Zunächst hatten Kasperl und Seppel den Eindruck, als nähme es Großmutter ihnen gewaltig übel, dass sie so spät nach Hause gekommen waren. Sie saß regungslos hinter dem Küchentisch und strafte sie, wie es schien, mit Verachtung.
„Großmutter!", sagte Kasperl. „Bitte, sei wieder lieb – es war wirklich nicht unsere Schuld!"
Jetzt erst merkte er, was mit Großmutter los war.
„Ach du grüne Sieben! Ich glaube fast, sie ist wieder ohnmächtig!"
Seppel deutete auf die leere Bratpfanne und den Sauerkrauttopf.
„Vielleicht war sie böse, weil wir nicht pünktlich zum Essen gekommen sind", meinte er. „Da hat sie vor lauter Ärger alles allein verputzt und dann ist ihr schlecht geworden."
„Kann sein", sagte Kasperl. „Neun Bratwürste und ein ganzer Topf Sauerkraut sind ein bisschen viel für sie."
Gemeinsam schleppten sie Großmutter auf das Sofa. Sie betupften ihr Stirn und Schläfen mit Franzbranntwein, sie
hielten ihr eine frisch aufgeschnittene rohe Zwiebel unter die Nase. Davon musste Großmutter fürchterlich niesen; und nachdem sie sich ausgeniest hatte, richtete sie sich auf und blickte umher wie jemand, der seinen eigenen Namen vergessen hat. Dann fiel ihr Blick auf die leere Bratpfanne und den Sauerkrauttopf auf dem Küchentisch – und da kehrte mit einem Schlag ihr Gedächtnis zurück.
„Stellt euch vor, was geschehen ist!"
Hastig erzählte sie Kasperl und Seppel von ihrem Abenteuer mit Hotzenplotz.
„Ist es nicht haarsträubend?", rief sie. „Am hellen Mittag ist man in dieser Stadt seines Lebens und seiner Bratwürste nicht mehr sicher! Ich möchte bloß wissen, wozu es hier eine Polizei gibt!"
Großmutter ließ sich mit einem Seufzer aufs Sofa zurücksinken und es hatte den Anschein, als gedenke sie im nächsten Augenblick erneut in Ohnmacht zu fallen. Mit matter Stimme bat sie Kasperl und Seppel zum Oberwachtmeister Dimpfelmoser zu laufen und ihm den Vorfall zu melden.
„Wie ich ihn kenne", hauchte sie, „sitzt er um diese Zeit in der Wachstube hinterm Schreibtisch und hält sein Mittagsschläfchen."
„Heut kaum!", sagte Kasperl.
Und obgleich er einen grässlichen Hunger hatte (donnerstags aß er zum Frühstück immer nur halb, um zu Mittag den richtigen Bratwurst-und-Sauerkraut-Appetit zu haben) versetzte er seinem Freund Seppel eins in die Rippen und rief:
„Nichts wie zum Spritzenhaus!"
Ohne sich weiter um Großmutter zu kümmern, machten die Freunde kehrt und flitzten zur Tür hinaus.
„Aber, aber – was habt ihr denn?"
Großmutter blickte ihnen verwundert nach.
Es gelang ihr die aufkommende Ohnmacht zu überwinden. Sie tastete sich am Sofa entlang zum Tisch und vom Tisch zum Küchenschrank. Dort genehmigte sie sich zur Stärkung zwei Gläschen Melissengeist und nachdem sie sich dreimal kräftig geschüttelt hatte, rannte sie Kasperl und Seppel nach.