Wasti


Herr Dimpfelmoser hatte mit wachsendem Unmut beobachtet, wie sich die Dinge beim alten Steinkreuz entwickelt hatten. Als er nun sehen musste, wie Hotzenplotz Kasperl und Seppel gefangen wegführte, verlor er für einen Augenblick die Beherrschung.

„Dieser Schuft!", rief er. „Dieser Schurke! Der Blitz soll ihm in die Knochen fahren!"

Dabei haute er mit der Faust auf den Tisch, dass die Kristallkugel auf dem Samtkissen einen Hüpfer machte.

„Aber Herr Dimpfelmoser!"

Frau Schlotterbeck konnte das Unglück nicht mehr verhindern. Vor ihren Augen verdüsterte sich die Kugel. Es war, als ob schwarzer Rauch aus der Tiefe emporquirlte und das Bild verhüllte.

„Da haben wir die Bescherung!" Frau Schlotterbeck schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Wenn ich Sie nicht gewarnt hätte, würde ich ja nichts sagen, Sie Unglücksmensch! Wie konnten Sie bloß auf den Tisch hauen!"

„Tut mir Leid", brummte Oberwachtmeister Dimpfelmoser. „Was kann man dagegen machen, wenn einen der Zorn packt?"

Frau Schlotterbeck schlug die Kristallkugel in ein schwarzes Tuch ein und räumte sie weg.

„Für mich ist die Sache nicht weiter schlimm", erklärte sie. „In ein bis zwei Tagen kann ich die Kugel wieder verwenden, das lässt sich abwarten. Aber für Sie! Wie wollen Sie nun herausfinden, wohin Hotzenplotz ihre Freunde verschleppt?"

Ach du liebe Zeit, daran hatte Herr Dimpfelmoser gar nicht gedacht! Ob Frau Schlotterbeck ihm da helfen konnte? Mit Kartenlegen zum Beispiel – oder mit Wahrsagen aus dem Kaffeesatz?

„Das alles könnte man selbstverständlich versuchen", meinte sie. „Aber ich will Ihnen ehrlich sagen, dass ich nicht allzu viel davon halte. Ein Hund wäre weitaus besser für Sie – ganz entschieden!"

„Ein Hund?"

„Um ihn Hotzenplotz auf die Spur zu setzen."

Herr Dimpfelmoser kratzte sich im Genick.

„Ihr Vorschlag hat manches für sich. Wie wäre es, wenn Sie mir – Wasti liehen? Das ginge am schnellsten, da brauchte ich nicht erst lange bei meinen Bekannten herumzufragen ..."

„Wasti?" Frau Schlotterbeck tat einen kräftigen Zug an ihrer Zigarre. „Mit Wasti ist das so eine Sache, wissen Sie ..."

„Ist er zu dumm für so was?"

„Im Gegenteil!"

„Oder zu furchtsam?"

„Da kennen Sie Wasti schlecht!"

„Ah, ich verstehe, er würde mir nicht gehorchen ..."

Frau Schlotterbeck winkte ab.

„Sie haben noch gar nichts verstanden, Herr Dimpfelmoser – wie sollten Sie auch? Als Hund hat mein guter Wasti bloß einen einzigen Fehler. Kommen Sie bitte mit!"

Sie führte Herrn Dimpfelmoser zu Wastis Verschlag. Als Wasti sie kommen hörte, begann er zu winseln und mit den Pfoten am Holz zu kratzen.

„Erschrecken Sie nicht, wenn ich öffne – er tut Ihnen nichts."

Frau Schlotterbeck schob den Riegel zurück. Mit lautem Freudengebell stürmte Wasti ins Freie und sprang an ihr hoch.

Herr Dimpfelmoser wich ein paar Schritte zurück und fasste sich an den Kragen.

„Aber – das ist ja ein Krokodil!", rief er fassungslos.

„Eben nicht!", berichtigte ihn Frau Schlotterbeck. „Wasti sieht nur so aus wie ein Krokodil; in Wirklichkeit ist er ein echter Dackel. Meinen Sie, dass ich sonst Hundesteuer für ihn bezahlen würde?"

Tatsächlich trug Wasti ein Halsband mit einer Hundemarke.

„Trotzdem!", sagte Herr Dimpfelmoser. „Das Äußere Ihres – hm – Hundes befremdet mich außerordentlich."

Frau Schlotterbeck zupfte verlegen an ihrem Wolltuch.

„Ich will Ihnen nicht verheimlichen", sagte sie, „dass ich in jungen Jahren neben der Hellseherei auch ein wenig hexen gelernt habe. Und ich gestehe ganz offen, dass es mir großen Spaß gemacht hat am Feierabend ein bisschen herumzuhexen – bis mir dann dieses entsetzliche Missgeschick unterlaufen ist..."

Sie zeigte auf Wasti, der hechelnd zu ihren Füßen lag und genau zu verstehen schien, dass die Rede von ihm war.

„Ich weiß selbst nicht, weshalb ich ihn eines Tages in einen Bernhardiner umhexen wollte. Aus Langeweile vermutlich, nur so zum Zeitvertreib ... Was ich an jenem Unglückstag falsch gemacht habe, ist mir bis heute schleierhaft. Jedenfalls sieht mein armer Wasti seither wie ein Krokodil aus – auch wenn er im Grunde genommen der brave Dackel geblieben ist, der er immer war."

Frau Schlotterbeck hatte feuchte Augen bekommen, sie musste sich schnauzen. „Verstehen Sie nun, weshalb ich ihn vor den Leuten versteckt halte, meinen armen Wasti?"

Herr Dimpfelmoser verstand.

„Und – haben Sie nie versucht ihn zurückzuhexen?"

„Natürlich", sagte Frau Schlotterbeck. „Aber es hat nicht geklappt und da habe ich's schließlich aufgegeben. Sie werden begreifen, dass mir seit damals die Lust am Hexen vergangen ist. Doch genug von den alten Geschichten! Falls Sie sich nicht an Wastis Aussehen stoßen – von mir aus dürfen Sie ihn auf die Räuberjagd mitnehmen."




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