Kapitel 9

Roger verbrachte den Nachmittag mit dem beratenden Elektriker der Rennbahn, dessen Leute unter Umgehung der Haupttribüne überall wieder Strom legten. Wo die Sicherungen nicht von selbst durchgebrannt waren, hatte Roger die Stromkreise offenbar vorsichtshalber abgeschaltet.»Feuer«, erklärte er,»hätte uns gerade noch gefehlt.«

Mit Hilfe eines Baggers wurde ein Graben zum Mitgliederparkplatz gezogen und ein Hochleistungskabel mit Schutzrohr verlegt, um das Zirkuszelt mit Strom für Licht und Kühlschränke zu versorgen.»Auf einer Rennbahn darf man den Sekt nicht vergessen«, hatte Roger mit vollem Ernst gesagt.

Die Zahl der Ermittler in den Trümmern war gestiegen, und sie hatten Gerüste und Ziegelschneider mitgebracht. Außerdem ersetzten sie das Absperrband durch einen langen, mannshohen und fest verschraubten Zaun.»Wir könnten die wertvollsten Indizien an Souvenirjäger verlieren«, wurde mir erklärt.»Wenn man dem Publikum am Montag keine Schranken setzt, haust es vielleicht schlimmer als Piranhas.«

Ich fragte jemanden vom Räumkommando:»Wenn Sie über dreißig Löcher in die Wände eines Treppenhauses zu bohren hätten, würden Sie dann eine Wache postieren?«

«Guter Gott, ja. «Er überlegte ein wenig.»Obwohl sich meist nicht genau sagen läßt, wo so ein Bohrgeräusch herkommt. Der Lärm ist irgendwie irreführend. Man denkt, da bohrt einer nebenan, dabei ist es hundert Meter weg — und umgekehrt. Was ich damit sagen will, ist, wenn jemand den Bohrlärm hier gehört hat, dann konnte er erstens nicht genau wissen, wo das Geräusch herkam, und zweitens hätte er sich nichts dabei gedacht in so einem Riesenbau.«

Nur Roger, dachte ich, hätte gewußt, daß Bohrgeräusche nicht hierhergehörten — und Roger war daheim gewesen, ein halbe Meile außer Hörweite.

Ich versuchte übers Mobiltelefon, das noch in Rogers Jeep war, Freunde und Lehrer aus meiner Studentenzeit aufzustöbern, um sie nach Yarrow zu fragen, erreichte aber fast niemand. Von einem, Carteret, erwischte ich die Ehefrau, die versprach, ihm meine Nummer zu geben, doch er habe in St. Petersburg zu tun, und ich redete auch mit einer sehr jungen Tochter, die mir sagte, ihr Papa wohne nicht mehr bei ihnen. Guten Detektiven, dachte ich kläglich, passierte so etwas wohl kaum.

Im Büro zeichneten Roger und ich Pläne für die Aufstellung des Zirkuszeltes und der beiden Container, die ihm zugesagt worden waren. Der eine sollte als Umkleideraum für die Jockeys dienen, der andere zur Unterbringung der Waage und der Funktionäre. Wir stellten beide Container nah an den Führring, nur wenige Schritte von Rogers Büro, und waren uns einig, daß das Publikum, wenn seine Arbeiter den Zaun zwischen Sattelplatz und Mitgliederparkplatz entfernten, bequem zu dem großen Zelt gelangen konnte. Zwar mußten dann die Pferde, wenn sie auf die Bahn gingen, um das Zelt herumgeleitet werden, aber Roger versicherte, das alles sei machbar.

«Rebecca!«rief er einmal zwischendurch und klatschte sich mit der Hand vor die entgeisterte Stirn.»Die Reiterinnen. Wo tun wir die hin?«

«Wie viele sind es?«

«Zwei oder drei. Höchstens sechs.«

Ich rief Henry an, erreichte seinen Anrufbeantworter und bat auf Band um ein paar Zusatzzelte.»Schick auch noch was Hübsches mit«, ergänzte ich.»Schick das Dornröschenschloß. Wir müssen die Leute in Stimmung bringen.«

«Hier ist eine Rennbahn, kein Rummelplatz«, meinte Roger ein wenig mißbilligend, als ich mit dem Anruf fertig war.

«Es ist Ostermontag«, erinnerte ich ihn.»Es ist der Tag, um das Vertrauen wiederherzustellen. Man soll nicht an Bomben denken, soll sich sicher fühlen, soll sich amüsieren. Die Leute, die am Montag hierherkommen, sollen vergessen, daß sich hinter dem neuen Zaun ein schweres Unglück ereignet hat. «Ich schwieg.»Und heute nacht und morgen werden wir das ganze Gelände ausleuchten und vor den Ställen, am Sattelplatz und am Buchmacherring so viele Leute Wache schieben lassen, wie Sie nur kriegen können.«

«Aber was das kostet!«

«Wenn der Montag ein Erfolg wird, bezahlt Marjorie auch die Wachleute.«

«Ihre Begeisterung steckt an, wissen Sie das?«Er lächelte mir fast unbekümmert zu und wollte gerade wieder zu seinen Elektrikern eilen, als das Telefon klingelte.

Roger sagte:»Hallo?«und» Ja, Mrs. Binsham «und» Selbstverständlich, sofort «und legte den Hörer auf.

Er setzte mich ins Bild.»Sie sagt, Conrad und Yarrow sind bei ihr und haben ihr seine Pläne gezeigt, und sie möchte hier auf dem Bürokopierer eine Kopie davon machen.«

«War Conrad damit einverstanden?«fragte ich überrascht.

«Anscheinend ja, wenn wir die Kopie in den Safe einschließen.«

«Sie ist erstaunlich«, sagte ich.

«Sie hat ihn irgendwie im Zangengriff. Das ist mir schon mal aufgefallen. Wenn sie Druck ausübt, gibt er nach.«

«Die erpressen sich alle gegenseitig!«

Er nickte.»Zu viele Geheimnisse, zuviel erkauftes Schweigen.«

«Das sagt Dart auch, mehr oder weniger.«

Roger wies auf die Tür des Büros seiner Sekretärin.»Der Kopierer und der Safe stehen da drin. Conrad und Yarrow sind schon im Anmarsch.«

«In dem Fall verdufte ich mal«, sagte ich.»Ich warte in Ihrem Jeep.«

«Und wenn sie weg sind — zurück zu Ihrem Bus?«

«Wenn’s Ihnen nichts ausmacht.«

«Ist doch schon längst Zeit«, meinte er knapp und hielt mir die Tür auf, damit ich nach draußen zuckeln konnte.

Ich legte mich im Jeep auf die Seite und sah zu, wie Conrad und Wilson Yarrow mit einer großen Mappe ankamen und später wieder gingen, beide steifbeinig und verschnupft.

Als sie fort waren, kam Roger mit den frischen Kopien zum Jeep, und wir schauten sie uns gemeinsam an.

Er sagte, die Pläne seien auf drei großen Bögen gezeichnet gewesen, mit blauen Linien auf hellgrauem Grund, doch der Kopierer hatte sie in kleinerem Format mit schwarzen Linien wiedergegeben. Auf einem Blatt war der Grundriß angelegt. Eins zeigte alle vier Seiten im Aufriß.

Das dritte sah wie ein Labyrinth von fadendünnen Linien aus, die ein dreidimensionales Bild ergaben, aber hohl, ohne Substanz.

«Was ist das denn?«fragte Roger, als ich es stirnrunzelnd betrachtete.»So was hab ich ja noch nie gesehen.«

«Eine axiometrische Zeichnung.«

«Eine was?«

«Axiometrie ist eine Methode, mit der man ein Gebäude dreidimensional darstellen kann, ohne sich mit perspektivischen Verkürzungen herumzuplagen. Man dreht den Grundriß, wie es einem am besten paßt, und zieht die Vertikalen hoch. Na ja«, entschuldigte ich mich,»Sie hatten gefragt.«

Die Aufrisse waren Roger vertrauter.»Das ist doch eine einzige große Glasscheibe«, wandte er ein.

«So schlimm ist es auch nicht. Unvollständig, aber nicht schlecht.«

«Lee!«

«Entschuldigung«, sagte ich.»Jedenfalls würde ich das in Stratton Park so nicht bauen, wahrscheinlich nirgendwo in England. Der Kasten schreit nach Tropenwetter, umfassender Klimatisierung und millionenschweren Mitgliedern. Und selbst die wären nicht wunschlos glücklich.«

«Hört sich schon besser an«, meinte er erleichtert.

Ich schaute in die linke obere Ecke der Kopien. Auf allen dreien stand lediglich» Haupttribüne«,»Wilson Yarrow, A. A. Dipl. «Ein Alleingang. Keine Partner, keine Firma.

«Die beste Rennbahntribüne, die je gebaut worden ist«, sagte ich,»steht in Darlington bei Chicago.«

«Ich dachte, Sie gehen nicht oft zum Pferderennen«, sagte Roger.

«Ich war auch nicht da. Ich habe Fotos von der Bahn und von den Plänen gesehen.«

Er lachte.»Können wir uns so eine Tribüne leisten?«

«Sie könnten sich daran orientieren.«

«Träumen Sie ruhig weiter«, sagte er und raffte die Pläne zusammen.»Ich lege das nur gerade in den Safe. «Er ging hinein, kam bald wieder und fuhr uns die knappe halbe Meile zu seinem Haus, das ruhig und verlassen war: keine Kinder, keine Frau.

Wir fanden sie alle im Bus. Die Jungen hatten Mrs. Gardner zum Tee eingeladen (Thunfischsandwiches mit Kruste, Chips und Schokowaffeln), und alle miteinander schauten sich gebannt die Fußballresultate im Fernsehen an.

Als der Ehrengast und ihr Mann gegangen waren, erwies ihr Christopher das höchste Lob:»Sie versteht sogar die Abseitsregel.«

Die Fußballberichterstattung ging weiter. Ich erhob Anspruch auf mein Bett, vertrieb ein oder zwei Zuschauer und legte mich auf den Bauch, um mitzugucken. Als auch der allerletzte Beitrag gelaufen war (endlose Wiederholungen der Tore vom Nachmittag), servierte Christopher als Abendbrot eine Runde Dosenspaghetti auf Toast. Dann einigten sich die Jungs auf ein Video aus dem guten halben Dutzend, das ich für die Ruinensuche ausgeliehen hatte, und begannen es sich anzusehen. Ich fand, wie ich so dalag, daß es ein ziemlich langer Tag gewesen war, und schlief irgendwann während des Films ein.

Ich erwachte gegen drei Uhr früh, noch mit dem Gesicht nach unten, vollständig angekleidet.

Im Bus war es dunkel und still, die Jungen schliefen in ihren Kojen. Ich stellte fest, daß sie mir eine Wolldecke übergelegt hatten, statt mich zu wecken.

Auf dem Tisch am Kopfende stand ein volles Glas Wasser.

Ich betrachtete es dankbar und erstaunt, mit einem Kloß im Hals.

Als ich am Abend zuvor ein Glas dahin gestellt hatte, war Toby, den seit der Explosion alles Ungewohnte in zitternde Angst versetzte, gleich wieder erschrocken und hatte gefragt, wozu das gut sei.

«Vom Krankenhaus«, sagte ich,»habe ich Tabletten bekommen, die ich einnehmen soll, wenn ich nachts aufwache und Schmerzen kriege.«

«Ah. Und wo sind die Tabletten?«

«Unter meinem Kopfkissen.«

Sie hatten die Auskunft mit einem Nicken quittiert. Ich hatte nicht gut geschlafen und die Tabletten genommen, worauf sie mich am Morgen angesprochen hatten.

Und heute nacht war das Glas Wasser wieder da, bereitgestellt von meinen Söhnen. Ich nahm die Tabletten, trank einen Schluck und lag da im Dunkeln, arg ramponiert und bemerkenswert glücklich.

Am Morgen war es so schön, daß die Jungen alle Fenster öffneten, um den Bus durchzulüften, und ich gab ihnen die Ostergeschenke, die Amanda in einem Spind unter meinem Bett versteckt hatte. Jeder bekam ein Schokoladenosterei, ein Taschenbuch und ein kleines Computerspiel, und alle bedankten sich am Telefon bei ihrer Mutter.

«Sie will dich auch sprechen, Pa«, sagte Alan und gab mir den Hörer, und ich sagte» Hallo «und» Frohe Ostern «und» Wie geht’s Jamie?«

«Dem geht’s blendend. Verpflegst du die Jungen auch ordentlich, Lee? Sandwiches und Dosenspaghetti reichen nicht… Ich hab Christopher gefragt… er sagt, ihr habt gestern kein Obst eingekauft.«

«Heute haben sie Bananen und Cornflakes gefrüh-stückt.«

«Obst und frisches Gemüse«, sagte sie.

«Okay.«

«Und könnt ihr ein bißchen länger wegbleiben? So bis Mittwoch oder Donnerstag?«

«Wenn du möchtest.«

«Ja. Und bring ihre Sachen in die Reinigung, hm?«

«Klar.«

«Hast du schon eine brauchbare Ruine gefunden?«

«Ich suche weiter.«

«Wir leben vom Gesparten«, sagte sie.

«Ja, ich weiß. Die Jungen brauchen neue Turnschuhe.«

«Dann kauf sie eben.«

«In Ordnung.«

Wie üblich beschränkte das Gespräch sich weitgehend auf die Kinderbetreuung. Ich gab mir aber Mühe:»Wie war’s auf der Party deiner Schwester?«

«Wieso?«Sie klang einen Moment lang fast argwöhnisch, dann sagte sie:»Prima. Toll. Sie läßt dich grüßen.«

«Danke.«

«Paß auf die Jungen auf, Lee.«

«Ja«, sagte ich und» Schöne Ostern «und» Bye, Amanda.«

«Wir sollen sie morgen abend wieder anrufen«, sagte Christopher.

«Sie sorgt sich um euch. Sie will, daß wir noch ein, zwei Tage länger Ruinen suchen.«

Überraschenderweise hatte keiner von ihnen etwas dagegen. Sie waren mit den Augen ganz bei ihren flimmernden, piepsenden Spielen.

Es klopfte an der Tür, und gleich darauf steckte Roger den Kopf herein, blieb aber draußen stehen.

«Ihr Freund Henry«, sagte er mir,»ist angekommen. Er bringt einen Kran auf einem Tieflader und das Zirkuszelt, verteilt auf ein halbes Dutzend große Lkws, und er will mit Ihnen sprechen, bevor er irgend etwas ablädt.«

«Henrys Zelt!«rief Christopher aus.»Das große, das wir über dem Pub aufgeschlagen haben, ehe du unser Haus gebaut hast?«

«Genau.«

Die Jungen knallten sofort die Fenster zu und sammelten sich mit hoffnungsvollen Mienen auf der Zufahrt. Roger winkte ergeben zum Jeep hin, und schon hingen sie alle auf der Rückbank und rauften um ihre Lieblingsplätze.

«Setzt euch hin oder steigt aus«, befahl Roger in seinem besten Kasernenhofton, und eingeschüchtert setzten sie sich.

«Wollen wir tauschen? Ich übernehme Marjorie und Sie die Jungs?«schlug ich vor.

«Abgemacht. «Er raste mit Karacho den Fahrweg entlang, hielt mit einer Vierrad-Schleuderbremsung vor dem Büro und teilte meinem Nachwuchs mit, daß sie beim geringsten Ungehorsam den Rest des Tages im Bus absitzen müßten. Die sehr beeindruckten Rekruten nahmen die Warnung zwar ernst, rannten aber prompt los, um Henry mit Ferienkriegsgeschrei zu begrüßen.

Gegen Henry, den bärtigen Hünen, kam ich mir immer klein vor. Er hob Neil mühelos auf seine Schultern und strahlte mich mitsamt meinem Gehgestell an.

«Hat’s dich beinah zerquetscht, oder was?«sagte er.

«Ja. Ich war unvorsichtig.«

Er deutete mit einer Riesenpranke auf die schwer beladenen Brummis, die sich hinter ihm auf dem Asphalt drängten.

«Ich hab den ganzen Fackelzug mitgebracht«, sagte er zufrieden.

«Ja, gut, aber hören Sie — «, setzte Roger an.

Henry blickte freundlich zu ihm herunter.»Vertrauen Sie unserem Lee«, sagte er.»Der weiß, was den Leuten gefällt. Ein echter Zauberer, der Lee. Lassen Sie ihn und mich das Parkett hier für morgen in Schuß bringen, und heute in sechs Wochen, am nächsten Feiertag, an dem Sie Rennen veranstalten — das hab ich nachgesehen —, gehen Ihre Parkplätze aus den Nähten. Mundpropaganda, kapiert? Wollen Sie nun Andrang haben oder nicht?«

«Äh… ja.«

«Na also.«

Roger sagte verzweifelt zu mir:»Marjorie.«

«Sie wird begeistert sein. Es geht ihr doch vor allem darum, daß die Rennbahn ankommt.«

«Sind Sie sicher?«

«Hundertprozentig. Wohlgemerkt, ein paar Sekunden wird sie brauchen, um den Schreck zu verdauen.«

«Hoffen wir, daß ihr nicht vorher das Herz stehenbleibt und sie tot umfällt.«

«Haben Sie den Strom gelegt?«fragte ihn Henry.»Hochleistungskabel?«

«Genau wie Sie gesagt haben.«

«Gut. Und… Lagepläne?«

«Im Büro.«

Den größten Teil des Tages ließ Roger seine Arbeiter mit Hand anlegen, wo sie nur konnten, und immer wieder schaute er staunend zu, während Henry und sein Team einer revolutionären Vision von Tribünenkomfort Gestalt verliehen.

Zuerst stellten sie mit dem Kran abschnittsweise vier Masten auf, die an Hochspannungsmasten erinnerten und, wie Henry Roger erklärte, stabil genug waren für jedes Trapezprogramm; dann zogen sie mit starken Drahtseilen und schwerem elektrischem Hebewerk Tonnen von weißer Zeltleinwand hoch und breiteten sie aus. Die endgültige Höhe und die Bodenfläche entsprachen denen der alten Tribüne, und insgesamt übertraf das Zelt sie mühelos an Pracht.

Henry und ich erörterten Publikumsverkehr, Zuschauerverhalten, Wetterschutz. Wir legten die Marschroute fest, beseitigten Engpässe, setzten das Vergnügen obenan, zollten den Besitzern Respekt, räumten den Strattons, der Rennleitung, den Trainerbars die ersten Plätze ein. Das ganze Zelt erhielt einen quasifesten Boden mit einem breiten Mittelgang und wurde durch stabile Trennwände in» Räume «unterteilt, jeder mit einer Decke aus dünnem, hell pfirsichfarbenem plissierten Seidenstoff.»Den kaufe ich kilometerweise«, versicherte Henry einem ungläubigen Roger.»Lee hat mir gesagt, daß Sonne, die durch Segeltuch und Pfirsich scheint, alten Gesichtern mehr schmeichelt als gelbes Licht, und die Zeche wird ja vorwiegend von älteren Herrschaften bezahlt. Früher habe ich Gelb genommen. Nie wieder. Lee sagt, das richtige Licht ist wichtiger als das Essen.«

«Und was Lee sagt, ist das Evangelium?«

«Haben Sie schon mal gesehen, wie jemand ein baufälliges, schlechtbesuchtes Wirtshaus in einen wahren Taubenschlag verwandelt? Er hat das zweimal vor meinen Augen gemacht und dem Vernehmen nach auch früher schon. Er weiß, was anziehend ist, verstehen Sie? Die Leute selbst wissen nicht genau, was sie anlockt. Sie fühlen sich einfach hingezogen. Aber Lee hat es raus, da können Sie Gift drauf nehmen.«

«Was lockt denn die Leute an?«fragte Roger mich neugierig.

«Eine lange Geschichte«, sagte ich.

«Aber woher wissen Sie das?«

«Ich habe jahrelang Hunderte, buchstäblich Hunderte von Leuten gefragt, warum sie die alten Häuser, in denen sie wohnten, gekauft hatten. Was war für sie der entscheidende Grund, wie unvernünftig auch immer, gerade dieses und kein anderes Haus zu wählen? Manchmal nannten sie ein Stück Gitterwerk, manchmal eine verborgene kleine Wendeltreppe, manchmal Kamine aus Cotswoldsteinen oder Mühlräder, manchmal Zwischenstockwerke und Galerien. Ich habe auch gefragt, was ihnen nicht gefiel und was sie ändern würden. Nach und nach habe ich dann eben gelernt, wie man halbverfallene Häuser so umbaut, daß die Leute darin leben möchten.«

Roger sagte langsam:»Häuser wie Ihr eigenes.«

«Ja, schon.«

«Und Kneipen auch?«

«Irgendwann zeige ich Ihnen eine. Aber bei Kneipen macht es nicht der Umbau allein. Da zählen auch gutes Essen, gute Preise, zügige Bedienung und ein herzlicher Empfang. Man muß sich die Gesichter der Kunden einprägen und sie wie Freunde begrüßen.«

«Aber Sie ziehen immer weiter?«

«Sobald der Laden läuft«, nickte ich.»Ich bin Bauunternehmer, nicht Gastwirt.«

Für Henrys Leute, die größtenteils vom Zirkus kamen und gewohnt waren, über Nacht auf einer leeren Wiese ein Zauberreich entstehen zu lassen, waren vierundzwanzig Stunden bis zum Startschuß mehr als genug. Sie holten Seile ein, sie schwangen Holzhämmer, sie schufteten. Henry kaufte im Mayflower ein Faß Bier für seine» braven Jungs«.

Henry hatte nicht nur das Paradezelt mitgebracht, sondern auch einen großen Teil der Planken und zusam-menschraubbaren Eisenrohre, die als Grundlage für die Sitzreihen um die Manege gedient hatten.

«Ich dachte, das könntet ihr vielleicht brauchen«, meinte er.

«Die Tribüne!«sagte ich leise.»Du Prachtkerl.«

Henry strahlte.

Roger konnte es nicht fassen. Seine Arbeiter bauten unter Anleitung von Henrys Zirkusleuten die Sitzreihen nicht um eine Manege herum auf, sondern entlang den Rails im Freien, mit dem Rücken zum Zelt und dem Gesicht zur Bahn, und sie ließen des Zugangs wegen einen breiten Streifen Gras zwischen der vordersten Reihe und den Rails.»Hätten wir mehr Zeit, ließe sich das noch ausbauen«, sagte Henry,»aber so können wenigstens einige Zuschauer die Rennen von hier aus sehen, und es knubbelt sich nicht alles am Buchmacherring.«

«Wir brauchen wahrscheinlich eine Baugenehmigung«, sagte Roger schwach.»Sicherheitsbeamte. Gott weiß was.«

Henry wedelte ihm mit etlichen Papieren vor der Nase herum.»Ich bin als Bauunternehmer zugelassen. Wir stellen hier Provisorien auf. Holen Sie, wen Sie wollen. Von mir aus am Dienstag. Alles, was ich mache, ist rechtmäßig und sicher. Ich zeige es Ihnen.«

Grinsend winkte er mit der schweren Pranke und ließ in Sekundenschnelle eine Batterie von Feuerlöschern von einem der Lkws abladen.

«Beruhigt?«fragte er Roger.

«Sprachlos.«

Irgendwann nahm Henry mich beiseite.»Was sind das für Armleuchter, die die Einfahrt blockieren? Um ein Haar hätten wir einen davon umgefahren, als wir mit dem Bier wiederkamen. Der lief direkt auf uns zu. Völlig durchgetickt.«

Ich klärte ihn über Harold Quest, seine Anhänger und ihren Feldzug gegen den Hindernissport auf.»Waren die nicht auch da, als ihr angekommen seid?«

«Nein. Willst du sie weghaben?«

«Du meinst vertreiben?«

«Wie soll das denn sonst gehen?«

«Durch Überreden?«tippte ich an.

«Geh!«

«Wenn du auf eine Wespe trittst, kommen fünfzig zur Beerdigung.«

Er nickte.»Verstehe, was du meinst. «Er strich sich den Bart.»Was tun wir also?«

«Wir finden uns mit ihnen ab.«

«Das ist doch das letzte.«

«Man könnte sagen, daß ein Verbot des Hindernissports die Tötung von Hunderten von Pferden nach sich ziehen würde, für die es keine Verwendung mehr gibt. Da würde nicht hin und wieder ein Pferd getötet, sondern der ganze Bestand, innerhalb eines Jahres. Sag Harold Quest, daß er für Massenschlachtungen eintritt und Pferde zu einer gefährdeten Tierart macht.«»Okay. «Er sah aus, als wollte er gleich zur Tat schreiten.

«Aber«, sagte ich,»wahrscheinlich regt er sich gar nicht so wegen der Pferde auf. Wahrscheinlich geht es ihm eher darum, anderen den Spaß zu verderben. Er unterhält sich gut, das ist sein Hauptanliegen. Er versucht seit Tagen schon, sich ein bißchen anfahren zu lassen. Morgen erreicht er vielleicht, daß man ihn festnimmt. Dann würde er sich kaum noch einkriegen.«

«Alle Fanatiker spinnen«, sagte Henry.

«Auch die Blaustrümpfe und die zwölf Apostel?«

«Möchtest du ein Bier?«fragte er zurück.»Mit dir diskutiere ich nicht.«

«Was wir wirklich brauchen, ist eine Gegendemonstration«, meinte ich.»Leute, die neben Harold Quest marschieren und Sprüche hochhalten wie ES LEBE DIE ARBEITSLOSIGKEIT, WER BRAUCHT SCHON PFERDEPFLEGER? ALLE HINDERNISPFERDE AB IN DIE LEIMFABRIK, SCHMIEDE SOLLEN STEMPELN GEHEN

«Hufschmiede«, sagte Henry.

«Was?«

«Hufschmiede beschlagen Pferde. Andere Schmiede bauen Gartentore.«

«Wie wär’s mit dem Bier?«sagte ich.

Aber das Bier mußte warten, denn es trafen nacheinander zwei motorisierte Besucher ein, beide aufgebracht wegen einer Beinah-Kollision mit Harold Quest.

Hinter der Stoßstange des ersten Wagens klemmten die zerrissenen Überreste eines Plakats, auf dem stand: SCHLUSS MIT DER BRUTALITÄT, doch wie so oft in derartigen Fällen hatte der Befehlston der abgedroschenen Ermahnung die gegenteilige Wirkung hervorgerufen.

Bei Oliver Wells, dem Fahrer, war der Lack vornehmer Liebenswürdigkeit so weit abgeblättert, daß der Machtwille dahinter schwer und düster zutage trat; und was sich da zeigte, schien mir die ganze Stoßkraft der Kolben zu sein, die normalerweise im Innern einer reibungslos laufenden Maschine verborgen blieb. Mehr Ellbogen, mehr Unnachgiebigkeit, als die Welt sonst zu sehen bekam. Brutalität war diesem demaskierten Mann durchaus zuzutrauen. Die lange Nase und die abstehenden Ohren zitterten vor ungebremster Wut, und er hatte kaum einen Blick für mich, als er fragte:»Wo ist Roger?«

«In seinem Büro«, sagte ich.

Blind und taub für das Gehämmer ringsumher marschierte Oliver auf die Bürotür zu. Der zweite Wagen, ein scharlachroter Ferrari, hielt mit qualmenden Reifen neben seinem, und die finster blickende Furie Rebecca schnellte daraus hervor.

Sie war die erste Stratton für heute, fiel mir flüchtig ein, und sie war mir unendlich weniger willkommen als ihr haarfixierter Bruder.

Auch Rebecca, in gutsitzender rehbrauner Hose und knallrotem Pullover, bebte vor übermächtiger Empörung.

«Den Klammeraffen bring ich um«, posaunte sie hinaus.»Der legt es ja drauf an, daß man ihn überfährt, und ich werd’s tun, das schwör ich, wenn er mich noch mal >Herz-chen< nennt.«

Ich hatte Mühe, das unpassende Lachen hinunterzuschlucken. Henry, der keine Hemmungen kannte und den reizbaren Feminismus sofort für sich einordnete, lachte schallend heraus.

Sie senkte halb die ausdrucksvollen Lider und schoß einen hochgiftigen Blick auf ihn ab, der Henry kaltließ.

«Wo ist Oliver?«Ihr Tonfall verriet, wie ihre Miene, unbeherrschte Arroganz.»Der Mann, der vor mir hier hereingekommen ist?«

«Da im Büro«, sagte Henry, mit dem Finger zeigend; und ich schwöre, daß ihm das Wort >Herzchen< auf der Zunge lag.

Er schaute ihrem panthergleichen Gang nach, als sie sich von uns entfernte, und hob als Kommentar drollig die Augenbrauen, eine echte Einladung zum Dolchstoß, wenn sie sich zufällig umgedreht hätte.

«Sie sieht gut aus und hat Mut«, sagte ich.»Das ist leider alles.«

«Wer ist sie denn?«

«Die Ehrenwerte Rebecca Stratton, Hindernisreiterin.«

Henry ließ die Brauen wieder sinken und zog seine unmittelbare Aufmerksamkeit von ihr ab.

«Bier«, verkündete er.

Wieder kam ein Auto uns dazwischen; ein kleiner schwarzer Porsche diesmal, der wie ein Schatten den Fahrweg entlangglitt und unauffällig, halb verdeckt durch einen von Henrys Lkws, stehenblieb. Niemand stieg aus. Durch die getönten Seitenfenster war nichts zu erkennen.

Henry sah stirnrunzelnd zu dem Neuankömmling hin.»Wer versteckt sich denn da hinter meinen Lastern?«

«Ich weiß nicht«, sagte ich.»Sieh mal nach.«

Er tappte hinüber, peilte die Lage, kam zurück.

«Er ist dünn, er ist jung, sieht aus wie Herzchen. Er hockt da hinter verriegelten Türen. Wollte nicht mit mir reden. «Henry blickte lüstern.»Er hat eine italienische Fernfahrergeste gemacht! Bist du jetzt schlauer?«

«Es könnte vielleicht Forsyth Stratton sein. Herzchens Cousin. Er sieht ihr sehr ähnlich.«

Henry zuckte die Achseln, sein Interesse verflog.»Was soll mit dem Leergut in den Bars passieren?«

«Das übernimmt der Gastroservice.«

«Dann zu unserem Bier.«

«Zu unserem Bier.«

Endlich hoben wir einen und beredeten dabei, was noch alles zu erledigen war. Seine Leute würden bis Mitternacht oder auch länger am Ball bleiben. Sie würden in den Fahrerhäusern schlafen, wie sie es gewohnt waren, und würden am Morgen in aller Frühe fertig aufbauen. Um halb zehn würden die Lkws fort sein, mit Ausnahme des kleinsten, Henrys persönlicher Werkstatt auf Rädern, die alles enthielt, was für Wartungs- und dringende Reparaturarbeiten nötig war.

«Ich bleibe zu den Rennen«, sagte er.»Die kann ich mir doch nach all dem nicht entgehen lassen.«

Roger stieß zu uns, sichtlich sehr angespannt.

«Oliver ist mal wieder scheußlichster Laune«, berichtete er.»Und was Rebecca angeht…«

Rebecca folgte ihm fast auf dem Fuß, rauschte aber an unserer Gruppe vorbei und suchte einen Durchschlupf in dem Stellzaun, der die eingestürzte Tribüne verbarg. Da sie keine Lücke fand, tigerte sie zurück zu Roger und sagte energisch:»Lassen Sie mich durch den Zaun. Ich möchte sehen, wie groß der Schaden ist.«

«Für den Zaun bin ich nicht zuständig«, sagte Roger beherrscht.»Vielleicht sollten Sie sich an die Polizei wenden.«

«Und wo ist die Polizei?«

«Auf der anderen Seite des Zauns.«

Sie kniff die Augenlider zusammen.»Dann holen Sie mir eine Leiter.«

Als Roger ihr nicht gleich gehorchte, wandte sie sich an einen vorbeikommenden Arbeiter.»Holen Sie mir eine Trittleiter«, befahl sie ihm. Sie hatte weder ein» bitte «für ihn übrig noch ein» danke schön«, als er die Leiter brachte. Sie sagte ihm bloß, wo er sie hinstellen sollte, und bekundete ihr Einverständnis mit der mürrischen Andeutung eines Nickens, als er ihr Platz machte.

Selbstbewußt, mit flüssigen Bewegungen, stieg sie die Sprossen hinauf und betrachtete erst einmal lange, was der Zaun verbarg. Henry und Roger schlichen sich davon wie listige alte Krieger und ließen mich allein in den Genuß von Rebeccas messerscharfen Kommentaren kommen. Sie stieg mit der gleichen sportlichen Eleganz wieder die Leiter herunter, warf einen verächtlichen Blick auf mein noch immer benötigtes Gehgestell und forderte mich auf, die Rennbahn sofort zu verlassen, da ich dort nichts zu suchen hätte. Ebensowenig hätte ich vor zwei Tagen auf der Tribüne verloren gehabt, und falls ich daran dächte, den Strattons wegen meiner Verletzungen eine Schadenersatzklage anzuhängen, würden die Strattons mich wegen unbefugten Betretens verklagen.

«In Ordnung«, sagte ich.

Sie stutzte.»Was ist in Ordnung?«

«Haben Sie mit Keith geredet?«

«Das geht Sie nichts an, und ich habe Sie aufgefordert zu gehen.«

«Der Erfolg dieser Rennbahn geht mich etwas an«, sagte ich ohne mich zu rühren.»Sie gehört mir zu acht Hundertsteln. Ihnen werden, wenn Sie erst den Erbschein haben, drei Hundertstel gehören. Wer ist also eher berechtigt, hier zu sein?«

Sie kniff die glänzenden Augen zusammen, fegte das Thema Anteilsmehrheit ungeduldig beiseite und stürzte sich auf das, worauf es wirklich ankam.»Was heißt, wenn ich den Erbschein habe? Die Anteile gehören mir laut Testament.«

«Nach englischem Recht«, sagte ich, denn das hatte ich beim Ordnen der Angelegenheiten meiner Mutter herausgefunden,»kommt man in den Besitz einer Erbschaft erst, wenn das Testament bestätigt, die Steuer entrichtet und der Erbschein ausgestellt worden ist.«

«Ich glaube Ihnen kein Wort.«

«Das ändert nichts an den Tatsachen.«

«Soll das heißen«, fragte sie scharf,»daß meinem Vater, Keith und Ivan gar kein Sitz im Vorstand zusteht? Daß ihre ganzen blöden Entscheidungen null und nichtig sind?«

Ich erstickte ihre aufkeimenden Hoffnungen.»Das heißt es nicht. Vorstandsmitglieder müssen keine Anteilseigner sein. Marjorie konnte berufen, wen sie wollte, ob ihr das nun klar war oder nicht.«

«Sie wissen jedenfalls zuviel«, sagte Rebecca ärgerlich.

«Freut es Sie«, fragte ich,»daß die Tribüne jetzt in Trümmern liegt?«

Sie sagte trotzig:»Aber ja.«

«Und was soll nun werden?«

«Ein neuer Tribünenbau natürlich. Modern. Mit Glasfront. Alles neu. Nichts wie raus mit dem Scheiß-Oliver und dem verkalkten Roger.«

«Und den Laden selber schmeißen?«Ich meinte es nicht ganz ernst, aber sie stürzte sich im Flug darauf.

«Es spricht doch nichts dagegen! Großvater hat es ja auch gemacht. Jetzt sind Neuerungen gefragt. Neue Ideen. Aber ein Stratton sollte die Rennbahn leiten. «Ihr Gesicht glühte vor Eifer.»Sonst kann keiner in der Familie Anker und Anschlag auseinanderhalten. Vater muß zwar Stratton

Hays seinem Erben hinterlassen, aber das schließt das Rennbahngelände nicht ein. Seine Anteile an der Rennbahn kann er mir vererben.«

«Er ist erst fünfundsechzig«, sagte ich leise und fragte mich, welche aufrüttelnde Wirkung diese Unterhaltung wohl auf Marjorie und Dart gehabt hätte, ganz zu schweigen von Roger, Oliver und Keith.

«Ich kann warten. Ich möchte wenigstens noch zwei Saisons reiten. Es wird Zeit, daß mal eine Frau unter die ersten fünf auf der Jockeyliste kommt. Das erreiche ich dieses Jahr, solange ich nicht stürze oder von dämlichen Ärzten krankgeschrieben werde. Danach leite ich die Rennbahn.«

Ich hörte ihre Zuversicht und wußte nicht genau, ob sie sich Illusionen hingab oder wirklich dazu imstande war.

«Der Vorstand müßte Sie einsetzen«, sagte ich nüchtern.

Sie heftete abschätzend ihren Blick auf mich.»Müßte er wohl«, sagte sie gedehnt.»Und ich habe zwei volle Jahre, um dafür zu sorgen, daß er es auch tut. «Sie hielt inne.»Egal, aus wem er dann besteht. «Unvermittelt kam sie zu dem Schluß, daß sie sich lange genug mit mir abgegeben hatte, und pirschte zu ihrem scharlachroten Wagen zurück, nicht ohne dabei hungrige Blicke nach links und rechts zu werfen, auf das Reich, das sie zu regieren beabsichtigte. Marjorie würde dem einen Riegel vorschieben, aber ewig konnte sie das auch nicht, denn zwischen ihnen lagen Jahrzehnte. Daran hatte Rebecca gedacht.

Henry und Roger, die Feiglinge, stellten sich erst wieder ein, als Rebeccas Auspuff in Richtung Ausgang röhrte.

«Was hat sie Ihnen erzählt?«fragte Roger neugierig.»Sie sah ja fast menschlich aus.«

«Ich glaube, sie möchte hier die Leitung übernehmen wie ihr Großvater.«»Quatsch!«Er setzte zu einem Lachen an, das sich in ein unsicheres Stirnrunzeln verwandelte.»Die Familie wird es nicht zulassen.«

«Nein. «Nicht dieses Jahr, dachte ich, und nicht nächstes Jahr; aber danach?

Roger tat den unhaltbaren Gedanken mit einem Achselzucken ab.»Sagen Sie Oliver nichts davon«, meinte er.»Der bringt sie eher um.«

Ein Polizist und der achtundzwanzig Jahre alte Bombenfachmann kamen durch einen Abschnitt des Zauns und stießen ihn einen Spaltweit auf, so daß man ihre Kollegen bei der langwierigen Suchaktion sehen konnte.

Roger und ich gingen ihnen entgegen und betrachteten neugierig, was sie uns mitgebracht hatten.

«Überreste eines Weckers«, meinte der Experte vergnügt.

«Man stößt fast immer auf Bestandteile von Zeitschaltern. Bei dieser Art von Sprengstoff löst sich eigentlich nichts in Luft auf.«

«Was für Sprengstoff?«fragte ich.

«P.E.4. Kein Semtex. Auch nicht Dünger und Dieselöl. Kein Bastelstubenterror. Ich würde sagen, wir haben es hier mit regulären Armeebeständen zu tun, nicht mit der IRA

Roger, der Oberst, sagte steif:»Die Armee überwacht die Ausgabe von Sprengkapseln genau. Ohne Sprengkapseln ist P.E.4 Kinderkram.«

Der Experte nickte.»Man kann es kneten und formen wie Marzipan. Ich würde allerdings nicht mit dem Hammer draufschlagen. Aber Sprengkapseln unter Verschluß? Daß ich nicht lache. Mein Leben wäre einfacher, wenn das stimmte. Aber die Armee versiebt bekanntlich sogar Pan-zer. Was ist schon ein bißchen Knallquecksilber unter Freunden?«

«Mit Sprengkapseln sind alle vorsichtig«, beharrte Roger.

«Aber sicher. «Der Experte grinste überlegen.»Alte Soldaten, die lassen eine Feldhaubitze verschwinden, wo Sie dabei sind. Und man sagt ja, es geht nichts über ein tüchtiges Feuer.«

Dem Ausdruck auf seinem Gesicht nach kannte Roger diesen Spruch nur zu gut.

«Als vor ein paar Jahren mal ein bestimmtes Depot, so groß wie fünf Fußballfelder, in Flammen aufging«, erläuterte mir der Experte mit Genuß,»da kam gleich doppelt soviel Material auf die Verlustliste, wie das Depot überhaupt aufnehmen konnte. Die Armee lieferte tonnenweise kreative Schreibarbeit, um nachzuweisen, daß in der Woche vor dem Brand noch alles mögliche in das Depot gebracht worden war. Sachen, die seit längerem verschwunden waren und deren Fehlen vielleicht hätte erklärt werden müssen, waren jetzt offiziell >ins Depot verbracht< worden. Und es wurden Sachen >ins Depot verbracht<, die nach dem Brand kofferweise wesentlich näher an der Heimatbasis liegende Lieferziele gefunden hatten. Ein Segen, so ein Feuer, nicht wahr, Colonel?«

Roger sagte steif:»Sie erwarten wohl nicht, daß ich dem zustimme.«

«Natürlich nicht, Colonel. Machen Sie mir nur nicht weis, es sei unmöglich, daß eine Kiste Sprengkapseln unterschlagen wird. «Er schüttelte den Kopf.»Zugegeben, nur ein Narr oder ein Fachmann würde sie anfassen, aber ein Wort hier, ein Wort da, und es gibt Abnehmer für alles unter der Sonne.«

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