Kapitel 6

In dem Sekundenbruchteil, der ein Denken noch zuließ, schrien Verstand und Instinkt mir zu, daß die Treppe selbst, mit Sprengstoff bekränzt und umwickelt, eine Todesfalle war.

Ich schlang die Arme um Toby, drehte mich auf dem schwankenden Boden herum, wobei ich noch fast ausglitt, und warf mich mit aller durch die Arbeit antrainierten Kraft zurück in Richtung von Tobys Schrankversteck neben dem Richternest.

Das Herz von Stratton Park wurde eingedrückt. Die Treppe riß und barst und krachte, als die Wände ringsherum einstürzten und die anliegenden Räume zu offenen, ausgezackten Höhlen wurden. Die Tür zum Richternest flog auf, die Aussichtsfenster zersprangen zu scharfen Speerspitzen. Der entsetzliche Lärm betäubte die Ohren. Die Tribüne brach mit einem kreischenden Geräusch auseinander, Holz gegen Holz gegen Ziegel gegen Beton gegen Stein gegen Stahl.

Mit Toby unter mir fiel ich nach vorn und suchte hastig einen Halt für die Füße, um nicht auf die zerstörte Treppe zuzurutschen; und der alles überragende Turm, der Aussichtspunkt für Presse und Fernsehen, krachte durch Dek-kenbalken und Putz auf uns herunter und ging als scharfkantiger Schutt in unmöglichen Winkeln über meinem Rücken und meinen Beinen nieder. Mir war, als könnte ich nicht mehr atmen. Wellen stechenden Schmerzes nagelten mich am Boden fest. Jede Bewegung war unmöglich.

Schwarze Rauchschwaden, die von der Treppe heraufstiegen, füllten die Lungen, verstopften sie und lösten Hustenkrämpfe aus, aber da war kein Platz zum Husten.

Das Getöse legte sich allmählich. Von tief unten ein leises Knarren, hin und wieder ein Krachen. Überall schwarzer Qualm, grauer Staub. In mir, Schmerzen.

«Papa«, sagte Tobys Stimme,»du erdrückst mich. «Auch er hustete.»Ich kriege keine Luft, Papa.«

Ich sah verwirrt auf ihn herunter. Sein brauner Haarschopf ging mir bis ans Kinn. Unpassenderweise — aber die Gedanken kommen nun einmal, wie sie wollen — dachte ich daran, wie seine Mutter sich früher oft beklagt hatte:»Lee, du erdrückst mich«, und wie ich mich dann, um ihr nicht so schwer zu sein, auf die Ellbogen gestützt und in ihre schimmernden, lachenden Augen geschaut und sie geküßt hatte, worauf sie schließlich meinte, eines Tages würde ich ihr mit meiner Kraft noch die Lungen eindrük-ken und die Rippen brechen und sie vor Liebe ersticken.

Ihr die Lungen eindrücken, die Rippen brechen, sie ersticken… du lieber Gott.

Mit einiger Mühe brachte ich meine Ellbogen in die vertraute Stützlage und wandte mich Amandas zwölfjährigem Sohn zu.

«Rutsch raus«, sagte ich hustend.»Schieb dich nach oben raus, den Kopf voran.«

«Papa… du bist zu schwer.«

«Nun komm«, sagte ich,»du kannst hier nicht den ganzen Tag liegen. «Anders ausgedrückt, ich wußte nicht, wie lange ich mich von ihm wegstemmen konnte, um ihn nicht umzubringen.

Ich kam mir vor wie Atlas, nur daß die Welt nicht auf meinen Schultern lag, sondern unter ihnen.

Ungeachtet der Situation schien die Sonne zu uns herein. Oben blauer Himmel, zu sehen durch das Loch im Dach. Der schwarze Qualm zog da hindurch und löste sich allmählich auf. Toby zwängte sich in krampfhaften kleinen Rucken nach oben, bis sein Gesicht gleichauf mit meinem war. Seine braunen Augen sahen entsetzt aus, und entgegen seiner Gewohnheit weinte er.

Ich gab ihm einen Kuß auf die Wange, was er normalerweise nicht mochte. Diesmal schien es ihn nicht zu kümmern, und er wischte ihn auch nicht ab.

«Es ist schon gut«, sagte ich.»Es ist vorbei. Uns ist nichts passiert. Wir müssen nur sehen, daß wir hier rauskommen. Rutsch weiter. Du machst das prima.«

Er schob sich mühsam, Zentimeter für Zentimeter, heraus, indem er Mauerstücke aus dem Weg stieß. Ich hörte ihn noch schluchzen, aber er jammerte nicht. Schließlich kniete er ein wenig keuchend in Höhe meiner rechten Schulter und hustete ein paarmal.

«Gut gemacht«, sagte ich. Ich ließ meinen Brustkorb auf den Boden sinken. Keine übermäßige Erleichterung, außer für meine Ellbogen.

«Papa, du blutest.«

«Halb so schlimm.«

Neuerliches Schluchzen.

«Hör auf zu weinen«, sagte ich.

«Der Mann da«, sagte er,»das Pferd hat ihm in die Augen getreten.«

Ich drehte den rechten Unterarm in seine Richtung.»Nimm meine Hand«, sagte ich. Zögernd legte er die Finger in meine Handfläche, und ich umfaßte sie leicht.

«Schau mal«, sagte ich,»es passieren wirklich böse Sachen. Das Gesicht von dem Mann wirst du dein Leben lang nicht vergessen. Aber du wirst immer seltener daran denken und nicht, wie jetzt, die ganze Zeit. Du wirst auch nicht vergessen, wie die Tribüne hier über uns eingestürzt ist. Eine Menge Leute tragen wirklich schreckliche Erinnerungen mit sich herum. Wenn du über den Mann da reden willst, höre ich dir immer zu.«

Er drückte mir heftig die Hand und ließ sie dann los.

«Wir können hier nicht ewig herumhängen«, sagte er.

Trotz unserer reichlich ungünstigen Lage mußte ich lächeln.

«Es ist anzunehmen«, bemerkte ich,»daß deine Brüder und Colonel Gardner die Umgestaltung der Tribüne mitgekriegt haben. Also wird jemand kommen.«

«Ich kann ja mal aus dem kaputten Fenster winken, damit sie sehen, wo wir sind.«

«Bleib, wo du bist«, sagte ich scharf.»Jedes Stück Boden kann einstürzen.«

«Doch nicht hier, Papa. «Er blickte wild um sich.»Der Boden unter uns auch, Papa?«

«Der hält schon«, sagte ich und hoffte nur, daß es auch stimmte. Der ganze Flur fiel jetzt allerdings schräg nach dem Loch hin ab, wo die Treppe gewesen war, und ich hätte nicht ausgelassen darauf herumturnen mögen.

Der Druck der Trümmer von Decke, Dach und Presseturm auf meinem Rücken und meinen Beinen hielt unvermindert an und nagelte mich fest. Aber ich konnte die Zehen in den Schuhen bewegen, und ich spürte mehr als genug. Wenn der Bau nicht unter dem zunehmenden inneren Druck noch weiter nachgab, kam ich womöglich mit klarem Kopf, einer intakten Wirbelsäule, zwei Händen, zwei Füßen und einem unverletzten Sohn davon. Alles in allem gar nicht übel. Ich hoffte trotzdem, daß die Retter sich beeilten.

«Papa?«

«Mhm?«

«Mach nicht die Augen zu.«

Ich öffnete sie und ließ sie offen.

«Wann kommt denn jemand?«fragte er.

«Bald.«

«Ich kann nichts dafür, daß die Tribüne explodiert ist.«

«Natürlich nicht.«

Nach einer Pause sagte er:»Ich dachte, du machst nur Spaß.«

«Mhm.«

«Es ist nicht meine Schuld, daß du dich verletzt hast, oder?«

«Nein. «Ich sah ihm aber an, daß er noch nicht beruhigt war. Ich sagte:»Wenn du dich nicht ganz hier oben versteckt hättest, wäre ich vielleicht weiter unten an der Treppe gewesen, als die Explosion kam, und dann wäre ich jetzt wahrscheinlich tot.«

«Meinst du wirklich?«

«Ja.«

Es war sehr still. Fast als wäre nichts geschehen. Versuchte ich mich zu bewegen, sah das schon anders aus…

«Woher hast du gewußt, daß der Bau hochgeht?«sagte Toby.

Ich erklärte ihm, daß Neil die Sprengschnur gesehen hatte.

«Ihm verdanken wir«, sagte ich,»daß ihr nicht alle fünf ums Leben gekommen seid.«»Mir ist keine Schnur aufgefallen.«

«Aber du weißt ja, wie Neil ist.«

«Dem entgeht nichts.«

«Nein.«

In der Ferne hörten wir — endlich — Sirenen. Erst eine, dann mehrere, dann ein ganzes Heulkonzert.

Toby wollte aufstehen, aber ich sagte ihm noch einmal, er solle sich nicht rühren, und bald darauf ertönten Stimmen unter uns auf der Rennbahn, und mein Name wurde gerufen.

«Sag ihnen, daß wir hier sind«, sagte ich zu Toby, und er rief mit seiner hohen Stimme:»Hier sind wir. Wir sind hier oben.«

Es war kurz still, dann rief eine Männerstimme:»Wo?«

«Sag ihnen, neben dem Richternest«, sagte ich.

Toby gab die Information weiter und bekam als Antwort wieder eine Frage.

«Ist dein Vater bei dir?«

«Ja.«

«Kann er reden?«

«Ja. «Toby sah mich an und gab ihnen von sich aus näher Auskunft.»Er kann sich nicht bewegen. Ein Teil vom Dach ist eingestürzt.«

«Wartet.«

«Okay?«fragte ich Toby.»Ich hab dir ja gesagt, daß sie kommen.«

Wir hörten Geklirr und Geklapper und geschäftsmäßiges Rufen von draußen, weit weg. Toby zitterte, aber nicht vor Kälte, denn die Mittagssonne wärmte uns noch, sondern vor anhaltendem Schock.»Sie kommen jetzt bald«, sagte ich.

«Was machen die denn?«»Sie bringen wahrscheinlich ein Gerüst an.«

Sie kamen von der Rennbahnseite herauf, wo die Sitzreihen aus Stahlbeton und die Stahlträger, wie sich zeigte, die Explosion nahezu unbeschädigt überstanden hatten. Ein Feuerwehrmann mit einem großen Helm und leuchtend gelber Jacke tauchte plötzlich vor den zerbrochenen Fenstern des Richternests auf und spähte herein.

«Jemand zu Hause?«rief er aufgeräumt.

«Ja. «Toby stand fröhlich auf, und ich befahl ihm sofort, sich nicht zu rühren.

«Aber Papa — «

«Rühr dich nicht.«

«Bleib schön da, junger Mann. Wir holen dich im Nu da raus«, sagte ihm der Feuerwehrmann und verschwand so schnell, wie er gekommen war. Er kam mit einem Kollegen und einem stabilen Metallsteg wieder, über den Toby zum Fenster laufen konnte, und wie versprochen hatte er den Jungen fast im Handumdrehen durchs Fenster gehoben und in Sicherheit gebracht. Als Toby aus meinem Blickfeld verschwand, wurde mir flau. Ich zitterte vor Erleichterung. Eine Menge Kraft schien mich zu verlassen.

Der Kollege stieg jetzt zum Fenster herein, überquerte den Steg in der Gegenrichtung und blieb an seinem Fußende stehen, ein, zwei Schritte von dort, wo ich lag.

«Lee Morris?«fragte er. Dr. Livingstone, nehme ich an.

«Ja«, sagte ich.

«Es dauert nicht mehr lange.«

Sie kamen mit Klettergurten, mit Stützspindeln und Hebestangen, mit Schlingen, Schneidwerkzeug und einem Minikran; und sie verstanden ihr Geschäft, doch der ganze Bereich, in dem ich lag, erwies sich als äußerst unsicher, und mittendrin kam noch ein Stück vom Presseturm durch das Dach gedonnert, verfehlte meine Füße um Millimeter, prallte ab und plumpste in das 5-Etagen-Loch, in dem einmal die Treppe war. Man hörte es auf seiner Niederfahrt mit etlichen zerstörten Wänden kollidieren, bis es schließlich unten mit einem letzten, dumpf widerhallenden Schlag auseinanderbrach.

Die Feuerwehrleute schwitzten und errichteten Stützen vom Boden bis zur Decke, wo immer es ging.

Sie arbeiteten sich zu dritt heran, vorsichtig, ohne irgendeinen unbedachten Schritt zu tun. Dann bekam ich mit, daß einer von ihnen wahrhaftig eine Videokamera bediente. Das Surren kam und ging. Ich drehte den Kopf, um dem Laut nachzugehen, und das Objektiv der laufenden Kamera war direkt auf mein Gesicht gerichtet, was ich zwar sehr peinlich fand, aber nicht ändern konnte. Ein vierter Mann tauchte auf, ebenfalls in Gelb, mit einem Seil um die Taille, und auch er hatte eine Kamera dabei. Das gibt’s doch nicht, dachte ich. Er fragte die drei anderen, wie es vorangehe, und ich entnahm seine Funktion —»Polizei«- den schwarzen Lettern auf der gelben Jacke.

Das Gebäude knarrte.

Die Männer hielten still, warteten. Die Geräusche hörten auf, und mit äußerster Vorsicht bewegten die Feuerwehrleute sich weiter, fluchend, mutig, engagiert, an Risiken gewöhnt.

Ich lag reglos auf dem Bauch und dachte ergeben, daß ich kein schlechtes Leben gehabt hatte, falls es jetzt zu Ende ging. Die Feuerwehrleute waren entschlossen, mein Ende auf später zu verschieben. Sie holten Gurtwerk herauf, zogen es mir unter der Brust durch und befestigten es an Armen und Schultern, damit ich nicht abrutschen und in das gähnende Loch stürzen konnte. Stück für Stück stemmten sie die schweren Brocken Stein und Putz über mir weg und befreiten mich von zersplitterten Balken, bis sie mich an dem Gurtwerk ein, zwei Meter den abschüssigen Boden heraufziehen konnten, zur Tür des Richternests. Da hätte man mehr Halt unter den Füßen, meinten sie.

Ich war ihnen keine große Hilfe. Ich hatte da so lange halb zerquetscht gelegen, daß meine Muskeln nicht auf Befehle ansprachen. Die meisten antworteten erst mit einem Kribbeln, dann mit einem pochenden Schmerz wie nach einer Aderpresse, aber das war auszuhalten. Die von den Holzsplittern verursachten Schnittwunden waren schlimmer.

Ein Mann in einer phosphorgrünen Jacke kam durch das Fenster, überquerte den Metallsteg und sagte mir, indem er auf die schwarze Schrift über seiner Brust zeigte, er sei Arzt.

Dr. Livingstone? Nein, Dr. Jones. Auch gut.

Er beugte sich zu meinem müden, schwer gewordenen Kopf herunter.

«Können Sie mir die Hand drücken?«fragte er.

Ich drückte sie entgegenkommend und sagte ihm, ich sei nicht weiter verletzt.

«Gut.«

Er ging fort.

Erst lange danach, als ich mir eines der Videobänder anschaute, begriff ich, daß er mir nicht ganz geglaubt hatte, weil mein weißes Hemd bis auf den Kragen und die Ärmel blutig und die Haut an mehreren Stellen aufgerissen war. Jedenfalls erwartete er, als er wiederkam, nicht, daß ich aufstand und wandelte, sondern brachte eine Bahre mit, die wie ein Schlitten aussah — keine flache, von der man leicht hätte herunterfallen können, sondern eine mit Haltestangen an den Seiten, die sich besser tragen ließ.

Da ein Feuerwehrmann das letzte Stück Balken von meinen Beinen weghebelte und die beiden anderen mich an den Gurten zogen, schaffte ich es, Hand über Hand vorwärtszukriechen und mich mit dem Gesicht nach unten auf das vorgesehene Transportmittel zu legen. Als mein Schwerpunkt mehr oder weniger auf dem Steg ruhte und ich von den Oberschenkeln aufwärts Halt hatte, setze das unheilvolle Knarren im Gebäude wieder ein, nur diesmal stärker, von Zittern begleitet.

Der Feuerwehrmann hinter meinen Füßen sagte:»Jesses«, sprang auf den Steg und zwängte sich mit ansteckender Eile an mir vorbei. Als hätten sie es geprobt, ließen er und die anderen das langsame Verfahren sausen, packten meine Bahre und zogen sie, während ich mich wie eine Klette daran klammerte, schleunigst über den schmalen Pfad zu den Fenstern.

Das Gebäude erschauerte und bebte. Der Rest des Presseturms — der bei weitem größte Teil — neigte sich vornüber, brach los und krachte mit tödlicher Gewalt durch die Überreste der Decke genau auf die Stelle nieder, wo ich gelegen hatte, riß durch sein Gewicht den ganzen Absatz aus den Wänden und sauste unter furchterregendem Gedonner und Gepolter in die Tiefe. Sand, Staub, Steine, Glassplitter und Brocken abgeplatzten Putzes erfüllten die Luft. Gebannt schaute ich über meine Schulter zurück und sah Tobys Versteck, das kleine Sideboard, nach vorn kippen und in den Abgrund rutschen. Der Boden des Richter-nests sackte weg, so daß der an der Fensterbank eingehängte Steg jetzt ins Leere ragte. Meine Beine hingen von den Knien abwärts in der Luft.

Unglaublicherweise filmte der Polizist von draußen vor dem Fenster weiter.

Ich ergriff die Haltestangen der Bahre, die Finger verkrampft in der elementaren Furcht zu fallen. Die Feuerwehrleute faßten mich am Schultergurt, hoben die Bahre, brachten sich und mich mit einem Ruck außer Gefahr, und plötzlich hatten wir alle wieder die Sonne im Gesicht, ein verlotterter Haufen, gebeutelt, Staub hustend, aber lebendig.

Einfach wurde es auch da noch nicht. Die betonierten Sitzreihen der Tribüne reichten nur bis zur Etage unter dem Richternest, und um das Rettungsgerät die letzten drei Meter heraufzubringen, hatte man ein kompliziertes Gerüst aufstellen müssen. Unten bei den Rails, wo das Publikum an Renntagen die Starter ins Ziel jubelte, waren die Zuschauerplätze auf dem Rasen und dem Asphalt mit Fahrzeugen vollgestellt: Löschzüge, Polizeiwagen, Krankenwagen — und zu allem Überfluß der Ü-Wagen eines Fernsehsenders.

Ich sagte, es wäre doch viel besser und angenehmer, wenn ich aufstehen und auf den eigenen Füßen hinunterklettern würde, aber niemand beachtete mich. Der Arzt erschien wieder und sprach von inneren Verletzungen und der Notwendigkeit, mich vor mir selbst zu schützen, und so erhielt ich gegen meinen Willen einen Schnellverband, wurde unter eine Decke gepackt, auf der Bahre festgezurrt und langsam, behutsam Schritt für Schritt nach unten und zu den Rettungswagen transportiert. Ich bedankte mich bei den Feuerwehrleuten. Sie grinsten.

Am Ende des Weges standen fünf Jungen nebeneinander, verängstigt und fürchterlich angespannt.

Ich sagte:»Mir geht’s prima, Jungs«, aber sie wirkten nicht überzeugt. Ich wandte mich an den Arzt:»Das sind meine Kinder. Sagen Sie ihnen, daß ich auf dem Damm bin.«

Er sah auf mich und auf ihre unglücklichen jungen Gesichter.

«Euer Vater«, sagte er mit Bedacht,»ist groß und kräf-tig, und es geht ihm soweit gut. Er hat ein paar Prellungen und Schnittwunden, auf die wir ihm ein Pflaster kleben werden. Ihr könnt ganz beruhigt sein.«

Sie lasen das Wort» Arzt «auf der Vorderseite seiner leuchtend grünen Jacke und beschlossen, ihm einstweilen zu glauben.

«Wir bringen ihn jetzt hier ins Krankenhaus«, sagte der Mann in Grün, auf eine wartende Ambulanz deutend,»aber er ist bald wieder bei euch.«

Roger erschien neben den Jungen und sagte, seine Frau und er würden sich um sie kümmern.»Seien Sie unbesorgt«, sagte er.

Die Sanitäter schoben mich mit den Füßen voran in ihr Fahrzeug.

Ich sagte zu Christopher:»Möchtet ihr, daß eure Mutter kommt und euch nach Hause holt?«

Er schüttelte den Kopf.»Wir wollen im Bus bleiben.«

Die anderen nickten stumm.

«Ich ruf sie mal an«, sagte ich.

Toby sagte eindringlich:»Nein, Pa. Wir wollen im Bus bleiben. «Ich merkte, daß er immer noch viel zu beunruhigt war. Alles, was dem abhalf, konnte nur gut sein.

«Also dann spielt Einsame Insel.«

Sie nickten alle, auch Toby, der erleichtert aussah.

Der Arzt fragte, während er mein Krankenblatt für den Transport ausfüllte:»Was heißt denn Einsame Insel?«

«Daß sie eine Zeitlang auf sich gestellt sind.«

Er lächelte beim Schreiben.»Herr der Fliegen?«

«So weit laß ich es nicht kommen.«

Er gab das Formular einem der Sanitäter und blickte noch einmal zu den Jungen.»Feine Kerle.«»Die sind bei mir gut aufgehoben«, versicherte Roger nochmals.»Kein Problem.«

«Ich rufe Sie an«, sagte ich.»Vielen Dank auch.«

Die fleißigen Sanitäter warfen hinter mir die Tür zu, und später erfuhr ich, daß Mrs. Gardner den Jungen Rosinenkuchen vorsetzte, bis sie kein Stück mehr herunterbrachten.

Von meinen Verletzungen her rangierte ich auf der Prioritätenliste der Unfallstation ziemlich weit unten, doch die Lokalmedien schenkten mir mehr Beachtung, als mir lieb war. Der Äther schwirrte förmlich vom» Bombenterror auf der Rennbahn«. Ich bat ein paar teils genervte, teils hingerissene Schwestern, das Telefon benutzen zu dürfen, und rief meine Frau an.

«Was zum Teufel ist bloß los?«wollte sie mit schriller Stimme wissen.»Gerade hat irgend so eine blöde Zeitung angerufen, ob ich wüßte, daß mein Mann und meine Söhne in die Luft gejagt worden sind. Ist das zu glauben?«

«Amanda…«

«Du bist doch offensichtlich nicht in die Luft gejagt worden.«

«Welche Zeitung?«

«Was liegt daran? Ich weiß es nicht mehr.«

«Ich werde mich beschweren. Aber hör mal zu. Irgendein Kampfhahn hat auf der Stratton-Rennbahn Sprengstoff ausgelegt, und so ist wirklich ein Teil der Tribüne hochgegangen — «

Sie unterbrach.»Die Jungen. Ist ihnen nichts passiert?«

«Gar nichts. Sie sind völlig in Ordnung. Nur Toby war noch in der Nähe, und ein Feuerwehrmann hat ihn rausgeholt. Ich versichere dir, daß keiner von ihnen verletzt ist.«

«Wo seid ihr jetzt?«»Die Jungen sind beim Rennbahnverwalter und seiner Frau — «

«Nicht bei dir? Wieso sind sie nicht bei dir?«

«Weil ich gerade… hm. Ich bin im Nu wieder bei ihnen. Ich habe ein paar Kratzer abbekommen, die hier im Krankenhaus verbunden werden, dann fahr ich wieder zu ihnen. Christopher ruft dich noch an.«

Jeden Abend redeten die Jungen über das Mobiltelefon im Bus mit ihrer Mutter; Familienbrauch bei Rundfahrten.

Amanda zu besänftigen und zu beruhigen dauerte ein wenig. Es sei offensichtlich meine Schuld, fand sie, daß die Jungs in Gefahr geraten waren. Ich stritt es nicht ab. Ich fragte sie, ob sie wollte, daß sie nach Hause kamen.

«Was? Nein, davon war nicht die Rede. Du weißt, daß ich am Wochenende eine Menge vorhabe. Sie sollten schon bei dir bleiben. Gib nur besser auf sie acht.«

«Ja.«

«Was sage ich denn nun, wenn noch eine Zeitung anruft?«

«Sag, daß du mit mir gesprochen hast und daß alles bestens ist. Möglicherweise siehst du was darüber im Fernsehen, die haben auf der Rennbahn gefilmt.«

«Paß bloß auf, Lee.«

«Ja.«

«Und ruf heute abend nicht an. Ich nehme Jamie mit zu Shelly und übernachte da. Ihr Geburtstagsdinner, wie du weißt, ja?«

Shelly war ihre Schwester.»In Ordnung«, sagte ich.

Wir verabschiedeten uns höflich wie immer. Essig, mühsam verdünnt.

Die verschiedenen Schnitt- und Schürfwunden, die ich weitgehend heruntergespielt hatte, wurden schließlich freigelegt und kopfschüttelnd bestaunt. Man wusch Sand und Staub heraus, entfernte eindrucksvolle Splitter mit der Pinzette und setzte mir bei örtlicher Betäubung reihenweise Klammern.

«Wenn das abklingt, spüren Sie’s«, teilte der Klammerer mir fröhlich mit.»Einige von diesen Wunden sind tiefer, als es aussieht. Wollen Sie bestimmt nicht über Nacht hierbleiben? Wir finden auf jeden Fall ein Bett für Sie.«

«Sehr freundlich«, sagte ich,»aber nein, danke.«

«Dann legen Sie sich ein paar Tage auf den Bauch. Kommen Sie in einer Woche wieder, und wir entfernen die Klammern. Bis dahin müßte alles verheilt sein.«

«Vielen Dank«, sagte ich.

«Nehmen Sie regelmäßig die Antibiotika.«

Das Krankenhaus ließ mich (auf mein Drängen über eine Seitenstraße) zurück zu Roger Gardner bringen, und in einen blauen Morgenmantel gehüllt, bewältigte ich den letzten Teil der Reise mit Hilfe eines geborgten Gehgestells in der Vertikalen.

Der Bus war, wie ich dankbar feststellte, ans Haus gefahren und vor die entrümpelte Garage gestellt worden. Seine fünf jugendlichen Bewohner sahen im Wohnzimmer der Gardners fern.

«Papa!«riefen sie und sprangen auf, um beim Anblick der Gehhilfe für ältere Herrschaften dann unsicher zu verstummen.

«Ja«, sagte ich,»über das Teil wollen wir mal nicht kichern, okay? Mir sind eine Menge Steine und Holz ins Kreuz und auf die Beine gefallen, und die Schnittwunden, die es dabei gab, sind jetzt genäht worden. Es sind einige auf dem Rücken, ziemlich viele an den Beinen, und eine geht quer über meinen Hintern, so daß ich mich nicht ohne weiteres hinsetzen kann, und auch darüber gibt es nichts zu lachen.«

Sie lachten natürlich trotzdem, in erster Linie aus Erleichterung, und das war völlig in Ordnung.

Mrs. Gardner äußerte ihr Mitgefühl.

«Was darf ich Ihnen bringen?«fragte sie.»Eine Tasse heißen Tee?«

«Einen dreifachen Scotch?«

Ihr liebenswertes Gesicht bekam Lachfältchen. Sie schenkte mir großzügig von dem scharfen Zeug ein und sagte, Roger habe den ganzen Tag an der Tribüne festgehangen und sich vor der Polizei, den Nachrichtenfritzen und den ebenso wütend wie zahlreich herbeigestürmten Strattons kaum zu retten gewußt.

Die Jungen und Mrs. Gardner warteten offenbar auf die Fernsehnachrichten, die dann auch bald kamen und den Sprengstoffanschlag auf Stratton Park besonders herausstellten. Mehrere Aufnahmen zeigten die Tribünenrückseite, auf der der Einsturz in der Mitte nicht zu übersehen war. Ein 5-Sekunden-Interview mit Conrad enthüllte seine innersten Gefühle (»Bestürzung und Zorn«).»Glücklicherweise wurde nur eine Person leicht verletzt«, sagte eine Stimme zu einer Aufnahme von mir (glücklicherweise unkenntlich) beim Abtransport von der Tribüne.

«Das bist du, Papa«, teilte Neil mir aufgeregt mit.

Eine kurze Einblendung von Toby, wie er an der Hand eines Feuerwehrmannes nach unten kam, ließ die Jungen Beifall rufen. Dem folgten zehn Sekunden mit Roger —»Colonel Gardner, Rennbahnverwalter«-, der sagte, die Familie Stratton habe versichert, die Rennveranstaltung am Montag werde abgehalten wie geplant.»Terrortaktiken darf man nicht nachgeben. «Zuletzt wurden die Strickmützen am Eingang mit ihren Plakaten gezeigt, Bilder, die den

Zuschauer auf eine unausgesprochene, aber finstere Folgerung hinlenkten. Unfair, dachte ich.

Als die Nachrichten sich einer Politikerrunde zuwandten, sagte ich Mrs. Gardner und den Jungen, ich wollte mir etwas anziehen, und humpelte mit dem Gestell hinaus zum Bus, dann freihändig, mit zusammengebissenen Zähnen, die Tritte hinauf, doch statt, wie vorgehabt, mich anzuziehen, legte ich mich schwach und zittrig auf das schmale Sofa, das zugleich mein Bett war, und gestand mir endlich ein, daß ich wesentlich schwerer verletzt war, als ich hatte wahrhaben wollen.

Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür, und ich dachte, ein Kind sei gekommen, aber es war Roger.

Er setzte sich auf das lange, schmale Sofa gegenüber und sah müde aus.

«Geht es Ihnen gut?«fragte er.

«Ja«, sagte ich, ohne mich zu rühren.

«Meine Frau sagt, Sie sehen grau aus.«

«Sie sind auch nicht gerade rosig im Gesicht.«

Er lächelte kurz und massierte sich die Nase mit Daumen und Zeigefinger, ein disziplingewohnter Soldat, hager und gepflegt, der sich nach den Manövern eines langen Tages eine Geste der Müdigkeit gestattete.

«Die Polizei und die Leute von der Unfallverhütung sind angerückt wie Bluthunde. Oliver hat sich mit ihnen befaßt — ich habe ihm sofort telefoniert, daß er kommen soll —, und er kann einfach glänzend umgehen mit solchen Leuten. Sie waren sofort mit ihm einig, daß wir, wenn Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, die Rennen am Montag abhalten können. Ein echter Überredungskünstler, der Mann. «Er hielt inne.»Die Polizei ist dann zum Krankenhaus gefahren, um Sie zu befragen. Da hätten Sie doch sicher ein Bett gekriegt, in Ihrem Zustand.«»Ich wollte nicht bleiben.«

«Aber ich sagte Ihnen doch, daß wir uns um die Jungen kümmern.«

«Weiß ich. Einer oder zwei wären ja auch gegangen, aber nicht fünf.«

«Es sind unkomplizierte Kinder«, wandte er ein.

«Sie sind still heute. Es war schon besser, daß ich wiedergekommen bin.«

Er machte keine Einwendungen mehr, aber als wäre er noch nicht bereit, das Thema anzuschneiden, das ihn am meisten beschäftigte, fragte er mich, wie man die Jungen auseinanderhielt.

«Damit ich sie mal auf die Reihe kriege«, meinte er.

Ich antwortete ihm bereitwillig und verstand es als eine willkommene Atempause vor den Fragen, die gestellt werden mußten und einer Antwort bedurften.

«Christopher, der große Blonde, ist vierzehn. Wie die meisten ältesten Kinder einer Familie kümmert er sich um die anderen. Toby, der heute mit mir auf der Tribüne war, ist zwölf. Edward ist zehn. Das ist der Ruhige. Wenn man den nicht findet, sitzt er irgendwo in einer Ecke und liest ein Buch. Dann haben wir noch Alan — «

«Sommersprossen und grinst«, sagte Roger nickend.

«Sommersprossen und grinst«, stimmte ich zu.»Und hat kein Bewußtsein von Gefahr. Er ist neun. Springt erst und schreit dann.«

«Und Neil«, sagte Roger.»Der kleine Neil mit den leuchtenden Augen.«

«Er ist sieben. Und Jamie, der kleinste, zehn Monate.«

«Wir haben zwei Töchter«, sagte Roger.»Beide erwachsen, aus dem Haus und zu beschäftigt, um zu heiraten.«

Er verfiel in Schweigen, und ich schwieg ebenfalls. Der Ernst des Lebens wartete, die Schonfrist lief allmählich ab. Ich verlagerte unter ziemlichen Schmerzen mein Gewicht auf dem Sofa, und Roger merkte es, aber äußerte sich nicht dazu.

Ich sagte:»Die Tribünen sind gestern gereinigt worden.«

Roger seufzte.»Sind sie. Und sie waren sauber. Kein Sprengstoff. Mit Sicherheit war keine Sprengschnur im Treppenhaus verlegt. Ich bin selbst überall herumgegangen. Ich gehe regelmäßig das Gelände ab.«

«Aber nicht am Karfreitagmorgen.«

«Gestern am späten Nachmittag. Um fünf. Kontrollgang mit meinem Vorarbeiter.«

«Es war kein Anschlag auf Menschenleben«, sagte ich.

«Nein«, stimmte er zu.»Die Haupttribüne sollte zerstört werden, und zwar an einem der wenigen Tage im Jahr, an denen nirgendwo in England Rennen stattfinden. Menschen sollten gerade nicht dabei umkommen.«

«Sie haben doch sicher einen Nachtwächter«, sagte ich.

«Ja, haben wir. «Er schüttelte frustriert den Kopf.»Er dreht mit einem Hund die Runde. Er sagt, er hat nichts gehört. Er hat nicht gehört, wie jemand Löcher in die Wände gebohrt hat. Er hat kein Licht auf der Tribüne herumwandern sehen. Er hat sich heute früh um sieben ausgestempelt und ist nach Hause gefahren.«

«Hat ihn die Polizei befragt?«

«Sie hat ihn befragt. Ich habe ihn befragt. Conrad hat ihn befragt. Der arme Mann ist völlig verpennt hierhergeschleift und ins Kreuzverhör genommen worden. Dabei ist er sowieso nicht der Aufgeweckteste. Er hat bloß dumm in die Gegend gepliert. Conrad wirft mir vor, daß ich einen Holzkopf eingestellt habe.«

«Jetzt regnet es Vorwürfe wie Konfetti«, meinte ich.

Er nickte.»Die Luft ist schon voll davon. Im Prinzip ist alles meine Schuld.«

«Wer von den Strattons war da?«fragte ich.

«Wer nicht?«seufzte er.»Alle, die auf der Hauptversammlung waren, mit Ausnahme von Rebecca, dafür aber Conrads Frau Victoria, Keiths Frau Imogen, blau wie ein Veilchen, und Hannahs fauler Sohn, Jack, sowie Ivans Frau Dolly, die furchtsame Maus. Marjorie Binsham hat ihr Mundwerk wie eine Peitsche gehandhabt. Conrad kommt ihr nicht bei. Sie hat die Polizei in den Boden gestampft. Vor allem wollte sie wissen, warum Sie die Sprengung nicht verhindert haben, nachdem Ihr Söhnchen Sie schon auf die Gefahr hingewiesen hatte.«

«Die gute Marjorie!«

«Jemand sagte ihr, daß Sie fast ums Leben gekommen sind, und sie meinte, das geschehe Ihnen recht. «Er schüttelte den Kopf.»Manchmal glaube ich, die ganze Familie ist geistesgestört.«

«In dem Schrank über Ihrem Kopf finden Sie einen Scotch und Gläser«, sagte ich.

Er lächelte unwillkürlich und nahm zwei Wassergläser für den Whisky.»Besser wird Ihnen davon auch nicht«, bemerkte er, als er das eine Glas auf den eingebauten Tisch mit Schubfächern am Fußende meines Bettes stellte.»Und wo haben Sie diesen fabelhaften Bus her? Noch nie gesehen, so was. Als ich mit den Jungs hierhergefahren bin, haben sie ihn mir vorgeführt. Es hieß, Sie hätten den Innenraum selbst gestaltet. Ich nehme an, Sie hatten einen Bootsbauer dafür.«

«Stimmt beides.«

Er kippte seinen Drink kommißmäßig in zwei glatten Zügen hinunter und setzte das Glas ab.

«Wir können Ihre Jungs nicht bei uns schlafen lassen, der Platz reicht nicht, aber wir können ihnen was zu essen machen.«

«Danke, Roger, ich weiß das zu schätzen. Aber in der Laube hier sind Lebensmittel für ein ganzes Bataillon, und das Bataillon ist sehr geübt im Selbstversorgen.«

Seinen Beteuerungen zum Trotz wirkte er auf mich erleichtert, denn er war womöglich noch erschöpfter als ich.

Ich sagte:»Aber würden Sie mir einen Gefallen tun?«

«Wenn ich kann.«

«Sie wissen nicht genau, wo ich die Nacht verbringe. Falls die Polizei oder die Strattons danach fragen, meine ich.«

«Irgendwo links vom Mond oder so?«

«Eines Tages«, sagte ich,»revanchiere ich mich dafür.«

Die Realität, wie Toby gesagt haben würde, meldete sich am nächsten Morgen zurück.

Ich fuhr denkbar unbequem im Jeep mit Roger zu seinem Büro neben dem Führring, während die Fünferbande sich den Bus vornahm und ihm mit Eimern voll Waschmittel, mit Schrubbern, Wischern und dem im Hof angeschlossenen Gartenschlauch der Gardners auf die Pelle rückte.

Derlei Mammutspritzereien endeten stets mit fünf klitschnassen, zufriedenen Kindern (sie mochten auch feuchtderbe Clownsnummern im Zirkus) und einem zumindest halbwegs sauberen Bus. Ich hatte Mrs. Gardner geraten, ins Haus zu gehen und Augen und Fenster zu schließen, und nachdem der erste Eimer Seifenlauge die Windschutzscheibe verfehlt hatte und auf Alan gelandet war, hatte sie mir einen wirren Blick zugeworfen und meinen Rat befolgt.

«Macht es Ihnen nichts, wenn sie naß werden?«fragte Roger, als wir die Stätte potentieller Verwüstung verließen.

«Die müssen eine Menge angestauten Dampf ablassen«, sagte ich.

«Sie sind ein ungewöhnlicher Vater.«

«So kommt es mir nicht vor.«

«Wie geht’s den Wunden?«

«Schauderhaft.«

Er lachte leise, hielt an der Tür seines Büros und reichte mir das Gehgestell, sobald ich ausgestiegen war. Ich hätte lieber darauf verzichtet, doch außer in den Armen hatte ich anscheinend kein Gran Kraft mehr.

Obwohl es erst halb neun war, hielt die erste Wagenladung Ärger auf dem Asphalt, noch ehe Roger seine Bürotür aufgeschlossen hatte. Er blickte über die Schulter, um zu sehen, wer es war, und brummte ein tiefempfundenes» Mist!«, als er das Fahrzeug erkannte.»Der verfluchte Keith.«

Der verfluchte Keith war nicht allein gekommen. Der verfluchte Keith hatte seine Hannah mitgebracht, und Hannah, wie sich herausstellte, ihren Sohn Jack. Alle drei stiegen jetzt aus Keiths Wagen und schritten zielbewußt auf Rogers Büro zu.

Er drehte den Schlüssel herum, stieß die Tür auf und sagte abrupt zu mir:»Kommen Sie rein.«

Im Gehgestelltempo folgte ich ihm bereitwillig zu seinem Schreibtisch, wo auch noch meine Jacke überm Stuhl hing, die ich gestern dort abgelegt hatte. Fast wie in einem anderen Leben.

Keith, Hannah und Jack stürmten zur Tür herein, alle mit aufgebrachten Mienen. Keith hatte auf meinen Anblick wie allergisch reagiert, und Hannah wäre auf ihren zänkischen Gesichtsausdruck selbst nicht stolz gewesen. Jack, ein schlafflippiger Teenager, glich seinem Großvater nur zu sehr: gut aussehend und gemein.

Keith sagte:»Gardner, werfen Sie den verdammten Mann hier raus! Außerdem sind Sie gefeuert. Sie sind unfähig. Ich übernehme Ihren Posten, also können Sie verschwinden. Und was Sie betrifft…«, er wandte seinen Zornesblick ganz mir zu,»Ihre Bengel hatten in der Nähe der Tribüne überhaupt nichts zu suchen, wenn Sie also meinen, Sie könnten uns verklagen, weil Sie so blöd waren, sich in die Luft jagen zu lassen, sind Sie schief gewickelt.«

Daran hatte ich nun wirklich nicht gedacht.»Sie bringen mich auf Gedanken«, sagte ich leichthin.

Zu spät gab Roger mir mit einer warnenden Handbewegung zu verstehen, daß beruhigende statt aufreizende Töne gefragt waren. Bei der Hauptversammlung hatte ich ja selbst erlebt, wie schnell Keith zur Gewalt bereit war, und mir fiel ein, wie selbstzufrieden ich noch gedacht hatte, er habe körperlich keine Chance gegen Madelines fünfund-dreißigjährigen Sohn.

Seitdem hatte sich die Lage ein wenig geändert. Ich brauchte jetzt ein Gehgestell, um aufrecht zu stehen. Außerdem waren sie zu dritt.

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