Der traurige Ruf einer einsamen Rohrdommel veran-laßte Eadulf, das Maultier zu zügeln, das er ritt, und sich enttäuscht umzuschauen. Ein Stück weit vor sich sah er den Vogel in seinem schwarz und braun gestreiften Federkleid vorsichtig an den wogenden Halmen des Schilfs herumturnen, sich an ihnen mit den Krallen emporziehen, um das umgebende Gelände zu überblicken. Dann hatten seine hellen Augen Eadulf erspäht, und er verschwand im Schutz der Pflanzen.
Nur wenige Monate zuvor, das wußte Eadulf, hätte dieses hohe Schilf ein wildes dramatisches Bild vor dem sturmerfüllten Himmel geboten, ein Bild, das ihn durch seine Schönheit bezaubert hätte. Doch jetzt trugen die Halme keine Blütenstände mehr und waren gebeugt von der Last des Schnees, niedergedrückt durch das kalte Frostwetter. Das war jedoch nur eine vorübergehende Vorstellung, denn wichtigere Dinge beschäftigten ihn.
Eadulf mußte sich eingestehen, daß er sich verirrt hatte.
Er hatte Bruder Willibrod überreden können, ihm eins der wenigen in den Ställen der Abtei verbliebenen Maultiere zu leihen, damit er Abt Cild und dem halben Dutzend bewaffneter Mönche, die dieser bei sich hatte, nachreiten konnte. Er hatte dem dominus eingeredet, Abt Cild habe das Angebot seiner Begleitung angenommen und wohl nur vergessen, auf ihn zu warten.
»Ich kann sie leicht einholen«, hatte Eadulf Bruder Willibrod versichert. »Ich folge ihren Spuren im Schnee.«
Der dominus hatte ihn ziehen lassen, doch äußerst widerwillig. Sein Widerwille war berechtigt, denn Eadulf hatte nicht bedacht, daß der Schnee trocken und pulvrig war und der Wind in Stößen darüberfuhr und ihn hierhin und dorthin blies. Er war noch nicht weit von der Abtei entfernt, als er feststellen mußte, daß der Wind alle Spuren von Abt Cild und seinen Männern verweht hatte.
Nun hätte Eadulf umkehren sollen, doch seine Hartnäckigkeit trieb ihn weiter, seine Entschlossenheit, die ihm oft half, Widerstände zu überwinden. Er gab dem Maultier die Sporen, wenngleich ohne große Zuversicht. Es war ein kräftiges, starkbeiniges Tier, das an hartes Winterwetter gewöhnt war, doch ebenso bekannt war für seine Hartnäckigkeit, die der Eadulfs gleichkam. Und Eadulf gab bereitwillig zu, daß er sich in keinem Sattel wohl fühlte. Ihm ging es nicht so wie Fidelma, die reiten beinahe eher als laufen gelernt hatte. Er war unsicher und wußte, daß die Tiere seine Unsicherheit spürten, vor allem dieses muskelbepackte Maultier.
Trotz der dichten Schneedecke merkte Eadulf, daß er sich jetzt im Moorland befand und die Küste nicht weit entfernt war. Er war nahe dieser Gegend aufgewachsen, hatte sich aber nie in sie hineingewagt. Diese Landschaft mit den kleinen Bächen und Lagunen, dem Mischwald und den Strecken von jetzt unter dem Schnee verborgenem Heideland darin, das alles war typisch für die flachen Marschen, die den Küstenstreifen des Königreichs der Ost-Angeln bildeten. Doch es gab keine Spuren, denen er folgen konnte, nichts Greifbares, keine markanten Punkte, an denen er sich zu orientieren vermochte.
Aus der Nähe kam ein scheltendes »Ziepdididi-di«, flog dicht an seinem Kopf vorbei und verklang in der Ferne. Er erhaschte gerade noch einen Blick auf eine winzige weißbraune Gestalt mit schimmerndem schwarzem Kopf. Etwas hatte die Sumpfmeise aufgeschreckt, und dann sah Eadulf, was es gewesen war. Ein Rohrweihenweibchen, zu erkennen an seinem großen dunkelbraunen Körper und den hellbraunen Schultern und Kopf, war auf Beutejagd. Der Greifvogel ernährte sich von kleinen Vögeln ebenso wie von Mäusen und anderen kleinen Säugetieren.
Eadulf hoffte, die Sumpfmeise würde ihrem hungrigen Verfolger entkommen.
Er wußte, daß er nun dicht am Meer war. Er spürte den Salzgeruch in der Luft und sah, daß der Schnee hier dünner lag, weil die Heide in Sanddünen und Kiesstrand überging. Dahinter war die lange Linie des Meereshorizonts auszumachen in dem Grau, zu dem Himmel und Wasser verschmolzen. Hier und da wuchsen kleine Sanddornbüsche in den Dünen. Eadulf fiel auf, daß sie noch einige der orangeroten Beeren trugen, die er als Kind für seine Mutter gesammelt hatte, die Marmelade daraus kochte.
Ein Stück weit vor sich sah er einen kleinen Land-vorsprung, eine grasbewachsene Erhebung, die wie ein bescheidenes Vorgebirge aus einer dicht bewaldeten Gegend heraustrat und sich zu einer Spitze erhob, von der das Land an allen Seiten außer der Landverbindung wie in winzigen Klippen zum Meer hin abfiel. Es bildete eine kleine Halbinsel. Eadulf vermutete, daß er von diesem Punkt aus wahrscheinlich weit über das Moorland blicken und den Abt und seine Brüder erspähen könnte.
Er lenkte das Maultier auf den Wald zu. Sollte er von diesem Aussichtspunkt aus Abt Cild und seine Leute nicht sehen können, überlegte er, dann müßte er wohl zur Abtei zurückkehren. Falls Abt Cild Aldhere ergreifen sollte, hatte er eigentlich dabei sein wollen, um zu hören, was dieser dazu sagte, daß man ihn des Mordes an Bruder Botulf beschuldigte. Er wollte dafür sorgen, daß Gerechtigkeit geübt würde. Doch diese Gelegenheit hatte er offenbar verpaßt, und er war sich sicher, daß der Abt keine weitere Einmischung von seiner Seite hinnehmen würde.
Eadulf ritt durch das Wäldchen auf die kleine Landzunge zu. Als er aus seinem Schutz herauskam, erblickte er etwas, was ihn die Zügel so scharf anziehen ließ, daß sein Reittier unwillig schnaubte und mit den Vorderhufen aufstampfte. In Lee der Landzunge lag ein angelsächsisches Langschiff am Ufer, und etwa zwanzig Leute wimmelten darum herum. Seine Bauart und seine Wimpel ließen erkennen, daß es nicht aus dem Land der Ost-Angeln stammte, sondern vom Land der Ost-Sachsen kam. Das große Segel trug das Sonnensymbol des Gottes Thunor, das Kreuz mit den gebogenen Armen.
Jemand stieß einen Ruf aus, als man Eadulf bemerkte, und einige Männer stürmten mit gezogenen Schwertern den felsigen Abhang hinauf, auf dem er überrascht hielt. Bevor er reagieren konnte, vernahm er ein Zischen in der Luft. Mehrere Pfeile pfiffen an ihm vorüber, aber sie waren nicht auf ihn gezielt. Sie waren hinter ihm abgeschossen worden, und zwei von ihnen fanden ihre Ziele unter den heraneilenden Kriegern. Diese brachen mit Schmerzensschreien zusammen, und die anderen blieben verstört stehen.
Eadulf war verwirrt. Er fand sich plötzlich von mehreren Kriegern umringt, deren Bogen tödliche Geschosse auf die Männer vom Langschiff hinabsandten. Einer von ihnen griff in die Zügel des Maultiers, ein untersetzter Mann mit einer wirren gelben Mähne und einem Grinsen, das schwarze Zähne bloßlegte.
Eadulf sah, wie die Männer unten zu ihrem Langschiff rannten und ihre Verwundeten mit sich trugen oder schleppten. Andere schoben in wilder Hast das Schiff ins Wasser. Um ihn herum wurden noch mehr Pfeile abgeschossen, doch sie trafen keine menschlichen Ziele mehr, wenn sich auch ein paar davon in die Planken des Schiffs bohrten. Die fliehenden sächsischen Krieger kletterten an Bord des auf den Wellen schaukelnden Schiffs, andere zogen rasch unter Rufen und Fluchen an den Leinen und Tauen, bis das große Segel den von Land wehenden Wind einfing.
Nun jagte das Schiff schnell davon, umrundete die Halbinsel und kam außer Sicht.
Ein hochgewachsener Krieger, anscheinend der Anführer der Schar, die den Angriff auf die Sachsen unternommen hatte, steckte sein Schwert ein und betrachtete Eadulf mit leichter Belustigung. Er war eher drahtig als muskulös, und eine tiefe Narbe lief über eine Wange. Seine dunklen Augen glühten und funkelten von innerem Feuer. Die Narbe verzog seine schmalen Lippen zu einem ständigen spöttischen Lächeln. Sein Gesicht kam Eadulf irgendwie bekannt vor, doch war er sich sicher, diesen Mann noch nie gesehen zu haben. Seine gebräunte Haut zeugte von einem Leben im Freien. Er war dunkel gekleidet, in schwarz gefärbte Wollsachen. Nur seine Lederjacke war mit glänzenden runden Metallplatten besetzt, die als Körperpanzer dienten. Er trug einen runden Schild und einen einfachen konischen Helm ohne Zier.
»Wen haben wir denn hier? Einen von Cilds übler Brut, wie es aussieht?«
Eadulf runzelte ärgerlich die Stirn.
»Was soll das heißen?« fragte er. »Erhebst du die Hand gegen einen Mönch?«
Der Krieger lachte und wies mit einem Kopfnicken auf seine Gefährten.
»Ich hätte gedacht, daß ein Mann von solch edler Bildung wie du zu der Schlußfolgerung gelangt wäre, daß wir gerade dein heiliges Leben vor den OstSachsen gerettet haben. Sehr dankbar scheinst du nicht dafür zu sein.«
»Warum sollten die Ost-Sachsen mir das Leben nehmen?« wollte Eadulf wissen und versuchte, auf den scherzhaften Ton des anderen einzugehen, was ihm freilich nicht gelang. »Und warum solltest du es retten wollen?«
Der hochgewachsene Mann kniff die Augen zusammen und musterte Eadulf genauer. Das Lächeln blieb auf seinem Gesicht.
»Wie heißt du, Bruder? Ich kann mich nicht erinnern, dich schon mal in Cilds verfaulendem Steinhaufen gesehen zu haben. Bist du neu in dieser Gegend?«
Der Mann sprach mit einer lockeren Vertraulichkeit, die Eadulf reizte.
»Ich bin erst vor kurzem aus Canterbury hierhergekommen, und davor war ich über ein Jahr im Ausland. Aber ich bin ...«
»Das ist Eadulf von Seaxmund’s Ham!«
Einer aus der Schar unterbrach ihn mit diesem Ruf und trat näher heran.
Der hochgewachsene Mann drehte sich zu ihm um, und Eadulf tat es ihm gleich und versuchte zu erraten, wer der schäbig gekleidete Bursche war.
»Du kennst ihn, Wiglaf?«
Der kleine, stämmige Kerl mit braunem Haar nickte eifrig.
»Er war der gerefa von Seaxmund’s Ham. Ich kenne ihn gut. Er hat mir einmal zwölf Hiebe mit der Birkenrute wegen Diebstahl aufgebrummt.«
Mit gespieltem Ernst wandte sich der Anführer wieder an Eadulf.
»Stimmt das? Du hast den armen Wiglaf bestraft?«
Eadulf verzog das Gesicht.
»Das kann ich weder bejahen noch verneinen«, erklärte er ausweichend. »Ich erkenne ihn nicht wieder.«
Der Mann namens Wiglaf trat auf Eadulf zu und grinste ihn an.
»Damals hatte ich noch keinen Bart, gerefa, denn ich war sehr jung, aber die Rute hat so gezogen, daß ich’s noch Jahre gespürt habe.«
»War das Urteil gerecht, Wiglaf?« unterbrach ihn der Anführer in humorvollem Ton.
Der braune Mann lachte. »Das war es. Ich hatte einer alten Witwe einen Topf Honig geklaut. Der gerefa hatte recht.«
Eadulf gab es auf, sich an den einstigen Honigdieb zu erinnern. Er hatte in seiner Zeit als gerefa viele solcher Strafen angeordnet.
»Jetzt kennst du mich, aber ich kenne dich nicht«, wandte er sich trotzig an den Anführer. Dieser lächelte immer noch.
»Ich heiße Aldhere, und dies sind einige meiner Männer.«
Eadulfs Augen wurden größer. Der hochgewachsene Krieger bemerkte seine Überraschung und schmunzelte belustigt.
»An deiner Reaktion sehe ich, daß du schon von mir gehört hast, heiliger gerefa.«
»Allerdings«, gestand Eadulf, »und zwar von Abt Cild.«
Aldhere lachte schallend, als habe Eadulf etwas wirklich Komisches gesagt.
»Ich glaube kaum, daß du von diesem Sohn einer Teufelin irgend etwas Gutes über mich vernommen hast. Bist du Mitglied von Cilds kleiner Brut von Schädlingen geworden?«
Eadulf schüttelte den Kopf. »Ich halte mich mit meiner . mit einer Gefährtin für ein paar Tage in Al-dreds Abtei auf, bevor wir nach Seaxmund’s Ham Weiterreisen. Ich war mehrere Jahre aus dieser Gegend fort.«
Der Anführer der Geächteten blieb anscheinend gelassen und beinahe freundlich, während er diese Auskunft überdachte.
»Dann, heiliger gerefa, würde ich dir raten, dieses nach Fäulnis stinkende Rattennest, das Aldreds Abtei darstellt, so schnell wie möglich zu verlassen.«
»Weshalb sagst du das?«
»Weil es ein übler Ort ist, ein Ort, den man meiden sollte. Abt Cild ist ein böser Mensch.«
Plötzlich fielen Eadulf die Worte des »verrückten« Mul ein. Der hatte die Abtei auch einen Ort des Bösen genannt. Es wurde Zeit, daß er eine Erklärung dafür bekam.
»Ich hätte dich gern allein gesprochen, Aldhere.«
»Dann reite mit uns zu unserem Lager, und wir unterhalten uns unterwegs.«
Eadulf zögerte und entschied sich für Aufrichtigkeit.
»Ist dir klar, daß Abt Cild und mehrere seiner Mönche diese Gegend absuchen, um dich zu fangen und zu hängen?«
Aldhere zog eine Braue hoch, doch das Lächeln wich nicht von seinem Gesicht.
»Es freut mich, daß du uns warnst, heiliger gerefa, denn das beweist mir, daß du ein anständiger Mensch bist. Von Abt Cild kann ich das nicht behaupten. Wir haben Cild beobachtet, seit er ins Marschland kam, aber er ist schon längst zur Abtei zurückgekehrt. Er wollte nur irgend jemanden beeindrucken. Was hätte sein halbes Dutzend Mönche gegen meine Kriegerschar ausrichten können?«
Eadulf wurde plötzlich klar, daß Aldhere zwanzig Mann bei sich hatte. Cild mußte gewußt haben, daß er ihnen nicht gewachsen war. Warum hatte er diese Täuschung inszeniert? Wen wollte er beeindrucken? Eadulf selbst? Die Gemeinschaft? Garb und seine irischen Krieger? Oder war das nur wieder eine von Cilds unberechenbaren Launen?
Inzwischen hatten alle die Pferde bestiegen, die ihnen von Männern gebracht worden waren, die sie wohl im Wald verborgen gehalten hatten, während der Angriff stattfand. Zwei von Aldheres Männern ritten als Vorhut ein Stück voraus, dann folgten Eadulf und Aldhere, die anderen blieben dahinter.
Aldhere ritt entspannt und saß locker im Sattel aufgerichtet. Er war offensichtlich zu Pferde aufgewachsen.
»Also, was wolltest du mir erzählen, was nur für meine Ohren bestimmt ist?« fragte der Geächtete, sobald sie sich in Bewegung gesetzt hatten.
»Abt Cild glaubt, daß du Bruder Botulf getötet hast.«
Ein ironisches Schnaufen verriet Eadulf, daß Aldhe-re nicht viel davon hielt, was Abt Cild glaubte. Doch Eadulf entnahm ihm noch mehr.
»Du weißt also, daß Bruder Botulf getötet wurde?«
»Das weiß ich«, antwortete Aldhere düster. »Und wenn du den Schuldigen suchst, mußt du mit Cild reden.«
»Behauptest du etwa, daß Cild der Mörder ist und nicht du?«
»Habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt?«
»Erzähl mir, woher du weißt, daß Botulf tot ist.«
Zum erstenmal wurde Aldheres Miene ernst.
»Was geht das dich an, Eadulf von Seaxmund’s Ham? Du hast mir erklärt, du bist gerade erst in Al-dreds Abtei angekommen, und wie gesagt, wenn du klug bist, wirst du sie schnell wieder verlassen.«
Eadulf entschloß sich zur Offenheit.
»Es geht mich sehr viel an, Aldhere. Botulf war mein enger Freund von Kindheit und Jugend an. Als ich vor ein paar Wochen in Canterbury war, schickte er mir eine Botschaft, in der er mich aufforderte, in die Abtei zu kommen und spätestens gestern um Mitternacht dort zu sein. Ich schaffte es, mußte aber feststellen, daß er kurz vor meiner Ankunft ermordet worden war. Zum Beweis von Cilds Behauptung deiner Schuld erklärt einer der Brüder, er habe dich zu der Zeit bei der Abtei gesehen.«
Aldhere schwieg einen Moment.
»Das muß Wigstan gewesen sein, der mit Fisch für die Abtei von der Küste zurückkam. Den habe ich gesehen. Er hat recht. Ich war dort.«
Eadulf blickte ihn scharf an. »Gibst du jetzt zu ...?«
»Spiel hier nicht den Narren, heiliger gerefa. Natürlich nicht. Hat dir Botulf mitgeteilt, warum du zu Al-dreds Abtei kommen solltest? Oder weshalb du zu dieser bestimmten Zeit dort sein solltest?«
Widerwillig schüttelte Eadulf den Kopf.
»Ich habe Botulf nicht getötet«, sagte Aldhere plötzlich mit unterdrückter Leidenschaft. »Er war auch mein Freund. Ich war zur Abtei gekommen, um mich heimlich mit ihm zu treffen - wie dich hatte er auch mich aufgefordert, zu einer festgesetzten Zeit dort zu sein, in meinem Fall gestern im Morgengrauen.«
»Und dabei hat dich Bruder Wigstan gesehen?«
»Das leugne ich nicht.«
»Aber Botulf hast du nicht gesehen?«
Aldhere schüttelte entschieden den Kopf. »Während ich im Schatten des Wäldchens neben der Abtei auf ihn wartete, hörte ich einen Aufschrei. Ich beschloß, lieber nicht dort zu warten, bis ich wußte, was das zu bedeuten hatte.«
»Wie hast du dann erfahren, daß dieser Aufschrei bedeutete, daß Botulf tot aufgefunden wurde?«
»Durch Wiglaf. Er hat einen Verbindungsmann in der Abtei und hörte, daß dank Wigstans Aussage Cild behauptet, ich wäre der Mörder.«
»Warum haßt dich Abt Cild?«
Aldhere seufzte tief. »Das ist eine lange Geschichte, und sie hat eine noch längere Vorgeschichte.«
»Ich habe viel Zeit«, erwiderte Eadulf ohne Ironie.
»Dann gedulde dich, bis wir das Lager erreicht haben, dort werde ich dir bei einer Schüssel heißer Suppe diese Geschichte erzählen.«
Eadulf verfiel für eine Weile in Schweigen. Er konnte aus Aldhere nicht klug werden. Er entsprach so gar nicht dem Bild des Geächteten aus dem Moorland, das Cild gezeichnet hatte, wenn auch sein Äußeres zu Eadulfs Vorstellung von einem Räuber paßte. Aldhere war ein Mann von angenehmen Umgangsformen, gebildet und mit der ruhigen Autorität, wie sie eher ein Than, ein niederer Adliger, als ein Geächteter besaß. Eadulf drängten sich viele Fragen auf, doch er beschloß, seine Ungeduld im Zaum zu halten. Wie Fidelma gern sagte, es sind die Geduldigen, die zum Ziel gelangen.
Sie ritten parallel zur Küste nach Norden, hielten sich aber im Schutz der Wälder, die dort, wo sie von der ätzenden Salzluft des Meeres nicht berührt wurden, dicht wuchsen. Eadulf begann die Gegend zu erkennen und empfand leichtes Heimweh bei dem Gedanken, daß sie nicht mehr weit von seinem Geburtsort entfernt waren.
Drüben zu ihrer Rechten endete das Land in Sanddünen und Kieselstrand, zu ihrer Linken lag ein Gebiet mit kleinen Lagunen, Süßwasser-Schilfmoor, Wald und Heide. Als sie einen dichten, scheinbar undurchdringlichen Gürtel von Espen, Birken und Eichen durchquert hatten, kamen sie plötzlich auf eine Lichtung mit einfachen Hütten, zwischen denen sich Menschen bewegten, Männer, Frauen und sogar Kinder.
»Willkommen in meinem Lager«, lächelte Aldhere, zügelte sein Pferd und stieg ab.
Eadulf folgte seinem Beispiel, und der Geächtete führte ihn zu einer der Hütten. Ehe sie sie noch erreicht hatten, öffnete sich ihre Tür, eine Frau trat heraus und begrüßte Aldhere. Sie war schlank, und blondes Haar lugte unter dem Kopftuch hervor, das ihr Gesicht großenteils verhüllte. Als sie Eadulf erblickte, blieb sie jäh stehen.
»Wer ist das? Ein Gefangener? Einer von Cilds Leuten?« fragte sie unfreundlich. Sie sprach Sächsisch mit einem fremden Akzent, den Eadulf zunächst nicht deuten konnte.
Aldhere schüttelte lächelnd den Kopf.
»Nein, mein Schatz, das ist ein Gast. Das ist meine Frau Bertha, und dies ist Bruder Eadulf, Bertha. Nun bring uns Met und warme Suppe und laß uns in Ruhe miteinander reden.«
Bertha schnaubte verächtlich, verschwand aber wieder in der Hütte. Aldhere und Eadulf folgten ihr. Das Innere der Hütte bildete einen einzigen Raum, der gerade Platz für ein Bett, einen Tisch und ein paar Schemel bot. Aldhere winkte Eadulf, sich zu setzen, und ließ sich ihm gegenüber nieder. Bertha stellte einen Krug Met auf den Tisch. Dabei bemerkte Eadulf eine Narbe an ihrem Arm, die sich vom Handgelenk nach oben zog. Die Suppe war schon fertig, und gleich darauf standen auch Schüsseln mit dampfendem Gemüse und frischem, warmem Brot vor ihnen. Dann marschierte Bertha aus der Hütte, sichtlich verärgert, daß sie vom Gespräch ausgeschlossen war.
»Bertha? Das ist doch ein fränkischer Name«, meinte Eadulf, als sie allein waren.
Aldhere nickte nachdenklich. »Ich befreite sie von einem fränkischen Sklavenhändler, der sie an die OstSachsen verkaufen wollte. Die Sklavenhändler haben sie nicht gut behandelt. Ich habe gesehen, daß dir die Narbe an ihrem Arm aufgefallen ist. Sie hat noch weitere Narben, deshalb bedeckt sie vor Fremden gern ihr Gesicht. Sie hat es vorgezogen, bei mir zu bleiben.«
Eadulf nickte mitfühlend. »Dieser Sklavenhandel ist ein übles Geschäft, und ich hoffe, daß er einmal ganz verboten wird. Aber sag mir, warum wollten die OstSachsen mich töten? Als ich jung war, traten sie nie so gewalttätig auf.«
Aldhere schenkte ihnen Met ein.
»Das kommt alles von König Sigehere, der zur Anbetung der Götter seiner Vorfahren zurückgekehrt ist. Er hat sämtlichen Christen den Krieg erklärt.«
»Ich dachte, er hätte vollauf damit zu tun, gegen sein eigenes Volk zu kämpfen. Warum sendet er Männer aus, die in unser Land einfallen?«
»Sigehere ist ehrgeizig, ganz gleich, welcher Religion er gerade anhängt. Das Königreich der OstSachsen genügt ihm nicht, deshalb schickt er Krieger aus, die die Stärken und Schwächen seiner Nachbarländer herausfinden sollen. Es hat mehrere Überfälle bei uns gegeben - einen hast du eben miterlebt. Ein christlicher Mönch wäre für Sigeheres Krieger ein guter Fang gewesen. Sie hätten sich einen besonderen Spaß mit dir gemacht.«
Eadulf erschauerte bei dem Gedanken und langte nach seinem Becher Met.
»Warum gingen sie gerade an dieser Stelle an Land? Hier in der Nähe gibt es doch keine wesentlichen Ansiedlungen außer Aldreds Abtei.«
Aldhere rieb sich das Kinn und überlegte.
»Das ist eine gute Frage, heiliger gerefa. Gewöhnlich fallen sie weiter nördlich ein, im Land des Nordvolks, wo König Ealdwulf seinen Palast und seine Burgen hat. Ja, warum gingen sie ausgerechnet hier an Land?«
Einen Moment schien der Geächtete in Nachdenken versunken. Eadulf holte ihn in die Gegenwart zurück.
»Kann man denn nichts gegen Sigehere unternehmen? Ich dachte, sein Vetter Sebbi führe einen Bürgerkrieg gegen ihn. Das müßte doch seinen Ehrgeiz zügeln?«
»Sebbi ist kein Krieger. Er ist zu fromm und muß sich darauf verlassen, daß andere seine Schlachten schlagen. Im Augenblick hat er es schwer, sich gegen seinen heidnischen Vetter zu behaupten.«
»Ist denn kein christlicher Nachbar bereit, zugunsten von Sebbi einzugreifen?«
»Ob Christen oder Heiden, Könige lassen sich immer nur von ihrem eigenen Interesse leiten. Was kann Sebbi für sie tun? Wenn gar nichts, weshalb sollten sie ihn dann unterstützen?«
»Besteht also keine Aussicht, Sigehere Einhalt zu gebieten?«
Aldhere schüttelte den Kopf. »Kaum, es sei denn, man besiegte ihn in einer Schlacht. Aber Sigehere hat viele mächtige Freunde, die sich bereitwillig auf seine Seite stellen. Aus Gründen praktischer Politik erkennt er sogar Wulfhere von Mercia als seinen Lehnsherrn an, und Wulfhere wiederum würde gern die Gelegenheit nutzen, in unser Land der Ost-Angeln einzufallen, wenn wir ein Heer gegen Sigehere entsenden.«
Eadulf zögerte einen Moment und sagte dann: »Du sprichst nicht mit der selbstsüchtigen Haltung eines Räubers, Aldhere. Du sagst auch, Botulf sei dein Freund gewesen. Erzähl mir, wie das kam und was du von seinem Tode weißt.«
Aldhere setzte seinen Becher Met ab, reckte die Arme und verschränkte sie dann behaglich über seinem Bauch. Nachdenklich schloß er die Augen.
»Botulf war der einzige unter deinen Glaubensbrüdern, der mich nicht verurteilte, als ich geächtet wurde. Das war vor über einem Jahr.«
»Erklär mir erst, wie du Botulf kennengelernt hast. Wie kam eure Freundschaft zustande?«
»Du erinnerst dich sicher, daß Wulfhere vor acht Jahren seinem Vater Penda als König von Mercia nachfolgte und seitdem versucht, die Oberherrschaft Mercias über alle Könige der Angeln und Sachsen wiederherzustellen?«
Eadulf nickte. In seiner Kindheit hatten Mütter den Namen Penda, Sohn des Pybba, benutzt, um ihre Kinder zu schrecken und sie zum Gehorsam zu bringen. Von seinem Königreich Mercia aus war Penda gegen seine Nachbarn marschiert und hatte sogar Oswald von Northumbria, den mächtigsten aller angelsächsischen Könige, getötet. Damals war Eadulf sechs oder sieben Jahre alt. Fast überall hatte man ge-jubelt, als Oswalds Sohn Oswy, der nach dem Tode seines Vaters König von Northumbria geworden war, Penda in der Schlacht von Winwaed Field besiegte und tötete. Damit war das mächtige Reich Mercia zusammengebrochen. Penda war als Scheusal verrufen, weil er den christlichen Glauben abgelehnt und den alten Göttern wie Wotan und Thunor angehangen hatte. Doch nur drei Jahre nach seinem Tode hatte sein Sohn Wulfhere das Königreich wiederhergestellt und begonnen, seine Vorherrschaft neu aufzubauen.
Eadulf überlegte.
»Was hat das alles mit dir zu tun?« fragte er den Anführer der Geächteten.
»Ich war Than von Bretta’s Ham, ein Kriegsherr im Südvolk.«
Eadulf stellte überrascht fest, daß er den Mann richtig eingeschätzt hatte. Eadulf wußte nur, daß Bretta’s Ham im Südwesten des Königreichs lag. Er wartete geduldig ab, bis Aldhere fortfuhr.
»Vor etwa einem Jahr sandte Wulfhere seinen Bruder Aethelred gegen die Westgrenze unseres Landes.
Ealdwulf, unser König, ernannte seinen Vetter Egric zum Befehlshaber seines Heeres. Es gab nur ein kurzes, aber heftiges Gefecht, denn die Mercier fielen wie die Furien der Hölle über uns her. Ich erhielt den Befehl über den rechten Flügel. Es war keine gute Stellung, denn Egric hatte uns am Fuße eines Berges postiert, fast außer Sicht des Hauptteils. Als der Angriff begann, ließ mir Egric ausrichten, wir sollten stehenbleiben, bis wir gerufen würden. Ich gehorchte. Dann hörten wir, Egrics Stellung sei vom Feind genommen und er selbst tödlich verwundet worden.«
Aldhere schwieg einen Moment und seufzte tief. »Als ich das erfuhr, führte ich meine Männer um den Berg herum und fiel den Merciern in den Rücken. Wie gesagt, es war ein kurzer, aber heftiger Kampf, und dann waren die Mercier plötzlich in vollem Rückzug.«
Eadulf sagte nichts, als Aldhere wieder innehielt.
»Als ich Egric aufsuchte, um zu sehen, wie es ihm ging, und ihm die gute Nachricht zu bringen, daß wir die Mercier geschlagen hatten, sah ich, wie sein Blut verströmte, fand ihn aber voller Groll und Vorwürfe. Statt die volle Verantwortung für seine schlechte Aufstellung und die daraus folgende Niederlage und schließlich auch seinen Tod zu übernehmen, beschimpfte er mich wütend, selbst als er schon die letzten Atemzüge tat. Er behauptete, ich wäre ein Feigling, ich hätte mich versteckt gehalten, bis er besiegt war, und hätte nichts unternommen, um seine Flanke zu decken. In diesem Zorn starb er.«
Schweigen trat ein, bis Eadulf die erwartete Antwort gab.
»Aber es war doch seine eigene Schuld.«
»Er war ein Vetter des Königs, und die Überlebenden seiner Leibwache trugen seine letzten Worte König Ealdwulf zu. Ich wurde in den Palast des Königs bestellt, um mich für meine Feigheit zu verantworten. Das waren genau die Worte, mit denen ich vorgeladen wurde. Da wußte ich, wenn ich hinginge, gäbe es nur eine Lösung: meine Hinrichtung.«
»Darum hast du beschlossen, der Vorladung des Königs nicht zu folgen?«
»Das ist der Grund, weshalb ich noch am Leben bin.« Aldhere verzog das Gesicht.
»Der König hat dich geächtet?« Eadulf schnalzte mitfühlend mit der Zunge. »Die Vorladung des Königs zu mißachten war aber falsch, meine ich.«
Aldhere schüttelte den Kopf. »Du glaubst, ich hätte hingehen und mich verteidigen sollen? Die Männer, die bei mir waren, beschlossen, sich dem Gericht des Königs zu stellen, und Botulf ging mit ihnen.«
Eadulf fuhr auf. »Wieso Botulf?«
»Weil zu dieser Zeit Bruder Botulf nach Bretta’s Ham, wo ich herrschte, gekommen war, um das Wort des Glaubens zu predigen. Auf die Nachricht vom Angriff der Mercier hin erbot er sich, meine Kriegerschar zu begleiten, damit wir in der Stunde der Not nicht ohne geistlichen Beistand seien. Er blieb während der Schlacht bei meinen Männern, stand an meiner Seite, nur bewaffnet mit dem Kruzifix als dem Symbol seines Glaubens. Er wußte, daß Egrics Beschuldigungen nicht stimmten. Er ging als mein Bevollmächtigter zu König Ealdwulf.«
Eadulf war es klar, daß Aldhere die Wahrheit sagte. Wer Botulf kannte, zweifelte nicht an der Geschichte. Eadulf wußte, wie tapfer sein Freund war.
»Aber er erreichte nichts?«
»Er konnte König Ealdwulf nicht überzeugen, der den Worten seines toten Vetters mehr glaubte als denen meiner Männer. Die drei Krieger, die ihn begleiteten, meine getreuen Unterbefehlshaber, wurden sofort zu Sklaven gemacht. Botulf schickte er in Aldreds Abtei zurück, von wo er ursprünglich gekommen war, und wies Cild an, daß Botulf den Umkreis von einer Meile um die Abtei nicht überschreiten dürfe.«
Eadulf war entsetzt. »Aber das ist doch ungerecht! Das wußte ich nicht.«
Aldhere lächelte spöttisch. »Erzähl mir nichts von Gerechtigkeit, gerefa. Nur die Mächtigen und Reichen können sich wirkliche Gerechtigkeit leisten.«
Eadulf dachte an das System, das er in den fünf Königreichen von Eireann kennengelernt hatte, und sein Volk tat ihm leid.
»Durch dieses Unrecht bist du also zum Geächteten geworden?«
»Sobald ich hörte, was mit Botulf und meinen Männern geschehen war, nahm ich alle, die mir treu blieben, samt ihren Frauen und Kindern mit und zog mich in den Schutz dieses Moorlands und der Wälder zurück. Durch einen glücklichen Zufall bekam ich wieder Verbindung mit Botulf, und er konnte mir sagen, wohin meine Männer als Sklaven gebracht worden waren. Später machten wir einen Überfall und befreiten sie, und so lebt unsere Schar seit einem Jahr, und manchmal stoßen noch neue Mitglieder zu uns, die sich auch als Opfer böswilliger Ungerechtigkeit betrachten.«
»Das ist eine seltsame Geschichte«, bemerkte Eadulf.
»Es ist eine Geschichte, wie sie heutzutage beim Südvolk öfter vorkommt. Wir überlassen zuviel Macht zu wenigen Menschen, die sie dann nach ihren Vorurteilen ausüben und nicht nach dem, was richtig und gerecht ist.«
»Erzähl mir mehr von Botulf und von dem, was du über die Ereignisse weißt, die zu seinem Tod führten.«
Aldhere nickte. »Dazu wollte ich noch kommen. Aber wie gesagt, heiliger gerefa, das ist eine Geschichte mit einer langen Vorrede. Botulf war für mich und meine Leute ein guter Freund geblieben, und er hoffte, Ealdwulf zu überreden, die Ächtung unserer Schar zu widerrufen. Aber das war schwierig für ihn, denn er war ja in der Abtei eingesperrt. Vor ein paar Tagen erhielt ich eine Botschaft von ihm, daß ich mich mit ihm in dem Wäldchen bei der Abtei treffen sollte, wie ich dir schon sagte. Das war gestern beim Morgengrauen. Den Rest weißt du bereits. Aber du kannst mir glauben, daß ich ihn nicht getötet habe.«
»Hast du eine Ahnung, weshalb sich Botulf mit dir treffen wollte?«
»Überhaupt keine«, antwortete Aldhere. »Ich vermute allerdings ...« Er zögerte.
»Was vermutest du?« hakte Eadulf ein.
»Daß es etwas mit seinem Versuch zu tun hatte, den König zu überreden, das Urteil über mich und meine Leute zu überdenken. Er hatte versprochen, sich um eine Verbindung zu Sigeric zu bemühen, dem Oberhofmeister des Königs, und ihm meinen Fall erneut vorzutragen.«
»Sigeric? Lebt der noch?«
»Ja, und er hängt beharrlich den alten Göttern an. Doch er ist hochgeachtet beim König und sogar bei den Bischöfen wegen seiner Gesetzeskunde.«
Eadulf überlegte einen Moment und kehrte zum Thema zurück. Sackgassen mochte er nicht.
»Vor ein paar Tagen erhielt ich in Canterbury eine Botschaft, die mich zur Abtei bestellte. Botulf hatte anscheinend erfahren, daß ich inzwischen wieder dort war. Er bat mich dringend, vor der gestrigen Mitternacht in der Abtei zu sein. Ich sehe da keinen Zusammenhang.«
Aldhere zuckte die Achseln. »Ich auch nicht. Allerdings begann gestern das zwölftägige Julfest. Das ist das einzige, was ich mit dem Datum und der Stunde verbinde.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß das in bezug auf Botulf etwas zu bedeuten hätte.« Eadulf rieb sich die Stirn mit den Fingerspitzen. »Eins ist mir noch unklar. Cild ist ein sehr kriegerischer Mensch für einen christlichen Abt. Er war schnell bereit, dich zu beschuldigen und mit einer Schar schwerbewaffneter Mönche auszureiten, um dich zu jagen. Ich hatte keinen Zweifel, daß er dich hängen wollte, wenn er dich bekäme. Deshalb ritt ich hinterher, um dich zu finden - um eine Ungerechtigkeit zu verhindern.«
Aldhere lachte grimmig. »Dafür bin ich dir dankbar, heiliger gerefa. Du scheinst ein Mann von gleichem Schlage wie der arme Botulf zu sein.«
»Eins möchte ich noch wissen«, beharrte Eadulf. »Erzähl mir von deinem Verhältnis zu Abt Cild. Aus welchem Grunde seid ihr so verfeindet? Ich glaube nicht, daß es nur daran liegt, daß der König dich geächtet hat.«
Aldhere schüttelte mit einem seltsamen Lächeln den Kopf. »Cild war früher auch ein Krieger. Im Herzen ist er ein Kriegsherr geblieben. Er versteht genug von der Kriegführung, um zu wissen, daß in dem Gefecht bei Bretta’s Ham der Fehler nicht bei mir lag.«
»Wie erklärst du dir dann seine heftige Abneigung gegen dich? Sie geht so weit, daß er die Gelegenheit nutzen würde, dich zu hängen.«
Aldhere kniff die Lippen zusammen. »Das ist eine lange Geschichte.«
»Das hast du schon mehrmals gesagt. Davon wird sie auch nicht kürzer. Fangen wir lieber damit an. Was steht zwischen Cild und dir, das solche Feindschaft erzeugt?« Aldhere hob eine Schulter.
»Sie wurzelt in der Tatsache, daß Cild und ich denselben Vater und dieselbe Mutter haben.«
Einen Moment wollte Eadulf seinen Ohren nicht trauen. Schließlich sagte er: »Dann seid ihr also .?«
»Cild und ich sind Brüder«, bestätigte Aldhere.