»Können wir wirklich nichts unternehmen, bis Accobran zurück ist?« wollte Eadulf wissen, als sie in ihrem Zimmer unter sich waren. »Ich hätte gedacht, daß es für uns eine Menge zu tun gibt. Was ist zum Beispiel mit Gobnuid? Und Bruder Dangila und Goll müssen uns auch einiges erklären.«
»Du bist zu ungeduldig, Eadulf«, erwiderte Fidelma ruhig. »Ich verliere unseren Auftrag schon nicht aus den Augen. Wenn alles gutgeht, werden wir morgen mit unserer Untersuchung fortfahren. Doch nun zeig mir den Goldklumpen, den ihr gefunden habt.«
Eadulf griff in sein marsupium und holte ihn hervor. Fidelma betrachtete ihn eingehend.
»Ich würde sagen, daß Menma recht hat. Es ist echtes Gold, so wie bei Sioda. Macht dich das nicht stutzig?«
»Ich dachte, wir suchen eigentlich nach dem Mörder der drei Mädchen, oder?«
»»Scientia potestas est«, erwiderte Fidelma leise. »Wissen ist Macht. Du führst doch immer gern derartige Sprüche im Munde, Eadulf.«
»Ich begreife einfach nicht, was die Geschichte des Hügels mit dem Mord an den drei Mädchen zu tun hat. Wir wissen nur, daß ein Verrückter sie bei Vollmond tötete. Ich verstehe auch nicht, was es mit dem alten Stollen auf sich hat, außer, daß es dort immer noch Gold gibt. Und überhaupt sehe ich, was die Morde angeht, kein Licht am Horizont.«
»Dann solltest du dich an eine andere Maxime erinnern - perspicuam servare mentem. Wenn du einen klaren Kopf bewahrst und dich nicht von Nebensächlichkeiten ablenken läßt, wirst du die Wahrheit erkennen.«
Am nächsten Morgen, als es immer noch keine Nachricht von Accobran gab, nahmen Fidelma und Eadulf die Pferde und ritten zu Goll hinaus. Sobald sie auf die Lichtung vor seiner Hütte gelangten, öffnete sich die Tür und Gabran erschien. Er sah sie überrascht an und blieb mit finsterem Gesicht am Eingang stehen.
»Ich dachte, daß ich nun von jedem Verdacht befreit bin«, begrüßte er sie mürrisch.
Eadulf war erstaunt, wie unhöflich der junge Mann auftrat, nach all dem, was Fidelma für ihn getan hatte. Fidelma blickte auf Gabran hinunter.
»Wie du weißt, bist du, was Lesrens Tod betrifft, über jeden Verdacht erhaben. Doch die anderen Morde sind noch nicht aufgeklärt.«
»Auch da hat man mich von Lesrens falschen Anschuldigungen freigesprochen«, erwiderte Gabran herausfordernd.
Fidelma schwang sich vom Pferd und stellte sich vor den streitlustigen jungen Mann.
»Ich möchte mit deinem Vater reden«, sagte sie mit strenger Stimme, daß er blinzeln mußte und einen Schritt zurücktrat. »Wo ist er?«
Gabran zögerte, doch dann zeigte er auf einen der Schuppen. »Dort hinten.«
»Danke. Und wo ist deine Mutter?«
»Sie ist am Fluß Wäsche waschen. Soll ich sie rufen?«
»Nein, wir wollen Goll sprechen.« Fidelma ging zu dem Schuppen hinüber, auf den Gabran gezeigt hatte. Eadulf stieg nun auch vom Pferd und band die Tiere an einem Pfahl fest. Dann folgte er ihr. Gabran blickte ihnen mißtrauisch hinterher.
Die Tür zum Schuppen war offen. Drinnen stand Goll über eine Werkbank gebeugt; er war gerade damit beschäftigt, ein großes Stück Holz zu polieren. Sogar Eadulf bemerkte, daß es sich um ein Stück roter Eibe handelte, in das gewundene Muster geschnitzt waren.
»Gott sei mit dir, Goll«, sagte Fidelma, während sie die Tür weiter aufstieß und eintrat. Goll schaute verblüfft auf.
»Was wollt ihr hier?« fragte er mißgelaunt.
»Ich könnte schwören, Goll, du und dein Sohn, ihr freut euch nicht gerade darüber, die dalaigh zu sehen, die eine gerichtliche Fehlentscheidung von eurer Familie abgewendet hat«, sagte Fidelma erheitert.
Goll rang sich ein Lächeln ab. Er legte den Polierlappen beiseite und griff nach einem anderen für seine Hände.
»Verzeiht. Ich bin gerade sehr beschäftig.« Er bemerkte Eadulfs Blick auf die Schnitzerei. »Das ist ein Türsturz. Er ist für die Kapellentür der Abtei. Der Abt hat ihn schon vor einer Weile in Auftrag gegeben. Entschuldigt meine mangelnde Höflichkeit. Tut mir leid. Ich bin sehr dankbar für das, was ihr für meinen Sohn getan habt.«
Er schaute von Eadulf zu Fidelma. »Was gibt es?«
»Da draußen steht eine Bank«, sagte Fidelma. »Setzen wir uns dort einen Moment.«
Goll nickte und folgte ihnen vor die Tür.
»Was weißt du vom Eberdickicht, Goll?« wollte Fidelma zunächst von ihm wissen.
»Dem alten Hügel da? Gutes Holz wächst dort, Eichen und Erlen.«
Fidelma lächelte. »So spricht ein Holzfäller. Sonst weißt du nichts?«
Goll zuckte mit der Schulter. »Früher, in alten Zeiten, so erzählt man, lebte eine Herde von Wildschweinen, angeführt von einem großen Eber, auf dem Hügel. Sie gehörten alle unserer irischen Göttin Brigid. Falls jemand eines der Tiere fing, tötete und aß, so erschien es trotzdem am nächsten Tag gesund und lebendig wieder dort. Daher rührt der Name des Hügels.«
»Das wissen wir schon«, murmelte Eadulf.
»Gehst du oft dorthin?« fragte Fidelma plötzlich.
Es war nicht zu übersehen, daß Goll nun errötete.
»Was meinst du damit?« entgegnete er.
»Ich dachte, du hättest mich verstanden.«
»Höchst selten.«
»Dann wollen wir mal genauer werden, Goll. Also war dein gestriger Ausflug auf den Hügel ungewöhnlich für dich. Stimmt das?«
Goll schwieg eine Weile. »Das war er wirklich.«
»Was hattest du dort zu tun?«
Als Goll immer noch zögerte, sagte Eadulf: »Es hat keinen Sinn, etwas zu verheimlichen. Ich habe dich dort gesehen, wie du jemanden beobachtet hast.«
»Hast du gesehen, wem ich gefolgt bin?«
»Ja.«
»Dann solltest du auch wissen, warum ich ihnen gefolgt bin.«
»Die Geschichte will ich aus deinem Munde hören, Goll«, sagte Fidelma kurz angebunden. »Ich will keine Zeit damit verschwenden, Namen zu erraten.«
»Aus welchem Grund sollte ich es getan haben, wenn nicht aus dem gleichen wie du, Schwester. Ich weiß, Lesrens Vorwürfe treffen auf meinen Sohn nicht zu. Doch Beccnat, Escrach und auch Ballgel sind tot. Da fiel mein Verdacht auf die Fremden, insbesondere auf deren Anführer. Ich weiß nicht, wie er heißt. Aber ich sah ihn nicht das erstemal über den Hügel schleichen. Je länger ich Broccs Erklärungen überdenke, desto sinnvoller erscheinen sie mir.«
»Willst du damit sagen, du machst die Fremden für die Morde an den drei Mädchen verantwortlich und bist gestern ihrem Anführer gefolgt, um Beweise dafür zu finden?«
»So ist es. Ich wußte, daß du diesen Gedanken verworfen hattest ...«
»Da wußtest du mehr als ich«, entgegnete ihm Fidelma schnippisch. »Doch ich gehe nicht ohne Beweise vor. Brocc würde einen Menschen auch ohne Indizien vor Gericht stellen und verurteilen. Das entspricht aber nicht der Vorgehensweise eines Brehon.«
Goll beugte sich vor. »Richtig. Ich war auf Beweissuche.«
»Und hast du welche gefunden?«
Goll schüttelte zögernd den Kopf.
»Wie ich die Sache einschätze, bist du wohl eher deinem Sohn hinterhergeschlichen«, warf Eadulf ein.
»Gabran war auch auf dem Hügel, das stimmt. Ich dachte, daß ihm der große Fremde folgte, doch der verschwand dann schnurstracks in einer Höhle.«
»Du bist also einfach dem Fremden hinterhergeschlichen in der Hoffnung, daß sich dir dadurch etwas offenbaren würde? Und was hast du herausgefunden?«
»Nur daß er mit Gobnuid etwas zu schaffen hat und sie beide an der alten Höhle interessiert sind, dem Zugang zu einer alten Bergmine, die schon vor langem stillgelegt wurde.«
Auf einmal stand Fidelma auf. »Vielen Dank, Goll. Doch in Zukunft überlaß die Spurensuche lieber uns.«
Fidelma beschloß, sofort zur Festung zurückzukehren, um zu erfahren, ob sich Accobran schon gemeldet hatte.
Tatsächlich gab es Neuigkeiten. Als sie in den Hof einritten, rief ihnen einer der Krieger am Tor zu, daß Accobran und seine Männer wieder da seien. Fidelma und Eadulf gingen sofort in die Halle des Fürsten.
Dort thronte Becc lächelnd auf seinem Amtssessel, während Accobran ihm zur Seite saß und erzählte. Adag und ein paar andere Mitglieder des fürstlichen Gefolges waren auch anwesend. Als Fidelma und Eadulf eintraten, schauten alle auf. Accobran strahlte sie an.
»Wie schön, dich gesund und munter zu sehen, Fidelma von Cashel. Wir hörten, daß du dich während des Überfalls in Suanachs Keller verborgen hast. Auf dem Rückweg haben wir dort nachgeschaut und dich nicht gefunden. Wir haben dann vermutet, daß du den Flammen entkommen bist. Gerade hat uns Becc von deiner Flucht berichtet.«
»Und Suanach? Ist sie in Sicherheit?« fragte Fidelma.
»Ja, sie ist mit Menma im forus tuaithe, wo man sich um sie kümmert.« Das forus tuaithe oder »Haus des Gebietes« war eine Einrichtung, in der man Alte, Kranke und Verletzte aufnahm und sie medizinisch betreute.
»Mach dir keine Sorgen, Cousine«, sagte Becc rasch, als er ihr Gesicht sah. »Sie ist nur ein wenig erschöpft, und der Schreck steckt ihr noch in den Gliedern. Sie war sehr um dich besorgt.«
»Ohne sie wäre ich verloren gewesen«, gestand Fidelma. »Die Ui Fidgente hätten niemanden aus meiner Familie gut behandelt. Doch offenbar habe ich Accobran unterbrochen. Wie ist es euch bei der Verfolgungsjagd ergangen, und wen habt ihr gefangengenommen?«
Accobran rückte sich zurecht und lächelte leicht. »Ich sagte gerade, daß es gut war, Menma als Fährtenleser dabei zu haben. Die Ui Fidgente haben Haken geschlagen wie die Hasen. Wir hätten sie mehrere Male beinahe verloren, doch Menma hat uns immer wieder auf ihre Spur gebracht.«
Fidelma setzte sich, und der Tanist machte eine Pause. Erst als auch Eadulf sich niedergelassen hatte, fuhr er fort.
»Als du dich zu Becc auf den Weg gemacht hast, haben wir die Verfolgung aufgenommen«, begann er und schaute dabei Eadulf an. »Inzwischen war es schon dunkel, und wir mußten bald anhalten, weil man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte. Wir warteten auf das erste Tageslicht und setzten uns wieder in Bewegung. Der erste Abschnitt der Strecke war einfach, da er durch schlammige Wälder führte und die Hufabdrücke der Pferde deutlich zu sehen waren. Der Anführer des Trupps war allerdings geschickt, denn bald verlor sich die Spur in Flüssen und steinigem Gelände. Zumindest hatte die Nacht auch die Ui Fidgente zu einem Halt gezwungen. Wie ich schon sagte, nur Menma war in der Lage, ihre Spur immer wieder aufzunehmen.«
»Hattet ihr den Eindruck, daß sie zu einem größeren Trupp gehörten?« warf nun Eadulf ein. »Haben sie versucht, zu anderen Kriegern aufzuschließen?«
Accobran verneinte. »Es waren nur zehn Männer. Gegen Mittag hatten wir sie eingeholt. Sie glaubten, sie hätten uns abgeschüttelt, und machten gerade Rast. Ihr Anführer war sich offenbar sicher, daß wir weit hinter ihm waren, daher verhielt er sich nicht gerade schlau. Ich habe mit meinen Männern einen Hinterhalt aufgebaut und gewartet.«
»Gut«, lobte Fidelma. »Konntest du alle gefangennehmen?«
Accobran blickte einen Moment zu Boden. »Leider nein. Doch Gott sei Dank blieb Suanach in dem anschließenden Kampf unverletzt ...«
»Wie viele hast du gefangengenommen?« fragte Fidelma leise.
»Niemanden.«
»Nicht einen einzigen von den zehn Männern?« rief sie bestürzt. »Gab es keine Verletzten?«
»In einer Schlacht, Lady, kommt so etwas häufig vor«, rechtfertigte sich Accobran.
»So ist es«, stimmte ihm Becc zu. »Accobran hat sein Bestes getan, er hat Suanach gesund nach Hause gebracht. Heute nachmittag reitet einer von Abt Brogans Mönchen nach Cashel und dann weiter nach Im-leach. Er wird dem König eine Botschaft überbringen. Colgü wird dann wissen, was zu tun ist. Die Ui Fid-gente müssen eine Entschädigung zahlen, insbesondere für den Verlust von Menmas Heim und für die Entführung seiner Frau. Menma kann sich darauf verlassen, daß die Cinel na Äeda ihm beim Bau einer neuen Hütte helfen.«
»Das wird sofort angeordnet, Becc.« Adag, der Verwalter, nickte zufrieden.
»So werde ich mich mit deiner Erlaubnis, mein Lord, zurückziehen, um mich zu erfrischen und dann zu schlafen«, sagte der Tanist und wollte schon die Halle verlassen.
»Nur eine Frage!« Fidelmas ruhige Stimme erregte die allgemeine Aufmerksamkeit. Ein jeder drehte sich um und blickte sie erwartungsvoll an. »Kennst du den Zweck des Überfalls der Ui Fidgente?«
»Muß es da einen Zweck geben?« hielt ihr Accobran belustigt entgegen. »Man weiß, daß die Ui Fidgente Viehdiebe und Plünderer sind.«
»Ist es denn keinem aufgefallen, daß sie sich zum Plündern ungewöhnlich weit vorgewagt haben - nur zehn Männer, die durch die Gebiete vieler reicher Clans ritten, um hierherzugelangen?« fragte Fidelma.
Niemand entgegnete etwas darauf. Fidelma klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden.
»Hat niemand eine Erklärung dafür?«
Eadulf drehte sich zu ihr um und öffnete schon den Mund, doch Fidelmas Blick ließ ihn schweigen. Er hatte sagen wollen, daß sie doch dem Gespräch der Männer von den Ui Fidgente entnommen hatte, warum sie hergekommen waren. Eadulf hatte noch nicht begriffen, was Fidelma vorhatte.
»Es ist sehr bedauerlich, daß du keine Gefangenen gemacht hast. Wie sollen wir da klären, warum sie den Überfall gewagt haben, Accobran? Hast du etwas gehört, gesehen oder gefunden, das helfen könnte, ihnen auf die Schliche zu kommen?«
»Nichts, Lady«, erwiderte der Tanist ernst.
»Aber Suanach war lange mit den Eindringlingen zusammen. Vielleicht weiß sie etwas«, warf Becc ein.
»Dann muß ich mit Suanach sprechen«, entgegnete Fidelma ruhig.
»Eine ausgezeichnete Idee«, stimmte ihr Becc zu.
»Und nun gönnen wir Accobran seine wohlverdiente Ruhe.«
Sobald Fidelma und Eadulf unter sich waren, sagte er zu seiner Rechtfertigung: »Warum sollten wir über etwas Stillschweigen bewahren, was die Ui Fidgente selbst verkündet haben?«
»Komm, wir wollen mit Suanach reden«, sagte sie, ohne auf seine Bemerkung einzugehen.
Suanach saß aufrecht im Bett des Hospitals und hielt eine Schale Brühe in den Händen. Menma war an ihrer Seite. Als Fidelma und Eadulf den Saal betraten, schauten ihnen beide erleichtert entgegen.
»Na, diesmal ist ja alles umgekehrt«, begrüßte Fidelma sie. »Wenn ich mich recht entsinne, so saß ich das letztenmal im Bett und erhielt von dir Brühe. Bist du verletzt?«
»Nein, Lady, nur ein wenig erschöpft, ich habe in der letzten Nacht kein Auge zugetan.«
»Ich fürchte, ehe ihr euch ausruhen könnt, müßt ihr mir erst noch ein paar Fragen beantworten.«
»Nur immer heraus damit«, sagte der Jäger.
»Suanach, als du Gefangene der Ui Fidgente warst, haben sie da etwas über den Zweck ihres Überfalls verraten?«
Suanach stellte ihre Schale zur Seite und verschränkte die Arme vor dem Körper. Sie dachte angestrengt nach.
»Einer von ihnen . niemand nannte Namen . sagte, daß man die Spuren so deutlich machen sollte, daß Menma ihnen mühelos folgen konnte.« »Sie haben Menmas Namen erwähnt?« warf Eadulf kurz ein. »Sie wollten, daß Menma ihnen folgt?«
Suanach nickte.
»Haben sie gesagt, weshalb?«
»Sie wollten ihn gefangennehmen und ihn über etwas ausfragen.«
Fidelma schaute zu Menma.
»Keine Ahnung, was sie von mir wissen wollen«, sagte der. »Ich habe weder Freunde noch Feinde bei ihnen. Ich war weder in Friedenszeiten noch im Krieg in ihrem Land. Warum sie mein Haus überfallen, meine Frau gefangennehmen und mich in eine Falle lok-ken wollten, ist mir schleierhaft.«
»Während wir unterwegs waren, schnappte ich ein paar Fetzen ihrer Unterhaltung auf.« Erwartungsvoll blickten nun alle Suanach an. »Nichts davon ergab einen Sinn. Einer von ihnen erwähnte den Kapitän eines Schiffes. Sagte etwas von einer Ladung für das Kloster Molaga. Dann etwas über genügend Gold, um ein Königreich zu finanzieren.«
Fidelma atmete hörbar aus. »Darüber haben sie sich unterhalten?«
»Mehr kann ich dir nicht berichten. Alles andere habe ich nicht recht begriffen.«
Fidelma wandte sich wieder an Menma. »Kannst du damit etwas anfangen?«
Der Jäger schüttelte den Kopf.
»Wird die Sache klarer, wenn ich dir sage, daß die Ui Fidgente dich über das Eberdickicht aushorchen wollten?« fügte Fidelma hinzu. »Ich habe das selbst gehört.«
Menmas Erstaunen war nicht gespielt. »Das verstehe ich ganz und gar nicht, Schwester. Was sollte ich ihnen denn Wichtiges sagen können? Daß es da Schätze gibt? Nun, Bruder Eadulf wird dir bestätigen, daß wir erst gestern entdeckt haben, daß in der alten Mine wieder Gold abgebaut wird.«
»Spielte Gold sonst noch eine Rolle?« fragte Fidelma Suanach.
»Nein, ich habe nichts dergleichen gehört.«
Fidelma schaute zu Menma. »Bist du aus irgendeinem Grund einmal im Kloster Molaga gewesen und hast dich mit den Händlern oder Schiffskapitänen unterhalten, die dort Unterkunft finden?«
»Ab und zu«, gestand er. »Ich bin Jäger. Bis gestern wußte ich nicht, was in dem Stollen vorgeht. Wenn du also sagst, daß ich einem Kapitän davon berichtet hätte, der es diesen Ui Fidgente erzählt hat ...«
»Aber nein, ich sage nichts dergleichen«, erwiderte Fidelma. »Ich kann noch keinen Zusammenhang herstellen. Etwas anderes beunruhigt mich. Accobran erzählte, daß es schwierig war, den Spuren der Ui Fidgente zu folgen. Suanach hat aber gehört, daß sie eine deutliche Fährte legen wollten, so daß du sie leicht aufnehmen könntest. Denn sie wollten dich ja in eine Falle locken. Das paßt alles nicht zusammen.«
»Die Spuren waren wirklich gut zu erkennen«, erwiderte Menma erstaunt. »Ich schätze, der Tanist wollte die Verfolgungsjagd schwieriger erscheinen lassen, als sie war. Wir stießen auch auf zwei feindliche Späher. Accobran ließ sie erschießen, ehe sie Alarm schlagen konnten.«
Fidelma schwieg eine Weile und meinte dann: »Wir werden euch jetzt allein lassen. Bitte verratet niemandem etwas von unserem Gespräch.«
»Accobran hat mich bereits auszuhorchen versucht, ob ich etwas über den Grund des Überfalls wüßte«, sagte Suanach.
»Und was hast du ihm gesagt?«
»Ich war müde und konnte nicht nachdenken. Erst jetzt, wo du mich fragst, sind mir verschiedene Dinge wieder eingefallen.«
»Wenn das so ist, dann sag bitte auch weiterhin nichts, solange ich dich nicht dazu auffordere.«
»Ich begreife nicht, Schwester, doch ich ... wir ... werden es so machen, wie du es wünschst. Nicht wahr, Menma?«
Ihr Mann nickte ein wenig verdrießlich.
»Dann werden wir euch erst einmal in Ruhe lassen.« Fidelma zögerte einen Moment. »Menma, warst du eigentlich bei den Zusammenkünften, bei denen der alte Liag über Sternenkunde sprach?«
»Natürlich, früher, als ich jünger war. Und Suanach ebenfalls.«
»Wie ich hörte, gingen auch Beccnat, Escrach und Ballgel hin.«
»Ja, aber das war später. Sie waren viel jünger als ich.«
»Ich glaube, die meisten der Cinel na Äeda lernen die alten Legenden bei Liag«, fügte Suanach hinzu.
»Er mag sich seltsam gebärden, doch in Wirklichkeit ist er ganz nett.«
»Sogar unser Tanist fand sich bei ihm ein«, erklärte Menma.
»Und bei diesen Zusammenkünften - ging es da nur um die Sagen aus dem Volk, die mit den heidnischen Ansichten über die Bedeutung von Mond und Sternen zusammenhängen?«
»Ja, sicher. Liag behandelte das alles sehr ausführlich«, erwiderte Suanach sofort. »Er betonte immer wieder, daß Wissen Macht sei. Und daß die Kenntnis der geheimen Namen ein ziemlich gefährliches Wissen darstellt .«
Plötzlich verstummte sie. Fidelma hatte gerade noch gesehen, wie Menma ihr einen warnenden Blick zuwarf. Sie ging zur Tür.
»Vielen Dank, Suanach. Ganz besonders für das, was du für mich getan hast. Die Ui Fidgente sind Feinde meiner Familie, und ich muß dir nicht sagen .«
»Mußt du nicht«, unterbrach Suanach sie mit einem Lächeln.
Draußen konnte Eadulf seine Überraschung nicht verhehlen. »Was sollte das alles heißen? Die Eindringlinge sind doch sicher nicht auf das Gold in diesem Stollen aus .?«
Fidelma legte einen Finger an die Lippen. »Kein Wort über die Höhle, zu niemandem, Eadulf.«
Auf einmal öffnete sich die Tür hinter ihnen, und Menma trat heraus. Er wirkte besorgt.
»Ich wollte noch etwas sagen, Lady«, meinte er leise. »Aber ohne daß Suanach es hört.«
Erwartungsvoll schauten sie den Jäger an.
»Ist euch aufgefallen, daß Accobran keine Gefangenen gemacht hat?«
»Ja«, erwiderte Fidelma sofort. »Und das wollte mir gar nicht einleuchten.«
Menma senkte den Kopf. »Accobran gebärdete sich regelrecht blutrünstig.«
Fidelma blickte Menma überrascht an. »Du meinst also, er hätte durchaus Gefangene machen können?«
»So ist es, Lady. Ich habe noch nie einen Mann in so einem Mordrausch gesehen wie ihn. Er hat allein drei Männer getötet, die sich ergeben wollten.«
»Danke, Menma.«
Der junge Mann nickte und ging wieder zu seiner Frau zurück.
Fidelma schwieg eine Weile. Eadulf wartete darauf, daß sie etwas sagte.
»Kein gutes Zeichen für einen Tanist, bei einer Auseinandersetzung derart die Kontrolle zu verlieren. Allerdings hört man manchmal von Kriegern, denen es so ergangen ist. Der Krieg ist eine schreckliche Sache.«
»Aber das hier war kein Krieg«, stellte Eadulf klar. »Ein erfahrener Anführer sollte ein Dutzend Männer umzingeln und gefangennehmen können, ohne gleich zu einem rasenden Schlächter zu werden.«
»Da ist was dran, Eadulf«, stimmte ihm Fidelma zu. »Wir sollten Becc über Accobrans Verhalten klaren Wein einschenken. Auch seinen derbfhine, falls Accobran wirklich Beccs Nachfolge antreten will. Aber wo sind wir stehengeblieben? Ach ja, kein Wort über die Höhle bis auf weiteres.«
»Gut. Doch unter uns, was hat das zu bedeuten? Warum suchen die Ui Fidgente nach dieser Mine? Sie können unmöglich darauf hoffen, dort Gold abzubauen, man würde sie gewiß recht bald entdecken. Für mich ergibt die Sache keinen Sinn.«
»Du hast recht, Eadulf. Wir wissen da einiges noch nicht, auch wenn für mich langsam ein Bild entsteht.«
»Da siehst du mehr als ich.« Eadulf seufzte.
»Wir sollten etwas essen. Dann werden wir mit Bruder Dangila reden und schließlich den schlauen Liag noch einmal aufsuchen.«
Eadulf war einverstanden. »Ich verstehe, warum wir Bruder Dangila verhören wollen, doch alles andere ist mir ein Buch mit sieben Siegeln.«
Nach dem Essen ritten sie zur Abtei des heiligen Finnbarr. Plötzlich rannte ihnen ein kleiner Junge fast vor die Pferde. Es war Sioda.
»Hallo, Schwester«, begrüßte der Junge Fidelma freundlich.
»Genau dich wollte ich sprechen«, sagte Fidelma lächelnd. »Würdest du dir gern einen screpall verdienen?«
»Was muß ich tun?« fragte er und blickte sie mißtrauisch an.
Sie griff in ihr marsupium, zog eine Münze heraus und hielt sie hoch. »Eine Frage beantworten. Erinnerst du dich an das Stück Gold, das du gefunden hast?«
Der Junge verzog den Mund. »Das falsche Gold?« »Du hast es auf dem Hügel in der Nähe des Steinkreises der Wildschweine gefunden, nicht wahr?«
Der Junge nickte.
»Doch Gobnuid meinte, es sei nicht echt.«
»Ja«, stimmte ihm Fidelma zu. »Kannst du uns die Stelle genauer beschreiben? War es in der Höhle auf dem Hügel, direkt oberhalb des Steinkreises?«
»Nein«, erwiderte der Junge.
»Wo dann?«
»Es lag auf dem Weg. Auf dem alten Weg, der zur Abtei führt und am Steinkreis vorbeiläuft.« Der Junge sah sich verstohlen um. »Erzähl bloß nicht meinen Eltern, daß ich dort gespielt habe. Das darf ich nämlich nicht.«
»Auf dem Weg zur Abtei?« fragte Fidelma nachdenklich.
»Bist du dir da ganz sicher?« wollte Eadulf wissen.
»Da, wo der Weg an den alten Felsen vorbeiführt. Ich kenn mich sehr gut aus. Dort hat Accobran im Sommer Beccnat angeschrien. Genau da habe ich den Goldklumpen gefunden.«
Fidelma starrte den Jungen an.
»Accobran hat Beccnat angeschrien? Wieso das?«
Gleichgültig hob der Junge seine schmalen Schultern. »Du weißt schon, wie die Erwachsenen eben sind. Einen Moment schreien sie sich an, im nächsten küssen sie sich.«
»Sie haben sich geküßt?«
»Sagte ich doch, oder?«
»Und an die Stelle erinnerst du dich ganz genau?« fragte Fidelma noch einmal eindringlich. »Wann war das? Im Sommer, hast du gesagt. War das um das Lughnasa-Fest herum?«
»So ist es.«
»Hast du Gobnuid den Fundort verraten?«
Der Junge schüttelte den Kopf. »Von dem Gold? Nein, nicht genau.«
»Was meinst du damit?«
»Nun, als ich es noch für wertvoll hielt, da wollte ich nicht, daß jemand anderes die Stelle kennt, könnte ja sein, er sucht dort. Ich habe Gobnuid gesagt, es lag weiter unten am Hügel. Näher zur Abtei hin.«
Fidelma lächelte und reichte dem Jungen die Münze. »Sioda, von unserer Unterhaltung verrätst du niemandem etwas.«
Der Junge warf die Münze vergnügt in die Luft.
»Von welcher Unterhaltung, Schwester?« fragte er lachend. Er drehte sich um und verschwand im Wald.
Eadulf blickte seine Gefährtin ein wenig verwirrt an. »Und was nützt uns das?«
»Das heißt doch, daß Gobnuid die Stelle nicht genau kannte. Von der Höhle muß er aus anderer Quelle erfahren haben. Außerdem wissen wir nun, daß Ga-bran recht hatte - zwischen Beccnat und unserem schönen, blutrünstigen Tanist war etwas im Gange. Sioda hat sie zusammen dort gesehen, wo man Becc-nat später fand, und es war auch um die Zeit herum, zu der sie umgebracht wurde.«
»Willst du damit sagen, daß Accobran Beccnat ermordet hat?« fragte Eadulf erstaunt.
»Wir wissen immer noch zuwenig. Doch jeder kleinste Lichtschimmer ist von Nutzen, wenn man im Finstern herumtappt, Eadulf«, erwiderte sie ernst.
»Woher willst du wissen, wo es langgeht? Ich muß gestehen, daß ich die Dinge weniger klar sehe als zu Anfang. Da waren wir mit den Morden an drei Mädchen konfrontiert. Alle fanden bei Vollmond den Tod. Offensichtlich die Tat eines Wahnsinnigen, eines Kranken. Dann wurden wir von Bebhails Mord an Lesren abgelenkt. Es kam mir logisch vor, daß diese Tat nur entfernt etwas mit den anderen Morden zu tun hatte. Doch nun dieser Überfall der Ui Fidgente, die Goldmine und so weiter . Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich von alldem halten soll.«
»Ich glaube, unser nächster Gesprächspartner bringt uns der Lösung des Rätsels näher«, sagte sie.
»Bruder Dangila?«
Fidelma nickte.
Als sie bei der Abtei des heiligen Finnbarr angelangt waren, sah Fidelma eine vertraute Gestalt, die gerade fortreiten wollte. Sie blieb stehen und wartete darauf, daß der Mann an ihr vorbeiritt.
»Bruder Tüan, nicht wahr?«
Der eulengesichtige Mönch begrüßte sie lächelnd. »Schwester Fidelma. Hast du den Fall bald gelöst?«
»Es gibt jede Menge Schwierigkeiten«, gestand sie. Dann zeigte sie auf Bruder Eadulf und stellte ihn vor.
»Ich habe schon von Bruder Eadulf, dem Angelsachsen, gehört«, sagte der Verwalter des Klosters Molaga freundlich. »Also kommst du nicht recht voran?« fuhr er fort.
Ihre Mundwinkel sanken ein wenig nach unten. »Mein Mentor, Brehon Morann, hat immer gesagt, einfache Wege erfordern die meiste Aufmerksamkeit, denn dort trifft man auf mehr Fußangeln als auf Wegen, die schwierig erscheinen.«
»Zweifellos hat er da recht«, bestätigte ihr Bruder Tüan.
»Da wir gerade von Wegen reden, ich bin froh, daß sich die unseren hier gekreuzt haben. Erinnerst du dich daran, worüber wir uns das letztemal unterhalten haben? Du hattest angedeutet, daß Accobran die drei Fremden ermuntert hat, das Kloster Molaga zu verlassen und in die Abtei des heiligen Finnbarr zu ziehen.«
Bruder Tüan nickte. »Ich bin froh, daß du sagst, ich hätte es angedeutet, denn beschwören könnte ich es nicht. Accobran ist kurz nach dem Lughnasa-Fest wieder zur Festung zurückgekehrt. Bald darauf sind auch die drei Fremden hier in der Abtei erschienen.«
»Aber du hast mir erzählt, daß Accobran sich mit ihnen unterhalten hat, als er bei euch war?«
»Ja, das hat er.«
»Weißt du vielleicht, worüber?«
Bruder Tüan lächelte leicht. »Ich habe nicht alle ihre Gespräche mitverfolgen können, das einzige Gespräch, das ich mit angehört habe, war ziemlich unerheblich. Deshalb habe ich nur vermutet, daß es mit ihrem Umzug von Molaga hierher zu tun gehabt hat.«
»Was hast du denn mitgekriegt?«
»Ziemlich Belangloses, wie ich schon sagte. Einer der Fremden berichtete Accobran von ihrer Heimat und welchen Tätigkeiten sie nachgingen, ehe sie Mönche wurden, und so weiter.«
»Accobran spricht ein wenig Griechisch, ich weiß. Wurde die Unterhaltung auf griechisch geführt?«
Bruder Tüan nickte. »Accobran hat im Kloster Mo-laga studiert und kann daher ein wenig Griechisch. Zu Beginn war dies die einzige Möglichkeit, sich mit den Fremden zu verständigen. Sicherlich habe ich das schon erwähnt. Später habe ich versucht, ihnen etwas von unserer Sprache beizubringen.«
»Weißt du, welchen Geschäften Accobran im Hafen von Molaga nachging?«
Nachdenklich rieb sich der Verwalter das Kinn. »Ich glaube, daß es um Waren ging, mit denen die Ci-nel na Äeda handeln. Er wartete auf ein Schiff, das etwas mitnehmen sollte. Felle, wie ich glaube.«
»Also hat er sich eine gewisse Zeit unter den Kaufleuten im Hafen aufgehalten?«
»Vermutlich.«
»Der Seehandel spielt eine wichtige Rolle für das Kloster Molaga. Weißt du noch, welche Schiffe damals im Hafen vor Anker lagen?«
Bruder Tüan lachte belustigt auf. »Das wäre ein Wunder. Zu dieser Jahreszeit blüht der Handel. In den Sommermonaten, insbesondere zu Lughnasa, müssen die Schiffe manchmal weit draußen warten, ehe sie im Hafen ihre Fracht entladen oder neue aufnehmen können. Als Verwalter notiere ich mir jedoch, mit welchen Schiffen wir zu tun hatten.«
Leise seufzte Fidelma. Sie hatte geahnt, daß es nicht leicht sein würde, doch sie hatte Hoffnung gehabt. Bruder Tüan sah erheitert in ihr enttäuschtes Gesicht.
»Es tut mir leid, wenn ich dir nicht weiterhelfen kann. Um die Wahrheit zu sagen, ich kann mich nur an ein Schiff genau erinnern, das damals im Hafen lag. Es nahm Ware vom Kloster Molaga zur Abtei Eas Geiphtine mit.«
»Zur Abtei am Wasserfall von Geiphtine? Das ist eine kleine Bucht am Fluß Sionnain. Das liegt doch auf dem Territorium der Ui Fidgente, nicht wahr?«
Der Verwalter schien überrascht über ihre geographischen Kenntnisse.
»Die Ui Fidgente sind kein Volk ohne Religion«, erinnerte er sie, denn er wußte ihr Interesse nicht anders zu deuten. »Wir haben häufig Kontakt zu der genannten Abtei. Ich kenne Bruder Coccan, der ihr vorsteht, sehr gut.«
»Mich interessiert eigentlich nur, ob dieses Handelsschiff aus Molaga ausgelaufen ist, während Accobran dort war. Könntest du das bestätigen?« fragte Fidelma.
Bruder Tüan runzelte die Stirn, denn er versuchte ihre plötzliche Wißbegierde zu begreifen.
»Ich weiß ganz sicher, daß wir Bruder Coccan verschiedene Waren geschickt haben. Und das war tatsächlich zu dem Zeitpunkt, als sich der Tanist der Ci-nel na Äeda bei uns aufhielt und nach einem Schiff suchte, das eine Ladung Felle nach Ard Mhor bringen sollte.«
»Weißt du auch, ob er mit dem Kapitän gesprochen hat, der die Waren zur Abtei bei Geiphtine befördern sollte?«
»Das ist gut möglich. Aber Geiphtine liegt doch genau in entgegengesetzter Richtung von Ard Mhor. Warum fragst du?«
»Das mußt du nicht verstehen«, erwiderte Fidelma. »Ich bin diejenige, die Verschiedenes zusammentragen muß. Solange du meine Frage ehrlich beantwortest, mußt du dir keine Gedanken machen, Bruder Tüan«, erklärte sie ruhig.
Der Verwalter rümpfte verärgert die Nase. »Ich will mich ganz gewiß nicht in die Angelegenheiten einer dalaigh einmischen.«
»Das weiß ich«, erwiderte Fidelma ernst. »Und wir wollen dich auch nicht länger aufhalten. Vielen Dank für deine Hilfe, Bruder.«
Bruder Tüan schaute einen Moment verwirrt drein.
»Deus vobiscum«, murmelte er. Dann ritt er, ohne auf eine Antwort zu warten, davon.
Bruder Eadulf sah ihm verwundert hinterher.
»Versuchst du nun herauszufinden, ob Accobran beim Auftauchen der Ui Fidgente hier die Hand im Spiel hatte?« fragte er Fidelma nach einer Weile.
»Das weiß ich längst, direkt oder indirekt«, antwortete Fidelma. »Bisher hatte ich nur keine Ahnung, auf welche Weise die Ui Fidgente davon erfahren haben.«
»Wovon?«
Fidelma stieß einen kleinen, ungeduldigen Seufzer aus. »Ich meine ihre Kenntnisse über das Eberdik-kicht.«
»Du willst doch wohl nicht behaupten, daß der Überfall etwas mit dem Gold dort zu tun hat?«
»Davon gehe ich sogar aus. Doch wir wollen nichts überstürzen. Ach, da ist ja Bruder Solam«, sagte sie und blickte auf den blonden jungen Verwalter der Abtei. »Jetzt werden wir auch Bruder Dangila finden.«
Kurz darauf traf Bruder Dangila im Klostergarten auf sie. Er verneigte sich feierlich und ließ sich auf einer Bank gegenüber nieder. Fidelma und Eadulf selbst saßen bereits unter einem Apfelbaum. Der Tag war warm, und die Oktobersonne am wolkenlosen Himmel lud zum Verweilen ein.
»Wie man mir sagte, willst du mit mir sprechen, Schwester«, sagte Bruder Dangila in seinem melodischen Griechisch.
»So ist es. Woher kennst du den Heilkundigen Liag?«
Der Fremde verzog keine Miene. Er zögerte.
»Er ist eine alte Seele. Ich bin mir sicher, daß er auf dieser Erde schon mehrere Leben hatte«, erwiderte er schließlich. »Vielleicht sind wir einander früher schon einmal begegnet.«
Fidelma machte rasch eine abweisende Geste mit der Hand. »Bleiben wir bei diesem Leben und an diesem Ort.«
Bruder Dangila sah sie unerschüttert an. »In diesem Leben, zu dieser Zeit und an diesem Ort ist mir Liag begegnet, als ich draußen das große Wunderwerk der Gestirne betrachtete. Er teilt dieses Interesse mit mir, und wie ich bereits erwähnte, ist es auch das Interesse meiner Gefährten. Es ist der Grund unseres Hierseins. Wir studieren die Handschriften Aibhistins.«
»Seid ihr wirklich nur deshalb hier?« fragte Fidelma betont streng.
Zum erstenmal wirkte der Aksumiter unsicher. Er antwortete nicht sofort.
»Du hast mir erzählt, daß du in den Bergwerken deines Landes gearbeitet hast, ehe du Mönch wurdest«, sagte Fidelma. »In den Goldminen.«
Bruder Dangila seufzte. »Schwester, du bist sehr hartnäckig.«
»Lassen wir einmal den Bergbau beiseite«, fuhr Fidelma sehr zu Eadulfs Verwunderung fort. Er hatte Mühe, ihren Gedankengängen zu folgen. »Reden wir von etwas anderem.«
»Worüber?« fragte Bruder Dangila ein wenig überrascht.
»Hat man dich einmal aufgefordert, vor Liags Schülern zu sprechen?«
»Du meinst die Kinder und Jugendlichen, die er in Sternenkunde unterrichtet?«
»Ja.«
»Ich glaube, du kennst die Antwort schon. Einmal hat sich ein junges Mädchen an mich gewandt.«
»Wie hieß sie?«
»Ich kann mich an die hier gebräuchlichen Namen nur schwer erinnern.«
»In welcher Sprache habt ihr euch unterhalten?« wollte Eadulf nun wissen. »Etwa griechisch? Schließlich hattest du ja keine andere Möglichkeit.«
»Ein wenig beherrsche ich eure Sprache, wenn auch nur unvollkommen. Als mir das Mädchen erklärt hatte, was sie wissen wollte, konnte ich ihr immerhin verständlich machen, daß ich ihr nicht weiterhelfen könnte.«
»Und in welcher Sprache hast du dich mit Liag unterhalten?« fragte Fidelma.
»Der Alte kann Griechisch. Das wußtest du doch sicher, oder?«
Fidelma schüttelte den Kopf. »Das war mir nicht bekannt. Doch es überrascht mich nicht. Sagt dir der Name Escrach etwas?«
Bruder Dangila schüttelte den Kopf.
»Hast du das Mädchen, das dich über die Sternen-lehre befragen wollte, später noch einmal getroffen? Sagen wir in der Vollmondnacht des letzten Monats?«
»Nein.«
»Doch in dieser Vollmondnacht bist du auf dem Hügel gewesen.« Sie deutete auf das Eberdickicht. »Du warst mit Accobran dort.« Sie hatte das als Feststellung und nicht als Frage formuliert.
Bruder Dangila blickte ihr ins Gesicht, schwieg aber.
»Ist dir bewußt, daß du mir deine Geschäfte mit Accobran offenlegen mußt?« fragte sie.
»Was sein muß, muß sein. Falls ich gegen eure Gesetze verstoßen habe, so tut es mir aufrichtig leid. Doch weder ich noch meine Gefährten haben die drei Mädchen umgebracht, wie manche hier behaupten.«
Fidelma stand auf. »Ich werde dir und den anderen beiden Brüdern mitteilen, wann die offizielle Anhörung in dieser Angelegenheit stattfindet. Bis dahin rate ich dir noch einmal, ja, ich warne dich, nicht den Schutz dieser Abtei zu verlassen.«
Als sie entlang des Flußufers durch den Wald ritten, sagte Eadulf: »Dieser Fall ist für mich völlig undurchschaubar. Früher war mir zumindest immer die Richtung klar, die wir einzuschlagen hatten. Doch hier folgt ein Verwirrspiel dem nächsten.«
»Weil wir es mit mehreren rätselhaften Dingen gleichzeitig zu tun haben und nicht nur mit einem einzigen. Mein Verdacht geht dahin, daß sie alle irgendwie zusammenhängen. Ich bin mir ganz sicher, über kurz oder lang stehen wir vor der Lösung.«
Überraschenderweise trafen sie Liag am Fluß. Er saß mit einer Angel auf einem Felsen. Als sie ihre Pferde an einem niedrig hängenden Ast eines Baumes festbanden, hob er nur ein wenig den Kopf.
»Sprecht leise, sonst vertreibt ihr die Fische«, sagte er, als sie auf ihn zukamen.
»Suchst du nach dem Lachs des Wissens, Liag?« fragte Fidelma ein wenig boshaft. Sie ließ sich auf einen großen Stein nieder.
Gleichmütig erwiderte der Alte. »Für eine Forelle wird es langen, der Lachs ist ein recht edler Fisch.
Doch ich fürchte, daß eine gewisse dalaigh die Eigenschaften des Fintan eher benötigt.«
Eadulf verstand nicht, was er damit sagen wollte. Also bat er um eine Erklärung.
»Das ist eine alte Legende, mein sächsischer Freund. Fintan, ein großer Lachs, aß von der verbotenen Haselnuß des Wissens, bevor er in einen großen Fluß nördlich von hier schwamm, der den Namen der Göttin der Kühe trägt, Boann. Der Druide Finegas fing eines Tages diesen Lachs, von dem man wußte, daß er das ganze Wissen der Welt besaß. Doch vor der Mahlzeit wollte sich Finegas ausruhen und beauftragte darum seinen jungen Gehilfen Fionn, den Sohn von Cumal, damit, den Spieß mit dem Fisch im Feuer zu wenden, verbot ihm jedoch, davon zu essen. Plötzlich verbrannte sich Fionn den Daumen an dem heißen Fisch und saugte den Saft weg. So gelangte er zu großer Weisheit. Er wurde zum heldenhaften Anführer der Fianna, der auserwählten Schar wilder Krieger und Jäger der Großkönige.«
Eadulf rümpfte dazu nur die Nase.
»Wir interessieren uns nicht für alte Volksmärchen«, bemerkte er geringschätzig.
Liag blickte Fidelma an.
»Wirklich nicht?« fragte er freundlich.
»In gewisser Weise schon«, sagte Fidelma. »Ich würde gern mehr erfahren über alte Sagen und dein Wissen über die Gestirne.«
Liag nickte bedächtig. »Das dachte ich mir schon. Diese Dinge habe ich viele Generationen von Menschen gelehrt.«
»Stimmt es, daß auch die drei Mädchen zu deinen Unterweisungen kamen?«
»Und viele andere ebenfalls.«
»Etwa Accobran?«
»Ja, auch Accobran, Menma, Creoda, Gabran und sogar ihre Väter früher. Man kann sie gar nicht alle aufzählen.«
»Sogar Bruder Dangila teilt deine Interessen, wie ich hörte. Ich wußte nicht, daß du Griechisch sprichst.«
»Ein Mensch in meinem Beruf muß viele Sprachen beherrschen, Fidelma, so wie du.«
»Wie ist deine Beziehung zu Bruder Dangila?«
»Er ist ein intelligenter Mann, ein Gelehrter seines Volkes. Wir treffen uns und unterhalten uns über die Himmelskörper, denn die sind wie Landkarten der Zivilisation. Die Menschen schauten zum Himmel empor und lernten vieles. Wann man aufstehen und arbeiten oder zu Bett gehen und schlafen muß. Als der Mensch die Bewegung der Gestirne erkannte, merkte er, daß sie ihm Auskunft über die Zeit geben konnten, über das Ausbringen der Saat und die Einfuhr der Ernte, wann man Wärme und Kälte zu erwarten hatte oder wann die Tage länger oder kürzer wurden. All diese Dinge lassen sich einzigartig vom Himmel ablesen, wenn wir es nur beherzigen würden, wie es unsere Vorfahren einst taten.«
Für den alten, sonst so wortkargen Heilkundigen war das eine lange Rede.
»Du und Bruder Dangila, ihr verfügt also über die gleichen Kenntnisse?«
»Unser Wissen ist ganz unterschiedlich, wo wir doch aus verschiedenen Ländern und Kulturen stammen.«
»Hast du Escrach geraten, sich an ihn zu wenden?«
Liag schwieg nachdenklich. »Escrach war eine vielversprechende Schülerin. Man darf sie nicht mit ihrem Onkel Brocc vergleichen. Ich habe ihr nicht geraten, sich an Dangila zu wenden, doch ich erwähnte ihr gegenüber ein paar wundersame Sachen, die er wußte. Sie ist von sich aus zu ihm gegangen. Ich habe gehofft, daß sie eines Tages auf eine dieser nichtchristlichen Schulen gehen und von ...«
»Von Druiden unterrichtet werden würde?« warf Eadulf vorwurfsvoll ein.
Liag sah ihn spöttisch an. »Jemand, der meine Ansichten teilt, wird niemandem eine Schule des neuen Glaubens empfehlen, wo sich der Geist bei engstirnigen Lehren nicht frei entfalten kann. Escrach sollte sich in einer offeneren Welt entwickeln.«
»Aber sie hat sich mit Bruder Dangila nicht richtig unterhalten können.«
»Es überraschte mich schon, als sie mir erzählte, daß sie mit Bruder Dangila ein Gespräch gesucht hatte.«
Fidelma sah ihn an. »Also hat sie erst ihn getroffen und hinterher dich?«
»Habe ich das nicht gesagt?«
»Wann war das?«
»Mehrere Tage vor Vollmond, wenn du das wissen willst. Nein, Dangila hat sie nicht umgebracht. Sie sagte mir, daß sie spazieren war und Bruder Dangila gesehen hat. Also ist sie auf ihn zugegangen und hat versucht, von ihm etwas über die Eigenschaften des Mondes zu erfahren. Zum Beispiel wie der Mond die Bewegung der Meere beeinflußt, die Gezeiten an unseren Ufern bestimmt. Das wollte sie unbedingt wissen. Doch ihre Sprachkenntnisse reichten dazu nicht aus.«
»Und so kam sie einige Tage vor ihrem Tod zu dir und berichtete davon?«
»So war es. Ich versprach ihr, bald Bruder Dangila einzuladen, vor unserem kleinen Kreis seine Ansichten zu erklären. Ich hätte seinen Vortrag den anderen übersetzt.«
»War sie einverstanden?«
»Natürlich. Ein paar andere äußerten Einwände gegen die Einladung. Sie hatten vor ihm Angst.«
»Wer befand sich zu dieser Zeit gerade in deinem Kreis?«
»Ballgel, Escrach, Gabran und Creoda. Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht, als ich die Macht des Wissens so sehr betonte. Daß unsere Bezeichnungen für den Mond und seine Erscheinungsform als Göttin und Beherrscherin unseres Schicksals uns gehörten und nicht Außenstehenden. Was ich damit sagen wollte, war, daß die Macht, die Namen auszusprechen und direkt mit der Macht in Verbindung zu treten, den Eingeweihten aller Völker gehören sollte. Sie hatten mich aber so verstanden, daß das nur den Cinel na Äeda vorbehalten sein sollte. Deshalb lehnten sie es ab, daß Bruder Dangila mit unserer Gruppe Kontakt aufnahm.«
»Accobran hat doch auch zu deiner Gruppe gehört, nicht wahr? Du hast ihn aber nicht erwähnt. Was meinte er denn dazu?« fragte Fidelma.
»Accobran war .«
Da ertönte auf einmal der lange, klagende Ton eines Horns. Er wiederholte sich, nun wirkte er noch dringlicher. Fidelma hob verwundert den Kopf.
»Das kam von Rath Raithlen her«, murmelte Eadulf besorgt und blickte zu dem Hügel, der von Bäumen fast verdeckt war. »Was hat das zu bedeuten?«
»Das ist ein Alarmsignal«, erklärte der alte Liag, stand ruhig auf und holte seine Angel ein. »Das habe ich schon viele Jahre nicht mehr gehört. Gewöhnlich bläst man auf diese Weise ins Horn, wenn das Gebiet von Feinden angegriffen wird und sich die Leute in der Festung versammeln sollen.«
Eadulf sprang auf die Beine. »Die Ui Fidgente. Darauf wette ich einen screpall.«
Liag wandte sich mit verbittertem Gesicht zu ihm hin. »Ich fürchte, du wirst niemanden finden, der mit dir wettet. Nach dem gestrigen Angriff könnte das nun die Rache für Accobrans übertriebene Brutalität sein.«
Fidelma und Eadulf stiegen bereits auf die Pferde.
»Wir werden zur Festung zurückreiten. Für manch einen könnte ein Angriff der Ui Fidgente eine günstige Gelegenheit sein, selber böse Machenschaften voranzutreiben«, erklärte sie dem alten Heilkundigen.
»Wollen wir hoffen, daß sich das nicht bewahrheitet«, erwiderte er, als sie fortritten.
Kapitel i6
»Unsere Späher berichten, daß ein sluaghadh der Ui Fidgente an unserer Grenze sein Lager aufgeschlagen hat«, erklärte Becc, als Fidelma und Eadulf in die Halle stürmten und nach dem Grund für das Hornsignal fragten. Der in eine Rüstung gekleidete Fürst war von mehreren Gefolgsmännern umgeben. Accobran befand sich nicht unter ihnen.
»Ein sluaghadh?« fragte Eadulf, dem die militärischen Bezeichnungen der Iren nicht geläufig waren.
»Ein Trupp von Kriegern«, erläuterte Fidelma rasch. »Weißt du, wie groß das Lager ist?« fragte sie Becc.
»Nicht sehr groß, aber immer noch zu groß für uns. Die Späher meinen, daß der Trupp wie ein lucht-tighe aussieht, ein Haufen von nicht mehr als achtzig Kriegern. Doch ich bezweifle, daß wir im Augenblick zwanzig Männer aufbringen können. Deshalb habe ich Accobran befohlen, das Alarmsignal zu blasen.«
»Es war nicht sonderlich klug von ihm, sich nicht darum zu kümmern, ob die Angreifer von gestern die Vorhut eines größeren Trupps waren«, äußerte Fidelma. »Jetzt wissen wir es. Zweifellos wollen sie Rache für ihre umgekommenen Gefährten nehmen.«
Becc war offensichtlich sehr besorgt. »Was können wir tun? Wir sind vor allem Bauern und Holzfäller, wir haben nur wenige Krieger unter uns. Wenn der Trupp der Ui Fidgente allein aus Kriegern besteht, haben wir keine Chance gegen sie.«
In dem Augenblick trat Accobran geräuschvoll ein. Sein Blick war finster.
»Hast du es schon gehört?« fragte Becc.
Der Tanist nickte kurz. »Vermutlich kann ich fünfunddreißig Männer gegen sie aufstellen, doch davon sind bisher nur ein Dutzend kampferprobt. Vielleicht können wir die Ui Fidgente aufhalten, bis wir aus anderen Landesteilen mehr Männer zusammengetrommelt haben.«
»Wo befinden sie sich jetzt?« wollte Fidelma wissen.
»Nicht mehr als eine Meile von hier entfernt, vielleicht sogar weniger«, antwortete Becc.
»Wir könnten sie irgendwo in einen Hinterhalt locken«, schlug Accobran vor. »Wir können sie töten, ehe sie es mitbekommen.«
»Und wenn das nicht klappt?« erkundigte sich Fidelma. »Bist du auf das Risiko vorbereitet, dein Volk ohne Schutz und Verteidigung zu lassen? Das ist keine gute Entscheidung für einen Tanist.«
»Wie lautet dein Vorschlag, Fidelma?« fragte Becc mit ruhiger Stimme.
»Wir suchen sie auf, reden mit ihnen und finden heraus, weshalb sie hier sind und was sie für Forderungen haben. Dann können wir uns überlegen, ob wir die Angelegenheit vielleicht durch eine Übereinkunft statt mit Blutvergießen beenden können.«
Accobran lachte laut auf. »Das ist die Antwort einer Frau und nicht die eines Kriegers.«
Becc drehte sich mit düsterem Gesicht zu seinem Tanist um. »Denk daran, mit wem du sprichst, Accobran. Und denk daran, daß einige unserer größten Krieger Frauen waren. Die Zauberin Scathach hat unseren mythischen Stammeshelden Cüchulainn in ihrer Schule der Kriegskünste ausgebildet. Und war nicht auch Creidne eine Frau, eine der grausamsten Kriegerinnen der Fianna? Hat nicht Medb von Connacht die Kriegerin Erni dazu auserwählt, ihre Schätze zu bewachen? Und hier, unter den Eoghanacht, war nicht Mughain Mhor unsere größte Königin und Heerführerin? Schäm dich, Accobran, daß du dein Erbe so rasch vergißt, daß du dein Volk mit so gedankenlosem Geschwätz beleidigst!«
Der Tanist errötete vor Zorn, schwieg aber.
Becc blickte Fidelma entschuldigend an. »Du hast recht, Cousine. Wir sollten zuerst friedlich verhandeln, ehe wir den Weg des Kummers und Blutvergießens einschlagen.«
»Gut. Vielleicht ...«
Da wurde die Tür aufgestoßen, und der Verwalter eilte atemlos herein.
»Becc!« rief er, ohne sich für sein unangemeldetes Eindringen zu entschuldigen. »Ein Reiter ist draußen vor den Festungstoren. Er trägt das meirge, das Banner der Ui Fidgente.«
Accobran griff mit der Hand nach dem Heft seines Schwertes und stürzte zur Tür.
»Das erledige ich«, rief er. »Schlagt Alarm!«
»Halt!« gebot ihm Fidelma. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, Accobran?« Nachdem sich alle Augenpaare auf sie gerichtet hatten, sagte sie zu Adag: »Ich vermute, daß dieser Reiter ein Bote der Ui Fid-gente ist, oder?«
Der Verwalter nickte rasch. »Er ist ein techtaire, der unserem Fürsten eine Botschaft überbringen will.«
Fidelma schaute Becc ernst an. »Das erspart es uns, loszureiten und nach den Ui Fidgente zu suchen. So wollen wir diesen techtaire empfangen und herausfinden, was der Kriegstrupp hier will.«
Sie verließen die Halle des Fürsten und gingen auf den Hof hinaus. Dort standen einige von Beccs Kriegern mit gezückten Schwertern nervös vor einem Reiter. Der saß hoch zu Roß und hatte nichts Bedrohlicheres bei sich als ein rotes Seidenbanner, auf dem ein Wolf, ein altes Symbol seines Volkes, abgebildet war. Er trug langes Haar und einen buschigen blonden Bart. Seine eng stehenden, leuchtenden Augen betrachteten ungerührt den Fürsten und sein Gefolge.
»Ich bin Becc, Stammesfürst der Cinel na Äeda«, verkündete Becc und baute sich vor dem Abgesandten auf.
»Ich grüße dich, Becc. Ich bin hier als die Stimme von Conri, dem König der Wölfe, dem Kriegsfürsten der Ui Fidgente.«
»Ich grüße dich, Bote der Ui Fidgente«, erwiderte Becc daraufhin. »Was tust du so fern deiner Heimat?«
»Mir wurde aufgetragen, folgendes zu sagen: Conri hat dieses Land mit einer sluaghadh eher aus Kummer als in Zorn betreten. Er hat sein Lager an einem Ort aufgeschlagen, den ihr das Birkenmoor nennt. Dort erwartet er dich oder deine Abgesandten, um zu besprechen, unter welchen Bedingungen er das Gebiet der Cinel na Äeda ohne Blutvergießen wieder verlassen kann.«
Becc senkte den Kopf. »Warum sollte dein Fürst in Betracht ziehen, hier Blut zu vergießen?«
»Im Falle dieser Frage wurde mir aufgetragen zu antworten, daß sich unsere sluaghadh auf der Reise in das Land der Corco Loigde befindet, wo wir zu Wettkämpfen eingeladen sind.«
Die meisten der größeren Fürstentümer veranstalteten jedes Jahr Wettspiele, um sich auf die drei großen Festivals in Tailltenn, Tlachtga und Uisneach vorzubereiten. Es wäre nicht ungewöhnlich, daß der Herrscher der Corco Loigde eine Gruppe von jungen Männern der Ui Fidgente einlud, um an den dortigen vorbereitenden Spielen teilzunehmen. Der Bote sprach weiter.
»Als wir uns in der Nähe der Grenze zu eurem Land vorwärts bewegten, da sonderte sich eine kleine Vorhut ab, kehrte aber nicht zurück. Wir sandten Männer aus, sie zu suchen, doch sie stießen nur auf die Leichen unserer Leute - man hatte alle ermordet. Die tödlichen Pfeile trugen die Zeichen der Cinel na Äeda. Ein paar der Männer sind auch von Schwerthieben getötet worden. Viele hatten im Rücken Einstiche, die uns deutlich machten, auf welche Weise man sie hinmetzelte. Und so, Fürst der Cinel na Äeda, ist beschlossen worden, daß unsere sluaghadh die ursprüngliche Route zu den Corco Loigde ändert und dein Gebiet betritt, um eine Erklärung zu verlangen. Wir werden sehen, ob uns diese Erklärung gestattet, in Frieden weiterzuziehen, oder ob sie uns dazu zwingt, digal zu verlangen - Blutrache.«
Fidelma runzelte die Stirn. Sie versuchte, nicht zu zeigen, wie sehr sie die Tatsache empörte, daß Accobran sich nicht die Mühe gemacht hatte, die Toten der Ui Fidgente zu begraben, sondern sie den Elementen und den Raubtieren überlassen hatte.
»Racheakte lehnt der neue christliche Glaube ab«, wandte sie mit entschlossener Stimme ein.
Der Abgesandte blickte sie an, als wolle er diese Ansicht strikt zurückweisen. »Alle Angehörigen des geistlichen Standes würden das natürlich behaupten. Doch in dem Crith Gablach steht geschrieben, daß die Blutrache rechtmäßig ist und eine Gruppe von Kriegern sie verüben darf auf dem Gebiet jener, die ihnen Schaden zugefügt haben.«
Fidelma lächelte finster über diese Lektion in Sachen Recht.
»Doch das Gesetz sagt auch, daß Blutrache erst einen Monat nach dem Scheitern von Verhandlungen über Entschädigungen geübt werden darf und wenn die Schuld erwiesen ist«, entgegnete sie schnell.
Das Gesicht des Boten verzog sich höhnisch. Er wollte schon etwas einwenden, da sagte Becc aufge-bracht: »Sei vorsichtig, techtaire. Du stehst einer dalaigh gegenüber.«
Einen Augenblick lang zögerte der Bote, dann sagte er: »Ich bin nicht hergekommen, um die Rechtslage zu erörtern, sondern um euch die Absichten meines Herrn mitzuteilen. Er erwartet dich, Becc, oder deine Abgesandten im Birkenmoor. Sag mir, Fürst der Cinel na Äeda, wird er vergeblich warten?«
»Du kannst deinem Kriegsfürsten ausrichten, daß es sich für mich als Stammesfürsten nicht geziemt, auf sein Verlangen hin zu erscheinen. Doch ich werde Abgesandte zu ihm schicken mit der Forderung, aus unserem Land ohne Blutvergießen abzuziehen.«
»Mutige Worte. Meine Aufgabe ist damit erfüllt. Nun bist du dran.«
Der Reiter wendete rasch sein Pferd und ritt durch die Festungstore davon.
»Erlaube mir, ihn mit einem Pfeil im Rücken zu seinem Kriegsfürsten zurückzuschicken«, sagte Accobran.
Fidelma drehte sich mit strafender Miene zu ihm.
»Wenn dir weniger am Morden gelegen hätte, Ac-cobran, so wäre es zu dieser Konfrontation nie gekommen«, wies sie ihn zurecht.
»Und Suanach wäre womöglich nicht mehr am Leben«, entgegnete ihr der Tanist.
Becc hob eine Hand, um den Streit zu beenden.
»Kümmern wir uns lieber um den Feind«, sagte er vorwurfsvoll. »Fidelma, dieser Conri ist nur ein Kriegsfürst, und ich als Stammesfürst kann ihn nicht aufsuchen, nachdem er in unser Gebiet eingedrungen ist.«
»Dann sollte ich als Tanist zu ihm gehen!« fuhr Ac-cobran schnell dazwischen.
»Wenn du mit deiner jetzigen Einstellung dort auftauchst, ist weiteres Blutvergießen garantiert«, sagte Fidelma giftig. »Nein, ich werde mich als Mittlerin dorthin begeben.«
Becc schaute sie entsetzt an. »Du bist die Schwester des Königs. Wenn es für mich nicht angemessen ist, dort hinzugehen und mit einem Kriegsfürsten zu verhandeln, so ist es das für dich noch weniger .«
Fidelma fiel ihm ins Wort. »Ich bin als dalaigh hier. Vielleicht könnte sich meine Verwandtschaft zum König bei den Ui Fidgente als nützlich erweisen, denn sie wüßten so, daß sie es möglicherweise noch einmal mit dem Königreich Cashel zu tun bekämen. Die Erinnerung an ihre Niederlage bei Cnoc Äine könnte sie veranlassen, von weiteren überstürzten Aktionen Abstand zu nehmen.«
»Das ist ja, als würde man den Ui Fidgente eine Geisel auftischen«, wandte Accobran gereizt ein.
»Immer noch besser, als ihnen ein Dutzend noch warmer Leichen zu präsentieren. Die Kriegerehre gebietet, die Gefallenen zu respektieren.«
Accobran lief rot an. Becc hob die Hand, damit der Tanist schwieg.
»Ich glaube, du hast recht, Fidelma«, sagte er schließlich. »Aber allein kannst du nicht gehen.«
»Ich werde sie begleiten«, meldete sich Eadulf sofort.
»Ein Repräsentant der Cinel na Äeda sollte jedoch dabei sein«, verlangte Accobran. »Wenn sie schon für uns spricht, woher wissen wir, was sie sagen wird?«
»Willst du damit ausdrücken, daß man mir nicht trauen kann?« fragte Fidelma ruhig, wenn auch in drohendem Ton.
Becc ging zu ihr und legte beruhigend seine Hand auf ihren Arm.
»Accobran hat sich angewöhnt, seine Gedanken sehr impulsiv zu äußern. Das wollte er nicht sagen. Doch er hat schon recht. Mein Verwalter Adag soll dich und Bruder Eadulf begleiten. Dann werden alle Seiten zufrieden sein.«
Der Verwalter schien nicht gerade glücklich darüber, trotzdem sagte er: »Es ist der Wunsch meines Fürsten. Ich stehe zur Verfügung, Lady.«
»Wie werdet ihr vorgehen?« fragte Becc und schritt voraus in seine Halle. Die anderen folgten ihm. Ein Bursche wurde losgeschickt, die Pferde zu satteln.
»Wir müssen erst einmal herausfinden, was Conri vorhat«, erklärte Fidelma. »Wir wissen, daß seine Vorhut zur Hütte von Menma und Suanach kam. Sie haben Suanach entführt und ihr Haus angezündet. Das kann man doch wohl kaum als das Vorgehen von Männern mit friedlichen Absichten bezeichnen, wie es uns der Bote hat weismachen wollen. Wir hingegen müssen bekennen, daß alle diese Krieger der Ui Fidgente umgebracht und nicht gefangengenommen wurden.«
Wütend sagte Accobran: »Sie oder ich. Ich hatte keine Wahl.«
»Willst du behaupten, der Bote hat gelogen, als er sagte, daß einige seiner Leute hinterrücks ermordet wurden?«
»Ob von hinten oder von vorn, das ist doch gleichgültig. Ein Feind ist ein Feind, und wir taten recht daran, diese Brut zu töten.«
»Es könnte sein, daß du für dieses brutale Vorgehen eine Entschädigung zahlen mußt, Becc«, erklärte sie.
»Auf keinen Fall!« rief Accobran voller Zorn.
»Fidelma«, erwiderte Becc, der dem Tanist bedeutete zu schweigen, »es ist legal, einen Dieb auf frischer Tat umzubringen, wenn er sich nicht ergeben will und mit Gewalt droht.«
»Das stimmt. Deshalb wird auch derjenige, der in Notwehr jemand anderen tötet, nicht vom Gesetz verfolgt. Jeder hat ein Recht, sich zu verteidigen. Die Schwierigkeit besteht nur darin, zu beweisen, daß jemand, der hinterrücks erstochen wurde, eine Bedrohung für das Leben des anderen darstellte, der ihn so grausam umbrachte.« Dabei sah sie kurz Accobran an, dessen Blick sich verfinsterte.
»Ich glaube«, meinte Eadulf rasch, als er die Wut in den Augen des Tanist bemerkte, »daß wir die Schuldfrage so lange offenhalten sollten, bis wir wissen, was die Ui Fidgente vorbringen werden.«
»Einverstanden.« Becc seufzte erleichtert. »Es würde uns wohl nicht schaden, wenn wir unterdessen die Festung in den Verteidigungszustand versetzen.«
»Das ist ein weiser Beschluß«, stimmte ihm Fidelma zu. »Du könntest auch versuchen herauszufinden, warum es dem Trupp gelungen ist, sich Rath Raithlen zu nähern, ohne daß Alarm geschlagen wurde. Hast du nicht gestern angeordnet, die Wachen zu verstärken?«
Becc schaute seinen Tanist an. Wieder lief der junge Mann rot an.
»Ich habe sie wieder abgezogen, sobald wir von unserer erfolgreichen Verfolgungsjagd zurück waren.«
Becc sagte dazu nichts. Sein Gesicht war wie versteinert, als er die Befehle zum Sichern der Festung gab. Seine drei Abgesandten ritten inzwischen zum Tor hinaus und den Hügel hinunter. Adag führte sie zum Birkenmoor. Bald wurde ein Lager sichtbar, auf dessen Pfosten rote Seidenbanner mit einem Wolf darauf wehten. Aufmerksame Wächter bemerkten sie, riefen sie an und ließen sie ungehindert zu einer von Bäumen geschützten Stelle neben einem Bach weiterreiten.
Dort standen mehrere Krieger. Fidelma erkannte sofort den Boten, der in der Festung gewesen war. Überrascht sah er sie, Eadulf und Adag an, die nun von den Pferden absaßen und näher traten.
Zwei gefällte Bäume am Ufer dienten als Sitze.
Fidelma ging auf einen Baumstamm zu und nahm Platz. Sie ignorierte die erstaunten Blicke der Ui Fid-gente. Eadulf und Adag taten es ihr gleich. Die sechs Krieger sahen sich verblüfft an. Einen Augenblick lang sagte niemand etwas, dann verkündete Fidelma mit kühler Stimme: »Ich bin hier, um mit Conri zu sprechen. Ich erwarte ihn.«
Ihr Hochmut und ihr gebieterischer Ton verwirrten die Männer noch mehr. Keiner wußte, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte.
Da trat aus einem Zelt, wie es die Anführer im Feld benutzten, ein Mann heraus, ein großer, muskulöser Krieger mit schwarzem Haar, grauen Augen und einer frischen Narbe auf der linken Wange. Als er Fidelma so ungezwungen auf dem Stamm sitzen sah, verfinsterte sich sein Blick. Er ging auf sie zu.
»Ich bin Conri, König der Wölfe, Kriegsfürst der Ui Fidgente«, tönte er grimmig. »Du bist ziemlich arrogant, Schwester. Du vergißt deine Manieren.«
Fidelma sah ihn gelassen an.
»Ich bin Fidelma von Cashel«, erwiderte sie kalt und unnahbar. »Ich bin hier als dalaigh und habe den Rang einer anruth. Deshalb darf ich in Gegenwart eines Königs sitzen bleiben und sogar noch vor ihm das Wort nehmen, und er muß schweigen, bis ich zu Ende gesprochen habe. Ich bin Fidelma von Cashel, Tochter von Failbe Flann, Schwester von Colgü, der zu aller Wohl das Land regiert.«
Conri riß die Augen auf und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Er blickte zu seinem Boten, und Fidelma bemerkte, daß dieser mit ausgestreckten Händen den Kopf schüttelte, als wolle er sagen, nichts von alldem gewußt zu haben.
Conris Staunen wich einer gewissen Bewunderung.
»Du hast Mut, Fidelma von Cashel. Das versichere ich dir. Mut, daß du dich mit nur zwei unbewaffneten Männern in das Lager des Kriegsfürsten der Ui Fidgente wagst, wo doch dein Bruder mein Volk vor zwei Jahren an den Hängen des Cnoc Äine niedergemetzelt hat.«
Fidelma blickte ihn ruhig an. »Vielleicht erinnerst du dich, daß die Truppen der Ui Fidgente es waren, die eine Rebellion anfingen und auf den rechtmäßigen Herrscher von Muman losmarschiert sind. Es waren bewaffnete Truppen, entschlossen zum Sieg. Sie allein waren für ihr Schicksal verantwortlich. Was meinen Mut und den meiner Gefährten betrifft, ist er denn vonnöten, wenn ich deiner persönlichen Einladung folge und unter Einhaltung der Regeln der Gastfreundschaft und der Gesetze der Brehons hier erscheine? Welche Gefahr könnte uns in deinem Lager wohl drohen?«
Diese Frage sollte ihn herausfordern.
Conri starrte sie einen Moment an, dann ging seine bisher harte Miene in ein Lächeln über. Er nahm auf dem anderen Baumstamm ihr gegenüber Platz.
»Du hast recht, Fidelma von Cashel. Dir und deinen Begleitern droht hier keine Gefahr, wenn ihr als Abgesandte kommt.«
»Das ist gut. Vielleicht erklärst du mir als erstes, was euch in dieses Land führt?«
»Aber natürlich. Obwohl auch ich gern wissen würde, wie es kommt, daß du hier bist und für die Ci-nel na Äeda sprichst?«
»Ich bin einer Einladung von Becc, dem Fürsten, gefolgt ...«
»Ich kenne Becc«, unterbrach sie der Kriegsfürst. »Was tust du in seinem Gebiet?«
»Ich bin als dalaigh gerufen worden. Es hat hier etliche grausame Morde gegeben.«
»So haben wir das gleiche Ziel, denn mich hat die Ermordung einiger meiner Männer in Beccs Gebiet gebracht.«
»Ich bezweifle sehr, daß wir das gleiche Ziel haben, Conri«, erwiderte Fidelma ruhig. »Doch berichte mir, was geschehen ist, denn ich kann nicht einfach so hinnehmen, daß die Cinel na Äeda für den Tod deiner Männer verantwortlich gemacht werden.«
»Das werden wir sehen.«
»Dein Bote hat mir gesagt, daß dein Trupp auf dem Weg zu den Wettbewerben des Herrschers der Corco Loigde ist.«
»So ist es«, stimmte ihr der Kriegsfürst zu.
»Warum hat sich die Gruppe von Männern, deren Tod du nun beklagst, vom Haupttrupp entfernt und ist in das Gebiet der Cinel na Äeda eingedrungen? Erspare mir die Geschichte deines techtaire, daß es sich nur um eine Vorhut handelte.«
Conri betrachtete sie mit schmalen Augen.
»Warum bezweifelst du seine Worte?« fragte er.
»Weil ich zufällig in der Hütte von Menma und Suanach war, als deine Männer draußen vorritten. Dieser sogenannte Spähtrupp hat die Hütte in Flammen gesteckt und Suanach als Gefangene mitgenommen.«
Der Kriegsfürst stieß einen langen Seufzer aus. »Hat man dich auch als Geisel genommen?«
»Suanach hat mich im Keller versteckt, da sie glaubte, daß ich als Schwester des Königs in besonderer Gefahr schwebte. Ich konnte fliehen. Sie nicht.«
Nun schwieg Conri und hielt seinen Kopf leicht gesenkt.
»Dir ist doch wohl klar, daß damit diese Vorhut vor dem Gesetz in ein schlechtes Licht gerät«, betonte Adag nun, der auch gern etwas hinzufügen wollte.
Conri hob den Kopf und sah den Verwalter gelassen an. »Meine Absichten und die meines Haupttrupps sind vollkommen klar. Wir wollten in das Land der Corco Loigde ziehen.«
»Deine Reiter waren an der Hütte, weil sie Menma, den Jäger, suchten«, stellte Fidelma fest. »Als sie ihn nicht antrafen, entführten sie seine Frau Suanach, damit er ihnen später in die Falle ging. Ich hörte, wie sich deine Männer darüber unterhielten.«
Conri wurde ein wenig verlegen.
»Was wollten sie von Menma?« fragte Fidelma. »Und was war es, das sie im Eberdickicht suchten?« Sie neigte sich vor, denn sie sprach so leise, daß nicht einmal Eadulf und Adag ihre Worte verstehen konnten.
Conri zuckte zusammen. »Du weißt davon?« Er klang recht kleinlaut.
»Mit welcher Intrige willst du unsere Geduld auf die Probe stellen, Conri?« Sie rückte wieder von ihm ab und sprach in normaler Lautstärke.
Conri sah sich kurz um und deutete dann auf sein Zelt. »Laß uns unter vier Augen reden, Fidelma von Cashel. Ich bin bereit, dir alles zu erklären, aber niemand anderem sonst. Bitte komm mit mir in das Zelt.«
Adag erhob Protest. »Das schickt sich nicht, das verstößt gegen das Protokoll.«
»Ich kann damit leben, die Vorschriften zu umgehen, solange es der Wahrheit dient«, sagte Fidelma und stand auf, wobei sie Eadulf beruhigend zunickte.
Unter Conris Männern war Gemurmel aufgekommen, doch er brachte sie mit einem funkelnden Blick zum Schweigen. Fidelma folgte ihm in sein Zelt. Er hieß sie in dem einzigen Sessel Platz nehmen und setzte sich selbst auf den Rand seiner Bettstatt.
»Über eins müssen wir uns im klaren sein«, fing er an. »Mein Bote hat die Wahrheit gesagt, meine Männer und ich sind auf dem Weg zu den Spielen bei den Corco Loigde. Wir hatten uns in unserem Land am Wasserfall von Geiphtine versammelt, von wo aus wir uns per Schiff zu den Corco Loigde begeben wollten. Doch der Kapitän, den wir angeheuert hatten, wurde am Abend vor unserer Abfahrt bei einem Streit getötet. Während einer dummen Schlägerei, alle waren betrunken. Wir konnten die Schiffsmannschaft nicht dazu überreden, die Abmachung einzuhalten.«
»Er wurde getötet?«
»Von einem seiner Leute. Doch ehe er starb, hat er Dea etwas Wichtiges anvertraut. Dieser Dea war der Anführer der Vorhut. Er war bei dem Kapitän, als er starb.«
»Dea wird aber nicht verdächtigt, etwas mit dem Tod des Kapitäns zu tun zu haben?«
Conri schüttelte den Kopf. »Dea war ein guter Krieger, er neigte jedoch dazu, auf eigene Faust zu handeln. Er hatte den Befehl über eine eigene kleine Gruppe von Kriegern.«
»Einen Trupp von zehn Männern?«
Conri machte eine zustimmende Geste. »Als wir weiter nach Süden kamen, fiel mir auf, daß Dea immer unruhiger wurde. An der Grenze zum Gebiet der Ci-nel na Äeda fragte er mich schließlich, ob er mit seinen Männern vorausreiten dürfe. Ich gestehe, daß mich das mißtrauisch machte, also fragte ich ihn, was er denn vorhatte. Darauf vertraute er mir an, daß der Schiffskapitän vor seinem Tod von neuen Goldminen in Beccs Stammesgebiet gesprochen hatte.«
»Im Eberdickicht?«
Conri nickte verdrießlich. »Versteh doch, als unser Herrscher Torcan in der Schlacht gegen deinen Bruder am Cnoc Äine ums Leben kam, hatten wir nicht nur viele junge Männer verloren, sondern wir mußten für unseren Aufstand sowohl an Cashel als auch den Großkönig Entschädigungszahlungen leisten. Das hat uns so viel ärmer gemacht.«
»Doch was hat das Auffinden von Gold in diesem Land, in dem nach wie vor die Eoghanacht herrschen, mit euch zu tun?«
Conri verzog das Gesicht. »Dea hatte eine Idee. Doch zuerst mußten wir feststellen, ob die Gerüchte stimmten. Der Kapitän hatte wohl von dem Gold gehört, als sein Schiff im Hafen von Molaga lag. Da sei ihm ein Mann begegnet, der nach einem Schiff für einen Goldtransport suchte. Er erfuhr, daß man das Gold in der Nähe eines Ortes entdeckt hatte, der Eberdickicht heißt. Der Kapitän sagte auch, daß in dieser Gegend ein Jäger namens Menma wohnt, der sich dort gut auskennt. Er wollte mit dem Schiff wieder ans Ufer der Cinel na Äeda zurückkehren und diesen Menma aufsuchen, der angeblich von dem Gold wußte. Bevor er starb, hat er Dea das alles anvertraut.«
Einen Moment schwieg Fidelma, dann sagte sie: »Nun, ich wiederhole meine Frage. Selbst wenn man hier Gold gefunden hätte, was für einen Nutzen hätte es für die Ui Fidgente?«
Conri fühlte sich in die Enge getrieben. »Wie ich schon sagte, unser Volk ist durch die Niederlage verarmt.«
»Es war eine gerechte Niederlage«, erinnerte ihn Fidelma.
»Darüber kann man geteilter Meinung sein. Wie dem auch sei, es ist wahr, daß wir besiegt wurden und nun arm sind. Der Kapitän hatte angedeutet, daß die Goldmine ein streng gehütetes Geheimnis sei und nur wenige davon wüßten - nicht einmal der Fürst der Cinel na Äeda. Ehe noch andere etwas von den Goldvorkommen erfuhren, wollte Dea bei einem raschen Überfall viel Gold forttragen, um unserem Volk damit wieder zu Macht und Einfluß zu verhelfen.« Er schwieg einen Moment. Dann fügte er hinzu: »Ich schwöre, daß ich erst davon hörte, als Dea mich darum bat, ihm und seinen Männern den Vorstoß zu erlauben. Ich habe ihm nicht davon abgeraten, denn ich bin kein Verräter an meinem Volk.«
Fidelma starrte ihn an. »Eigenartigerweise glaube ich dir. Diese Geschichte ist zu ungewöhnlich, als daß sie nicht wahr sein könnte.«
»Doch dann sind Dea und seine Männer nicht zurückkehrt, und meine Späher stießen auf ihre Leichen. Ganz gleich, was sie vorhatten, man hätte ihnen die Möglichkeit lassen können, sich zu ergeben, nicht wahr? Sie haben es nicht verdient, wie Tiere abgeschlachtet oder hinterrücks mit Pfeilen erschossen oder vom Schwert getroffen zu werden. Das ist es, was meine Krieger und mich so aufbringt. Ich bin fest entschlossen, dafür Entschädigung zu verlangen.«
»Conri, du hast mir die Wahrheit gesagt. Dafür danke ich dir. Aber ich sehe keine rechtliche Grundlage, nach der der Verlust deiner Männer entschädigt werden könnte, schließlich haben sie das Haus eines unschuldigen Menschen angezündet, seine Frau entführt und seine Tiere getötet. Außerdem war Raub ihre Absicht. Dieser Dea kam zu dir und hatte einzig und allein Diebstahl im Sinn ...«
»Dea war mein Bruder«, erwiderte Conri mit hohler Stimme. »Deshalb kann ich die Sache nicht auf sich beruhen lassen.«
»Das tut mir leid. Doch ich repräsentiere das Gesetz und nicht den Geist der Rache. Ich will dir einen Vorschlag machen .«
Conri sah sie mißtrauisch an. »Ich kann nicht zu der Frau und den Kindern meines Bruders zurück-kehren, ohne sagen zu können, daß sein Tod gerächt wurde.«
»Ich bleibe dabei, ich stehe nicht für den Geist der Rache. Doch du könntest trotzdem kundtun, daß die Gerechtigkeit gesiegt hat, denn ich weiß, dein Bruder und seine Männer hatten keine Gelegenheit, sich freiwillig zu ergeben.«
»Also was schlägst du vor?«
»Einfach folgendes: Bleibt in eurem Lager hier, greift niemanden an, fügt niemandem Schaden zu. Morgen werde ich dich und zwei Begleiter deiner Wahl in die Festhalle von Rath Raithlen rufen lassen. Du stehst unter meinem persönlichen Schutz. Dort werde ich wahrheitsgemäß die Gründe offenlegen, die hinter den Vorfällen stecken. Du wirst erfahren, warum dein Bruder und seine Männer wirklich sterben mußten und wer dafür verantwortlich ist. Wegen der Vergehen einzelner muß kein ganzes Volk büßen.«
Conri saß eine Weile schweigend da. Dann zuckte er mit den Schultern. »Ich bin ein Mann von Vernunft, Fidelma von Cashel. Ich weiß, daß die Eogha-nacht meinen, alle Ui Fidgente sind hirnlose Bestien, blutrünstig und beutegierig. Das stimmt nicht. Wir sind ein unabhängiges Volk, ein stolzes Volk, das sich vor niemandem beugt und niemand anderen als unseren Herrscher anerkennt. Das bringt uns häufig in Konflikt mit anderen. Doch wir sind vor allem gerecht und aufrichtig. Ich habe gehört, was du gesagt hast, und ich werde deinem Ruf nach Rath Raithlen folgen. Meine Männer sind alle Krieger, die wie Jagd-hunde an der Leine danach lechzen, jenen zu begegnen, die ihre Brüder getötet haben. Wenn uns also jemand reinlegen will, so versichere den Cinel na Äeda, daß ihre Strafe um so härter und blutiger ausfallen wird.«
Langsam erhob sich Fidelma und streckte eine Hand aus. »Ich habe alles verstanden, Conri.«
Der Kriegsfürst stand auf und schlug ein. Schweigend schüttelten sie sich die Hände.
»Wir haben einen guten Anfang gemacht, Fidelma von Cashel«, sagte der Anführer, als sie aus dem Zelt traten. Eadulf und Adag warteten mit besorgten Mienen auf sie, wohingegen Conris Männer düster und mißtrauisch um sich sahen.
»Dann wollen wir hoffen, daß das Ende auch gut wird«, sagte Fidelma lächelnd.
Auf dem Weg nach Rath Raithlen baten Eadulf und Adag sie immer wieder, zu berichten, was in Conris Zelt vorgefallen war. Doch sie lächelte nur und antwortete: »Die Sonne scheint nicht ohne Schatten.«
Kapitel 17
Wieder in Rath Raithlen, hatte Fidelma eine Unterredung mit Becc. Sie sagte ihm, daß sie die Absicht habe, am nächsten Tag zur Mittagsstunde eine Gerichtsverhandlung einzuberufen.
Noch vor dem Abendessen wurde ihr klar, daß sie eine weitere Person befragen mußte. So schlüpfte sie, ohne Eadulf davon zu unterrichten, aus ihrer Unterkunft und begab sich geradewegs zu Gobnuids Schmiede. Der Schmied stand über seinen Amboß gebeugt.
»Gobnuid, du arbeitest heute aber lange.«
Der Schmied blickte mit einem Brummen auf, doch ob er besonders verärgert war oder das seine Art war, jemanden zu begrüßen, ließ sich schwer beurteilen.
»Hast du denn deine Felle sicher abgeliefert?« fuhr Fidelma lächelnd fort.
Der Schmied sah sie mit aufgerissenen Augen an.
»Warum fragst du mich das?«
»Nun, weil du so schnell wieder da bist. Du kannst unmöglich so früh vom Fluß Bandan zurück sein.« Sie setzte sich auf einen kleinen Holzstuhl, der in der Nähe des Schmiedefeuers stand, und entspannte ihre Glieder wohlig in der Wärme.
Gobnuids Blick verfinsterte sich. »Wenn du es so genau wissen willst, ein Rad meines Wagens ist gebrochen. Ich mußte es provisorisch reparieren und alles bei einem Freund lassen. Ich bin hier, um Ersatz zu holen.« Er zeigte auf ein Rad in der Ecke seiner Werkstatt.
»Du scheinst dir Zeit zu lassen, zu deinem Wagen zurückzukehren«, stellte Fidelma fest.
»Du weißt doch sehr wohl, daß die Ui Fidgente uns überfallen haben und ein jeder hier gebraucht wird. Jetzt erklärt mir der Tanist auch noch, daß ich zu diesem Treffen kommen muß, daß du für morgen in Beccs Halle anberaumt hast. Also kann ich mich erst danach meinen Angelegenheiten widmen.«
»Arbeitest du oft für den Tanist?«
»Weshalb fragst du?«
»Du erwähntest, daß du die Felle für Accobran auslieferst. Wie oft machst du das?«
»Na, wenn ich Zeit habe, übernehme ich eben irgendwelche Aufträge für ihn. Was ist dagegen einzuwenden?« fragte Gobnuid ein wenig unsicher.
»Ganz und gar nichts. Ich finde nur, daß für einen so begabten Handwerker wie dich der Transport von Fellen nicht gerade eine angemessene Beschäftigung ist.«
»Ich beschlage häufig seine Pferde und schärfe seine Waffen«, erwiderte Gobnuid.
»Der Tanist handelt offenbar mit größeren Mengen von Fellen. Woher bezieht er die denn?«
»Das solltest du ihn lieber selbst fragen. Ich schätze, er kauft sie von den Bauern der Gegend. Das erspart ihnen, sich selbst um ihren Verkauf zu kümmern.«
»Ich würde meinen, daß Lesren als Gerber das selbst am besten hätte erledigen können«, meinte Fidelma. »Aber heutzutage gibt es für dich nicht mehr genug zu tun in der Schmiede. Wo doch die Erzminen hier alle stillgelegt sind. Führst du auch Aufträge für die Abtei aus, zum Beispiel für die Aksumiter, die sich dort aufhalten?«
Sie bemerkte, wie Gobnuid erstarrte.
»Was willst du, Lady?« fragte er und funkelte sie an.
»Früher wurde in dieser Gegend viel Bergbau betrieben«, fuhr Fidelma fort, ohne weiter auf seine Frage einzugehen. »Hast du jemals in einer Mine gearbeitet?«
Der Schmied wandte sich von ihr ab und beugte sich wieder über den Schmiedeherd, stocherte in der Holzkohle herum und ließ Funken aufstieben. »Die Minen sind stillgelegt worden, als ich ein junger Bursche war.«
»Weißt du, daß einer der Aksumiter, Bruder Dangi-la, einst in den Goldminen seiner Heimat gearbeitet hat? Du kennst doch Bruder Dangila?«
»Ich habe ihn schon mal gesehen«, erwiderte Gob-nuid mürrisch.
Langsam stand Fidelma auf. Sie wußte, daß Gobnu-id starrköpfig war und sie nichts weiter aus ihm herausbekommen würde.
»Wenn du Bruder Dangila kennst, so frage ich mich, warum du mitgemacht hast, als dein Cousin Brocc die Abtei angreifen wollte?«
Der Schmied blickte sie finster an. »Fremde sind Fremde, und Familie ist Familie. Ich habe doch bereits zugegeben, daß ich an dem Aufruhr gegen die Abtei beteiligt war.«
»Ich wünsche dir eine gute Nacht, Gobnuid«, sagte Fidelma ein wenig resigniert. »Morgen sehen wir weiter.«
Damit verließ sie ihn, doch sie spürte seinen neugierigen Blick im Rücken. Gobnuid war in der Tat sehr eigensinnig. Die Wahrheit würde er nie preisgeben, doch sie hatte das Gefühl, trotzdem genug von ihm erfahren zu haben.
Die Gästeunterkünfte lagen am anderen Ende der Festung. So mußte sie an einer Reihe von Häusern vorbei, in denen sich die Handwerksstuben und die Läden der Händler befanden. Jetzt war dort alles dunkel und still. Nur Gobnuid hatte in dieser düsteren und kalten Nacht noch gearbeitet.
Fidelma betrat beschwingt die dunkle Straße. Sie war nicht besonders lang, und an ihrem Ende, wo es zu den Ställen auf der Rückseite der Halle des Fürsten ging, konnte sie ein paar brennende Fackeln erkennen. Auf halber Strecke hatte sie plötzlich das Gefühl, daß irgend etwas nicht stimmte. Sie war sich sicher, daß sie aus dem Dunkel beobachtet wurde. Begründen konnte sie das nicht, aber Fidelma nahm ihre Umgebung stets sehr intensiv wahr, das war lebenswichtig für sie. Schon als Kind hatte sie immer wieder geübt, alles Ungewöhnliche um sich herum einzuordnen, und sie bewunderte Menschen - wie etwa den alten Liag -, die sich diesen Instinkt bewahrt hatten.
Sie war auf der Hut und lief mit gleichmäßigen Schritten weiter. Aus dem Augenwinkel nahm sie im Dunkel der Gebäude einen Schatten wahr, eine winzige Bewegung. Da war etwas - oder eine Person. Sie ging weiter, ganz aufrecht, doch ihre Augen waren wachsam. Sie war nur noch wenige Meter von der beleuchteten Stelle bei den Stallungen entfernt. Da bemerkte sie, wie der Schatten rasch auf sie zuglitt.
Sie drehte sich blitzschnell um. Der Schatten wuchs zu der Gestalt eines stämmiges Mannes, der sich ihr mit erhobenem Arm näherte. Das schwache Licht von den Fackeln am Ende der Gasse fiel auf einen Gegenstand in seiner Hand, der kurz aufblitzte.
Schon zu vorchristlicher Zeit und auch jetzt als Christen begaben sich die Gelehrten von Eireann häufig auf lange Reisen. Oft wurden sie dabei Opfer von Überfällen durch Diebe und Banditen. Waffen zu ihrem Schutz lehnten sie jedoch ab, denn die Anwendung von Gewalt widersprach ihren Lehren. So sahen sie sich gezwungen, eine Methode der Selbstverteidigung zu entwickeln, die sie troid-sciathagid nannten und die auf jegliche Waffen verzichtete. Fidelma war, wie andere Nonnen und Mönche auch, die sich auf Wanderschaft begaben, damit bestens vertraut.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte sie die Gefahr erkannt. Sie stand da und wartete. Als der Mann auf sie zustürzte, griffen ihre Arme blitzschnell nach der erhobenen Hand, packten das Handgelenk und rissen es nach hinten, wobei der Mann, noch in der Wucht seines Angriffs, nach vorn stolperte. Er schlug auf dem Boden auf.
Der Mann war stark, und es gelang ihm, das Messer mit eisernem Griff festzuhalten. Als Fidelma klar wurde, daß sie es ihm nicht entreißen konnte, ließ sie das Handgelenk los, denn sie wollte nicht von ihm auf den Boden gezogen werden. Sie trat ein paar Schritte nach hinten und rief: »Wache! Wache! Hilfe!«
Der Mann sprang auf die Beine und kam mit erhobenem Messer noch einmal auf sie zu.
Doch da tauchten am Ende der Gasse zwei Wachmänner mit Schwertern in den Händen auf. Einer rief Fidelma etwas zu, während sie auf sie zurannten.
Für einen Moment schien der Angreifer verwirrt.
Das nutzte Fidelma, stellte sich seitlich zu ihm und versetzte ihm einen heftigen Fußtritt in die Genitalien. Der Mann schrie laut auf und fiel auf die Knie. Da waren auch schon die beiden Wachleute da und hielten dem Attentäter ein Schwert in den Nacken.
»Rühr dich nicht, sonst bist du tot«, sagte einer der Wachmänner.
Der andere hatte Fidelma offensichtlich erkannt. »Bist du verletzt, Lady?« fragte er.
»Nein. Doch wer ist dieser Kerl, der mir ans Leben wollte?«
Der erste Wachmann hatte dem Schurken inzwischen das Messer abgenommen. Nun zerrten ihn beide Wachmänner an den Armen ins Licht der Fackeln.
Fidelma hörte Stimmengewirr, denn jetzt kamen, von dem Lärm aufgeschreckt, die Bewohner aus ihren Häusern. Sie bemerkte Eadulf, der sich mit blassem Gesicht einen Weg durch die Menge bahnte.
»Fidelma! Ist alles in Ordnung mit dir?«
Sie nickte.
Auch Accobran trat auf sie zu.
»Ist das der Vollmondmörder?« fragte er.
Die beiden Krieger zogen ihren Gefangenen weiter ins Licht, damit man sein Gesicht erkennen konnte.
»Brocc!«
Die Menge hielt den Atem an.
Der Tanist blickte den stämmigen Mann an, der ihn mit haßerfüllten Augen anfunkelte.
»Also bist du der Vollmondmörder? Und da hast du noch versucht, die Leute gegen die Fremden aufzuwiegeln, obwohl du wußtest, daß sie schuldlos sind!«
Brocc schaute finster in die Runde.
»Es ist wahr, daß du mich eben in der dunklen Gasse umbringen wolltest, Brocc, doch ich bezweifle, daß du der Vollmondmörder bist«, meldete sich Fidelma zu Wort.
»Du weißt, daß ich es nicht bin!« fuhr Brocc sie an.
»Warum hast du versucht, mich zu töten?«
»Weil du die wahren Mörder schützt.«
»Wie kommst du denn darauf?« fragte sie stirnrunzelnd.
»Das habe ich gleich gewußt, als du hier in Rath Raithlen auftauchtest. Ihr Nonnen und Mönche seid alle gleich und nehmt euch gegenseitig in Schutz. Es war doch klar, daß diese Fremden Escrach, Beccnat und Ballgel auf dem Gewissen haben. Ich habe gesehen, wie du sie trotzdem aufgesucht hast und freundlich zu ihnen warst. Du schützt sie, also machst du dich mitschuldig.«
Fidelma sah Brocc erstaunt an, dann wurde ihr Blick traurig.
»Wie jemand die Dinge so durcheinanderbringen kann wie du, begreife ich nicht, Brocc. Das betrübt mich sehr. Ich weiß nicht, was ich dir darauf antworten soll. Doch du sollst wissen, daß du ein schweres Verbrechen begangen hast, denn du hast versucht, eine dalaigh zu ermorden ...«
»Noch schlimmer«, warf Becc ein, der nun neben ihr stand, nachdem die Menge respektvoll auseinandergetreten war, um für ihn Platz zu machen, »noch schlimmer, du hast versucht, die Schwester des Königs zu töten.«
Fidelma winkte ab. »Es ist vor allem wichtig, das Gesetz einzuhalten. Dieser Mann hat nicht nur mich angegriffen, sondern in erste Linie das Gesetz, für das ich stehe. Das ist ein schweres Verbrechen. Es gibt für Mord und versuchten Mord eine feststehende Strafe, die beläuft sich auf sieben cumal, ungeachtet des Ranges des Täters. Aber diese Sache ist weitaus schwerwiegender .«
»Weitaus schwerwiegender«, echote Brocc. Er hatte sich noch nicht ganz unter Kontrolle. »Schwerwiegender, weil du dich schuldig machst, die Wahrheit zu verschleiern und die wirklichen Täter nicht anzuklagen. Zumindest war meine Tat ein Vergehen für die Wahrheit!«
Fidelma seufzte. »Du bist damit nur deinem eigenen Vorurteil gefolgt, und das zerfrißt deine Seele, Brocc, so daß du die Wahrheit nicht mehr erkennen kannst. Das schwerste Verbrechen ist das Töten eines anderen Menschen. In manchen Ländern bezeichnet man es als gerecht, den Mörder dafür an den Galgen zu bringen. Auch Christen treten immer häufiger für eine Vergeltung >Auge um Auge, Zahn um Zahn< ein. Doch wir sind ein altes und weises Volk. Wir gestehen einem Mörder zu, eine Entschädigung zu zahlen und seinen Ruf wiederherzustellen. Unser altes Rechtssystem sagt aber, daß erst Beweise gegen eine Person erbracht werden müssen, ehe sie in aller Öffentlichkeit Stellung nehmen und etwas gegen die Beweise vorbringen darf. Erst wenn die Beweislast groß genug ist, wird die Person verurteilt.
Man hat mich hergerufen, um diese Beweise zusammenzutragen, und das habe ich bisher auch getan. Doch daß du nun meinst, über dem Gesetz zu stehen, ja sogar glaubst, den erwählten Vertreter des Gesetzes angreifen zu dürfen, das ist mir noch nie vorgekommen. Ich kann nur annehmen, daß du nicht ganz bei Verstand bist - ob dauerhaft oder kurzzeitig, wird später beurteilt werden.«
Brocc trotzte ihr mit finsterem Blick. »Deine Worte sollen die Wahrheit verschleiern, Richterin. Alle Richter reden mit falscher Zunge.«
Fidelma schlug einen sarkastischen Ton an. »Ich dachte, du meinst, weil ich Nonne bin, würde ich die Wahrheit verbergen.«
»Richter! Geistliche! Schwarzer Hund, weißer Hund, beides bleiben Hunde«, hielt Brocc ihr entgegen.
Becc sah Fidelma besorgt an. »Was soll ich mit ihm machen, Cousine?«
»Mehr, als ihn bis morgen in Gewahrsam zu nehmen, wird nicht nötig sein. Dann werden wir die Vollmondmorde aufklären.«
Der Fürst der Cinel na Äeda seufzte unglücklich.
Er winkte den Wachmännern zu, Brocc abzuführen. Als sich die Menge zerstreute, sagte er leise: »Das Samhain-Fest steht vor der Tür, Fidelma. Es sind nur noch ein paar Tage bis dahin. Es wäre gut, wenn wir die Lösung der Fälle davor verkünden könnten. Ich möchte nicht, daß unser Volk von Unglück heimgesucht wird.«
Fidelma ging in die Halle. Becc und Eadulf folgten ihr. Sie nahm vor dem Feuer Platz.
Becc schaute sie ängstlich an.
»Hast du dich von dem Überfall erholt?« fragte er nervös. »Bist du sicher, daß du nicht verletzt wurdest?«
Sie winkte ab.
»Ich habe schon Schlimmeres durchgestanden«, sagte sie. »Broccs Angriff war ziemlich unbeholfen. Er ist jedenfalls sehr dumm, aber seine Dummheit macht ihn gefährlich.«
»Weshalb bist du so besorgt wegen des Samhain-Festes?« fragte Eadulf.
»Das Samhain-Fest findet zu einer Zeit statt, in der sich das Jenseits mit seinen Geistern und Dämonen in dieser Welt zeigt, mein angelsächsischer Freund. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang können jene zurückkehren, die im Vorjahr gestorben sind, und Rache an jenen üben, die ihnen geschadet haben.«
»Aber das ist ein alter heidnischer Glaube«, sagte Eadulf mit seiner üblichen Geringschätzung für jene Bräuche.
»Wie dem auch sei«, griff Fidelma nun ein. »Ein Religionswechsel bedeutet nicht notwendigerweise, daß man nicht mehr an den Geschichten seiner Vorfahren hängt. Vor ungefähr fünfzig Jahren hat Papst Bonifatius in Rom angeordnet, daß das alte vorchristlich-römische Totenfest Lemuria im Mai stattfinden und als Festtag allen heiligen Märtyrern geweiht werden soll. Also hält sogar Rom an alten heidnischen Bräuchen fest.«
»Es stimmt, das Volk der Cinel na Äeda feiert weiterhin in aller Pracht das Samhain-Fest«, fügte Becc hinzu. »Alle glauben daran, daß die Geister von Becc-nat, Escrach und Ballgel zurückkehren und sich an den Menschen rächen werden, bis ihnen Gerechtigkeit widerfahren ist.«
Eadulf schüttelte verwirrt den Kopf. »Wenn es solche Geister wirklich gibt, würden sie doch sicher nur den Mörder aufsuchen.«
»Die Geister glauben, daß das ganze Volk dafür verantwortlich ist, wenn der Mörder nicht gefunden und bestraft wurde. Das Volk ist wie eine Familie, und die gesamte Familie ist dafür verantwortlich, was einzelne Mitglieder von ihr tun. Ist der Mörder also nicht bis zu Samhain bestraft, werden wir alle von rachelüsternen Geistern heimgesucht werden.«
»Keine Angst, Becc.« Fidelma lächelte.
Der Fürst sah sie erwartungsvoll an.
»Wir kommen morgen mittag in dieser Halle zusammen, und ich werde die Schuldigen entlarven.«
Eadulf und Fidelma hatten sich zurückgezogen und machten sich für die Nachtruhe fertig. Eadulf war sehr schweigsam. Von Zeit zu Zeit blickte Fidelma besorgt zu ihm hinüber.
»Du scheinst mir sehr nachdenklich, Eadulf«, sagte sie schließlich. »Ist es wegen morgen?«
Er erwiderte darauf mit einem tiefen Seufzer: »Ich habe schon einer ganzen Reihe von Gerichtsverhandlungen beigewohnt, Fidelma. Mir kommen Zweifel, ob du in diesem Fall im Gerichtssaal so erfolgreich sein wirst wie in der Vergangenheit.«
»Ich fürchte, du betrachtest zu vieles als bereits erwiesen«, antwortete sie ernst. »Aber wie heißt es doch: Es ist noch nicht aller Tage Abend. Sonst interessierst du dich immer dafür, wie ich eine Beweisführung vorbereite«, fuhr sie fort, als er darauf nicht einging. »Aber heute fragst du mich nicht einmal, wer die Schuldigen sind und wie ich morgen vorgehen will. Was ist los?«
Eadulf schaute sie an.
»Hast du jemals über unser Gespräch über Klein Alchü nachgedacht?« fragte er plötzlich.
Fidelmas Gesicht wurde zu einer starren Maske.
»Natürlich habe ich darüber nachgedacht«, antwortete sie mit einiger Schärfe in der Stimme.
»Und?« fragte Eadulf ebenso scharf.
»Wir müssen uns im Moment mit ganz anderen Dingen beschäftigen, würde ich annehmen«, erwiderte sie. »Sind wir erst einmal damit fertig, können wir ...«
Kopfschüttelnd erhob sich Eadulf. Unruhig lief er im Zimmer hin und her, man sah ihm an, wie erregt er war. Mit angespannter Stimme sagte er: »Jedesmal wenn ich dieses Thema anschneide, lenkst du ab. Was ist seit der Geburt unseres Kindes mit uns geschehen, Fidelma? Du bist ein völlig anderer Mensch geworden.«
Fidelma setzte schon zu einer verbalen Attacke gegen seine unpassenden Vorwürfe an, als ihr bewußt wurde, daß ein solcher Ausbruch wieder einmal ihre wahren Gefühle verbergen würde. Sie machte stets nur Ausflüchte, versuchte Zeit zu gewinnen, um die Konfrontation hinauszuschieben.
»Eadulf, du hast recht. Ich komme mir selbst wie ein anderer Mensch vor«, sagte sie leise.
Eadulf blieb stehen, ihre Worte ernüchterten ihn. Er setzte sich wieder hin. Sie wirkte auf einmal so verletzbar.
»Was habe ich getan? Liegt es an mir?« fragte er.
»Ich glaube nicht. Ich weiß es nicht. Seit wir nach Cashel zurückgekehrt sind und Alchü geboren wurde, scheint sich alles verändert zu haben.«
»Inwiefern denn? Wir beide haben jetzt einen Sohn - sonst ist doch nichts geschehen. Ich weiß, daß dir die Reden derjenigen, die versuchen, die Ehelosigkeit unter Nonnen und Mönchen einzuführen, nichts ausmachen. Du hast dich schon vorher gegen ihre asketische Haltung ausgesprochen.«
»Nein, das beschäftigt mich nicht«, versicherte ihm Fidelma. »Der Glaube bietet allen Platz, jenen, die den asketischen Weg einschlagen und ihre Gefühle unterdrücken, und jenen, die eine Religion ausüben, die fest in der Realität verankert ist. Sollen die Anhänger des Zölibats in ihren Einsiedlerhöhlen leben. Wir sind hier, um in der Gesellschaft zu wirken und Teil von ihr zu sein.«
»Wenn das nicht deine Sorge ist, kann es sein, daß du dich etwa dafür schämst, daß Alchüs Vater ein Sachse ist?«
»Daß ich mich dafür schäme?« fragte sie wütend. Einen Moment glaubte Eadulf, sie würde ihn schlagen. »Wie kannst du nur meinen, ich würde mich schämen, daß . daß .« Ihr versagte die Stimme, sie begann laut zu schluchzen.
Eadulf stand nun hilflos neben ihr. »Ich wollte dich nicht kränken, doch ich kann es mir einfach nicht erklären. Dich bedrückt etwas. Du verhältst dich anders. Wie soll ich das verstehen? Was ist schiefgelaufen mit uns?«
Fidelma senkte eine Weile den Kopf. Dann holte sie tief Luft und versuchte die Fassung zurückzugewinnen.
»Kann ich eine Übereinkunft mit dir treffen, Eadulf?« Ihre Stimme klang nun kontrolliert und sehr ruhig.
Eadulf betrachtete sie ein wenig mißtrauisch.
»Was meinst du?« fragte er.
»Eine Übereinkunft, die mir gestattet, mich auf den Fall zu konzentrieren, der morgen auf die eine oder andere Weise abgeschlossen wird. Danach werden wir unverzüglich nach Cashel zurückkehren. Ich verspreche dir, daß wir dort über all die Probleme reden und eine Lösung finden werden.«
Eadulf fühlte sich irgendwie überrumpelt. »Es wäre besser, wenn ich irgendeinen Anhaltspunkt hätte, wofür wir eine Lösung finden müssen.«
Fidelma blickte ihn sorgenvoll an. »Wenn ich das genau wüßte, brauchten wir nicht zu reden, Eadulf. Ist das also abgemacht?«
Eadulf schwieg. Dann sagte er: »Seit Alchüs Geburt sind mir Veränderungen an dir aufgefallen. Ich mußte schon die ganzen letzten Monate damit leben. Da kommt es auf einen Tag mehr wohl nicht an, denke ich. Na gut. Reden wir miteinander, wenn dieser Fall abgeschlossen ist.«
Fidelma legte ihre Hand auf Eadulfs Arm.
»Ich danke dir«, sagte sie einfach. »Ich kann mich immer auf dich verlassen. Auch wenn dir das vielleicht nicht bewußt ist, das weiß ich sehr zu schätzen.« Es folgte eine unangenehme Pause, schließlich lächelte Fidelma ein wenig gezwungen. »Ehe wir uns schlafen legen, möchte ich noch einmal durchgehen, was ich morgen vortragen werde. Du kannst dann - wie immer - feststellen, ob ich alles richtig bedacht habe.«
»Womit wirst du anfangen?« fragte Eadulf zögernd und versuchte in seine Stimme ein wenig Begeisterung zu legen.
Fidelma lehnte sich zurück.
»Ich werde mit der Goldmine anfangen«, sagte sie nachdenklich.
»Mit der Goldmine? Wer ist denn dein Hauptverdächtiger für die Morde an den Mädchen?«
Als sie ihm den Namen nannte, holte Eadulf erstaunt Luft.
»Ich hoffe, daß du das auch beweisen kannst«, flüsterte er zweifelnd. »Falls dir das nicht gelingt, könnte es für uns morgen ziemlich schlecht ausgehen.«
Fidelma erklärte ihm langsam, wie sie am morgigen Gerichtstag vorgehen wolle.