Großmutter hatte im Dachgeschoss ihres Häuschens ein kleines Zimmer mit schiefen Wänden und einem Gästebett. Dort brachten sie den Herrn Oberwachtmeister unter.
„Mögen Sie Baldriantee?", fragte Großmutter. „Baldriantee beruhigt die Nerven und wird Ihnen gut tun – nach allem, was Sie erlebt haben."
„Wenn ich ehrlich bin", sagte Herr Dimpfelmoser, „dann möchte ich lieber etwas zu essen. Was meinen Sie, wie mir der Magen knurrt!"
„Uns auch!", riefen Kasperl und Seppel. „Uns auch!"
Großmutter lief in die Küche und strich einen Haufen Butterbrote. Herr Dimpfelmoser, Kasperl und Seppel sorgten dafür, dass nichts übrig blieb. Großmutter konnte das nicht verstehen: Bei ihr schlug sich jede Aufregung auf den Magen und hinterher brachte sie stundenlang keinen Bissen hinunter.
Sie stellte Herrn Dimpfelmoser ein Kännchen Baldriantee ans Bett und erklärte, sie müsse nun in die Stadt gehen. Erstens habe sie einiges zu besorgen – „und zweitens", versprach sie ihm, „werde ich in der Reinigungsanstalt ein bisschen Dampf machen wegen Ihrer Uniform."
„O ja!", rief Herr Dimpfelmoser. „Die sollen sich ausnahmsweise einmal beeilen! – Und noch etwas könnten Sie für mich tun ..."
„Nämlich?"
„Bringen Sie mir von daheim ein Paar Schuhe und Strümpfe, den zweiten Helm und den anderen Säbel mit, den Paradesäbel, den ich normalerweise bloß sonntags trage! Frau Pfundsmichel, meine Zimmerwirtin, wird Ihnen alles geben. Und noch was, damit ich es nicht vergesse! Im Fahrradständer auf unserem Hof steht ein blaues Fahrrad mit roten Felgen. Ob Sie das auch noch mitbringen könnten? Es ist mein Dienstrad. Sowie ich die Uniform aus der Reinigungsanstalt zurückbekomme, radle ich damit los – und dann wird es nicht lange dauern, bis Hotzenplotz wieder im Loch sitzt, das schwöre ich Ihnen!"
„Gut", sagte Großmutter. „Also den Säbel, die Schuhe und Strümpfe, den Helm und das blaue Fahrrad."
„Und Bratwürste!", fügte Kasperl hinzu.
„Bratwürste?", fragte Großmutter.
„Ja", sagte Kasperl. „Vergiss nicht, dass heute Donnerstag ist! Bratwurst mit Sauerkraut könnte man ausnahmsweise auch einmal am Abend essen ..."
„Bratwurst mit Sauerkraut?" Großmutter schüttelte heftig den Kopf. „Solange der Räuber Hotzenplotz frei herumläuft, kommen mir keine Bratwürste mehr ins Haus. Und Sauerkraut auch nicht! Glaubt ihr, ich locke mir diesen Menschen ein zweites Mal auf den Hals? Einmal genügt!"
Dabei blieb sie und es gab nichts auf der ganzen Welt, was sie davon abbringen konnte.
Weil Kasperl und Seppel das wussten, versuchten sie gar nicht erst es ihr auszureden. Traurig gingen sie in den Garten. Sie setzten sich hinter dem Haus in die Sonne und überlegten.
Die Rechnung war einfach: Je schneller der Räuber Hotzenplotz hinter Schloss und Riegel kam, desto früher gab es bei Großmutter wieder Bratwurst mit Sauerkraut.
„Wollen wir eigentlich warten, bis Dimpfelmoser ihn fängt?", fragte Kasperl. „Es muss was geschehen, finde ich ..."
„Hast du schon einen Plan?", wollte Seppel wissen.
„Man müsste ihn einfach wieder ins Spritzenhaus locken, verstehst du ..."
„Fragt sich nur, wie!", meinte Seppel. „Mit Speck vielleicht – oder mit Bratwürsten?"
„Das ist alles Quatsch!", sagte Kasperl.
Er legte die Stirn in Falten und dachte nach. Er dachte an dies und jenes – und plötzlich fiel ihm die Essigflasche ein, die sie heut aus dem Stadtbach gefischt hatten.
„Ich hab's!", rief er. „Seppel, ich hab's! Wir bringen ihm eine Flaschenpost!"
„Eine Fla..."
„Eine Flaschenpost!"
„Und die schicken wir Hotzenplotz?"
„Du musst zuhören, wenn ich dir etwas sage: Wir bringen sie ihm – das macht einen großen Unterschied. Weißt du was, Seppel? Sei doch so gut und besorge mir im Papiergeschäft eine Stange Siegellack!"
„Siegellack?"
„Ja", sagte Kasperl. „Bei einer richtigen Flaschenpost ist der Siegellack fast noch wichtiger als die Flasche selbst."