Rollsplitt


In der Uniform des Herrn Polizeioberwachtmeisters Alois Dimpfelmoser radelte der Räuber Hotzenplotz mit Kasperls Großmutter auf dem gestohlenen Dienstfahrrad durch das schlummernde Städtchen.

Großmutter saß im Damensitz auf dem Gepäckträger und hielt sich mit beiden Händen am Sattel fest. Anfangs war sie ein wenig ängstlich gewesen, doch allmählich begann ihr das Radfahren Spaß zu machen.

„Stellen Sie sich vor", kicherte sie, „dies ist in meinem ganzen Leben das erste Mal, dass ich auf einem Fahrrad sitze! Als ich ein junges Mädchen war, gab es noch keine Fahrräder, wissen Sie; und in späteren Jahren hatte ich keine Gelegenheit mehr dazu. Ich glaube, Sie haben mich auf den Geschmack gebracht. Ob ich mir auf die alten Tage ein Fahrrad anschaffen sollte – was meinen Sie?"

Hotzenplotz brummte etwas wie „gute Idee" und „das finde ich ausgezeichnet"; aber im Stillen dachte er: „Hoffentlich geht das noch eine Weile glatt mit ihr ..."

Spätestens an der nächsten Kreuzung musste selbst Großmutter merken, dass sie in die falsche Richtung radelten. Aber ein richtiger Räuber weiß sich in jeder Lage zu helfen.

„Vorsicht, Großmutter!", zischte er. „Hier beginnt eine Baustelle, da liegt Rollsplitt – der spritzt einem ins Gesicht, wenn man drüberradelt. Am besten, Sie nehmen für eine Weile den Zwicker runter und machen die Augen zu. Haben Sie mich verstanden?"

„Danke – zu liebenswürdig!"

Großmutter nahm den Zwicker von der Nase und schloss die Augen. Sie sah sich im Geist als stolze Besitzerin eines Fahrrades durch das Städtchen flitzen; und alle Leute, die ihr auf der Straße begegneten, blickten ihr voll Bewunderung nach.

Solche und andere angenehme Gedanken hinderten sie freilich nicht daran, sich von Zeit zu Zeit zu erkundigen, ob denn die Baustelle immer noch nicht zu Ende sei.

„Leider nein!", pflegte Hotzenplotz dann zu antworten.

„Sie tun gut daran, wenn Sie den Zwicker noch eine Weile unten lassen. Mit Rollsplitt ist nicht zu spaßen."

So kam es, dass Großmutter viel zu spät merkte, was da mit ihr gespielt wurde. Als sie Verdacht schöpfte und den Zwicker aufsetzte, lagen die letzten Häuser des Städtchens schon weit hinter ihnen und eben bog Hotzenplotz von der Landstraße ab, in den Wald hinein.

„Heda!", rief Großmutter. „Wohin fahren Sie uns denn da, Herr Oberwachtmeister. Warum radeln wir nicht zum Spritzenhaus?"

„Darum!", sagte der Räuber Hotzenplotz barsch.

Er sagte es laut und mit seiner gewohnten Stimme. Großmutter merkte gleich, dass da etwas faul war.

„Hören Sie mal, Sie da vorn!", rief sie. „Sind Sie womöglich gar nicht der Herr Polizeioberwachtmeister Dimpfelmoser?"

Hotzenplotz radelte lachend weiter.

„Das haben Sie reichlich spät gemerkt", meinte er. „Raten Sie mal, wer ich wirklich bin, hö-hö-hö-höööh!"

Großmutter war empört.

„Ich kenne nur einen Menschen im ganzen Landkreis, dem ich ein solches Schurkenstück zutraue", rief sie – „und das sind Sie! Was haben Sie eigentlich mit mir vor?"

„Ich entführe Sie."

„Dass ich nicht lache! Ich werde um Hilfe schreien! – Hilfe! Zu Hiiilfeee! Man will mich entführen! Rettet mich! Rettet miiiiich!"

„Schreien Sie ruhig, so lang Sie wollen", meinte der Räuber Hotzenplotz, „hier im Wald hört Sie doch keiner. Alles, was Sie mit Ihrem Gebrüll erreichen, ist, dass Sie Halsweh kriegen."

Damit hatte er leider Recht. Großmutter schluchzte ein paarmal und sagte mit tränenerstickter Stimme:

„Schämen Sie sich, Herr Hotzenplotz! Als hilflose alte Dame erwarte ich, dass Sie mich auf der Stelle nach Hause zurückbringen und sich bei mir entschuldigen."

Hotzenplotz lachte schallend.

„Na schön", sagte Großmutter. „Wenn Sie mich nicht zurückbringen, werde ich eben vom Rad springen und davonlaufen."

„Bitte sehr!", brummte Hotzenplotz. „Erstens ist das in Ihrem Alter nicht ungefährlich und zweitens würden Sie nicht weit kommen."

Auch damit hatte er leider Recht.

„Ich sehe schon", dachte Großmutter, „dass mir nichts anderes übrig bleibt, als ihm die Fahrradpumpe über den Kopf zu hauen."

Die Fahrradpumpe war vom Gepäckträger aus bequem zu erreichen. Schon schwang sie sie in der Hand, schon haute sie damit zu.

Der dumpfe Krach tat ihr in der Seele weh – doch Hotzenplotz radelte weiter, als ob überhaupt nichts geschehen sei.

„Tun Sie sich keinen Zwang an, Großmutter", sagte er. „Bloß – vergessen Sie nicht, dass ich einen Helm auf dem Kopf trage. Einen Polizeihelm."

Da sah Großmutter ein, dass es keinen Sinn hatte, irgendetwas zu unternehmen und sie beschloss die Fahrradpumpe in hohem Bogen wegzuwerfen; aber dann musste sie daran denken, dass die Pumpe ja eigentlich dem Herrn Oberwachtmeister Dimpfelmoser gehörte und da tat sie es lieber doch nicht.




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