Fidelma starrte den Fürsten der Cinel na Äeda an, als hätte sie ihn nicht verstanden.
»Lesrens Mörder? Heißt das etwa, daß man weiß, wer der Mörder ist?«
»Vor kurzem kam ein Bauer in die Festung und erzählte, er hätte Gabran auf der Landstraße getroffen. Der Bursche war auf dem Weg zur Küste und vertraute ihm an, daß er sich auf einem Schiff anheuern lassen wolle.«
Fidelma schaute zu Eadulf, sie wirkte überrascht und verärgert zugleich.
»Hat der Bauer noch mehr gesagt?« fragte sie dann Becc.
Der nickte. »Gabran hat so gut wie zugegeben, vor der Gerichtsbarkeit auf der Flucht zu sein. Accobran hat ein paar Krieger mitgenommen und reitet zur Straße, die zur Küste führt. Bald werden sie ihn eingeholt haben und zurückbringen. Dann kann ihm der Prozeß gemacht werden. Zumindest einen Mord haben wir also geklärt. Vielleicht ist Gabran auch der Schlüssel zur Lösung der anderen Mordfälle. Möglicherweise hatte Lesren doch recht?«
»Gabran mag dumm sein«, erwiderte Fidelma aufgebracht, »aber wenn er fortrennt, heißt das nicht gleich, daß er ein Mörder ist.«
Becc sah sie erstaunt an. »Allein die Tatsache, daß er sich aus dem Staub macht, ist doch ein Eingeständnis seiner Schuld.«
»Ziemlich töricht ist das, doch keineswegs ein Eingeständnis von Schuld«, entgegnete Fidelma. »Es kann auch bedeuten, daß er einfach nur Angst hat. Sag mir sofort Bescheid, wenn Accobran wieder zurück ist.«
Sie winkte Eadulf zu, ihr zu ihren Räumen zu folgen. Dort schloß sie fest die Tür; nun waren sie ungestört.
»Dieser dumme Junge!« brach es aus ihr heraus. Sie war sichtlich wütend.
»Glaubst du denn wirklich, daß er unschuldig ist?« fragte Eadulf.
»Ich fürchte für das Leben des Jungen«, sagte sie ruhig. »Denk an die Feindschaft zwischen ihm und Accobran.«
»Aber daran ist doch Gabran selbst schuld«, erwiderte Eadulf. »Es war schließlich nur eine einfältige Vermutung, daß Accobran seine Verlobte verführen wollte.«
Fidelma schwieg eine Weile, dann sagte sie versöhnlich: »Hoffen wir, daß die beiden unversehrt zurückkehren.«
Bis sie sich schlafen legten, hörten sie nichts Neues in der Angelegenheit.
Am nächsten Tag, das graue Oktoberlicht fiel durch die Fenster, war Fidelma schon früh bei ihrer Morgentoilette. In der Ferne hörte sie eine Glocke, die vermutlich von der Abtei des heiligen Finnbarr herüberklang. Als sie die Küche von Beccs Haupthaus betrat, wo sie gewöhnlich ihre erste Mahlzeit einnahmen, wurde sie von Eadulf begrüßt, der bereits vor ihr aufgestanden war.
Als sie gerade ihr Frühstück beendet hatten, trat Becc mit besorgtem Blick ein.
»Accobran kam mitten in der Nacht zurück«, verkündete er ohne Umschweife. »Er hat Gabran überwältigt.«
Fidelma erschrak.
»Ich hatte dich gebeten, mir gleich Bescheid zu geben, wenn Accobran zurückkehrt«, sagte sie vorwurfsvoll. »Lebt Gabran?«
Ihr scharfer Tonfall überraschte den Fürsten.
»Accobran hat ihn hergebracht, damit ihm der Prozeß gemacht wird, Cousine, er will ihn nicht selbst hinrichten«, erwiderte er.
»Also geht es Gabran gut?« fragte sie noch einmal.
»Vielleicht hat er ein paar blaue Flecken, aber er hätte sich nicht gegen seine Gefangennahme wehren sollen.«
»Nein, das hätte er nicht - wo er doch unschuldig ist an Lesrens Tod.«
»Das wirst du beweisen müssen«, sagte Becc verärgert.
»Das werde ich tun«, erwiderte Fidelma. Sie wollte sich erheben, ließ es dann aber sein. Immer noch war die Glocke zu vernehmen. »Weshalb wird geläutet?«
Der Fürst blickte überrascht zu ihr hin, als hätte er die Glocke bisher nicht gehört. »Zu Lesrens Begräbnis, nehme ich an.«
Fidelma sprang auf. »Du lieber Himmel, ich hatte seine Beerdigung ganz vergessen. Eadulf, komm. Wir müssen daran teilnehmen.«
Eadulf erhob sich und eilte ihr nach. Auf der Türschwelle blieb sie plötzlich stehen, so daß Eadulf in sie hineinlief. Sie schaute sich noch einmal zu Becc um.
»Kommst du denn nicht mit?« fragte sie.
Der Fürst hatte sich an den Tisch gesetzt.
»Ich habe Lesren und dessen Familie nie besonders gemocht. Er war ein guter Gerber, mehr nicht. Accobran ist dort, um sicherzustellen, daß alles ordnungsgemäß abläuft. Wenn ich hinginge, wäre es unaufrichtig.«
Fidelma wartete nicht, bis der Fürst zu Ende gesprochen hatte. Schon war sie draußen und wies den Stalljungen an, die Pferde zu satteln und sie ihnen unverzüglich zu bringen.
»Ich begreife nicht, warum du unbedingt an dieser Beerdigung teilnehmen willst«, meinte Eadulf.
»Bei Totenfeiern kann man so manche nützlichen Dinge erfahren«, antwortete sie geheimnisvoll.
Sie brauchten nicht lange bis zum Kloster. Auch andere Trauergäste hatten sich ein wenig verspätet. Der Torhüter, der sie einließ, zeigte zur Kapelle hinüber. Die Glocke war immer noch nicht verstummt.
Als Fidelma und Eadulf die Kapelle betraten, waren sie überrascht, wie viele Leute aus Rath Raithlen sich eingefunden hatten. Accobran erblickten sie gleich, neben ihm saß der Verwalter Adag. Fidelma stieß Eadulf an und zeigte auf Gobnuid, den sie gerade entdeckt hatte. Bebhail hatte ganz vorn neben einer Frau Platz genommen, die ihr sehr ähnelte. Das mußte ihre Schwester sein. Man hatte sie hergeholt, damit sie sich um den Haushalt kümmerte. Auch Creoda war da, mit ängstlichem Blick stand er hinter Tomma. Die drei Fremden allerdings waren nicht anwesend. Es gab auch keinen Grund dafür. Abt Brogan sagte Fidelma später, daß er es für klüger gehalten hatte, sie von den Feierlichkeiten auszuschließen, um Unruhe zu vermeiden.
Die Versammelten wurden nun von den düsteren Schlägen einer anderen Glocke zur Ruhe gebracht, der großen Totenglocke, die man immer läutete, wenn ein Christ gestorben war. Die anwesenden Mönche begannen das Requiem zu singen, das ecnairc, eine Fürbitte für den Frieden der Seele des Toten. Wahrscheinlich hatten Mitglieder aus Bebhails Familie die ganze Nacht Totenwache gehalten, diesen Brauch kannte Eadulf. Manchmal wurden von den Verwandten und Freunden auch die cluiche caintech, die sogenannten Bestattungsspiele, veranstaltet, die dem Totenmahl vorausgingen.
Man hatte den Toten in ein Leichentuch gewickelt und ihn auf eine hölzerne Bahre gelegt. Vor der Beerdigung war es Sitte, daß die Trauernden den Toten unter lauten Klagerufen zur Kapelle begleiteten. Klageweiber weinten dabei laut und klatschten rhythmisch in die Hände.
Nachdem man die Gebete und Psalmen gesprochen hatte, wurde die Bahre von vier Männern hochgehoben und aus der Kapelle getragen. Fidelma und Eadulf folgten den Trauernden. Draußen hatte man ein Grab ausgehoben, in das die Leiche langsam hinabgelassen wurde. Die Frauen stimmten dabei ein lautes Klagelied an.
Nun trat ein Mann vor und schlug mit einer Axt die Totenbahre klein. Als Fidelma Eadulfs erstaunten Blick sah, erklärte sie ihm flüsternd: »Es ist hier Brauch, die Bahre zu zerstören. Läßt man sie nämlich ganz, so können die bösen Geister und das Feenvolk sie benutzen, um die Leiche auf ihren nächtlichen Ausflügen mit sich fortzutragen. Ist sie zerstört, hat der Tote seine Ruhe.«
Eadulf dachte gerade, daß es weder die rechte Zeit noch der rechte Ort sei, um die Beibehaltung heidnischer Rituale innerhalb einer christlichen Zeremonie zu kritisieren. Da sah er, daß sich alle vor einem Mönch aufstellten, der neben einem großen Stoß Ginster stand. Der Mönch reichte jedem einen Zweig, der dann ins Grab geworfen wurde.
»Das tut man, um die Leiche da unten vor dem Lehm zu schützen«, erklärte Fidelma. »Darüber hinaus erweist man dem Toten damit die letzte Ehre.«
Danach wurde das Grab zugeschaufelt. Bebhails Schwester hob die Hände, und das Klagen verstummte.
»Das Amra - die Totenrede - wird von meinem Mann gehalten.«
Nun trat ein Mann vor, der wie ein Bauer aussah. Offensichtlich war er tief unglücklich, mit dieser Aufgabe betraut worden zu sein. Er sprach schnell und undeutlich.
»Wir haben soeben Lesren bestattet, der mit der Schwester meiner Frau verheiratet war.« Er hüstelte verlegen. »Lesren war Gerber, ein sudaire, ein Handwerker also. Seine Verdienste sind allen bekannt, die sich hier heute versammelt haben. Nun liegt er neben seiner Tochter Beccnat.« Wieder machte er eine Pause und zog die Luft hörbar durch die Nase ein. »Beccnat wurde umgebracht und er ebenso, und so sind die Tage der Totenklage, die laithi na canti, innerhalb von zwei Monaten erneut für uns Verwandte angebrochen. Wir müssen die Last des Kummers tragen.«
Unvermittelt hielt er inne und blickte zu Bebhail hinüber, die mit trockenen Augen und versteinertem Gesicht dastand. Sie wurde von ihrer Schwester auf der einen und von Tomma auf der anderen Seite gestützt. Schnell fuhr er fort, als hätte er sich entschlossen, die unangenehme Aufgabe rasch zu Ende zu bringen.
»Ich kann nicht viel sagen. Ich kann nicht so tun, als hätte ich Lesren besonders gemocht oder als sei er in meinem Haus besonders willkommen gewesen. Doch ich habe ihn geduldet um meiner Schwägerin willen. Er war kein guter Vater, er war kein guter Ehemann. Aber nur die sind wirklich gut, die ganz ohne Fehl sind. Ich will ihn nicht loben, das wäre unaufrichtig, falsch und vorgetäuscht. Ich möchte nur Folgendes sagen - er war der Mann der Schwester meiner Frau, und es bekümmert mich, daß sie nun Witwe ist.«
Eadulf studierte überrascht die Gesichter der Umstehenden, hatte er sich doch eine Reaktion auf diese merkwürdige Ansprache erhofft. Scheinbar hatte niemand etwas gegen die Worte des Redners einzuwenden. Und was noch auffälliger war, Bebhail stand die ganze Zeit über mit starrem Gesicht da. Bestürzt wurde Eadulf klar, daß wohl nur wenige in dieser Gemeinschaft Lesren wirklich gemocht hatten. Er fragte sich, wie viele ein Mordmotiv gehabt hatten.
Lesren hatte sich nicht nur Goll und Gabran zum Feind gemacht. Eadulf ging die Frage durch den Kopf, ob Fidelma Gabran deshalb in Schutz nahm.
Die Leute begannen auseinanderzugehen. Accobran kam mit höchst zufriedenem Lächeln auf Eadulf und Fidelma zu.
»Hast du schon das Neueste gehört, Lady?« fragte er, ein wenig selbstgefällig lächelnd. »Daß ich Gabran gefaßt habe?«
Fidelma erwiderte sein Lächeln nicht.
»Ich möchte ihn sofort sprechen«, sagte sie. »Auch wenn er so dumm war auszureißen, ich glaube dennoch nicht, daß er Lesren ermordet hat.«
Accobran klappte der Unterkiefer herunter.
»Wie bitte ...?« Ungläubig schüttelte er den Kopf. »Nun, ich glaube, er hat Lesren ermordet - und auch Beccnat.«
»Obwohl du derjenige warst, der den Beweis für seine Unschuld erbracht hat«, betonte Eadulf.
Accobran errötete. »Vielleicht hat er mich hinters Licht geführt. Vielleicht war er in jener Vollmondnacht gar nicht im Kloster Molaga.«
»Ich habe mich mit Bruder Tüan aus Molaga unterhalten«, unterbrach ihn Fidelma. »Du hattest schon recht. In jener Vollmondnacht befand er sich wirklich dort.«
»Nun, zumindest hat er durch sein Ausreißen zugegeben, daß er Lesrens auf dem Gewissen hat«, sagte der Tanist jetzt mürrisch.
»Damit hat er nur gezeigt, wie sehr er sich davor fürchtet, beschuldigt zu werden«, erklärte ihm Fidelma. Sie drehte sich um und ging zu Bebhail, die bei ihrer Schwester und Tomma stand.
Tomma begrüßte sie mit einem bitteren Lächeln. »Der Tanist hat uns mitgeteilt, daß man Gabran gefaßt und wegen des Mordes an Lesren eingesperrt hat.«
Ehe Fidelma antwortete, studierte sie Bebhails düstere Miene.
»Er wurde gefaßt, weil er weggerannt ist. Wäre er wirklich der Mörder, so wäre es töricht, fortzulaufen und alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Hier ist schon genug unschuldiges Blut geflossen. Möge nicht das Leben eines weiteren Unschuldigen zerstört werden.«
Tomma sah nervös zu Bebhail hinüber. »Aber der Tanist hat gesagt .«
»Ich werde mit Gabran reden. Ich hoffe, daß der Unschuldige freikommt und der Schuldige entlarvt wird.«
Sie kehrte zu Eadulf zurück. Sie sah noch, wie Bebhail ihr folgen wollte, von Tomma aber zurückgehalten wurde.
Accobran begleitete Fidelma und Eadulf zur Festung. Die beiden begaben sich auf der Stelle zu Ga-bran. Das Angebot des Tanist, bei der Befragung des jungen Mannes anwesend zu sein, lehnte Fidelma ab.
Der Holzfäller erhob sich, als sie die dunkle Zelle betraten. Er hatte einen Hieb quer über ein Auge erhalten, und eine Wange war blutunterlaufen.
»Du hast etwas sehr Dummes getan«, sagte Fidelma nach einer Weile.
Gabran zuckte mit den Schultern. Er versuchte, gleichgültig zu wirken, doch ganz offensichtlich war er nervös.
»Ich habe Lesren nicht umgebracht«, sagte er leise.
»Sollte dein Ausreißen uns das glauben machen?« fragte Fidelma. Sie winkte Eadulf, daß er die Tür schließen sollte, damit niemand ihr Gespräch belauschen konnte.
»Was hätte ich sonst tun können? Niemand hätte mir geglaubt, daß ich mich nicht für das rächen wollte, was Lesren über mich verbreitet hat.«
»Wer hat das behauptet?«
»Nun, Creoda sagte .«
»Creoda? Was sagte er?«
»Daß alle glaubten, ich hätte Lesren umgebracht, weil er mich für Beccnats Tod verantwortlich machte. Da wußte ich, daß ich auf der Stelle verschwinden mußte.«
»Du hättest lieber dem Gesetz vertrauen sollen.«
»Gesetz und Unrecht sind oft ein und dasselbe«, erwiderte Gabran. »Ich habe gehört, wie der alte Aolü das sagte, bevor er starb.«
»Das mag manchmal stimmen. Erst durch die Auslegung des Gesetzes wird das richtiggestellt.« Fidelma bedeutete dem jungen Mann, sich auf die Holzbank zu setzen, die ihm als Lagerstatt diente. Sie selbst nahm auf einem Stuhl Platz.
Eadulf blieb an der Tür stehen. »Wann hast du zum erstenmal von Lesrens Tod gehört?«
»Da kam ich gerade vom Holzfällen heim.«
»Creoda hat es dir gesagt?«
Der Junge nickte.
»Ist Creoda ein Freund von dir?«
»Nicht so direkt.«
»Hat er dir auch gesagt, daß du fortlaufen sollst?«
»Er hat mir dazu geraten.«
»Also bist du auf Creodas Rat hin fortgerannt. Hast du nicht selbst gemerkt, daß du damit etwas Falsches tust, wenn du wirklich unschuldig bist?«
Gabran sah sie nachdenklich an.
»Du glaubst also nicht, daß ich schuldig bin?« flüsterte er. Der Anflug von Hoffnung in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Ich denke, du bist vor lauter Angst geflohen, und gerade das läßt dich schuldig erscheinen.«
»Glaubst du dann also, Creoda war es?«
Fidelma schüttelte den Kopf. »Nein. Aber zuerst müssen wir beweisen, daß du es nicht warst.«
Da pochte es an der Tür, und Accobran trat ein. Fidelma blickte verärgert auf.
»Ich bin mitten in einer Befragung«, sagte sie.
»Bebhail und Tomma sind gekommen, sie möchte dich sprechen, Lady. Sie bestehen darauf. Außerdem« -er sah zu Gabran hin und beugte sich zu Fidelma hinunter, um ihr ins Ohr zu flüstern - »sind die Eltern des jungen Mannes da.«
Fidelma seufzte resigniert. »Also gut. Sag ihnen, daß ich gleich bei ihnen bin.«
Sie wartete, bis der Tanist fort war. Dann sagte sie zu Gabran: »Du kannst Accobran nicht leiden, nicht wahr?«
Gabran fuhr mit der Hand über sein lädiertes Gesicht. Er blickte Fidelma eine Weile an, ehe er mit der Schulter zuckte.
»Ich habe keinen Anlaß, ihn zu mögen.«
»Warum?«
»Die Antwort ist ganz einfach. Sobald er erfuhr, daß Beccnat in mich verliebt ist, versuchte er uns zu trennen.«
»Das mußt du mir erklären.«
»Einen Monat vor Beccnats Tod gab es in der Festhalle des Fürsten ein feis. Accobran bestand darauf, mit Beccnat zu tanzen.«
»Er bestand darauf? Hat er sie denn sehr bedrängt?«
Gabran nickte.
»Und wie hat sich Beccnat dazu verhalten?«
Nun zog Gabran die Mundwinkel nach unten. Er sagte nichts.
»Hatte sie etwas dagegen? Accobran ist ein hübscher junger Mann«, fügte sie hinzu.
Gabran sah zornig auf. »Sie fühlte sich geschmeichelt, vom Tanist zum Tanz aufgefordert zu werden. Das war alles. Ich schätze, er versuchte sie nach dem Fest wiederzusehen. Doch wie ich dir schon erklärte, Beccnat und ich waren ineinander verliebt . Und wir wollten heiraten . Trotz der Geschichte, die Lesren verbreitete.«
»Aber du hattest den Verdacht, daß Accobran sich heimlich mit ihr treffen wollte?« drang Fidelma weiter in ihn. »Hat er es nur versucht oder auch Erfolg gehabt?« fügte sie mit strenger Stimme hinzu.
»Er hat es nur versucht«, erwiderte Gabran sofort. »Ich habe Beccnat vertraut. Accobran habe ich nicht vertraut.«
»Gut.« Fidelma stand auf. »Nun muß ich aber zu Lesrens Witwe. Wir werden unser Gespräch bald fortsetzen.«
Bebhail und Tomma warteten in der Halle des Fürsten auf sie. Accobran war ebenfalls anwesend. Becc war auf Jagd und würde erst am Abend wieder zurück sein. Accobran kam auf sie zu und teilte ihr leise mit, daß Goll und seine Frau in einem Vorraum Platz genommen hatten, damit sie Bebhail nicht begegneten.
Die Witwe des Gerbers und Tomma hatten sich ein wenig linkisch erhoben, als Fidelma und Eadulf eingetreten waren. Fidelma bedeutete ihnen, sich wieder zu setzen.
»Ich habe nur wenig Zeit«, gab sie vor. »So sagt, was führt euch her? Ich nehme an, daß du mir etwas über Lesrens Tod mitzuteilen hast, Bebhail? Hast du Tomma inzwischen so weit, daß er dir erlaubt, mir die Wahrheit zu erzählen?«
Tomma sprang von seinem Stuhl auf.
»Woher wußtest du ...«, fing er an.
Fidelma hieß ihn mit einer Handbewegung schweigen.
»Es ist nur eine Vermutung. Ich habe nämlich gesehen, daß Bebhail nach dem Begräbnis mit mir sprechen wollte, du sie aber davon abgehalten hast. Ich schätze, daß Bebhail mir jetzt die Wahrheit sagen will, was Lesrens Tod betrifft.«
Tomma sank wieder auf seinen Stuhl. Er ließ den Kopf hängen, als ergebe er sich ganz seinem Schicksal. Fidelma sah Bebhail mit erwartungsvoller Miene an. Deren Augen waren immer noch trocken, sie wirkte äußerst beherrscht.
»Was ich tat, war falsch«, begann Bebhail. Dann schwieg sie wieder. Fidelma wartete geduldig. »Ich habe dieses Leben nicht länger ertragen. Einst habe ich ihn geliebt. Doch diese Liebe schwand schon vor Beccnats Geburt.«
Fidelma betrachtete sie voller Mitgefühl.
»Und was hast du getan?« fragte sie ermutigend.
»Ich habe ihn umgebracht«, sagte Bebhail schlicht.
Eadulf atmete hörbar durch. Accobran sah sie mit großen Augen an. Fidelma blickte erst zu Bebhail, dann schaute sie Tomma an.
»Es war nicht gerade klug, mich anzulügen.«
Hilflos zuckte der Gerbergehilfe mit den Schultern. »Ich hatte keine andere Wahl. Ich konnte dir doch nicht sagen, daß Lesren mir anvertraut hatte, Bebhail habe ihn erstochen.«
»Dann war sein letztes Wort also Bebhail und nicht Biobhal. Wie bist du nur auf Biobhal gekommen?«
»Es war das einzige, was mir einfiel. Als Lesren den Namen Bebhail vor sich hin murmelte, stand Creoda neben mir. Möglicherweise hatte er alles verstanden. Also erklärte ich ihm, ich hätte Biobhal gehört, nur für alle Fälle. Schließlich klang das ähnlich. Und er behauptete nichts Gegenteiliges.«
»Deine falsche Aussage hat mich ziemlich in die Irre geführt, Tomma«, sagte Fidelma ärgerlich. »Du hast da zufällig einen Namen ausgesucht, der von großer Tragweite hätte sein können.« Dann fuhr sie, an Bebhail gewandt, fort: »Was du mir gestanden hast, ist eine sehr ernste Sache, Bebhail. Das größte Verbrechen vor dem Gesetz besteht darin, einen anderen Menschen zu töten. Du hast einen Mord gestanden. Es wäre gut, wenn du mir alles von Anfang an erzähltest.«
Der Witwe blieb unverändert ruhig. »Das ist ganz einfach, Lady. Die Geschichte ist so alt wie die Beziehung zwischen Mann und Weib. Ich war jung und von ihm betört. Lesren war ein attraktiver Mann. Ein Handwerker. Ich wußte, daß er schon einmal verheiratet war, doch er hat mir immer nur Schlechtes über Finmed erzählt. Dann habe ich ihn geheiratet.« Sie machte eine Pause und lächelte kurz. »Seine Worte entsprachen nicht der Wahrheit, wie ich bald herausfand. Ich habe kein glückliches Leben geführt.«
»Das Gesetz kann in so einer Situation für Abhilfe sorgen«, erklärte Fidelma. »Es zieht Trennung und Scheidung in Betracht.«
»Ich bin aus vielerlei Gründen bei Lesren geblieben. Vor allem wohl wegen meiner Tochter, doch vielleicht ist das nur eine Ausflucht. Ich hätte ihn verlassen sollen, als die arme Beccnat ermordet wurde. Gestern fing er wieder an, mich zu mißhandeln. Irgend etwas ist da mit mir passiert. Ich habe nach dem Küchenmesser gegriffen und . « Ihre Worte erstarben, sie weinte hilflos.
»Willst du etwa behaupten, daß es Notwehr war?« fragte Accobran streng. Er wollte offenbar noch mehr sagen, vielleicht sein Verhalten Gabran gegenüber entschuldigen, aber Tomma, der Bebhail schützend einen Arm um die Schulter gelegt hatte, fiel ihm ins Wort: »Siehst du denn nicht, wie schlimm diese Bestie sie behandelt hat? Wenn du Beweise willst, Lady«, fügte er, an Fidelma gewandt, hinzu, »so bitte sie, mit dir in einen Nebenraum zu gehen, damit sie dir zeigt, was Lesren ihr angetan hat.«
»Stimmt das, Bebhail?« fragte Fidelma freundlich.
Bebhail schaute nicht auf, nickte aber.
»Verwandtenmord ist ein schweres Verbrechen«, sagte Fidelma jetzt.
»Harte Strafen treffen denjenigen, der sich dieses Verbrechens schuldig macht«, fügte der Tanist hinzu. »Deine Strafe wird ziemlich hoch ausfallen.«
»Doch«, sagte Fidelma mit einer Stimme, die plötzlich wie ein Peitschenknall dazwischenfuhr, »das Gesetz sagt auch, daß es Umstände geben kann, die einen Mord rechtfertigen.« Fidelma war erbost, daß der Ta-nist, der offensichtlich nur wenig von der Rechtsprechung verstand, sich immer wieder einmischte. »Es ist kein Verbrechen, jemanden in einer Schlacht zu töten, es ist kein Verbrechen, einen Dieb zu töten, der in dein Haus einbricht, dein Hab und Gut stehlen und dir schaden will. Im Cairde-Gesetzestext steht, daß es erlaubt ist, aus Notwehr zu töten. Hättest du dich noch zu Lebzeiten Lesrens an mich gewandt, dann hätte man dich auf der Stelle scheiden können. Dir wäre dabei beträchtlich mehr als nur die Hälfte eures gemeinsamen Besitzes zugefallen. Das Gesetz ist sehr deutlich, was den Schutz der Frauen vor Männern und Ehegatten betrifft. Und Mißhandlung, ob sie nun körperlich oder nur mit Worten erfolgt, wird bestraft. Du hättest diesen Weg wählen sollen. Inzwischen war dein Leid jedoch so groß geworden, daß du dich gewehrt hast. Ich kann nicht so tun, als sei es völlig in Ordnung gewesen, Lesren zu töten, aber es geschah in Notwehr, und das ist ein Punkt, der in deine Verteidigung einfließen wird.«
Fidelma dachte einen Moment nach.
»Es muß eine Anhörung stattfinden, soviel steht fest. Ich werde mit dem Stammesfürsten der Cinel na Äeda und dem Abt darüber beraten. Komm zur Halle des Fürsten, wenn du am Abend von der Abtei das Angelusläuten hörst.«
Tomma schien damit nicht zufrieden zu sein, doch Bebhail senkte zustimmend den Kopf.
»Es sei, wie du sagst, Lady«, meinte sie.
Fidelma lächelte ihr aufmunternd zu. »Daß du dein Geständnis freiwillig abgelegt hast, wird dir vor Gericht auch zugute kommen. Wenn du es nicht getan hättest, hätten wir noch mehr Zeit vergeudet.«
Nun blickte sie Tomma an.
»Deine Schuld ist viel größer als die Bebhails«, sagte sie ernst.
Dem Gerbergehilfen verschlug das für einen Moment die Sprache.
»Das Din Techtugad sagt, Falschaussage zählt zu den drei großen Verbrechen, die Gott am härtesten bestraft. Ein Mensch, der ein güfiadnaise ist, verliert seinen Sühnepreis.«
Eadulf war sich nicht sicher, was der juristische Begriff bedeutete. Deshalb war er froh, daß Tomma Fidelma um eine Erklärung bat.
»Das ist jemand, der eine falsche Aussage macht. Wie bist du auf Biobhal gekommen?«
Tomma zuckte die Schultern. »Der Name mußte so ähnlich wie Bebhail klingen. Biobhal war das einzige, was mir einfiel. Ich mußte doch Creoda ablenken.«
»Aber wo ist dir Biobhal schon einmal begegnet? Ich finde es ungewöhnlich, daß ein Gerber diesen Namen kennt.«
Tomma dachte angestrengt nach. »Der alte Liag hat mir mal eine Geschichte erzählt. Ich weiß nicht mehr, wovon sie handelte. Biobhal spielte eine Rolle darin.«
Fidelma blickte unwillkürlich zu Eadulf.
»Also Liag hat dir eine Geschichte erzählt. Bist du sicher?« fragte sie noch einmal nach.
»Ja. Es tut mir leid, daß ich dich in die Irre geführt habe, Lady. Ich wollte doch nur Bebhail beschützen.«
»Und hast du Creoda gesagt, er solle Gabran zur Flucht raten?«
»Ich habe Creoda gegenüber nur gemeint, daß alle glaubten, Gabran sei der Täter. Er hat ihm dann selbst dazu geraten.«
Nun äußerte sich die Witwe. »Tomma ist mir schon seit vielen Jahren ein guter Freund. Als ich ihm erzählte, was ich getan hatte, versuchte er mir beizustehen. Du darfst ihm nichts vorwerfen.«
Accobran prustete los. »Gesetz ist Gesetz.«
Fidelma überging das. »Man wird all diese Dinge berücksichtigen, Bebhail. Kommt beide heute abend in die Halle von Becc, und ihr werdet das Urteil hören. Doch denk daran, Tomma, alles, was wir tun, hat Folgen. Im Brief des heiligen Jakobus steht: >Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet’s an!< Ein unschuldiges Wort kann großen Schaden anrichten. Vergiß das nicht.«
Der Gerbergehilfe nickte und führte Bebhail am Arm hinaus.
Accobran war aufgebracht, daß Fidelma die beiden einfach so fortließ. »Man sollte sie gefangennehmen. Lady, du bist viel zu nachsichtig. Das verstehe ich nicht. Du bist eine dalaigh, aber du hältst dich selbst nicht an das Gesetz.«
Fidelma blickte ihn kühl an. »Manchmal ist es besser, eher dem Geist des Gesetzes zu folgen als seinen bloßen Worten. Was willst du, Tanist? Auge um Auge?«
»Die Frau hat einen Mord gestanden, der Mann war ihr Komplize - und doch hast du die beiden einfach laufenlassen!«
»Ich habe sie nicht laufenlassen. Sie müssen zu ihrem Urteilsspruch hierher zurückkommen.«
Accobran lachte höhnisch auf. »Rechnest du etwa damit? Was Gabran gemacht hat, das können sie auch.«
Fidelma beharrte auf ihrem Standpunkt. »Gabran ist aus Angst geflohen. Die beiden aber haben keine Furcht vor den Folgen ihrer Tat. Warum also sollen sie fortlaufen? Unserem Gesetz und Brauch nach steht die Wahrheit über der Tat. Unsere Gesetze wurden geschrieben, damit die Einfältigen gehorchen und die Klugen gelenkt werden.«
»Ich verstehe nicht.«
»Deshalb bin ich eine dalaigh und du der Tanist. Du mußt noch viel lernen, bis du den Fürstenschwur leistest.«
Accobrans Blick verfinsterte sich. Er fühlte sich in seinem Stolz gekränkt. »Ich gebe zu, daß ich kein Rechtsgelehrter bin. Doch ich begreife nicht, warum Tommas Falschaussage schwerer wiegt als Bebhails Verbrechen.«
»Sie hat Lesren aus Angst getötet. Für mich hat sie damit die Wahrheit gesagt. Das Gesetz sieht in solchen Fällen Milde vor. Man wird sie dennoch zu einer Entschädigung und einer Geldbuße verurteilen, doch wird die Strafe wahrscheinlich wieder aufgehoben werden wegen des Schmerzes, den ihr Lesren zugefügt hat. Aber eine Falschaussage zu machen, zu lügen, das wird vom Gesetz hart bestraft. Ein altes Sprichwort sagt, daß die Götter keine falsche Zunge lieben. Mag die Wahrheit noch so bitter sein, dennoch ist sie heilig und unantastbar.«
»Daß Tomma den Namen Biobhal benutzte, hat dich offenbar beunruhigt. Inwiefern eigentlich?«
»Wir haben geglaubt ...«, setzte Eadulf an, doch er bemerkte rechtzeitig Fidelmas Blick und schluckte seine Worte hinunter. »Wir haben geglaubt, daß Bi-obhal der Name des Mörders ist«, sagte er dafür.
»Nun, der Name ist unter den Cinel na Äeda nicht gerade gebräuchlich«, erwiderte Accobran.
»Vermutlich nicht«, stimmte ihm Fidelma zu und wechselte das Thema. »Hast du nicht gesagt, daß mich Goll und seine Frau sprechen wollten?«
Der Tanist nickte und entfernte sich, um sie rufen zu lassen. Eadulf wartete, bis er fort war.
»Ich nehme an, der Tanist sollte nicht wissen, daß du eine Verbindung zwischen dem Namen und dem Gold siehst, nicht wahr?«
»Das ist richtig«, antwortete Fidelma leise.
»Doch nach Tommas Geständnis, daß dies der erste Name war, der ihm einfiel, weil er so ähnlich wie Bebhail klang, ist die Sache wohl erledigt, oder?«
Fidelma schaute ihn ernst an. »Je mehr ich darüber nachdenke, um so unsicherer bin ich mir da. Wir wollen die Sache mit dem Gold erst einmal für uns behalten, Eadulf. Es gibt hier Dinge, die ich sehr verworren finde.«
»Du warst nicht sonderlich überrascht, daß Lesren von seiner Frau umgebracht wurde.«
»Ich hatte mir so etwas schon gedacht und vermutet, daß zwischen diesem Fall und den anderen drei Morden nicht der geringste Zusammenhang besteht.«
Eadulf lächelte. »Das begreife ich nicht.«
»Ich habe instinktiv gespürt, daß Gabran nichts mit Lesrens Tod zu tun haben kann. Die großen Spannungen zwischen Lesren und Bebhail sind mir bereits bei unserer ersten Begegnung mit ihnen aufgefallen. Doch Liags plötzliches Auftauchen und der Name Biobhal haben mich abgelenkt und mich zweifeln lassen.«
»Du gehst aber hart mit dir ins Gericht.«
»Ich weiß genau, wann mir ein Fehler unterläuft.«
»Rätst du anderen nicht immer, die einen Fehler erkennen, ohne großes Bedauern weiterzumachen?«
Fidelma lächelte. »Das stimmt. Manchmal sagst du genau das Richtige, um mir auf die Sprünge zu helfen, Eadulf.«
»Wie sieht also unser nächster Schritt aus?« fragte er forsch.
»So wie ich bereits sagte. Ich möchte mir dieses Eberdickicht genauer ansehen, ehe es ein anderer tut.«
»Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß der Tatort die einzige Verbindung zwischen den Morden an den drei Mädchen ist, oder?«
»So logisch sind meine Gedanken im Moment nicht«, erwiderte Fidelma kurz. »Doch ich will ehrlich sein: Ich spüre da instinktiv etwas. Es ist wie ein Juckreiz auf der Haut, auf den ich mit Kratzen reagieren muß, um nicht wahnsinnig zu werden. Erinnerst du dich daran, daß wir einen der Fremden und den Schmied da oben auf dem Hügel gesehen haben? Ich würde mich gern mit Gobnuid darüber unterhalten, doch ich glaube nicht, daß ihm der Sinn danach steht. Um meinen Fragen Nachdruck verleihen zu können, muß ich vorher noch einiges herausfinden.«
Eadulf unterdrückte einen Seufzer. Er hatte bereits oft miterlebt, wie Fidelma schon viele schwierige Fälle löste, doch noch nie hatte sie versucht, zuversichtlich zu wirken, wenn sie eigentlich beunruhigt war. Wieder kam es ihm so vor, als sei aus der einst so selbstsicheren, siegesgewissen dalaigh, in die er sich verliebt hatte, ein anderer Mensch geworden. Seit Alchüs Geburt hatte sie sich verändert, das war nicht zu leugnen.
Er hatte des öfteren gehört, daß Frauen nach der Geburt eines Kindes anders wurden: Sie unterlagen Stimmungsschwankungen und wurden Opfer von Verzweiflungsattacken. Die Gelehrten von Tuam Bre-cain, der medizinischen Hochschule, die er einst besucht hatte, meinten, daß dies zu den rätselhaften Dingen zählte, die eine Geburt bei Frauen auslösen konnte.
Die Ärzte gingen davon aus, daß dies die Folgen des großen Blutverlusts waren. Das Herz bildete ihrer Ansicht nach die Kraftquelle für das Gehirn, und es kontrollierte auch den Blutfluß. Bei Blutmangel wurde das Gehirn unterversorgt, was zu Ängsten und Depressionen führte. Daher waren die Frauen niedergeschlagen, erschöpft und ruhelos und fühlten sich von den Anforderungen des Alltags überfordert.
Dagegen war ein Kraut gewachsen. Wie hieß es doch gleich? Aber es würde sicher schwierig sein, Fidelma davon zu überzeugen, es einzunehmen. Als ihm auf einmal der Name des Mittels einfiel, hellte sich seine Miene auf.
Im selben Moment trat Accobran mit Goll und dessen verweinter Frau ein. Eadulf murmelte Fidelma rasch eine Entschuldigung zu, ging zur Tür und nahm Accobran beim Arm.
»Tanist, ich muß wissen, ob es in der Festung einen Färber gibt.«
»Ein dathatoir?« fragte Accobran leise.
»Ja«, entgegnete Eadulf. »Es gibt doch hier sicher eine dathatoirecht, eine Werkstatt, wo Stoffe gefärbt werden?«
»Nun, wenn du die Schmiede auf der Ostseite der Festung findest, so stößt du gleich daneben auf Moch-tas Werkstatt. Er färbt nicht nur die Kleider des Fürsten, sondern ...«
Eadulf hörte ihm nicht weiter zu, sondern eilte los. Accobran schüttelte den Kopf, während er dem Angelsachsen hinterherschaute. Dann ging er zu Fidelma, die gerade Goll und Finmed begrüßte. Der Holzfäller schien recht aufgebracht zu sein.
»Ich bin gekommen, dalaigh, um dir zu sagen, daß mein Sohn unschuldig ist«, fing er streitlustig an. »Außerdem möchte ich erklären, daß ich ein troscud abhalten werde, bis mein Sohn mit unbeschadetem Ansehen wieder frei ist.«
Fidelma bemühte sich, das Lächeln zu unterdrük-ken, das sich ungewollt um ihren Mund legte. Sie zog die Augenbrauen hoch und versuchte sich zu konzentrieren. Sie wirkte äußerst resolut.
Nun trat Finmed mit flehender Gebärde vor. »Mein Mann ist zu allem entschlossen, Lady. Ich habe mit ihm geredet. Doch wir wissen beide, daß Gabran unschuldig ist. In einem Moment der Schwäche hat er versucht, davonzulaufen, aus Angst, weil .«
Goll schnaubte höhnisch. »Worte werden ihm nicht die Freiheit wiedergeben. Ich bin darauf eingestellt .«
»Ohne Essen und Trinken auszukommen, bis man ihn freiläßt«, vollendete Fidelma den Satz. Erst im vorigen Jahr war sie bei der Lösung eines Falles einem Fürsten begegnet, der einem Volk mit einem troscud drohte, das die Bedeutung und den tiefen Sinn dieser Maßnahme nicht kannte. Golls Ankündigung gefiel ihr gar nicht.
»Hör zu, Goll. Hör mir gut zu, Holzfäller. Ein troscud ist das letzte Mittel, auf das man zurückgreifen sollte. Der langsame Hungertod stellte eine Waffe dar, mit der man nicht drohen sollte. Meinst du denn, es wäre moralisch gerechtfertigt, deinen Sohn auf diese Weise freizukaufen, falls er schuldig ist? Die Folgen davon hättest du dann auf dich zu nehmen.«
Goll schob ungestüm das Kinn vor. »Ich weiß, daß mein Sohn unschuldig ist, mich kann niemand von meinem Vorhaben abbringen.«
Traurig schüttelte Fidelma den Kopf. »Finmed, also wende ich mich an dich. Du bist viel vernünftiger als dein Mann und dein Sohn. Nimm deinen Mann und nimm deinen Sohn, und dann kehrt zusammen heim. Deine beiden Männer haben hitziges Blut, Fin-med.«
Finmed und Goll starrten sie an, als hätten sie ihre Worte nicht verstanden.
»Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?« fragte Fidelma. »Nehmt Gabran und geht nach Hause. Ihm wird kein Verbrechen vorgeworfen - er hat nur den Fehler gemacht, nicht an das letzte Wort der Gerechtigkeit zu glauben.«
Sie drehte sich um und verließ die Halle, erst danach begriffen Goll und Finmed, was sie gesagt hatte.