Die Schatulle war voll Sand, voll feinem, durchsichtigem, fast weißem Sand. Man hatte ihn angefeuchtet, gepreßt und glatt gestrichen, bis seine Oberfläche so ebenmäßig und stabil wie feinstes Pergament war. Nur hier und da ließen die schräg einfallenden Strahlen der Nachmittagssonne die Ränder einzelner Körner aufleuchten und brachen sich an winzigen Facetten, die kein Auge wahrnehmen konnte. Unzählige Facetten sozusagen, und doch bildete jede für sich einen leuchtenden Punkt. Über diesem Anblick ertappte sich der junge Mann plötzlich bei der Überlegung, ob es möglich wäre, die Sandkörner zu zählen.
Es war eine alte Schatulle. Der Olivenholzrahmen hatte Schrammen und Dellen, und die bronzenen Eckbeschläge waren angelaufen. Nur an den Kratzern schimmerte das Metall wie früher glänzend durch. Der junge Mann legte seine Hand an eine verkratzte Ecke und rechnete: Die Schatulle selbst maß in der Höhe vier Fingerbreiten. Dabei mußte man aber noch eine Rille für den Deckel berücksichtigen und außerdem war sie nur halbvoll mit Sand gefüllt. Breite und Tiefe mußte er nicht mehr nachmessen. Schon vor langer Zeit hatte er am Rand entlang Markierungen im Abstand von einer Fingerbreite angebracht. Vierundzwanzig auf der einen Seite und sechzehn auf der anderen. Bewußt hatte er die Schatulle auf dem Hinterdeck plaziert, dem ruhigsten Teil des Schiffes, außerhalb der Reichweite der Seeleute. Nun kauerte er sich über die Schatulle, nahm ein Zirkelbein in die Hand und begann, Rechnungen in den Sand zu ritzen. Mal angenommen, zehn Sandkörner würden in ein einziges Mohnsamenkorn passen und auf einer Fingerbreite hätten fünfundzwanzig Mohnkörner Platz, dann befänden sich in dieser Schatulle sechstausend mal viertausend mal fünfhundert Körner Sand. Sechstausend mal viertausend ergab zweitausendvierhundert Myriaden, und diese Zahl mit fünfhundert multipliziert.
Er runzelte die Stirn und blinzelte. Seine Hände fielen leblos zur Seite, wobei ihm die Zirkelspitze das Schienbein zerkratzte. Geistesabwesend rieb er über die Wunde, dann steckte er sich den Zirkel in den Mund und lutschte am Gelenk herum. Noch immer starrte er in die Luft. Das war nun wirklich ein interessantes Problem: Die Menge der Sandkörner in der Schatulle umfaßte eine größere Zahl, als er ausdrücken konnte. Die größte Zahl für die seine Sprache eine Bezeichnung hatte, war eine Myriade, also zehntausend. Außerdem verfügte sein Zeichensystem über kein Symbol für die unendlich erweiterbare Null. Damit gab es auch keine Möglichkeit, eine Zahl aufzuschreiben, die größer war als eine Myriade Myriaden. Welchen Ausdruck könnte er dann für etwas finden, was sich nicht in Worte fassen ließ?
Er mußte von etwas Bekanntem ausgehen. Die größtmögliche, benennbare Zahl war eine Myriade Myriaden. Na schön, dann war eben das eine neue Einheit. Myriade wurde als M geschrieben, also könnte dies ein unterstrichenes M sein: M. Aber wie viele davon brauchte er?
Plötzlich fiel ein Schatten über die leere, weiße Fläche vor ihm, und von hinten tönte es verdrießlich: »Archimedes?«
Der junge Mann nahm seinen Zirkel aus dem Mund und drehte sich mit einem strahlenden Lächeln um. Mit seiner schmalen, eckigen Figur und den schlaksigen Armen und Beinen sah er aus wie ein Grashüpfer kurz vor dem Sprung. »Das macht zusammen einhundertzwanzig Myriaden von Myriaden!« rief er triumphierend, strich eine zerzauste, braune Haarsträhne zurück und musterte den Störenfried aus glänzend braunen Augen.
Der Mann hinter ihm - er war ein wenig älter und kräftig gebaut, hatte schwarze Haare und eine gebrochene Nase - stieß einen Stoßseufzer aus. »Herr«, meinte er, »wir laufen schon in den Hafen ein.«
Aber Archimedes hörte gar nicht hin, er hatte sich bereits wieder der Sandschatulle zugewandt. Also gab es keine Zahl, die so groß war, daß man sie nicht mehr benennen konnte! Und wenn schon eine Myriade Myriaden eine Einheit bilden konnten, warum sollte man damit aufhören? Sobald eine Myriade Myriaden Myriaden Myriaden erreicht war, konnte man das ja als ganz neue Einheit bezeichnen und von da aus weitermachen! Siegreich schwebte sein Verstand über dem erregenden Gebiet der Unendlichkeit. Er schob sich den Zirkel wieder in den Mund und biß begeistert darauf herum. »Marcus«, meinte er erwartungsvoll, »was ist die größte Zahl, die du dir vorstellen kannst? Die Anzahl der Sandkörner in Ägypten - nein, auf der ganzen Welt! Nein! Wie viele Sandkörner brauchte man, um das Universum zu füllen?«
»Keine Ahnung«, tönte es kurz angebunden zurück. »Herr, wir sind in Syrakus, im großen Hafen, wo wir von Bord gehen. Weißt du noch? Ich muß den Abakus einpacken.«
Schützend breitete Archimedes seine Hände über das Sandtablett, das genauso hieß wie die wesentlich bekanntere Rechenmaschine, und schaute sich bestürzt um. Als er aufs Hinterdeck geklettert war, hatte das Schiff gerade die Spitze von Plemmyrion passiert, und Marcus hatte zu packen begonnen. Damals war Syrakus lediglich ein rotgoldener Fleck auf grünen Hügeln gewesen. Inzwischen schien eine geraume Zeitspanne im Sand verronnen zu sein. Rings um ihn lag Syrakus. Vom Hafen aus betrachtet schien die Stadt - die reichste und mächtigste aller Griechenstädte auf Sizilien - nur aus Mauern zu bestehen. Zu seiner Rechten ragte auf einem Felsenkap bedrohlich die ringsum zinnenbewehrte Zitadelle von Ortygia auf. Vor ihm machte die dem Meer zugewandte, graue Mauer eine langgestreckte Kurve und ging schließlich in die mit Türmen besetzten Wälle jener Festung über, die nach Süden hin den Zugang zum Marschland beherrschte. An den Flottenkais lagen zwei einsatzbereite Penteren, die Flanken mit dreifach gestaffelten, eingelegten Ruderriemen wie mit weißen Federn geschmückt.
Archimedes warf einen sehnsüchtigen Blick auf das klare Wasser in der Hafeneinfahrt hinter dem Schiff. Leuchtend blau dehnte sich das Mittelmeer unter der strahlenden Junisonne nach allen Seiten bis zum dunstigen Horizont aus, grenzenlos, bis an die Küste Afrikas. »Warum im großen Hafen?« fragte er unglücklich. Er war in Syrakus geboren, die Gepflogenheiten der Stadt waren für ihn so selbstverständlich wie ihr Dialekt. Normalerweise wurde einem Handelsschiff wie das, auf dem er und Marcus Passagiere waren, ein Platz im kleinen Hafen von Syrakus angewiesen, also auf der gegenüberliegenden Seite von Kap Ortygia. Der große Hafen blieb der Flotte vorbehalten.
»Herr, wir haben Krieg«, erklärte Marcus geduldig, hockte sich neben Archimedes und streckte die Hand nach der Sandschatulle aus.
Traurig musterte Archimedes die zwölf Billionen glitzernder Sandkörner und seine eingeritzten Berechnungen. Natürlich, Syrakus befand sich im Krieg. Deshalb wurde auch der kleine Hafen abgeriegelt und der gesamte Schiffsverkehr zwangsweise in den großen Hafen umgeleitet, wo die Flotte ein Auge darauf haben konnte. Der Krieg war nichts Neues für ihn, schließlich war das ein Grund von vielen, warum er nach Hause gekommen war. Der kleine Bauernhof, der seiner Familie gehörte, lag im Norden der Stadt und damit ganz bestimmt außerhalb jeder Verteidigungslinie. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde er in diesem Jahr nichts zum Familieneinkommen beitragen. Sein Vater war krank und konnte nicht wie gewohnt seiner Lehrtätigkeit nachgehen. Archimedes war der einzige Sohn des Hau-ses, und die Kriegszeit würde vermutlich schlimm werden. Also war nun er für den Unterhalt und den Schutz der Familie verantwortlich. Höchste Zeit, daß er mit den mathematischen Spielereien Schluß machte und sich nach einer handfesten Beschäftigung umsah. Alles Mauern, dachte er unglücklich, uneinnehmbare Mauern. Gefängnismauern.
Langsam nahm er die Hände vom eingekerbten Rand des Abakus. Marcus hob ihn auf, fand den Deckel und verschloß die Rechenschatulle. Dann schob er sie in den Segeltuchsack und marschierte damit fort. Seufzend setzte sich Archimedes zurück und ließ die Hände über die Knie herunterbaumeln. Der Zirkel rutschte ihm aus den leblosen Fingern und bohrte sich in die Deckplanken. Einen Augenblick starrte er ihn verständnislos an, dann zog er einen Fuß des Instruments heraus, drehte es um seine eigene Achse und ritzte einen Kreis in das rauhe Holz. Mal angenommen, die Kreisfläche wäre K -nein. Er klappte den Zirkel zu und preßte das kühle Doppelgestänge gegen die Stirn. Keine Spielereien mehr.
Drunten in der Kabine schob Marcus rasch den Abakus an seinen Platz in der Reisetruhe, den er dafür ausgespart hatte, dann preßte er mit Gewalt den Deckel darauf. Einhundertzwanzig Myriaden von Myriaden, dachte er, während er die Truhe geschickt mit einem Seil verschnürte. War das wirklich noch eine Zahl?
Mit Sicherheit keine vernünftige. Trotzdem hielt er einen Augenblick inne und dachte darüber nach, als ob es sich um ein dubioses Schnäppchen handelte, das ihm irgendein unzuverlässiger Ladenbesitzer angeboten hatte. Einhundertzwanzig Myriaden von Myriaden! War das die Antwort auf diese andere, neue, unmögliche Frage, »wie viele Sandkörner brauchte man, um das Universum zu füllen?«
Niemand außer Archimedes würde eine derart aberwitzige Frage stellen. Und keiner käme mit einer derart unbegreiflichen Antwort daher. Seit der junge Herr neun Jahre alt gewesen war, war Marcus als Sklave im Haushalt dieses Mannes gewesen, trotzdem war er sich bis heute nicht sicher, ob man eine derartige Rechenaufgabe bewundern oder verachten sollte. Vermutlich beides. Vielleicht hatte es doch sein Gutes, wenn der junge Träumer in Zukunft mit solchen Fragen aufhören und seinen Verstand auf eher praktische Dinge konzentrieren mußte.
Marcus unterbrach seine Gedanken und konzentrierte sich wieder auf die Truhe. Plötzlich schnürte ihm eine dunkle Vorahnung die Kehle zu. Um sie zu verdrängen, zerrte er an einem Knoten herum.
Praktische Dinge, zum Beispiel der Krieg. Drei Jahre waren er und Archimedes von Syrakus fort gewesen. Davon hatte er geschlagene zwei seinen Herrn immer wieder gedrängt, er solle doch nach Hause gehen. Jetzt waren sie also im Hafen, und nun wünschte er sich, daß sie irgendwoanders wären. Syrakus befand sich mit der römischen Republik im Krieg, und Marcus sah für sich keinen Ausweg mehr. Die Zukunft konnte ihm nur noch Leid bringen.
In den Docks deutete nicht viel auf Krieg hin, alles war nur etwas stiller als gewöhnlich. Die Zerstörung lag noch in weiter Ferne und konzentrierte seh auf Armeen, die weit weg operierten. Ein alles vernichtender Sturm war im Anrollen. Furchtsam behielt man ihn aus gebührender Distanz im Auge. Trotzdem hatte man als Zugeständnis an die Bedrohung dem in Friedenszeiten üblichen Zollbeamten am Pier zwei Soldaten zugesellt. Über der linken Schulter trugen sie Rundschilde, auf denen ein purpurrotes Sigmazeichen aufgemalt war, Syrakuser also. Trotzdem erkannte Archimedes keinen von ihnen. Die Stadt Syrakus war zwar so groß, daß er höchstens einen Bruchteil seiner Mitbürger kennen konnte, aber dennoch beobachtete er die Männer mit Sorge. Möglicherweise handelte es sich um fremdländische Söldner, und mit Söldnern mußte man vorsichtiger umgehen als mit lebenden Skorpionen. Darüber war sich jeder Bürger im klaren. Unter der früheren Herrschaft hätte jeder Bürger Prügel bezogen, von dessen Miene sie sich beleidigt fühlten. Inzwischen hatte sich die Situation unter dem gegenwärtigen Regenten sehr gebessert, aber nur ein Narr würde daraus schließen, daß sich auch der Grundcharakter dieser Brut verändert hatte. Anscheinend handelte es sich bei den Männern wenigstens um Griechen und nicht um irgendwelche unberechenbaren Barbaren. Beide trugen die typisch griechische Standardrüstung: einen Brustharnisch, bei dem mehrere, zusammengeklebte Stofflagen einen steifen Panzer bildeten, der von der Hüfte an in eine Reihe von metallbeschlagenen Streifen auslief. Auch die Helme, die sie nach hinten geschoben hatten, hatten die populäre attisch-griechische Form mit den beweglichen Backenklappen und dem ausgesparten Nasenschutz. Leider konnte man anhand ihrer Sprache keine konkreteren Rückschlüsse auf ihre Herkunft ziehen, denn sie standen nur stumm da, lehnten sich gegen ihre Speere und schauten mit gelangweilter Miene zu, wie der ältere Zollbeamte seiner Tätigkeit nachging.
Zuerst befragte der Zollbeamte den Kapitän des Schiffes. Inzwischen wartete neben dem Landungssteg dicht aneinandergedrängt ein Dutzend Passagiere. »Kommst wohl von Alexandria?« wollte der Beamte wissen. Er konnte seine Herkunft nicht verleugnen. Sein gedehnter dorischer Dialekt war typisch für die Stadt. Der Klang dieser Töne entlockte Archimedes ein Lächeln. Das einzige, was ihn in Alexandria wirklich gestört hatte, war die Art und Weise gewesen, wie sich jeder über seine Aussprache lustig gemacht hatte. Also hatte das Zuhausesein wenigstens doch ein paar gute Seiten, aber das allerbeste war das Wiedersehen mit seiner Familie. Er versuchte, seine Ungeduld zu zügeln, und schlang die Arme um sich. Leider hatte er es nicht mehr geschafft, seiner Familie mitzuteilen, mit welchem Schiff er segeln und wann er vermutlich ankommen würde. Deshalb wollte er sie nun unbedingt überraschen.
Der Kapitän bestätigte, daß das Schiff über Cyrene von Alexandria gekommen war und Leinen, Glaswaren sowie einige Gewürze transportierte. Er zog den Frachtschein hervor, den der Zollbeamte Punkt für Punkt überprüfte. Archimedes wurde abgelenkt. Neben dem Schiff trieb ein toter Fisch im Wasser. Er lag auf der Seite, sein Schwanz ragte leicht nach oben. Lebende Fische schwammen mit dem Bauch nach unten. Warum trieben die toten dann immer auf der Seite? In Gedanken stellte er sich ein Stück Holz vor, dessen Länge und Breite ungefähr der Größe des Fisches entsprach. Auch dieses würde auf der Seite dahertreiben. Wie aber wäre das mit einem breiteren Holzstück, zum Beispiel mit einer Art Schachtel? Würde die auch mit der Schmalseite nach unten treiben oder mit der Breitseite?
Der Zollbeamte hatte angefangen, mit dem Kapitän zu plaudern. Offensichtlich würde das freudige Wiedersehen noch geraume Zeit auf sich warten lassen müssen. Archimedes rieb mit der Sandale über den schmutzigen Stein am Kai, dann ging er in die Hocke und zog seine Zirkelgarnitur aus dem Gürtel. Zum Glück hatte er vergessen, sie Marcus zum Einpacken zu geben.
Er war völlig in das Gleichgewicht von halbregelmäßigen Körpern vertieft, als ihm eine Hand auf die Schulter tippte und jemand mit lauter Stimme ein »Nun?« von sich gab. Als er von seinen Zeichnungen aufblickte, begriff er, daß der Zollbeamte ihn meinte. Die zwei Soldaten starrten ihn grinsend an, und auch die Sonne stand inzwischen merklich tiefer. Alle anderen Passagiere waren fort, nur Marcus saß noch geduldig am Ende des Landungssteges auf der Reisetruhe.
Verlegen sprang Archimedes mit hochrotem Kopf auf die Füße. »Was hast du gesagt?« fragte er, wobei er sich mit Gewalt bemühte, die halbregelmäßigen Körper aus seinem Kopf zu verbannen, die noch immer dort herumschwirrten.
»Ich habe dich nach deinem Namen gefragt!« wiederholte der Zollbeamte verärgert.
»Entschuldigung. Archimedes, Sohn des Phidias. Ich bin Bürger von Syrakus.« Andeutungsweise wedelte er mit der Hand in Richtung Marcus. »Und das sind mein Sklave und meine Habseligkeiten.«
Als der Beamte merkte, daß er es mit einem Mitbürger zu tun hatte, wurde er freundlicher. Archimedes - ein seltener Name, noch dazu in einer Stadt, in der die Hälfte der männlichen Bevölkerung nach den großen Regenten der Vergangenheit Hieron, Gelon oder Dionysios hieß. Der Name Phidias kam ihm irgendwie bekannt vor, allerdings nur auf Grund einiger Geschichten über einen intellektuellen Exzentriker, die dem Beamten zu Ohren gekommen waren. »Dein Vater ist der bekannte Astronom, stimmt’s?« fragte er. »Ich habe von ihm gehört.« Dann fiel sein Blick auf die geometrischen Figuren, die über den ganzen Kai verteilt waren. Er schnaubte verächtlich. »Scheint, als wäre der Apfel nicht weit vom Stamm gefallen. Was hast du denn in Alexandria getrieben?«
»Studiert«, sagte Archimedes und schluckte irritiert. Es war keine Beleidigung, wenn ihm einer erklärte, er sei durch und durch ein Sohn seines Vaters. »Mathematik.«
Jetzt stieß der eine Soldat den anderen an und flüsterte ihm etwas zu. Der zweite lachte. Der Beamte ignorierte alle beide. »Du bist wegen dem Krieg nach Hause gekommen?« meinte er anerkennend, und als Archimedes nickte, fuhr er mit noch mehr Anerkennung fort: »So ist’s recht, ein tapferer junger Kerl, der heimkommt, um für seine Stadt zu kämpfen!«
Archimedes lächelte ihn schief an. Wie es sich gehörte, stand er loyal zu seiner Stadt, allerdings hatte er keinesfalls vor, sich zur Armee zu melden, falls es sich irgendwie vermeiden ließ. Er war felsenfest überzeugt, daß er als Konstrukteur von Kriegsmaschinen Syrakus wesentlich mehr nützen konnte. Außerdem hatte er schon während der Schulzeit die übliche Militärausbildung genossen und -gründlichst verabscheut: Drill, Speerwurf, Ringen, Wettlauf in voller Rüstung, die totale Erschöpfung samt Blasen an den Händen, draußen die Demütigung durch die tollen Sieger und danach die noch demütigenderen sexuellen Annäherungsversuche im Badehaus. Als das Haus mit dem Speer, der Staatseigentum war, endlich vorüber war, hatte er die gemeine Waffe in Stücke gehackt und aus den Einzelteilen ein Vermessungsinstrument gebastelt. Er hatte nicht vor, jetzt einen neuen Speer zu kaufen. Dennoch war er klug genug, sich nicht mit einem Zollbeamten anzulegen.
Ahnungslos lächelte der Zollbeamte zurück und ging zu Marcus hinüber, um ihn und das Gepäck zu inspizieren. »Dieser Sklave gehört dir?« rief er fragend über die Schulter zurück. Höflich glitt Marcus von der Truhe.
»Ja«, antwortete Archimedes und entspannte sich. »Mein Vater hat ihn vor Jahren hier in der Stadt gekauft und dann mir überlassen, als ich nach Alexandria ging.«
»Dann mußt du dafür auch keinen Zoll bezahlen. Und die Sachen da, die gehören dir? Zum Privatgebrauch? Nichts, was du verkaufen möchtest?« Prüfend wanderte der geschulte Blick des Beamten darüber: eine große, sargförmige, stark mitgenommene Truhe aus Holz und Leder, an die man mit Stricken einen neuen Weidenkorb gebunden hatte. Zweifelsohne hatte die Truhe das gesamte Hab und Gut ihres Besitzers nach Ägypten befördert. Zur Zeit der Rückreise hatte man gemerkt, daß sich inzwischen mehr angesammelt hatte, also hatte man den Korb gekauft. »Was ist in dem Korb?«
»Eine, hm, Maschine«, meinte Archimedes betreten.
Der Beamte zog die Augenbrauen hoch und warf ihm einen schrägen Blick zu. Zum ersten Mal zeigten auch die beiden Soldaten etwas Interesse an der Sache. In diesen Tagen verstand man unter dem Wort »Maschine« in erster Linie eine »Kriegsmaschine«. »Welche Art von Maschine?« wollte der Beamte wissen.
»Zum Wasserschöpfen«, sagte Archimedes, woraufhin die Soldaten jedes Interesse verloren. Wieder flüsterte der Stupser etwas, aber diesmal verstand Archimedes seinen Kommentar: »Die Nichtmathematiker sagen Eimer dazu!« Er lief rot an.
»Hast du vor, sie zu verkaufen?«
»Nun, hm, die da nicht. Das ist nur ein Prototyp, ein Modell. Ich habe sie mitgebracht, um den Leuten zeigen zu können, wie sie funktioniert. Falls jemand so etwas möchte, werde ich eine größere bauen.« Er breitete die Arme aus, um die Größe der richtigen Maschine anzudeuten. Jetzt hatte sie keinerlei Ähnlichkeit mit einem Eimer mehr.
Der Zollbeamte dachte über das Konzept eines Prototyps nach, konnte sich aber nicht erinnern, jemals mit so etwas in Berührung gekommen zu sein. »Ist nicht zollpflichtig«, entschied er, »also mußt du dir darüber auch nicht den Kopf zerbrechen. Du kannst gehen.« Damit deutete er mit dem Kinn aufs nächste Stadttor.
Marcus ging ans untere Ende der Reisetruhe und hob es hoch. Archimedes schaute sich nach einem Träger um, sah keinen und ging dann selbst hinüber, um das andere Ende aufzunehmen. Genau im selben Moment hatte Marcus das Warten satt und setzte seine Seite ab. Wieder stießen sich die Soldaten gegenseitig an und lachten. Archimedes lief erneut knallrot an. »Marcus!« rief er gereizt, während er die schwere Truhe mit dem Knie abstützte.
Beim Klang dieses Namens hörten die Soldaten ganz plötzlich zu lachen auf. »Marcus?« wiederholte der eine scharf. Archimedes hielt ihn für den Lacher und nicht für den Flüsterer. Mit großen Schritten kam er herüber und starrte den Sklaven über die Reisetruhe hinweg an.
Marcus hielt die Hände ruhig gesenkt und erwiderte unbeteiligt den Blick. »So nennt man mich«, meinte er gelassen.
»Das ist doch ein Römername«, sagte der Soldat, und es klang wie eine Anklage.
In Archimedes keimte eine Mischung aus Unruhe und Empörung. Er setzte seinen Teil der Truhe ab und runzelte die Stirn. Soviel stand fest: Selbst als Sklave durfte kein Römer nach Belieben in der Stadt herumlaufen. Andererseits würde kein vernünftiger Mensch allen Ernstes einen Römer im Sklavenstand erwarten. Schließlich war die Sklaverei das Schicksal, das die Römer den anderen auferlegten. »Marcus ist kein Römer«, erklärte er, »sondern ein anderer Italiener von irgendwo aus dem Norden.«
»Warum hat er dann einen römischen Namen?« erwiderte der Soldat. Archimedes wurde noch unruhiger, und auch sein Abscheu steigerte sich, denn diesen Akzent kannte er bestens: Es war dorisch, aber nicht so, wie man es auf Sizilien sprach. Diese Art, die Wortendungen zu verschlucken, war typisch für Tarentum, jene Stadt, die früher einmal Taras hieß und die stolzeste aller Griechenstädte in Süditalien gewesen war. Ein Taraser im Dienste von Syrakus -wahrscheinlich hatte er seiner Heimatstadt nach der Eroberung durch die Römer den Rücken gekehrt. Garantiert haßte er alles, was mit Rom zu tun hatte. Dieser Soldat schien ganz wild darauf zu sein, Marcus als Römer zu entlarven, denn dann könnte er ihn züchtigen.
»Kann nichts für meinen Namen«, meinte Marcus brav, »’ne Menge Italiener hat heutzutage lateinische Namen. Kommt von den römischen Eroberungen.«
Der Soldat musterte ihn aus zusammengekniffenen Augen. »Wenn du schon kein Römer bist, was dann?«
»Samnite«, gab Marcus geschwind zurück. Drei Kriege hatten die Samniten mit Rom ausgefochten, aber trotz einer dreifach vernichtenden Niederlage, trotz totaler Unterwerfung hielt sich hartnackig das Gerücht, sie würden noch immer auf eine Gelegenheit zum vierten Krieg hoffen. Gegen einen Samniten konnte nicht einmal ein Taraser etwas einzuwenden haben.
Leider stellte sich heraus, daß dieser Taraser nicht nur nachtragend, sondern auch bestens informiert war. »Wenn du Samnite wärst, würdest du dich Mamertus nennen«, argumentierte er. »Warum also die latinische Form, wo du doch Oskisch sprichst?«
Tatsächlich hatte die Frage nach der früheren Nationalität von Marcus auch für Archimedes eindeutig proteische Züge (Proteus, antike Meeresgottheit, die sich nach Belieben verwandeln kann; A. d. Ü.). Der Sklavenhändler, der ihn verkauft hatte, hatte ihn zwar als Latiner ausgegeben, dagegen hatte sich Marcus selbst manchmal als Sabiner und dann wieder als Marser bezeichnet. Archimedes hatte keine Ahnung, welche Version die richtige war, dafür wußte er aber, daß Latiner, Sabiner und Marser samt und sonders dem römischen Bündnissystem angehörten. Inzwischen hatte in ihm die Alarmstimmung über den Abscheu gesiegt. Gut möglich, daß Marcus für die Dauer des Krieges in die staatlichen Steinbrüche wandern würde. Und in Anbetracht der Bedingungen, unter denen die Steinbruchsklaven gehalten wurden, müßte er schon sehr viel Glück haben, um dort wieder lebendig herauszukommen. »Marcus ist tatsächlich Samnite«, bekräftigte er. »Außerdem gehört er seit Jahren zu unserer Familie. Mein Vater hat ihn gekauft, als ich neun war. Glaubst du tatsächlich, ich würde einen Feind in meine Heimatstadt einschmuggeln? Falls du irgendwelche Beschuldigungen gegen mich erheben möchtest, dann tu das vor einem Friedensrichter.«
Der Taraser warf Archimedes einen bitterbösen Blick zu, dann taxierte er wieder Marcus abschätzig. Marcus starrte ihn genauso gelassen und unbeteiligt an, wie er es sich von vornherein angewöhnt hatte. Der Soldat nahm seinen Speer fester in die Hand und befahl: »Sag: Mögen die Götter Rom vernichten!«
Zuerst zögerte Marcus, dann streckte er die Hände zum Himmel und rief laut: »Mögen die Götter Karthago vernichten und dem herrlichen Syrakus den Sieg schenken!«
Da riß der Soldat seinen Speer hoch und wirbelte ihn blitzschnell herum. Ein pfeifendes Geräusch ertönte, dann traf der Schaft Marcus unter den erhobenen Armen. Er fiel seitlings direkt in Archimedes hinein. Archimedes schrie auf. Beinahe wäre er vom Kai gestürzt. Während er sich mit Händen und Füßen abstützte, schürfte er sich auf den Steinen die Knie auf. Mit einem Grunzen fiel Marcus über ihn.
Als sich Archimedes wieder mühsam aufrappeln wollte, fiel ihm eine bleierne Stille auf. Er spürte, wie Marcus über ihm zitterte. Ob aus Wut oder Angst hätte er nicht sagen können. Endlich verlagerte der Sklave sein Gewicht und rutschte herunter. Während Archimedes hochkletterte, kniete Marcus weiter am Kai und preßte die rechte Hand gegen die Stelle an seiner linken Seite, wo ihn der Speerschaft getroffen hatte. Archimedes spürte, wie ihm das Blut langsam übers Schienbein lief. Einen Augenblick lang war er so wütend, daß er den Soldaten am liebsten verdroschen hätte. Mit welchem Recht schlug ihn dieser Ausländer in den Docks seiner Heimatstadt nieder? Dann holte er tief Luft und rief sich ins Gedächtnis, daß dieser Soldat in der Tat ein ausländischer Söldner war, den man mit größter Vorsicht behandeln mußte. Der Soldat war bewaffnet, er nicht, und außerdem wollte er Marcus nicht in Schwierigkeiten bringen. »Warum hast du das getan?« fragte er, wobei er sich bemühte, seine Wut hinunterzuschlucken. »Auch wenn er nicht genau das gesagt hat, was du ihm angeschafft hast, so hat er doch für einen Sieg dieser Stadt gebetet!«
»Er hat um die Zerstörung Karthagos gebetet«, meinte der Taraser, der inzwischen einen roten Kopf bekommen hatte und ein wenig außer Atem war. Er hatte seine Grenzen überschritten. Einen Sklaven zu schlagen, war eine Sache, aber wenn man einen freien Bürger umstieß, dann lag die Geschichte schon ganz anders. Verächtlich starrten ihn sein Kamerad und der Zollbeamte an.
»Tun wir das denn nicht alle?« fragte Archimedes. Seit der Gründung von Syrakus vor beinahe fünfhundert Jahren war Karthago der Feind der Stadt.
»Karthago ist unser Verbündeter«, sagte der Soldat.
Archimedes war so verblüfft, daß er jede Vorsicht im Umgang mit Söldnern außer acht ließ. »Karthago?« wiederholte er ungläubig.
Der zweite Soldat und der Beamte zogen ein betretenes Gesicht. »Das hast du nicht gewußt?« meinte der Beamte.
Wie betäubt schüttelte Archimedes den Kopf. Wahrscheinlich handelte es sich gewissermaßen um eine natürliche Entwicklung, denn Karthago und Syrakus hatten lange Zeit um den Besitz von Sizilien gekämpft. Und zweifelsohne waren Karthager wie Syrakuser gleichermaßen bestürzt, als Rom aufgrund seiner ständig wachsenden Macht die Insel überfallen hatte. Vielleicht war es ja sinnvoll, wenn sich zwei alte Feinde gegen eine neue Bedrohung verbündeten, die ihnen beiden galt. Aber - ausgerechnet Karthago! Ein Karthago, das alle männlichen Bewohner der Stadt Himera zu Tode gefoltert hatte. Ein Karthago, das Götter verehrte, die von ihm forderten, die eigenen Kinder bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Das mörderische, hinterhältige Karthago, der Erzfeind der Griechen! »Hat unser Tyrann tatsächlich ein heiliges Bündnis mit Karthago geschlossen?« fragte er.
»Unser König«, korrigierte ihn der Taraser rasch. »Er nennt sich jetzt König.«
Archimedes konnte nur noch die Augen aufreißen. Für einen Syrakuser war der Begriff »Tyrann« für einen absoluten Herrscher selbstverständlich und hatte nichts Abwertendes an sich. Wenn sich nun der derzeitige Tyrann von Syrakus unbedingt König nennen wollte, dann war das sein gutes Recht, aber nicht sehr sinnvoll.
»König Hieron hat kein heiliges Bündnis abgeschlossen«, wehrte der Beamte ab.
»Er ist schließlich kein Narr«, fügte der zweite Soldat hinzu, zum ersten Mal nicht im Flüsterton. Damit war auch sein Akzent klar: ein gutturaler Tonfall, wie er in den Hinterhöfen von Syrakus typisch war. Archimedes war erleichtert. »Wenn Karthago unsere ruhmreiche Stadt gegen Rom unterstützen möchte, soll’s das mal machen, aber König Hieron traut diesem Diebsgesindel sicher nicht über den Weg. Und dazu kann ich nur bravo sagen! Er hat lediglich einer gemeinsamen Militärstrategie gegen die Römer zugestimmt, sonst nichts.« Er warf dem Taraser einen abschätzigen Blick zu. Eines stand fest: Er war strikt dagegen, ein Gebet für die Zerstörung Karthagos mit einem solchen Hieb zu vergelten.
Marcus grunzte. Auch Archimedes fiel wieder ein, was von ihm erwartet wurde. »Über diese Allianz ist uns in Ägypten nicht das geringste zu Ohren gekommen «, sagte er förmlich. »Wenn dich Marcus beleidigt haben sollte, dann tut es mir leid, aber er hat im guten Glauben für einen syrakusischen Sieg gebetet.«
Der Beamte und der Soldat aus Syrakus akzeptierten diese Erklärung mit einem Kopfnicken. Sie waren erleichtert, daß Archimedes stillschweigend beschlossen hatte, den Hieb zu vergessen. Nur der Taraser zog weiterhin ein finsteres Gesicht. Na schön, Marcus hatte vielleicht für einen Sieg der Syrakuser gebetet, aber eben doch nicht für die Zerstörung Roms. Wieder richteten sich die dunklen Augen des Mannes auf den Sklaven, der noch immer mit gesenktem Kopf am Kai kniete und seine Prellung rieb. Hinter der bösen Miene flak-kerte noch etwas anderes auf: das Bedürfnis, zu verletzten und zu demütigen.
Auch Archimedes war sich der ausweichenden Haltung seines Sklaven wohl bewußt. Er räusperte sich. »Mir ist zwar schleierhaft, wie du zu der Annahme kommst, daß ein Römer ein Sklave ist. Solltest du aber Marcus tatsächlich für einen Römer halten, dann können wir uns gerne an jemanden wenden, der für derartige Entscheidungen zuständig ist«, bot er an. »Andererseits.«, er fingerte in seinem Geldbeutel herum und zog zwei Stater heraus, zwei Drachmenmünzen, von denen jede mehr als der Tageslohn eines Söldners wert war. ».wird es schon spät, und ich möchte lieber nach Hause zu meiner Familie, statt mich vor Gericht herumzutreiben.« Damit hielt er dem Taraser die Münzen hin. Frischgeprägtes Silber mit dem Kopf des ägyptischen Königs Ptolemaios glänzte in seiner Hand.
Der Taraser starrte es nur an, aber der Soldat aus Syrakus kam schnell herüber und steckte grinsend die Münzen ein. Auch der Zollbeamte lief schnell herbei und sog die Luft zwischen den Zähnen ein. Fragend schaute er den Syrakuser an, aber der grinste nur noch mal und meinte leichthin: »Wir teilen’s gleichmäßig durch drei.«
Der Taraser starrte Archimedes düster an, aber da die beiden anderen nur allzugern das Geld einschoben und die ganze Geschichte mit Marcus vergessen wollten, wagte er nicht, sich über sie hinwegzusetzen. »Man kann nicht zwei Stater durch drei teilen!« meinte er statt dessen bissig.
Archimedes zwang sich angestrengt zu einem Lächeln, obwohl es ihm fast die Kehle zuschnürte. »Natürlich kann man das«, sagte er. »In dem Fall wären das drei Oboloi für jeden von euch, aber hier.« Er holte noch eine Münze heraus, die den beiden ersten ähnelte wie ein Ei dem anderen. »Viel Glück den Verteidigern der Stadt!«
Mit einem unglaublich haßerfüllten Blick schnappte der Taraser die Münze und trollte sich zum nächsten Stadttor davon. Sein Kamerad zuckte die Schultern, warf Archimedes einen entschuldigenden Blick zu und drehte sich mit den beiden anderen Stateren zum Zollbeamten um. Archimedes humpelte zu Marcus hinüber.
»Bist du verletzt?« fragte er.
Marcus rieb noch einmal über die Prellung, dann schüttelte er den Kopf und stand mit finsterer Miene langsam auf. »Mögen die Götter diesen tarasischen Abschaum aufs Schlimmste strafen!« stieß er zornig hervor. »Drei Stater in die Gosse geschmissen!«
Da zog ihm Archimedes die Hand quer übers Gesicht. Wut und Erleichterung verstärkten den Schlag noch. »Du wertloser Trampel!« stieß er im Flüsterton hervor. »Du hättest genausogut im Steinbruch enden können! Warum hast du nicht gesagt, was er dir befohlen hat?«
Marcus schaute weg. Jetzt rieb er sich das Gesicht. »Ich bin nicht sein Sklave«, erklärte er.
»Manchmal wünschte ich mir, du wärst auch nicht meiner!«
»Ich manchmal auch!« gab Marcus zurück und schaute seinem Herrn wieder in die Augen.
Zischend atmete Archimedes aus. »Nun, beinahe hättest du’s ja geschafft, von mir wegzukommen, stimmt’s? Dieser Kerl hätte dich am liebsten bis Kriegsende in Ketten legen und Steine schneiden lassen, ganz egal, aus welchem gottverdammten Volk du stammst. Und du hast auch noch hundertprozentig alles getan, um ihn darin zu bestärken. Beim Herakles! Ich hätte ihn gewähren lassen sollen! Warum konntest du ihn nicht wie jeder gute Sklave mit Herr anreden und die Augen senken, wenn er mit dir sprach?«
»Ich bin frei geboren«, meinte Marcus mürrisch. »Vor deinem Vater und dir bin ich nie zu Kreuze gekrochen, warum sollte ich es dann vor so einem dahergelaufenen Taraser ohne Rang und Namen tun?«
»Du und deine freie Geburt!« rief Archimedes empört aus. »Ich bin frei geboren und obendrein ein Bürger, aber ich lege mich nicht mit Söldnern an.« Er wollte schon hinzufügen: »Jedenfalls weiß ich nicht, weshalb ich dir deine freie Geburt abnehmen soll, wenn du dich nicht entscheiden kannst, ob es sich um eine freie Sabinergeburt handelt oder um eine samnitische!« Da merkte er, daß sich noch immer einer der Soldaten in der Nähe aufhielt und lauschte. Nur der Zollbeamte ging gerade fort. Er schluckte seine Worte hinunter, sie waren sowieso sinnlos. Kein geborener Sklave wäre derart starrsinnig, stur und stolz wie Marcus.
»Wären wir zuerst an der Reihe gewesen, hätte es gar kein Problem gegeben«, knurrte Marcus zu seiner Rechtfertigung. »Dann hätten sie keine Zeit dafür gehabt. Und wir wären auch als erste drangewesen, wenn du aufgepaßt hättest, statt dich mit Kreiszeichnungen zu beschäftigen.« Nach einem schiefen Blick auf den abgewetzten, verkratzten Kai korrigierte er sich: »Mit Würfelzeichnungen.«
»Kuboide«, erwiderte Archimedes erschöpft. Sein glasiger Blick nahm die halbverwischten Zeichnungen nur noch schemenhaft wahr. Plötzlich zuckte er zusammen, faßte sich an den Gürtel und rief laut: »Ich habe meinen Zirkel verloren!«
Nach einem kurzen Blick in die Runde hob Marcus das gesuchte Stück neben dem Gepäck vom Boden auf. Dankbar nahm es Archimedes in Empfang und prüfte, ob es beschädigt war.
»Das Ding sieht ja ziemlich scharf aus«, meinte der Soldat aus Syrakus, der in dem Moment herüberkam. »Dein Glück, daß du’s fallen hast lassen. Wenn das noch in deinem Gürtel gesteckt hätte, als dich Philonides umstieß, hättest du dich damit aufgespießt. Alles in Ordnung mit dem Bein?«
Archimedes musterte sein Knie. Es hatte zu bluten aufgehört. »Ja«, sagte er und schob sich den Zirkel in den Gürtel.
Der Soldat kommentierte diese Narretei mit einem Schnauben, trotzdem bot er sich an, beim Gepäck zu helfen. Archimedes fiel auf, daß der Wachposten ungefähr gleich alt war wie er. Ein breitschultriger Mann mit einem kurzgeschnittenen, lockigen Bart und einem pfiffig-freundlichen Gesicht. Trotz der Scherze, die er vorher seinem Kameraden zugeflüstert hatte, hatte er sich inzwischen offensichtlich zu einer freundlichen Haltung entschlossen. Archimedes nahm das Angebot an.
Während Marcus das eine Truhenende unterfaßte und sich der Soldat mit der anderen Seite abschleppte, versuchte Archimedes ziemlich wirkungslos, die Mitte abzustützen. So marschierten sie auf das Tor zu. »Danke für das Geld«, sagte der Soldat. »Übrigens, ich heiße Straton, der Sohn des Metrodoros. Wenn du dich zum Militär meldest, beruf dich auf mich, dann werde ich dafür sorgen, daß du gut behandelt wirst.«
Erneut blinzelte Archimedes verdutzt, aber dann fiel es ihm wieder ein: Der Zollbeamte hatte gemeint, er wäre zurückgekommen, um für seine Stadt zu kämpfen. Einen Augenblick lang schwieg er. Er hatte ganz und gar nicht vor, sich einschreiben zu lassen. Andererseits war ein guter Rat aus wohlgesonnener Quelle innerhalb der Stadtgarnison nicht zu verachten. »Ich, hm, hatte eigentlich nicht vor, mich einzuschreiben, jedenfalls nicht so direkt«, sagte er zögernd. »Ich, hm, dachte, der König brauchte Ingenieure. Hast du eine Ahnung, wie ich mich um eine solche Stelle bewerben sollte?«
Verstohlen warf Straton einen Blick auf den Weidenkorb an der Truhe - der große Eimer! Er lächelte in sich hinein. »Verstehst du was von Katapulten und Belagerungsmaschinen?« erkundigte er sich.
»Tja, nun«, meinte Archimedes, »ich habe so etwas noch nie gebaut, aber ich weiß, wie’s geht.«
Wieder lächelte Straton. »Nun, selbstverständlich kannst du mit dem König darüber reden«, sagte er. »Vielleicht sucht er ja Leute. Ich weiß es nicht.«
Marcus lachte. Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Soldaten, aber er sagte nichts.
»Ist König Hieron zur Zeit in der Stadt?« erkundigte sich Archimedes ernsthaft.
Straton klärte ihn auf. König Hieron befand sich beim Heer, bei der Belagerung der Stadt Messana. Sein Stellvertreter hier in Syrakus war Leptines, der Schwiegervater des Königs. Straton wußte nicht so recht, ob Archimedes an Leptides herantreten oder ob er sich besser nach Norden, nach Messana, aufmachten sollte, um mit dem König persönlich zu sprechen. Jedenfalls würde er sich mal umhören. Hätte Archimedes Lust, sich mit ihm am nächsten Abend auf einen Schluck zu treffen? Er müßte zwar wieder den ganzen Tag am Kai Wache schieben, aber seine Schicht ginge nur bis Sonnenuntergang, und dann könnten sie sich am Tor treffen. Archimedes bedankte sich bei ihm und nahm die Einladung an.
Inzwischen hatten sie das Tor passiert. Kurz dahinter setzten sie die schwere Truhe in einer schmalen, schmutzigen Straße ab. »Wohin geht ihr?« fragte Straton.
»Zur anderen Seite der Achradina«, gab Archimedes bereitwillig Auskunft, »in der Nähe des Löwenbrunnens.«
»Ihr wollt doch wohl nicht dieses Ding den ganzen Weg schleppen«, meinte Straton befehlsgewohnt. »Weiter unten in der Straße wohnt der Bäcker Gelon, der hat einen Esel, den er euch für ein paar Kupferstücke leihen wird.«
Mit einem Dankeschön machte sich Archimedes auf den Weg, um den Esel herbeizuschaffen. Marcus wollte sich schon auf die Truhe setzen, da packte ihn Straton am Arm. »Nur eine Minute!« sagte er scharf.
Der Sklave verzog keine Miene. Stocksteif blieb er stehen, ohne den Griff des anderen mit der kleinsten Bewegung abzuschütteln. Beide Männer waren ungefähr gleich groß und schauten einander direkt in die Augen. Allmählich wurde es dunkel, und hinter ihnen schloß die neue Wachschicht das Seetor von Syrakus.
»Ich bin nicht Philonides«, sagte der Soldat ruhig, »und schlage auch nicht anderer Leute Sklaven, aber du hast eine Tracht Prügel verdient. Mir ist egal, was für eine Art Italiener du bist, aber momentan hat diese Stadt für keinen von euch viel übrig. Wenn wir zum Friedensrichter gegangen wären, hättest du mindestens eine Peitschenstrafe bekommen. Dein Herr hat dich aus einem ganz schön üblen Schlamassel herausgeholt, und zum Dank dafür warst du auch noch frech zu ihm. Ich sehe es gar nicht gern, wenn sich ein Sklave über seinen Herrn lustig macht, und ’ner Menge anderer Leute geht’s genauso. Und einige verhalten sich dann tatsächlich so wie Philonides.«
Da begriff Marcus, daß er mehr wegen seines Benehmens Ärger hatte als wegen seiner Nationalität. Er entspannte sich. »Wann habe ich mich über meinen Herrn lustig gemacht?« erkundigte er sich sanft.
Straton packte den Sklaven noch fester am Arm. »Als er gesagt hat, daß er Ingenieur beim Heer werden will.«
»Ach, das!« antwortete Marcus seelenruhig. »Da habe ich doch über dich gelacht - Herr.«
Verblüfft starrte ihn Straton an. Jetzt war er beleidigt. Im Mundwinkel des Sklaven zuckte es. Allmählich genoß er die Situation. »Du hast ihn doch vom ersten Augenblick an ausgelacht«, sagte er. »Und als er sagte, er hätte noch nie ein Katapult gebaut, hast du daraus geschlossen, daß er keine Ahnung davon hat. Stimmt’s? Eines laß dir gesagt sein: Wenn Archimedes Katapulte baut und wenn König Hieron nur halb so gescheit ist, wie er sein sollte, dann ist derjenige, der bisher die Katapulte für den König gebaut hat, im selben Moment seine Stelle los. Wettest du?«
»Manchmal«, sagte Straton. Jetzt stand er vor einem Rätsel.
»Dann biete ich dir darauf eine Wette an. Zehn Drachmen gegen den Stater, den er dir gegeben hat - nein, erhöhen wir’s auf zwanzig! Und so lautet meine Wette: Falls mein Herr Ingenieur des Königs wird, wird derjenige, dessen Posten dafür in Frage kommt, innerhalb von sechs Monaten degradiert oder arbeitslos sein, egal, um welche Stelle es sich handelt. Und diese Stelle wird man anschließend Archimedes anbieten.«
»Hast du denn überhaupt zwanzig Drachmen?«
»Sicher. Willst du wissen, wie ich dazu gekommen bin, bevor du dich zur Wette entschließt?«
Einen Augenblick starrte ihn Straton mißtrauisch an, dann stieß er zum Zeichen seines Einverständnisses hörbar die Luft aus. »Gut.« Er ließ den Arm des Sklaven los.
Marcus lehnte sich rücklings gegen die Truhe. »Vor drei Jahren sind wir nach Alexandria aufgebrochen. Phidias, der Vater meines Herrn, hatte einen Weinberg verkauft, um die Reise bezahlen zu können. Er war selbst als junger Mann in Alexandria gewesen und wollte, daß sein Sohn dieselbe Chance genießen konnte. Und wie es Archimedes genossen hat - beim Herakles, und wie! Die haben da in Alexandria diesen Riesentempel, der den Musen geweiht ist, mit einer Bibliothek .«
»Ich habe von diesem Museion schon mal was gehört«, warf Straton interessiert ein. »Bei mir selbst reicht’s ja gerade zum Lesen, und das auch noch schlecht, aber die Gelehrten im Museion von Alexandria sollen die klügsten Menschen auf Erden sein.«
»Das reinste Narrenhaus«, erwiderte Marcus abschätzig. »Jede Menge Griechen, die sich an Logik berauschen. Mein Herr ist zu ihnen hineingestürzt wie ein verlorenes Lamm, das endlich seine Herde gefunden hat. Hat ’ne Menge Freunde gewonnen und sich den ganzen Tag mit Geometrie beschäftigt. Dann hat er sich die Nächte um die Ohren geschlagen und getrunken und geredet und geredet und geredet. Heim nach Syrakus kam für ihn nicht mehr in Frage. Und da willst du mir allen Ernstes erklären, ich hätte für die Art und Weise, wie ich mit meinem Herrn rede, Prügel verdient. Eines will ich dir mal sagen: Ich kann mit ihm reden, wie ich will, und dieses Recht habe ich mir redlich erworben! Ich hätte ihm alles bis aufs kleinste Kupferstück stehlen und mich davonmachen können, jederzeit, und erst drei Tage später hätte er es überhaupt gemerkt. Statt dessen habe ich mich um ihn gekümmert und versucht, aus einer Drachme zwei zu machen. Phidias hatte uns Geld für ein Jahr gegeben, aber bei den Wucherpreisen in Alexandria hätte das nie gereicht. Zuerst haben wir dieses Geld ausgegeben und dann den Betrag für die Rückreise, bis wir nur noch tauschen, borgen und Stück für Stück verkaufen konnten. Nach zwei Jahren in der Stadt waren wir total pleite und hoch verschuldet. Ich habe Archimedes so lange bearbeitet, bis er endlich hingehört hat und bereit war, irgendwelche Maschinen zu bauen.«
Marcus hielt inne. »Bis auf die Sache mit der Geometrie hört sich’s wie die übliche Geschichte an, nicht wahr? Ein junger Mann ist zum ersten Mal von zu Hause fort und gerät in einer fremden Großstadt völlig außer Rand und Band, während sein getreuer Sklave klagend die Hände wringt: >Ach Herr, denk doch an deinen armen, alten Vater und fahr nach Hause!< Na schön, aber von jetzt an läuft die Sache ganz anders als gewohnt. Mein Herr baut Maschinen, keine stinknormalen, sondern so raffinierte, geniale Maschinen, wie man sie nirgendwo zu sehen bekommt, selbst wenn einer vom einen Ende der Welt bis zum anderen reisen würde. Und so haben wir es zwei Jahre lang in Alexandria ausgehalten: Immer wenn wir knapp bei Kasse waren, hat er irgend etwas zusammengebastelt, das ich dann verkauft habe. An dem da hat er auch ’ne ganze Weile herumgespielt«, Marcus deutete mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf den Weidenkorb hinter ihm, »aber leider kam er nie dazu, sich darum zu kümmern, ob irgend jemand eines in Originalgröße haben wollte. Doch dann hat er das Ding zu einem reichen Bekannten von uns geschleppt, der erst kürzlich ein Landgut im Nildelta erworben hatte und nun unbedingt seinen Boden verbessern wollte. Ein Blick -und schon hatte sich Zenodotos in die Wasserschnecke verliebt. Ein kluger Mann, denn die Wasserschnecke ist die erstaunlichste Maschine, die Archimedes je gebaut hat, die erstaunlichste Maschine, die ich je in meinem Leben gesehen habe. Zenodotos hat sofort acht von den Dingern zu dreißig Drachmen pro Stück bestellt. Außerdem hat er uns nicht nur das gesamte Material und die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt, sondern auch während der Bauzeit unseren Lebensunterhalt sowie sämtliche Reisekosten bezahlt, die auf dem Weg von und zu seinem Landgut anfielen.
Also haben wir uns zu seinem Landsitz hinaufbegeben und an die Arbeit gemacht. Kaum waren wir mit der ersten Wasserschnecke fertig, kamen die Leute vorbei, um sie anzuschauen. Nun muß man wissen, daß in Ägypten seit der Erschaffung der Welt bewässert wird. Also meinen die Leute, sie wüßten alles, was mit dem Wasserschöpfen zusammenhängt. Aber eine Wasserschnecke - so etwas hatte bisher noch keiner gesehen. Und jeder - ich sag’s dir, jeder -, der auch nur einen Flecken Land im Delta besaß, wollte unbedingt eine haben. Ich habe den Preis auf vierzig Drachmen erhöht, dann auf sechzig und schließlich auf achtzig. Alles umsonst, die Leute sind noch immer Schlange gestanden und wollten kaufen. Und dann hatten natürlich die reichen Männer das Warten satt. Einer nach dem anderen kam zu mir nach vorne, steckte mir verstohlen eine Drachme zu und meinte: >Sieh zu, daß dein Herr meine Bestellung zuerst erledigt<. Daher stammt mein Geld, vom Verkauf der Abfallprodukte des genialen Archimedes.«
»Wenn das tatsächlich so einträglich war, warum baut ihr dann nicht noch immer Wasserschnecken?« fragte Straton skeptisch.
»Archimedes wurde es langweilig«, antwortete Marcus ohne Zögern. »Sobald seine Maschinen funktionieren, verliert er jedesmal das Interesse daran. Da verbringt er lieber seine Zeit mit Kreiszeichnungen, entschuldige, mit Kuboiden. Natürlich haben auch andere angefangen, Wasserschnecken zu bauen, und sie, so gut es ging, von den unseren abgeschaut. Aber trotzdem war allen klar, daß Archimedes der Erfinder war, und so kamen sie immer erst mal zu uns. Wir hätten ein Vermögen machen können, jawohl, das hätten wir! Statt dessen hat mein Herr die erstbeste Gelegenheit genutzt, um sich wieder der Geometrie zu widmen. Hat sich einen geschäftstüchtigen Kerl gesucht, der bereit war, für den Konstruktionsplan hundert Drachmen zu bezahlen, hat ihm unser Auftragsbuch in die Hand gedrückt und ist nach Alexandria zurück, um Kreise zu zeichnen. Ich sag dir was, schon beim bloßen Gedanken daran könnte ich heulen. Und nun paß mal auf! Das ist also das letzte Mal passiert, als sich Archimedes als Maschinenbauer betätigt hat. Und jetzt wird er’s wieder so machen. Ich setze auf ihn, gegen jeden Ingenieur, der König Hieron je zu Ohren gekommen ist. Nimmst du die Wette an?«
»Kann ich diese Wasserschnecke mal sehen?«
Marcus grinste. »Sicher.« Als sich der Soldat dem Weidenkorb näherte, fügte er hinzu: »Aber für eine Vorführung verlange ich zwei Oboloi.«
Straton hatte schon die Hand an der Korbverschnürung. Ärgerlich hielt er inne. »Und das erlaubt dir dein Herr?«
»Er überläßt mir sämtliche Geldgeschäfte«, meinte Marcus kühl. »Hast du nicht hingehört?«
Einen kurzen Augenblick musterte Straton den Sklaven, dann lachte er. »Na schön!« rief er aus. »Tut mir leid, daß ich über deinen Herrn gelacht und damit deine Loyalität beleidigt habe. Du bist ein guter Sklave.«
»Bin ich nicht!« erklärte Marcus mit Nachdruck. »Ich bin frei geboren und noch lange nicht genug Sklave, um das zu vergessen. Aber ehrlich bin ich! Nimmst du nun die Wette an oder nicht?«
»Zwanzig Drachmen gegen einen Stater? Daß deinem Herr innerhalb von sechs Monaten der Posten seines Vorgängers angeboten wird?«
»So ist’s.«
Straton dachte nach. Die Wette war interessant, und trotz allem, was der Sklave erzählt hatte, glaubte er an seinen Gewinn.
Schließlich stand der Sklave loyal zu seinem Herrn, und der hatte auf Straton keinen so besonders großen Eindruck gemacht. Eine Chance von zehn zu eins war in Ordnung. »Na schön«, stimmte er zu, »ich nehme an.«
Gerade als sie das Ganze durch einen Handschlag besiegelten, tauchte Archimedes höchstpersönlich mit einer Fackel in der Hand auf, die in der wachsenden Dunkelheit ein flackernd helles Licht verbreitete. Hinter ihm führte ein kleiner Junge einen Esel am Strick. Straton warf seiner neuen Bekanntschaft einen prüfenden Blick zu, der sonst für Rennpferde gedacht war. Er war beruhigt. Nein, dieser lange, junge Kerl in der schmutzigen Leinentunika und dem schäbigen Umhang sah nicht gerade wie ein gigantisches Genie aus. Was der dringend brauchte, war ein Haarschnitt, eine Rasur und ein Bad. Ein Knie war blutverkrustet, das andere dreckig, und sein Gesicht hatte einen geistesabwesenden, leeren Ausdruck. Der ägyptische Stater, dachte Straton, war ziemlich sicher.
Sie packten die Truhe auf den Esel, der darüber sichtlich unglücklich war, und beteuerten, daß sie sich morgen treffen würden. Dann drückte Archimedes Marcus die Fackel in die Hand, und der kleine Troß klapperte die Straße hinunter.
»Weshalb habt ihr euch die Hände geschüttelt?« fragte Archimedes seinen Sklaven, während sie den Hügel zur gegenüberliegenden Seite der Achradina hinaufkletterten.
Marcus lächelte ihn selbstzufrieden an. »Ich habe mit diesem Soldaten eine Wette abgeschlossen. Um den Stater zurückzuholen, den du ihm gegeben hast.«
Besorgt schaute ihn Archimedes an. »Hoffentlich verlierst du nicht dein Geld.«
»Zerbrich dir nicht den Kopf«, meinte Marcus. »Das werde ich nicht.«