Kapitel 12

Acht Uhr, Samstagmorgen. Ich saß in meinem gemieteten Cortina in einer Parkbucht an der Straße über die Downs und sah zu, wie die vorbeiziehenden Scheinwerfer in der regnerischen Dämmerung nach und nach verblaßten.

Ich war viel zu früh dort, weil ich nicht hatte schlafen können. Nach den raschen Vorbereitungen am Freitag, die den ganzen Nachmittag und Abend beansprucht hatten, war ich noch völlig aufgedreht ins Bett gegangen, und seither spukte mir pausenlos im Kopf herum, was alles schiefgehen konnte.

Gesprächsfetzen fielen mir ein.

Rupert Ramsey mit seinen Zweifeln und seiner Verblüffung am Telefon.

«Sie wollen was?«

«Daß Energise einen Ausflug in einem Pferdetransporter macht. Er ist durch einen Unfall mit einem Transporter in Sandown verstört worden… Vielleicht gibt ihm eine Fahrt ohne Zwischenfall wieder Selbstvertrauen.«

«Ich glaube nicht, daß das viel nützt«, sagte er.

«Trotzdem will ich's unbedingt versuchen. Ich habe einen jungen Mann namens Pete Duveen, der selbst einen Transporter hat, darum gebeten, daß er ihn abholt und spazierenfährt. Morgen, denke ich, wäre ein guter Tag dafür. Pete Duveen sagt, er kann ihn früh um halb acht abholen. Würden Sie das Pferd dann bereithalten?«

«Sie verschwenden Ihr Geld«, meinte er bedauernd.»Ich fürchte, dem fehlt's nicht nur an den Nerven.«

«Machen Sie sich nichts draus. Und… sind Sie morgen Abend zu Hause?«

«Nach dem Rennen in Chepstow, ja.«

In Chepstow auf der Westseite des Bristolkanals fand die größte Rennveranstaltung des Tages statt. Dort winkten die höchsten Geldpreise, und es war klar, daß die meisten Spitzentrainer wie Rupert hinfuhren.

«Sie haben hoffentlich nichts dagegen«, sagte ich,»aber wenn Energise von seinem Ausflug zurückkommt, würde ich gern einen Wachdienst engagieren, der auf ihn achtgibt.«

Schweigen am anderen Ende. Dann seine Stimme, bewußt höflich.»Aber wozu denn?«

«Damit ihm nichts passiert«, erläuterte ich.»Nur ein Wachmann, der den Stall patrouilliert und regelmäßig nach dem Rechten sieht. Ein Wachmann würde ja niemand stören.«

Ich spürte förmlich das Achselzucken, das mit dem ergebenen Seufzer durch die Leitung kam. Exzentrischen Besitzern ließ man ihren Kopf.»Wie Sie meinen… Aber warum?«

«Wenn ich morgen Abend zu Ihnen kommen könnte«, schlug ich vor,»würde ich es erklären.«

«Nun…«Er überlegte kurz.»Also, ich habe ein paar Freunde zum Essen eingeladen. Sind Sie dabei?«

«Ja, gern«, sagte ich entschieden.»Ich freue mich drauf.«

Ich gähnte und streckte mich im Wagen. Trotz Anorak, Handschuhen und dicken Socken kroch mir die Kälte in Finger und Zehen, und durch die regennassen Scheiben sahen die kahlen, hügeligen Downs ganz und gar unwirtlich aus. Zwischen den Scheibenwischern hindurch konnte ich gut zwei Meilen der A 34 übersehen. Sie führte über einen fernen Hügelkamm, fiel in ein weites Tal ab und stieg um so höher wieder an, bis sie an der Stelle, wo ich saß, die Downs zerschnitt.

Zwei Meilen hinter mir lag die Kreuzung mit der Ampel und noch zwei Meilen dahinter der Obststand.

Bert Huggerneck hatte am Abend um sechs in heller Aufregung angerufen.

«Schön gehört, Mann? Morgen soll der Betrug steigen!«

«Mit Padellic?«fragte ich hoffnungsvoll.

«Was denn sonst? Mit dem guten alten Padellic.«

«Woher wissen Sie das?«

«Hab an der Tür gehorcht«, sagte er fröhlich.»Die beiden Schlauberger haben sich unterhalten. Blödes Volk. Im ganzen Land will Ganser Mays die kleinen Wettbüros mit LastMinute-Wetten auf Padellic überschwemmen. Die Schlauberger schicken ihren ganzen weiblichen Anhang, den die kleinen Buchmacher nicht kennen, als Wettkunden herum. Hunderte, wie es sich anhört.«

«Bert, Sie sind ein Wunder.«

«Ja«, sagte er bescheiden.»Hab echt meinen Beruf verfehlt.«

Owen und ich verbrachten den größten Teil des Nachmittags damit, den großen in Chiswick gemieteten Lieferwagen vollzuladen und nachzuprüfen, ob wir auch nichts vergessen hatten. Er arbeitete wie der Teufel, pure Energie und ab und zu ein Lächeln.

«Danach wird mir das Leben langweilig vorkommen«, meinte er.

Ich hatte Charlie von Hantsford Manor aus angerufen und ihn erreicht, bevor er zum Mittagessen ging.

«Es geht los«, sagte ich.»Morgen in Stratford.«

«Holladiho!«

Um fünf rief er mich noch einmal von der Bank aus an.»Haben Sie die Abendzeitungen gesehen?«

«Noch nicht«, sagte ich.

«Jody hat auch zwei verbindliche Starter in Chepstow.«

«Wen?«

«Cricklewood im großen Rennen und Asphodel im Jagdrennen.«

Cricklewood und Asphodel gehörten beide dem gleichen Mann, der seit meinem Fortgang Jodys Besitzer Nummer 1 war. Und Cricklewood war vorgeblich jetzt das beste Pferd im Stall.

«Das bedeutet«, sagte ich,»daß Jody selbst mit ziemlicher Sicherheit nach Chepstow fährt.«

«Denke ich auch«, stimmte Charlie bei.»Er wird doch keine Aufmerksamkeit auf Padellic lenken wollen, indem er nach Stratford geht, oder?«

«Sicher nicht.«

«Wie wir es uns gewünscht haben«, sagte Charlie mit Genugtuung.»Jody fährt nach Chepstow.«

«Wir hatten darauf spekuliert.«

Charlie lachte leise.»Sie haben darauf spekuliert. «Er räusperte sich.»Wir sehen uns morgen an der Front. Und Steven… «

«Ja?«

«Viel Glück beim Ankurbeln.«

Ankurbeln…

Ich sah auf meine Uhr. Immer noch erst halb neun und zu früh, um in Aktion zu treten. Ich schaltete den Wagenmotor an und wärmte mich an der Heizung.

All die kleinen Spielfiguren, die sich auf ihren Spindeln drehten und ihre programmierten Handlungen ausführten. Allie, Bert, Charlie und Owen. Felicity und Jody Leeds, Ganser Mays. Padellic und Energise und Black Fire. Rupert Ramsey und Pete Duveen.

Und eine Spielfigur, über die ich gar nichts wußte.

Mit Unbehagen dachte ich daran.

Ein massiger Mann mit Sonnenbrille. Ein sehr kräftiger Mann, der zu kämpfen verstand.

Und weiter?

Der Padellic auf der Auktion in Doncaster gekauft hatte?

Ich wußte nicht, ob er das Pferd als Entdeckung Jodys gekauft hatte, oder ob er Energise so gut kannte, daß er selbst einen Doppelgänger für ihn hatte suchen können; es war unmöglich, das herauszufinden.

Ihn hatte ich heute nicht eingeplant. Wenn er als Joker auftauchte, konnte er das ganze Spiel über den Haufen werfen.

Ich nahm das Fernglas vom Beifahrersitz und beobachtete den Verkehr, der über den Kamm der gegenüberliegenden fernen Anhöhe kam. Auf zwei Meilen war es selbst bei starker Vergrößerung schwierig, einzelne Fahrzeuge zu erkennen, und im Tal oder wenn sie bergan direkt auf mich zukamen, sah ich sie frontal verkürzt.

Ein Wagen mit Anhänger erschien am Horizont. Wieder blickte ich auf die Uhr. Wenn das Allie war, war sie auf die Minute pünktlich.

Ich konzentrierte mich auf das kleine Gespann. Beobachtete, wie es zu Tal fuhr. Eindeutig ein Landrover mit einem Pferdehänger. Ich stieg aus und beobachtete ihren langsamen Weg bergan, bis ich endlich das Nummernschild erkennen konnte.

Definitiv Allie.

Ich machte einen Schritt auf die Straße und winkte ihr, anzuhalten. Sie bog in die Parkbucht ein, drehte das Fenster runter und sah besorgt aus.

«Ist was passiert?«

«Nein, nein. «Ich gab ihr einen Kuß.»Ich bin nur zu früh dran, da wollte ich dir guten Morgen sagen.«

«Du Armleuchter. Als du auf einmal da standest und gewinkt hast, dachte ich, alles sei im Eimer.«

«Jedenfalls hast du den Weg gefunden.«

«Kein Problem.«

«Gut geschlafen?«

Sie zog die Nase kraus.»Schon. Aber das ist vielleicht ein verrücktes Haus, Mensch. Nichts funktioniert. Wenn man das Klo spülen will, muß man Miss Johnston rufen. Sonst kommt keiner damit klar. Trotzdem, ich finde sie richtig nett, die beiden.«

«Man wird so an die gute alte Zeit erinnert.«

«Genau. Sie haben mir ihre Erinnerungsalben gezeigt. Vor dreißig, vierzig Jahren waren sie wer in der Pferdewelt. Preise auf allen Turnieren. Jetzt kämpfen sie sich mit einer kleinen Rente durch, und bald werden sie wohl verhungern.«

«Haben sie das gesagt?«

«Natürlich nicht. Aber man sieht es doch.«

«Geht's Black Fire gut?«

«Na klar. Zum Glück haben sie mir geholfen, ihn einzuladen, sonst stände ich jetzt noch da.«

«Hat er Ärger gemacht?«

«Friedlich wie ein Lämmchen.«

Ich ging nach hinten zu dem Anhänger und schaute über die dreiviertelhohe Tür hinein. Black Fire stand in der linken Box. In der rechten lag ein gefülltes Heunetz. Auch wenn die alten Damen kaum über die Runden kamen — ihre Pferde würden nicht hungern.

Ich ging wieder zu Allie.»Also…«, sagte ich.»Viel Glück.«

«Dir auch.«

Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln, drehte das Fenster hoch und fuhr vorsichtig aus der Parkbucht, um sich in den Verkehr nach Norden einzuordnen.

Auf die zeitliche Abstimmung kam es an.

Ich saß im Wagen und kaute im übertragenen Sinn meine Nägel, sah aber buchstäblich jede halbe Minute auf die Uhr.

Padellics Rennen war das sechste und letzte des Tages, ein Programmplatz, auf dem die Sieglosen sich oft wiederfanden, da die wenigsten Leute sie sehen wollten. Wegen des kurzen Januarnachmittags war das letzte Rennen auf 15.30 Uhr angesetzt.

Jodys Pferde trafen wie die der meisten Trainer, üblicherweise zwei Stunden bevor sie laufen sollten, auf der Rennbahn ein. Selten später, aber häufig früher.

Der Transport von Jodys Stall zur Rennbahn in Stratford on Avon dauerte zwei Stunden. Jodys Transporter mußte also spätestens um halb zwölf losfahren.

Ich ging davon aus, daß er wesentlich früher losfuhr. Je länger er wartete, desto weniger Spielraum blieb für Verzögerungen unterwegs oder für Komplikationen bei der Ankunft, und wenn für mich so viel auf dem Spiel gestanden hätte wie für Jody und Ganser Mays, hätte ich gut eine Stunde für Zwischenfälle eingeplant.

Halb elf… Aber wenn sie nun noch früher…

Ich schluckte. Ich hatte nur raten können.

Wenn Jody das Pferd aus irgendeinem Grund ganz früh losgeschickt hatte und es war schon durch, war unsere ganze Planung umsonst.

Wenn er es am Tag vorher spediert hatte… Wenn er es kostensparend mit den Pferden eines anderen Trainers zusammen spediert hatte… Wenn der Fahrer aus irgendeinem unerfindlichen Grund eine andere Strecke nahm…

Die Wenn vermehrten sich wie bissige Ameisen.

Viertel nach neun.

Ich verließ den Wagen und zog die Antenne eines großen, leistungsstarken Funksprechgeräts aus. Britische Bürger brauchten zwar eigentlich eine Genehmigung in dreimal dreifacher Ausfertigung, bevor sie so etwas benutzen durften, aber egal: Wir würden uns nur sekundenlang im Äther tummeln, und Leuchtfeuer auf Bergeshöhen zu entzünden wäre viel umständlicher gewesen.

«Charlie?«sagte ich über Funk.

«Alles in Ordnung hier.«

«Gut. «Ich wartete fünf Sekunden und ging wieder auf Sendung.»Owen?«

«Hier, Sir.«

«Gut.«

Wegen der Höhe meines Standorts konnten Owen und Charlie zwar mich hören, aber nicht sich untereinander. Ich ließ die Antenne draußen und den Schalter auf Empfang und stellte das Gerät wieder ins Auto.

Der Nieselregen nahm kein Ende, doch mein Mund war trocken.

Ich dachte an uns fünf, die wir jetzt warteten. Ich fragte mich, ob die anderen auch so schwache Nerven hatten.

Das Funksprechgerät knisterte plötzlich. Ich nahm es hoch.

«Sir?«

«Owen?«

«Pete Duveen ist gerade an mir vorbei.«

«Prima.«

Ich konnte die entweichende Anspannung in meiner Stimme hören und die Aufregung in seiner. Mit dem pünktlichen Eintreffen von Pete Duveen ging die Sache richtig los. Ich legte das Funkgerät weg und mußte feststellen, daß meine Hand zitterte.

Neuneinhalb Minuten nachdem er Owen passiert hatte, der in Sichtweite der Straße zu Jodys Stall stationiert war, bog Pete Duveen in die Parkbucht ein. Petes Pferdetransporter war hellblau, und sein Name mit Adresse und Telefonnummer stand in großer schwarzroter Schrift auf der Vorder- und Rückseite. Ich kannte Pete von der Rennbahn her, und er war es auch, den ich in Sandown bei meinem mißlungenen Versuch, Jody am Abtransport von Energise zu hindern, engagiert hatte.

Pete Duveen stellte den Motor ab und sprang aus dem Fahrerhaus.

«Morgen, Mr. Scott.«

«Morgen«, sagte ich und gab ihm die Hand.»Schön, daß Sie da sind.«

«Immer zu Diensten. «Er grinste fröhlich, als wollte er sagen, daß er mich zwar für meschugge hielt, daß ich das aber ruhig sein durfte, solange ich harmlos war und ihn überdies bezahlte.

Er war gutgebaut und blond, mit wettergegerbter Haut und mit einem dünnen Oberlippenbart. Offen, vernünftig und ehrlich. Ein Einmann-Transportunternehmen mit Zukunft.

«Haben Sie mein Pferd?«fragte ich.

«Klar.«

«Und wie schickt er sich?«

«Kein Mucks auf der ganzen Tour.«

«Darf ich ihn mir mal ansehen?«fragte ich.

«Klar«, sagte er wieder.»Aber ehrlich, er hat kein Theater gemacht, als wir ihn verladen haben, und ich glaub, den juckt das alles herzlich wenig.«

Ich klappte den Teil der Seitenwand des Transporters herunter, der die Laderampe für die Pferde bildete. Der Transporter war größer als Jodys, aber sonst ganz ähnlich. Das Pferd stand vorn in der am weitesten von der Rampe entfernten Box und schien sich für das Tagesgeschehen nicht die Bohne zu interessieren.

«Man kann nie wissen«, sagte ich und klappte die Rampe wieder hoch.»Vielleicht gibt ihm die Abwechslung mal so richtig Auftrieb.«

«Kann sein«, sagte Pete und meinte damit, wer's glaubt, wird selig.

Ich lächelte.»Einen Kaffee?«

«Gern.«

Ich öffnete den Kofferraum meines Wagens, holte eine Thermosflasche heraus und goß uns jedem eine Tasse ein.

«Sandwich?«bot ich an.

Dankend angenommen. Er aß Rind und Chutney mit Genuß.»Bin früh los«, erklärte er seinen Hunger.»Sie sagten ja, ich solle gegen halb zehn hier sein.«

«Richtig«, stimmte ich zu.

«Ehm… weshalb so früh?«

«Weil ich heute«, erläuterte ich,»noch alles mögliche erledigen muß.«

Nun hielt er mich für noch verschrobener, aber das Sandwich stopfte ihm den Mund.

Der Himmel hellte sich auf, und der feine Sprühregen ließ nach. Ich redete vom Pferderennen im Allgemeinen und von Stratford on Avon im Besonderen und fragte mich, wie ich ihn bloß hinhalten sollte, wenn Jodys Transporter doch erst in allerletzter Minute daheim losfuhr.

Um Viertel nach zehn hatten wir jeder zwei Tassen Kaffee getrunken, und Pete mochte kein Sandwich mehr. Er wurde unruhig und signalisierte Abfahrbereitschaft, was ich jedoch geflissentlich übersah. Ich schwätzte weiter über die Freuden des Besitzens von Rennpferden, und mein Magen krampfte sich in angstvollen Knoten zusammen.

Zwanzig nach zehn. Fünf vor halb. Halb elf. Nichts.

Es war schiefgegangen, dachte ich. Einer der unvorhersehbaren Zwischenfälle, an denen alles scheitern konnte, war eingetreten.

Fünf nach halb elf.

«Hören Sie«, redete mir Pete zu.»Sie sagten doch, Sie hätten heute noch viel zu erledigen, und ich weiß ehrlich gesagt nicht…«

Das Funksprechgerät knisterte.

Ich sprang förmlich hin und nahm es aus dem Wagen.

«Sir?«

«Ja, O wen?«

«Ein blauer Pferdetransporter ist gerade aus der Straße gekommen und nach Süden gefahren.«

«Gut.«

Ich unterdrückte meine Enttäuschung. Sicher die zwei Pferde von Jody, die nach Chepstow sollten.

«Was ist das denn?«fragte Pete und sah mir mit argloser Neugier über die Schulter.

«Nur ein Radio.«

«Hört sich an wie Polizeifunk.«

Ich lächelte und kehrte ans Heck des Wagens zurück, aber kaum hatte ich Pete wieder in ein sinnloses Gespräch verwickelt, kam erneut das Knistern.

«Sir?«

«Sprechen Sie.«

«Ein rehbrauner Transporter mit rotem Streifen, Sir. Gerade nach Norden abgebogen. «Seine Stimme bebte vor

Erregung.

«Das ist er, Owen.«

«Ich fahre los.«

Mir war plötzlich schlecht. Ich atmete dreimal tief durch. Drückte die Sprechtaste.

«Charlie?«

«Ja.«

«Der Transporter ist unterwegs.«

«Halleluja!«

Pete guckte wieder verwirrt und neugierig. Ich ignorierte seinen Gesichtsausdruck und holte eine Reisetasche aus dem Kofferraum meines Wagens.

«Dann wollen wir mal«, sagte ich freundlich.»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern einmal sehen, wie mein Pferd sich im Fahren benimmt. Könnten Sie die Kiste anschmeißen und mich ein Stück mitnehmen?«

Er sah völlig überrascht aus, aber er hatte sich ja schon auf die ganze Tour keinen Reim machen können.

«Wie Sie wollen«, sagte er ratlos.»Sie sind der Boß.«

Ich forderte ihn mit einer Geste auf, ins Fahrerhaus zu steigen und den Motor anzulassen, und legte ihm meine

Tasche auf den Beifahrersitz. Der Dieselmotor brummte, schnaufte und sprang dröhnend an, und ich kehrte zu dem Cortina zurück.

Schloß den Kofferraum, drehte die Fenster hoch, schloß die Türen ab und lehnte mich gegen den Kotflügel, in der einen Hand das Fernglas, in der anderen das Funksprechgerät.

Pete Duveen hatte von Jodys Straße bis zu meiner

Parkbucht neuneinhalb Minuten gebraucht, und Jodys Transporter brauchte genauso lange. Das Fernglas auf die Anhöhe jenseits des Tals gerichtet, sah ich den großen dunkelblauen Lieferwagen mit Owen am Horizont auftauchen und gleich darauf den rehbraunen Pferdetransporter.

Ich verfolgte ihre Talfahrt und ihre Anfahrt am Berg.

Drückte die Sprechtaste.

«Charlie?«

«Bitte.«

«Sieben Minuten. Owen ist vor ihm.«

«Gut.«

Ich schob die Antenne des Funkgeräts zusammen und ging zur Beifahrertür von Petes Transporter. Er blickte fragend auf mich herunter, als könnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, worauf ich noch wartete.

«Momentchen noch«, sagte ich, ohne etwas zu erklären, und er geduldete sich, als hätte er es mit einem Irren zu tun.

Owen kam den Berg herauf, schaltete in Höhe der Parkbucht und beschleunigte dann langsam wieder. Jodys Pferdetransporter, der ihm folgte, machte es genauso. Die eingedrückte linke Seite vorn war ausgebeult, aber noch nicht wieder lackiert worden. Ich warf rasch einen Blick ins Fahrerhaus: zwei Männer, beide nicht Jody, beide mir unbekannt; ein Transportfahrer in der Nachfolge von Andy-Fred und der Pfleger für das Pferd. Optimal.

Ich schwang mich zu Pete ins Fahrerhaus.

«Auf geht's.«

Meine plötzliche Hast wirkte genauso verrückt wie das Getrödel vorher, aber wieder kam er kommentarlos meinem Wunsch nach. Bis er eine Lücke im Verkehr gefunden hatte und auf der Straße war, lagen vier oder fünf Fahrzeuge zwischen uns und Jodys Transporter, was ich ganz annehmbar fand.

Die nächsten vier Meilen bemühte ich mich, so zu tun, als wäre nichts weiter, obwohl ich mein Herz schlagen hörte wie Disko-Musik. An der großen Kreuzung kam Owen, eine halbe Sekunde bevor sie auf Gelb sprang, über die Ampel, und Jodys Wagen mußte anhalten, weil sie auf Rot stand. Owen verschwand in einer Kurve.

Zwischen Jodys und Petes Transportern befanden sich drei PKWS und der kleine Lieferwagen eines Elektrogeschäfts. Als es Grün wurde, bog einer der PKWS nach links ab, und ich machte mir Sorgen, wir könnten zu nah herankommen.

«Fahren Sie etwas langsamer«, bat ich.

«Wie Sie meinen… aber das Pferd gibt keinen Piep von sich. «Er warf einen Blick nach hinten, wo der schwarze Kopf geduldig durch eine kleine Luke in Fahrtrichtung schaute, so nervös wie ein Napfkuchen.

Ein paar PKWS überholten uns. Wir rollten gemächlich weiter und kamen zur nächsten Steigung. Pete schaltete sanft, und wir rumpelten bergan. Als wir fast oben waren, erblickte er ein Schild auf einem Dreifuß am Straßenrand.

«Verflucht«, sagte er.

«Was ist?«fragte ich.

«Haben Sie das gesehen? Gleich kommt ein Kontrollpunkt.«

«Macht nichts, wir haben's ja nicht eilig.«

«Stimmt auch wieder.«

Wir kamen oben an. Links vor uns lag der Obststand mit dem großen Parkplatz. Rotweiße Leitkegel markierten die Straße entlang der Mittellinie, und auf der Fahrspur in Richtung Norden regelte ein massiger Mann in marineblauer Polizeiuniform mit einem schwarzweiß karierten Mützenband den Verkehr.

Als wir herankamen, winkte er die PKWS durch und dirigierte Pete dann auf den Parkplatz, trat zu ihm ans Fenster und redete mit ihm.

«Wir halten Sie nur ein paar Minuten auf, Sir. Würden Sie jetzt bitte drehen und hier mit der Front zu mir parken?«

«In Ordnung«, meinte Pete resigniert und befolgte die Anweisung. Als er anhielt, standen wir zur Straße hin. Etwa drei Meter links von uns parkte Jodys Transporter, aber anders herum. Hinter Jodys Transporter stand der Lieferwagen von Owen. Und hinter Owens Lieferwagen, mit zwanzig Metern Schotter dazwischen, stand der Wohnwagen, die lange, fensterlose Seite uns zugekehrt.

Der Landrover mit Anhänger, den Allie hergefahren hatte, stand versetzt vor Jodys Transporter. Dazu kamen der PKW, an den der Wohnwagen angekoppelt war, und der Mietwagen von Bert, so daß der Schauplatz insgesamt einen bevölkerten, geschäftigen und amtlichen Eindruck machte.

Ein zweites großes Schild auf einem Dreifuß stand direkt vor dem Wohnwagen zum Parkplatz hin

Ministerium für Umweltfragen Verkehrszählung und vor der Tür am Ende des Wohnwagens stand das Hinweisschild Eingang.

Jodys Fahrer und sein Pferdepfleger stiegen gerade dem Pfeil folgend die beiden Stufen zum Wohnwagen hinauf und verschwanden im Innern.

«Dort entlang, Sir. «Ein befehlender Zeigefinger.»Und nehmen Sie bitte Ihren Führerschein und Ihr Fahrtenbuch mit.«

Pete zuckte die Achseln, ergriff seine Papiere und ging. Ich sprang heraus und sah hinter ihm her.

Sobald er drinnen war, schlug Bert mir höchst unpolizeilich auf den Rücken und meinte:»Das läuft wie auf dem Kiez in Blackpool.«

Wir traten in Aktion. Vier Minuten höchstens, und allerhand zu tun.

Ich entriegelte die Rampe von Jodys Transporter und ließ sie leise herab. Wenn etwas einen Pferdetransportfahrer alarmierte, Verkehrszählung hin oder her, dann waren es Geräusche, die verrieten, daß sich jemand an seiner Ladung vergriff, und so war Lärm von Anfang an ein Hauptproblem gewesen.

Ich klappte die Rampe von Pete Duveen herunter. Und die Rampe von Allies Anhänger.

Unterdessen schaffte Bert drei Riesenrollen acht Zentimeter dickes Latex aus Owens Lieferwagen heran und legte damit die Rampen und die Schotterflächen zwischen den Fahrzeugen aus. Ich holte ein eigens für den Zweck gekauftes Halfter aus der Reisetasche und stieg in Jodys Transporter. Das schwarze Pferd sah mich ohne Neugier an, während es ruhig mit seiner Reisedecke und den vier Beinschützern dastand. Ich schaute prüfend nach der kleinen Kerbe am Ohr, der pennygroßen kahlen Stelle auf der Schulter und vergeudete einen Augenblick damit, es zu tätscheln.

Ich wußte nur zu gut, daß alles davon abhing, ob ich dieses unvertraute vierbeinige Wesen bewegen konnte, leise und ohne Anstände mit mir zu kommen, und wünschte mir sehnlich die nötige Erfahrung. So hatte ich nur Mitgefühl und geschickte Hände, und das mußte reichen.

Im Eiltempo nahm ich ihm die Decke ab und dankte Gott, daß der Beinschutz, den Jody seinen Pferden gewöhnlich zum Transport anlegte, nicht aus kompliziert gewickelten

Bandagen bestand, sondern aus Plastikbezogenen, mit Klettband befestigten Schaumgummistreifen.

Ich hatte sie alle vier herunter, bevor Bert mit der Schalldämpfung fertig war. Streifte Energise das neue Halfter über, nahm sein altes ab und ließ es, noch am Ring befestigt, in der Box hängen. Paßte ihm das neue an und zog versuchsweise am Strick. Energise machte erst einen Schritt, dann noch einen und folgte mir dann festen Tritts die Rampe hinunter. Ein tolles Gefühl, aber es ging nicht annähernd schnell genug.

Eil dich. Hol die anderen Pferde und beeil dich.

Sie hatten offenbar nichts dagegen, über den schwammig weichen Untergrund zu gehen, aber sie ließen sich Zeit. Ich versuchte sie ruhig zu führen, meine Unruhe im Zaum zu halten, damit sie nur nicht scheuten und ausscherten und ihre metallbeschlagenen Hufe auf den Schotter krachen ließen.

Beeil dich. Beeil dich.

Ich mußte Energise durch sein Double ersetzen und dem Double die richtige Decke, die richtigen Beinschützer, das richtige Halfter anlegen, bevor der Fahrer und der Pfleger aus dem Wohnwagen herauskamen.

Dazu die Hufe… Renneisen wurden manchmal vorn Hufschmied daheim angepaßt, der dann die Hufe einölte, um die Feilspuren zu überdecken und den Füßen ein gepflegtes Aussehen zu geben. Ich hatte Huföl mitgebracht für den Fall, daß Energise schon fertig beschlagen war, und das war er.

«Beeilung, um Gottes willen«, sagte Bert, als er mich zum Öl greifen sah. Er brachte das wiederaufgerollte Latex im Laufschritt zum Lieferwagen und grinste dabei wie ein Lottokönig.

Ich rieb die Hufe ein, bis sie dunkel glänzten. Brachte das herabhängende Halfter an, ohne den Anbindeknoten zu lösen, denn jede Veränderung daran wäre dem Pfleger aufgefallen. Schnallte die Decke um Brustkorb und Bauch des Pferdes. Befestigte die vier Beinschoner mit dem Klettband. Schloß die Tür der Box genauso, wie ich sie vorgefunden hatte, und sah mich kurz noch einmal um, bevor ich ging. Der schwarze Kopf des Doubles schaute mich ohne Neugier an, sein feuchtes Auge war geduldig und still. Ich lächelte ihm unwillkürlich zu, sprang aus dem Transporter und verriegelte mit Berts Hilfe vorsichtig die Rampe.

Owen kam aus dem Wohnwagen, lief über den Platz und schloß die Rampe an Allies Anhänger. Ich sprang zu dem Pferd in Petes Transporter hinein. Bert klappte die Rampe hoch und verriegelte auch sie geräuschlos.

Durch die Frontscheibe von Petes Transporter sah der Parkplatz ruhig und ordentlich aus.

Owen setzte sich wieder ans Steuer seines Lieferwagens, und Bert ging zurück zur Straße.

Im gleichen Moment kamen auch schon Jodys Fahrer und sein Pfleger aus dem Wohnwagen und trotteten zu ihrem Pferdetransporter hinüber. Ich duckte mich, um nicht gesehen zu werden, hörte aber, wie einer von ihnen beim Einsteigen sagte:»Wegen so einem Scheiß halten sie die Leute auf.«

Dann sprang dröhnend der Motor an, sie rollten los, und Bert war so freundlich, ein paar PKWS anzuhalten, damit sie ihre unterbrochene Fahrt zügig fortsetzen konnten. Hätte ich nicht noch so viel zu tun gehabt, wäre es zum Lachen gewesen.

Ich zog die Decke fest. Band das Strickhalfter um. Befestigte die Beinschoner. Mein Lebtag hatte ich nicht in so einem Tempo gearbeitet.

Was noch? Prüfend betrachtete ich meinen schönen Schwarzen. Ruhig erwiderte er den Blick. Ich lächelte ihn an und sagte ihm, er sei ein großartiger Kerl. Dann kam Pete aus dem Wohnwagen, und ich kletterte rasch nach vorn und lümmelte mich auf dem Beifahrersitz, als wäre mir das Warten lang geworden, obwohl ich vor Anstrengung schwitzte und das Herz mir noch bis zum Hals klopfte.

Pete stieg auf seiner Seite ein und warf Fahrtenbuch und Führerschein erbost ins Handschuhfach.

«Dauernd halten sie uns an heutzutage. Fahrtenbuchprüfung. Fahrzeugkontrolle. Jedesmal eine halbe Stunde weg. Und jetzt noch Verkehrszählung.«

«Ärgerlich«, stimmte ich zu, im Ton wesentlich ruhiger als mein Puls.

Seine gewohnte Gutmütigkeit meldete sich mit einem Lächeln zurück.»An sich sind die Kontrollen eine gute

Sache. Manche Laster waren früher der Tod auf Rädern. Manche Fahrer wohl auch. «Er griff nach dem Zündschlüssel.»Wohin?«

«Wir können eigentlich wieder umkehren. Sie sagen ja auch, daß sich das Pferd ruhig verhält. Würden Sie mich zu meinem Wagen zurückbringen?«

«Klar«, sagte er.»Sie sind der Boß.«

Bert geleitete uns fürsorglich auf die Spur nach Süden, indem er mit ernstem Gesicht und unverkennbarem Vergnügen den Verkehr aufhielt. Pete fuhr gleichmütig zurück zu der Parkbucht und hielt hinter dem Cortina.

«Sie finden sicher, das war Zeitvergeudung«, sagte ich.»Aber glauben Sie mir, von meinem Standpunkt aus hat es sich gelohnt.«

«Das ist die Hauptsache«, meinte er fröhlich.

«Bringen Sie mir den Knaben gut nach Hause«, ich sah nach hinten auf das Pferd.»Und würden Sie dem Stallpersonal bei Mr. Ramsey noch mal sagen, daß ich einen Wachmann bestellt habe, der in nächster Zeit nachts den Stall sichern soll? Der wird heute am späten Nachmittag eintreffen.«

«Klar«, sagte Pete und nickte.

«Das war's dann wohl. «Ich nahm meine Tasche und sprang aus dem Fahrerhaus. Er winkte mir noch einmal durchs Fenster zu und brummte auf der A 34 nach Süden.

Ich lehnte mich gegen den Cortina, sah zu, wie er bergab fuhr, das Tal durchquerte und auf der anderen Seite wieder hochkam.

Ob Energise sein neues Zuhause gefiel?

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