Laßt mich raus!


Kasperl und sein Freund Seppel waren am Stadtbach zum Angeln gewesen, hatten aber nichts gefangen, außer einem alten Schneebesen und einer leeren Essigflasche. Den Schneebesen hatten sie wieder ins Wasser geworfen, die Flasche nicht. „Denn", hatte Kasperl gesagt, „daraus können wir eine Flaschenpost machen, wenn wir mal eine brauchen sollten."

Wie jeden Donnerstag wären sie auch heute besonders pünktlich zu Tisch gekommen, wenn sie nicht unterwegs eine merkwürdige Geschichte erlebt hätten.

Als sie über den Marktplatz gingen, hörten sie aus dem Spritzenhaus dumpfes Geschrei.

„Nanu?", sagte Kasperl. „Hotzenplotz scheint einen schlechten Tag zu haben. Horch, wie er flucht und schimpft!"

„Der schimpft nicht", erwiderte Seppel, „der ruft um Hilfe. Vielleicht hat er Zahnschmerzen oder Bauchweh."

Seit der Geschichte mit Großmutters Kaffeemühle war Kasperl auf Hotzenplotz schlecht zu sprechen. „Hoffentlich hat er Bauchweh und Zahnschmerzen", meinte er, „und dazu noch an jeder Zehe zwei Hühneraugen!" Trotzdem lief er mit Seppel zum Spritzenhaus, um zu hören, was es da gäbe.

Das Spritzenhaus hatte ein einziges kleines Fenster, das selbstverständlich vergittert war. Wenn man sich unter das Fenster stellte, verstand man die dumpfe Stimme recht gut.

„Hilfe!", tönte es aus dem Spritzenhaus. „Hilfe, man hat mich hier eingesperrt! Aufmachen, lasst mich raus!"

Kasperl und Seppel lachten.

„Das könnte Ihnen so passen!", riefen sie. „Wir sind froh, dass Sie endlich drin sind, Herr Hotzenplotz!"

Vor vierzehn Tagen hatten sie mitgeholfen den Räuber einzufangen. Sie hatten dafür vom Herrn Bürgermeister eine Belohnung von fünfhundertfünfundfünfzig Mark fünfundfünfzig bekommen und der Herr Wachtmeister Dimpfelmoser war seither Oberwachtmeister.

„Rauslassen!", rief die Stimme. „Ich bin nicht der Räuber Hotzenplotz!"

„O ja!", unterbrach ihn Kasperl. „Wir wissen Bescheid, Sie sind Rotkäppchen mit den sieben Zwergen!"

„Nein, zum Kuckuck! Ich bin doch der Oberwachtmeister Dimpfelmoser!"

„Hören Sie endlich mit dem Geschrei auf, Sie Oberkrachmeister – gleich wird die Polizei kommen!"

„Unsinn! Die Polizei bin ich selbst! Erkennt ihr mich nicht an der Stimme? Lasst mich hier raus, ich bin eine Amtsperson!"

Kasperl und Seppel glaubten der dumpfen Stimme kein Wort. Für sie war die Angelegenheit sonnenklar. Hotzenplotz wollte sie hinters Licht führen, aber das sollte ihm nicht gelingen.

„Wenn Sie wirklich Herr Dimpfelmoser sind", sagte Kasperl, „dann kommen Sie doch ans Fenster, damit wir Sie sehen können!"

„Das geht nicht. Ich liege gefesselt am Boden. Wenn ihr mich nicht sofort hier rauslasst, macht ihr euch strafbar. Habt ihr verstanden? Ihr macht euch straaaf-baaar!"

Wie immer, so wussten sich Kasperl und Seppel auch jetzt zu helfen. Seppel stellte sich mit dem Rücken an die Wand des Spritzenhauses, dann stieg Kasperl ihm auf die Schultern und schaute zum Gitterfenster hinein.

„Also los!", rief er. „Zeigen Sie sich, wo stecken Sie?"

„Ich liege hier unten, hinter dem Feuerwehrauto. Kannst du mich sehen?"

„Nein", sagte Kasperl, „dann müsste das Auto aus Glas sein. Glauben Sie bloß nicht, dass jemand auf Ihre dummen Lügengeschichten hereinfällt!"

„Aber das sind keine Lügen! Das ist die reine, amtliche, polizeilich erwiesene Wahrheit! Ich bitte euch, glaubt mir und lasst mich hier raus! Was soll ich denn tun, damit ihr mir endlich Glauben schenkt?"

Kasperl und Seppel hätten ihm gern noch ein Weilchen zugehört. Es freute sie, dass sich der Räuber Hotzenplotz nun aufs Betteln verlegt hatte.

Doch da schlug es vom Rathausturm Viertel nach zwölf und plötzlich fiel ihnen ein, dass heut Donnerstag war.

„Winseln Sie ruhig weiter!", rief Kasperl zum Gitterfenster hinein. „Mein Freund Seppel und ich müssen leider nach Hause zum Mittagessen, Herr Oberschmachtmeister Plotzenhotz – oder glauben Sie, dass wir Ihretwegen die Bratwürste platzen lassen?"




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