Dick Francis Versteck

Kapitel 1

Ich schaute meinen Freund an und sah einen Mann vor mir, der mich bestohlen hatte. Befremdend. Ein Schlag ins Gesicht.

Jody Leeds erwiderte meinen Blick halb lächelnd, noch immer ungläubig.

«Wie bitte?«

«Ich nehme meine Pferde weg«, sagte ich.

«Aber… ich bin doch dein Trainer. «Er hörte sich verblüfft an. Seine Stimme und sein Gesicht drückten aus, daß Besitzer sich niemals von ihrem Trainer trennten. Das gab es einfach nicht. Nur Barbaren und Exzentriker liefen mit ihren Pferden von einem Stall zum anderen, und als so jemand kannte er mich nicht.

Wir standen auf der Rennbahn Sandown Park vor der Waage im kalten Wind, während Leute mit Sätteln und Nummerndecken für das nächste Jagdrennen an uns vorbeihasteten. Jody zog die Schultern unter der Schafsfelljacke hoch und schüttelte sein bloßes Haupt. Der Wind wehte ihm Strähnen glatter brauner Haare vor die Augen, und gereizt strich er sie aus der Stirn.

«Bitte, Steven«, sagte er.»Du machst Witze.«

«Nein.«

Jody war klein und untersetzt, ein hart arbeitender Mann von achtundzwanzig, clever, kompetent und beliebt. Seit ich mir vor drei Jahren die ersten Rennpferde zugelegt hatte, war er mein ständiger Berater gewesen, und von Anfang an hatte er mich kaltlächelnd rund um die Uhr bestohlen.

«Du bist doch verrückt«, sagte er.»Ich habe gerade ein Rennen für dich gewonnen.«

Wir standen tatsächlich gerade auf dem Absattelplatz für die Sieger, dem Rasenstück, auf dem Energise, mein neuestes und herausragendstes Hürdenpferd, vorhin seinen strahlenden Jockey abgesetzt hatte, um dampfend, stampfend, selbstbewußt mit dem Kopf zu schlagen und den Applaus der Menge als ihm gebührenden Tribut entgegenzunehmen.

Es war kein wichtiges Rennen gewesen, aber er hatte es gewonnen wie ein Großer. Zu sehen, wie dieser dunkelbraune

Blitz bergan dem Ziel entgegenflog, hatte mich mit seltener Bewunderung und Freude erfüllt… wenn nicht sogar mit Liebe. Energise war schön, mutig und platzte vor Siegeswillen, und eben weil er hier gesiegt — und so gesiegt — hatte, wollte ich meinen halbherzigen Entschluß, mich von Jody zu trennen, endlich in die Tat umsetzen.

Wahrscheinlich hätte ich Ort und Zeit dafür besser wählen sollen.

«Ich habe Energise bei der Auktion für dich ausgesucht«, sagte er.

«Ich weiß.«

«Und auch deine anderen Sieger.«

«Ja.«

«Und deinetwegen habe ich mir einen größeren Stall zugelegt.«

Ich nickte kurz.

«Du kannst mich doch jetzt nicht hängen lassen!«

Die Ungläubigkeit war in Ärger umgeschlagen. Seine klaren blauen Augen bekamen einen streitlustigen Ausdruck, und die Muskeln um seinen Mund strafften sich.

«Ich nehme die Pferde weg«, wiederholte ich.»Und mit Energise fangen wir an. Du kannst ihn gleich hier lassen, wenn du fährst.«

«Du bist ja verrückt.«

«Nein.«

«Wo kommt er denn hin?«

Darüber war ich mir selbst noch nicht im Klaren. Ich sagte:»Das regle ich schon alles. Laß ihn einfach hier im Stall und fahr ohne ihn heim.«

«Dazu hast du kein Recht!«Wilder Zorn blitzte aus seinen Augen.»Was bist du bloß für ein Scheißkerl!«

Und doch war das Recht auf meiner Seite, das wußte er so gut wie ich. War der Besitzer unzufrieden, konnte er jederzeit den Trainer wechseln; daß von dem Recht selten Gebrauch gemacht wurde, tat nichts zu Sache.

Jody war starr vor Wut.»Ich nehme das Pferd mit, und nichts wird mich davon abhalten.«

Mit seinem Trotz bewirkte er erst recht, daß ich es ihm zeigen wollte. Entschieden schüttelte ich den Kopf.»Nein,

Jody«, sagte ich.»Das Pferd bleibt hier.«

«Nur über meine Leiche.«

Er zitterte vor Kampfeslust am ganzen Körper.

«Du hast nicht mehr die Vollmacht, in meinem Namen zu handeln«, sagte ich,»und das werde ich den Zuständigen im Waageraum jetzt gleich mitteilen.«

Er starrte mich böse an.»Du schuldest mir Geld«, sagte er.»Erst wenn du mich bezahlt hast, kannst du mir die Pferde wegnehmen.«

Ich zahlte meine Rechnungen bei ihm stets pünktlich und schuldete ihm nur das Geld für den laufenden Monat. Sofort zog ich mein Scheckbuch aus der Tasche und zückte meinen Stift.

«Ich schreibe dir einen Scheck aus.«

«Kommt überhaupt nicht in Frage.«

Er nahm mir das Scheckbuch aus der Hand, riß es mittendurch und warf es mit der gleichen Bewegung hinter sich, so daß die ganzen losen Scheckhälften im Wind davonflatterten. Erstaunte Gesichter wandten sich uns zu, und die Presse wurde aufmerksam. Einen öffentlicheren Ort hätte ich mir für den großen Krach, der sich hier anbahnte, kaum aussuchen können.

Jody schaute sich um. Blickte auf die Männer mit den Notizbüchern. Witterte Verbündete.

«Das wird dir noch leid tun«, sagte er.»Dir zieh ich das Fell über die Ohren.«

Das Gesicht, das mich vor fünf Minuten noch ganz freundlich und gutgelaunt angelächelt hatte, war wie verwandelt. Selbst wenn ich jetzt einlenken und um Entschuldigung bitten würde, ließe sich die alte Beziehung nicht wiederherstellen. Das Vertrauen war zerstört und der Riß nicht mehr zu kitten.

Jodys heftiger Widerstand hatte mich aggressiver werden lassen als eigentlich beabsichtigt. An meinem Entschluß änderte das nichts, auch wenn ich jetzt mehr kämpfen mußte, um ihn durchzusetzen.

«Mach, was du willst«, sagte ich,»aber meine Pferde behältst du nicht.«

«Du ruinierst mich!«schrie Jody.

Die Presseleute kamen ein paar Schritte näher heran.

Jody warf ihnen rasch einen Blick zu. Bosheit überkam ihn, und Gehässigkeit verzerrte seine Züge.»Ihr reichen Mistkerle, ihr schert euch einen Dreck darum, wem ihr schadet!«

Ich ließ ihn einfach stehen, ging in den Waageraum und sagte mich wie angekündigt von ihm als Trainer los. Ich unterschrieb Formulare, mit denen ihm die Vollmacht, in meinem Namen zu handeln, entzogen wurde, und hielt außerdem in einer handschriftlichen Notiz fest, daß ich ihm ausdrücklich untersagt hatte, Energise von Sandown Park zu entfernen. Niemand bestritt, daß ich dazu berechtigt war; man begegnete aber dieser Person, die sich so kurz und plötzlich der Dienste eines Mannes entledigte, welcher ihr vor zehn Minuten noch einen Sieger beschert hatte, etwas kühl.

Ich erzählte ihnen nicht, daß diese Person sehr lange gebraucht hatte, um der Tatsache, daß er beschwindelt wurde, ins Auge zu sehen. Ich erzählte ihnen nicht, daß ich meinen Verdacht lange als unbegründet verworfen und Jody alles mögliche zugute gehalten hatte, bevor ich meiner Sache schließlich sicher war.

Ich sagte auch nichts davon, daß Jodys erste Reaktion auf die Eröffnung, daß ich ihm meine Pferde wegnehmen wollte, für mich ausschlaggebend gewesen war.

Er hatte es nämlich versäumt, die naheliegende Frage zu stellen.

Er hatte nicht gefragt, warum.

Als ich aus dem Waageraum kam, hatten Jody und die Presseleute den Absattelring verlassen. Rennbahnbesucher eilten zur Tribüne, um sich das bevorstehende Jagdrennen, den Höhepunkt des Nachmittags, anzuschauen, und auch die Funktionäre, die ich gerade in Anspruch genommen hatte, machten sich auf die Beine.

Mir lag nichts an dem Rennen. Ich hielt es für besser, zu den Stallungen zu gehen und mit dem Wächter am Tor zu reden, damit er aufpaßte, daß Energise sich nicht in Luft auflöste. Da der Wächter aber in der Regel böse Buben am Eindringen und nicht gute Rennpferde am Rausgehen hindern sollte, durfte man, selbst wenn er hilfsbereit war, vielleicht nicht allzuviel von ihm erwarten.

Er saß in seinem Wachhäuschen, ein stämmiger Mann mittleren Alters in einer marineblauen Sergeuniform mit Messingknöpfen. Über einem Heizofen, der einen aussichtslosen Kampf gegen die Dezemberkälte führte, hingen mehrere Klemmbretter mit Listen an der Wand.

«Entschuldigen Sie«, sagte ich.»Ich komme wegen meines Pferdes —.«

«Hier können Sie nicht rein«, fiel er mir barsch ins Wort.»Besitzer ohne Trainer haben keinen Zutritt.«

«Das weiß ich«, sagte ich.»Ich möchte nur sicherstellen, daß mein Pferd hierbleibt —.«

«Um welches Pferd geht's?«

Wie viele Leute auf kleineren Machtpöstchen hielt er es nicht für nötig, jemand ausreden zu lassen oder auch nur freundlich anzusehen.

«Energise«, sagte ich.

Er kniff die Lippen zusammen und überlegte, ob er mir Auskunft geben sollte. Wahrscheinlich kam er zu dem Ergebnis, daß außer mangelnder Hilfsbereitschaft nichts dagegen sprach, denn schließlich sagte er widerwillig:»Ist das so ein Schwarzer, der von Leeds trainiert wird?«

«Ja.«

«Der ist weg«, sagte er.

«Weg?«

«Genau. Ein Pfleger hat ihn vor ein paar Minuten abgeholt. «Er zeigte mit dem Kopf in die Richtung des Platzes, wo die Pferdetransporter parkten.»Leeds war bei ihm. Wenn Sie mich fragen, sind die inzwischen auf und davon. «Der Gedanke schien ihm zu gefallen. Er grinste.

Ich überließ ihn seiner Schadenfreude und lief den von Sträuchern gesäumten Weg entlang zu dem großen, kiesbestreuten Platz, auf dem planlos Dutzende Pferdetransporter geparkt waren. Jodys Transporter war rehbraun mit rot abgesetzten Feldern an den Seiten, und er setzte gerade aus seiner Parklücke, um zwischen zwei Wagenreihen zu wenden und den Platz zu verlassen.

Ich legte mein Fernglas auf den Boden, rannte an den ersten Wagenreihen entlang und sah, als ich um den letzten

Wagen bog, etwa dreißig Meter entfernt Jodys Transporter, der nach seinem Wendemanöver beschleunigte und direkt auf mich zukam.

Ich trat mitten auf den Weg und winkte dem Fahrer, anzuhalten.

Der Fahrer kannte mich ganz gut. Er hieß Andy-Fred und fuhr regelmäßig meine Pferde. Ich sah sein erschrockenes, angespanntes Gesicht, als er heftig auf die Hupe drückte.

Ich kümmerte mich nicht darum, da ich sicher war, er würde anhalten. Er näherte sich zwischen einem hohen Bretterzaun auf der einen Seite und den geparkten Transportern auf der anderen, und erst als sonnenklar war, daß es für ihn kein Halten gab, kam mir der Gedanke, Energise könnte auf dem besten Weg sein, die Rennbahn nicht über Jodys, sondern meine Leiche zu verlassen.

Aus Zorn, nicht aus Angst, blieb ich wie angewurzelt stehen.

Andy-Fred ließen die Nerven Gott sei Dank zuerst im Stich, aber es war knapp. Er riß das Lenkrad scharf herum, als zwischen dem massiven Kühlergrill und meiner Auslöschung noch ganze zwei Meter lagen und der Diesellärm mir in den Ohren dröhnte.

Zum Bremsen hatte er keine Zeit mehr. Der plötzliche Schwenk trug ihn direkt in die Seite des zuvorderst geparkten Transporters, und kreischend schrammte Metall gegen Metall, bis sich die Vordertüren beider Wagen hoffnungslos ineinander verkeilten. Glas zersprang, Splitter flogen durch die Luft. Der Motor stotterte und erstarb.

Die scharfen Kanten vorn an Jodys Transporter hatten mich zwar verfehlt, dafür hatte mich aber der Kotflügel voll erwischt, als ich im letzten Moment aus dem Weg gesprungen war. Völlig außer Atem blieb ich vor dem Bretterzaun liegen, gegen den es mich geschleudert hatte.

Andy-Fred sprang unverletzt aus der heil gebliebenen Seite des Fahrerhauses und näherte sich mit einer Mischung aus Furcht, Wut und Erleichterung.

«Was ist denn in Sie gefahren?«brüllte er.

«Warum haben Sie… nicht angehalten?«sagte ich schwach.

Vielleicht hörte er mich gar nicht; jedenfalls gab er keine

Antwort. Er drehte sich stattdessen nach Jody um, der wutentbrannt die erste Wagenreihe entlanggelaufen kam, auf dem gleichen Weg wie ich.

Jody explodierte förmlich, als er die eingedrückten Transporter sah, und spie Gift und Galle.

«Du Vollidiot!«schrie er Andy-Fred an.»Du elender Flachkopf, verdammter…«

Der stämmige Transportfahrer schrie prompt zurück.

«Er stand mitten im Weg!«

«Ich sagte doch, du sollst nicht anhalten.«

«Dann hätte ich ihn überfahren.«

«Hättest du nicht.«

«Wenn ich's doch sage. Der stand wie eine Eins. Blieb einfach stehen —.«

«Hättest du draufgehalten, wäre er schon weggesprungen, Menschenskind. Sieh doch, was du angerichtet hast, du Blödmann… «

Ihr Geschrei klang laut und bissig im Wind. Weiter weg dröhnte die Stimme des Ansagers aus den Lautsprechern und kommentierte den Verlauf des Jagdrennens. Hinter dem Bretterzaun strömte der Verkehr auf der Strecke London-Guildford. Ich stand vorsichtig von dem kalten Kies auf und lehnte mich gegen die verwitterten Planken.

Nichts gebrochen. Die Puste kam wieder. Nur Sachschaden: an meinem Mantel fehlten sämtliche Knöpfe. Geblieben war eine Reihe dreieckiger Risse im Stoff. Ich sah sie mir zerstreut an und wußte, ich hatte Glück gehabt.

Andy-Fred erklärte Jody heiser, aber lautstark, er werde niemand für ihn umbringen, er denke gar nicht dran.

«Du bist entlassen«, brüllte Jody.

«Von mir aus!«

Andy-Fred trat einen Schritt zurück, faßte die ramponierten Transporter ins Auge, sah mich an und sah Jody an. Dann schob er sein Gesicht dicht vor das von Jody, schrie nochmals:»Von mir aus!«und ging steifbeinig in Richtung der Stallungen davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Jody richtete nun sein Augenmerk und seine Wut ganz auf mich. Mit drei entschlossenen Schritten war er bei mir und tobte:»Dafür verklage ich dich!«

«Willst du nicht nachsehen, wie es dem Pferd geht?«

Wegen des Lärms, der uns umgab, verstand er mich nicht.

«Was?«

«Energise«, sagte ich laut.»Geht's ihm gut?«

Er warf mir einen giftigen, von Abscheu erfüllten Blick zu und lief um den Transporter herum. Ich folge ihm langsam. Jody riß die Betreuertür auf, schwang sich hoch, und ich stieg hinter ihm ein.

Energise stand von Kopf bis Fuß zitternd in seiner Box und blickte verstört um sich, so daß man deutlich das Weiße in seinen dunklen Augen sah. Jody hatte ihn, noch naßgeschwitzt von seinem Lauf, in einem keineswegs reisefähigen Zustand verladen, und der Zusammenstoß hatte das Pferd offensichtlich in Angst versetzt; zumindest aber war Energise auf den Beinen, und Jody, der ihn rasch untersuchte, konnte keine äußere Verletzung feststellen.

«Nicht dein Verdienst«, sagte Jody säuerlich.

«Deiner auch nicht.«

Wir schauten uns in dem engen Raum an, einer stillen, windfreien Zone.

«Du hast mich bestohlen«, sagte ich.»Ich wollte es erst nicht glauben. Aber jetzt… jetzt bekommst du keine Gelegenheit mehr dazu.«

«Du kannst mir nichts beweisen.«

«Mag sein. Vielleicht versuch ich das nicht mal. Vielleicht schreibe ich meine Verluste als Preis dafür ab, daß ich so dumm war, dich zu mögen und dir zu vertrauen.«

Er sagte empört:»Du bist bei mir immer auf deine Kosten gekommen.«

«Und du bei mir.«

«Was willst du denn? Trainer arbeiten doch nicht zum Spaß.«

«Nicht alle Trainer machen's so wie du.«

Plötzlich stand in seinen Augen ein berechnender Ausdruck.»Was habe ich denn gemacht?«fragte er.

«Das würde ich gern von dir hören«, sagte ich.»Immerhin bestreitest du nicht, daß du mich betrogen hast.«

«Also Steven, du bist so verdammt weltfremd. Schön, mag ja sein, daß ich hier und da was aufgeschlagen habe. Wenn es dir um die Reisespesen für Hermes bei dem Meeting damals in Haydock geht, das dann wegen Nebel ausfiel… gut, da haben wir das Pferd gar nicht hingeschickt… es hat an dem Morgen gelahmt und konnte nicht. Was ist das schon? Ein Trinkgeld für den Trainer. Und du kannst es dir leisten. Auf lumpige dreißig Pfund kommt es dir doch nicht an.«

«Was noch?«sagte ich.

Er schien beruhigt. Zuversicht und ein Hauch von scheinheiliger Freundlichkeit lagen auf seinem Gesicht und in seiner Stimme.

«Tja…«, sagte er.»Warum hast du mich denn nicht darauf angesprochen, wenn du mit einer Rechnung mal nicht einverstanden warst? Das hätte ich doch gleich geregelt. Völlig unnötig, das aufzustauen, bis du jetzt auf einmal explodierst.«

Autsch, dachte ich. Ich hatte nie geprüft, ob die Posten auf den monatlichen Abrechnungen richtig zusammengezählt waren. Selbst als ich wußte, daß er mich bestahl, hatte ich nicht vermutet, daß es auf eine so lächerlich einfache Weise geschah.

«Was noch?«fragte ich.

Er sah kurz weg und kam zu dem Schluß, daß ich wohl nicht allzuviel wissen konnte.

«Also schön«, sagte er, als mache er ein gewaltiges Zugeständnis.»Es geht um Raymond, ja?«

«Unter anderem.«

Jody nickte reuig.»Wahrscheinlich war es schon ein bißchen dreist, daß ich ihn dir zweimal die Woche in Rechnung gestellt habe, auch wenn er nur einmal kam.«

«Oder auch gar nicht.«

«Nun ja…«, gab Jody zu.»Vielleicht auch das, ein- oder zweimal.«

Raymond Child ritt alle meine Springer im Wettkampf und fuhr manchmal morgens fünfzig Meilen, um sie auf Jodys Arbeitsbahn einzuspringen. Jody zahlte ihm dafür ein Trainingsgeld plus Spesen und stellte mir beides in Rechnung. Auch auf der Juli-Abrechnung hatten die Kosten für das zweimal wöchentliche Training nicht gefehlt, dabei war, wie ich kürzlich zufällig erfahren hatte, den ganzen Juli über kein Pferd eingesprungen worden, und Raymond hatte Urlaub in Spanien gemacht.

«Hier und da ein Zehner«, meinte Jody.»Das kratzt dich doch nicht.«

«Ein Zehner plus Spesen zweimal die Woche, das sind für den Juli über hundert Pfund.«

«Oh. «Er lächelte schief.»Du hast also wirklich kontrolliert.«

«Was dachtest du denn?«

«Du nimmst doch alles so locker. Du hast immer anstandslos bezahlt.«

«Das ist vorbei.«

«Aber… Also Steven, es tut mir leid. Wenn ich dir mein Wort gebe, daß du bei der Abrechnung nicht mehr beschummelt wirst — daß in Zukunft jeder Posten korrekt aufgeführt wird —, können wir dann nicht so weitermachen wie bisher? Schließlich habe ich eine Menge Rennen für dich gewonnen.«

Ernst, aufrichtig und zerknirscht sah er mich an. Sichtlich überzeugt, daß ich ihm eine zweite Chance geben würde. Man beichtet, zeigt Reue, gelobt Besserung, und hoppla-hopp läuft alles wie gehabt.

«Es ist zu spät«, sagte ich.

Er gab nicht auf; stattdessen markierte er noch etwas mehr den liebenswerten Sünder, der weiß, daß er sehr böse war, der sich aber nun, da er ertappt wurde, zum wahren Engel wandelt.»Wahrscheinlich habe ich mich dumm benommen, weil mir die vielen Sonderausgaben über den Kopf wachsen«, sagte er.»Die Hypothekenrückzahlungen für den neuen Stall sind wirklich mörderisch, und wie du weißt, bin ich ja nur umgezogen, weil ich mehr Platz für deine Pferde brauchte.«

Jetzt war es meine Schuld, daß er betrügen mußte.

Ich sagte:»Ich habe dir doch angeboten, den alten Stall auszubauen.«

«Das hätte nicht gereicht«, warf er rasch ein; doch war die alte Stallanlage auch eher schlicht und bescheiden zu nennen, so war die neue dagegen einfach gewaltig. Zur Zeit des Umzugs hatte ich mich noch gefragt, wie er sich das leisten konnte. Jetzt wußte ich es nur zu gut.

«Nehmen wir das einfach mal als Warnschuß, ja?«sagte Jody überredend.»Ich möchte deine Pferde nicht verlieren, Steven. Das gebe ich offen zu. Die will ich nicht verlieren. Wir haben uns doch immer gut verstanden, oder? Hättest du nur was gesagt… Ich meine, wenn du mich angehauen hättest — Jody, alter Sack, was schreibst du mir denn da auf die Rechnung? — na, dann hätten wir das im Nu bereinigt. Aber als du hier aus heiterem Himmel explodiert bist und gesagt hast, du ziehst deine Pferde ab, direkt nach dem tollen Sieg von Energise… also da ist mir einfach der Kragen geplatzt. Geb ich ja zu. Ich habe Sachen gesagt, die nicht so gemeint waren. Du weißt schon. Tut ja jeder, wenn ihn die Wut packt.«

Er setzte ein Lächeln auf wie in alten Zeiten, als wäre nichts gewesen. Als stünde Energise jetzt nicht schwitzend in einem beschädigten Pferdetransporter neben uns. Als wäre mein Mantel nicht zerrissen und verdreckt, nachdem ich knapp dem Tod entgangen war.

«Steven, du kennst mich doch«, sagte er.»Ich gehe immer gleich hoch.«

Als ich nicht sofort antwortete, schloß er aus meinem Schweigen, daß ich seine Erklärungen und Entschuldigungen gelten ließ, und ging ohne weiteres zum praktischen Teil über.

«So, dann wollen wir den alten Knaben mal hier rausschaffen. «Er gab Energise einen Klaps auf die Kruppe.»Aber erst müssen wir die Karren auseinanderbringen, sonst geht die Rampe nicht runter. «Er schnalzte mit der Zunge.»Mal sehen, ob ich einfach zurücksetzen kann. Müßte eigentlich gehen.«

Er sprang aus der Tür und ging außen herum zum Fahrerhaus. Zwischen den Boxen hindurch sah ich, wie er sich ans Steuer setzte, die Gangschaltung prüfte und den Wagen anließ: ein kompetenter, zupackender Mensch, der sich schwierigen Situationen stellte.

Der Anlasser surrte, und dröhnend sprang der Diesel an. Jody setzte sich zurecht, legte den Rückwärtsgang ein und ließ vorsichtig die Kupplung kommen. Der Transporter erzitterte und stand still. Jody trat aufs Gas.

Durch die Frontscheibe sah ich ein paar Männer herankommen, auf deren Gesichtern sich Überraschung mit Zorn mischte. Einer von ihnen begann zu laufen und mit den Armen herumzufuchteln in der klassischen Manier desjenigen, der zu seinem Auto zurückkommt und feststellen muß, daß es verbeult ist.

Jody beachtete ihn nicht. Der Transporter ruckte, die eingedrückte Seite des Fahrerhauses schrammte an ihrem lädierten Nachbarn entlang, und Energise geriet in Panik.

«Jody, stopp«, rief ich.

Es ging an ihm vorbei. Er jagte den Motor hoch, nahm dann den Fuß runter, gab wieder Vollgas. Und noch einmal, und noch einmal.

Im Innern hörte es sich an, als bräche der ganze Transporter entzwei. Energise wieherte, zerrte an seinem Strick und trat mit den scharfen Hufen um sich. Ich hatte keine Ahnung, wie ich ihn beruhigen sollte, und kam schwerlich nah genug an ihn heran, um ihm einen Klaps zu geben, selbst wenn das etwas genutzt hätte. Meine Beziehung zu Pferden beschränkte sich darauf, daß ich sie von weitem bewunderte oder ihnen Mohrrüben gab, wenn sie sicher angebunden waren. Niemand hatte mich instruiert, wie man ein hysterisches Tier in der Enge einer rumpelnden Keksdose bändigt.

Mit einem letzten gewaltigen Knirschen krachten die beiden verkeilten Fahrzeuge auseinander, und Jodys vom Widerstand befreiter Transporter schoß rückwärts. Energise glitt aus und setzte sich kurz auf die Hinterhand, und auch ich landete auf dem Boden. Jody stieg auf die Bremse, sprang aus dem Wagen und wurde prompt von den drei Neuankömmlingen gepackt, von denen einer jetzt vor Wut zu platzen drohte.

Ich stand auf, klopfte mir Heu von den Kleidern und faßte mein dampfendes, schäumendes, völlig verschrecktes vierbeiniges Eigentum ins Auge.

«Alles vorbei, alter Knabe«, sagte ich.

Es hörte sich absurd an. Ich lächelte, räusperte mich und versuchte es noch einmal.

«Ganz ruhig, Alter. Das Schlimmste ist überstanden.«

Energise machte noch nicht den Eindruck, als habe er begriffen. Ich sagte ihm, er sei ein prima Pferd, er habe ein prima Rennen gewonnen, er werde im Nu der Größte sein und solle wissen, daß ich ihn sehr bewundere. Ich sagte ihm, er werde bald in einen schönen ruhigen Stall kommen, obwohl ich noch gar nicht genau wußte, in welchen, und da werde ihm erst mal jemand eine ordentliche Ladung extrafeines Heu vorsetzen und einen Eimer Kranenberger und bestimmt auch noch Hafer und solche Dinge. Es tue mir leid, daß ich gerade keine Mohrrübe in der Tasche hätte, aber nächstes Mal würde ich ihm eine mitbringen.

Nach einer Weile schien ihn das Geschwätz zu beruhigen. Ich streckte die Hand aus und klapste ihm den Hals. Sein Fell war naß und feuerheiß. Er schüttelte heftig den Kopf und blies energisch durch die feuchten schwarzen Nüstern, aber man sah das Weiße in seinen Augen nicht mehr, und er hatte aufgehört zu zittern. Mittlerweile interessierte er mich auf eine nie gekannte Art: als Persönlichkeit, die zufällig ein Pferd war.

Mir wurde bewußt, daß ich noch nie mit einem Pferd allein gewesen war. Eigentlich erstaunlich, denn Energise war schon mein zwölftes. Aber Besitzer tätscheln ihre Pferde meistens im Stall, wo Pfleger und Trainer dabei sind, im Führring, wo alle Welt zuschaut, und im Absattelring, wo man von gratulierenden Freunden umdrängt ist. Besitzer wie ich, die selbst nicht reiten und keine eigene Koppel für ihre Tiere haben, verbringen kaum einmal mehr als fünf Minuten in der Gesellschaft eines Pferdes.

Ich war in diesem Transporter länger mit Energise zusammen als in den ganzen fünf Monaten, seit ich ihn gekauft hatte.

Draußen geriet Jody mehr und mehr in Bedrängnis. Einer der Männer hatte einen Polizisten herbeigeholt, der etwas in sein Notizbuch schrieb. Ich fragte mich belustigt, wie Jody den Bogen von meinem sturen Stehenbleiben zum Ausweichmanöver seines Fahrers und dem dadurch entstandenen Blechschaden spannen würde. Glaubte er, meine Pferde behalten zu können, würde er meine Schuld herunterspielen. Glaubte er, sie zu verlieren, würde er Galle spucken. Schmunzelnd wandte ich mich wieder zu Energise.

«Also ich weiß nicht«, sagte ich,»warum ich ihm verschwiegen habe, daß ich über seinen anderen Schwindel auch Bescheid weiß, aber jetzt bin ich verdammt froh, daß ich das für mich behalten habe, hörst du? Die kleinen Schwindeleien, die er zugegeben hat, kann man getrost vergessen.«

Energise war jetzt so ruhig, daß er schon müde den Kopf hängenließ. Ich betrachtete ihn mitfühlend.

«Es sind nicht nur ein paar hundert Pfund, die er abgesahnt hat«, sagte ich.»Es sind mindestens fünfunddreißigtausend.«

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