Mörder seien. Ihre dünnen, angespannten Züge erinnerten mich lebhaft an Rebecca, und ich fragte mich, was bei ihnen beiden wohl zuerst kam, die Neigung, sich in etwas zu verbeißen, oder der Glaube ans gesteckte Ziel.

Sie trug ein schwarz gerändertes Plakat mit der unheilvollen Losung TOD DEN RENNBAHNBESUCHERN und erhielt Verstärkung durch eine fröhlicher gestimmte Frau, deren Botschaft-am-Stiel lautete: LASST DIE PFERDE FREI.

Jemand klopfte energisch an das Fenster auf meiner Seite, und als ich mich umdrehte, blickte ich direkt in die blitzenden Augen eines fanatischen jungen Mannes, der den glühenden Eifer eines Apostels an den Tag legte.

«Mörder«, schrie er und wedelte mir mit dem vergrößerten Foto eines Pferdes, das tot neben weißen Rails lag, vor dem Gesicht herum.»Mörder«, schrie er noch einmal.

«Die spinnen doch«, meinte Dart unbekümmert.

«Sie amüsieren sich.«

«Arme Tröpfe.«

Die ganze Empörertruppe hatte sich jetzt um den Wagen geschart, begnügte sich aber mit bösen Blicken und verzichtete auf Tätlichkeiten. Ihr Engagement ging nicht so weit, daß sie uns das Fell gerben wollten. Auf jeden Fall konnten sie sich nachher in dem Gefühl sonnen, ihre Fürsorglichkeit bewiesen zu haben. Ihnen allein würde es nicht gelingen, eine Industrie stillzulegen, die über das sechstgrößte Arbeitskräftepotential im Land gebot, doch um so ungefährlicher fanden sie es wahrscheinlich, dagegen anzugehen.

Bis jetzt, dachte ich beim Anblick ihrer zornig engagierten Gesichter, waren sie noch nicht in die Fänge professioneller Aufwiegler geraten. Vielleicht eine Frage der Zeit.

Dart hatte die Nase voll und ließ sein Auto zentimeterweise vorwärtsrollen. Der bärtige Bremsklotz stemmte sich gegen die Haube. Dart bedeutete ihm, sich zu entfernen. Der Bremser schüttelte die Faust und blieb, wo er war. Dart legte gereizt die Hand auf die Hupe, und der Bremser sprang wie elektrisiert zur Seite. Dart rollte langsam weiter. Die Plakatträgerin stelzte ein paar Schritte neben uns her, blieb jedoch abrupt stehen, als wir das Tor durchquerten. Offenbar hatte sie jemand über unbefugtes Betreten belehrt.

«Wie lästig«, sagte Dart und beschleunigte.»Was glauben Sie, wie lange die das durchziehen?«

«Für Ihre Rennveranstaltung hier am nächsten Montag«, meinte ich,»würde ich Polizei anfordern.«

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