Zum Spritzenhaus gab es zwei Schlüssel. Den einen hatte Herr Oberwachtmeister Dimpfelmoser in Verwahrung, den andern der Hauptmann der freiwilligen Feuerwehr, ein Herr Rübesamen, im Hauptberuf Inhaber einer kleinen Senffabrik.
Herr Rübesamen dachte sich weiter nichts dabei, als Kasperl und Seppel ihn um den Spritzenhausschlüssel baten: Herr Oberwachtmeister Dimpfelmoser habe sie hergeschickt, es sei dringend ...
„Aber natürlich, gern – und bestellt dem Herrn Oberwachtmeister einen schönen Gruß von mir!"
Sobald Kasperl und Seppel den Schlüssel hatten, rannten sie hast-du-was-kannst-du zum Spritzenhaus, wo sie von Großmutter schon erwartet wurden.
„Sagt mir um Himmels willen – was soll das alles?"
„Du wirst es gleich sehen, Großmutter!"
Kasperl steckte den Schlüssel ins Schloss und sperrte das Tor auf.
Der Herr Polizeioberwachtmeister Alois Dimpfelmoser lag im hintersten Winkel des Spritzenhauses, zwischen der Wand und dem Feuerwehrauto. Er war von unten bis oben in einen Feuerwehrschlauch eingewickelt. Am einen Ende der Rolle schauten die nackten Füße heraus, am anderen Ende der Hals und der Kopf. Der Kopf aber steckte in einem leeren Wassereimer: Deshalb hatte Herrn Dimpfelmosers Stimme so dumpf und fremd geklungen, dass Kasperl und Seppel sie nicht erkannt hatten.
„Kommt, helft mir!", rief Kasperl. „Wir müssen ihn wieder auswickeln!"
Sie packten das eine Ende des Feuerwehrschlauches und zogen daran.
Da begann sich der Herr Oberwachtmeister um die eigene Achse zu drehen wie eine Spindel – und je eifriger sie zogen, desto schneller drehte er sich.
„Sachte, sachte!", rief er. „Mir wird ganz schwindlig im Kopf, der Mensch ist kein Brummkreisel!"
Es dauerte eine Zeit lang, bis sie ihn fertig ausgewickelt hatten. Nun zeigte es sich, dass der arme Herr Dimpfelmoser nur noch mit Hemd und Unterhose bekleidet war. Alles Übrige hatte ihm Hotzenplotz ausgezogen und weggenommen, sogar die Strumpfsocken.
„Warum lasst ihr mich denn in diesem verdammten Eimer so lange stecken?"
Richtig, der Wassereimer! Den hatten sie ganz vergessen. Kasperl befreite Herrn Dimpfelmoser davon und Herr Dimpfelmoser holte ein paarmal tief Luft.
„Na endlich! Unter dem Ding bin ich halb erstickt!" Er rieb sich die Augen und blickte an sich hinunter. „Dieser Halunke! Er hat mir sogar die Hose geraubt! – Ich bitte Sie, Großmutter, gucken Sie weg!"
Großmutter nahm den Zwicker ab.
„Das ist besser als Weggucken", meinte sie. „Doch nun sagen Sie mal: Was, um alles in der Welt, ist hier eigentlich vorgefallen?"
Herr Dimpfelmoser hängte sich Kasperls Jacke um und setzte sich auf das Trittbrett des Feuerwehrautos.
„Hotzenplotz hat mich reingelegt", brummte er. „Kurz nach halb zwölf war es. Plötzlich – ich stehe wie immer um diese Zeit auf dem Marktplatz und sorge für Recht und Ordnung – ertönt aus dem Spritzenhaus lautes Wehgeschrei. ,Hilfe, Herr Oberwachtmeister, Hilfe! Ich hab eine Blinddarmverrenkung, ich muss zum Doktor! Kommen Sie, schnell, schnell, kommen Sie!' Ich renne natürlich sofort zum Spritzenhaus. ,Eine Blinddarmverrenkung', denke ich, ,darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen! Wie, wenn er daran eingeht?' Ich sperre das Tor auf und nichts wie hinein! Da bekomme ich unversehens, ich weiß nicht woher, einen Schlag auf den Kopf – und dann bin ich für eine Weile weg gewesen."
„Entsetzlich!", rief Großmutter. „Haarsträubend und entsetzlich! Ich sage ja, heutzutage muss man bei Räubern auf alles gefasst sein, selbst wenn sie sterbenskrank sind."
„Der war gar nicht sterbenskrank!", knurrte Herr Dimpfelmoser. „Er hat mir mit seiner Blinddarmverrenkung bloß etwas vorgeschwindelt, damit er mich auf den Kopf hauen konnte. Und wissen Sie was? Er hat es mit einer Feuerpatsche getan! Das hat er mir hinterher, als ich gefesselt aufwachte, selbst erzählt."
„Auch das noch!", rief Großmutter. „Dieser Mensch ist doch wirklich ein Ausbund an Unverschämtheit! Man muss ihn auf schnellstem Weg wieder einfangen und der gerechten Bestrafung zuführen, finden Sie das nicht auch?"
„Und ob ich das finde!"
Herr Dimpfelmoser sprang auf und schüttelte die geballten Fäuste.
„Ich werde es dem Halunken zeigen, zum Donnerwetter – und wenn er sich hinterm Mond verkriecht!"
Damit wollte er losstürmen und die Jagd nach dem Räuber Hotzenplotz aufnehmen. Seppel gelang es gerade noch rechtzeitig, ihn am Hemdenzipfel zu packen und festzuhalten.
„Nicht doch, Herr Oberwachtmeister!", rief er. „Vergessen Sie nicht, dass Sie keine Hose anhaben!"